#30JahreMauerfall (1/3): “Wandlitz”, das “Wildforschungsgebiet” – einst und heute

Am 23. November 1989 verschaffte sich ein Team des DDR-Jugendsenders “Elf99” erstmalig Zutritt zur geheimnisumwitterten Wohnsiedlung der DDR-Elite bei Wandlitz. Ein folgenschweres Ereignis. Mittlerweile befindet sich auf dem Gelände eine Reha-Klinik. Und hoffentlich bald ein Museum.

Zugegeben, es hat ein wenig gedauert. Viel länger als bei Jan Carpentier und seinem Team des neugegründeten DDR-Jugendsenders “Elf99”, das im November 1989 nach einem ersten frustranen Drehversuch wenige Tage später eine vom Ministerium für Staatssicherheit vorbereitete und vielleicht auch gerade deswegen so “legendäre” Erstbegehung filmen konnte (Verlinkungen s.u.).

Knapp 30 Jahre nach dem Mauerfall habe auch ich endlich einen gewichtigen Grund, um mir dieses zu DDR-Zeiten streng getarnte und “militärische gesicherte Objekt” im Bernauer Forst etwa 30 km nördlich vom Stadtzentrum Berlins etwas näher anzuschauen: Ein Krankenbesuch steht an. Mein Vater wurde auf dem ehemaligen Mauerstreifen hinterrücks von einem “doch nur zum Spielen” freigelassenen Hund angegriffen und soll nun wieder in der Brandenburg-Klinik auf die eigenen Beine kommen.

Im “Wildforschungsgebiet” – Betreten heute erwünscht

Ich nähere mich der Waldsiedlung von Basdorf von Westen mit dem Fahrrad. Plötzlich wird die Straße richtig gut, obwohl der Ort eigentlich nicht viel zu bieten scheint. Ein Bahnhof. Offenbar hielten hier früher die Sonderzüge der DDR-Regierung.

Kurz zuvor bin ich noch streckenweise über schlimmste märkische Sandpisten und uralte Kopfsteinpflaster-Winterwege geholpert. Dazwischen Feudalismus-Spuren aus diversen Epochen. Sogar einige Esskastanienbäume begegnen mir in einem Waldabschnitt allen Widrigkeiten dieser Region zum Trotz. Später sehe ich auf der Karte, dass es hier einmal einen Schlosspark gab (hierüber mehr in Teil 3 der Serie zu 30 Jahre Mauerfall).

Schließlich biege ich ein in die Märkische Allee. Diese Straße ist heute für den Autoverkehr gesperrt. Dennoch sieht man immer noch, dass das mal eine richtig gute Autostraße war. Der Zustand ist jedenfalls immer noch besser als viele (West-)Berliner Straßen es heute sind.

Im Wald dann schemenhaft eine grüne Mauer. Unscheinbar und streckenweise schon ziemlich bröckelig.

“Flucht” als Problemlösung

Hier beginnt er also. Der Ort, den es bis vor 30 Jahren auf keiner offiziellen Karte erschien – die “Waldsiedlung bei Wandlitz”. Noch vor Beginn des Mauerbaus am 13. August 1961 verschanzte sich die Führungsspitze der SED in diesem Waldstück bei Bernau hinter Mauern und Zäunen. Getarnt war das streng bewachte Wohnghetto für Politbüromitglieder und -kandidaten mit Schildern: “Wildforschungsgebiet – Betreten verboten”.

Der Volksaufstand des 17. Juni 1953 hatte bewirkt, dass sich die SED-Oberen in ihrer Wohnsiedlung in Berlin-Pankow nicht mehr sicher genug fühlten. Der Ungarnaufstand 1956 beschleunigte die Flucht des Politbüros aus der Stadt.

DDR – ein Wintermärchen

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

So wie Heinrich Heine 1844 in “Deutschland – Ein Wintermärchen” an einem trüben Novembertag seine Einreise nach Deutschland beschrieb, ging es vor 30 Jahren einem ganzen Volk. Seit dem 9. November 1989 war nichts mehr so wie es vorher war.

Doch wie sollte es weitergehen? Rund 16 Millionen Menschen ließen sich nicht mehr mit bloßen Versprechungen abfinden. Es war die Stunde Null. Ein gefährliches Vakuum.

Die “Protokollstrecke”

Seit Jahrzehnten hatte die normale Bevölkerung schlucken müssen, dass sie die Mitglieder des Politbüros immer mehr verschaukelten. Seit 1976 ließen sich die alten Herren (sie waren ja wirklich alle alt und männlich) täglich in importierten Volvos auf einer extra für sie gebauten Autobahn zwischen Wandlitz und Berlin hin- und herchauffieren. In dieser Zeit standen die Ampeln auf der sogenannten Protokollstrecke für Normalsterbliche auf Rot – zu besten Berufsverkehrszeiten, versteht sich.

Insgesamt 135 Stück orderte die DDR-Staatsführung vom Volvo 264 TE (TE = Top Exklusiv, da ursprünglich für das schwedische Königshaus entwickelt). Stückpreis: 100.000 D-Mark.

Eine Ausnahme bildete Erich Honecker. Sein Konvoi bestand aus zwei Dienst-Limousinen der Marke Citroën. Da der französische Autobauer in der DDR einen Fuß in die Tür bekommen wollte, hatte er zum Anfüttern dem Staatschef zwei CX 25 Prestige geschenkt. Fortan schwebte Honecker begeistert, hydropneumatischer Federung sei dank, über die plötzlich viel weniger holprigen DDR-Straßen.

Die normalen DDR-Bürger profitierten davon allerdings leider wenig. Sie waren meist schon froh, wenn sie nach jahrelanger Wartezeit endlich einen neuen Trabi bekamen.

“Einzug ins Paradies”

Als das DDR-Jugendmagazin “Elf 99” im zweiten Anlauf endlich in der Waldsiedlung drehen durfte, wurde der Beitrag “Einzug ins Paradies”, der am 24. November 1989 im DDR-Fernsehen ausgestrahlt wurde, zum “medialen Urknall“.

Der Charakter der Waldsiedlung

Schmucklos und grau präsentierten sich die 23 Ende der 1950er Jahre im schlichten und sachlichen Stil erbauten Häuser für die Funktionäre. Der einzige Luxus war das für DDR-Verhältnisse immense Raumangebot im Inneren mit 200 Quadratmetern und bis zu 15 Zimmern.

Vera Oelschlegel, die als Freundin des 1985 aus dem Politbüro ausgeschiedenen Konrad Naumann zeitweise in der Waldsiedlung wohnte, schrieb zutreffend:

Wie so oft, wenn eine verbotene Tür geöffnet wird, ist man enttäuscht. ‚Wandlitz‘ hatte ich mir gedacht als eine Traumsiedlung – irgendwie. Es war eine Alptraumsiedlung.“ […] Die Häuser waren in den 50er Jahren gebaut worden. Es waren von Banausen gefertigte Etuis zur Aufbewahrung von Funktionären. Lotte Ulbricht soll ihre architekturkünstlerische Begabung maßgeblich miteingebracht haben. Die Häuser waren so, wie sich Lieschen Müller die Villa von Dr. Lieschen Müller vorstellte – ein großes Entree mit schwarzem Marmorfußboden, völlig unzweckmäßig und düster, ein Wintergarten mit Springbrunnen, buntes Mosaik, dunkle Küche mit Dienstboteneingang. […] Wie Streichholzschachteln schön symmetrisch waren die Häuser aufgestellt. Sie waren seelenlos und wirkten fremd in der Buchen- und Kiefernlandschaft. […] Es war ein Ghetto, und ich entwickelte so viel Heimatgefühl wie ein Emigrant.

Bananen satt für die Bonzen

Mit zunehmendem Fortbestehen der DDR wurden die Häuser immer mehr mit Einrichtungsgegenständen und Heimelektronik aus dem Westen aufgepeppt. Auch wenn der Luxus im Vergleich tatsächlichen Wohlstandsgesellschaften recht bescheiden und spießig erschien – auf dem 160 Hektar großen Gelände gab es fast alles, wovon die meisten DDR-Bürger nur träumen konnten: Südfrüchte, Westwaren, einen Funktionärsclub mit Arztpraxis, Sauna, Gaststätte, Kino und Schwimmhalle, Sport- und großräumige Parkanlagen. Darunter diverse Bunkeranlagen.

So erhöhten sich die Devisenausgaben für die Versorgung der Politbüromitglieder und ihrer Angehörigen von 1980 bis 1989 von 4.4 Millionen auf knapp 9 Millionen D-Mark. Am Ende umsorgten rund 600 Bedienstete die etwa 20 hohen Funktionäre und deren Familien.

Nur Freiheit gab es nicht.

Dabei waren es nicht die chromblitzenden Mischbatterien oder die Spülmaschine “Miele Deluxe” aus dem Westen in dem in den Tagen zuvor mehr oder weniger hastig für die Journalisten vorbereiteten Vorzeige-Haus, sondern auch zwei Bewohner der Waldsiedlung, die Reporter Jan Carpentier draußen zufällig bei ihrem einsamen Spaziergang vor die Kamera liefen. Es waren der ehemalige Chef-Ideologe Kurt Hager und seine Frau.

Wissen Sie, etwas bitter gesagt, ist das, ich weiß nicht, das wievielte Internierungslager, in dem ich lebe,

sagte Hager traurig und resigniert in die Kamera und verglich die Waldsiedlung mit einem KZ der Nazis, indem er zuvor eingesessen hatte. In die Waldsiedlung kamen die wenigsten anscheinend freiwillig hinein oder hinaus.

Soziale Isolation, Spitzel, Spione, Schwindel, Entfremdung auf allen Ebenen – gegen einen solchen “Entwurf einer neuen, gerechteren Gesellschaftsordnung”, wie Erich Honecker noch bei seiner letzten offiziellen Rede anlässlich des 66. Geburtstages seiner Frau am 17. April 1993 im chilenischen Exil behauptete – halfen auch nicht mehr West-Wein und ein paar Bananen aus dem Ladenkombinat, das den Bewohnern der Waldsiedlung ansonsten so ziemlich alle Konsum-Wünsche erfüllt hatte.

Die Waldsiedlung im Wandel der Zeiten

Die 23 ehemaligen Wohnhäuser der Funktionäre wirken auch heute noch unpersönlich, spießig und trist, selbst wenn das einstige Grau längst einem diskreten Gelbton gewichen ist. Heute gehören die Häuser sowie die meisten anderen Einrichtungen des Komplexes zu einer Rehabilitationsklinik. Im früheren Haus von DDR-Staatschef Walter Ulbricht (Habichtweg 1), oder auch in einem anderen der Gebäude, soll demnächst ein Museum entstehen. Einiges verschwand in den Turbulenzen der Wende.

Glücklicherweise wurden 2017 Teile der Siedlung unter Denkmalschutz gestellt. Bislang kann man die Gebäude nur von außen besichtigen. Einige Stelen weisen schon heute auf die ursprüngliche Nutzung der Häuser hin. Ein Besuch lohnt sich allemal. Die Siedlung ist historisch hochinteressant, auch heute und gerade wegen ihrer Banalität – sowie als Mahnmal für ein misslungenes Experiment.

Quellen / weiterführende Informationen:

Filmreportagen:

Literatur:

  • Jürgen Danyel und Elke Kimmel: “Waldsiedlung Wandlitz. Eine Landschaft der Macht” (Ch. Links Verlag 2016).
  • Paul Bergner: Die Waldsiedlung. Geschichten über “Wandlitz”. Ein Sachbuch. (Basdorf 2012).
  • Volkmar Schneider: Brisante Fälle auf dem Seziertisch: Zeitzeuge Rechtsmedizin (Militzke Verlag 2005).
Waldsiedlung bei Wandlitz: Wohnhaus Günter Mittag
Waldsiedlung, Haus 6 (heute Bussardweg). Hier wohnte bis zur Wende Günter Mittag (1926 – 1994). Als ZK-Sekretär der SED war der passionierte Jäger und Trophäensammler für Wirtschaftsfragen der Planwirtschaft der DDR zuständig. Mittag war schwer zuckerkrank. Mitte der 1980er Jahre wurden ihm beide Unterschenkel amputiert. Daher wurde das Treppenhaus seines Wohnhauses mit einem Schrägaufzug ausgestattet. Im Garten erhalten ist eine Vogeltränke aus Stein. Der drittmächtigste Mann nach SED-Generalsekretär Erich Honecker und Staatssicherheitsminister Erich Mielke starb im Alter von 67 Jahren an Diabetes. Credit: Dr. Karin Schumacher. Aufnahme: September 2019.

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Dr. Karin Schumacher bloggte zunächst als Trota von Berlin seit 2010 bei den SciLogs. Nach dem Studium der Humanmedizin in Deutschland und Spanien promovierte sie neurowissenschaftlich und forschte immunologisch in einigen bekannten Forschungsinstituten, bevor sie in Europas größter Universitätsfrauenklinik eine Facharztausbildung in Frauenheilkunde und Geburtshilfe abschloss. Hierbei wuchs das Interesse an neuen Wegen in der Medizin zu Prävention und Heilung von Krankheiten durch eine gesunde Lebensweise dank mehr Achtsamkeit für sich und seine Umwelt, Respekt und Selbstverantwortung. Die Kosmopolitin ist leidenschaftliche Bergsportlerin und Violinistin und wenn sie nicht gerade fotografiert, schreibt oder liest, dann lernt sie eine neue Sprache. Auf Twitter ist sie übrigens als @med_and_more unterwegs.

5 Kommentare

  1. Im Vergleich zu unseren Bonzen heute, lebte die DDR-Führung wahrlich sehr bescheiden. Statt in einem Volvo verkriecht sich Merkel heute in einem gepanzerten 250.000 Euro Audi vor ihrem Volk. Dafür müssen dann Millionen ihrer Untertanen mit Hartz IV ein Leben am Existenzminimum fristen.

  2. Man kann au ihren Ausführungen entnehmen, dass sie die DDR nicht gekannt haben. Was sind schon diese “Hütten” in der Wandlitzsiedlung. Die Gutverdiener und Priviligierten in der DDR waren Handwerker, Gastronomen bzw. Künstler. Hier wurden wahre “Paläste” geschaffen, die heute noch ansehenswert sind. Also die “Paradiese ” standen woanders und die hatten auch westliche Einrichtungen, arbeiteten doch viele Handwerker bei der Bezahlung mit Westgeld doch wesentlich schneller und hatten dann auch entsprechende Teile sofort im Angebot.

  3. Nachtrag:
    Da wir als Soldaten hin und wieder die Regierungsstrecke zwischen Wandlitz und Berlin mit sichern mussten, muss ich hier ihre Anmerkung “Die Autobahn zwischen Wandlitz und Berlin wurde extra wegen Honecker gebaut ” korrigieren. Diese Politiker nutzten die damals bereits lange bestehende Autobahn zwischen Berlin und Stettin mit der Abfahrt Wandlitz und sind über Hohenschönhausen nach Berlin reingefahren(Protokollstrecke).

  4. Vielen Dank für die Anmerkungen und Ergänzungen. Es stimmt, die repräsentativen Bauten sahen anders aus und standen auch woanders. So wohnte zum Beispiel der weltberühmte Intendant der Komischen Oper, Walter Felsenstein, als österreichischer Staatsbürger mit seiner Familie zunächst auch nach dem Mauerbau weiter in West-Berlin, bis “ein geeignetes (und dem Bauherren genehmes) Grundstück in Glienicke/Nordbahn gefunden war. 1966 war Baubeginn unter ungewöhnlichen Privilegien. Nicht nur die Baupläne waren großbürgerlich, auch die Materialien waren vom Feinsten und wurden, wenn es die Versorgungslage erforderte, aus West-Berlin geholt. Der planende und ausführende Architekt, der junge Hochbauingenieur Johannes Bendik, besaß einen Passierschein West für diese Einkäufe.” (Quelle: http://www.stadtmagazinverlag.de/orte/glienicke10/marienhof.htm)

    Was die Protokollstrecke betrifft – die Autobahn Berlin – Stettin wurde 1936 als Reichsautobahn in der NS-Zeit gebaut. Interessanterweise war es weltweit die erste Autobahn zwischen zwei Großstädten. Doch wenn ich es richtig verstanden habe, wurde extra für die Waldsiedlung die Bundesstraße ab der Ausfahrt Wandlitz vierspurig als Autobahn ausgebaut (wohl auch, um sie im Notfall in eine Landebahn umfunktionieren zu können). Vor 10 Jahren erfolgte der Rückbau zur mehr oder weniger normalen Bundesstraße. Reste sind aber immer noch sichtbar, zum Beispiel der großzügige Parkstreifen zwischen Waldsiedlung und Liepnitzsee.

  5. Was Frau Schumacher hier schreibt wäre selbst für die Bildzeitung zu schäbig. Einfach nur zusammengewürfelter Schmutz. Für einen Wissenschaftsblog ein Armutszeugnis.

    nur mal ein Ausschnitt:
    “auf dem 160 Hektar großen Gelände gab es fast alles, wovon die meisten DDR-Bürger nur träumen konnten: Südfrüchte, Westwaren, einen Funktionärsclub mit Arztpraxis, Sauna, Gaststätte, Kino und Schwimmhalle, Sport- und großräumige Parkanlagen. ”

    a) ja Südfrüchte gabs eher selten, Westwaren nur für viel Geld, den Rest gabs auch für Normalbürger immer
    b) die Krankenversorgung schlägt die von heute um längen, jedenfalls wenn wir von Kassenpatienten reden

    Aber Hauptsache erstmal was behaupten. Ich empfinde das echt als persönliche Beleidigung.

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