Ausgerechnet Tomaten

Quelle: NASA

Algen, Bakterien und Urin. Das klingt wie eine Mischung, die man zwar loswerden, nicht aber für viel Geld ins All schießen möchte. Die DLR und die Universität Erlangen sehen das anders. Nimmt man nämlich noch einen Satelliten und ein paar Tomatensamen mit dazu, wird aus dieser Kombination ein spannendes Experiment: “Eu:CROPIS” (Euglena and Combined Regenerative Organic-Food Production in Space) soll umfassende Erkenntnisse für den Anbau von Nutzpflanzen für Langzeitmissionen oder auch auf Himmelskörpern wie Mond oder Mars liefern.

Wie schon beim ebenfalls kurz bevorstehenden Lunar Plant Growth Experiment der NASA geht es auch bei dieser Mission darum, das Wachstum von Nutzpflanzen bei unterschiedlicher Gravitation zu erforschen. Gleichzeitig möchten die Forscher jedoch auch herausfinden, wie das optimale Urin-Recyclingsystem samt Wasserkreislauf aussehen müsste, welches man auf Langzeitmissionen in kompakten Fahrzeugen benötigt.

Es gibt aber noch einen fundamentalen Unterschied zum LPGE der NASA. Wie Jens Hauslage, der Verantwortliche bei der DLR erklärt, wurde für Eu:CROPIS mit den Tomaten eine Pflanze gewählt, von deren Bestandteilen lediglich die Früchte essbar sind. Entscheidend ist also im Gegensatz zu NASAs Schaumkresse und Rüben nicht nur Keimung und gutes Wachstum, sondern auch erfolgreiche Befruchtung und eine brauchbare Ernte. Dass dies im All problematisch sein kann, haben bereits frühere Studien bewiesen. Nicht nur fehlen Insekten und Wind als Bestäubungshilfe; die geringere Gravitation beeinträchtigt zudem die Entwicklung der sogenannten Pollenschläuche. [1] Dennoch wird man aus ernährungstechnischen Gründen gerade auf Langzeitmissionen um derartige Pflanzen nicht herum kommen. Salat, Rüben & Co. sind auf die Dauer schlicht zu einseitig und zu wenig gehaltvoll.

(E.t.a.: Wie Mona ganz richtig in den Kommentaren erwähnt, sind die Blüten immerhin einer Reihe von Blühpflanzen so beschaffen, dass sie sich selbst befruchten können. Die Tomaten gehören zu dieser Gruppe.) Zum Einsatz kommt bei dieser Mission die Zwergtomate „Micro-Tina“.* Sie trägt nicht nur qualitativ hochwertige Früchte, sondern sie ist physisch robust, klein, resistent gegen eine Reihe der gängigen Tomatenkrankheiten, blüht früh und lässt ihre Früchte zudem auch schneller reifen als die meisten anderen Sorten. Das ist hilfreich, um die Dauer des Experiments auf ein Minimum zu reduzieren bzw. früh Ergebnisse zu erzielen. Micro-Tina ist also quasi die perfekte Pflanze für’s Weltall.

Zwei Gewächshäuser an Bord des Satelliten beherbergen in identischem Versuchsaufbau Substrat, Wassertank und Filter, Tomatensamen, künstlichen Urin als Dünger und – noch ein Unterschied zum LPGE – einen Tank mit einzelligen Algen. Konkret: Euglena gracilis, die über eine Leitung durch den mit Mikroorganismen durchsetzten Rieselfilter geschickt werden:

“Das Gewächshaussystem hält alle Nährstoffe bereit, die die Tomatenpflanzen benötigen: Das Wasser kommt aus einem Tank, der Dünger wird vor Ort hergestellt. In regelmäßigen Abständen wird dem Kreislauf künstlicher Urin zugeführt, der mithilfe von Bakterien im Filter zu dem benötigten Nitrat abgebaut wird.

Hier kommt Euglena gracilis, die einzellige Alge, ins Spiel: Denn bevor aus Urin Nitrat entsteht, wird das für Pflanzen giftige Ammoniak gebildet. Durch den Urin erhöht sich zunächst also der Ammoniak-Spiegel im Wasser. Die Filterbakterien bauen das Ammoniak zwar auch ab, allerdings nur langsam. Die Tomaten könnten in dieser Zeit an dem Gift Schaden nehmen. Euglena soll den Bakterien nun beim Abbau des Ammoniaks unter die Arme greifen.”
Dr. Sebastian Strauch, FAU

In den beiden Gewächshäusern wird nacheinander jeweils ein eigenes Experiment durchgeführt: Der Satellit wird in Rotation versetzt und simuliert auf diese Art in Experiment 1 die Schwerkraft des Mondes (0,16 x g) und in Experiment 2 die Schwerkraft des Mars (0,38 x g). Um herauszufinden, welche Gene am Anpassungsprozess der Tomaten und der Euglena beteiligt sind bzw. welche Gene sich durch die Mikrogravitation evtl. gar verändern, installieren die Forscher auch ein PCR-Gerät für fortlaufende Analysen. Des weiteren befindet sich ein Ionenchromatograph zur Analyse der Stoffkreisläufe an Bord und insgesamt 32 Kameras werden das Wachstum der Pflanzen und das Verhalten der Algen überwachen. Darüber hinaus verfolgen diverse Sensoren u.a. die Entwicklung von pH- und Sauerstoffwerten.

Währenddessen sollen unabhängig davon auch noch weitere Experimente laufen:

“Das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin nutzt den Flug ins All für die Langzeitmessung der Weltraumstrahlung mit den Strahlungsdetektoren RAMIS (Radiation Measurement in Space). Das Strahlungsfeld im Weltraum ist gerade bei Langzeitaufenthalten im Weltall nicht nur für Astronauten ein limitierender Faktor, sondern wirkt auch auf jedes andere biologische System – seien es Pflanzen, Tiere oder Mikroorganismen. Mit RAMIS messen die DLR-Strahlenbiologen deshalb sowohl an der Außenwand als auch im Inneren des Satelliten das Strahlenfeld. Die Daten sollen sowohl als Grundlage für die Weiterentwicklung von Modellen des Strahlenfelds dienen als auch die Höhe der Strahlungsdosis erfassen, die während des Flugs auf die Eu:CROPIS-Lebensgemeinschaft einwirkt. Die amerikanische Weltraumbehörde NASA führt ein Experiment zur Photosynthese-Messung an Algen mit.” [2]

Der ungefähr 250 Kilogramm schwere Eu:CROPIS-Satellit soll im Frühjahr 2016 von Kalifornien aus ins All geschossen werden und in ca. 600 km Höhe ein Jahr lang aktiv bleiben. Er wird anschließend in der Erdatmosphäre verglühen. [2]

Langzeitmissionen, für die derartige Systeme in ausgereifter Form benötigt werden, liegen natürlich noch in relativ ferner Zukunft. Dennoch werden die Experimente der Eu:CROPIS-Mission vermutlich durchaus unmittelbar von Nutzen sein. So können die Erkenntnisse bzgl. der Euglena wahrscheinlich auch in der terrestrischen Landwirtschaft genutzt werden, um die güllebedingte Ammoniakbelastung von Böden zu reduzieren. Darüber hinaus bieten die extra für diese Mission konstruierten, super-kompakten Versionen des PCR-Gerätes und des Chromatographen ebenfalls irdische Anwendungsmöglichkeiten, z.B. beim raschen Nachweis von Krankheitserregern, veränderten Genen oder bei der Überwachung der Trinkwasserqualität in Brunnen. Der erwähnte Rieselfilter (C.R.O.P.) ist offenbar sogar bereits im Einsatz – an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn:

 

* (Wer sie selbst einmal aussäen möchte und über Kontakte zu Lehrern in den USA verfügt, kann die Samen im Internet erwerben.)

[1] http://www.livescience.com/27868-plant-sex-zero-gravity.html
[2] http://www.dlr.de/dlr/desktopdefault.aspx/tabid-10258/368_read-10095#gallery/14438

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Ute Gerhardt hat nach dem Abitur einen B.A. in Wirtschaft, Sprachen und Politik an der Kingston University sowie eine Maîtrise in Industriewirtschaft an der Universiät Rennes abgeschlossen. Seit 1994 arbeitet sie in der Privatwirtschaft, derzeit im IT-Bereich. Ute hat zwei Kinder (*2005 und 2006) und interessiert sich neben Raumfahrt und Astronomie auch für Themen aus den Bereichen Medizin und Biologie.

11 Kommentare

  1. Nun, wenn Elon Musk seinen Lebensabend auf dem Mars verbringen will, so sind diese Versuche des Pflanzenanbaus unter Bedingungen erniedrigeter Gravitation nicht nur für (Zitat) “Langzeitmissionen” sinnvoll, sondern eben auch für zukünftige Kolonien auf dem Mars oder Mond.
    Allerdings bin ich nicht so optimistisch, was das komplexe Wechselspiel von Pflanzen und Ammoniak verstoffwechselnden Mikroorganismen angeht. Aus Erfahrungen aus meinem Umfeld schliessend können beispielsweise Aquarien, wenn nicht fachmännsich gepflegt, umkippen und auch das Experiment Biosphäre 2 , ein Versuch, eine komplette Lebenswelt abgeschlossen von der Umgebung aufrechtzuerhalten, endete in “Degenerationserscheinungen”.

  2. @Martin Holzherr: Die Mars- und Mondkolonien werden im 1. Abschnitt bereits berücksichtigt: “.. oder auch auf Himmelskörpern wie Mond oder Mars…”

    Im Bereich Aquarien habe ich auch schon einige Erfahrung. Bisher ist mir noch keines meiner vier Becken je gekippt, von daher bin ich etwas optimistischer als Sie, was das Experiment angeht. Allerdings bleiben natürlich die Ergebnisse abzuwarten, und es ist klar, dass das auch durchaus schiefgehen kann, selbstverständlich.

  3. “nur fehlen Insekten und Wind als Bestäubungshilfe”

    Im Labor gezüchtete Pflanzen werden deshalb häufig mit einem Pinsel bestäubt. Bei Tomaten ist das allerdings nicht notwendig, da Tomatenblüten zwittrig sind und der weibliche und der männliche Teil der Blüte sehr nah beieinanderliegen. Es reicht aus, wenn die Pflanzen ein wenig geschüttelt werden, um sie während der Blüte zu bestäuben. Die Befruchtung dürfte also weniger das Problem sein, anders sieht es natürlich mit dem angesprochenen Filtersystem aus. Die kleinen Tomaten sollen ja nicht nur gedeihen, sondern auch genießbar sein. Was wäre beispielweise, wenn ein Teil der Mannschaft auf einem Raumschiff krank wird und Medikamente einnehmen muss, die finden sich dann ja z.T. im Urin wieder.

    Zur Veranschaulichung: http://www.tomatengarten.de/HP06/be05.jpg

    • @Mona: Der Kommentar bzgl. Wind und Insekten war auch eher generell gemeint. Dass eine ganze Reihe von Blühpflanzen und vor allem die Tomaten auch ohne auskommen, ist natürlich klar, sonst wäre das Experiment von vornherein sinnlos. Ich habe das jetzt mal im Text ergänzt; vielen Dank für den Hinweis!

      Man hat sich allerdings bei den meisten bisherigen Versuchen zum Pflanzenwachstum im All auf Pflanzen beschränkt, bei denen die Blüte bzw. Frucht nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ziel der Forschung war hauptsächlich, überhaupt Keimfähigkeit und Wachstum zu untersuchen. Bei den Blühpflanzen, die man im All befruchtet hat, haben allerdings die Astronauten nachgeholfen.

      Sollten jedoch später einmal Kolonien auf Monden und anderen Planeten ins Spiel kommen, würden die Faktoren Wind und/oder Insekten jedoch wieder eine goße Rolle spielen. Denn mit wachsender Anzahl und vor allem zunehmender Vielfalt der angebauten Pflanzen können Menschen mit Pinseln das irgendwann nicht mehr kompensieren. Je länger eine Mission dauert – also erst recht bei der dauerhaften Besiedelung fremder Himmelskörper – desto mehr muss man anbauen und desto weniger kann man auf die Pflanzen verzichten, die die Befruchtung nicht alleine hinbekommen.

      • Die Getreidearten, wie zum Beipiel Weizen, Roggen, Hafer oder Mais sind Windblütler, und benötigen daher keine Insekten zu ihrer Bestäubung.

        Die Kartoffeln werden durch ihre Knollen vermehrt, was die Bestäubung ihrer Blüten entbehrlich macht.

        Kernlose Früchte entstehen durch Parthenokarpie ohne vorherige Befruchtung.

        Die Parthenokarpie ist bei Äpfeln, Birnen, Trauben, Feigen, Ananas, Zitrusfrüchten und Bananen verbreitet, kann aber auch durch die Behandlung von Blüten mit Auxin bei anderen Pflanzen künstlich herbeigeführt werden.

        Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel kernlose Tomaten, Gurken und Auberginen ziehen.

        Auch die Sojabohne ist in der Regel selbstbefruchtend.

  4. Vorab eine Prognose: Vor 2050 wird das nix mit der bemannten Marsmission.

    Und wie kommt man auf die Idee, zukünftig Landwirtschaft im All zu betreiben? Mein Gott, diese extrem ineffiziente Technik zur Nahrungsmittelversorgung ist doch jetzt schon über 10 000 Jahre alt. Da ist es doch an der Zeit, dass endlich mal was Neues kommt.

    Im Prinzip ist es doch ganz einfach. Da haben wir erst mal die fantastischen Vier(Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff):

    95% unseres Körpers besteht aus diesen vier Elementen. Ein paar Spurenelemente kommen noch dazu.

    Auch unsere Nahrung besteht aus diesen Elementen. Das was wir ausscheiden besteht aus genau denselben Elementen, nur liegen sie halt dann in solchen Verbindungen vor, die wir nicht mehr essen können.

    Da liegt es doch nahe, dass wir unsere Ausscheidungen mit Hilfe der Nanotechnologie wieder zu essbaren Verbindungen zusammensetzen und nicht über diesen total ineffektiven Umweg über die Natur.

    Zusatzprognose zu oben: Noch bevor der Mensch zum Mars wird fliegen können, wird er in der Lage sein, künstliche Nahrung herstellen.

    Konkretisierte Zusatzprognose: Erst wenn er künstliche Nahrung wird herstellen können, wird er zum Mars fliegen können.

    Wozu also Tomaten???

  5. @W.G.

    Bereits heute kann man Nahrungsmittel künstlich herstellen, nur stehen die Kosten in keinem Verhältnis zum Nutzen. Da ist die “gute alte Natur” einfach effizienter als Labors und Petrischalen.

  6. @W.G.

    Ich als Chemiker bin ja sehr skjeptisch, was die direkte Herstellung von auch nur halbwegs essbaren Dingen aus Abfallstoffen angeht. Mit Nanotechnologie schon mal gar nicht. Da bräuchte man eine komplette großtechnische Raffinerie für, mit fortgeschrittener Chemie- und Biotechnik. Tomaten dürften bei allen Schwierigkeiten noch weitaus einfacher sein…

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