Hochprozentige Fundstücke

BLOG: MATHEMATIK IM ALLTAG

Notizen über alles und nichts, von Günter M. Ziegler
MATHEMATIK IM ALLTAG

Das "Wie-alt-ist-der-Kapitän-Phänomen" ist eine bekannte Sache aus der Mathematikdidaktik: Auf Aufgaben vom Typ 

Ein Kapitän transportiert auf seinem Kahn 11 Schafe über den Fluss. Die Überfahrt dauert 4 Minuten. Wie alt ist der Kapitän? 

antworten die Kinder bis zur zweiten Klasse "Blödsinn" und ab der dritten dann "15"! Da wird dann hemmungslos zusammengezählt, was eben nicht zusammen gehört. 

So viel als Vorrede zu drei Fundstücken, in denen Prozentzahlen hemmungslos addiert werden – obwohl alle ja doch in der Schule gelernt haben sollten, dass man das nicht so einfach darf. Zwei Preiserhöhungen um 100 Prozent ergeben ja doch eine Preissteigerung um 300%, oder?

Fundstück 1 stammt aus einem Enthüllungsbericht der Münchener Boulevardzeitung tz mit dem reißerischen Titel "tz deckt auf: Heimliche Preissteigerungen auf wichtigen Fernverkehrsstrecken
Bahn verlangt beim ICE bis zu 50 Prozent mehr" vom 28. Mai dieses Jahres. (Ich habe es in einem Blog der Berliner taz gefunden.) Darin heißt es:  

tz ICE-Enthuellungsstory

Immerhin: Nach Adam Riese gilt 3,4 + 3,1 + 2,9 + 5,6 + 2,9 = 17,9.

Fundstück 2 verdanke ich Martin Barner (Kassel), bei dem ich mich herzlich bedanke: der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Martin Kannegießer, schreibt in der Frankfurter Rundschau vom 31. Mai

Frankfurter Rundschau Kannegiesser Ausschnitt

Wer will bezweifeln, dass 8*10=80, nach Adam Riese? 

Fundstück Nummer 3, aus der Frankfurter Rundschau, verdanke ich Dirk Werner (FU Berlin): da werden die Prozentzahlen der Grünen aus Ost und West nicht nur "einfach so" zusammengezählt, sondern da steht in der Tat dann 1,2 + 3,8 = 5,1:

Frankfurter Rundschau Schwarzgrün Ausschnitt

Wunderbar.

Aber Sie kriegen das alles ja nicht umsonst vorgeführt. Die Quizfrage an Sie lautet: Eine der drei Rechnungen ist in der Tat richtig! Welche?  

Veröffentlicht von

Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin, Leiter des “Medienbüros” der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Aktivist, Kommunikator, Sekttrinker, Gelegenheitsblogger, Kolumnist und Buch-Autor: "Darf ich Zahlen?" und "Mathematik - Das ist doch keine Kunst!".

8 Kommentare

  1. Runden

    Die dritte ist wohl richtig, das Schlüsselwort steht in der Grafik und lautet “gerundet”. Die REchnung könnte somit z.B. 3,84% + 1,24% = 5,08% lauten. Während die ersten beiden Werte abgerundet würden, würde die Summe aufgerundet. Gerundet auf eine Nachkommastelle steht dann in der Grafik 3,8% + 1,2% = 5,1%, was so natürlich auch irgendwie nicht stimmt …

  2. Wertzuwachs

    Bei 1) und 2) liegt das Problem weniger in der Addition von Prozentsätzen als in der Vernachlässigung des Wertzuwachses.
    Wenn bei 1) der Preis des Tickets Anno 2004 100 Euro sei, so ist es bei einer Erhöhung um 3,4% 103,40 Euro teuer. Der nächste Aufschlag um 3,1% bezieht sich aber auf die 103,40 Euro. Mithin kostet das Ticket danach 106,61 Euro. Wird so für die nächsten drei Preiserhöhungen gerechnet ergeben sich 2008 schlussendlich 119,60 Euro. Somit betrug die Teuerung über die Zeit gerechnet 19,6%.
    Bei 2) muss das Pferd von der anderen Seite aufgezäumt werden: hier wird nach einem jährlichen Prozentsatz gefragt, der nach acht Jahren zu einem Wertzuwachs von 80% führt. Wieviel Prozent muss der Euro jährlich an Wert gewinnen um am Ende der Laufzeit 1,80 Dollar wert zu sein, wenn ich 1,00 Euro als Anfangskapital einsetze? Wenn man es mit 7,62% pro Jahr durchrechnet, dann werden nach acht Jahren so ziemlich genau 80% Zuwachs daraus.

    Die Graphik von 3) ist mir ein Rätsel. Die Berechnungsgrundlagen entziehen sich mir vollkommen. Ausgehend von den unten angegebenen Prozentsätzen für Ost und West und dass es sich um Ergebnisse von Bundestagswahlen handelt, wären 1,2% Ost bei (angenommenen) 10 Millionen gültigen Stimmen 120.000 Wähler und 3,8% West bei (sagen wir mal) 30 Millionen Stimmen 1,14 Millionen Wähler. Macht Gesamtdeutsch 1,26 Millionen, die von insgesamt 40 Millionen Wahlberechtigten 3,15% ausmachen würden. Wie da auf 5,1% gekommen wird, ist mir ein Rätsel. Vielleicht sollte man mal anfangen mit negativen Wählerstimmen, oder besser noch, mit imaginären rechnen, um auf solche Ergebnisse zu kommen.
    Würde sich die Grünen/Bündnis 90 Bundestagsfraktion mit ihrem Anteil von 5,1% aus 3,8% West- und 1,2% Ost-Abgeordnete zusammensetzen, so wäre das (gerundete) Ergebnis plausibel – aber dazu hätte es einer eindeutigeren Beschreibung in der Graphik bedurft.

  3. @ Frido Bohn

    Die Grünen traten damals nur im Westteil an, erreichten dort knapp unter 5% der im Westen vergebenen Wählerstimmen, auf ganz Deutschland gerechnet also 3.8%.

    Bündnis 90 trat nur im Ostteil an, erreichte dort knapp über 5% der im Osten vergebenen Wählerstimmen, auf ganz Deutschland gerechnet also 1.2%.

    Weil in beiden Fällen die Nachkommastellen abgerundet wurden, ist die gerundete Summe nicht 5.0%, sondern 5.1%.

    Übrigens galt die 5%-Hürde damals für Ost und West getrennt. Deshalb kam Bündnis 90 mit 1.2% in den Bundestag, die Grünen mit 3.8% aber nicht.

  4. Rechnung drei stimmt.

    In der Tat sind die Rechnungen eins und zwei “offensichtlich” falsch.

    Warum die dritte richtig ist: Die Zahlen der Bundestagswahl 1990 von den beiden grünen Parteien sind jeweils bundesweite Prozent, so dass die Addition durchaus zulässig ist.

    Und die Rechung 1,2 + 3,8 = 5,1 ist auch richtig:
    mit vier gültigen Nachkommastellen liest sich das als
    3,8493% + 1,2037% = 5,0530%.
    Leicht nachzurechnen aus den Original-Stimmenzahlen,
    siehe
    http://de.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_1990
    oder noch offizieller unter
    http://www.bundeswahlleiter.de/…d/t/bt-int90.htm

  5. Schön

    Ein schöner Artikel. Sobald irgendwo Zahlen auftauchen und nach einem Gesamtergebnis gefragt wird, macht man eben das einfachste mit den Zahlen: Addieren.

    Allerdings würde es vermutlich zu vielen Fragen bei den mathematisch nicht ganz fitten Bundesbürgern kommen, wenn die Rechnungen dort richtig aber eben dementsprechend kompliziert dargestellt werden. Da rundet man dann gerne. Pi ist ja auch 3 …

  6. Schöne Zahlenspielerei

    Die Lösung wurde hier ja nun schon mehrfach genannt. Die Rechenbeispiele wie unter 1) und 2) begegnen einem leider immer wieder in der Tagespresse oder den Boulevard-Zeitschriften.

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