Der Streik ist aus!
BLOG: Medicine & More
Aude sapere!
Die Ärzte der kommunalen Krankenhäuser haben sich mit ihren Arbeitgebern auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Es ist ein Kompromiss für beide Seiten und auch die Finanzierung ist noch unklar.
Schneller als ursprünglich befürchtet sind die kommunalen Kliniken wieder zur Normalität zurückgekehrt. Die zähen Verhandlungen der Ärztegewerkschaft Marburger Bund mit den kommunalen Arbeitgebern haben vorerst ein Ende gefunden: 2 Prozent mehr Gehalt und deutliche Verbesserungen bei der Vergütung der Bereitschaftsdienste soll es rückwirkend ab 1. Mai 2010 für die Ärzte geben.
Insbesondere Jungmediziner werden durch die neuen Tarife besser bezahlt und steigen rascher in höhere Gehaltsstufen auf. Auf diese Weise soll die Massenflucht der Ärzte ins Ausland und in nichtärztliche Berufe gestoppt werden.
Die ursprüngliche Forderung des Marburger Bundes nach 5 Prozent mehr Gehalt konnte allerdings nicht durchgesetzt werden. Auch an den überlangen Arbeitszeiten von über 24 Stunden am Stück mehrmals pro Woche und den vielen anderen Krankheiten des deutschen Krankenhauswesens, darunter Entmenschlichung, zunehmende Arbeitsverdichtung und verkrustete Hierarchien, wird sich nichts verbessern.
Allerdings sollen Mediziner, die mindestens 288 Stunden im Jahr zwischen 21 und 6 Uhr in der Nacht arbeiten, einen Zusatzurlaub von zwei Arbeitstagen pro Kalenderjahr erhalten. "Das ist unser Beitrag zum Gesundheitsschutz der Ärztinnen und Ärzte", sagte Lutz Hammerschlag, Verhandlungsführer des Marburger Bundes.
Fraglich ist, wie diese Änderungen praktisch realisiert werden sollen. Bis heute haben es die Arbeitgeber nicht geschafft, die bereits in den Ärztestreiks im Jahr 2006 ausgehandelten Bedingungen vollständig in die Tat umzusetzen.
So werden einem deutschen Krankenhausarzt mit seinem Ein- bis Zweijahres-Zeitvertrag auch weiterhin vor allem folgende Möglichkeiten bleiben: Entweder er klagt seine unzähligen unbezahlten Überstunden und nicht genommenen Urlaubstage erfolgreich ein und finanziert damit den anschließenden Umzug in die Schweiz. Oder er schweigt und beißt dabei die Zähne zusammen, da seine Kinder nicht alle zwei Jahre Schule und Freunde wechseln oder ohne Großeltern aufwachsen sollen. Dass dieser Arzt bei letzterer Alternative seinen Nachwuchs kaum kennt und auch einen kürzeren Lebensabend als vergleichbare sozioökonomische Gruppen haben wird, ist sein Problem.
Das Motivationsbarometer von via medici sprach bereits 2006 eine deutliche Sprache. Die anfangs positive Einstellung der Medizinstudenten gegenüber diesem Beruf ließ im Verlauf des Studiums deutlich nach. 62 Prozent der Befragten überlegten, später im Ausland zu arbeiten. Nur 5 Prozent der Absolventen wollten später Chirurg werden – ein erschütterndes Urteil gegenüber dieser "Königsdisziplin" der Medizin, die immer mehr vom Zeitdruck dominiert wird. Als Defizite in deutschen Krankenhäusern wurden vor allem der hohe Anteil von Verwaltungstätigkeiten (69 Prozent), die fehlende Einlernphase beim Berufseinstieg (68 Prozent), keine familienfreundlichen Arbeitszeiten (67 Prozent), eine schlechte Bezahlung (50 Prozent) und fehlende Teilzeitstellen (40 Prozent) angegeben.
Heute finden 80 Prozent der Krankenhäuser für freiwerdende Arztstellen aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen keine Nachfolger mehr. 5000 Arztstellen sind in Deutschland unbesetzt, Tendenz steigend. Der Tarifabschluss der kommunalen Krankenhäuser wirkt angesichts dessen wie ein Tropfen auf einen heißen Stein: Weiterhin werden Ärzte in Scharen den deutschen Krankenhäusern ihren Rücken zukehren.
Dennoch war dieser Streik wichtig, um die Öffentlichkeit auf die Probleme der chronisch kranken Medizin aufmerksam zu machen. Mit dem Marburger Bund haben die Klinikärzte endlich eine eigene Berufsgewerkschaft, die diese besondere Berufsgruppe wirkungsvoll nach außen hin vertritt.
Die Arbeitsbedingungen des Krankenhauspersonals in Deutschland können jedoch durch etwas mehr Gehalt nicht wirklich verbessert werden. Denn woher wird das Geld für die zusätzlichen Ärztegehälter kommen?
Die kommunalen Arbeitgeber stehen angesichts des neuen Tarifabschlusses vor einer großen Herausforderung. Statt der von ihnen angebotenen Gehaltssteigerung von 0,73 Prozent pro Arzt müssen sie jetzt 140 Millionen Euro für die zusätzliche Ärztevergütung auftreiben. Zwar konnten die meisten kommunalen Kliniken in den letzten Jahren Gewinne erzielen, trotzdem fehlen dem deutschen Gesundheitswesen 11 Milliarden Euro.
In deutschen Krankenhäusern muss also weiter gespart werden. Liegezeiten werden verkürzt und immer mehr Operationen werden vom stationären in den ambulanten Bereich ausgelagert werden. Um konkurrenzfähig zu bleiben, werden die Kliniken ihre Operations- und Fallzahlen weiter steigern müssen. Das vorhandene Krankenhauspersonal wird mehr arbeiten. Und so manch eine bislang noch kommunale Stadtklinik wird demnächst geschlossen oder privatisiert werden.
Selbstverständlich werden von dieser Entwicklung sowohl die Patienten als auch die Qualität der Behandlung profitieren – zum Beispiel in der Schweiz.