Warum haben Fußballer O-Beine?

Es ist mal wieder WM, und die Welt befindet sich im akuten Fußballfieber. Beim genaueren Hinschauen erscheinen viele der professionellen Fußballerbeine perfekt an die Rundung des Balles angepasst. Doch diese Perfektion hat ihren Preis. Mein Beitrag zur WM, wenn auch diesmal (leider) ohne SciLogs-Bloggewitter…

Fussball! Bleistift auf Papier by Karin Schumacher (@med_and_more)
Fussball! Bleistift auf Papier by Karin Schumacher (@med_and_more)


Gefahren des Fußballs

Zu heftiges Fußball schauen kann die Gesundheit gefährden. Darüber hatte ich ja bereits zur letzten EM im Rahmen des damaligen Bloggewitters “Allez les Blogs!” berichtet. Dort steht auch, wie man drohende Herzschäden vermeiden kann, wenn sich die Lieblingsmannschaft mal wieder nicht so benimmt, wie man es gerne hätte.

Weltmeister der Sportverletzungen

Doch auch wer lieber selbst Sport treibt, kann seine Gesundheit aufs Spiel setzen. Fußball spielen  birgt unter allen Sportarten das höchste Risiko für Verletzungen, wenn man die Anzahl der Unfälle mit Arztbesuch pro Zeiteinheit zählt (etwa 2 pro 1000 Stunden Sportausübung) [1].

Auch die längerfristigen Folgen sind zahlreich. So schädigen Kopfbälle das Gehirn. Aber auch die Beine verändern sich nicht nur zum Vorteil durch den Sport. Bei Fußballspielern kommt es oft zu einer O-Bein-Stellung (Genu varum).

Fußball boomt!

Dennoch ist Fußball die populärste Sportart der Welt. Überall auf dem Globus kann mit wenig Aufwand und ohne komplizierte Spielregeln sofort gespielt werden. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen ist dieser Mannschaftssport sehr beliebt.

Nach einer Erhebung des Deutschen Olympischen Sportbundes ist Fußball die mit Abstand beliebteste Sportart bei Jungen (7-14 Jahre) und männlichen Jugendlichen (15-18 Jahre). Bei den Mädchen dieser Altersgruppen steht Fußball nach Turnen an zweiter Stelle. Dementsprechend gibt es in Deutschland insgesamt etwa 1.65 Millionen männliche und rund 300.000 weibliche Fußballspielende im Wachstumsalter [2].

O-Beine bei Fußballern – ein notwendiges Übel?

Untersuchungen deuten darauf hin, dass ehemalige Fußballprofis, aber auch Freizeitsportler, ein erhöhtes Risiko arthrotischer Knieveränderungen zeigen [3]. Dagegen sind in der Normalbevölkerung die Ursachen der Arthrose in der Regel multifaktoriell bedingt. Hier wird die Krankheit vor allem durch Faktoren wie Alter, Geschlecht, Genetik, Fehlernährung und Übergewicht begünstigt [4].

Vor allem intensives Fußballtraining im Sinne von Leistungssport im Wachstumsalter scheint die Entwicklung des Genu varum zu begünstigen. Eine vor kurzem im Deutschen Ärzteblatt erschienene systematische Übersichtsarbeit einer Autorengruppe um Peter Helmut Thaller aus der Ludwig-Maximilians-Universität in München [5] stellt hierzu interessante Daten zusammen.

Die Münchner Unfallchirurgen zeigen in ihrer Analyse der vorliegenden Studien von mehr als 1300 Kickern, dass bei jugendlichen Profi-Fußballern der Abstand zwischen den Knien signifikant größer ist als in der Kontrollgruppe. Jugendliche Profi-Fußballer haben im Durchschnitt 1.5 cm mehr Luft zwischen den Knien als Nicht-Kickende. Dies geht einher mit einem Vorstehen der außenseitigen Knieanteile und einer Abweichung der Unterschenkel nach innen.

Sind O-Beine notwendiges Übel, ein Schönheitsfehler, den jeder etwas mehr ambitionierte Fußballer in Kauf nehmen muss?

Profi-O-Beine: Risiken und Nebenwirkungen

Bei Leistungssportlern spielen die sportartspezifischen Belastungen und Verletzungsfolgen eine wesentliche Rolle. Bereits ohne sichtbare Verletzungen steigt bei Profi-Fußballern das Risiko für die Entwicklung einer Kniegelenksarthrose signifikant um das 1.3-fache an. Wenn das Risiko nach Knieverletzungen mitberücksichtigt wird, klettert es auf das 2.9-fache [6].

Brasilianische Ärzte zeigten in einer Studie den Zusammenhang zwischen dem erhöhten Risiko für Kniegelenksbeschwerden und –arthrose und dem Auftreten von O-Bein-Stellungen (55-63%) bei ehemaligen Profi-Fußballspielern. In der Folge klagten die Ex-Profi-Kicker häufiger über eine schlechtere Lebensqualität mit mehr Schmerzen und anderen krankheitsbedingten Beschwerden im Vergleich zur nicht fußballspielenden Kontrollgruppe [7].

O-Beine in verschiedenen Studien

Nun können verschiedene Mechanismen zur Entstehung einer O-Bein-Fehlstellung beitragen. Insbesondere muskuläre Dysbalancen oder auch die asymmetrische Überlastung der Wachstumsfugen im Kniebereich werden hierfür diskutiert.

Eine Untersuchung an Nachwuchs-Fußballspielern in Rio de Janeiro fand O-Beine in der Gruppe von Fußballspielern fast doppelt so oft (73.3%) wie bei Nicht-Fußballspielern (40.6%). Allerdings diskutierten die Brasilianer auch, dass Kindern mit O-Beinen ein größeres Talent im Fußballsport zugesprochen wird. Diese würden dann entsprechend mehr gefördert [8].

Eine belgische Gruppe maß die Abstände zwischen den Kniegelenkköpfen – den interkondylären Abstand (ICD) – an 336 Nachwuchs-Fußballspielern aus zwei belgischen Spitzenvereinen. Die Kontrollgruppe bildeten 458 Sportler zwischen 8 und 18 Jahren, die sich auf einem ähnlichen Leistungsniveau befanden, aber keinen Fußball spielten. Die Gruppe der 16- bis 18-Jährigen zeigte signifikant häufiger eine O-Bein-Stellung der Beinachse (p=0.028). Die Autoren diskutieren eine sportartspezifische Dysbalance der Beinmuskulatur als Hauptursache [9].

Schließlich untersuchte eine iranische Gruppe 750 Fußballspieler im Alter von 10 bis 18 Jahren [10]. Als Kontrolle dienten 750 Nicht-Fußballspieler der gleichen Altersgruppe. Probanden, die mehr als sechs Stunden pro Woche Fußball spielten, zeigten wesentlich höhere Werte für den ICD und damit eine stärkere Varus-Fehlstellung als Nicht-Fußballspieler (3.01cm versus 2.28cm; p=0.0001). Die Arbeitsgruppe führte auch eine Subgruppenanalyse der Kontrollgruppe durch, bezüglich der Ausübung anderer Feldsportarten mit ähnlich anzunehmender Belastung durch Abstoppmanöver. Doch Basketball-, Handball- oder Volleyballspieler hatten signifikant seltener O-Bein-Fehlstellungen als die Fußballer. Als Ursache diskutieren die Autoren spezifische Bewegungsabläufe des Fußballs, wie zum Beispiel Schussbewegungen.

Warum werden (und bleiben) die Beine krumm?

Kleinkinder haben von Natur aus O-Beine. Während des weiteren Wachstums wird aus der varischen O-Beinachse ein Valgus mit Maximum um das fünfte Lebensjahr. Diese X-Beinachse nimmt während des weiteren Wachstums kontinuierlich ab, bis die mechanische Beinachse zentriert erscheint.

Das empfindlichste Alter für die Beinentwicklung liegt in der Zeit des präpubertären Wachstumsschubs. Überlastungen durch Traumata oder chronisch wiederholte Fehlbelastungen können vor allem in dieser Phase zu einem asymmetrischen Wachstum führen.

Ein weiterer Faktor ist die sogenannte Hamstring-Muskulatur (ischiocrurale Muskulatur). Hierzu zählen die gesamte hintere Oberschenkelmuskulatur – der zweiköpfige Musculus biceps femoris, Musculus semitendinosus und Musculus semimembranosus. Die Muskelgruppe übergreift beide kniegelenksnahen Wachstumsfugen – und zwar medial doppelt so stark wie an den Außenseiten. Bei Fußballspielern ist die Hamstring-Muskulatur die am häufigsten verletzte Muskelgruppe.

Strategien zur Prävention

Aus der Erkenntnis der Risikofaktoren lassen sich wirksame Präventionsmaßnahmen entwickeln. So können spezielle Trainingsmaßnahmen die dynamische Kniestabilität verbessern. Auch Ausgleichssport kann helfen, wie auch angepasste Trainingsintensitäten in den sensiblen Altersstufen und verändertes Schuhmaterial. Weitere Studien sind nötig, um die Ursachen besser zu erforschen und geeignete Strategien zur Vorbeugung zu entwickeln.

Freizeit-Fußballer können aber bislang aufatmen: Eine Übertragung der Ergebnisse aus dem Profi-Sportbereich erscheint nicht sinnvoll. Allerdings gilt bei Erwachsenen ungeachtet ihrer Sportlichkeit eine O-Bein-Fehlstellung (Genu varum) als unabhängiger Risikofaktor für einen schnelleren Progress der Kniegelenksarthrose. Die O-Bein-Fehlstellung scheint allgemein die Entwicklung einer Kniegelenksarthrose zu begünstigen, auch wenn die Studienlage diesbezüglich noch eingeschränkt ist.

Vorsicht kann sicher nicht schaden, bis weitere Forschung die Entwicklung besserer Präventionsmaßnahmen ermöglicht.

Somit sind O-Beine leider nicht nur ein Schönheitsfehler oder ein hinzunehmendes Berufsrisiko. Wer dauerhaft mit säbelförmigen Beinen durch die Gegend marschiert, riskiert damit früher oder später vor allem Orthopäden glücklich zu machen. Nicht umsonst ist Deutschland Weltmeister beim Einsatz künstlicher Kniegelenke, doch das ist eine andere Geschichte…

Literatur:

[1] Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu): Unterrichtsblätter zur Sicherheitsförderung. Safety Tool Nr. 11. Fussball. 9-15 Jahre. https://www.bfu.ch/sites/assets/Shop/bfu_4.042.01_Unterrichtsblätter%20zur%20Sicherheitsförderung%20–%20Fussball.pdf (last accessed on 22 June 2018).

[2] Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB): Bestandserhebung 2017. Aktualisierte Fassung vom 25. Januar 2018. https://cdn.dosb.de/user_upload/www.dosb.de/uber_uns/Bestandserhebung/BE-Heft_2017_aktualisierte_Version_25.01.18.pdf (last accessed on 22 June 2018).

[3] Driban JB, Hootman JM, Sitler MR, Harris KP, Cattano NM: Is participation in certain sports associated with knee osteoarthritis? A system- atic review. J Athl Train 2017; 52: 497–506.

[4] Chaganti RK, Lane NE: Risk factors for incident osteoarthritis of the hip and knee. Curr Rev Musculoskelet Med 2011; 4: 99–104.

[5] Thaller PH, Fürmetz J, Chen F, Degen N, Manz KM, Wolf F: O-Beine und intensives Fußballtraining im Wachstumsalter. Systematisches Review und Metaanalyse. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 401–8. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0408.

[6] Spahn G, Grosser V, Schiltenwolf M, Schröter F, Grifka J [Football as risk factor for a non-injury-related knee osteoarthritis – results from a systematic review and metaanalysis]. Sportverletz Sportschaden Organ Ges Orthopadisch-Traumatol Sportmed. 2015; 29: 27–39.

[7] Arliani GG, Astur DC, Yamada RKF, et al.: Early osteoarthritis and re- duced quality of life after retirement in former professional soccer play- ers. Clinics 2014; 69: 589–94.

[8] Abreu AVD, Barbosa JRP, Paiva FJD: Alinhamento dos joelhos no pla- no frontal dos 12 aos 17 anos [Alignment of the knees in the frontal plane from 12 to 17 years]. Braz J Phys Ther 1996; 31: 6.

[9] Witvrouw E, Danneels L, Thijs Y, Cambier D, Bellemans J: Does soc- cer participation lead to genu varum? Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2009; 17: 422–7.

[10] Asadi K, Mirbolook A, Heidarzadeh A, et al.: Association of soccer and genu varum in adolescents. Trauma Mon 2015; 20: e17184.

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Dr. Karin Schumacher bloggte zunächst als Trota von Berlin seit 2010 bei den SciLogs. Nach dem Studium der Humanmedizin in Deutschland und Spanien promovierte sie neurowissenschaftlich und forschte immunologisch in einigen bekannten Forschungsinstituten, bevor sie in Europas größter Universitätsfrauenklinik eine Facharztausbildung in Frauenheilkunde und Geburtshilfe abschloss. Hierbei wuchs das Interesse an neuen Wegen in der Medizin zu Prävention und Heilung von Krankheiten durch eine gesunde Lebensweise dank mehr Achtsamkeit für sich und seine Umwelt, Respekt und Selbstverantwortung. Die Kosmopolitin ist leidenschaftliche Bergsportlerin und Violinistin und wenn sie nicht gerade fotografiert, schreibt oder liest, dann lernt sie eine neue Sprache. Auf Twitter ist sie übrigens als @med_and_more unterwegs.

1 Kommentar

  1. Vielleicht entscheiden sich nur Menschen mit einer angeborenen O-Bein-Neigung zum intensiven Fußball-Spielen.
    Vielleicht entscheiden sich nur Menschen mit einem angeborenen Gehirn-Schaden zum intensiven Kopfball-Spielen.

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