Dr. med. Plagio Flachbrett – Pro und Contra

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Der medizinische Doktortitel ist schon lange in Verruf geraten. Vor kurzem berichtete Martin Spiewak auf Zeit online über Plagiate und mangelnde wissenschaftliche Qualität medizinischer Dissertationen, Co-Blogger Jochen Schulz kommentierte hierzu ausführlich auf deplagio. Doch warum soll und kann der Dr. med. Plagio Flachbrett* nicht einfach aus den deutschen Krankenhäusern und Arztpraxen verschwinden?

 
Es ist allgemein bekannt: Kein akademischer Grad leidet unter einem solch schlechten Ruf wie der Dr. med.. Gilt er doch als Massenware. Wohl kaum ein Fach macht es seinen Absolventen so leicht, diesen wissenschaftlichen Titel zu erwerben. Oft reicht schon eine magere statistische Berechnung aus, um sich später die begehrten Buchstaben auf sein Praxisschild schreiben zu dürfen. Auch Plagiate sind eher an der Tagesordnung als eine Ausnahme. Mit Wissenschaft hat das wenig zu tun. Die Kritiken sind also durchaus berechtigt. 
Einige Universitäten reagieren nun mit zaghaften Reformen zur Aufwertung der verrufenen medizinischen Promotion. Im Großen und Ganzen wird sich dennoch wohl kaum etwas ändern. Denn das System braucht seine bisherigen medizinischen Doktoranden dringend, um weiter wie bisher bestehen zu können. Das folgende Beispiel ist leider viel zu häufig gängige Praxis und kein Einzelfall.
Dr. med. Plagio Flachbrett sieht nicht nur aus wie Richard Gere im Hollywood-Streifen „Dr. T. and the Women“. Er verkörpert diese immer mehr vom Aussterben bedrohte, Testosteron-strotzende, dynamische, diskret graumelierte Spezies des ultimativen Arztes, Menschenkenners und Frauenverstehers auch in Person. 
Doktor P. Flachbrett ist Anfang 40 und verheiratet mit Frau Doktor S. Flachbrett*, ebenfalls Frauenärztin von Beruf. Die beiden haben zwei entzückende Kinder und können eine Bilderbuchkarriere als Oberärzte an einer renommierten deutschen Universitätsklinik vorweisen.
Es fehlt quasi nur noch das Sahnehäubchen der akademischen Laufbahn: die Habilitation. Da der Nachwuchs noch klein ist, steht zunächst die Karriere des Herrn Doktor Flachbrett im Vordergrund. Der hat aber zurzeit recht viel im Operationssaal zu tun, denn für das Endziel, einen Chefarztposten, sollte er vor allem gut operieren können. 
Bei sieben bis neun Nachtdiensten pro Monat und einer durchschnittlichen 70-Stundenwoche lassen sich klinische Aufgaben, Forschung, Kongressreisen und Familie nur schwer vereinbaren. Immerhin hat ihm sein Chef versprochen, ihn für das Zusammenschreiben der Habilitation für zwei Monate von fast allen klinischen Aufgaben freizustellen. In dieser Zeit brauche er sich lediglich an den 24-Stunden-Bereitschaftsdiensten der Klinik zu beteiligen.
Eine feine Sache. Somit wird aus Herrn Doktor Flachbrett nun bald Herr Privatdozent Doktor Flachbrett werden. Die Rohdaten für seine Habilitation haben ihm seine drei medizinischen Doktorandinnen in den letzten vier Jahren fleißig zusammengetragen. In den Semesterferien und an den Wochenenden haben sie in ihrer Freizeit bergeweise Akten gewälzt, Patientinnen telefonisch und persönlich befragt und die Daten sorgfältig in den Computer eingegeben. Kostenlos und nahezu völlig selbständig. 
Denn es bleibt keine Zeit für eine richtige ‘Betreuung’. Fast immer, wenn die Doktorandinnen Fragen haben, müssen sie Doktor Flachbrett im Operationssaal anpiepsen lassen. Irgendwie fühlen sie, dass sie ihn dann bei einer wichtigen Aufgabe stören. Also fragen sie im Zweifelsfall lieber Frau Doktor Flachbrett. Die ist zwar meistens zu Hause bei ihren Kindern, kann aber wenigstens die dringensten Fragen beantworten.
Freundlicherweise kümmert sich Frau Doktor Flachbrett auch um die Auswertung der Daten. So konnte sie aus dem Material bereits einige Publikationen für ihren Mann zusammenstellen.
 
Dass sie die Einleitungen dafür oft aus den aktuellen Fachbüchern und -zeitschriften kopiert, sollte man ihr angesichts der gängigen Praxis und der meist fehlenden tatsächlich neuen Erkenntnisse dieser Veröffentlichungen nachsehen. Schließlich geht es hierbei um die kleinste publizierbare Einheit und weniger um den Fortschritt der Wissenschaft.
 
Bescheiden wie sie ist, setzt sie dabei stets ihren Gatten an die erste Position der Autorenliste, danach sich selbst, dann die Doktorandinnen und schließlich an die letzte Stelle als Seniorautor den Chef der Abteilung.
Die Doktorandinnen sind dankbar für diese Hilfe. Sie wüssten gar nicht, wie sie ihre Daten alleine auswerten und zusammenschreiben sollten und können sich so auch viel besser auf ihr Hammerexamen vorbereiten. Der Chefarzt hat ihnen nicht nur eine unkomplizierte Promotion, sondern auch eine bevorzugte und besonders rasche Facharztausbildung in seiner Klinik versprochen.
Für eine experimentelle Doktorarbeit würden sie mindestens zwei Jahre zusätzlich investieren müssen. Kostbare Zeit, die zu ihrer fünfjährigen Facharztausbildungszeit im Anschluss an das sechsjährige Studium noch hinzukäme. Das wäre ihnen eindeutig zu viel. 
Dennoch möchten sie auf ihren Dr. med. nicht verzichten, denn sie wollen sich einmal als Frauenärztinnen in einer eigenen Praxis niederlassen und wissen, dass viele Patientinnen eine promovierten Ärztin einer nichtpromovierten Kollegin vorziehen. 
Im bestehenden Mediziner-System ist also der Dr. med. Flachbrett gut integriert. Zwischen ‘Betreuern’ und ‘Doktoranden’ herrscht oft eine innige Symbiose. Würden nun plötzlich alle medizinischen Doktoranden in ihren Doktorarbeiten auch tatsächlich eine eigene wissenschaftliche Leistung erbringen und diese in einer Fachzeitschrift publizieren wollen oder müssen, fehlten den aufstrebenden Oberärzten plötzlich die zu ihrer Habilitation erforderlichen Publikationen und Erstautorenschaften.
Somit könnte der deutschen medizinischen Professorenschaft hierdurch der Exodus drohen. Das könnte durchaus auch Vorteile haben, trotz oder gerade angesichts des dringend reformbedürftigen deutschen Medizinsystems. Ein Fisch fängt ja bekanntlich vom Kopf an zu stinken.
 
* Namen anonymisiert 

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Dr. Karin Schumacher bloggte zunächst als Trota von Berlin seit 2010 bei den SciLogs. Nach dem Studium der Humanmedizin in Deutschland und Spanien promovierte sie neurowissenschaftlich und forschte immunologisch in einigen bekannten Forschungsinstituten, bevor sie in Europas größter Universitätsfrauenklinik eine Facharztausbildung in Frauenheilkunde und Geburtshilfe abschloss. Hierbei wuchs das Interesse an neuen Wegen in der Medizin zu Prävention und Heilung von Krankheiten durch eine gesunde Lebensweise dank mehr Achtsamkeit für sich und seine Umwelt, Respekt und Selbstverantwortung. Die Kosmopolitin ist leidenschaftliche Bergsportlerin und Violinistin und wenn sie nicht gerade fotografiert, schreibt oder liest, dann lernt sie eine neue Sprache. Auf Twitter ist sie übrigens als @med_and_more unterwegs.

7 Kommentare

  1. Mal wieder Grüße aus dem Nachbarland

    Als ich mich heute mit meinem Echt Groninger Hundebiss in die Hausarzt-Gemeinschaftspraxis schleppte, wanderte mein Blick mal wieder über die Namenschilder. Da ich hier kaum zum Arzt gehe — die Hauptaufgabe der Sprechstundengehilfen scheint darin zu bestehen, die Leute zu überreden, zuhause im Bett zu bleiben –, muss ich mich jedes Mal wieder neu orientieren.

    Und was steht da vor den Namen? Kein einziger “Dr.”, sondern nur “Dhr.” (Herr) oder “Mw.” (Frau). Wer hier einen Doktorgrad will, der muss einen Forschungsdoktor machen und der dauert üblicherweise vier Jahre.

    Viele sind übrigens immer als “afwezig” (abwesend) markiert, denn es ist hier üblicher, nur 80 oder 50% zu arbeiten.

    Sehr interessante Beispiele im Text übrigens. Hälst du das mit deinen DoktorandInnen auch so?

  2. Een klein verschil

    Oooch, Stephan, eigentlich müsstest du doch wissen, dass ich NICHT wie Richard Gere aussehe! Daher klappt das bei mir auch mit den DoktorandInnen nicht ganz so gut. Aus purem Neid darüber ist mir dann dieser Blog-Post eingefallen. Das Leben ist manchmal einfach nur ungerecht!

    Die holländischen Ärzte haben anscheinend eine gesunde Lebensphilosophie. Vielleicht sollte ich mir dieses Nachbarland doch noch einmal etwas genauer anschauen… Bei solch tollen Sprechstundenhilfen und 50% afwezigheid, bliebe dort vielleicht sogar noch genügend 

    Re

    Würdest du denn lieber wie Richard Gere aussehen? Und wenn ja, lässt sich das nicht mit den Methoden der plastischen Chirurgie einrichten?

    Es scheint mir doch ganz gut, dass ich mich damals gegen Berlin entschieden habe. Wie ich hörte, hat mir das schon eine Menge Ärger mit der Verwaltung der Charité erspart; und jetzt laufen da auch noch psychotische Hunde herum! Einfach unglaublich.

    Ich denke, das habe ich schon einmal früher gesagt, aber falls du dir mal ein Bild von den Niederlanden machen willst, stehe ich zumindest für Groningen zur Verfügung. Im Gegenzug kannst du gerne ein paar Fotos von Paris zeigen. 🙂

  3. Basislager Groningen?

    SOLLTE ich denn lieber wie Richard Gere aussehen? Wenn ja, kann ich mir ja mal einen Termin bei Prof. Mang geben lassen. Fragt sich nur, wer dann dafür die Kosten übernehmen würde. Ich fürchte, da findet sich so leicht keiner, nicht einmal ich.

    Deine Entscheidung gegen Berlin war sicher eine der besten deines Lebens. Ich spreche da durchaus aus Erfahrung, nicht nur was die psychotischen Hunde betrifft…

    In Chhhroningen scheint es dagegen vor verlockenden Arbeitsplätzen und netten deutschen Gastarbeitern nur so zu wimmeln. Du müsstest mir dann allerdings noch sagen, wo ich dort für den Chimborazo trainieren kann. Schließlich will ich nicht immer nur Fotos von Paris zeigen…

  4. Berge

    Oh, ich sehe, dass du schon mit dem Sprachtraining angefangen hast. Sehr chhhut.

    Na ja, das mit den Bergen könnte tatsächlich problematisch werden. Entweder du steigst auf Wassersport um, was hier sehr populär ist, wartest darauf, bis die Niederländer ihren Berg fertig gebaut haben oder übst hier einfach an der Kletterwand mit den anderen.

    Aber warum denn der Chimborazo? Gefällt es dir nicht auf der Erde, dass du zum am weitesten von ihrem Zentrum entfernten Punkt willst? Bleib doch noch ein Bisschen!

  5. P.S. Der Berg kommt

    Bergbau mal anders. Vielleicht ist das ein Ersatz?

    Und Berlin: Nicht nur das Risiko, von einem psychotischen Hund gebissen zu werden (meiner war ganz sicher nicht psychotisch), sondern auch das Risiko, an einer Haltestelle zusammengetreten zu werden, ist hier viel niedriger.

  6. Perfekte Lernhilfe für Niederländisch

    Mich hat gerade ein grippaler Infekt fest im Griff, so dass sich die perfekte Aussprache in gepflegtem Niederländisch im Moment quasi von selbst ergibt. Ich niese zurzeit im Zweiminutentakt, und den Pausen dazwischen wird geröchelt: gefeliciteerd, chefeliciteerd, chhhefelißiteerd…. Die Chhhroninger wären bestimmt begeistert und würden mich am Ende gar nicht mehr gehen lassen wollen.

    Das mit dem Berg habe ich auch schon gesehen 😉 So unglaublich dieses Projekt auch sein mag – so ein Kunstberg ist leider kein wirklicher Ersatz für ein Original. Wassersport wäre da vielleicht schon eher eine Alternative. Allerdings würde mich das dem Chimborazo nicht wirklich näher bringen… Klettern an der Wand übrigens auch nur bedingt.

    Was echte Berge angeht, bin ich eigentlich gar nicht so wählerisch. Ich könnte mich auch durchaus für  diesen hier begeistern. Ich fürchte nur, dass ich dafür eher beispielsweise nach Lyon umziehen sollte…

    Ich glaube dir übrigens 100%ig, dass dein Hund nicht psychotisch war. Ganz im Gegenteil! Wahrscheinlich hatte er sogar einen außergewöhnlich guten Geschmack. Außerdem hat er bestimmt schon von weitem begeistert gerochen, dass du kein moedertaalspreker bist.

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