Mein Tagesablauf

BLOG: Leben auf dem Mars

Wissenschaft unter extraterrestrischen Bedingungen
Leben auf dem Mars

Machmal habe ich das Gefühl, dass ich mit meinen Projekten nicht vorankomme. Das ist nicht verwunderlich, da ich selten mehr als fünf Stunden an einem Tag produktiv arbeiten kann. Trotzdem gibt es (zuviele) Tage oder vielmehr Nächte, an den ich nicht genug Schlaf bekomme. Wo bleibt nur die Zeit?

Ich stehe normalerweise zwischen 8:30 Uhr und 9 Uhr auf. Dann tapse ich, noch im Halbschlaf, die Treppe hinunter und in die Küche, auf der Suche nach etwas Essbarem zum Frühstück. Die meisten der anderen sind zu der Zeit schon lange wach: Carmel und Tristan stehen um 6 auf und genießen die Ruhe am Morgen; Shey und Andrzej wachen gegen halb 8 auf.

Je nachdem, was für den Tag geplant ist, bereite ich mich möglicherweise auf eine EVA vor. Da ich ein Außenexperiment betreue, gehe ich häufig auf EVA. Das Gute daran ist, dass – nunja, dass ich viel außerhalb des Habitats herumlaufen kann. Der Nachteil ist jedoch, dass für eine typische EVA mit Vor- und Nachbereitung etwa vier Stunden drauf gehen. Dazu kommt, dass ich häufig ziemlich erschöpft zurück komme – erschöpft von einem zweistündigen Ausflug in einem Anzug, der knapp die Hälfte meines eigenen Körpergewichts auf die Waage bringt und heißer als ein Backofen ist. Nach einer EVA bin ich daher erst einmal unbrauchbar und hänge träge auf meinem Stuhl herum, bis der Küchendienst mir ein Mittagessen vor die Nase setzt und ich meine Akkus wieder aufladen kann.

Wenn keine EVA ansteht, baue ich manchmal an weiteren Teilen für mein Außenexperiment. Meist plane ich jedoch am Computer zu arbeiten. Ich schreibe “plane”, weil die traurige Realität ist, dass ich meinen Computer starte und von einer Flut an Emails überwältigt werde. Bis ich die alle durchgegangen bin und die wichtigsten beantwortet habe, ist es viel zu oft schon Mittag. Dabei ist es nicht einmal das Schreiben selbst, was die meiste Zeit braucht, sondern das Sammeln selbst der einfachsten Informationen: mindestens 40 Minuten Wartezeit für eine Antwort von der Erde.

Meine Nachmittage verbringe ich vor dem Bildschirm. Entweder arbeite ich, oder ich nehme an einem der zahlreichen Sozialexperimente teil, von denen wir sechs oder sieben pro Woche haben, jedes davon dauert zwischen etwa 15 und 60 Minuten. Außerdem versuche ich regelmäßig Sport zu treiben, scheitere aber meist kläglich. Die Workout-Videos der anderen sind mir zu repetitiv, und unser Fahrrad ist unbequem. So komme ich Sport am nächsten, wenn ich um die 50 Minuten auf dem Laufband verbringe – in zügigem Gehtempo, mit einem Buch vor der Nase. Oder einem wissenschaftlichen Artikel. Egal was, Hauptsache es lenkt mich von der Tatsache ab, dass ich meine Beine bewege, ohne auch nur einen Meter vorwärts zu kommen.

Irgendwann im Laufe des späten Nachmittags ruft der Küchendienst die anderen zu Tisch, meist zwischen 17 und 18 Uhr. Wir kochen früh, weil unsere Solarzellen bestenfalls bis 17:30 Uhr Strom erzeugen und wir mit möglichst vollen Akkus in die Nacht gehen wollen.

Das Abendessen ist die beste Zeit des Tages. Oft ist es das erste Mal am Tag, dass wir zusammen an einem Tisch sitzen und essen und reden. Ok, ich bin nicht gerade die gesprächigste Person auf dem Planeten, und höre mehr zu als dass ich rede.

Nach dem Abendessen machen wir häufig etwas zusammen. Ich habe die drei männlichen Teammitglieder überredet, Salsa zu lernen, so dass wir jetzt an etwa zwei Abenden in der Woche Salsa tanzen. An anderen Abenden schauen wir Filme – wenn unsere Akkus bei Sonnenuntergang voll geladen sind mit einem Beamer, ansonsten auf einem Laptopbildschirm. Manchmal spielen wir Brett- oder Kartenspiele.

Wenn es keinen Plan für die ganze Gruppe gibt und ich keine Lust mehr habe zu arbeiten, lerne ich mit Cyprien Morsecode, oder übe mich im Zeichnen. Eigentlich will ich auch Mundharmonika lernen, aber bisher besteht mein Fortschritt darin, vor Beginn der Mission noch ein paar Anleitungen heruntergeladen zu haben. Nach einem Tag voll mit EVA, Bauarbeiten oder stundenlanger Bildschirmarbeit, nach der mir der Kopf raucht, habe ich einfach nicht mehr genügend Enthusiasmus um noch ein Instrument zu lernen.

Die letzte Aktivität des Tages sind eine Handvoll Fragebögen. Einige füllen wir schon im Laufe des Tages aus, aber die meisten sind für den Abend vorgesehen. In den meisten geht es um bestimmte Aspekte unserer Interaktion miteinander im Laufe des Tages. Nach dem letzten Fragebogen gehe ich ins Bett – aber mittlerweile ist es schon wieder Mitternacht und ich weiß, dass ich auch morgen wieder die Letzte am Frühstückstisch sein werde.

Cyprien hat vor einiger Zeit ebenfalls einen Beitrag verfasst, der u.a. seine täglichen Aufgaben schildert: What?? Two weeks already?

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Christiane Heinicke bloggt als Wissenschaftlerin und Versuchskaninchen aus der HI-SEAS-Forschungsstation auf Hawaii. Zuvor studierte sie Physik in Ilmenau und Uppsala und promovierte anschließend zu einem kontaktlosen Strömungsmessgerät. Zuletzt arbeitete sie in Helsinki an brechendem Meereis. Vor ihrer Zeit auf Hawaii verbrachte sie zwei Wochen auf der Mars Desert Research Station in Utah. Ständig umgeben von Wänden oder Raumanzug, wird sie während des Jahres am meisten das Gefühl von Sonnenstrahlen auf der Haut vermissen, dicht gefolgt vom Geschmack frisch gepflückter Himbeeren.

21 Kommentare

  1. Hallo,

    mal wieder eine Verständnisfrage zu Simulation und nicht Simulation: Woher “wissen” die E-Mails, dass sie 40 Minuten warten müssen? Werden sie einfach per “rein menschengesteuerter Prozedur” so lange nicht von der Crew abgerufen oder gibt es irgendeine spannende technische Maßnahme die für die Verzögerung von E-Mails und/oder sonstigen Datenübertragungen von und nach außen sorgt und wie sieht diese Maßnahme aus oder auch nicht aus?

    Gruß

    Charly

    • Hallo Charly, der Post, der Ihre Frage beantworten wird, ist schon geschrieben. Ich werde ihn in den nächsten Tagen veröffentlichen. Hier nur soviel: Der Server, über den unser kompletter Emailverkehr geht, hält jede Nachricht zwanzig Minuten lang zurück. Der restliche Internetzugang ist etwas komplizierter geregelt.

  2. Der eine will Mundharmonika üben, der nächste Ukulele, soso. Sicher, dass das nicht auch ein soziologisches Experiment ist? *g*

    • Die Ukulele wollte ursprünglich eigentlich Gitarre lernen. Dann dachte sie, dass mit der Gitarre sofort Erwartungen verknüpft werden, wenn sie ausgepackt wird. Die Ukulele dagegen ist quasi das “National”instrument der Insel und niemand hat besondere Erwartungen. Der positive Nebeneffekt ist, dass es nur einen hier gibt, der Gitarre übt. Der Gitarrenspieler ist musikalisch besser, aber die Ukulele ist – da scheint die Logik aufzugehen – ein nettes, witziges Geklampfe im Hintergrund.

  3. Hi Cookie,
    nach diesem Post kann ich noch besser verstehen warum du gerne Cookies ißt ; ) Solch ein Tag klingt in sich abwechslungsreich, anstrengend und dennoch gefühlt mit vielen Wiederholungen über Wochen etwas unausfüllend. Daher hatte ich nach den Pokerabend gefragt. Der selbst auferlege Leistungsdruck kommt mir bekannt vor, ich denke auf der Arbeit auch oft, ich müsste doch eigentlich immer 100% effektiv sind. Was einfach nicht geht.
    Hast du einen MP3-Player mit guter Musik zum Nachtanken?

    • Ich habe eine ganze Festplatte dabei, u.a. mit Musik 🙂 Poker haben wir bisher noch nicht gespielt, obwohl ich mittlerweile die Pokerkarten der letzten Crews gefunden habe. Aber ich habe den anderen Skat beigebracht.

  4. Ich lese gerne diese persönlichen Einblicke in eine Mission. Ich habe den Eindruck, dass es sich tatsächlich so anfühlt, wie eine “echte” Marsmission.

    Liebe Grüße nach da oben 😉

  5. Freu dich, daß du abgenommen hast und wiegst nur 40% von deinem Erdgewicht (=erste Fehler in The Martian). Freu dich daß du übererdisch lebst und nicht untererdisch zwecks Schutz von die Strahlungen (=zweite Fehler in The Martian). Freu dich daß wir nicht die Technologie haben um wieder von der Marsoberfläche zu starten und du somit nicht auf der langweile Erde zurück musst/kannst (=dritte Fehler in The Martian) etc etc.

    • Dazu kann ich nicht viel sagen, da ich den Film dank 20th Century Fox noch nicht gesehen habe. Im Moment sieht es so aus, als müssten wir bis mindestens Januar warten, falls die DVD rechtzeitig vor der nächsten Lieferung rauskommt – und dann bin ich nicht sicher, ob ich ihn überhaupt noch sehen will.
      Der erste (und gröbste) Fehler im Buch jedenfalls war der Sturm; die reduzierte Gravitation wurde im Buch berücksichtigt. Es gibt außerdem Ansätze, wie man ein überirdisches, strahlengeschütztes Habitat bauen kann – nicht mit der “einfachen” Stoffbahn wie im Buch dargestellt, aber doch ohne meterdicke Gesteinswände. Die Technik für den Rückflug ist noch nicht reif, aber das Buch spielt ja auch in der Zukunft…

      • Ja. Damit andere verstehen warum der Sturm falsch dargestellt wurde : Druck der Atmosphäre auf Mars ist so gering (0,00636 Bar) daß man der Sturm höchstens als leicht Brise gespürt hatte (noch ein Fehler in The Martian, der aber ein interessante Film hergab).

      • @Celladoor: Ole Phat Stu hat völlig recht – die Atmosphäre ist sehr dünn, so dass solch hohe Windgeschwindigkeiten in Bodennähe überhaupt erst entstehen können. Genug, um Sand und Staub aufzuwirbeln, die für Solarpanele zum Problem werden können, aber bei Weitem nicht genug, um Antennen durch die Luft zu wirbeln, Raumanzüge zu durchspießen und ein tonnenschweres MAV umzustoßen.

  6. @Christiane Heinicke
    OK, das ging aus dem Wikiartikel nicht hervor. Ich füg das mal dort hinzu. Hab mich immer gefragt wie Curiosity und andere Rover sowas überleben können. Jetzt hab ich die Antwort.

    Thx auch an Ole Phat Stu. 🙂

  7. Hallo Christiane!

    Seit gestern ist der Artikel in der Welt am Sonntag veröffentlicht. Danke für die Einblicke, die dort gewährt werden. Es wird deutlich, dass es – natürlich – weder Urlaubs- noch Ausflugscharakter hat, sondern eben Experiment und Forschungsarbeit. Gleichzeitig kommt für mich auch das Abenteuer rüber, was es letztlich auch ist. Sowohl technisch als auch sozial.
    Ich drücke die Daumen, dass alles gelingt. Denn ich halte es für eine sehr wichtige Vorarbeit für eine Marsmission.

    Mikka

    • Hallo Mikka! Vielen dank für die netten Worte! Noch läuft alles gut, das Daumendrücken hilft also 😉

  8. Liebe Christiane,

    Du schreibst, dass das Abendessen oft die erste Zeit ist zu der alle zusammen sind. Ich hätte ja eigentlich gedacht, dass sich 6 Personen in einem Habitat von 11 m Durchmesser (oder habe ich das falsch gelesen?) ständig über den Weg laufen, wenn nicht sogar im Weg stehen. 🙂
    Da Eure ‘Kämmerchen’ ja keine Schreibtische enthalten, ging ich davon aus, dass Ihr Euch mehr oder weniger ständig im Auge habt am Tag. Ist dieser Eindruck falsch?

    Viele Grüße, Sylvia

    • Hallo Sylvia,

      Natürlich sehen wir uns auch tagsüber, aber wenn wir nicht gerade an etwas zusammen arbeiten, geht jeder am Tag seine eigenen Wege. Man kann seinen Arbeitsplatz direkt neben jemandem haben, ohne mit dieser Person ein einziges Wort zu wechseln.
      Vor allem dient das Abendessen aber dazu, die GESAMTE Crew über Neuigkeiten zu informieren, weil das nun mal der Zeitpunkt ist, an dem wirklich alle an einem Ort sind.

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