Sport – Rostschutz für eine eiserne Gesundheit

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"Es ist zu erwarten, dass ein Leben ohne Sport Mord an der Lebenserwartung ist." Der humorvolle Immunbiologe und Aphoristiker Gerhard Uhlenbruck weiß auch: "Sport ist das beste Rostschutzmittel für eine eiserne Gesundheit." Die Opposition meint dagegen: "Sport ist Mord." Wer hat nun Recht?

Kaum ein halbwegs vernünftig denkender Mensch wird heute behaupten, jede Art des Bewegens oder Sporttreibens sei gesund. Wir wissen aber auch, dass Sport gesund und glücklich machen kann. Das Training aerober Ausdauer kann eine Gesundheitsressource sein und zudem noch zu diesem rauschhaften Erlebnis erfüllter Gegenwart führen, den viele Läufer als "Runner’s High" kennen.

Allerdings stellten sich einige der viel gerühmten sportlichen Aktivitäten als bloßer Aktionismus heraus, denn nicht alles, was oft als "Therapie" vorgeschlagen und praktiziert wird, hat auch tatsächlich einen gesundheitswissenschaftlichen Nutzen. So konnten zwei groß angelegte Übersichtsstudien in den USA und in Deutschland, in denen es um die Effektivität von Rückenschulen ging, unabhängig voneinander keine positiven Auswirkungen dieser Aktivitäten feststellen (Lühmann, D., Kohlmann, T., Raspe, H.: Rückenschulen: Programme mit umstrittener Wirksamkeit. In: Public Health Forum 6 (1998) 19, S. 13; Brodtmann D., Was hält Kids gesund?).

Dennoch zählen aufwendige Rückenschulungsprogramme weiterhin zum Standardrepertoire vieler gesetzlicher Krankenkassen. Das Ziel ist klar: Der Öffentlichkeit soll suggeriert werden, dass etwas getan wird und hierbei sind kurzlebige Erfolge wichtiger als die Langzeitergebnisse. Nach einem langfristigen Sinn und der Dauerhaftigkeit der Maßnahmen wird dagegen nicht gefragt.  

Stärkung der Sozialkompetenz

Einige Schweizer Gesundheitswissenschaftler machten 1995 eine interessante Entdeckung. Sie hatten den Gesundheitsstatus einer größeren Gruppe von Jugendlichen untersucht. Hierzu hatten die Forscher zwei Untergruppen gebildet: die Jugendlichen, die Mitglied eines Sportvereins waren und die Gruppe der Nichtmitglieder. Erwartungsgemäß erwiesen sich die Sportvereinsmitglieder hinsichtlich der körperlichen und seelischen Beschwerdefreiheit als signifikant gesunder als die Nichtmitglieder (Röthlisberger C. und Calmonte R.: Sportliche Aktivität, personale Resourcen und Belastungen von Adoleszenten (1995), Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 3, S. 209). 
 
Dieses unspektakuläre Ergebnis wurde jedoch interessant, als die Forscher die Gruppe der nicht zu einem Sportverein angehörenden Jugendlichen noch einmal unterteilten – in eine Gruppe, die zwar keinem Sportverein, aber einem anderen Verein angehörte (z.B. Jugendfeuerwehr) und eine Gruppe ohne jegliche Vereinsmitgliedschaft. Hierbei stießen die Wissenschaftler auf ein erstaunliches Ergebnis: Die Mitglieder eines Nichtsportvereins waren genau so gesund wie die Sportvereinsangehörigen und das, obwohl erstere am wenigsten Sport trieben.  

Salutogenetischer Ansatz zur Gesundheitsförderung

Soziales Engagement innerhalb eines Vereins scheint sich offenbar positiv auf die Gesundheit auszuwirken. Was lässt Menschen also gesund bleiben? Der israelische Soziologe Aaron Antonovsky entwickelte in den 1970er Jahren anhand von Beobachtungen an Frauen in den Wechseljahren, welche die Konzentrationslager des Holocaust überlebt hatten, sein revolutionäres Konzept der Salutogenese, das hierfür Erklärungen liefern kann.
 
Der Ansatz von Aaron Antonovsky war insofern genial, da er konträr zur Sichtweise der Schulmediziner stand, die sich lediglich auf die Pathogenese, die Entstehung der Krankheiten, konzentrierten. Nicht der Leidensweg wurde untersucht, sondern das Gesundheitspotential von Stressoren. Das bedeutet auch, dass in jedem Ereignis die Chance zur gesundheitlichen Entwicklung liegt, selbst wenn es sich um eine Krankheit handelt.
 
Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1949) ist "Gesundheit mehr als das Freisein von Krankheit und Gebrechen". Gesundheitsförderung zielt vielmehr auf einen Prozess, wonach allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Lebensumstände und ihre Umwelt möglich ist. Gesundheit ergibt sich somit aus dem subjektiven Wohlbefinden und der objektiven Belastbarkeit. Der Schulmedizin zufolge kann es eigentlich gar keine gesunden Menschen geben, denn bei jedem Menschen lassen sich gesunde und kranke Aspekte feststellen. Schulmedizinisch betrachtet ist ein Gesunder ein lediglich nicht gründlich genug untersuchter Kranker. 
 
Anstatt ständig Risikofaktoren zu vermeiden oder z.B. durch sportliche Betätigung kompensieren zu wollen, sollten wir daher öfter einmal nach Schutzfaktoren fragen, die uns unser subjektives Wohlbefinden und unsere objektive Leistungsfähigkeit erhalten lassen können, obwohl wir tagtäglich vielerlei Risiken ausgesetzt sind. Egal ob Krankheitserreger, Lärm oder beruflicher Stress – die Stressoren sind vielfältig und wir können uns ihnen nicht immer entziehen. 

Der innere Schweinehund

Das Leben an sich ist schon der größte Risikofaktor und wer nur auf die Gefahren blickt, müsste angesichts ihrer Übermacht im Leben eigentlich nur noch resignieren. Auch erscheint es oft leichter, nach einem harten Arbeitstag abends einfach vor dem Fernseher abzuschalten anstatt sich noch zu einer Trainingseinheit aufzuraffen. Und warum sollte man auch die schweißtreibenden Treppen nehmen, wenn doch der Fahrstuhl viel schneller ins Büro oder in die Wohnung führt? Bei vielen Menschen regiert der innere Schweinehund, der sich meist äußerst ungern bewegt und immer viele gute Ausreden parat hat. Diesem bequemen Haustier sagt zurzeit eine groß angelegte Sportkampagne in Nordrhein-Westfalen den Kampf an.

Der erfolgreiche Manager mittleren Alters, der schweißgebadet mit hochrotem Kopf und ständigem Blick auf seinen persönlichen Leistungscomputer auch im Fitnessstudio versucht, alles aus sich herauszuholen, nützt seiner Gesundheit allerdings auch nicht.  Der Medizinprofessor Uhlenbruck drückt es treffend aus: "Man sollte Sport treiben, ohne vom Sport getrieben zu werden, sonst endet der eigene Rekord-Versuch im Mord-Versuch an der eigenen Gesundheit."

Lebensbalance

Wie können wir diese Balance finden zwischen den täglichen Belastungen und einem gesunden Leben? Nach Antonovsky brauchen wir hierfür genügend Widerstandsressourcen. Hierzu zählen Stressbewältigungsstrategien wie "Autogenes Training", ein Gesundheitsbewusstsein mit Kenntnis des eigenen Körpers und dessen Warnsymptomen (z.B. Schlafstörungen, Zunahme von Nervosität und Unruhe, Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Rückenschmerzen oder Verdauungsstörungen), ein intaktes Immunsystem, eine günstige genetische Ausstattung, eine gute medizinische Betreuung und ausreichende finanzielle Mittel. 
 
Aber diese Widerstandsressourcen allein reichen noch nicht aus, denn letztendlich muss der Mensch auch bereit sein, seine Ressourcen für das Ausbalancieren von gesundheitlichem Stress zu mobilisieren. Hierbei gilt – je breiter und standfester das Fundament des Lebens ist, desto besser. Antonovsky nannte diese Basis den Kohärenzsinn eines Menschen. Dieser Kohärenzsinn ist die wichtigste Quelle der Lebenskraft, des Lebenswillens und des Lebensmutes. Ist er stark ausgeprägt, dann lassen sich sogar so widrige Lebensbedingungen wie ein Konzentrationslager überstehen, wie der israelische Soziologe eindrucksvoll bei immerhin 29 Prozent der befragten KZ-Überlebenden feststellen konnte. 
 
Es ist also nicht der schwache Rücken, der die Probleme verursacht, sondern es sind die Gründe, die dahinter liegen. Sei es der Zweifel am Sinn des eigenen Lebens, Mobbing am Arbeitsplatz oder Partnerschaftsprobleme – das Rückenschulprogramm der örtlichen Krankenkasse wird bei diesen Problemen nicht wirklich helfen können, denn die Betroffenen leiden unter dem, was sie bedrückt und nicht an ihrem krummen Rücken. Auch eine Operation wird hier nur kurzfristig Linderung schaffen und zwar so lange, wie sich das medizinische Personal um den geplagten Patienten kümmert. Sigmund Freund beschrieb dieses Phänomen als sekundären Krankheitsgewinn – ein Phänomen, welches das deutsche Gesundheitssystem heutzutage viel Geld kostet. 

Risikofaktor Single-Mann

Das soziale Bezugsfeld ist ein wichtiger Faktor für das Gesundbleiben und Gesundwerden. Studien haben gezeigt: Allein leben ist gefährlich. So war das Mortalitätsrisiko bei allein lebenden Männern doppelt so hoch wie bei Menschen, die in einer Partnerschaft bzw. einem intakten Freundes- oder Familienkreis lebten (Kandler et al. BMC Public Health. (2007) Nov 16;7:335). Vor allem Männern ist Einsamkeit zumindest gesundheitlich auf Dauer nicht zu empfehlen, denn sie sind besonders gefährdet. In dieser Risikogruppe zeigt sich auch ein überdurchschnittlich ungesunder Lebenswandel: Single-Männer rauchen häufiger, ernähren sich schlechter und trinken mehr Alkohol.

Intakte soziale Beziehungen, Selbstvertrauen und die Überzeugung von der Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens und Handelns sind grundlegend für das Erlangen der persönlichen Balance. Hieraus ergibt sich ein positives Selbstwertgefühl, welches wiederum Lebenskraft, Lebenswillen und Lebensmut stärkt. Dagegen können ständige Kritik, wiederholtes Scheitern oder Vereinsamung das Ausbalancieren Gesundheitsbedrohender Belastungen erschweren und in manchen Fällen unmöglich werden lassen.
 
Schutzfaktor personale Ressource

Egal ob beim gemeinsamen Sport, beim Musizieren in einem Orchester oder beim Einsatz bei der Freiwilligen Feuerwehr – alles, was die personalen Ressourcen als Schutzfaktoren fördert, stärkt auch die Leistungsfähigkeit des Immunsystems und dient somit der Gesundheit. 
 
Hierzu gehören (nach Beutel, M.: Was schützt Gesundheit? In: Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie. 39(1989), S. 452):

  • Die Überzeugung, die Kontrolle über wichtige Lebensereignisse behalten zu können (und nicht zu befürchten, dass die Dinge über den Kopf wachsen könnten).
  • Die Bereitschaft zum Engagement (und nicht die Erwartung, dass andere dies tun).
  • Eine optimistische Grundhaltung (anstelle von Pessimismus).
  • Die allgemeine Einstellung, Veränderungen im Leben als Herausforderungen zu akzeptieren (und nicht gleich den Kopf in den Sand zu stecken).
  • Die Bereitschaft, eigene Ziele zu verfolgen (und nicht nur nach der Pfeife anderer zu tanzen).
  • Eine generelle Offenheit für Neues und Unbekanntes (statt einer "das haben wir schon immer so gemacht"-Mentalität).
  • Eine soziale Beziehungsfähigkeit, die sich im Vertrauen zu anderen Menschen zeigt (und nicht allgemeines Misstrauen gegenüber Unbekanntem).
  • Die Fähigkeit, Konflikte auszuhalten (und nicht beispielsweise dem Gruppenzwang zum Drogenkonsum nachzugeben). 

Gelingt es, eine eher positive Einstellung zu Belastungen herzustellen, können diese nicht als Bedrohungen, sondern als Chancen eingeschätzt werden. Auf diese Weise können Entwicklungen positiv beeinflusst und die Kontrolle bewahrt werden. Trennungen, Prüfungen, Arbeitslosigkeit oder auch der Tod eines nahe stehenden Menschen werden zu Herausforderungen und damit weniger stressreich.  

Am Ball bleiben

Sport kann weder bestimmte Krankheiten noch das Altern verhindern. Richtig angewendet steigert Sport jedoch die Leistungsfähigkeit und Vitalität. Regelmäßige Bewegung kann die Motorik bis ins hohe Alter erhalten, Atmung und Durchblutung fördern und damit auch die Hirndurchblutung und die Lebensfreude erhalten. Egal ob in der Jugend oder im Alter – Sport macht nicht nur fit, sondern auch Spaß, schlanker und attraktiver.
 
Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano (deutsch: Beten sollte man darum, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist ist). Der römische Dichter Juvenal (60 bis 127 n.Chr.) war angesichts seiner dekadenten Umgebung der Meinung, dass man höchstens um körperliche und geistige Gesundheit beten sollte. Sport kann bei diesen Gebeten unterstützend helfen. Körperliche Fitness ist Medizin für das Selbstbewusstsein. Sportliche Fairness fördert die soziale Kompetenz. So kann schon im Kindesalter durch Bewegung, Spiel und Sport in der Gemeinschaft und den dabei auftretenden Emotionen viel über den Umgang mit Siegen und Niederlagen gelernt und nebenbei auch noch die Gesundheit bis ins hohe Alter hinein gefördert werden.

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Dr. Karin Schumacher bloggte zunächst als Trota von Berlin seit 2010 bei den SciLogs. Nach dem Studium der Humanmedizin in Deutschland und Spanien promovierte sie neurowissenschaftlich und forschte immunologisch in einigen bekannten Forschungsinstituten, bevor sie in Europas größter Universitätsfrauenklinik eine Facharztausbildung in Frauenheilkunde und Geburtshilfe abschloss. Hierbei wuchs das Interesse an neuen Wegen in der Medizin zu Prävention und Heilung von Krankheiten durch eine gesunde Lebensweise dank mehr Achtsamkeit für sich und seine Umwelt, Respekt und Selbstverantwortung. Die Kosmopolitin ist leidenschaftliche Bergsportlerin und Violinistin und wenn sie nicht gerade fotografiert, schreibt oder liest, dann lernt sie eine neue Sprache. Auf Twitter ist sie übrigens als @med_and_more unterwegs.

5 Kommentare

  1. mens sana in corpore sano

    Mein alter Lateinlehrer erklärte das Zitat von Juvenal einst so:
    Im alten Rom waren Jugendwahn und Körperkult weit verbreitet. Man stelle sich eine Gruppe muskelbepackter, eingeölter Gladiatoren und Soldaten vor, etwa wie heutzutage eine Gruppe Bodybuilder und Beachvolleyballspieler, umringt von jungen, sportlichen, attraktiven, weiblichen Groupies. Dazu fällt diese ironische Bemerkung: “Hoffentlich befindet sich in diesen gesunden Körpern auch ein gesunder Geist”, oder direkter: “Man kann nur beten, dass diese Muskelprotze auch noch ein Fünkchen Verstand besitzen”.

    Das sei als Ergänzung erwähnt. Danke für die interessante Zusammenfassung.

  2. Vielen Dank für diesen sehr schönen Artikel. Eine Anmerkung sei erlaubt.

    In vielen Abhandlungen mit einem holozentrischen Gesundheitsbild, schneidet die Schulmedizin immer noch als eindimensionaler Gegenpool zum ganzheitlichen Menschenbild ab. Das ist in der klinischen Praxis längst nicht mehr so. Als Student habe ich Vorlesungen über Antonovsky gehört, wir haben über Seminare über Stressmanagement gehabt und gelernt, wie man die eigenen Ressourcen beurteilt, einsetzt und stärkt. In der Schulmedizin herrscht eher die Ansicht, “wer heilt hat Recht”, als gesund = nicht genug untersucht.

  3. Danke für die Ergänzungen!

    @ Alexander Wolf: Vielen Dank für diese schöne bildliche Umschreibung des Juvenal-Zitates mit dessen gelungene Übertragung in unsere heutige Zeit… 😉

    @ Nealz: Vielen Dank für die wertvolle Ergänzung. Glücklicherweise verschwimmen die Grenzen zwischen Schulmedizin und ganzheitlicher Medizin immer mehr. Auch die Wirksamkeit der Therapien wird in vielen Fällen erfolgreich empirisch begründet durch die „Evidenzbasierte Medizin“ (EBM). Allerdings weiß man mittlerweile auch, dass insbesondere Privatpatienten zumindest von einigen Ärzten eher über- als unterdiagnostiziert und therapiert werden. Aber auch hierfür sind die Gründe wohl kaum in der eindimensionalen Sichtweise der Schulmedizin zu suchen…

  4. Zusammenfassung

    “Das Leben an sich ist schon der größte Risikofaktor und wer nur auf die Gefahren blickt, müsste angesichts ihrer Übermacht im Leben eigentlich nur noch resignieren.”

    Hättest Du nicht einfach Kästerners Neujahrsgruß zitieren können, der endet mit “seien wir ehlrich, Leben ist immer lebensgefährlich”.

    Gut ich gebe zu das hat eher aphoristischen Wert, als dass es einem Blogbeitrag gleichkäme. Fast aber EHRLICH 100% Deiner Aussagen treffend zusammen.

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