Isländischer Vulkan legt weltweit den Flugverkehr lahm: Bericht einer Betroffenen

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Für mich begann dieses Abenteuer mit einem Anruf am Donnerstagabend kurz nach Acht. "Hast du schon gehört, dass in Island ein Vulkan ausgebrochen ist?", wurde ich gefragt. "Seit wann interessiert dich ein isländischer Vulkan? ", erwiderte ich verwundert. Denn Vulkanologe ist mein Gesprächspartner wahrlich nicht, jedenfalls war mir das bislang verborgen geblieben. "Es gibt eine riesige Aschewolke, die sich auf Mitteleuropa zu bewegt“, wurde ich informiert. "Die meisten Flughäfen in Nordwesteuropa mussten bereits ihren Flugverkehr einstellen. Du wolltest doch auch morgen fliegen. Hast du eigentlich schon eingecheckt?"

Habe ich natürlich nicht, denn eigentlich hätte ich ja noch Zeit. Allerdings schwant mir Unheilvolles und der Blick auf die Internet-Seite meines Zielflughafens Berlin Tegel bestätigt meine Befürchtungen. Offenbar landen dort nur noch Flüge aus Südeuropa und Südostdeutschland. Bei den Abflügen sieht es noch schlechter aus. In ganz Berlin heben kaum noch Flugzeuge ab. Quasi im Minutentakt blinken neue rote Lämpchen auf mit dem Hinweis, dass weitere Flüge gestrichen wurden.

Europas Flugverkehr erstarrt gerade unter einer riesigen Vulkanaschewolke. ‘Zum Glück passiert das nicht in der Luft’, denke ich. In Massen vom Himmel stürzende Flugzeuge als moderne Version des historisch berühmten Vulkanunglücks von Pompeji möchte ich mir doch lieber nicht weiter vorstellen.

Die Hotline meiner Fluggesellschaft ist restlos überlastet. Nichts scheint mehr zu gehen. Ich muss also ohne sie eine Entscheidung treffen, denn ich habe einen wichtigen Termin, den ich nicht verpassen möchte. Es gibt tatsächlich noch eine Zugverbindung, mit der ich es schaffen könnte. Die Nachteile: Es wird zeitlich sehr knapp und ich werde kaum schlafen, denn ich muss um zwei Uhr nachts aufbrechen. ‘Für eine Zeitnot- und Schlafmangel-trainierte Gynäkologin sollte das eher eine Herausforderung sein’, denke ich optimistisch. Außerdem wird es teurer, selbst wenn mir die Fluggesellschaft später die Flugkosten erstatten wird. Eigentlich auch nur Peanuts, gelten Ärzte doch allgemein als Vielverdiener.

Für komplizierte Aktionen bleibt jedenfalls keine Zeit mehr und so reserviere ich umgehend und etwas erstaunt über den prompten Erfolg ein Bahnticket mit Sitzplatz. Vorsichtig erleichtert atme ich erst einmal durch und google ein wenig die Nachrichten zum Thema.

Was ist passiert? Schuld an diesem Flugchaos ist der Vulkan Eyjafjallajökull im Süden Islands. Die größte Vulkaninsel der Erde befindet sich knapp südlich des nördlichen Polarkreises und ist so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Island liegt auf dem Mittelatlantischen Rücken und damit direkt auf der Nahtzone zwischen Eurasischer und Amerikanischer Erdplatte im Atlantik. Bei jeder Eruption entfernen sich Eurasien und Amerika ein Stückchen weiter voneinander.

Am 14. April 2010 gab der Eyjafjallajökull einen riesigen Knall von sich und schleuderte gigantische Aschemassen in elf Kilometer Höhe. Verstärkt wurde das Ganze durch Dampfexplosionen des Gletscher-Schmelzwassers. Dieses Ereignis war weder vorhersagbar noch vermeidbar. Wie lange es dauern wird, kann auch keiner so genau sagen, zu vielfältig und unbestimmbar sind die Faktoren.

Der Berg zwingt viele von uns zur Pause. Gestern Mittag hat München als letzter deutscher Flughafen seinen Betrieb eingestellt. In Europas Himmel herrscht momentan eine merkwürdige Ruhe. Das Paradoxe: Die Sonne strahlt und die Luft erscheint klar. Und dennoch: Der Schein trügt. Der Flugverkehr wird voraussichtlich frühestens am Sonntag wieder aufgenommen werden können, aber auch das ist noch unsicher.

Nachmittags schaue ich in meinem eigentlichen Zielflughafen Berlin Tegel vorbei. Auf einem großflächigen Werbeplakat lacht mich eine freundliche Isländerin an. Sie freut sich für eine internationale Autovermietungsfirma und bekommt dafür 30 Prozent Rabatt auf einen Mietwagen. Der Vulkanausbruch als riesige Werbekampagne? Nein, das ginge dann doch zu weit. Ein Glück, dass ein solches Projekt menschlich nicht machbar ist. 

Lange Schlangen haben sich vor den Buchungsschaltern der Fluggesellschaften gebildet. Trotzdem ist die Stimmung relativ gut. Lieber lebendig am Boden als tot in der Luft, lautet für viele die Devise. Zehntausende Reisende sitzen fest.

Im Frankfurter Flughafen wurden Feldbetten aufgestellt. Überall sind die Hotels restlos ausgebucht. Die Aktienkurse der Fluggesellschaften sinken im Sturzflug, die Schäden belaufen sich auf Millionenhöhe. Dagegen steigen die Kurse der Autovermietungsagenturen und die Bahn freut sich auch. Hat sie doch endlich mal wieder einen guten Grund für ihre Verspätungen: Überlastung.

Gesundheitliche Gefahren seien durch die Vulkanasche nicht zu befürchten, meinen Experten. Eher schon eine globale Abkühlung, die sogar über einen längeren Zeitraum andauern kann. Aber vielleicht kann der fleißige Vulkan damit sogar ein wenig der globalen Erwärmung entgegenwirken. Oder uns zum Nachdenken bewegen. Oder beides. Ein guter Zeitpunkt wäre es jedenfalls.

Ich habe trotz aller Hindernisse mein Ziel gerade noch rechtzeitig erreicht, der Bahn sei dank. Geschlafen habe ich dafür kaum und meine Reise hat auch länger gedauert als geplant. Auch weiß ich noch nicht, wann und wie ich hier wieder wegkomme. Das Internet funktioniert ebenfalls nicht so wie gewünscht, aber dann habe ich wenigstens einen guten Grund andere Dinge zu tun…

Den befürchteten Massenansturm auf die Bahn habe ich nicht erlebt. In der vergangenen Nacht waren die Züge noch halb leer, während die Flughäfen immer voller wurden. Mittlerweile sieht das anders aus. Vielleicht sollte ich zur Feier des Tages ein paar Lufthansa-Aktien kaufen – oder vielleicht lieber AirBerlin? Oder war das jetzt etwa die falsche Schlussfolgerung? Vielleicht hätte ich anstatt in das Bahnticket doch besser in Sixt-Aktien investieren sollen…

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Dr. Karin Schumacher bloggte zunächst als Trota von Berlin seit 2010 bei den SciLogs. Nach dem Studium der Humanmedizin in Deutschland und Spanien promovierte sie neurowissenschaftlich und forschte immunologisch in einigen bekannten Forschungsinstituten, bevor sie in Europas größter Universitätsfrauenklinik eine Facharztausbildung in Frauenheilkunde und Geburtshilfe abschloss. Hierbei wuchs das Interesse an neuen Wegen in der Medizin zu Prävention und Heilung von Krankheiten durch eine gesunde Lebensweise dank mehr Achtsamkeit für sich und seine Umwelt, Respekt und Selbstverantwortung. Die Kosmopolitin ist leidenschaftliche Bergsportlerin und Violinistin und wenn sie nicht gerade fotografiert, schreibt oder liest, dann lernt sie eine neue Sprache. Auf Twitter ist sie übrigens als @med_and_more unterwegs.

4 Kommentare

  1. Bahn

    Dann herzlichen Glückwunsch zur gelungenen Fahrt!

    Da mein Anschluss-ICE ab Köln Richtung Amsterdam 90 Minuten Verspätung hatte, konnte ich mir noch ein Kölsch genehmigen. Tatsächlich fuhr dann ein Ersatz-ICE, in dem einige Menschen im Gang stehen mussten. Nachdem ich von meinem Platz verscheucht worden war — die Reservierungsdaten hatte man natürlich verloren –, fand ich einen Platz im Bistro, das mangels Personal geschlossen war.

    Aber ich bin froh, dass ich heute noch, wenn auch mit ca. zwei Stunden Verspätung, in mein eigenes Bett komme; und so die Bahn wenigstens diesmal mein Fahrgastrechte-Formular bearbeitet, bekomme ich sogar noch etwas Geld zurück.

    Gute Nacht!

  2. Die Entschleunigung des Alltags …

    Einige Kollegen von mir sitzen in Madrid fest. Die haben mich angerufen und mit großem Bedauern mitgeteilt, dass Sie an dem angesetzten Marathon-Meeting nicht teilnehmen koennen, leider leider. Sie versicherten mir aber, dass sie, während sie in einem Straßencafé saßen und Kaffee schlürften, auf jeden Fall in Gedanken bei mir waren, der ich hier allein die Stellung halten muss.

    (Zu ihrem Pech konnten allerdings – das wussten sie zum Zeitpunkt des Anrufs noch nicht – so viele Teilnehmer nicht anreisen, dass das Meeting auf nächste Woche verschoben werden musste)

    Das Verkehrschaos und die Zwangspause lassen einen zur Ruhe kommen und bietet Muße für Überlegungen, für die man sonst keine Zeit hat.

    Beispielsweise diese: Wieso wird in der Presse so oft die Metapher “Der Vulkan hustet …” bemüht? Wenn ich einen explosiven, akustisch und olfaktorisch auffälligen Gasausstoß aus einer Koerperoeffnung benennen müsste, bei dem im Gasstrom auch flüssige und feste Bestandteile mitgeführt werden, dann wäre der erste Begriff, der mir dazu spontan einfällt, nicht unbedingt “Husten”.

    Oder?

  3. @Michael Khan: nur einige

    “Das Verkehrschaos und die Zwangspause lassen einen zur Ruhe kommen und bietet Muße für Überlegungen, für die man sonst keine Zeit hat.”

    Nicht für diejenigen, die für die ausgefallenen Vorträge einspringen müssen…. 😉

  4. Nachlese…

    @all: Danke für die Kommentare!

    @ Stephan: Na, dann hattest Du ja auch eine interessante Reise…
    Einer meiner Bahnnachbarn wollte übrigens auch in Richtung Amsterdam und hat damit sowohl sich als auch die Zugbegleiterin fast in den Wahnsinn getrieben. Weder er noch sie konnten sich die ganzen Umsteigedaten merken, woraufhin die Dame dann nach dem etwa zehnten Nachfragen etwas ungehalten reagierte. Sie könne schließlich nicht alles wissen, er solle im nächsten Bahnhof noch einmal fragen… Daraufhin erwiderte er: ‚Und wo muss ich als nächstes aussteigen?’ Ich hoffe bloß, dass er’s trotzdem noch irgendwie geschafft hat.

    @ Michael: Hombre, was wäre auch ich gern in Madrid gestrandet :-). Aber Du hast ja offenbar auch daheim die Zeit perfekt nutzen können ;-).
    Warum der Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen allerdings hustet, verstehe ich auch nicht. Es gibt aber in der Medizin tatsächlich einen ‘produktiven Husten’, der mit Schleim- oder manchmal sogar Blutauswurf einhergehen kann, nicht jedoch mit Rauch. Allerdings kommt dieser Husten häufig bei Rauchern vor, die ja ihre Luftwege oft jahrelang als eine Art Kamin benutzen. Bei Menschen ist das krankhaft, aber ich glaube kaum, dass der Vulkan krank ist, ganz im Gegenteil.
    Was die medizinische Terminologie betrifft, würden allerdings auch mir in der Tat bessere Bezeichnungen für einen Vulkanausbruch einfallen als ein ‚Husten’…

    @ Elmar: Eigentlich schade, dass der Vulkan es nicht auch noch geschafft hat, für etwas mehr Gerechtigkeit unter den Menschen zu sorgen 😉

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