ACEs High! WhatsApp-Fake News zu Ibuprofen und Coronaviren

Hölzener Dame in Greifswald

Für ein Update zur Kommunikation der WHO bitte ans Ende des Posts scrollen.

Gerade gehen auf WhatsApp Sprachnachrichten um, die angeblich von der Uniklinik Wien stammen. Eine Frau erklärt einer Freundin, eine andere Freundin habe ihr mitgeteilt, weswegen die Epidemie in Italien so schlimm verlaufe. Ursache sei, dass die Italienerinnen und Italiener häufig mit Ibuprofen behandelt worden seien. Dies würde die Vermehrung der Viren anregen. Deswegen liefen die Fälle in Italien so dramatisch ab. Das sei alles noch nicht publiziert, weswegen man nur „unter der Hand“ darüber spräche. Vor allem wolle man Klagen durch „die Pharmaindustrie“ vermeiden.

Zunächst einmal sind WhatsApp-Sprachnachrichten keine gesicherte Quelle. Die Nachricht klingt auch nicht wie eine „mal eben“ ausgenommene Sprachnachricht. Wenn ich Sprachnachrichten einspreche, habe ich 200 „Ähms“ pro Satz, mache Grammatikfehler, weil ich meinen Gedankengang mittendrin ändere und so weiter. Die Sprachnachricht klingt aber wie einstudiert. Das nur im Allgemeinen und das sollte einfach JEDEN stutzig werden lassen.

Aber nun der Reihe nach.

Was ist Ibuprofen?

Ibuprofen ist ein Arzneimittel was seit 1989 in Deutschland zugelassen ist. Es bindet reversibel an das Enzym „cyclooxigenase-2“, Cox2. Dieses Enzym wird aktiv, wenn in unserem Körper Entzündungen entstehen. Es produziert Signalmoleküle, die unserem Körper diverse Mitteilungen machen. Zum Beispiel: Erhöhe die Temperatur, durchblute dieses Gebiet besser, erzeuge Schmerz. Hemmt man Cox2 findet diese Reaktion weniger statt. Die Folge: Das Fieber sinkt, Schwellungen nehmen ab, Schmerzen gehen zurück, Verletzungen können dadurch meist besser heilen. Man fühlt sich besser. Ibuprofen ist damit ein Allrounder bei Schmerzen, Verletzungen und Erkrankungen die Fieber auslösen. Also auch grippale Infekte (Erkältungen), Grippe und – Tadaa! – vermutlich auch bei Coronainfektionen. Fieber ist zwar eine wichtige Abwehrfunktion des Körpers, um Krankheitserreger zu töten, aber Fieber ist nun mal auch sehr unangenehm und kann gefährlich werden. Steigt de Temperatur längere Zeit über 40 °C im Körper, zerklumpen Protein (Eiweiße) im Blut und es kommt schnell zum Tod. Außerdem ist der Körper meistens etwas übereifrig, was Fieber und Schmerzen angeht. Krank sein heißt nicht, dass man alle Symptome voll an sich ranlassen muss. Manchmal kann man sich auch besser erholen, wenn man – in Absprache mit Arzt oder Ärztin – etwas gegen die Symptome nimmt.

Kranker Teddybär wird von anderen Teddybären umsorgt

Wie vermehren sich Viren?

Alle Viren können sich nur in Wirtszellen vermehren. Im Falle von Corona – oder auch Schnupfen, HIV, Grippe… – sind das dummerweise unsere Zellen. Viren dringen in unsere Zellen ein und tricksen diese aus, damit unsere armen Zellen das Virus vermehren. Ja, genau, wir werden quasi gehackt. Weil unsere Zellen es nicht gewöhnt sind, so eine riesige Menge an Viren zu produzieren, gehen sie daran zu Grunde. Aber nicht, bevor sie nicht noch viele kleine Virenbabys produziert haben, die nun benachbarte Zellen infizieren. Und der Zyklus beginnt von vorne. Glücklicherweise sehen Zellen, die von Viren befallen sind, plötzlich auch „krank“ aus und unsere Immunsystem kann diese gehackten Zellen ausschalten. Aber auch dadurch sterben viele unserer Zellen. Das belastet den Körper, denn die befallenen Regionen müssen auch wieder aufgebaut werden.

ACE2 – die Corona-Dockingstation?

Im Gegensatz zu SARS und MERS, die sich größtenteils in Lungenzellen vermehren, befällt Covid19 auch Zellen im Rachen. Das sorgt für die leichte Verbreitung. Schwere Fälle entstehen dann, wenn Covid19 sich in der Lunge einnistet. Diese Lungenerkrankung tritt in ca. 15 % der Fälle auf. Vor allem bei älteren Menschen. Um in die Zellen einzudringen, docken Viren an Oberflächenproteine dieser Zellen an. Also an Eiweiße, die aus der Zellmembran rausschauen. Eines davon, den Rezeptor ACE2, nutzen Coronaviren quasi als Anker, um sich an der Zelloberfläche festzuhalten und dann von der Zelle aufgenommen zu werden.

WICHTIG: Das Zellproteom, also die Gesamtheit aller Proteine, ist ein unglaublich komplexes Netzwerk aus Feedback-Schaltungen. Einzelne Veränderungen darin sind extrem kontextabhängig. Das soll heißen: Es ist zu kompliziert, um allgemeingültige Aussagen zu treffen.

ACE, ein böser Zwilling!

Wie viele Oberflächenproteine ist auch ACE2 nicht spezifisch für Lungenzellen sondern kommt auf vielen Zellen vor. Zum Beispiel Herz- und Nierenzellen. ACE2 hat einen Zwilling, ACE. Auch ACE kommt auf vielen Zelloberflächen vor. ACE ist ein beliebtes Behandlungsziel bei Bluthochdruck und Diabetes. Wird ACE gehemmt sinkt der Blutdruck. Es gibt Hinweise darauf, dass ACE-Hemmer die Anzahl des ACE2-Proteins auf der Oberfläche erhöhen. Das würde es dem Virus erleichtern, anzudocken. Diese Hypothese ist in Lungenzellen aber derzeit noch nicht bestätigt.

Es muss aber auch dazu gesagt werden, dass neben dem ACE2-Rezeptor auch eine andere Art des ACE2-Proteins produziert wird. Das sind “freie” ACE2-Proteine, die nicht auf der Zelloberfläche sitzen, sondern durch die Gegend treiben. Diese sogenannten Köder-Rezeptoren könnten die Andockstellen des Virus blockieren. Es gibt sogar erste Behandlungsansätze, die Köder-ACE2-Rezeptoren einsetzen wollen. In Studien bewiesen ist hier noch gar nichts, es sind nur Hypothesen.

Erste Ergebnisse mit einem künstlichen Köder-ACE2-Rezeptor zur Covid19-Behandlung sind aber vielversprechend.

In einem aktuellen Pilotstudie wurde untersucht, obe ACE2 beim Acute Respiratory Distress Syndrome, also Lungenversagen, eine Rolle spielt. Das Ergebnis: zu geringe ACE2-Spiegel waren mit einer schlechteren Prognose verbunden.

Gräser am Strand

Prognosefaktoren bei Covid19

Gesichert ist hingegen, dass eine häufige Vorerkrankung von Menschen, die an Covid19 gestorben sind, Bluthochdruck und Diabetes sind. Gegen Blutdruck werden unter anderem ACE-Hemmer eingesetzt. Gegen Diabetes wird Thiazolidindione eingesetzt und auch bei diesem Medikament – genauso wie bei Ibuprofen – wird gemutmaßt, dass es die Menge des ACE2-Proteins erhöht. Nichts davon ist aber wirklich gesichert. Und durch die Köder-ACE2-Rezeptoren könnte sogar das Gegenteil der Fall sein.

Bier- und Getränkelager

Diabetes und Bluthochdruck sind aber auch sehr häufige Alterserkrankungen. Daher ist es schwierig zu sagen, was nun genau die Sterblichkeit bei Covid19 beeinflusst. Die Medikamente? Die Vorerkrankungen? Oder das Alter? Vielleicht eine Mischung davon?

Man weiß übrigens auch noch nicht, ob das Horten von Klopapier oder das Verspeisen von Spaghetti mit Tomatensoße einen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung hat. Wake up, Sheeple!

Sollte man diese Medikamente vorsichtshalber absetzen?

Während man auf Ibuprofen in manchen Umständen verzichten kann, ist unter allen Umständen davon abzuraten, eigenmächtig vom Arzt verschriebene Medikamente abzusetzen. Das Absetzen von Bluthochdruck-Medikamenten kann zu Herzkreislauferkrankungen wie – im schlimmsten Fall – einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen.

Gruselige Dinge in gruseligen Gläsern mit gruseliger Beleuchtung

Wie rentabel ist Ibuprofen für die Pharmaindustrie?

Ibuprofen ist ein seit Jahren verfügbares Medikament. Es ist längst aus dem Patent gelaufen und bis zu gewissen Dosen frei verkäuflich. Zumindest in Deutschland ist Ibuprofen sehr beliebt, mit einem Umsatz von 320 Millionen Euro in 2018. Im Vergleich dazu lag der Gesamtumsatz der Pharmaindustrie in Deutschland 41,5 Milliarden Euro. Ibuprofen hat also 0,8 % Anteil am Umsatz. Einbußen könnte die Unternehmen also durchaus verschmerzen.

Generell: Der meiste Umsatz der Pharmaindustrie kommt von patentierten Medikamenten gegen Krebs und Autoimmunerkrankungen. Die Mittel die derzeit gegen Covid19 erprobt werden, sind zum Teil bereits zugelassen und schon länger auf dem Markt. Sie werden vergleichsweise wenig lukrativ sein. Auch Impfungen sind kein allzugroßer Markt. Spart euch also diese Verschwörungstheorien und checkt lieber euren Impfpass.

Wieso ist die Situation in Italien so eskaliert?

Der Spiegel nennt dafür mehrere Gründe. Zum Beispiel ist das Durchschnittsalter in Italien recht hoch. Da ältere Menschen stärker von Corona betroffen sind, bedeuten viele ältere Menschen also auch mehr Fälle. Zudem hat sich aber auch das Virus vergleichsweise lange unbemerkt verbreitet. Der Skitourismus im Norden Italien könnte der Grund dafür sein. Aber es kann natürlich genausogut ein Geschäftsreisender sein, der die Erkrankung als harmlosen Schnupfen erlebte und so ahnungslos Menschen infizierte. Die lange Inkubationszeit macht es einfach schwierig, das jetzt noch genau nachzuvollziehen. Fakt ist aber, dass Italien zu spät reagiert hat – ob nun selbstverschuldet oder nicht. Jetzt stecken sich die Menschen exponentiell mit dem Virus an, das Gesundheitssystem kommt nicht mehr hinterher. Man kann nun bemängeln, dass keine flächendeckenden Tests durchgeführt wurden – wie zum Beispiel in Südkorea. Und ja, natürlich könnten wir alle Menschen hypothetisch auf Covid19 testen. Ich möchte aber hier auch nochmal sagen, dass dies keine Teststicks sind, die auf die man kurz spuckt und binnen Sekunden Ergebnisse hat. Momentan erfordert es geschultes Personal, spezielle Reagenzien und Zeit. Südkorea vollbringt organisatorische Höchstleistungen. Solange wir diese Organisation nicht haben, können wir nicht flächendeckend testen.

Warum die Fake News?

Aber warum überhaupt, werden nun Fake News gestreut? Klar, die Reichweite ist Gewiss. Man kann sich freuen, dass die eigene Nachricht große Wellen schlägt. Auf Kosten verunsicherter Menschen. Möglich ist natürlich auch, dass die Nachricht aus noch perfideren Gründen verbreitet wird. Denn solche Informationen schwächen allgemein das Vertrauen in Institutionen. Allein die Angst es würde etwas verheimlich ist für viele Menschen Grund genug, sich von Weisungen der Gesundheitsbehörden oder Wissenschaftlerinnen abzuwenden. Gleichzeitig gibt sie den Hörenden eine vermeintliche Macht. Mit dem „geheimen Wissen“ können sie sich – so glauben sie – besser schützen als die anderen, Unwissenden. Und die Nachricht erscheint schon deswegen glaubhaft, weil sie wieder einmal Klischées bedient. Die Pharmalobby macht Wissenschaftler mundtot, die Regierung kuscht vor der Macht des Geldes.

Es kann einfach nicht sein, dass die Natur einfach mal den längeren Hebel in der Hand hat – und eigentlich immer hatte. Das es so schlimm kommt, daran müssen finstere Mächte beteiligt sein. Ein kleiner Haufen Erbgut mit Proteinen und Lipidschicht will uns “Krone der Schöpfung” in die Schranken weisen? Das hat schon der Klimawandel nicht geschafft!

Aber, lasst euch das gesagt sein, die Natur ist stärker als wir. Wir beherrschen sie nicht.

Hölzener Dame in Greifswald

Quintessenz

Ich bitte euch alle, eindringlich, keine Nachrichten über Corona zu teilen, deren Absender ihr nicht einschätzen könnte. Schaut auf die offiziellen Seiten des RKI oder ähnlicher Institutionen. Hört den Podcast vom NDR und Herrn Drosten. Lest hier auf Scilogs oder Spektrum die großartigen Artikel von bspw. Lars Fischer, Marlene Heckl und Alina Schadwinkel.

Update 18.3.2020

Mittlerweile hat sich ein Vertreter der WHO dazu geäußert. Ich habe in einem Twitterthread darauf reagiert.

Die aktuelle Kommunikation zum Thema scheint aber bestenfalls unkoordiniert zu sein. Dazu ein Thread von Kai Kupferschmidt:

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Veröffentlicht von

zellmedien.de

Mein Name ist Anna Müllner, ich bin Biologin und habe in der Krebsforschung promoviert. Ich wohne im schönen Hessen und bin als PR-Beraterin für Gesundheitskommunikation tätig. Nach meinem Abitur beschloss ich Biologie zu studieren. Das tat ich zunächst an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die weder in Bonn ist, noch am Rhein. Aber einer der drei Campusse liegt wirklich an der Sieg. Das letzte Jahr dieses Studiums verbrachte ich in Schottland, an der Robert-Gordon University of Aberdeen wo ich ein bisschen in die Biomedizin und die Forensik schnuppern durfte. Danach entschied ich mich für ein Masterstudium an der Universität Heidelberg in Molekularer Biotechnologie was ich mit der Promotion fortsetzte. Weitere Informationen und Möglichkeiten zu unterstützen finden Sie hier: https://linktr.ee/_adora_belle_

5 Kommentare

  1. Brian Wang von NextBigFuture hat eine für mich überzeugende Begründung warum in Ialien die Covid-19 Todestate so hoch ist (Zitat, übersetzt von DeepL):

    In Deutschland gibt es viele Fälle, aber nur wenige Todesfälle. Die Deutschen besuchen ihre Großeltern meist nicht oder leben nicht bei ihnen, aber in Italien leben mehrere Generationen zusammen. Dies macht Italien anfälliger, weil die jungen und mittleren Altersgruppen die älteren Menschen anstecken.

  2. siehe auch: Der Virologe Dr. H. Streeck (Nachfolger von Dr. Drosten in Bonn) im Interview bei der FAZ ( https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/virologe-hendrik-streeck-ueber-corona-neue-symptome-entdeckt-16681450.html ) – italienische Zahlen: möglicherweise hauptsächlich ein statistisches Artefakt:

    “… FAZ: Wie erklären Sie die geringen Todeszahlen in Deutschland im Vergleich zum Beispiel zu Italien?

    Streeck: Darüber bin ich gar nicht überrascht. Denn in Italien hat man nur die sehr schwer symptomatischen Fälle getestet. Dabei hat die aktuelle Studie aus Shenzhen zum Beispiel auch herausgefunden, dass sich Kinder genauso häufig mit dem Erreger anstecken wie Erwachsene, sie entwickeln allerdings nur leichte oder gar keine Symptome. Folgt man der Studie und legt zugrunde, dass 91 Prozent Covid-19 nur mit milden oder moderaten Symptomen durchmachen, dann haben sich die Italiener zunächst nur auf die verbliebenen neun Prozent fokussiert. Hinzu kommt, dass dort auch nachträglich die Toten auf Sars-CoV-2 getestet werden. Auch in China gingen anfangs die Todeszahlen stark in die Höhe, nicht aber die Infektionszahlen, weil man sich dort ebenfalls auf die Toten konzentrierte. Jetzt ist es umgekehrt, weil in China viel mehr getestet wird.

    FAZ: In Italien gibt es also viel mehr Infektionen, als es die Zahlen widerspiegeln?

    Streeck: Genau. Ich gehe davon aus, dass die Durchseuchung in Italien extrem hoch ist, was man bisher aber nicht ermittelt hat.

    FAZ: Und bei uns ist es anders?

    Streeck: In Deutschland wurden von Anfang an auch Patienten mit nur milden Symptomen getestet. Unser Indexpatient in Bonn etwa hatte nur einen kratzigen Hals. Ich bin mir sicher: Er wäre in Italien nie abgestrichen worden. …”

  3. Dass Medikamente Nebenwirkungen haben ist bekannt.
    Und es ist nicht auszuschließen, dass Entzündungshemmer kontraproduktiv bei Corona sind.
    Überhaupt ist es eine Unsitte, bei jedem Wehwehchen Medikamente zu nehmen.
    Erkältungskrankheiten gehören auskuriert.

  4. “…einem Umsatz von 320 Millionen Euro in 2018. Im Vergleich dazu lag der Gesamtumsatz der Pharmaindustrie in Deutschland 41,5 Milliarden Euro. Ibuprofen hat also 0,008 % Anteil am Umsatz….”

    Die o.g. Prozentangabe ist falsch. Richtig ist 0,8%.