Raumfahrzeuge für Interstellarreisen – II –

BLOG: Leaving Orbit

Raumfahrt im 21. Jahrhundert
Leaving Orbit

Wie sich im ersten Teil dieses Postings gezeigt hat, wäre ein Schiff zu einem anderen Sonnensystem in jedem Fall ein Generationenschiff und müsste einigen tausend Menschen über mehrere Jahrhunderte hinweg eine Lebensbasis bieten.

Es gibt zwar Überlegungen, die Schiffe mit gefrorenen Embryonen oder erwachsenen Menschen in Stasis zu bemannen (sog. Schläferschiffe), jedoch gibt es bisher noch keinerlei Möglichkeit, Embryonen außerhalb des Mutterleibes voll auszutragen und vor allem anschließend ohne menschliche Unterstützung zu körperlich, psychisch und kognitiv voll entwickelten Frauen und Männern heranwachsen zu lassen. Bei der Stasismethode sehe ich wiederum Probleme mit dem Zustand der Besatzung nach derart vielen Jahren. Die Erfahrungen mit langjährigen Komapatienten nach deren Erwachen legen meines Erachtens den Schluss nahe, dass mit erheblichen körperlichen und kognitiven Defiziten zu rechnen wäre, welche den erfolgreichen Abschluss der Mission in Frage stellen würden. Darüber hinaus wäre an Bord solcher Schiffe die Instandhaltung komplett von einer Selbstanalyse und -reparatur des Systems abhängig. Es würde ein beträchtliches Risiko für den Erfolg der Mission darstellen, sich hierauf über Jahrhunderte hinweg verlassen zu müssen. Die am meisten Erfolg versprechende Methode dürfte derzeit also noch immer eine “normal” lebende Besatzung sein.

Hieraus ergeben sich die Grundanforderungen wie Sauerstoffversorgung, Nahrung, Behausung, medizinische Versorgung, Industrie etc., die an ein derartiges Raumfahrzeug gestellt werden, unabhängig von seinem ultimativen Zweck am Zielort. Benötigt werden also mindestens zwei Komponenten: Antrieb und Habitat.

Antrieb
Als Antrieb wären aktuell Sonnensegel, Ionenantrieb (siehe auch => hier) und ggf. zusätzliche gravitationsgestützte Antriebe möglich. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktionweise kann hier kein allgemeingültiges Design bzw. Position in der Konstruktion angegeben werden. Es sei nur angemerkt, dass sie allesamt weit langsamer als die für die Zukunft angestrebten 1% Lichtgeschwindigkeit sind. Ein Ionenantrieb ermöglicht derzeit nur ca. 150.000 km/h. Damit würde eine Reise zu Proxima Centauri über 3.000 Jahre dauern. Sonnenwind bietet zwar hohe Geschwindigkeiten, hat jedoch den Nachteil, dass er nur eine Reichweite von ca. 4 Plutobahnradien aufweist. Ähnliches gilt für den gravitationsgestützten Antrieb: Ohne Himmelskörper keine Gravitation. Sollte die Menschheit jedoch jemals ein Generationenschiff bauen, so ist davon auszugehen, dass sich bis dahin auch eine geeignete Antriebsart gefunden hat. Dies legen wir also als Annahme für den weiteren Text zugrunde. Vielversprechende Ansätze werden hier recht anschaulich erklärt: Erkenntnishorizont, “Antriebe Morgen”

Habitat

By Don Davis (NASA Ames Research Center (ID AC76-0525))
By Don Davis (NASA Ames Research Center (ID AC76-0525), CC BY-NC 3.0 US)
Eines der momentan favorisierten Designs für das Habitat ist der sogenannte “Stanford Torus” in diversen Formen. Ihn muss man sich prinzipiell wie einen innen hohlen Ring oder Doughnut vorstellen, in dessen Hohlraum die Komponenten der Biosphäre angesiedelt sind.

Wie eine derartige Biosphäre von innen aussehen könnte, zeigen => diese Ilustrationen besonders anschaulich.

Ein anderes, prinzipiell ähnliches Design findet sich im Wayland report (PDF):

“The habitable volume of space vehicles will (…) consist of pressurised modules at the ends of long arms on which they rotate about the centreline of the vehicle, together with another module on the centreline offering weightless conditions, this configuration being more economical of mass than a rotating cylinder or torus.” (Eine Skizze befindet sich auf Seite 2. des Dokuments)

Beide Entwürfe haben gemeinsam, dass das Habitat jeweils um eine Mittelachse rotiert, um Gravitation zu simulieren. Dies ist notwendig, um Muskel- und Knochenschwund sowie Herz- und Kreislaufschwächen sowie weitere unerwünschte Anpassungen des Körpers an die Schwerelosigkeit zu vermeiden. Die Anordnung um eine Mittelachse ermöglicht auch das Einrichten von Zonen mit geringerer bzw. ganz ohne Schwerkraft, je mehr man sich durch die Verbindungsstege der Mittelachse des Raumfahrzeugs nähert.

Jeder der Entwürfe bietet jedoch trotz dieser Gemeinsamkeiten unterschiedliche Vor- und Nachteile. Auch wenn er nach bisherigen Berechnungen weniger wirtschaftlich wäre, könnte man z.B. dennoch dem Torus den Vorzug geben, da man davon ausgehen kann, dass sein großer Durchmesser ein besseres Gefühl von Weite vermitteln würde. Er wäre somit der Psyche der Besatzung zuträglicher, als eine Anzahl einzelner kleinerer Habitate. Dieser Faktor ist bei einer derart langen Reise nicht zu vernachlässigen, denn anders als bei kurzen Trips ins All kann man bei einem Generationenschiff die Besatzung nicht auf Jahrhunderte im voraus auf ihre psychische Eignung testen. Den einen oder anderen Klaustrophobiker wird es an Bord also zwangsläufig irgendwann geben. Auch der Transport von Waren und Lebewesen innerhalb der Biosphäre wäre im Torus leichter umzusetzen. Hinzu kommt im Torus ein geringeres Risiko, dass sich an Bord einzelne “Nationen” bilden und voneinander abgrenzen. Andererseits stellt eine Aufteilung des Habitats auf mehrere Einzelmodule, wie beim Wayland-Modell, wiederum eine Risikominderung dar und wäre von Vorteil, falls es auf dem Flug zu Beschädigungen kommen sollte.

Die Verbindungsstreben von der Peripherie zum Zentrum stellt sich der Autor des Wayland-Reports folgendermaßen vor:

“The arms need to have either a pressurised tunnel for access to the centre, or small lift cars which run up and down; here the latter is assumed. A system for pumping ballast water between the centre and the periphery maintains the centre of gravity at the geometrical centreline, minimising wear on the bearings (if any) of the rotating structure and holding the centreline steady for ferry vehicles to dock. (…) suitable arm length and spin rate have yet to be determined by practical tests. Too short a lever arm or too fast a rate of spin will presumably make the occupants giddy and nauseous.”

Ich persönlich fände es sinnvoll, nach Möglichkeit die einzelnen Habitat-Elemente auch seitwärts noch untereinander zu verbinden. Erstens, um im Beschädigungsfall noch schneller evakuieren zu können. Zweitens, um mehr Interaktion zwischen den Habitaten zu ermöglichen. Ob dies vom Gesichtspunkt der Stabilität aus jedoch machbar ist, entzieht sich meiner Kenntnis.

Material
Es stellt sich die Frage, aus welchen Materialien ein solches Raumfahrzeug gebaut werden müsste, um sowohl die nötige Lebensdauer zu gewährleisten als auch reparierbar zu bleiben. Neben den herkömmlichen Metallen und Mineralien, die man während der Reise auch aus Asteroiden etc. gewinnen könnte, wäre es von Vorteil, ergänzend auch auf “intelligente”, und/oder sich selbst regenerierende Werkstoffe zurückzugreifen [1]:

“Perhaps it is possible to use the innate “force” of different kinds of materials to create an artificial nature, which can shape streams of material flow to create a living interior that is capable of regeneration and is not simply waiting to be consumed by its human colony.” (Rachel Armstrong: “Designing a Sustainable Interstellar Worldship

Hier würden sich lt. Armstrong beispielsweise Protozellen ebenso anbieten wie andere Stoffe aus der sogenannten synthetischen Biologie. Mit dem “Project Persephone” hat man bereits begonnen, diese Möglichkeiten auszuloten.

Auch Reparaturen am Raumschiff sollten nach Möglichkeit automatisch durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass jederzeit ein Maximum aller Komponenten intakt und funktionstüchtig ist:

Due to its size and trip duration, world ship reliability is a vital feasibility issue as well. From a rough analysis using current spacecraft reliability data and the Deadalus mass breakdown model, it was concluded that 99.99% reliability is very difficult to achieve and an automated repair facility is required. [2]

Nichtsdestotrotz benötigt man an Bord jederzeit eine angemessene Anzahl qualifizierter Fachleute, die die Reparaturarbeiten überwachen und nötigenfalls korrigieren können und zudem ihr Wissen an die nächsten Generationen weitergeben. Der Faktor “Mensch” ist auch hier unverzichtbar.

Strahlenschutz

Galaxie
Bildquelle: NASA, CC BY-NC 3.0 US

Wo auch immer an Bord sich Lebewesen befinden, muss zudem eine Abschirmung gegen kosmische Strahlung gewährleistet sein. Während wir auf der Erde durch Atmosphäre und Magnetfeld gegen diese Strahlung relativ gut abgeschirmt sind, trifft uns im All die ca. 100- bis 200fache Dosis. Abhilfe schaffen könnte hier beispielsweise ein Schild aus Plasma:

“Wie eine Blase soll das Gas aus geladenen Teilchen dabei den Teil des Raumschiffs umgeben, in dem die Besatzung untergebracht ist. Das damit verbundene Magnetfeld wäre ein ebenso effektiver Schutz vor kosmischer Strahlung wie eine mehrere Zentimeter dicke Aluminiumschicht, würde jedoch lediglich ein paar Gramm wiegen.”
Quelle: http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/267551

Plasmaschilde sind jedoch nur für einige Konstruktionen eine Option. Ob die Form eines Stanford-Torus mit dieser Methode kompatibel ist, bezweifle ich persönlich. Denkbar wäre in solchen Fällen evtl. eine Art “Zwischenwand” aus Wasser[3] bzw. Eis oder anderem abschirmendem Material in der Hülle des Raumschiffs, falls diese nicht an sich schon dick genug sein sollte.

Wie man sieht, stellt ein Raumschiff für interstellaren Personentransport gänzlich andere Ansprüche an das Design als beispielsweise eine Raumstation. Bei voraussichtlichen Ausmaßen von mehreren bzw. mehreren Dutzend Kilometern in Länge und Breite, fallen bei Raumschiffen insbesondere Widerstandsfähigkeit, möglichst schnelles Fortkommen und Manövrierbarkeit mehr ins Gewicht als bei Stationen im Orbit. Ebensowenig wie man eine Raumstation als Raumschiff nutzen kann, ist dies jedoch auf längere Zeit umgekehrt möglich.

Zusätzliche Nutzlast
Je nach Zweck der Mission muss neben dem Habitat auch Raum für Materialien, Transportmittel und Werkzeuge zur Verfügung stehen. Egal ob der Zweck der Mission darin besteht, lediglich eine Raumstation zu bauen, einen Planeten bewohnbar zu machen, oder einen bereits bewohnbaren Planeten direkt zu besiedeln – es werden auf jeden Fall Vorarbeiten wie Tagebau und Weiterverarbeitung der gewonnenen Rohstoffe anfallen, für die man bei der Ankunft bereits ausgerüstet sein sollte. Höchstwahrscheinlich muss man in fast jedem Fall auch zunächst eine Raumstation im Orbit errichten, von der aus man die Besiedelung der neuen Kolonie vorantreiben und koordinieren kann.

All dies dürfte nach der Reise nochmals mehrere Jahrzehnte vor Ort in Anspruch nehmen. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Zwischenschritte nicht evtl. auch vorab von unbemannten Sonden erledigt werden können. Von sogenannten “Precursor Probes”, die man dem eigentlichen Generationenschiff voraus schickt, um selbst erst dann am Ziel anzukommen, wenn die neue Kolonie bereits konstruiert und bewohnbar gemacht wurde. Wenn Roboter inzwischen schon Hochhäuser bauen, warum nicht auch ganze Raumstationen? Diese Vorgehensweise wäre kaum kostenintensiver als der eigenhändige Neubau vor Ort. Es wäre sogar denkbar, in zeitlichem Abstand mehrere dieser Sonden vorauszuschicken. Z.B. eine, die zunächst Terraforming betreibt, dann eine zweite, die die Kolonie aufbaut. Anschließend würde das eigentliche Schiff folgen, dessen Besatzung ihr Ziel direkt besiedeln könnte.

Kommunikation

Lunar Atmosphere and Dust Environment Explorer
LADEE – Quelle: NASA, CC BY-NC 3.0 US

Leider hat diese Sache einen recht großen Haken: Die Kommunikation zwischen Proben, Schiff und Erde. Nicht nur ist die Übermittlung bisheriger Radiosignale störanfällig, sondern man kann diese Signale zudem über diese Entfernung schlicht zu schlecht fokussieren. Falls die Sonde oder das Schiff unterwegs oder vor Ort auf irgendwelche Schwierigkeiten stoßen sollte, würde man es vermutlich nie erfahren. Selbst Relais-Stationen wären bei der benötigten Anzahl auf einer derartigen Strecke leider keine Option.

Auch Kommunikation per Laser fällt leider raus. Auf eine Distanz von mehreren Lichtjahren kann man mit den bisher zur Verfügung stehenden Kenntnissen und Techniken keinen Laser akkurat genug ausrichten, um damit noch das Ziel zu erreichen.[4]

Fazit
Angesichts all dieser Schwierigkeiten stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt lohnt, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen. Fest steht m. E., dass einem derartigen Unterfangen langjährige Erfahrungen mit Biosphären in kleinerem Maßstab vorausgehen müssen. Denkbar wäre vielleicht zunächst ein Raumschiff, das sich nur innerhalb unseres eigenen Sonnensystems bewegt und dessen Besatzung man ggf. evakuieren und zur Erde zurücktransportieren könnte. Selbst wenn am Ende solcher Experimente kein Interstellar-Raumschiff stehen sollte, würden sie doch unschätzbar wertvolle Einblicke in die “Funktionsweise” von Öko- und Sozialsystemen liefern.*) Das wiederum führt höchstwahrscheinlich nebenbei zu nützlichen Spinoffs und hoffentlich besserem Umweltschutz für das terrestrische Leben.

Wie man sieht, handelt es sich beim Thema Schiffe für die interstellare Raumfahrt um ein sehr großes Themengebiet, das in ein oder zwei Blogposts nur angerissen werden kann. Eigentlich würde jeder einzelne angesprochene Aspekt einen eigenen Eintrag verdienen. Ich freue mich daher über Hinweise in den Kommentaren, welche Teilbereiche für meine Leser am interessantesten sind, so dass ich diese ggf. aufgreifen und detaillierter darstellen kann.
—————

*) Das Buch “Psychology of Space Exploration” kann man sich => hier übrigens als PDF herunterladen.

[1] http://news.discovery.com/space/private-spaceflight/project-persephone-icarus-interstellar-100yss-120920.htm

[2] http://www.academia.edu/2111006/A.M._Hein_M._Pak_D._Putz_C._Buhler_P._Reiss_World_Ships_-_Architecture_and_Feasibility_Revisited_

[3] Vielen Dank für den Hinweis an Lars Fischer

[4] http://www.academia.edu/2086485/Interstellar_Communication_Techniques_for_Long_Range_Mission_Spacecraft
sowie http://news.discovery.com/space/project-icarus-interstellar-communications-120206.htm

Avatar-Foto

Ute Gerhardt hat nach dem Abitur einen B.A. in Wirtschaft, Sprachen und Politik an der Kingston University sowie eine Maîtrise in Industriewirtschaft an der Universiät Rennes abgeschlossen. Seit 1994 arbeitet sie in der Privatwirtschaft, derzeit im IT-Bereich. Ute hat zwei Kinder (*2005 und 2006) und interessiert sich neben Raumfahrt und Astronomie auch für Themen aus den Bereichen Medizin und Biologie.

1 Kommentar

  1. Pingback:Mars One – “Big Brother” auf dem Nachbarplaneten › Leaving Orbit › SciLogs - Wissenschaftsblogs

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +