Was tun gegen die Superbugs?
BLOG: Leaving Orbit
Was Astronauten mit ins All nehmen dürfen, ist normalerweise streng reglementiert und limitiert. Selbst ein krümelndes Sandwich kann schon unverhoffte Probleme verursachen. Ein noch viel größeres Problem stellen jedoch Dinge dar, die man auf den ersten Blick gar nicht sieht und die eigentlich überhaupt niemand mitnehmen möchte: Kankheitserreger.
Grippe, Herpes, Salmonellen & Co. sind schon unter irdischen Bedingungen nichts, was man seinem Nachbarn an den Hals wünschen würde. Im All können jedoch selbst diese vergleichsweise harmlosen Erreger ziemlich gefährlich werden. Mehrere Faktoren sind hierfür verantwortlich:
– Warum “Superbugs”? –
Erstens hat sich herausgestellt, dass längere Aufenthalte im All das Immunsystem der Astronauten schwächen. Stress, Strahlung und Schwerelosigkeit beeinträchtigen die Fähigkeit der Immunzellen, bestimmte Gene rechtzeitig zu aktivieren und so auf Viren, Bakterien, Pilze etc. zu reagieren. [1] [2] Obendrein verändert sich in der Schwerelosigkeit das Zytoskelett der Zellen. Sie verlieren somit an Motilität, können sich also nicht mehr aktiv fortbewegen, um die Pathogene aufzuspüren und zu vernichten. [3]
Dem gegenüber steht zweitens die Tatsache, dass viele Erreger (darunter übrigens auch Karies) unter Schwerelosigkeit noch virulenter werden als sie unter irdischen Bedingungen ohnehin schon sind. Im Fall von Salmonellose-Erregern konnten Forscher 2007 nachweisen, dass dies mit dem RNA-bindenden Protein Hfq zusammenhängt. [4] Hfq spielt sehr vereinfacht ausgedrückt den Vermittler zwischen kleiner RNA und Boten-RNA. Es reguliert so in vielen Bakterien die Genexpression unter Stressbedingungen. Darüber hinaus weisen Bakterien unter anhaltender Schwerelosigkeit dickere Zellwände auf, sind widerstandsfähiger gegen Bekämpfungsmittel, haben einen größeren Hang, einen Bakterienrasen zu bilden und weisen zudem eine längere Überlebenszeit in menschlichen Fresszellen auf. [5] Als ob das noch nicht genug sei, führt Schwerelosigkeit bei zahlreichen Bakterien überdies zu einer erhöhten Toleranz gegenüber veränderten Temperaturen, osmotischen Verhältnissen und pH-Werten. [6] Sie werden zu veritablen Super-Bakterien.
Drittens bringt es die Schwerelosigkeit mit sich, dass einmal vom Körper ausgestoßene Erreger nicht herabsinken wie auf der Erde. Stattdessen verbleiben sie schwebend mitten im Raum und werden durch das Belüftungssystem schnell in sämtlichen Modulen des Raumschiffs oder der Raumstation verteilt. Mit etwas Pech ist auch der Wasserkreislauf schnell betroffen. Die Ansteckung weiterer Besatzungsmitglieder ist somit buchstäblich vorprogrammiert.
Was durch die relative Nähe zur Erde auf der MIR, der ISS etc. noch relativ gut in den Griff zu bekommen ist, wird auf länger dauernden Missionen zu weiter entfernten Zielen zunehmend riskant. Es gibt an Bord nicht nur weniger Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten, sondern unter Umständen wird durch eine Infektion der Crew die gesamte Mission gefährdet. In der Vergangenheit traten unter 742 Crewmitgliedern auf 106 Flügen 29 ansteckende Infekte auf; alle Betroffenen hätte man aber notfalls innerhalb von ein paar Tagen aus dem All holen können. [5] Ein Flug zum Mars dauert allerdings mehrere Monate. Die verhältnismäßig rasche Versorgung mit sämtlichen irdischen Medikamenten oder gar ein Rücktransport der Betroffenen ist hier nicht mehr möglich.
– Was tun? –
Wenn Bekämpfung jedoch nur eingeschränkt möglich ist, erhält logischerweise die Prophylaxe einen großen Stellenwert. Man kann auf der einen Seite dafür Sorge tragen, dass von vornherein möglichst wenig Keime an Bord gelangen. Auf der anderen Seite muss man versuchen, die trotzdem vorhandenen bestmöglich in Schach zu halten.
Neben gründlichen Check-Ups, erweiterten Impfprogrammen und Quarantäne vor dem Flug (welche derzeit bereits praktiziert wird) spielt die mentale Vorbereitung der Astronauten eine große Rolle. Sie müssen mit den notwendigen rigiden Hygieneprogrammen nicht nur vertraut sein, sondern auch deren Sinn einsehen und sie langfristig befolgen. Verhaltensänderungen sind allerdings oft schwer zu erreichen bzw. durchzuhalten. Sie hängen unter anderem auch vom Aufwand der Maßnahmen ab, wie Verhaltensforscher Christoph Bördlein anhand diverser Studien hier darlegt. Wichtig ist also: Keep it simple! Im Fall einer tatsächlichen Infektion können je nach Ausmaß bzw. Notwendigkeit Maßnahmen vom Tragen einer Maske bis hin zur Isolierung des Erkrankten getroffen werden.
Auch das Vorbereiten und Anpassen der Raumfahrzeuge und -stationen selbst ist essenziell für die Infektionsvermeidung. Zum Beispiel sollten die Oberflächenmaterialien möglichst keimabweisend oder -tötend sein. Das gilt insbesondere für die Bereiche, die ständigen Berührungen ausgesetzt sind, wie Handgriffe, Tische, Instrumente, Toiletten und so weiter. Gleichzeitig darf das gewählte Material jedoch nicht giftig sein, muss eine lang anhaltende Wirkung aufweisen und gegen ein breites Spektrum von Keimen wirken, jedoch ohne zu viele Resistenzen zu provozieren. Belüftungs-/Klimaanlagen müssten so konzipiert sein, dass man im Notfall einzelne Segmente des Fahrzeugs bzw. der Station abkoppeln und separat betreiben kann, Wartung und Reinigung müssen ebenfalls stets unter höchstmöglichen Hygienestandards durchgeführt werden. (Als erste Richtschnur könnten hier beispielsweise die geltenden Vorschriften für Krankenhäuser, insbesondere deren Intensivmedizinbereiche, herangezogen werden.) Sämtliche Lebensmittel vorab zu bestrahlen, wäre ebenfalls eine Überlegung wert. Leider hätte dies jedoch auch Auswirkungen auf die Darmflora der Astronauten. Gelegentlicher Verzehr derart behandelter Lebensmittel ist nicht vergleichbar mit dauerhaftem und ausschließlichem Konsum. Hier muss also zunächst noch weiter geforscht werden, welche Vorgehensweise das größere Risiko bergen würde.
– Mögliche Nachteile der strengen Hygiene –
Bei allen Bemühungen um nahezu perfekte Hygiene an Bord stellt sich jedoch die Frage, welche Auswirkungen die langfristige Infektionsvermeidung auf die Astronauten haben könnte. In der Literatur finden sich Hinweise, dass nicht nur die Anzahl der Autoimmunerkrankungen steigen könnte [7], sondern auch die Gruppendynamik beeinflusst wird. [8] [9] Dies ist einleuchtend, denn es dürfte schwer fallen, wirklich “normal” miteinander umzugehen, wenn man im Gegenüber permanent eine potenzielle Krankheitsquelle sieht. Ebensowenig tut man sich einen Gefallen, wenn man zwar akute Erkrankungen vermeiden kann, sich stattdessen aber bleibende zuzieht.
Die Risiken von Infektionen, strikter Hygiene und den jeweiligen Konsequenzen müssen also gut gegeneinander abgewogen werden. Derzeit befinden wir uns zum Teil noch im Bereich der Spekulation. Bis eine wirklich informierte Strategie für längere Aufenthalte im All möglich sein wird, ist offensichtlich noch einiges an Forschung und weiteren Erfahrungswerten erforderlich.
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[1] “The Human Immune System in Space“, American Society for Biochemistry and Molecular Biology (ASBMB), April 2013
[2] Millie Hughes-Fulford, Jim Boonyaratakanakornkit et al.: ““Spaceflight alters expression of microRNA during T cell activation”“, The Journal of Immunology, 2011, 186, 109.16
[3] http://www.esa.int/Our_Activities/Human_Spaceflight/Research/Goldfinger
[4] J. W. Wilsona, C. M. Ott et al.: “Space flight alters bacterial gene expression and virulence and reveals a role for global regulator Hfq“, PNAS October 9, 2007 vol. 104 no. 41 16299-16304, doi: 10.1073/pnas.0707155104
[5] Leonard A. Mermel, “Infection Prevention and Control During Prolonged Human Space Travel“, Clin Infect Dis. 2013 Jan;56(1):123-30. doi: 10.1093/cid/cis861. Epub 2012 Oct 9.
[6] Jason A. Rosenzweig, Ohunene Abogunde et al.: “Spaceflight and modeled microgravity effects on microbial growth and virulence“, Appl Microbiol Biotechnol. 2010 January; 85(4): 885–891. Published online 2009 October 22. doi: 10.1007/s00253-009-2237-8
[7] H. Okada, C. Kuhn, H. Feillet, J.-F. Bach: “The ‘hygiene hypothesis’ for autoimmune and allergic diseases: an update“, Clin Exp Immunol. 2010 April; 160(1): 1–9. doi: 10.1111/j.1365-2249.2010.04139.x
[8] Fefferman, N.H. and K.L. Ng.: “The Effects of Disease Avoidance Behavior on
Organizational Success in Social Populations.” (In Vorbereitung)
[9] Megan Oaten, Richard J. Stevenson, Trevor I. Case: “Disease avoidance as a functional basis for stigmatization“, Published 31 October 2011 doi: 10.1098/rstb.2011.0095 Phil. Trans. R. Soc. B 12 December 2011 vol. 366 no. 1583 3433-3452
Die Sache mit den Autoimmunerkrankungen erinnert mich ja an ein altes Gerücht, dessen Fundierung zu prüfen ich nicht in der Lage bin, nämlich dass es ungeschickt ist, unser Immunsystem zu unterlasten [1]. Vielleicht sollte man den Damen und Herren einen Komposthaufen mitgeben, in dem sie sich einmal wöchentlich wälzen müssen [2].
Spannend, dass Du schon so viele erforschte Mechanismen gefunden hast, die zu Problemen mit Krankheitserregern führen. Hatte nicht erwartet, dass da so viel bekannt ist [3].
[1] Ich las mal, und natürlich habe ich die Quelle nicht notiert (Kommentieren ist viel einfacher als Bloggen :), dass eine Katze im Haushalt bei Kinder die Allergiewahrscheinlichkeit erhöhe, ab zwei Katzen würde sie sinken.
[2] Tetanusimpfung ist natürlich trotzdem nötig.
[3] Danke 🙂
So hundertprozentig ist auch noch nicht geklärt, wie sich extreme Hygiene auf das Immunsystem auswirkt. Hieb- und stichfeste Beweise finden sich bisher nur bei Tierstudien, soviel mir bis jetzt bekannt ist. Der Rest ist noch viel Korrelation mit unbekannter Kausalität. Zitat aus der Studie unter Fußnote [7]: “In brief, there is an increasing amount of data showing that microbiota changes could contribute to the modulation of immune disorders but evidence is still slim, except in IBD.” Aber der Verdacht liegt in der Tat nahe, ja.
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