Sind Tiere auch Menschen?

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Unsere Umwelt zwischen Kultur und Natur
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Die Wissenschaft hat bekanntlich nicht nur aufklärend gewirkt, sondern auch einen neuen Aberglauben hervorgebracht, nämlich den an die Wissenschaft, heute insbesondere die Naturwissenschaft. Während früher der Aberglaube vornehmlich darin bestand, etwas zu glauben, was den Erkenntnissen der Naturwissenschaft zufolge nicht möglich ist, besteht er heute vornehmlich darin, der Naturwissenschaft Antworten auf Fragen zuzutrauen, die prinzipiell außerhalb ihrer Reichweite liegen. Das folgende ist ein Beispiel dafür, auch wenn diejenigen, die so denken, wie es in dem Beispiel vorgeführt wird, in der Wissenschaft und speziell der Naturwissenschaft eher die Wurzel allen Übels zu sehen pflegen. Iris Radisch schrieb auf Zeit-Online:

„An den praktischen Glauben, dass es die abgrundtiefe Dummheit des Tieres sei, die es zum Nahrungsmittel degradiert, können wir heute nicht mehr so einfach festhalten …. Früher … konnte man einfach sagen: Ich habe Verstand, das Schwein hat keinen. Damit war alles geklärt. Das Schwein landete auf dem Teller … Im Grunde wissen wir es, wollen es aber lieber nicht wissen: Die Unterschiede zwischen Mensch und Tier sind eigentlich nur gradueller, keinesfalls prinzipieller Natur. Wir beide sind instinktgesteuert, kennen die Geheimnisse der Fortpflanzung und der Brutpflege, empfinden Schmerzen, wenn man uns quält, haben Angst, wenn man uns einsperrt, werden krank, wenn man uns Futter, Licht und Lebensraum beschneidet, und sind außer uns vor Schrecken, wenn man uns töten will. Natürlich bleiben noch immer ein paar entscheidende Unterschiede übrig. Der Automobilbau, das Bücherschreiben, die Euro-Krise zum Beispiel. Aber diese Unterschiede sind in keinem Fall so entscheidend, dass in ihnen ein Freibrief zum beliebigen Töten Platz hat.

Was soll man da machen? Den Tieren Bürgerrechte einräumen? Das würde sie dann doch überfordern. Es reicht völlig aus, ihnen Lebensrechte zu gewähren. Ich könnte mir vorstellen, dass es eines gar nicht so fernen Tages mit dem Massenschlachten so kommen wird, wie es mit der Kinderarbeit oder dem Frauenwahlrecht kam. Man wird es moralisch unhaltbar finden, unsere Mitgeschöpfe wie Schlachtvieh zu behandeln, so wie man es eines Tages für unanständig hielt, ein kleines Kind für uns arbeiten zu lassen oder die Frauen aus dem öffentlichen Leben auszuschließen ….“

Die Autorin könnte sich also vorstellen, daß es eines gar nicht so fernen Tages mit dem Massenschlachten so kommen wird, wie es mit der Kinderarbeit oder dem Frauenwahlrecht gekommen ist. Ich könnte mir das auch vorstellen. Doch ebenso könnte ich mir vorstellen, daß es mit den Frauen und Kindern und überhaupt den Menschen eines gar nicht so fernen Tages so kommen wird, wie es mit den Tieren gekommen ist: Sie werden Opfer des Massenschlachtens und man findet das ganz in Ordnung. Es kann so kommen, es kann auch anders kommen. Für die Frage, die die Autorin umtreibt, ist es aber völlig egal, wie es kommen wird.

 

Das ist der erste dicke Fehler in dem Text: Die Autorin versucht die Frage nach dem, was moralisch richtig ist, zu beantworten, indem sie eine Vermutung darüber anstellt, was man für moralisch richtig halten wird. Beides hat aber gar nichts miteinander zu tun. Ob man nun (sei es wieder, sei es immer noch) das Massenschlachten von Menschen für moralisch richtig halten wird oder nicht, ob man das Massenschlachten von Tieren für richtig halten wird oder nicht – über die Frage, ob es richtig ist, entscheiden nicht Mehrheiten, entscheidet nicht das Man. Mehrheiten können irren, alle können irren. Alle meinten, die Erde sei eine Scheibe, alle haben sich geirrt.

Da hat der Zeitgeist natürlich sofort einen Einwand: Hier handelt es sich um ein empirisches Faktum. Die Wissenschaft ist dazu da, Behauptungen über empirische Fakten zu prüfen. Wenn eine Auffassung sich wissenschaftlich als irrig erwiesen hat, bleibt einem nichts anderes übrig, als sie fallenzulassen. Die Aufgabe der Wissenschaften ist es, festzustellen, was ist, und zu erklären, warum es so ist, wie es ist, „warum“ als Frage nach einer Kausalerklärung verstanden. Die Frage zu beantworten, was sein soll, ist nicht Aufgabe der Wissenschaft. Was sein soll, entscheidet vielmehr der Einzelne oder ein Kollektiv, und wie entschieden wird, hängt ab von den jeweiligen Werten. Die gehören zu Wertesystemen. Je nach Wertesystem wird man verschiedene Antworten erhalten. Zwar kann man diese Systeme auf Konsistenz prüfen, und hier mag man eine gewisse Aufgabe von Wissenschaft sehen, wenn auch nicht Naturwissenschaft. Aber letztlich sind die Werte unbegründbar, sie werden nach Belieben gesetzt bzw. ergeben sich aus historischen Zufällen, und soweit sie allgemeinmenschlich sind, sind sie Ergebnis der biologischen Evolution, damit ebenfalls zufällig. Denn wäre sie zufällig anders verlaufen, gäbe es diese vermeintlich allgemeingültigen Werte nicht, sondern andere.

So sieht es der szientifische, empiristisch-positivistische Zeitgeist. – „Wissenschaft“ ist hier im Sinne von science zu verstehen. Ins Deutsche ist das nicht ohne weiteres zu übersetzen. Positive Wissenschaft, Objektwissenschaft, Naturwissenschaft im methodologischen, nicht im inhaltlichen Sinne treffen mehr oder weniger die Aspekte, auf die es hier ankommt. Geisteswissenschaft ist nicht mitgemeint. Und gar das, was früher, bis hin zu Hegel, allein das Recht hatte, Wissenschaft zu heißen, weil es allein Wissen schafft (nicht nur Vermutung, Meinung, Glauben) und um dieses Wissen auch wissen kann, also diejenige Wissenschaft, vor der sich die positiven Wissenschaften rechtfertigen mußten, die sie befragen mußten, wenn sie wissen wollten, ob sie den Titel Wissenschaft rechtmäßig führen, ist in diesem Begriff von Wissenschaft = science nicht enthalten.[1] Man nannte die Wissenschaft, vor der sich die positive Wissenschaft legitimieren mußte, Philosophie, bzw. auf das einschlägige Teilgebiet bezogen, Erkenntnistheorie. Heute schreibt man im szientifischen Denkmilieu der Philosophie bzw. dem, was in diesem Milieu von ihr übriggeblieben ist, was in diesem Milieu allein von ihr zu begreifen ist, irgendwelche die positiven Wissenschaften begleitenden Aufgaben zu – falls man sie überhaupt für eine legitime geistige Beschäftigung hält und nicht meint, sie sei ganz durch positive Wissenschaft oder gar durch die exakten Naturwissenschaften zu ersetzen.

Was ihr der Zeitgeist an Aufgaben zubilligt, ist aber nur ein Teil dessen, wofür Philosophie – also „Wissenschaft“ im alten, strikten Sinn, das, was wahres und sich selbst legitimieren könnendes Wissen schafft – zuständig war. Sie hatte auch eine Frage zu beantworten, die sich für den Szientismus nicht mehr stellen kann, weil sie sich für positive Wissenschaften definitionsgemäß nicht stellen kann, nämlich die nach dem unbedingten Sollen (statt nur die Frage nach dem Faktum, was man in verschiedenen Kulturen, Zeiten usw. meint, daß man unbedingt solle). Sie hatte auch – damit in Zusammenhang – die Frage zu beantworten, was denn den Menschen ausmache.

 

In dieser Frage kam die Philosophie meist auf ganz andere Antworten als der Szientismus. „Die Unterschiede zwischen Mensch und Tier sind eigentlich nur gradueller, keinesfalls prinzipieller Natur“ steht im Zitat – das ist das seit geraumer Zeit in den Medien breitgetretene Ergebnis empirisch-anthropologischer und verhaltensbiologischer Forschungen; der typische Feuilleton-Leser hält es für den Stand der Wissenschaft. Aber es ist falsch. Das ist der zweite gravierende Fehler in dem Text. Die Unterschiede zwischen Mensch und Tier sind prinzipieller Natur. „Wir beide sind instinktgesteuert, kennen die Geheimnisse der Fortpflanzung und der Brutpflege, empfinden Schmerzen, wenn man uns quält, haben Angst, wenn man uns einsperrt, werden krank, wenn man uns Futter, Licht und Lebensraum beschneidet, und sind außer uns vor Schrecken, wenn man uns töten will.“ Man könnte das endlos fortsetzen: „Wir beide“ bestehen aus Molekülen, bestehen zum überwiegenden Teil aus Wasser, bestehen aus Zellen, werden einige Zeit nach unserem Ende zu Erde usf. – „Wir beide … sind außer uns vor Schrecken, wenn man uns töten will“ ist allerdings falsch, denn das Tier weiß nichts vom Tod. Es kann Angst vor Schmerzen haben, von denen kann es wissen, aber nicht davor, nicht mehr zu sein. Das ist bereits ein prinzipieller Unterschied.

„Natürlich bleiben noch immer ein paar entscheidende Unterschiede übrig. Der Automobilbau, das Bücherschreiben, die Euro-Krise zum Beispiel.“ Die Autorin meint: „Aber diese Unterschiede sind in keinem Fall so entscheidend, dass in ihnen ein Freibrief zum beliebigen Töten Platz hat.“ Wenn Tiere aber keine Angst vorm Tod haben, dann stellt sich doch zumindest die Frage, ob man ihnen etwas antut, wenn man sie schmerzlos tötet, und wie, wenn man diese Frage verneint, sich vielleicht dennoch ein Tötungsverbot begründen ließe. Immerhin – ein Verbot beliebigen Tötens scheint möglich. Doch ist ja der Autorin zufolge, wenn ich sie richtig verstehe, auch das Töten von Tieren überhaupt nicht gerechtfertigt, denn man soll den Tieren „Lebensrechte“ gewähren. – Diese Frage nimmt in den einschlägigen wissenschaftlichen, nämlich ethischen Diskussionen großen Raum ein.[2] Ich will hier nicht weiter auf sie eingehen, sondern noch ein paar Bemerkungen zur Behauptung machen, „die Unterschiede zwischen Mensch und Tier sind eigentlich nur gradueller, keineswegs prinzipieller Natur“.

 

Die Autorin macht offenbar eine Unterscheidung zwischen Unterschieden: Auf der  einen Seite stehen „entscheidende“ Unterschiede; das sind solche, die sich mit „graduell“ vertragen und die das beliebige Töten oder überhaupt das Töten  nicht zu rechtfertigen erlauben. Diese Unterschiede gibt es der Autorin zufolge. Auf der anderen Seite stehen „prinzipielle“ Unterschiede. Sie vertragen sich nicht mit „graduell“ und sie würden das beliebige Töten oder das Töten überhaupt rechtfertigen, wenn es sie gäbe. Aber es gibt sie nicht. Der szientifische Zeitgeist vermag in der Tat Unterschiede, die sich der Methodik und dem Erkenntnisinteresse von science entziehen, nicht zu bemerken. Deren Erkenntnisinteresse ist aber per definitionem eingeschränkt, siehe oben: Vom unbedingten Sollen kann die positive Wissenschaft nichts wissen und nichts wissen wollen. Es liegt außerhalb ihres Gegenstandsbereichs. Dieser umfaßt das, was ist, die Welt, wie sie ist (genauer: wie sie unter einem bestimmten, meist „instrumentell“ genannten Erkenntnisinteresse ist), nicht, wie sie nicht ist, aber vielleicht sein soll. Diese Frage stellt sich kein Tier – jedenfalls kennen wir keinen Hinweis darauf –, wohl aber der Mensch, und zwar kultur- und zeitenübergreifend, und eben daraus resultiert der prinzipielle Unterschied.

Das Tier verhält sich, der Mensch handelt. Er setzt sich, heißt das, Zwecke und verfolgt sie, sucht sie zu realisieren. Und das bedeutet, er ist auf etwas anderes aus als auf das, was ohnehin ist oder was von selber geschehen würde. Daß real wird, was er realisieren will, hängt auch von ihm selbst ab, und er weiß das – er, als Mensch, weiß das, jeder Mensch egal welcher Kultur weiß das, sogar der Szientist, der sich einredet, das Gegenteil zu wissen. Er ist verantwortlich dafür und ihm ist bewußt, daß er das ist. Verantwortlich heißt, daß er Antwort zu geben hat, daß er sein Handeln zu rechtfertigen hat. Denn ihm ist bewußt, daß er nicht Beliebiges bewirken soll, sondern „das Gute“. So nennt man von alters her das, was man unbedingt, ohne Rücksicht auf bestimmte Zwecke, tun soll im Unterschied zu dem, was man tun soll, um bestimmte, insbesondere „lebensdienliche“ Zwecke zu erreichen; dieses nennt man „das Nützliche“. Das Gute  ist etwas anderes als das Lebensdienliche, etwas anderes als das je eigene Glück oder überhaupt Glück. Denn es stellt sich ja die Frage, ob es denn gut sei, das Glück anzustreben, gar nur das eigene Glück, ob es nicht vielleicht Höheres gibt, dem man auch sein Glück oder das Glück anderer opfern soll, und diese Frage hat sich der Menschheit immer gestellt.

Daraus, daß der Mensch um diese Frage nicht herumkommt, ergibt sich der mit nichts anderem verrechenbare Wert des Menschen, ein Wert, der etwas anderes ist als der, den man „Preis“ nennt, weil er nämlich „kein Äquivalent verstattet“ (Kant, Grundlegung): seine Würde. Er hat diese insofern, als er ein moralisches Wesen ist. Jeder Mensch, auch der schlimmste, hat die Möglichkeit und die Aufgabe, ein solches Wesen zu werden. Das macht die „Menschenwürde“ aus, die allen gleichermaßen zukommt. Und jeder Einzelne gibt diesen unbedingten Wert, diese Würde sich selbst in dem Maße, wie er sich bemüht, dieser seiner moralischen Bestimmung gerecht zu werden.

Das alles wußte man einst, es gehörte zu den Selbstverständlichkeiten. Es ist nicht eine Erfindung der europäischen Aufklärung, ist insbesondere nicht nur für die „westliche“ Kultur gültig. Soweit hier überhaupt die europäische Aufklärung eine Rolle spielt, hat sie es entdeckt, nicht erfunden, entdeckt als etwas alle Kultur Übergreifendes oder ihr Zugrundeliegendes, ohne das Kultur überhaupt nicht möglich wäre. Irgendwie erinnert man sich auch heute noch an diese Leistung der Aufklärung; immerhin gehört „Menschenwürde“ zu den wichtigsten Wörtern in den Sonntagsreden. Warum der Mensch diese Würde hat und warum sie so wichtig sein soll, vermag man aber kaum mehr zu sagen. Der Begriff der Menschenwürde ist im szientifischen Zeitgeist nicht möglich, denn die positive Wissenschaft vermag sie in ihrem Gegenstandsbereich nicht zu entdecken, sie ist kein Faktum – bzw. sie kommt für sie eben nur als ein Faktum vor, d. h. nur in Gestalt faktischer Gedanken einer bestimmten, der „westlichen“ Kultur, sie gilt nicht unbedingt.[3] Darum kann auch nicht mit diesem Begriff argumentiert werden, wenn es um den Unterschied zwischen Menschen und Tieren geht.

Alles, was man in diesem Denken an Überlegenheit des Menschen zu erkennen vermag, liegt in dem, was man „Intelligenz“ nennt. Damit meint man geistige Fähigkeiten, die dazu beitragen, ein möglichst angenehmes und/oder langes Leben zu führen; man meint Fähigkeiten, die dem „Glück“, womit etwa andauerndes subjektives Wohlbefinden gemeint ist, dienen, Fähigkeiten, die dafür nützlich sind. Traditionell faßt man solche Fähigkeiten unter „Klugheit“, die man von „Weisheit“ unterscheidet. Mit dieser Intelligenz kann die positive Wissenschaft, auch die Naturwissenschaft und folglich der Zeitgeist etwas anfangen. Auch Tiere haben sie. Sie ist eine unter vielen Eigenschaften, die dem Wohlbefinden oder der Fitneß im evolutionsbiologischen Sinne dienen, und sie ist in dieser Hinsicht durch andere Eigenschaften ersetzbar. Ob sich ein Tier durch schlaues Verhalten, durch einen Panzer oder durch hohe Geschwindigkeit den Feinden entzieht – alles dient gleichermaßen dem Überleben (oder dem „Glück“), alles liegt auf einer Ebene. Ein besonderer Wert – gar ein unbedingter, eine Würde – ergibt sich darum aus der Tatsache selbst ungeheuer überlegener Intelligenz nicht. Warum soll ein Mensch, nur weil er intelligenter ist, einen höheren Wert haben als eine Antilope, wo diese doch viel schneller rennen kann? In einem Wertesystem, in dem die Geschwindigkeit oben steht – und warum sollte es ein solches Wertesystem nicht geben? – hat der Mensch keinen besonders hohen Wert.

 

Wenn es nun also doch einen prinzipiellen Unterschied zwischen Menschen und Tieren gibt, nämlich eben den, der mit „Menschenwürde“ bezeichnet ist – folgt daraus „ein Freibrief zum beliebigen Töten“ oder doch zum Töten von Tieren überhaupt (denn sie sollen ja „Lebensrechte“ haben)?

Das Töten von Tieren läßt sich nicht vermeiden. Auch ein Veganer kommt nicht darum herum, denn das Ziehen jeder Ackerfurche tötet Abertausende von Tieren, und zwar auf qualvolle Weise. Die Begründung dafür, daß dieses Töten erlaubt ist, liegt nicht nur, wie man heute gern meint, darin, daß der Mensch für sich selbst sorgen dürfen muß – jedes andere Tier macht es ja ebenso –, sondern auch im unendlich höheren Wert des Menschen. Deshalb dürfen Menschen nicht für Tiere geopfert werden und sich auch für sie nicht selbst opfern. Ein Freibrief zum beliebigen Töten ergibt sich aber in der Tat nicht. Das folgt jedoch nicht aus Rechten, die die Tiere uns gegenüber hätten. Die haben sie nicht, wir ihnen gegenüber auch nicht. Darum kann auch „keine Rede davon sein, wir hätten ‚gegenüber der Natur alles Recht‘.“[4] Rechte gegen jemanden zu haben, heißt, berechtigte Forderungen an ihn stellen zu können.[5] Das ist Tieren gegenüber nicht möglich. Dennoch haben wir Pflichten „in Ansehung“ (Kant) der Tiere. Wir dürfen nicht nach Belieben mit ihnen verfahren. Diese Pflichten ergeben sich aber nicht aus Rechten der Tiere, sondern wir haben diese Pflichten gegen uns selbst.[6] Pflichten haben wir nicht nur gegen andere Menschen, sondern ein jeder auch gegen sich selbst. Leidensfähige Weisen, also auch Tiere, zu quälen verstößt gegen die Würde, die der Mensch als Mensch hat; er wirft sich weg, wenn er das tut, und er darf sich nicht wegwerfen.

Es bedarf keiner „neuen Ethik“, um die Massentierhaltung als etwas Verwerfliches zu erkennen. Die Erinnerung an die alte würde schon reichen.

 

Literatur:

Baranzke, Heike 2002: Würde der Kreatur? Die Idee der Würde im Horizont der Bioethik. Würzburg.

Birnbacher, Dieter 2006: Dürfen wir Tiere töten? In: ders. (Hg.): Bioethik zwischen Natur und Interesse. Frankfurt am Main, 222-247.

Grünewald, Bernward 1991: Ökologie, Recht, Moral. In: Ethik und Politik. Diskursethik, Gerechtigkeitstheorie und politische Praxis, hrsg. v. W. Reese-Schäfer u. K. Th. Schuon, Marburg, S. 128-139.

Schnädelbach, Herbert 1983: Philosophie in Deutschland 1831-1933, Frankfurt am Main.

Wagner, Hans 1992: Die Würde des Menschen. Wesen und Normfunktion. Würzburg.


[1] Ausführlich dazu Schnädelbach 1983, Kapitel 3 „Wissenschaft“.

[2] Für einen Überblick siehe Birnbacher 2006.

[3] Wagner 1992.

[4] Grünewald 1991.

[5] Ebd.

[6] Siehe Baranzke 2002.

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

216 Kommentare

  1. Falsche Fragestellung! Richtig :
    Sind Menschen auch Tiere?

    Ia was denn sonst !

    Der Mensch ist doch ein Primat, der mit Bonobos und Schimpansen
    zusammen die Dreiergruppe der “Schimpansenartigen” im Gegensatz z.B.
    zur Verschiedenartigkeit von Schimpanse und Gorilla oder Mensch und
    Gorilla bildet !

    Nur weil wir mit unserem dem Kehlkopf sprechen können und ein bisschen
    mehr Kultur entwickelt haben (viele Schimpansenpopulationen entwickeln
    ja auch Kultur indem sie es z.B. schick finden, sich Grasbüschel in die
    Ohren zu stecken) als die anderen Primaten, meinen wir uns über unsere
    Artverwandten dermaßen erheben zu können !?

    WELCHE HYBRIS !

  2. “Es bedarf keiner „neuen Ethik“, um die Massentierhaltung als etwas Verwerfliches zu erkennen. Die Erinnerung an die alte würde schon reichen.” – man muss Tiere nicht für Menschen halten um dieser überzeugung zuzustimmen

  3. “Sie haben aber Angst vor dem Tod – und wenn es nur darum ist, daß sie, eben weil sie glauben, daß dann nichts kommt, Angst davor haben, den Menschen, die sie lieben, nicht mehr zu begegnen.”

    Das ist ein gutes Stichwort. 🙂

    Sind es nicht die Psychologen welche uns erklären, Menschen könnten sich den eigenen Tod gar nicht vorstellen?

    “Der eigene Tod ist ja auch unvorstellbar, und sooft wir den Versuch dazu machen, können wir bemerken, daß wir eigentlich als Zuschauer weiter dabeibleiben. So konnte in der psychoanalytischen Schule der Ausspruch gewagt werden: im Grunde glaube niemand an seinen eigenen Tod oder, was dasselbe ist: im Unbewußten sei jeder von uns von seiner Unsterblichkeit überzeugt.” (Freud)

    Wie kann man etwas fürchten, das man sich nicht vorstellen kann? Was sie behaupten ist auch nur eine Verallgemeinerung. Sie sollten nicht von sich selbst auf andere schließen. Woher wissen sie ob andere Menschen vor dem Tod Angst haben, oder nicht? Vielleicht haben die Menschen auch nur Angst davor, ihre Familie zu verlieren. Vielleicht empfiunden sie es nur als ein “Verlassen” und “Verlassenwerden”? Sobald sie tot sind, werden sie von ihren Angehörigen ja auch verstoßen. Man mag sie nicht mehr, man fürchtet sie. Zwar erbitten manche Leute ihren Schutz – aber bitte nur von oben, weit weg. 🙂 Noch heute gibt es in Rumänien und Bulgarien die Angst vor Vampieren. (Nicht die von Stocker beschriebenen.) Die ganzen Beerdigungsrituale zielen in erster Linie darauf ab, den Toten an der Wiederkehr zu hindern. Man macht ihm klar, dass er tot ist und unter den Lebenden nichts mehr verloren hat. Manche Völker tragen die Toten beim Fenster hinaus und mauern es danach zu, damit der Tote nicht zurück kann. Naturvölker haben auch Angst vor den Seelen der getöteten Tiere. Vielleicht ist es also weniger Angst vor dem eigenen Tod, als mehr die Angst vor Leichen, die uns vom Tier unterscheidet?

    Tiere können jedenfalls genauso trauern wie Menschen. Ob sie den Tod besser verstehen als wir Menschen, kann niemand sagen – weil Tiere selten Bücher schreiben. Übrigens haben auch die Kelten keine Bücher geschrieben. Damit befinden sie sich also auf tierischer Ebene? 🙂 Aber über den Verlust trauern sie ganz sicher. Vor kurzem gab es doch diesen Film mit dem japanischen Hund. Eine noch traurigere Geschichte, in einer Doku gezeigt, handelte von einem Schimpansen in freier Wildbahn, dessen Mutter starb. Über ihren Tod kränkte er sich so sehr, dass er nach kurzer Zeit auch starb. Beispiele gibt es genug. Wer sagt uns denn, dass wir nicht auch nur um den Verlust eines Menschen trauern, so als wäre er einfach weggegangen? Weil wir uns den Tod nicht wirklich vorstellen können? Die Maya haben ihre Kinder in Löcher geschmissen, wenn sie etwas von ihren Göttern erbittet haben. Weil sie keine Angst vor dem Tod hatten und sie hatten keine Angst davor, weil sie ihn sich nicht vorstellen konnten. Die Selbstmordattentäter sprengen sich auch selbst mutig in die Luft, weil sie sich nicht vorstellen können, danach tot zu sein. Sie glauben sie würden in einem anderen Leben erwachen. So gesehen könnte man – laut ihrer Argumentation – jeden Menschen der an ein Leben nach dem Tod glaubt, umbringen, weil er ja sowieso den Tod nicht als Bedrohung ansieht – wie das Tier? Worin besteht denn der qualitative Unterschied zwischen dem Glauben an ein schönes Leben, nachdem man umgebracht wurde und der einfachen Nichtbeschäftigung mit der Frage was mit einem geschieht, wenn man zur Leiche wurde?

    “Wie kommen Sie denn darauf, daß sie sich verkriechen, wenn (Sie wollen sagen: weil) sie den Tod fürchten? Vielleicht verkriechen Sie sich ja, weil ihnen unwohl ist. Viele Menschen ziehen sich die Betttecke über den Kopf, wenn ihnen unwohl ist, da müssen sie nicht gleich den Tod nahen sehen.”

    Ich will nicht sagen, weil sie den Tod fürchten, sondern: sobald sie ihn kommen fühlen. Ich unterstelle den Tieren nicht (so wie sie mir unterstellen ich würde es ihnen unterstellen) Angst vor dem Tod, weil ich – ebensowenig wie sie und alle Forscher dieser Welt – die diesbezüglichen Gedanken solcher Tiere kenne. Für möglich halte ich es allerdings, dass Tiere Angst vor dem Tod haben könnten. Beweisen sie das Gegenteil. Wo sind ihre stichhaltigen Argumente?
    Was sie von mir verlangen, sollten sie erst einmal selbst einhalten.

    Vielleicht geht es dem Menschen eben genauso wie den Tieren – vielleicht fühlen auch sie sich nur unwohl und weil sie nicht wissen wie sich der Tod anfühlt, glauben sie, sterben zu müssen. Vielleicht auch nur, weil ihnen die Reaktion der Umgebung signalisiert, sie würden sich in Gefahr befinden? Wer weiß schon sicher was aus einem selbst kommt, und was man aus dem Verhalten der Mitmenschen schließt?

    Wir Menschen werden, von Kindheit an, einer Gehirnwäsche unterzogen. Was wir glauben würden, wäre das nicht der Fall, können wir gar nicht wissen. Vielleicht würden vbiele Menschen sich gar keine Gedanken um den Tod machen, würde die Gesellschaft sie nicht dazu zwingen?

    • Wir Menschen werden, von Kindheit an, einer Gehirnwäsche (Hervorhebung: Dr, Webbaer) unterzogen. Was wir glauben würden, wäre das nicht der Fall, können wir gar nicht wissen. Vielleicht würden vbiele Menschen sich gar keine Gedanken um den Tod machen, würde die Gesellschaft sie nicht dazu zwingen?

      Mal abgesehen davon, dass Sie hier niedrig benachrichtigen, sittlich niedrig, haben Sie natürlich insofern recht, wenn Sie den Primaten keine ausdrückbaren Gedanken über den Tod unterstellen, wenn es keine Gesellschaft, Kultur & Sprache geben würde.
      Insofern vielen Dank für Ihre Nachricht,
      MFG
      Dr. W

  4. Jetzt möchte ich nocheinmal widersprechen. Ich hoffe ich habe richtig verstanden was gemeint ist, wenn nicht, bitte ich um Korrektur.

    “Er ist verantwortlich dafür und ihm ist bewußt, daß er das ist. Verantwortlich heißt, daß er Antwort zu geben hat, daß er sein Handeln zu rechtfertigen hat. Denn ihm ist bewußt, daß er nicht Beliebiges bewirken soll, sondern „das Gute“. So nennt man von alters her das, was man unbedingt, ohne Rücksicht auf bestimmte Zwecke, tun soll im Unterschied zu dem, was man tun soll, um bestimmte, insbesondere „lebensdienliche“ Zwecke zu erreichen; dieses nennt man „das Nützliche“. Das Gute ist etwas anderes als das Lebensdienliche, etwas anderes als das je eigene Glück oder überhaupt Glück. Denn es stellt sich ja die Frage, ob es denn gut sei, das Glück anzustreben, gar nur das eigene Glück, ob es nicht vielleicht Höheres gibt, dem man auch sein Glück oder das Glück anderer opfern soll, und diese Frage hat sich der Menschheit immer gestellt.”

    Die “Menschheit” hat es nie gegeben. Es gab Horden, Stämme, Völker, Staaten, die “Menschheit” ist etwas Neues. Sie entsteht, weil es so viele Menschen gibt, dass sie sich nur mehr schwer voneinander abgrenzen lassen. Menschheit=Masse. Eine Einheit ist diese Menschheit aber trotzdem nicht. Was ist das “Gute”? Jede Kultur entwickelt eine Vorstellung vom reibungslosen Zusammenleben. Das ist notwendig, um eine Einheit und Zusammenhalt zu bilden. Sonst würden die Menschen in der Gruppe einander gegenseitig ausrotten. Innerhalb der Angehörigen solcher Gruppen wird ein Idealbild kreiert vom “guten” Mitglied. “Gott” belohnt dann den der ihm entspricht. Das gilt jedoch nur innerhalb der Gruppe. Die alten Ägypter haben ja unsere Vorstellung von dem was “ein guter Mensch” ist, geprägt. Das kennen wir von den Totenbüchern. In der Realität wird es nur wenige Menschen gegeben haben, welche diesem Bild auch entsprochen haben, aber sie haben es zumidnest angestrebt. Für die Menschen anderer Völker galten diese Regeln aber nicht. Die Ägypter rühmten sich, ob der zahlreich gemeuchelten, oder in die Sklaverei geführten Feinde. Ähnlich war es bei den Griechen, die verächtlich auf die “Barbaren” herab schauten, ganz zu schweigen von den brutalen, perversen Römern. Erst das Christentum schuf eine neue Basis – die Religionszugehörigkeit. Heiden und Hexen wurden nun getötet, weil man ihre Seelen erretten wollte. Ansonsten liebte man sie selbstverständlich. Nachdem man die Religion überwand, entstand ein Vakuum und das füllte man mit allerlei Theorien – auch mit denen fremder Völker. Zoroaster stand da Pate.

    Dass die Menschen etwas schaffen wollen was es nicht gibt, ist wieder eine andere Sache – und die Ursache für unseren zukünftigen Untergang. Sie glauben Gott, oder die Natur, je nachdem woran man glaubt, sei für das Elend der Welt verantwortlich. Deshalb müsse man die Natur korrigieren. Den Fehler in der Natur. Man glaubt, man könne “das Böse”, also Krankheit, Hunger und Tod ausrotten. Dafür “opfert” man jetzt zahllose Tiere um eine “Medizin” dagegen zu finden, die Abschaffung der Krankheit wird angestrebt. Genauso wird es auch von den “Forschern” genannt: opfern. Man opfert, weil die Natur nicht “perfekt” ist und glaubt, sie so korrigieren zu können. Nur leider ist die Natur perfekt, weil sie nicht perfekt ist. Deshalb geht der Plan nicht auf und das Elend wird bloß vergrößert. Es überleben mehr Menschen – deshalb gibt es auch mehr Hungernde und Kranke. Viele Menschen werden älter als von der Natur geplant – deshalb rennen viel mehr “lebende Tote” herum (Alzheimerpatienten, usw.) die unheimlich leiden. Rottet man eine Krankheit aus, tritt die nächste auf den Plan. Bis man den ganzen Planeten mit den Giften=Medizin, vergiftet hat.

  5. „Wir beide … sind außer uns vor Schrecken, wenn man uns töten will“ ist allerdings falsch, denn das Tier weiß nichts vom Tod. Es kann Angst vor Schmerzen haben, von denen kann es wissen, aber nicht davor, nicht mehr zu sein. Das ist bereits ein prinzipieller Unterschied.”

    Es gibt die Angst vor dem Tod und die Angst vor dem Sterben. Ob Tiere Angst vor dem Tod haben lässt sich nicht beantworten. Menschen haben oft Angst vor dem Tod, weil sie glauben, nach dem Leben würde etwas anderes kommen. Nicht die Angst vor dem Nicht-mehr-sein quält, sondern die vor dem, was danach sein könnte. Angst vor dem Sterben haben Tiere sicher auch, vor allem wenn sie angegriffen werden. Sonst würden sie weder flüchten, noch sich wehren wenn sie in Gefahr sind. Diese Angst hält uns alle am Leben.

    • Jeder, der eine (Dorf-)Schlachtung eines Schweins miterlebt hat, ahnt zumindest, dass das gute Tier um seine Zukunft weiß. Herr Trepl argumentiert hier idR unter anderem damit, dass das Tier nicht kommunikationsstark genug ist zu verlautbaren, dass es diesen Abgang nicht schätzt, er argumentiert anthropozentrisch.
      Wobei dieser Argumentation, sofern nicht mit dem Tier explizit mitgedacht werden soll, der Beliebigkeit entgegensteht.
      Insofern müsste der Schreiber dieser Zeilen hier zustimmen, auch wenn Schwein & Katze & Hund klüger sein könnten, als theoretisiert, denn so wie Herr Trepl vorträgt, kann nicht begründet widersprochen werden, wie eben der Schreiber dieser Zeilen findet.
      Ausschluss durch Sprachgewohnheit sozusagen,
      MFG
      Dr. W

      • Viele Tiere verkriechen sich, wenn sie den Tod kommen fühlen. Würden sie das tun wenn sie unfähig wären, den Tod zu erkennen? Von einigen Tieren weiß man auch, dass sie um ihre Partner, oder Kinder, trauern. Vielleicht verstehen sie nicht was “tot sein” bedeutet – aber verstehen wir Menschen es? Auch wir begreifen nur, dass ein Lebewesen sich plötzlich anders verhält. Wir Menschen verstehen jetzt, (und das war nicht immer so) dass der Körper kaputt ist, aber warum er vorher funktioniert hat und warum man ihn nicht mehr reparieren kann, begreifen wird nicht wirklich. Wir wissen nicht was Leben ist und wir wissen nicht was Tod ist. Worin unterscheiden wir uns also vom Tier? Vielleicht wundern wir uns mehr als die meisten Tiere, das wäre möglich.

        • @ Maria Sand.

          „Viele Tiere verkriechen sich, wenn sie den Tod kommen fühlen. Würden sie das tun wenn sie unfähig wären, den Tod zu erkennen?“

          Wie kommen Sie denn darauf, daß sie sich verkriechen, wenn (Sie wollen sagen: weil) sie den Tod fürchten? Vielleicht verkriechen Sie sich ja, weil ihnen unwohl ist. Viele Menschen ziehen sich die Betttecke über den Kopf, wenn ihnen unwohl ist, da müssen sie nicht gleich den Tod nahen sehen. Ebenso hier „Jeder, der eine (Dorf-)Schlachtung eines Schweins miterlebt hat, ahnt zumindest, dass das gute Tier um seine Zukunft weiß.“ („@Webbaer“). Er ahnt halt („anthropozentrisch“, um dieses dumme Wort zu verwenden), weil er von sich, der er vom Tod weiß, auf das Schwein schließt. Was in dem Schwein da vorgeht, weiß er nicht. Vielleicht fürchtet das Schwein nur Schmerzen, wer weiß? Vielleicht fürchtet es sich gar nicht, sondern reagiert nur panisch auf bestimmte Reize, ähnlich wie wir panisch reagieren auf bestimmte Zeichen, ohne daß das irgend etwas mit Vorstellungen von der Zukunft zu tun haben müßte. Jedenfalls ist, soweit mir bekannt, in der ziemlich umfangreichen wissenschaftlichen Diskussion darüber, was Tiere so wissen können (falls man hier überhaupt von wissen sprechen kann), noch keiner auf die Idee gekommen, sie könnten um ihren Tod wissen. Nicht daß das ausgeschlossen werden könnte – man kann auch nicht ausschließen, daß es auf dem Jupiter grüne Männchen aus einer puddingartigen Sunstanz gibt oder daß Spulwürmer höhere Mathematik können und uns das nur gekonnt verschweigen –, aber man findet eben keinerlei Grund für diese Annahme.

          „Wir wissen nicht was Leben ist und wir wissen nicht was Tod ist. Worin unterscheiden wir uns also vom Tier? Vielleicht wundern wir uns mehr als die meisten Tiere, das wäre möglich.“

          Stimmt, man kann die Frage „was ist Leben, was ist Tod“ so verstehen, daß man nur antworten kann: wir wissen es nicht; man kann sie natürlich auch anders verstehen – so, daß uns eine Antwort möglich ist. Aber eben die Frage (im erstgenannten Sinn) stellen wir uns. Und das macht kein Tier, nicht etwa nur die „meisten“ Tiere nicht. Haben Sie einen Hinweis darauf, daß auch nur ein einziges Tier sich Gedanken dieser Art gemacht hat? Gar Bücher darüber geschrieben hat? Sie sollten nicht so munter über Selbstverständlichkeiten hinweghüpfen.

          „Nicht die Angst vor dem Nicht-mehr-sein quält, sondern die vor dem, was danach sein könnte.“

          Für die typischen modernen Menschen ist das keine Frage mehr: Nach dem Tod kommt nichts, glauben sie. Und da sind sie sich nicht weniger sicher als diejenigen, die früher geglaubt haben, nach dem Tod komme die Hölle, eher sicherer (was kein Argument für die Wahrheit ihrer Überzeugung ist). Der Argumentation nach, die Sie hier bringen, dürften die modernen Menschen dann keine Angst vor dem Tod haben, nur noch vor dem Sterben. Sie haben aber Angst vor dem Tod – und wenn es nur darum ist, daß sie, eben weil sie glauben, daß dann nichts kommt, Angst davor haben, den Menschen, die sie lieben, nicht mehr zu begegnen.

          „Die “Menschheit” hat es nie gegeben. Es gab Horden, Stämme, Völker, Staaten, die “Menschheit” ist etwas Neues.“

          Muß ich darauf wirklich antworten? Ist denn nicht klar, wie in solchen Zusammenhängen „Menschheit“ gemeint ist? Und wenn sich nur ein einziger eine bestimmte Frage gestellt hat, dann hat die in Hordern zerfallene „Menschheit“ sie gestellt. – Aber in dem Fall, um den es hier geht, ist das mit der Menschheit in einem viel stärkeren Sinne richtig. Es geht ja um die Behauptung: „ob es denn gut sei, das Glück anzustreben, gar nur das eigene Glück, ob es nicht vielleicht Höheres gibt, dem man auch sein Glück oder das Glück anderer opfern soll“. Diese Frage haben, wenn nicht alles falsch ist, was wir über die verschiedenen Zeiten und Kulturen wissen, sich alle gestellt. Nicht nur manchen Menschen in allen Kulturen, auch jeder einzelne Mensch, soweit er nicht völlig zum Tier herabgesunken ist. Es gibt keinen Menschen, der in seinem Leben um die Frage herumkommt, ob er nicht sein Glück oder das Glück anderer opfern soll für etwas Höheres, wie immer das Höhere vorgestellt wird (es kann da Wohl der Kinder sein, des Vaterlands, der Menschheit, die Offiziers-, Mannes- oder Frauenehre, irgendein Gott, oder der christliche „Nächste“ usw. usf.) Genau genommen steht man vor dieser Frage ständig, in jedem Augenblick. (Darf ich denn das tun, was ich jetzt tue, weil es mir Vergnügen macht? Müßte ich mich nicht eigentlich um meine Mutter/Tochter usw. kümmern? Oder um die Firma?). Und wenn man innehält, stellt man sich auch diese Frage. Und das war noch nie anders.

          • ‘Anthropozentrisch’ ist insofern kein ‘dummes Wort’, weil es ja (für einige) Alternativen gibt die Welt anders zu betrachten.
            Und dieser andere Betrachtung, der physiozentrischen (womöglich: ein dummes Wort), darf sich entgegengestellt werden indem erklärt wird.
            Vertreter von angeblich physiozentrischer Weltsicht sind bestmöglich aufzulösen, wie Ihr Kommentatorenfreund findet.

            MFG
            Dr. W

  6. Apriorisches /@Ludwig Trepl.
    [17. März 2014 12:44].

    » „ … Die Fakten können nicht von dem abhängen, was ich über sie weiß.“

    Doch. Sie hängen nur nicht von dem ab, was ich empirisch über sie weiß. Aber ich weiß von vornherein, ohne jede empirische Forschung, daß etwas vor, gleichzeitig mit oder nach etwas anderem ist, daß diese Bestimmungen immer anzuwenden sind, auf alles, was je Faktum heißen kann. «

    Woher wissen wir, dass wir das ohne jede empirische Erfahrung wissen? Es gibt wohl niemanden, der ohne jede Wahrnehmung, also völlig Empirie-frei, aufgewachsen wäre und uns als Studienobjekt dienen könnte.

    Ich sehe weiterhin nur zwei Möglichkeit: Entweder es handelt sich beim Apriorischen um angeborenes oder um (unbewusst) erlerntes Wissen.

    »….es ist komplizierter, Fakten werden konstituiert […] Aber es gibt das „beobachterunabhängige Faktum“ Mond nicht in dem Sinne, daß es vom Subjekt unabhängig wäre, daß der Mond ein raumzeitliches Phänomen ist;… «

    Ich unterscheide zwischen Fakten und Phänomenen. Fakten sind das, was den Phänomenen zugrunde liegt. Ein (raumzeitliches) Phänomen gibt es selbstverständlich nicht unabhängig vom jeweiligen Subjekt oder Beobachter, das impliziert ja schon der Begriff „Phänomen“. Ich sprach aber von solchen Fakten, Objekten, Prozessen, Dingen, die auch dann existieren, wenn sich kein Lebewesen, kein Subjekt darum kümmert, wenn da überhaupt niemand ist, der irgendetwas konstituieren könnte. Genau wie Sie schreiben: » „Beobachter“ und „beobachterunabhängige Fakten“ gibt es in dem Sinne, daß es den Mond auch gibt, wenn ihn keiner beobachtet…«

    » —- „Wenn der Mensch eine evolutionäre Herkunft hat, … dann kann nach allem, was den Menschen ausmacht und ihn betrifft, gefragt werden, also auch nach seiner Art die Welt zu sehen“

    Ja, aber wenn es darum geht, was in jeder nur möglichen Herkunft immer gleich ist (z. B. Zeitlichkeit), dann kann die Antwort nicht in der evolutionären Herkunft liegen.«

    Was genau meinen Sie mit „in jeder nur möglichen Herkunft“? Andere als die evolutionäre, oder andere evolutionäre?

    »Wenn Sie so wollen: Das faktische Geschehen ist das Bild, das sich der „Beobachter“ (der Begriff suggieriert etwas Falsches, Subjekt sollte es heißen) von der Welt macht, weil er zur Welt nur unter Bedingungen, die er selbst mitbringt, „Zugang“ hat. Was von dem, was a priori vom Subjekt der „Natur“ vorgegeben wird, unberührt ist, ist die „Welt an sich“ (also das, was Sie mit dem faktischen Geschehen immer verwechseln).«

    Noch einmal: Hier im Kontext unseres Austausches unterscheide ich zwischen der Welt an sich, der objektiven (intersubjektiven) Welt der Fakten, und der phänomenalen, subjektiven Welt des Subjekts. Die Welt in unserem Kopf ist nicht identisch mit der Welt da draußen und schon gar nicht mit der Welt an sich.

    In dieser „drei-Welten-Theorie“ kann ich das, was Sie zum faktischen Geschehen schreiben, nicht richtig einsortieren. Nach meiner Auffassung „residiert“ und „wirkt“ das Apriorische im Subjekt und ist gerichtet auf das objektive (faktische) Geschehen, bestimmt, wie das Objektive dem Subjekt erscheint, wie also etwas subjektiv erlebt, erfahren, wahrgenommen wird. Beispiel: Wir leben (subjektiv) in einer zeitlich strukturierten Welt voller Farben und Töne. In einer Welt ohne Subjekte (oder Lebewesen) gäbe es aber weder Farben noch Töne und vermutlich auch keine „Zeitlichkeit“ (wohl aber das, was wir „Raumzeit“ nennen).

  7. Moralische Dilemmata /@Ludwig Trepl.
    [17. März 2014 12:44].

    »Tatsächlich zwar funktionieren wir nicht so. Wir fragen uns ja in Fällen, die uns als Dilemmata erscheinen, was denn die richtige Lösung wäre, wir sind also überzeugt davon, daß es gar keine Dilemmata sind, daß z. B. dann, wenn wir die Abwägung richtig vollziehen würden, unbestreibar herauskäme, wer da geopfert werden muß. Der Idee der Vernunft folgen wir also auf jeden Fall, …«

    Sicher, etwas anderes bleibt uns ja nicht übrig, als zu versuchen, eine Lösung zu finden, wenn gehandelt werden muss. Auch das (wissentliche) Nichtstun wird schließlich als Handlung gewertet.

    Man kann sicherlich das Eine oder Andere fälschlicherweise für ein Dilemma halten, weil man nicht gründlich darüber nachgedacht hat. Aber das sind dann eben nicht die „echten“ Dilemmata, von denen ich rede.

    Ein Beispiel wäre etwa „Sophies Entscheidung“ (Roman von William Styron, 1979): Von einem KZ-Aufseher vor die Wahl gestellt, eines ihrer beiden Kinder vor dem Tode retten zu können, entscheidet sich Sophie für den Jungen und gegen das Mädchen.

    »Aber mal angenommen, es gäbe diese Lösung tatsächlich nicht (also auch nicht am Ende aller Tage): Hieße das nicht, daß es gar keine Moral, kein Sollen gibt, daß es gleichgültig ist, wie man handelt? «

    Die Annahme, es gäbe eine absolute Moral, ein absolutes Sollen, ist vielleicht wirklich illusorisch. Aber deshalb ist es noch lange nicht gleichgültig, wie man handelt, finde ich. Dass es Situationen geben kann, in denen nur der Münzwurf bleibt (wie bei Sophies Entscheidung), bedeutet nicht, dass immer die Münze geworfen werden darf. Und was die Frage der mit der Moral verbundenen „Schuld“ angeht, das ist ohnehin ein Kapitel für sich. Oder meinen Sie, dass Sophie mit ihrer Entscheidung für das Leben des Jungen (statt des Mädchens) Schuld auf sich geladen hat?

    • Ludwig Trepl, @ Balanus.

      „Die Annahme, es gäbe eine absolute Moral, ein absolutes Sollen, ist vielleicht wirklich illusorisch.“

      Absolutes Sollen heißt nur: nicht bedingt durch einen bestimmten Zweck, den man erreichen will, so daß man, wenn man diesen Zweck aufgibt, auch das nicht mehr tun soll, was zu seiner Erreichung nötig ist. Absolutes Sollen gilt unabhängig von den Zwecken, die man sich setzt. Beispielsweise sei es schlechterdings, und nicht nur zu bestimmten Zwecken, verboten, den Menschen „bloß als Mittel“ zu gebrauchen, oder die Ehe zu brechen, oder zu fluchen. – Sie scheinen mir hier mit „absolutes Sollen“ etwas anderes zu meinen: daß eine vernünftige Entscheidung in allen Fällen möglich ist (im Beispiel „Sophies Entscheidung“ ist sie nicht möglich). Das hat aber mit der Frage des absoluten Sollens nichts zu tun.

      Mit diesen Sätzen „Aber deshalb ist es noch lange nicht gleichgültig, wie man handelt, finde ich. Dass es Situationen geben kann, in denen nur der Münzwurf bleibt (wie bei Sophies Entscheidung), bedeutet nicht, dass immer die Münze geworfen werden darf.“ haben Sie sicher recht; sie muß sogar nur ganz selten geworfen werden, und wenn, dann meist nicht, weil ein Dilemma vorliegt, sondern weil die Zeit drängt und langes Nachdenken die unvernünftige Alternative wäre. Vielleicht kann man sagen: In solchen Fällen wie dem von Sophie wird die sich entscheiden müssende Person nie aufhören zu fragen, ob nicht vielleicht doch eine begründete Lösung möglich gewesen wäre, ob sie nicht etwas falsch gemacht hat, ob nicht nur scheinbar ein Dilemma vorlag. Aber gibt es nicht Fälle, in denen nachweislich ein Dilemma vorliegt?

      „Und was die Frage der mit der Moral verbundenen ‚Schuld’ angeht, das ist ohnehin ein Kapitel für sich. Oder meinen Sie, dass Sophie mit ihrer Entscheidung für das Leben des Jungen (statt des Mädchens) Schuld auf sich geladen hat?“

      Darüber haben sich sicher schon viele kluge Menschen Gedanken gemacht, ich aber nicht. – Sicher dürfte sein, daß Sophie den Gedanken, Schuld auf sich geladen zu haben, nie los wird, daß aber andere sie entschuldigen werden („du konntest nicht anders“), also meinen, sie müßte sich diese Gedanken gar nicht machen. Da scheinen verschiedene Begriffe von Schuld vorzuliegen: In dem einen Fall, daß man jemandem Leid zugefügt hat, ohne daß das doch in dessen eigenem Interesse gewesen wäre und damit gerechtfertigt, und man weiß ja, daß man das nicht soll. In dem anderen Fall, daß nach vernünftiger Abwägung aller Gesichtspunkte gehandelt werden soll, und da ist nicht nur Sophie entschuldigt, sondern z. B. auch ein Offizier, der einen Teil seiner Untergebenen opfert, um die anderen zu retten.

      • “In dem anderen Fall, daß nach vernünftiger Abwägung aller Gesichtspunkte gehandelt werden soll, und da ist nicht nur Sophie entschuldigt, sondern z. B. auch ein Offizier, der einen Teil seiner Untergebenen opfert, um die anderen zu retten.”

        Es gibt diese “Universallösung” nicht. Man kann zu verschiedenen Antworten kommen. Das ist von Kultur zu Kultur verschieden und das ändert sich auch immer wieder. Bei manchen Indianerstämmen wird in schwierigen Zeiten das jüngste Kind getötet. Weil sonst alle Kinder verhungern würden und die älteren Kinder leichter überleben. In unserer Gesellschaft unvorstellbar. Einmal stand in der Zeitung, dass eine Mutter verhungert ist, damit sie ihre Kinder ernähren kann. Aber was machen kleine Kinder ohne Mutter? In einer verarmten gEsellschaft wird sich vielleicht niemand um sie kümmern, in einer natürlichen Umwelt würden sie sowieso alle sterben. Schiffbrüchige haben – ich glaube bis ins 18. Jhd. – einander aufgefressen. Das war ein offenes Geheimnis und niemand fand etwas Schlechtes daran. Irgendwann wurde es dann verboten jemanden aufzufressen, nur damit man überleben kann. Dann sterben eben alle und nicht nur einer, oder zwei. Was zu einer Zeit ganz normal ist, findet man zu einer anderen Zeit abscheulich.

        • @ Maria Sand.

          „Man kann [in Fragen nach dem Sollen] zu verschiedenen Antworten kommen. Das ist von Kultur zu Kultur verschieden und das ändert sich auch immer wieder. Bei manchen Indianerstämmen wird in schwierigen Zeiten das jüngste Kind getötet …“

          Ob man zu verschiedenen Antworten kommen kann – was ja in dem Sinne gemeint ist, daß es verschiedene gleichwertige Antworten gibt – ist in der Tat eine Frage. Sie läßt sich aber nicht durch den Hinweis beantworten, daß man faktisch in verschiedenen Kulturen usw. zu verschiedenen Antworten gekommen ist. Da könnte ja die eine Kultur die richtige Antwort geben, die andere die falsche, oder beide haben unrecht. Die Ethik gibt es eben deshalb (und sie ist deshalb nötig), weil die Menschen zu verschiedenen Antworten kommen; wenn von vornherein alle die selbe Antwort gäben, käme man nicht auf den Gedanken, daß man darüber erst nachdenken müsse, daß es gar einer eigenen Wissenschaft bedürfe, die darüber nachtdenkt, was denn die richtige Antwort sei. Denn diese Frage – was denn die richtige Antwort ist unter den vielen, die von den verschiedenen Kulturen, Zeiten, Weltanschauungen usw. angeboten werden, oder ob die richtige vielleicht nie angeboten wurde – läßt sich nicht dadurch zum Verschwinden bringen, daß man auf diese Verschiedenheit hinweist, vielmehr wird sie dadurch überhaupt erst provoziert.

          Im Übrigenhabe ich auf diesen Einwand mit der kulturell bedingten Verschiedenheit der faktischen Antworten auf moralische Fragen (der ständig kommt von Leuten, die sich nicht klargemacht haben, was denn Ethik – nicht die deskriptive Ethik, sondern die Ethik als normative Disziplin – überhaupt ist), in diesen Kommentaren schon mindestens hundert mal geantwortet, vielleicht lesen Sie mal nach. Und in der einschlägigen Literatur ist er schon mindestens zehntausend mal beantwortet worden.

          • “Die Ethik gibt es eben deshalb (und sie ist deshalb nötig), weil die Menschen zu verschiedenen Antworten kommen; wenn von vornherein alle die selbe Antwort gäben, käme man nicht auf den Gedanken, daß man darüber erst nachdenken müsse, daß es gar einer eigenen Wissenschaft bedürfe, die darüber nachtdenkt, was denn die richtige Antwort sei.”

            Es geht nicht um gleichwertig, sondern um widersprüchlich. In Wahrheit geht es immer nur um Überlebensstrategien, nie um “ethisch richtiges Handeln”. Das angebliche, ethisch richtige Handeln entsteht dort, wo die Menschen Angst haben und sich fragen, was sie falsch gemacht haben, weil sie glauben, für irgendwelche Missetaten bestraft zu werden. Weil sie die göttlichen Vorschriften aber nicht kennen, müssen sie raten.

            Wäre es so, dass es richtig, oder falsch gibt, würden wir es dann denn nicht einfach “wissen”? Dieses Wissen läge wohl in unseren Genen, es wäre auch logisch nachvollziehbar und jeder käme deshalb auch zu derselben Antwort. Wir würden automatisch richtig handeln, so wie wir glauben, dass die Tiere es tun.

            Weil es kein richtig oder falsch gibt, sondern nur verschiedenartige Lösungen für verschiedenartige Probleme – wobei das Ziel immer nur Fortpflanzung und Überleben ist – entwickeln Menschen verschiedene Strategien. Oder – sie wollen es wahrscheinlich umgekehrt hören – weil wir “Regeln” des Handelns erfinden, die von Gesellschaft zu Gesellschaft anders sind, die einander widersprechen und deshalb hinterfragt werden – und weil diese sich infolge dessen (ihrer Widersprüchlichkeit) als nicht logisch begründbar erweisen – ist anzunehmen, dass es kein richtig, oder falsch (im moralischen Sinne) gibt. Ethisch richtig handeln zu wollen, ist nichts weiter als die Fortsetzung der Illusion, man könne die göttlichen “Eltern” milde stimmen, indem man alles richtig macht. Die Eltern lässt man weg, weil man nicht mehr an sie glaubt, über das was sie als brav=gut ansehen, sinniert man weiterhin. Das tun Tiere sicher nicht, glaube ich jedenfalls, aber ob das ein Manko ist – na ich weiß nicht? 😉

          • Ludwig Trepl, @ Maria Sand.

            „In Wahrheit geht es immer nur um Überlebensstrategien, nie um “ethisch richtiges Handeln” usw.

            Ich habe mich in allen Artikeln unter den Kategorien „(Natur-)Ethik“ mit dieser Frage befaßt und gegen Ihre Auffassung argumentiert. Meiner Erfahrung nach kennen die, die so denken wie Sie, die Gegenargumente nicht, sie sind seit einigen Jahrzehnten nicht in Mode; umgekehrt ist es anders. Sie halten das, was Sie hier schreiben, ja offenbar für nicht begründungsbedürftig. Sätze wie „Weil es kein richtig oder falsch gibt, sondern nur verschiedenartige Lösungen für verschiedenartige Probleme – wobei das Ziel immer nur Fortpflanzung und Überleben ist – entwickeln Menschen verschiedene Strategie“ schreiben Sie einfach so hin – als ob sie selbstverständlich wären. Wenn Sie von den Einwänden auch nur gehört hätten, würden Sie vielleicht trotzdem bei Ihrer Meinung bleiben, aber Sie würden sie ganz bestimmt nicht mehr so einfach hinschreiben. Also: lesen Sie mal nach, was ich dagegen gesagt habe, sonst hat es keinen Sinn, weiterzudiskutieren. Ich möchte jedenfalls nicht alles hier noch einmal schreiben, und in einem Satz kann ich es nicht zusammenfassen.

  8. – “Daß es in der Regel speziezistisch erfolgt, bedeutet nicht, daß es zu recht speziezistisch erfolgt.”

    Stimmt.

    – “Abgesehen davon: Stimmt es denn? Elfen, Nixen, Feen usw. sind keine Menschen, aber man meinte doch, daß ihnen gegenüber eine Andersbehandlung geboten ist.”

    Man wird von Elfensteaks, Nixenfilet und Geschnätzeltem von der Fee nicht satt.

    – “Ist es nicht so, daß ethisch gesehen Hinweise reichen müßten, daß dieses Objekt ein Vernunftwesen sein könnte?”

    Ich vermute, dass ich nicht die geringsten Skrupel habe, ein reines Vernunftwesen ohne Leidensfähigkeit, z.B. einen Computer, der sich selbst erkennt (Bewusstsein) und sich selbst Regeln setzt (Vernunft), einfach abzuschalten. Die Vernunft ist für mich jedenfalls gar nicht das entscheidende, was mich davon abhielte, ein Gegenüber zu verspeisen. Mir reichen dazu in der Regel schon zwei treue Augen [1].

    Mich würde auch nicht der geringste moralische Zweifel beschleichen, wenn man mir auftrüge, eine Petrischale mit einer menschlichen Morula zu reinigen. Ich würde mich in diesem Fall zuvor nur fragen, ob ich etwa gegen das Embryonenschutzgesetz [2] § 2 Abs. 1 verstoße, das mein Tun mit bis zu drei Jahren Kerkerhaft bedroht, und deshalb von meinem Verbrechen gegen die Menschenwürde und die Rentenkassen ablassen.

    Schopenhauer statt Kant.

    [1] http://polpix.sueddeutsche.com/bild/1.1884131.1392286677/640×360/giraffe-marius-zoo-kopenhagen.jpg
    [2] http://www.gesetze-im-internet.de/eschg/

    • @ Ano Nym.

      „Die Vernunft ist für mich jedenfalls gar nicht das entscheidende, was mich davon abhielte, ein Gegenüber zu verspeisen. Mir reichen dazu in der Regel schon zwei treue Augen“.

      Da müssen Sie sich aber nichts darauf einbilden, denn da sind Sie nicht anders als alle Menschen. Die Menschen verhalten sich halt meist wie Tiere: auch die Menschen folgen, ohne den Versuch der Rechtfertigung, Gefühlen. Die einen haben es dabei mit den treuen Augen, die anderen mit dem Kindchenschema, und was nicht diesem Schema entspricht, z. B. rattengesichtige Tiere und Menschen, wird totgeschlagen, da wehrt sich kein Gefühl dagegen. Nur: ob es richtig ist, sich so zu verhalten – um diese Frage kommen Sie nicht herum, wie Sie eben doch nicht nur ein Tier sind, sondern auch ein Mensch. Und da hilft Ihnen kein Gefühl, denn es gibt kein Gefühl, das einem sagt, welchem Gefühl man denn nun folgen soll.

      Im Übrigen: Ihr Computer ist ein schlechtes Beispiel, denn der ist kein Wesen, sondern ein Werkzeug (siehe dazu John Searle: Homunculus-Fehlschluß). Nicht er rechnet, sondern jemand rechnet mittels seiner als einem Werkzeug, nicht er setzt sich Regeln, sondern sondern man bringt ihn dazu, sich nach Regeln zu verhalten. Das aber dürfen, damit es den Anschein haben kann, er sei vernünftig, nicht irgendwelche Regeln sein, sondern müssen vernünftige sein: Er muß sich wie ein moralisches Wesen verhalten. – Wenn Sie nun aber ein vernünftiges nicht-menschliches Wesen vor sich haben, so können Sie es zwar ausschalten, so wie die die NS-Tierschützer (http://www.zeit.de/wissen/geschichte/2013-11/nationalsozialismus-tierschutz-gesetz) jene Menschen-„Rassen“, die in dem Bild, das sie von ihnen hatten, nicht dem Kindchen-Schema entsprechen und denen auch die treuen Augen fehlten, ausschalteten. Sie, Herr Anonymus, können es, aber sowie sie von sich als Tier, das Gefühlen folgt, auf sich als Mensch umschalten, werden sie Probleme haben. Denn dieses andere Vernunftwesen, egal wie es aussieht, kann mit ihnen kommunizieren und ihnen sagen, daß es nicht umgebracht oder versklavt werden will, kann Ihnen zu verstehen geben, daß das, was Sie unvermeidlich für Ihre besondere Würde als Vernunftwesen halten, auch für dieses Wesen gilt, und Sie können einsehen, daß Sie es nicht wie eine Sache behandeln sollen. Wie gesagt, Sie müssen sich darum nicht scheren, aber Ihre eigene Vernunft sagt Ihnen, daß Sie darum doch scheren sollen. Doch auch um ihre Vernunft müssen Sie sich nicht scheren, niemand, außer ihrer eigenen Vernunft, kann Sie daran hindern, sich als ein bloßes Tier zu verstehen. Wenn Sie sich also um diese nicht scheren, steht Ihnen dieser Weg offen. Ich glaube nur nicht, daß Sie ihn durchhalten.

      „Man wird von Elfensteaks, Nixenfilet und Geschnätzeltem von der Fee nicht satt.“

      Was haben Sie denn dauernd mit dem Essen? Darum geht es doch nicht, sondern es geht ganz allgemein um die Frage, ob man mit einem Wesen, dem man Vernunft zu unterstellen Anlaß hat, nach Belieben verfahren darf. Und man meinte, so steht es in den Märchen, daß man das nicht darf.

      „Mich würde auch nicht der geringste moralische Zweifel beschleichen, wenn man mir auftrüge, eine Petrischale mit einer menschlichen Morula zu reinigen.“

      Mich wohl eher auch nicht; allerdings hab’ ich noch nicht genug nachgedacht. Aber warum ist es bei Ihnen so? Weil Sie nichts dabei fühlen? Dann ist das kein moralischer Zweifel, der Sie da nicht befällt.

      „Ich würde mich in diesem Fall zuvor nur fragen, ob ich etwa gegen das Embryonenschutzgesetz [2] § 2 Abs. 1 verstoße, das mein Tun mit bis zu drei Jahren Kerkerhaft bedroht“

      Sag’ ich doch: Sie würden sich wie ein Tier mit hinreichender Intelligenz verhalten. Auf drohende Strafe reagieren auch Loborratten.

      „…und deshalb von meinem Verbrechen gegen die Menschenwürde und die Rentenkassen ablassen.“

      Ihr Tonfall ist aufschlußreich. Man merkt, daß Sie Nietzsche gelesen haben und nun kommen Sie sich vor wie ein alles zerschmetternder Rebell gegen alles, was der Menscheit je heilig war. Dafür habe ich Verständnis, ist mir auch schon so gegangen. Leider merken Sie nicht, daß Sie in Wirklichkeit doch nur nach der Melodie tanzen, die Ihnen der neoliberale Zeitgeist vorgeigt.

      • Denn dieses andere Vernunftwesen, egal wie es aussieht, kann mit ihnen kommunizieren und ihnen sagen, daß es nicht umgebracht oder versklavt werden will, kann Ihnen zu verstehen geben, daß das, was Sie unvermeidlich für Ihre besondere Würde als Vernunftwesen halten, auch für dieses Wesen gilt, und Sie können einsehen, daß Sie es nicht wie eine Sache behandeln sollen.

        Abgesehen davon, dass ich nur meinen Computer abschalten wollte: Ich finde, Sie sollten die Anforderungen an die fremde Vernunft nicht überdehnen, bis am Ende eine Menschenebenbildlichkeit herauskommt. Wenn die fremde Vernunft sich mir gegenüber äußern kann, hat sie doch nichts zu befürchten. Selbst dann nicht, wenn es – leider schon wieder etwas, das mit der Nahrungsaufnahme zu tun hat – das Schwein im Restaurant am Ende des Universums ist, das seine schmackhaften Körperteile den Gästen gegenüber anpreist. Das ist ganz sicher ein Vernunftwesen, auch wenn seine natürliche Bestimmung darin besteht, verzehrt zu werden. Der Selbstaufopferungsgedanke ist ja kein erfundener oder unvernünftiger Topos.

        […] es geht ganz allgemein um die Frage, ob man mit einem Wesen, dem man Vernunft zu unterstellen Anlaß hat, nach Belieben verfahren darf. Und man meinte, so steht es in den Märchen, daß man das nicht darf.

        Wenn es diese Wesen gäbe, so wäre das so. Das ist doch gar nicht umstritten.

        Aber warum ist es bei Ihnen so? Weil Sie nichts dabei fühlen? Dann ist das kein moralischer Zweifel, der Sie da nicht befällt.

        Das haben Sie ausgesprochen schön formuliert. Ein Zweifel würde mich befallen, wenn etwa die Morula Ergebnis zahlreicher aufwändiger Befruchtungsversuche gewesen wäre, die zu dem Zweck angestellt wurden, Eltern einen Kinderwunsch zu erfüllen. Auf der anderen Seite steht dann eine Ansicht, wie die von Frau Lewitscharoff, die in solchen Befruchtungsversuchen das Böse am Werke sieht.

        Wäre »Weil ich den Bestimmungsgedanken nicht mittrage.« für Sie ein akzeptabler moralischer Einwand?

        Sag’ ich doch: Sie würden sich wie ein Tier mit hinreichender Intelligenz verhalten. Auf drohende Strafe reagieren auch Loborratten.

        Wer zeigt sich von Strafandrohungen schon unbeindruckt?

        Leider merken Sie nicht, daß Sie in Wirklichkeit doch nur nach der Melodie tanzen, die Ihnen der neoliberale Zeitgeist vorgeigt.

        Doch, ich merke das schon länger, das ist mir nicht entgangen. Aber schön, dass es Ihnen auch aufgefallen ist.

  9. @Ludwig Trepl

    „’Es ist darum völlig vergeblich, etwa einen Zeitpunkt zu finden zu versuchen, von dem ab das Tier Homo spec. „zurechnungsfähig“ ist, also Mensch geworden.’ ]Zitat von mir] Das verstehe ich nicht.“

    De Betonung liegt auf „finden“ (gegen „festsetzen“); dann verstehen Sie es.

    Das habe ich schon verstanden. Der “Mensch” in “Mensch geworden” bezeichnet hier einen Idealtyp und der besitzt keinen Zeitpunkt und keine Entwicklung. Er ist ganz außerhalb der Zeit so wie die 17 prim ist. Das ist aber gar nicht der Punkt meines Unverständnisses: Ich frage nach der Verbindung zur praktischen Ethik. Aus der Primalität der 17 folgt erst einmal nichts. Wie Sie im Supermarkt 17 € oder 16,58 € bezahlen, darauf hat die Eigenschaft der 17, prim zu sein, keinen Einfluss. Sie können sich auf den Parkplatz Nr. 17 genauso stellen wie auf jeden anderen.

    Aber aus dem Umstand, Vernunftwesen zu sein, soll gerade ein Sollen der Andersbehandlung folgen. Unabhängig davon, ob das wirklich folgt oder nicht, stellt sich dann die praktische Frage, wie Sie entscheiden, ob ein konkret gegebenes Objekt oder Subjekt X (Stein, Grashalm, Yoda usw.) Vernunftwesen ist. Ich hatte ja bereits geschrieben, dass das in der Regel speziesistisch erfolgt: Bis zum Beweis von Vernunft kommen Schweine (außer Babe) und Kühe (außer Yvonne) in den Stall. Und zwar deshalb, weil im Laufe der Geschichte keinem Vertreter ihrer (Sub)Spezies gelungen ist, sich bei gleichbleibender Schmackhaftigkeit aus der Versklavung (durch den Menschen) zu befreien.

    Die Argumentation mit der „Bestimmung“ (zur „Menschheit“) […] setzt also voraus, daß das Subjekt um seine Bestimmung prinzipiell weiß, d. h. sie setzt „erwachsene“ Menschen voraus. Dennoch darf man nun nicht schließen, daß ein Menschenembryo (oder ein kleines Kind) keinen anderen ethischen Status hätte als ein Tier, nur weil auf diesem Weg („Bestimmung“) der Unterschied nicht zu finden ist.

    Ich kann das nicht so recht einsortieren. Bei der Moral geht es immer um “A gegen B”, wobei – wie Sie schon geschrieben hatten – B auch A zu einem anderen Zeitpunkt sein können soll. Habe ich Sie richtig verstanden, dass wenn A die Petrischale reinigt, in der sich B befindet, soll A sich in beiden folgenden Fällen unterschiedlich verhalten:

    a) B = Petrischale mit paarungs-unwilligem menschlichen Spermium neben einer unbefruchteten menschlichen Eizelle,
    b) B = wie a) aber mit paarungs-willigem Spermium.

    Unterschiedlich deshalb, weil b) die “Bestimmung” zur Menschwerdung in sich trägt? Oder kann A das Biomaterial in beiden Fällen bedenkenlos entsorgen, weil – Sie erkennen die intendierte Polemik – eine Beseelung noch nicht stattgefunden hat?

    • @ Ano Nym.

      „Aber aus dem Umstand, Vernunftwesen zu sein, soll gerade ein Sollen der Andersbehandlung folgen. Unabhängig davon, ob das wirklich folgt oder nicht, stellt sich dann die praktische Frage, wie Sie entscheiden, ob ein konkret gegebenes Objekt oder Subjekt X (Stein, Grashalm, Yoda usw.) Vernunftwesen ist. Ich hatte ja bereits geschrieben, dass das in der Regel speziesistisch erfolgt: Bis zum Beweis von Vernunft kommen Schweine (außer Babe) und Kühe (außer Yvonne) in den Stall. Und zwar deshalb, weil im Laufe der Geschichte keinem Vertreter ihrer (Sub)Spezies gelungen ist, sich bei gleichbleibender Schmackhaftigkeit aus der Versklavung (durch den Menschen) zu befreien.“

      Daß es in der Regel speziezistisch erfolgt, bedeutet nicht, daß es zu recht speziezistisch erfolgt. Abgesehen davon: Stimmt es denn? Elfen, Nixen, Feen usw. sind keine Menschen, aber man meinte doch, daß ihnen gegenüber eine Andersbehandlung geboten ist.

      Ist es nicht so, daß ethisch gesehen Hinweise reichen müßten, daß dieses Objekt ein Vernunftwesen sein könnte? Denn es ist klar, daß man dann das Risiko nicht eingehen darf, es wie eine Sache zu behandeln. Wenn aus dem Schutt eines zusammengestürzten Hauses eine Stimme zu hören ist, dann reicht es, daß das ein ziemlich guter Hinweis darauf ist, daß da ein Mensch darunter liegen könnte mit der Folge, daß man sich entsprechend verhalten soll. Man muß nicht mit Sicherheit wissen, daß es die Stimme nicht doch vielleicht von einem Tonbandgerät kommt.

  10. @Ludwig Trepl

    »Wie können Sie denn überhaupt auf den Gedanken kommen, daß man auf alle ethisch-moralischen Fragen in ein paar Jahrhunderten eine allgemeingültige Antwort finden könnte?«

    Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass, wenn man unterscheiden kann zwischen dem, was man bloß für richtig hält, und dem, was richtig ist, man auch irgendwann dazu kommen müsste, zu wissen, welche Handlung in einer gegebenen Situation tatsächlich richtig ist.

    Aber wahrscheinlich kann man da gar nicht unterscheiden. Es geht immer nur um das, was wir für richtig halten, was uns richtig erscheint, was für uns richtig ist. Das, was tatsächlich richtig ist, ist wohl vergleichbar mit Welt „an sich“, deren Beschaffenheit uns ja auch nicht zu kümmern braucht.

    Ich finde, es ist etwas völlig anderes, ob man auf eine empirische Frage keine Antwort finden kann, oder auf eine ethische Frage.

    Mir fällt jetzt gerade kein Beispiel ein für ein empirisches Phänomen, das aus prinzipiellen Gründen nicht natürlich erklärt werden kann. Aber moralische Dilemmas gibt es zuhauf. Da muss man noch nicht mal auf irrwitzige ausweglose moralische Konstruktionen zurückgreifen, schon der gesellschaftliche Alltag bietet da reichlich Material. Und die zeigen uns eben, so meine ich, nicht nur die Begrenztheit unserer Vernunft in Fragen der Moral, sondern wohl auch der Vernunft überhaupt, der Logik.

    (Dies nur noch einmal zur Erklärung meiner Vorstellungen, ohne das jetzt weiter vertiefen zu wollen. Mir fehlt einfach das philosophische Rüstzeug, um über diverse Konzepte der Vernunft und dergleichen vernünftig diskutieren zu können.)

    Das Apriorische gehört im Grunde auch zu den Dingen, über die es für mich schwierig ist, vernünftig zu diskutieren.

    Mir geht es, wie gesagt, dabei nur um Kenntnis oder Wissen a priori. Wenn ich hierzu in einfachen, aber renommierten Nachschlagewerken nachschaue, wie etwa hier:

    http://www.britannica.com/EBchecked/topic/117/a-priori-knowledge ,

    dann finde ich nichts, was sich nicht mit meinen Vorstellungen vereinbaren ließe (sofern ich nichts übersehen habe).

    Dieses „in-der-Zeit-sein“ als eine „Bedingung der Möglichkeit von Evolutionsgeschichte“ soll also entgegen meinem ersten Eindruck nichts mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur zu tun haben. Dann ist es wohl so, dass meine raumzeitliche Existenz als erkennendes Subjekt eine Bedingung der Möglichkeit von Evolutionsgeschichte ist. Wobei mir immer noch nicht ganz klar ist, ob „Evolutionsgeschichte“ hierbei als unabhängiges geschichtliches Faktum oder bloß als „Erzählung“ gemeint ist.

    „In-der-Zeit-sein“ klingt nach einem verwickelten Geisteskonstrukt. Unter „Zeitlichkeit“ kann ich mir schon eher etwas vorstellen. Auch auf die Gefahr hin, am Thema vorbei zu schreiben, folgende Anmerkungen:

    »Vielleicht sagen Sie jetzt: […] Als es noch gar keinen denkenden und anschauenden Menschen in der Welt gab, lief doch schon die Evolution ab. – Doch bereits wenn wir sagen, „daß da etwas abgelaufen ist“, setzt das apriorische Bedingungen voraus, die die Evolution nicht ihrerseits hervorgebracht haben kann: in diesem Fall Zeitlichkeit.«

    Womit wir, so scheint mir, wieder bei der menschlichen Rede über das Faktum Evolution wären. Oder aber, es geht nun doch um die Gesetzmäßigkeiten der Natur (z. B. in der Zeit gerichtet ablaufende Prozesse), denn diese werden nicht von der Evolution hervorgebracht, sondern müssen sein, damit Evolution stattfinden kann.

    »Anders gesagt: Die Evolution als empirisches Faktum gibt es nicht unabhängig von den Bedingungen, unter denen für uns etwas überhaupt ein empirisches Faktum sein kann.«

    Ich vermute, die Evolution als „empirisches“ Faktum ist etwas anderes als die Evolution als bloßes Faktum, so wie sie als ein Naturgeschehen unabhängig von einem erkennenden Subjekt stattfindet (während das empirische Faktum das Erkannte ist).

    »Anders gesagt: Ihre Gegenüberstellung von „Evolution als Faktum“ und „unsere Kenntnis dieses Faktums“ ist falsch. Es gibt das Faktum nicht unabhängig von einer gewissen Art von Kenntnis über es: die apriorische.«

    Das finde ich nicht überzeugend. Die Fakten können nicht von dem abhängen, was ich über sie weiß.

    Sicher, wenn etwas Faktisches aus der Außenwelt nicht Eingang gefunden hat in unser Denken, existiert es für uns faktisch nicht (und nicht alles, was wir uns innerweltlich vorstellen können, existiert in der Außenwelt). Insofern mag es einen Zusammenhang zwischen den Fakten und unseren Kenntnissen darüber geben.

    Dennoch: Wenn unsere Rede von „Fakten“ überhaupt Sinn machen soll, dann müssen wir uns diese Fakten unabhängig vom Betrachter denken. Wenn wir nicht diese Unterscheidung treffen zwischen den Fakten der Außenwelt, die nun mal sind, wie sie sind, und unserem unvollständigen Wissen über diese Fakten, dann geht doch alles durcheinander. Wozu haben wir schließlich die Fähigkeit, zwischen dem, was zu unserem Selbst gehört, und dem, was außerhalb von uns ist, zu unterscheiden?

    »Die Welt vor den Menschen (als noch niemand die Welt gedacht hat) ist etwas ganz anderes als die Welt an sich (wie sie unabhängig von einem sie denkenden Subjekt ist). Das bringen Sie dauernd durcheinander.«

    Wieso denn das? Die Beschaffenheit der „Welt an sich“ interessiert mich nicht im Geringsten, sie mag sein wie sie will, entscheidend ist allein, wie die Welt uns (und allen anderen) erscheint bzw. was von ihr erkennbar ist.

    »Es ist schlechterdings sinnlos zu fragen, was die „natürlichen“ oder „evolutionären“ Bedingungen dafür sind/waren, daß für uns alles „in der Zeit ist“, denn diese Frage würde sich auf die Welt an sich richten, von der wir keinerlei Erkenntnis haben können, nicht auf die empirische Welt.«

    Das ist mir unverständlich. Wenn der Mensch eine evolutionäre Herkunft hat, und alles spricht dafür, dass das so ist, dann kann nach allem, was den Menschen ausmacht und ihn betrifft, gefragt werden, also auch nach seiner Art die Welt zu sehen und Vorstellungen zu entwickeln, sofern es methodisch machbar und möglich ist. Mit der „Welt an sich“ hat das nach meinem Verständnis überhaupt nichts zu tun.

    »Wenn wir nach dem „Ursprung“ der Zeitlichkeit suchen wollen, dürfen wir nicht in der empirischen Welt suchen (da treffen wir immer bereits auf das, was wir in sie hineingelegt haben: Zeitlichkeit).«

    Die Frage ist doch, warum wir „Zeitlichkeit“ hineingelegt haben bzw. hineinlegen können. Und wo sonst sollten wir suchen? Eine andere als die empirische (phänomenale) Welt, die wir befragen können, gibt es für uns ja nicht. Und wenn wir uns selbst reflektorisch befragen, finden wir auch immer nur das, was wir selbst in uns hineingelegt haben, oder aber, wie ich meine, was in uns hineingelegt wurde (nämlich das Apriorische).

    »Jeder faktischen Äußerung eines apriorisches Satzes, jedem faktischen apriorischen Gedanken geht natürlich die Evolutionsgeschichte als Faktum voraus. Aber unter „Faktum“ stellen Sie sich hier offenbar eine Evolution der Welt, wie sie an sich ist, vor, und in der „Theorie“, so meinen Sie, begreifen wir sie dann so oder so, gemäß den Möglichkeiten und Grenzen, die uns eben die Evolution bietet und setzt.«

    Das gibt mir Gelegenheit, nochmals meine diesbezüglichen Vorstellungen auszubreiten: Fakten sind Teil unserer phänomenalen, erkennbaren Welt, welche wiederum „Teil“ einer nicht erkennbaren Welt an sich ist. Da wir über Letztere aber nichts wissen können, ist es im Grunde sinnlos, über sie zu reden. Insofern ist auch diese Unterscheidung (phänomenal/“an sich“) im Grunde überflüssig, denn für uns gibt es nur diese eine Welt, unsere Welt der faktischen Geschehnisse. Und eine dieser Geschehnisse ist die Entstehungsgeschichte (a) des Universums und (b) der belebten Natur (i.e., „Evolution“). Dank unserer kognitiven Fähigkeiten können wir diese faktischen Geschehnisse zumindest teilweise erkennen und Theorien dazu bilden.

    »Evolution kann nie etwas anderes sein als das, was sie unter den Bedingungen, die mit „a priori“ gemeint sind, ist (z. B. ein raumzeitliches Geschehen). Daß sie diese Bedingungen ihrer selbst selbst hervorbringt, ist logisch ausgeschlossen.«

    Es gibt, wer wollte das bestreiten, ein vom Beobachter unabhängiges raumzeitliches Geschehen, das der Beobachter teileweise erkannt und als Evolution bezeichnet hat. Und erkannt, da könnte ich nun mitgehen, hat er es wohl „unter den Bedingungen, die mit ‚a priori‘ gemeint sind“. Das faktische Geschehen ist davon jedoch unberührt. Das Apriorische liegt demnach allein im Beobachter (natürlich, was sonst) und hat mit dem faktischen Geschehen nur insofern zu tun, als es entscheidend ist für das Bild, das sich der Beobachter von diesem Geschehen machen kann. Und da auch der Beobachter mit seinen apriorischen Kenntnissen und Urteilen zweifelsfrei Teil des faktischen Evolutionsgeschehens ist, hat die Evolution auch das Apriorische hervorgebracht.

    Ich sehe in meinem Gedankengang keinen logischen Fehler (denn sonst hätte ich ihn nicht gebracht).

    • Da wir über Letztere [die Welt an sich] aber nichts wissen können, ist es im Grunde sinnlos, über sie zu reden.

      Das ist ein logischer Widerspruch. Sie geben vor, über die Welt an sich zu wissen, dass man über sie nicht wissen könne. Das ist wie mit dem Satz “Ich weiß, dass ich nichts weiß.”.

      • Das, was wir wissen können, ist, daß die “Welt an sich” die erscheinende Welt ermöglichen muß, damit überhaupt etwas erscheint. (Kants “Ding an sich”)

          • Eine Letztbegründung, wie es Ihnen vll. vorschwebt, endet ohnehin im Münchhausen-trilemma. Hätte Kant nicht ein “Ding an sich” postuliert, wäre er wohl in den Solipsismus geraten.

          • @Ano Nym

            Wieso „Abstrakta“? Ich bin davon ausgegangen, dass die „Welt an sich“ real, wirklich, existent ist. Wir wissen halt nichts über ihre wahre Beschaffenheit und Eigenschaften, außer eben, wie Dietmar Hilsebein schreibt, dass sie uns „hervorgebracht“ haben muss, denn sonst gäbe es uns nicht.

          • Sie stimmen also zu, dass es sich beim Ding an sich um ein Abstraktum handelt?

          • @ Ano Nym

            “Sie stimmen also zu, dass es sich beim Ding an sich um ein Abstraktum handelt?”

            Die erscheinende Welt affiziert unsere Sinne. Das, was wir dann in unserem Verstande begrifflich ordnen, legen wir wieder in die Welt zurück. Insofern abstrahieren wir sowohl die erscheinende Welt als auch die Welt/Ding an sich.

          • Ergänzung @ Ano Nym

            Und insofern ist „die Grenze meiner Sprache die Grenze meiner Welt“ (->Wittgenstein)

          • @Dietmar Hilsebein

            Möchten Sie hier einen imaginierten Zitierwettbewerb gewinnen?

          • @Dietmar Hilsebein

            »Und insofern ist „die Grenze meiner Sprache die Grenze meiner Welt“ (->Wittgenstein)

            Wenn das stimmte, wäre das sehr sehr bedauerlich.«

          • @Dietmar Hilsebein

            Hoppla, zweiter Versuch:

            »Und insofern ist „die Grenze meiner Sprache die Grenze meiner Welt“ (->Wittgenstein) «

            Wenn das stimmte, wäre das sehr sehr bedauerlich.

          • @ Ano Nym

            “Möchten Sie hier einen imaginierten Zitierwettbewerb gewinnen?”

            Nö, aber ich möchte mich nicht mit fremden Lorbeeren schmücken. Es gibt ja “nichts Neues unter der Sonne”, daher müßte ich alles, was ich zu schreiben versuche, als Zitat kennzeichnen. Da das, was ich Ihnen zuerst schrieb, die Gedanken Kants sind (so, wie ich ihn verstanden habe) muß man ja, um redlich zu bleiben, auch seine Kritiker zur Kenntnis nehmen. Da in der Kürze die Würze liegt, nahm ich Wittgenstein. Anklänge finden sich dabei schon bei Herder und Hamann, die der KrV Kant kritisch gegenüberstanden.

      • @ Ano Nym, @ Hilsebein, @ Balanus

        Das, worauf sich „Ding an sich“ bezieht, ist kein Abstraktum, es ist das gerade Gegenteil.

        „’Da wir über Letztere [die Welt an sich] aber nichts wissen können, ist es im Grunde sinnlos, über sie zu reden.’ [Balanus] Das ist ein logischer Widerspruch. Sie geben vor, über die Welt an sich zu wissen, dass man über sie nicht wissen könne.“ [Ano Nym]

        Man kann nichts Bestimmtes über sie sagen, aber überhaupt über sie zu reden ist darum nicht sinnlos. Sie ist ein notwendiger Grenzbegriff, wenn man nicht beim platten Empirismus landen will oder im absoluten Idealismus. Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten, aber die kenne ich nicht.

        • Bitte nehmen Sie mir meine “Sophismen” nicht übel. Aber ich möchte den, der etwas äußert, gern darauf, was er äußert, festnageln:

          Man kann nichts Bestimmtes über sie sagen,

          Ist es eine Eigenschaft der Welt an sich, dass man über sie nichts bestimmtes sagen kann. Ja oder nein?

          • @ Ano Nym

            „’Man kann nichts Bestimmtes über sie sagen’ [Zitat von mir] Ist es eine Eigenschaft der Welt an sich, dass man über sie nichts bestimmtes sagen kann. Ja oder nein?“

            Vorsicht, kürzlich hat so ein Fernseh-Hanswurst einen „shitstorm“ gegen sich entfacht, weil er allzu penetrant der Politikerin Wagenknecht gegenüber auf einer Ja-oder-Nein-Antwort bestand in einem Fall, in dem eine solche nicht möglich war.

            Eine Eigenschaft der Welt an sich ist es insofern nicht, als wir über deren Eigenschaften nichts wissen können. Es ist eine Aussage über die Möglichkeiten, die ein „Beobachter“ der Welt an sich hat. Nun kann es aber einen solchen Beobachter definitionsgemäß nicht geben. Es kann also auch keine Eigenschaft des Beobachters sein, über die Welt an sich nichts Bestimmtes sagen zu können. Es ist, würde ich erst mal sagen, eine Eigenschaft dessen, der die Welt an sich nicht beobachtet, sondern nur denkt – nicht das Wie, nur das Daß; das geht ja.

          • Eine Eigenschaft der Welt an sich ist es insofern nicht, als wir über deren Eigenschaften nichts wissen können.

            Etwas über eine Sache nicht wissen zu können ist in meiner überschaubaren Welt ein Prädikat der Sache. Sehen Sie das anders? Praktiziere ich einen falschen Sprachgebrauch?

            Ich verstehe “Über die Welt an sich können wir nichts wissen.” äquivalent zu “Über die Welt an sich kann nichts gewusst werden.” also analog zu “Wir können über diese Brücke nicht fahren.” nicht im Sinne von weil wir kein Fahrzeug oder keinen Sprit haben, sondern, weil sie morsch ist. In diesem Fall verstehe ich den Brücken-Satz äquivalent zu “Diese Brücke ist nicht befahrbar.”. Die Befahrbarkeit der Brücke ist eine Eigenschaft der Brücke, so wie die Nichtwissbarkeit (von irgendwas über die Welt an sich) eine Eigenschaft der Welt an sich ist.

            Für mich stellt es sich so dar, dass die Nichtwissbarkeit ja gewusst wird (jedenfalls behaupten Sie das ja von sich selbst, dass Sie es wissen). Und was für ein Wissen ist das? Das ist ein Eigenschaftswissen. Und zwar ein Eigenschaftswissen über die Welt an sich. Widerspruch.

            Wenn Sie einen Denkfehler finden, bitte ich darum, mir ihn aufzuzeigen.

        • @ Ano Nym.

          „Etwas über eine Sache nicht wissen zu können ist in meiner überschaubaren Welt ein Prädikat der Sache. Sehen Sie das anders?“

          Ist es denn eine Eigenschaft der Wiese, daß ein Blinder ihre Buntheit nicht sehen kann?

          „Ich verstehe ‚Über die Welt an sich können wir nichts wissen.’ äquivalent zu ‚Über die Welt an sich kann nichts gewusst werden.’“

          Über diese Welt an sich kann von uns nichts gewußt werden, vom lieben Gott schon. Nicht weil die Brücke morsch ist, können wir über sie nicht fahren, sondern weil wir keinen Sprit haben. Wir sind u. a. auf sinnliche Anschauung angewiesen und folglich kann die Welt für uns nie anders sein als so, wie sie uns unter den Bedingungen unserer sinnlichen Anschauung erscheint.

          „Für mich stellt es sich so dar, dass die Nichtwissbarkeit ja gewusst wird (jedenfalls behaupten Sie das ja von sich selbst, dass Sie es wissen). Und was für ein Wissen ist das? Das ist ein Eigenschaftswissen. Und zwar ein Eigenschaftswissen über die Welt an sich. Widerspruch.“

          Etwa so hat Hegel argumentiert. Indem wir das Ding an sich und damit seine Unerkennbarkeit denken, sind wir über die Unerkennbarkeit schon hinaus. Das geht schon. Nur landen Sie damit halt beim absoluten Idealismus. Wollen Sie das?

          • Ist es denn eine Eigenschaft der Wiese, daß ein Blinder ihre Buntheit nicht sehen kann?

            Nein. Die Blindheit ist eine Eigenschaft des Blinden.

            Etwa so hat Hegel argumentiert. Indem wir das Ding an sich und damit seine Unerkennbarkeit denken, sind wir über die Unerkennbarkeit schon hinaus. Das geht schon. Nur landen Sie damit halt beim absoluten Idealismus. Wollen Sie das?

            Das, was Sie hier Hegel zuschreiben, ist ein einfacher Widerspruchsbeweis. Und wenn schon Hegel die Annahme der Unerkennbarkeit als falsch erkannte, na dann umso besser.

            Aber jetzt verstehe ich Sie so, dass die Unerkennbarkeit der Welt an sich ein Defizit im kognitiven Apparat des Menschen bezeichen möge. Es ist aber mit den Defiziten so eine Sache: Sie ergeben sich nur durch Vergleich, durch Differenzbildung. Der kognitive Apparat des Blinden ist deshalb defizitär, weil er im Vergleich mit dem durchschnittlichen Vermögen des Menschen eine Fähigtkeit nicht besitzt. Hingegen gilt die menschliche Eigenschaft, nicht im Ultravioletten sehen zu können, nicht als Defizit, jedenfalls solange man nicht mit irgendwelchen Tetrachromaten vergleicht.

            Zwangslos ergibt sich also die Anschlussfrage: Aus der Differenzbildung mit welchem anderen Subjekt ergibt sich, dass der Mensch hinsichtlich der Erkennbarkeit der Welt an sich defizitär ist? Lassen Sie mich raten (ja, das ist schon die Polemik): Das Defizit ergibt sich durch Differenzbildung zwischen Mensch und Gott. Denn letzterer ist nach Voraussetzung hinreichend befähigt (Zitat L. Trepl: „Über diese Welt an sich kann von uns nichts gewußt werden, vom lieben Gott schon.“).

          • @ Ano Nym.

            „Zwangslos ergibt sich also die Anschlussfrage: Aus der Differenzbildung mit welchem anderen Subjekt ergibt sich, dass der Mensch hinsichtlich der Erkennbarkeit der Welt an sich defizitär ist? Lassen Sie mich raten“ .

            Richtig geraten. Es ist das hypothetische Subjekt, das definitionsgemäß nicht defizitär ist.

            „Und wenn schon Hegel die Annahme der Unerkennbarkeit als falsch erkannte …“

            Unerkennbar im Hinblick auf seine Bestimmtheit, auf das Wie, nicht auf das Daß. – Wenn Sie sagen: das, was uns erscheint, erscheint uns so, wie es den Bedingungen nach, unter denen uns etwas erscheinen kann, erscheinen muß, dann haben Sie damit gesagt, daß da eben etwas erscheint, etwas, das nicht wir selbst sind oder unsere Hervorbringung ist, das aber so, wie es uns erscheint, eben nur unter diesen Bedingungen ist, und daß es uns, die wir an diese Bedingungen gebunden sind, unmöglich ist, es so zu erkennen, wie es unabhängig von diesen Bedingungen ist. Wenn Sie diesen Schluß vermeiden wollen, dann müssen Sie wohl sagen, daß das, was uns da erscheint, uns in Wirklichkeit gar nicht erscheint (daß also da etwas außerhalb von uns ist, das uns erscheint), sondern daß es ganz und gar unsere Hervorbringung ist. Damit sind Sie beim absoluten Idealismus. Kann man schon machen, aber es ist etwas schwierig, diesen doch sehr starken Eindruck zum Verschwinden zu bringen: die Rezeptivität, mit der wir uns geschlagen sehen; daß wir eben nicht durch unser Denken und Wünschen die Dinge erschaffen können wie der liebe Gott, sondern sie uns als uns „gegeben“ vorkommen, daß die Geschehnisse uns „widerfahren“. Will man das berücksichtigen und zugleich berücksichtigen, daß das, was wir „Erfahrung“ von dem nennen, was nicht wir selbst sind, doch nur unter gewissen Bedingungen, die sich aus der Beschaffenheit des erfahrenden Subjekts ergeben, erfahren werden kann, bleiben eben nur kompliziertere Theoriekonstruktionen. Die Kant’sche ist eine solche.

          • Wenn Sie sagen: das, was uns erscheint, erscheint uns so, wie es den Bedingungen nach, unter denen uns etwas erscheinen kann, erscheinen muß, dann haben Sie damit gesagt, daß da eben etwas erscheint, etwas, das nicht wir selbst sind oder unsere Hervorbringung ist, das aber so, wie es uns erscheint, eben nur unter diesen Bedingungen ist, und daß es uns, die wir an diese Bedingungen gebunden sind, unmöglich ist, es so zu erkennen, wie es unabhängig von diesen Bedingungen ist.

            Bedingung ist mit zu abstrakt. Sind mit Bedingungen Beschränkungen oder Befähigungen gemeint und heißt “unabhängig” dann ohne Beschränkung oder heißt es ohne Befähigung?

    • Ludwig Trepl, @ Balanus

      „Aber wahrscheinlich kann man da gar nicht unterscheiden. Es geht immer nur um das, was wir für richtig halten, was uns richtig erscheint, was für uns richtig ist. Das, was tatsächlich richtig ist, ist wohl vergleichbar mit Welt „an sich“, deren Beschaffenheit uns ja auch nicht zu kümmern braucht.“

      Wir können nie mit letzter Sicherheit wissen, ob etwas, was wir für richtig halten, auch richtig ist. Aber das heißt nicht, daß wir den Gedanken dieser Differenz aufgeben könnten (das gilt fürs Moralische genauso wie für die empirische Wissenschaft). Wir steckten sonst ständig in einem Selbstwiderspruch. Es wäre unmöglich, von dem, was man für richtig hält, zu behaupten, daß es richtig sei, d. h. es wäre unmöglich, überhaupt zu argumentieren, weder mit anderen noch mit sich selbst. Nun müßten Sie zeigen, daß es möglich ist, zu leben ohne zu argumentieren. Wenn es Notwendiges gibt, also etwas, bei dem man nicht umhin kann es anzuerkennen (z. B. deshalb, weil man es gerade selber tut, weil man etwa gerade argumentiert), das aber Bedingungen hat, dann kann man nicht umhin, diese Bedingungen anzuerkennen. Wer argumentiert (und Sie tun das ja hier), hat damit bereits die Bedingungen anerkannt, unter denen argumentieren nur möglich ist. Dazu gehört die Differenz von für richtig halten und richtig sein. Wenn Sie zu mir sagen „was Sie sagen, ist falsch“, dann haben Sie damit bereits zugestanden, daß es nicht immer nur „um das geht, was wir für richtig halten“: In diesem Moment geht es Ihnen ja darum, was richtig ist.

      „Und die [die moralischen Dilemmata] zeigen uns eben, so meine ich, nicht nur die Begrenztheit unserer Vernunft in Fragen der Moral, sondern wohl auch der Vernunft überhaupt, der Logik.“

      Das scheint mir in der Tat ein schwieriges Problem. Tatsächlich zwar funktionieren wir nicht so. Wir fragen uns ja in Fällen, die uns als Dilemmata erscheinen, was denn die richtige Lösung wäre, wir sind also überzeugt davon, daß es gar keine Dilemmata sind, daß z. B. dann, wenn wir die Abwägung richtig vollziehen würden, unbestreibar herauskäme, wer da geopfert werden muß. Der Idee der Vernunft folgen wir also auf jeden Fall, auch wenn wir pragmatisch (was wiederum vernünftig sein kann) den Prozeß der Überlegung abbrechen und z. B. eine Münze werfen. Aber mal angenommen, es gäbe diese Lösung tatsächlich nicht (also auch nicht am Ende aller Tage): Hieße das nicht, daß es gar keine Moral, kein Sollen gibt, daß es gleichgültig ist, wie man handelt? Denn etwas anderes als die Vernunft, die da zu entscheiden hat, kann es nicht geben. Man lädt sich also eine erhebliche Beweislast auf.

      „Dieses „in-der-Zeit-sein“ als eine „Bedingung der Möglichkeit von Evolutionsgeschichte“ soll also entgegen meinem ersten Eindruck nichts mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur zu tun haben.“

      Doch, nur nicht mit den empirischen Gesetzmäßigkeiten der Natur, sondern mit den Gesetzmäßigkeiten, die sich dem verdanken, was wir a priori in jede empirische Natur hineinlegen. Denn jede mögliche Empirie steht unter den Bedingungen der Zeitlichkeit. Gewiß ist „Zeitlichkeit“ auch etwas Empirisches: Es ist ein empirischer Sachverhalt, daß A vor B stattfand und nicht nach B. Aber eine empirische Welt, in der es kein Davor und Danach und kein Gleichzeitig gibt, ist nicht möglich.

      „ ‚Es gibt das Faktum nicht unabhängig von einer gewissen Art von Kenntnis über es: die apriorische.’ Das finde ich nicht überzeugend. Die Fakten können nicht von dem abhängen, was ich über sie weiß.“

      Doch. Sie hängen nur nicht von dem ab, was ich empirisch über sie weiß. Aber ich weiß von vornherein, ohne jede empirische Forschung, daß etwas vor, gleichzeitig mit oder nach etwas anderem ist, daß diese Bestimmungen immer anzuwenden sind, auf alles, was je Faktum heißen kann. Das muß ich nicht empirisch-naturwissenschaftlich herausfinden, sondern das weiß ich, weil ich es in die Natur hineinlege, so daß überhaupt „Fakten“ sein können. „Fakten“ sind nicht unabhängig davon, daß sie für ein Subjekt Fakten sind; es ist komplizierter, Fakten werden konstituiert. „Beobachter“ und „beobachterunabhängige Fakten“ gibt es in dem Sinne, daß es den Mond auch gibt, wenn ihn keiner beobachtet und sogar damals gab es ihn schon, als es noch gar keine möglichen Beobachter gab. Aber es gibt das „beobachterunabhängige Faktum“ Mond nicht in dem Sinne, daß es vom Subjekt unabhängig wäre, daß der Mond ein raumzeitliches Phänomen ist; das liegt an den Bedingungen, unter denen dem Subjekt überhaupt etwas erscheinen kann.

      „Wenn der Mensch eine evolutionäre Herkunft hat, … dann kann nach allem, was den Menschen ausmacht und ihn betrifft, gefragt werden, also auch nach seiner Art die Welt zu sehen“

      Ja, aber wenn es darum geht, was in jeder nur möglichen Herkunft immer gleich ist (z. B. Zeitlichkeit), dann kann die Antwort nicht in der evolutionären Herkunft liegen.

      „Die Frage ist doch, warum wir „Zeitlichkeit“ hineingelegt haben bzw. hineinlegen können. Und wo sonst sollten wir suchen? Eine andere als die empirische (phänomenale) Welt, die wir befragen können, gibt es für uns ja nicht.“

      Die empirische (phänomenale) Welt können wir da nicht befragen, denn sie sie setzt die Zeitlichkeit bereits voraus. Diese Welt kann sozusagen die Frage nicht entscheiden, ob sie uns nun dazu bringen soll, Zeitlichkeit (oder etwas anderes Apriorisches) in sie selbst hineinzulegen oder nicht. Wir, als Subjekte, legen, und zwar in der Erkenntnisrelation, die Zeitlichkeit in eben diese Welt hinein. Und da ist die Frage „warum“ nicht mehr zu beantworten, wir sind am Ende aller Fragen angekommen. Alle Fragen, die bezüglich der phänomenalen Welt zu beantworten sind, werden eben unter der Voraussetzung beantwortet, daß diese Welt zeitlich strukturiert ist.

      Sie schreiben nun: „Und erkannt, da könnte ich nun mitgehen, hat er [die Evolution] wohl ‚unter den Bedingungen, die mit ‚a priori‘ gemeint sind’. Das faktische Geschehen ist davon jedoch unberührt. Das Apriorische liegt demnach allein im Beobachter (natürlich, was sonst) und hat mit dem faktischen Geschehen nur insofern zu tun, als es entscheidend ist für das Bild, das sich der Beobachter von diesem Geschehen machen kann.“

      Das faktische Geschehen ist davon eben nicht unberührt. Wenn Sie so wollen: Das faktische Geschehen ist das Bild, das sich der „Beobachter“ (der Begriff suggieriert etwas Falsches, Subjekt sollte es heißen) von der Welt macht, weil er zur Welt nur unter Bedingungen, die er selbst mitbringt, „Zugang“ hat. Was von dem, was a priori vom Subjekt der „Natur“ vorgegeben wird, unberührt ist, ist die „Welt an sich“ (also das, was Sie mit dem faktischen Geschehen immer verwechseln). Sie ist so gedacht, wie sie unabhängig von einem sie sich vorstellenden Subjekt wäre. Das faktische Geschehen aber ist das Geschehen unter eben den apriorischen Bedingungen, die das Subjekt allem vorgibt, was ihm „erscheinen“ kann. Das faktische Geschehen kann darüber entscheiden, ob das Subjekt sich die Welt in dieser oder jener Variante, die innerhalb des faktischen Geschehens möglich ist, vorstellt (z. B. bunt oder schwarzweiß), aber es kann nicht bewirken, daß es sie sich anders vorstellt als so, wie es für jedes faktische Geschehen (also für alles in der Perspektive des Subjekts) nur möglich ist (es kann z. B. nicht bewirken, daß Phänomene nicht „in der Zeit“ sind).

  11. @Ludwig Trepl

    [7. März 2014 14:12]

    » … „Ist ein achtzelliger Embryo ein „unfertiger“ Organismus? Wohl kaum.“

    Ich meine: doch. Im Begriff des Organismus ist mitgedacht, daß er sich entwickelt und daß die Entwicklung in Zyklen verläuft […] „Unfertig“ ist freilich schief, …«

    Nicht nur schief, nach meinen Empfinden. Den Begriff „Organismus“ wollte ich rein sachlich und wertfrei verstanden wissen, so im Sinne von „lebendes System“. Und da gehören zur Gesamtwirklichkeit eines individuellen lebenden Systems eben auch die unterschiedlichen Stufen seiner Organisation.

    »Bezüglich des Moralischen könnte man so argumentieren: Wir treffen ununterbrochen moralische Entscheidungen, wenn wir nicht gerade schlafen, oder haben sie doch getroffen als Voraussetzung dafür, daß wir gerade das tun, was wir tun. Das Allermeiste ist so selbstverständlich, daß es uns gar nicht mehr auffällt, und es ist auch unstrittig unter den verschiedenen Kulturen usw. Also könnte man sagen: in den meisten Fällen haben wir wohl das moralisch Richtige gefunden (wenn uns auch die letzte Gewißheit fehlt).«

    Da gehe ich mit, denn es passt zu meiner These, dass wir über eine natürliche Alltags-Moralität verfügen, die nicht erst einer Vernunftprüfung unterzogen werden muss, um praktiziert werden zu können.

    Interessanter finde ich aber das Problem bestimmter moralischen Dilemmata, ob es auf diese eine einzig richtige Antwort geben kann, die dank der Vernunft irgendwann gefunden werden könnte.

    » …. Dass es sie [synthetische Sätzen a priori] (in uns) gibt, ja geben muss, erklärt sich aus unserer Evolutionsgeschichte.“

    Nein, denn es sind Sätze, die Empirie und damit Evolutionsgeschichte überhaupt erst möglich machen.«

    Sätze, die Evolution erst möglich machen? Oder meinen Sie die Erforschung und Beschreibung der Evolution?

    Dass das Apriorische den Erfahrungswissenschaften vorausgeht, ist ja meine Rede, aber die Evolutionsgeschichte als Faktum (nicht als Theorie) dürfte zwangsläufig jeder apriorischen Kenntnis vorausgehen. Ausgangspunkt meiner Überlegungen war ja unsere apriorische Kenntnis der sittlichen Werte, sofern es diese Kenntnis gibt, und ich meine, es gibt sie. Und wenn es sie gibt, dann habe ich auch eine These, wo dieses apriorische Wissen herkommt. Mag sein, dass diese apriorische Kenntnis etwas anderes ist als die von Ihnen erwähnten „synthetischen Sätzen a priori“. Aber dennoch, der Term „a priori“ verweist doch auf etwas, was aller Erfahrung vorausgeht, und wenn man nun nicht speziell Sätze, sondern anderes in den Blick nimmt, dann bleibt für die Antwort auf die Frage, was denn die Grundlage der apriorischen Kenntnis ist, oder wie sie erworben wird, doch nicht allzu viel an Möglichkeiten.

    »Aber daß für uns alles, was uns überhaupt begegnen kann, „in der Zeit ist“, erklärt sich nicht aus der Evolutionsgeschichte, ist vielmehr eine Bedingung der Möglichkeit von Evolutionsgeschichte.«

    Da verstehe ich nicht, was Sie damit meinen. Es klingt, als spielten Sie auf die naturgegebenen Bedingungen für Evolutionsprozesse an. Aber wo wäre da der Bezug zu den apriorischen Sätzen?

    [7. März 2014 12:27]

    »Wenn Sie damit meinen sollten, daß es – gemessen an der Vernunft – unterschiedlich vernunftbegabte gibt, […], so ist das trivial und hat mit den hier diskutierten Fragen nichts zu tun.«

    Ja, genau diese Trivialität hatte ich gemeint. Ich meinte schlicht die Vernunft, die die Bibliotheken mit philosophischen Schriften füllt und Sittengesetze oder „synthetische Sätze a priori“ erkennen und/oder formulieren kann. Eben die Vernunft, die gebraucht wird, um über moralische Fragen nachdenken zu können, wie z. B. über den ethischen Status der Tiere.

    »Die Aufklärung meinte aber die Vernunft im prinzipientheoretischen Sinne – nicht etwa die Vernunft der Spezies Mensch, sondern, und das ist etwas ganz anderes, die Vernunft, die unter den uns bekannten Wesen nur Menschen haben; was diese Vernunft ausmacht, muß unter Absehung von aller Anthropologie bestimmt werden, es muß auch Wesen zukommen können, die keine Menschen sind, und so hat man es auch gemacht.«

    Dagegen habe ich selbstverständlich keine Einwände. Man kann und sollte mit Vernunft über die Vernunft als Prinzip nachdenken.

    » … „Ich denke, dass es bislang keine Vernunft gegeben hat, die jede ethische Frage allgemeingültig (objektiv) beantworten konnte.“

    Natürlich nicht, wenn Sie (wie ich vermute) mit Vernunft einen Menschen meinen, der Vernunft hat. Es gab aber auch noch keinen, der jede naturwissenschaftliche Frage allgemeingültig (objektiv) beantworten konnte. «

    Mir ist die Formulierung meines Gedankengangs etwas verunglückt. Was ich zu bedenken geben wollte, war, dass es ethisch-moralische Fragestellungen gibt, auf die seit Hunderten von Jahren keine allgemeingültige Antwort gefunden wurde. Und dass der Verdacht naheliegt, dass es ethische Problemstellungen gibt, zu denen es schlechterdings keine Lösung geben kann. Keine Vernunft der Welt könnte jemals eine finden. Es sei denn, die Erkenntnis, dass es keine konsensfähige oder absolut richtige Antwort geben kann, wäre die Antwort.

    Zum Beispiel das Verhältnis von Mensch und Tier: Hat nun der „Differentialismus“ (z. B. Descartes) oder der „Assimilationismus (z. B. Montaigne) Recht? Oder liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte?

    Grundsätzlich: Nach welchen Kriterien unterscheiden wir, was wir bloß für wahr bzw. richtig halten und was tatsächlich wahr bzw. richtig ist? [@Chrys fragt sich das auch, wie ich eben gesehen habe].

    »Die Logik, die bei Ihnen gemeint ist, bezieht sich auf die Funktionsnotwendigkeiten des Systems, in unserem Fall eines selbstreferentiellen Systems; sie bezieht sich auf dessen Selbstproduktion und Selbstreproduktion. Die Frage ist aber, ob es das bezogen auf die Gesellschaften der Menschen überhaupt geben kann.«

    Mir genügt hier die Logik, dass 10 Leute eine bestimmte Arbeit in kürzerer Zeit verrichten können, als wenn einer sie alleine tut. Oder die „Logik“, dass die Verteilung von besonderen Fertigkeiten auf verschiedene Individuen gesellschaftlich effizienter ist, als wenn alle immer alles können müssen. „Funktionslogik“ ist vielleicht nicht der passende Begriff, aber so ganz verkehrt scheint er mir auch nicht zu sein. Man könnte da auch an die (funktionalen) Abläufe in Insektenstaaten denken. Beim Menschen kommt halt die „Vernunft“ hinzu, was die Sache (das Zusammenleben) enorm verkompliziert. Aber ich betrachte Tier- oder Menschengesellschaften nicht als „Superorganismen“, wenngleich das Zusammenwirken der Individuen mit dem unausgesprochenen Ziel, die Gesellschaft zu erhalten, schon einem „Superorganismus“ nahekommt (wenn z. B. das eigene Überleben vom Überleben der Gesellschaft abhängt).

    »Geht man von der Funktionslogik des Systems aus, dann kann dem, das dem KI zufolge als gut gelten muß, durchaus zuwidergehandelt werden.«

    Mal abgesehen davon, dass ich keine „Funktionslogik“ für gesellschaftliche Systeme als Ganzes behaupte (sondern nur, dass es in solchen Systemen diverse funktionale Zusammenhänge gibt), geht mein Argument ja auch anders herum: Was dem KI zufolge als gut gelten muss, kann für das gesellschaftliche Zusammenleben im Grunde nicht dysfunktional sein, niemals, sondern allenfalls für bestimmte Unrechts-Systeme, in denen der KI keine tragende Rolle spielt.

    [9. März 2014 10:28, @Chrys]

    »warum soll ich […] nicht z. B. die Welt so einzurichten versuchen […], daß sie für viele lebenswert ist, aber nicht für alle, denn manche stehen ja vielleicht dem Glück der Vielen im Wege, woraus man – das kennt man ja – den Schluß ziehen kann, daß man einige (z. B. die Juden, die Kulaken) eliminieren muß, damit es den Vielen gut geht?«

    Das Eliminieren von Einzelnen ist ja nicht von vorneherein etwas Falsches oder Schlechtes. Zum Beispiel dann nicht, wenn diese Einzelnen das Böse schlechthin sind (z. B. Diktatoren, Nazis, …). Auch unsere Strafjustiz zielt darauf ab, Einzelne zu eliminieren oder wegzusperren, damit es den Vielen gut geht.

    • Ludwig Trepl, @ Balanus.

      „Was ich zu bedenken geben wollte, war, dass es ethisch-moralische Fragestellungen gibt, auf die seit Hunderten von Jahren keine allgemeingültige Antwort gefunden wurde. Und dass der Verdacht naheliegt, dass es ethische Problemstellungen gibt, zu denen es schlechterdings keine Lösung geben kann. Keine Vernunft der Welt könnte jemals eine finden.“

      Seit Tausenden von Jahren, und es wird Tausende von Jahren so weitergehen, falls die Menschheit eine Zukunft hat. Aber das ist bei empirischen Fragen auch nicht anders. Wie können Sie denn überhaupt auf den Gedanken kommen, daß man auf alle ethisch-moralischen Fragen in ein paar Jahrhunderten eine allgemeingültige Antwort finden könnte?

      „Dass es ethische Problemstellungen“ geben könnte, „zu denen es schlechterdings keine Lösung geben kann“, daß „keine Vernunft der Welt könnte jemals eine finden könnte,“ ist kein ganz einfaches Problem. Das Wichtigste ist erst mal: Die Lösung, die die Vernunft bietet, ist eben definitionsgemäß die Lösung. Ethisch richtige Willensbestimmung und vernünftige Willensbestimmung sind identisch. Nun scheinen Sie mir auf den Unterschied zwischen der Vernunft (also der Idee, die wir haben, wenn wir „vernünftig“ sagen) und dem, was die konkreten Menschen davon jeweils erreichen können, anzuspielen. Diese sind nun einmal nur in Grenzen vernünftig. Und „keine Vernunft der Welt“ hat den richtigen Sinn, daß es nie eine konkrete Vernunft geben wird, die voll und ganz der Idee von Vernunft gemäß ist. „Die“ Vernunft ist nicht von dieser Welt, sagte man immer, es ist die göttliche, die Vernunft jenseits der Welt. So weit also haben Sie recht. Das ist aber etwas anderes als daß es „schlechterdings keine Lösung geben kann“. Dieses „kann“ bezieht sich auf „die“ Vernunft, die kann aber, bzw. da gilt wieder: Es ist nur ein analytischer Satz, daß die Vernunft die ethischen Probleme lösen kann: So sind diese definiert.

      Meinen Sie vielleicht mit solchen Dilemmata Situationen, ist denen man z. B. nicht umhin kann, jemanden zu opfern und man vor der Frage steht, wer es denn sein soll? Das scheint mir etwas anderes zu sein, denn auch da ist die Vernunft gefragt – was denn sonst? Es geht ja darum, was richtig ist. Die Frage scheint mir hier zu sein, ob „vernünftige Lösung“ heißen kann, daß man ohne Schuld aus so einer Situation herauskommen kann.

      „Mir genügt hier die Logik, dass 10 Leute eine bestimmte Arbeit in kürzerer Zeit verrichten können, als wenn einer sie alleine tut.“

      Das bezieht sich auf das Sollen in Zweck-Mittel-Relationen. Das Argument mit dem „Zusammenleben“, d. h. der Funktionslogik der Gesellschaft, soll sich aber auf das unbedingte Sollen beziehen, es soll eine Art Ersatz für den KI sein.

      „Auch unsere Strafjustiz zielt darauf ab, Einzelne zu eliminieren oder wegzusperren, damit es den Vielen gut geht.“

      Da wird nicht sauber unterschieden. Es ist nicht die Strafjustiz, die das tut. Es ist vielmehr eine politische Aufgabe, eine Aufgabe der „Daseinsvorsorge“, derartige Überlegungen anzustellen. Die Strafjustiz sperrt jemanden ein als Strafe für eine Tat. Das hat außerdem eventuell den Effekt, viele (oder wenige, oder nur einen) zu schützen, aber es hat nichts mit der Strafjustiz als solcher zu tun. Auch die eventuell anschließende Sicherheitsverwahrung gehört nicht zur Strafjustiz, selbst wenn es die selben Personen sein sollten, die die Strafe und die Sicherheitsverwahrung anordnen. – In unserem Zusammenhang – ich habe die Beispiele Juden- und Kulakenvernichtung gebracht, Sie haben darauf hingewiesen, daß auch „bei uns“ eliminiert wird – ist entscheidend, daß die „Eliminierung“ das Prinzip „nie bloßes Mittel, immer zugleich Zweck“ beachten muß. Ein utilitaristisches, von Funktionsnotwendigkeiten der Gesellschaft oder vom „Glück der großen Zahl“ (statt vom Subjekt des Handelns) ausgehendes ethisches Denken hat damit größte Schwierigkeiten.

    • Das Apriorische ist nicht durch Evolution zu erklären.
      Ludwig Trepl, @ Balanus.

      „‚Aber daß für uns alles, was uns überhaupt begegnen kann, „in der Zeit ist“, erklärt sich nicht aus der Evolutionsgeschichte, ist vielmehr eine Bedingung der Möglichkeit von Evolutionsgeschichte.’[Zitat von mir] Da verstehe ich nicht, was Sie damit meinen. Es klingt, als spielten Sie auf die naturgegebenen Bedingungen für Evolutionsprozesse an. Aber wo wäre da der Bezug zu den apriorischen Sätzen?“

      Nein, gerade nicht auf naturgegebene Bedingungen für Evolutionsprozesse. Daß alles, was uns je begegnen kann, „in der Zeit ist“, ist nichts Naturgegebenes. Die Natur kann da weder geben noch nehmen, kann daran gar nichts ändern. Eher könnte man sagen: Wir geben uns die Natur so, daß in ihr alles „in der Zeit ist“.

      Wenn die Evolution anders verlaufen wäre, hätten wir vielleicht Sinnesorgane, mit denen wir im UV sehen können oder Elektrizität wahrnehmen. Das, was uns aufgrund des So-oder-so-Verlaufens der Evolution (oder auch der kulturellen Entwicklung, darauf kommt es hier nicht an) vorgegeben ist im Hinblick darauf, daß wir diese oder jene Erfahrungen machen können oder nicht, ist aber nicht das, was mit „a priori“ gemeint ist. Dieses bezieht sich vielmehr auf die Möglichkeit von Erfahrung überhaupt.

      Wie auch immer die Evolution verlaufen mag: Die Zeitlichkeit von allem, was wir je erfahren können, kann sie nicht zum Verschwinden bringen und auch nicht hervorbringen. Sie gehört zu den apriorischen Bedingungen dafür, daß eine Natur und damit eine Evolution überhaupt möglich sind (gehört zu den Bedingungen, die wir allem „vorschreiben“, was als empirische Wirklichkeit überhaupt möglich ist). Jede mögliche Evolution unterliegt den Bedingungen der Zeitlichkeit, denn es handelt sich immer um eine Evolution in unserer, der phänomenalen Welt, und sie ist damit an die Bedingungen gebunden, unter denen es Phänomene überhaupt geben kann. Diese Bedingungen, die apriorischen, erklären sich nicht durch die Evolution, erklären sich nicht evolutionsbiologisch. Wenn, umgekehrt, die Evolution etwas erklärt, dann handelt es sich nicht um Apriorisches, sondern um Empirisches.

      Wenn in der Evolution etwas auch anders hätte laufen können, dann haben wir damit etwas vor uns, an dem die Evolution(sbiologie) etwas erklären kann. Aber wo etwas nicht anders hätte laufen können, da erklärt die Evolution nichts. In keiner möglichen Evolution kann es sein, daß etwas nicht „in der Zeit“ ist.

      Vielleicht sagen Sie jetzt: Aber das betrifft doch nur unser Denken, betrifft die Theorie über die Evolution, wir sehen sie halt unter eben den Bedingungen, unter denen wir überhaupt nur anschauen und denken können, und dazu gehört Zeitlichkeit. Aber das Faktum, sagen Sie vielleicht, daß da eine Evolution abgelaufen ist, ist doch etwas ganz anderes, das ist ganz unabhängig davon, ob wir so oder so über sie denken oder anschauen. Als es noch gar keinen denkenden und anschauenden Menschen in der Welt gab, lief doch schon die Evolution ab. – Doch bereits wenn wir sagen, „daß da etwas abgelaufen ist“, setzt das apriorische Bedingungen voraus, die die Evolution nicht ihrerseits hervorgebracht haben kann: in diesem Fall Zeitlichkeit. Wenn wir von Evolution sprechen, sagen wir ja nicht einfach „X“. Sondern wir sprechen von etwas Bestimmtem in der empirischen Welt, nicht von der Welt an sich. Wir setzen damit die apriorischen Bedingungen der Möglichkeit der oder einer empirischen Welt immer schon voraus. Anders gesagt: Die Evolution als empirisches Faktum gibt es nicht unabhängig von den Bedingungen, unter denen für uns etwas überhaupt ein empirisches Faktum sein kann. Anders gesagt: Ihre Gegenüberstellung von „Evolution als Faktum“ und „unsere Kenntnis dieses Faktums“ ist falsch. Es gibt das Faktum nicht unabhängig von einer gewissen Art von Kenntnis über es: die apriorische.

      Die Welt vor den Menschen (als noch niemand die Welt gedacht hat) ist etwas ganz anderes als die Welt an sich (wie sie unabhängig von einem sie denkenden Subjekt ist). Das bringen Sie dauernd durcheinander. Die Welt vor den Menschen ist nicht die Welt an sich, sondern ist die empirische Welt zu einer früheren Zeit. Sie kann so oder so gewesen sein, und es ist eine Aufgabe empirischer Wissenschaft, hier von Naturwissenschaft, herauszufinden, wie sie war. Aber wie sie notwendig immer beschaffen ist (weil das erkennende Subjekt das a priori einer jeden für uns als empirische möglichen Welt vorgibt, z. B., daß immer alles, was uns überhaupt begegnen kann, „in der Zeit“ ist), ist empirisch und damit durch die Evolution nicht zu erklären. Empirie kann uns immer nur zeigen, daß etwas so oder so ist, nie, daß es notwendigerweise so sein muß. Alles, was wir erfahren können, erfahren wir aber notwendigerweise „in der Zeit“. Und die Evolution kann nicht nicht „in der Zeit“ stattfinden, so daß man dann argumentieren könnte: Sie hat aber, als ein empirischer Sachverhalt, nun einmal „in der Zeit“ stattgefunden – es hätte auch anders sein können –, und so erklärt es sich (evolutionsbiologisch, vielleicht selektionstheoretisch), daß Zeitlichkeit zu den Bedingungen, unter denen wir etwas wahrnehmen, gehört.

      Es ist schlechterdings sinnlos zu fragen, was die „natürlichen“ oder „evolutionären“ Bedingungen dafür sind/waren, daß für uns alles „in der Zeit ist“, denn diese Frage würde sich auf die Welt an sich richten, von der wir keinerlei Erkenntnis haben können, nicht auf die empirische Welt. Diese setzt Zeitlichkeit immer schon voraus. Wenn wir nach dem „Ursprung“ der Zeitlichkeit suchen wollen, dürfen wir nicht in der empirischen Welt suchen (da treffen wir immer bereits auf das, was wir in sie hineingelegt haben: Zeitlichkeit). Also dürfen wir auch nicht in der Evolution suchen, sondern wir müssen nach den Bedingungen der Möglichkeit einer empirischen Welt überhaupt auf der Seite des diese Welt erkennenden Subjekts fragen. Hier liegt der „feste Grund“, an dem wir nicht weiter kommen, wir mögen in der Vergangenheit so tief graben wie wir wollen. Keine evolutionsbiologische Forschung kann da etwas finden, denn keine mögliche Evolution kann etwas anderes an Apriorischem hervorbringen als das, was nun einmal das Apriorische ist, weil das Bedingung der Möglichkeit der phänomenalen Welt überhaupt und damit auch von Evolution ist.

      Wenn Sie schreiben „Evolutionsgeschichte als Faktum (nicht als Theorie) dürfte zwangsläufig jeder apriorischen Kenntnis vorausgehen,“ so schießt das am Problem vorbei. Jeder faktischen Äußerung eines apriorisches Satzes, jedem faktischen apriorischen Gedanken geht natürlich die Evolutionsgeschichte als Faktum voraus. Aber unter „Faktum“ stellen Sie sich hier offenbar eine Evolution der Welt, wie sie an sich ist, vor, und in der „Theorie“, so meinen Sie, begreifen wir sie dann so oder so, gemäß den Möglichkeiten und Grenzen, die uns eben die Evolution bietet und setzt. Aber es ist sinnlos, nach der Evolution der Welt, wie sie an sich ist, zu fragen. Evolution kann nie etwas anderes sein als das, was sie unter den Bedingungen, die mit „a priori“ gemeint sind, ist (z. B. ein raumzeitliches Geschehen). Daß sie diese Bedingungen ihrer selbst selbst hervorbringt, ist logisch ausgeschlossen.

      • @ Ludwig Trepl

        “Das Apriorische ist nicht durch Evolution zu erklären.”

        Ich finde es wunderbar, wie Sie beharrlich ‘penetrant’ das Apriorische freischaufeln. Aber Sie scheinen es zu lieben, dort etwas zu sehr stehen zu bleiben. Muss man natürlich manchmal. Nach anstrengendem Aufstieg/ Klettern etc. muss man innehalten, verschnaufen, vielleicht auch auf die anderen Kletterer warten…..

        Lassen Sie mich deshalb, während Sie verschnaufen, 😉 schon mal einen Schritt weiter gehen und in die Runde der wissenschaftlichen Disziplinen schauen. Da frage ich mich, ob das, was Sie mit philosophischen Mitteln hervorkehren, möglicherweise identisch ist mit dem, was für die Naturwissenschaftler “die Fußspuren” wären, von denen ich sprach und die von der anderen Realität zeugen, die unser Leben entscheidend mit konstituiert, von uns aber nur intuitiv wahrgenommen werden kann, solange der Verstand, also unser helles Tagesbewusstsein, sie noch nicht erobert hat.

        Dass bezüglich dieser unsichtbaren Realität auch gerne Fantasien sprießen, dürfte klar sein. Um so wichtiger wäre es, diesen ‘Urwald’ Stück für Stück zu erforschen und für unseren Verstandesgebrauch urbar zu machen…., ohne seine Lebenskräfte zu zerstören, …wie wir das mit den pflanzlichen Urwäldern leider bislang getan haben.

        Ist schon beachtlich, wie Sie diese unsichtbare Realität mit philosophischen Mitteln freilegen. Ist nur leider für die nichtwissenschaftliche Allgemeinheit schwer bis gar nicht nachzuvollziehen.
        Aber es gibt ja genug Wissenschaftler, die es sprachlich kompliziert lieben. 😉 …und dann andere Möglichkeiten hätten, in den Alltag hinein zu übersetzen.

      • Ihre Reflexionen finde ich sehr interessant.

        Was hat es zu bedeuten, dass die Evolutionsbiologie nicht imstande ist, auch nur ein einziges konkretes Abstammungsverhältnis unter den Hominiden (und damit letztlich zwischen allen Spezies des Stammbaums) zu klären. Die Spezies „tauchen“ immer „auf“, sind plötzlich da, andere sterben aus, ohne erkennbaren Grund. Der z.B. von Mayr behauptete Gradualismus wird durch die Archäologie doch gar nicht unterstützt, im Gegenteil. Dass dies die Wissenschaft vor ernsthafte logische und theoretische Probleme stellt, ist klar.

        Die Evolution ist eine Geschichte, die mit den Mitteln der empirischen Naturwissenschaft erzählt wird. In dieser Geschichte, bzw. mit diesen Mitteln wird das Menschsein, im Sinne des Selbstverständnisses von uns Menschen als Menschen, nicht erfasst, sondern Menschen sind hier Tiere mit Zusatzfunktionen wie Sprache, Werkzeuggebrauch etc. (Tiere wiederum sind hier Bioautomaten). Menschsein im Sinne von „ein moralisches Subjekt sein“, „Person sein“, etc. sträubt sich gegen eine wissenschaftliche Verobjektivierung.

        Eine interessante Parallele zu der Unmöglichkeit, Menschsein zu verobjektivieren, findet sich meiner Meinung nach in der eigenartigen Verborgenheit der Menschwerdung. Man wird zugeben müssen, dass wir nicht für ein einziges jener „menschlichen“ Merkmale eine empirisch gesicherte, oder auch nur intellektuell überzeugende Entstehungsgeschichte haben. Stattdessen haben solche Geschichten meist etwas auffällig Absurdes, und sie haben keine Zeit und keinen Ort, sondern schweben seltsam abstrakt im Raum.

        Die Archäologie lehrt uns, dass es da Wesen gab, bei denen man gar nicht anders kann, als sie als „Vorläufer“ des Homo sapiens zu betrachten, aber dennoch lässt sich über die bloße Existenz derselben hinaus nichts über deren oder unser Werden herausfinden. Sie sind irgendwann da und irgendwann wieder weg. Übergänge werden in Schaubildern grundsätzlich nur noch gestrichelt.

        Es ist auffällig, dass es sich hier um ein vollkommenes Nichtwissen – vielleicht sogar ein Nichtwissenkönnen – handelt, und nicht um einzelne Erkenntnislücken. Es ist nicht so, dass wir sagen, der h. erectus stammt sicher vom a. afarensis ab, aber wir wissen nicht, ob der h. sapiens vom h. heidelbergensis abstammt. Ebenso ist es nicht so, dass wir wüssten, wie und unter welchen Umständen der Mensch sich aufgerichtet hat, aber während der Verlust des Haarkleides weiterhin im Dunkeln läge. Vielmehr ist alles gleichermaßen verborgen.

        Um jetzt den Bogen wieder zurückzuspannen, so sind wir es, die eine objektive Geschichte unserer eigenen Entstehung erzählen wollen, und diese Objektivität findet in den Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität statt, welche apriorische Strukturen unserer Erkenntnisfähigkeit darstellen. Wie im ewig scheiternden Versuch, Subjektivität und Objektivität im Gehirn miteinander zu versöhnen, so scheitert meiner Ansicht nach auch das Unterfangen einer objektiven Rekonstruktion unserer eigenen Entstehung, denn auch dabei muss ja das subjektive Moment des Menschseins miterklärt werden, was bekanntlich nicht funktioniert.

        Vielleicht kann man so sagen: Dass wir die Abstammung von h. erectus oder wem auch immer behaupten müssen, verdanken wir unseren apriorischen Strukturen. Diese zwingen uns, eine objektive Geschichte zu behaupten, die stattgefunden hat, als es noch keine Menschen gab, die sie erzählen konnten.

        • Ludwig Trepl, @ Fegalo.

          Mir ist nicht so recht klar, worauf Sie hinauswollen. Meinen Sie, daß es ein grundsätziches Problem für die Evolutionsbiologie sei, daß die Arten „plötzlich da“ sind? Also nicht nur, daß es vielleicht gar nicht stimmt, daß Homo sapiens von Homo erectus abstammt, sondern daß es da vielleicht gar keine Abstammungsverältnisse gibt? Daß, man kann nicht wissen wie, die Arten einfach „auftauchen“? Das verstünde ich dann überhaupt nicht. Natürlich müssen sie „plötzlich da sein“, das ist gar nicht anders möglich bei den zeitlichen Abständen zwischen den Fossilien. Wenn ich alle 5 Jahre eine Familie besuche, dann ist da plötzlich ein Wesen mit tiefer Stimme und Bart da, aber ich habe zuverlässige Hinweise, daß das von einem Wesen mit hoher Stimme und ohne Bart „abstammt“, das mir vor 5 Jahren in dieser Familie begegnet ist. Wäre ich die ganze Zeit dabei gewesen, hätte ich die Veränderung beobachten können. Das ist bei der Phylogenese keinen Deut anders. Man kann bei Arten mit extrem kurzer Generationenfolge zusehen, wie sich da die Individuen verändern, und es gibt nicht den geringsten Grund anzunehmen, daß das bei Arten mit langen Generationen, wo die direkte Beobachtung unmöglich ist, anders sein soll. Und die sehr raschen, nicht „gradualistischen“ Veränderungen bei der Biospeziesbildung lassen sich gut erklären, das hat gerade die Ernst-Mayr-Richtung gezeigt.

          Zustimmen kann ich Ihnen aber hinsichtlich der „eigenartigen Verborgenheit der Menschwerdung.“ Was den Menschen nicht als „Tier mit Zusatzfunktionen“ ausmacht, sondern eben als Menschen, ist nicht von der Objektivität, die „in den Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität stattfindet“. Es ist darum völlig vergeblich, etwa einen Zeitpunkt zu finden zu versuchen, von dem ab das Tier Homo spec. „zurechnungsfähig“ ist, also Mensch geworden. Das ist so vergeblich wie der Versuch, einen Zeitpunkt zu finden, von dem ab ein heranwachsender Mensch verantwortlich ist für seine Taten – man kann den Punkt nicht finden, nur pragmatisch (z. B. juristisch) festsetzen. Da läßt sich auch nichts naturwissenschaftlich erklären, denn hier hat man es nicht mit Vorgängen in der phänomenalen Welt zu tun. Ebenso völlig unerklärlich ist, wie „Erkenntnisfähigkeit“ entstanden ist.

          Dagegen läßt sich mit Sicherheit (im Prinzip) naturwissenschaftlich erklären, wann und aus welchen Ursachen der Mensch sich aufgerichtet und sein Fell verloren hat. Wenn Sie schreiben „Dass wir die Abstammung von h. erectus oder wem auch immer behaupten müssen, verdanken wir unseren apriorischen Strukturen“, so stimmt das. Aber man sollte hinzufügen, daß diese Abstammung, wenn man nur immanent-naturwissenschaftlich korrekt vorgeht, auch tatsächlich so stattgefunden hat, wie man das herausgefunden hat: als ein Geschehen in der durch unsere apriorischen Strukturen konstituierten phänomenalen Welt, die die wirkliche Welt ist, aber halt die wirkliche Welt unter den Bedingungen unserer Anschauung und unseres Denkens. Die „objektive Geschichte“ hat stattgefunden, „als es noch keine Menschen gab, die sie erzählen konnten“, wir behaupten das nicht nur. Aber diese Geschichte kann nie anders gewesen sein, als die apriorischen Bedingungen, mittels derer wir uns unsere Welt „schaffen“, sie uns erscheinen lassen.

          • Es ist darum völlig vergeblich, etwa einen Zeitpunkt zu finden zu versuchen, von dem ab das Tier Homo spec. „zurechnungsfähig“ ist, also Mensch geworden.

            Das verstehe ich nicht. Um die diesseitige, profane Aufgabe der praktischen (!) Subsumtion bzw. der Nichtsubsumtion von verschiedenen Gegenständen (Stein, Grashalm, Kuh, Meister Yoda, irreversibel Komatöser, eine befruchtete Eizelle eines Homo neanderthalensis) unter den Idealtyp “Mensch” kommen Sie doch nicht herum, wenn sie alle, die unter diesen Idealtyp fallen, ihm gemäß behandeln wollen.

            Das ist so vergeblich wie der Versuch, einen Zeitpunkt zu finden, von dem ab ein heranwachsender Mensch verantwortlich ist für seine Taten – man kann den Punkt nicht finden, nur pragmatisch (z. B. juristisch) festsetzen.

            Ich sehe hier eine Dichotomie und Asymmetrie zwischen (a) der Behandlung als Subjekt, von dem Wirkungen ausgehen, und (b) der Behandlung als Subjekt, das zum Gegenstand (Opfer) von solchen Wirkungen wird. Bitte helfen Sie mir, das aufzuklären!

            Bei der Diskussion um den menschlichen Embryo hatten Sie diesen unter den Idealtyp “Mensch” subsumiert mit der Begründung: »Der prinzipielle Unterschied liegt ganz einfach darin, daß der Menschenembryo zu einem Menschen werden kann, der andere Säugerembryo aber nicht. Die Menschenwürde kommt (sofern man sie auf der Ebene der Moral begründet) dem Menschen (allen Menschen) deshalb zu, weil sie zu dem werden sollen*, was ihre „Bestimmung“ ist, nicht, weil sie dieser schon entsprechen.« (L. Trepl, 21. Februar 2014 15:16)

            * Sein und Werden sind Modi des Seins. Wie kommt man eigentlich darauf, dass Embryos zuzuschreiben, dass sie – außer in einer fa­çon de par­ler – zu Menschen werden sollen? Wer ist das Subjekt, dass da soll? Und warum soll nur der Embryo, nicht aber die freien Eizellen bzw. Spermien? Falls ein Embryo nicht tut, was er “soll”, also etwa sich nicht einnistet, wie bezeichnet man das? Wer ‚verstößt‘ in diesem Falle gegen den Satz vom Menschwerdensollen? Ich bin der Ansicht, dass aus diesem ‚Sollen‘, das in Wirklichkeit nur ein Werden (Sein) ist, jedenfalls kein richtiges Sollen folgt.

          • @ Ano Nym

            „’Es ist darum völlig vergeblich, etwa einen Zeitpunkt zu finden zu versuchen, von dem ab das Tier Homo spec. „zurechnungsfähig“ ist, also Mensch geworden.’ ]Zitat von mir] Das verstehe ich nicht.“

            De Betonung liegt auf „finden“ (gegen „festsetzen“); dann verstehen Sie es.

            „Wie kommt man eigentlich darauf, dass Embryos zuzuschreiben, dass sie – außer in einer façon de parler – zu Menschen werden sollen? … Ich bin der Ansicht, dass aus diesem ‚Sollen‘, das in Wirklichkeit nur ein Werden (Sein) ist, jedenfalls kein richtiges Sollen folgt. “

            Sie haben wohl recht; ich hab das irgendwo oben (andeutungsweise) schon zurückgenommen. Es ist, wenn man nicht von eine bestimmten Metaphysik, die das Sollen bereits einem bestimmten Sein zuschreibt, ausgeht, ein Sein-Sollens-Fehlschluß. Die Argumentation mit der „Bestimmung“ (zur „Menschheit“) geht nur bezüglich der Differenz zwischen dem moralischen Subjekt, wie es jeweils ist, und eben diesem, wie es sein soll, auf, setzt also voraus, daß das Subjekt um seine Bestimmung prinzipiell weiß, d. h. sie setzt „erwachsene“ Menschen voraus. Dennoch darf man nun nicht schließen, daß ein Menschenembryo (oder ein kleines Kind) keinen anderen ethischen Status hätte als ein Tier, nur weil auf diesem Weg („Bestimmung“) der Unterschied nicht zu finden ist.

        • @fegalo

          »Menschen sind hier [in den Naturwissenschaften] Tiere mit Zusatzfunktionen wie Sprache, Werkzeuggebrauch etc. (Tiere wiederum sind hier Bioautomaten).«

          Entweder Bio oder Automat, beides zusammen geht m. E. nicht.

          In den Naturwissenschaften wird der Mensch, das heißt die Spezies H. sapiens, zu den Säugetieren gezählt, wobei das Tier aber kein Automat mit der Eigenschaft „lebend“ ist, sondern ein lebendes System darstellt (wie der Mensch ja auch).

          Wenn wir schon Menschen und Tiere (ohne triftigen Grund) kategorial unterscheiden wollen, dann sollten wir das konsequenterweise auch bei Tieren und Automaten tun.

          (Das nächste Thema hier könnte vielleicht lauten: „Sind Automaten auch Tiere“?)

  12. Joker @Ludwig Trepl (7. März 2014 15:18)

    “Könnte es, so ließe sich das vielleicht erklären, nicht sein, daß die „einheitlichen Vorstellungen“ bloß nicht auffallen. Und sie fallen nicht auf, weil sie nicht thematisiert werden, und das werden sie nicht, weil über sie nicht gestritten wird? Daß sie aber doch der Normalfall sind?”

    In der Philosophie wurde und wird doch alles thematisiert, was sich nur denken lässt. Es wäre mehr als überraschend, wenn bisher so etwas Wesentliches übersehen wurde wie “einheitliche Vorstellungen” . Falls dies der Fall wäre, so würde das kein gutes Licht auf die Philosophen und auf die Vernunft werfen.

    Sicherlich wird sich auch hier wieder ein Philosoph finden lassen, der das genau Gegenteil behauptet. Karl-Otto Apel meinte ja auch, so etwas gefunden zu haben; Hans Albert widersprach – wie ich meine, zurecht – und es wurde wieder gestritten.

    Umgekehrt gibt es in jeder Diskussion, im Normalfall, auch “einheitliche Vorstellungen”. Dies sind aber von Diskussion zu Diskussion andere.

    • @ Joker.
      „In der Philosophie wurde und wird doch alles thematisiert, was sich nur denken lässt. Es wäre mehr als überraschend, wenn bisher so etwas Wesentliches übersehen wurde wie ‚einheitliche Vorstellungen’.“

      Aber es gibt sie. Wie könnte ich sonst sowohl Heidegger als auch Carnap über Seiten hinweg immer nur zustimmen?

      Daß es in der Philosophie so auffällt, daß man zu einer Vielzahl von Fragen ganz unterschiedliche Auffassungen findet, liegt vielleicht nur daran, daß man die Philosophie mit den positiven Wissenschaften kontrastiert, in denen, besonders wenn es sich um normal sciences handelt, oft sehr wirksame Mechanismen alle Auffassungen zum (scheinbaren) Verschwinden bringen bis auf eine. – Es gibt einen heutigen Philosophen, wohl einen analytischen (den Namen hab ich leider vergessen), der die Theorie vertritt, daß grundsätzlich Differenzen nur in einem Meer von Konsens möglich sind und der Konsens immer weit überwiegt. –

      Es gibt, scheint mir, zwei gegenläufige Bewegungen in der Philosophie: Zum einen trifft jede Auffassung auf Kritik seitens anderer philosophischer Richtungen. Diese Kritik wird (teils ignoriert,) teils akzeptiert, teils zurückgewiesen, d. h. die eigene Auffassung wird verteidigt, dabei aber auch durch Aufnahme von Elementen aus der Kritik modifiziert. Das führt zu einem Auseinanderrücken und zugleich zu einer Angleichung. Man sehe sich z. B. an, wie eine philosophische Arbeit einer Richtung, die irgendeine Revolution nicht akzeptiert (z. B. die sprachphilosophische, die hermeneutische, die phänomenologische …) einige Jahrzehnte nach dieser Revolution auszusehen pflegt: Meist hat sie eine Unmenge von dem, was sie doch als ganze Richtung zurückweist, doch akzeptiert und irgendwie assimiliert.

  13. Ludwig Trepl, @Balanus (6. März 2014 11:40)

    „Ist ein achtzelliger Embryo ein „unfertiger“ Organismus? Wohl kaum.“

    Ich meine: doch. Im Begriff des Organismus ist mitgedacht, daß er sich entwickelt und daß die Entwicklung in Zyklen verläuft und daß der Zyklus ausgezeichnete Phasen hat, die sich sinnvoll z. B. mit „Jugend“ bezeichnen lassen (weil nämlich Organismen zumindest minimal individuiert sind und darum Anfang und Ende haben). „Unfertig“ ist freilich schief, es müßte „adult“ oder „reif“ heißen. Denn auch der „reife“ Organismus ist nicht „fertig“, weil nach ihm (und hat zu kommen) noch etwas kommt: eine neue Generation.

    „Damit habe ich ein Problem. Das moralisch objektiv Richtige ist doch das, was stets gesucht (aber sehr selten, wenn überhaupt, gefunden) wird, unter zu Hilfenahme bestimmter Kriterien.“

    „Stets gesucht“ wird das in einem naturwissenschaftliche Sinne Wahre auch. „Sehr selten, wenn überhaupt, gefunden“ ist aber in beiden Fällen irreführend. Man kann grundsätzlich in beiden Bereichen nie mit letzter Gewißheit sagen, daß ein bestimmter faktischer Gedanke wahr ist (oder, wenn Sie so wollen fürs Moralische: richtig). Aber man kann (1) Bedingungen nennen, denen er entsprechen muß, damit er wahr sein kann, und (2) kann man über das „sehr selten, wenn überhaupt“ nichts wissen. Wer sagt denn, daß nicht 90 % (angenomen, so eine Aussage habe überhaupt einen Sinn) alles Gefundenen richtig ist? Wir wissen ja nicht, was noch kommt. Bezüglich des Moralischen könnte man so argumentieren: Wir treffen ununterbrochen moralische Entscheidungen, wenn wir nicht gerade schlafen, oder haben sie doch getroffen als Voraussetzung dafür, daß wir gerade das tun, was wir tun. Das Allermeiste ist so selbstverständlich, daß es uns gar nicht mehr auffällt, und es ist auch unstrittig unter den verschiedenen Kulturen usw. Also könnte man sagen: in den meisten Fällen haben wir wohl das moralisch Richtige gefunden (wenn uns auch die letzte Gewißheit fehlt). Dagegen kann man anführen: In den großen Fragen, wie sie etwa die Politik bewegen, ist man sich überhaupt nicht einig, und die großen Fragen müssen natürlich höher bewertet werden. Dagegen kann man wiederum einwenden: Diese Fragen erscheinen uns nur deshalb „groß“, weil sie als Seltenheiten in dem Meer von Selbstverständlichkeiten auffallen. Kurz: Die Frage „sehr selten oder sehr häufig“ läßt sich, derart allgemein formuliert, nicht beantworten.

    „Insofern hätte ich mit der „Existenz“ von „synthetischen Sätzen a priori“ überhaupt kein Problem. Dass es sie (in uns) gibt, ja geben muss, erklärt sich aus unserer Evolutionsgeschichte.“

    Nein, denn es sind Sätze, die Empirie und damit Evolutionsgeschichte überhaupt erst möglich machen. Aus unserer Evolutionsgeschichte erklärt sich beispielsweise, daß wir da Farbe X sehen, wo ein Tier mit anderer Evolutionsgeschichte Farbe Y sieht, oder daß es für uns überhaupt Farben gibt, für ein Tier ohne Augen aber nicht. Aber daß für uns alles, was uns überhaupt begegnen kann, „in der Zeit ist“, erklärt sich nicht aus der Evolutionsgeschichte, ist vielmehr eine Bedingung der Möglichkeit von Evolutionsgeschichte.

    „’Nicht weil wir so fühlen, ist die Handlung falsch, sondern wir fühlen so, weil die Handlung falsch ist; das heißt, wir erleben unser Gefühl als angemessene Reaktion auf die objektiv vorhandenen Gegebenheiten.’ [Zitat Hauskeller] Nicht, weil die Handlung falsch ist, sondern weil sie (aus verschiedenen Gründen) für uns falsch ist, würde ich sagen.“

    Da haben Sie recht. Die Handlung kann ja falsch sein, und doch fühlt man sich so, als ob sie richtig wäre – denn sie ist „für uns“ richtig, d. h. wir halten sie (irrtümlich) für richtig.
    Dennoch: Das Gefühl bekommen wir, weil wir a priori wissen, daß wir richtig und nicht falsch handeln sollen. Und wir wissen auch a priori, was richtig wäre. Das sagt uns der Kategorische Imperativ: Die Maxime muß die Vernunftprüfung bestehen. Nur wissen wir nicht sicher, ob wir diese Vernunftprüfung auch richtig durchgeführt haben.

  14. Vernunftwesen

    Balanus: »Es ist eben sehr die Frage, ob man ‚dem Tier’ generell jegliche Vernunft absprechen kann. «

    Ludwig Trepl: »Zweitens, wenn man einem „Tier“ Vernunft zusprechen muß, dann ist es eben kein Tier. Vielleicht wimmelt es im Weltall von Wesen, die wie Tiere aussehen, aber keine Tiere sind. – Vernunft ist ja das Merkmal, das den Unterschied definiert «

    Chrys: »Da scheint mir doch ein Kernproblem der ganzen Angelegenheit genannt zu sein. Balanus sieht hier kein Merkmal, weil keine prüfbaren Kriterien zu dessen konkreter Feststellung spezifiziert sind. «

    „Vernunft“ würde ich zu jenen „Merkmalen“ zählen, die sich durch Verhaltensbeobachtungen zumindest indirekt feststellen lassen. Deshalb meine ich ja auch, dass wir bei manchen Tieren Ansätze von „Vernunft“ beobachten können. Die „Zuschreibung“ von „Vernunft“ hätte somit eine ganz andere Qualität als die Zuschreibung von „Würde“.

    Man kann sich leicht menschenähnliche Roboter vorstellen, die sich absolut vernünftig verhalten (die SciFi-Literatur ist voll davon). Vernunftverhalten könnte bloß eine Frage der Speicher- und Rechenkapazität einer beliebigen Hardware zu sein. Ob mit einer solchen „künstlichen“ Vernunft auch ein inneres Erleben oder wirkliche Leidensfähigkeit verbunden wäre, kann man nicht wissen. Auf jedem Fall scheint es (in Filmen z. B.) extrem schwer zu fallen, menschenähnliches Verhalten als bloße Mechanik abzutun. Wir sind offenbar darauf programmiert, Brüder und Schwestern im Geiste zu erkennen.

  15. @Balanus

    Guter Fund, der Essay von Hauskeller. Ein [Link] zum Text wäre noch ganz nett gewesen, oder habe ich da etwas übersehen? Egal, hiermit sei auch das besorgt.

    Hauskellers abschliessendem Résumé kann ich aus meiner Sicht eigentlich nur zustimmen:

    Eine universale Gültigkeit bestimmter moralischer Normen, die von jedem anerkannt werden müsste, lässt sich theoretisch nicht ausweisen, vielleicht aber doch praktisch durchsetzen. Das heißt aber, dass es keinen Grund gibt, sich auf der Ebene der gelebten Moral dem Relativismus zu beugen. Wir müssen wohl oder übel nach unseren Überzeugungen handeln, ob wir stichhaltige Gründe dafür haben oder nicht. Das Sein aus dem Sollen abzuleiten, ist weder möglich noch nötig. Wichtiger dürfte es sein, sich darauf zu besinnen, was einem im Leben wirklich wichtig ist und ob die Überzeugungen, die man hat und vertritt, dazu beitragen, eine Welt zu schaffen, die für uns alle lebenswert ist. Statt uns über die Begründung von Normen den Kopf zu zerbrechen, sollten wir uns darum vielleicht besser darum kümmern, eine überzeugende Theorie des guten Lebens zu entwickeln.

    • Ein [Link] zum Text

      Ich bekomme hier nur “loading Preview” angezeigt. Der Link “Download (.pdf)” ist irreführend, weil beim Klick kein PDF, sondern die Aufforderung “Log in to Academia.edu” erscheint. Ich möchte mich aber weder mit Facebook noch mit Google dort anmelden und ich möchte auch keinen Account neu anlegen. Gibt es den Text auch frei zugänglich?

    • Hauskeller-Link

      @Chrys

      Sorry, ich gelobe Besserung.

      @Ano Nym

      Ich habe nach einer anderen Quelle nicht gesucht, sondern einfach den Facebook-Account eines Familienmitgliedes genutzt.

      • Aber Sie stimmen schon zu , dass es einen prinzipiellen Unterschied gibt zwischen einem PDF, das allein über seinen URL abrufbar ist, und einem, das neben seinem URL noch weitere Information benötigt, um abrufbar zu sein? Oder halten Sie das auch nur für einen graduellen Unterschied? 😉

        • @Ano Nym

          Das scheint mir ein entscheidender Unterschied zu sein, denn er entscheidet darüber, ob Ano Nym, der viel Wert auf seine Privatheit legt, downloaden kann oder nicht.

    • @Ano Nym

      Der Text lässt sich komplett online lesen, einen Account habe ich da auch nicht angelegt. Sogar copy & paste funktioniert im sog. Preview. Also frei zugänglich genug vermutlich selbst für jene, die damit den Dr. phil. nach der Guttenberg-Methode anstreben.

      Eine andere Bezugsquelle fúr den Text habe ich im Web trotz Suche nicht gefunden.

    • Gutes Leben ersetzt nicht gute Menschen.
      Ludwig Trepl, @ Chrys.

      „Hauskellers abschliessendem Résumé kann ich aus meiner Sicht eigentlich nur zustimmen“

      Ich kann das nicht, sondern meine, dicke Fragezeichen setzen zu müssen:

      „Eine universale Gültigkeit bestimmter moralischer Normen, die von jedem anerkannt werden müsste, lässt sich theoretisch nicht ausweisen, vielleicht aber doch praktisch durchsetzen.“

      Die Gültigkeit irgendeines bestimmten auf Empirisches bezogenen Satzes läßt sich genauso wenig endgültig ausweisen wie die Gültigkeit bestimmter moralischer Normen; es gibt im günstigen Fall immer nur (objektiv) ein Übergewicht von Gründen auf der einen Seite (manchmal sogar keinen einzigen Grund auf der anderen Seite), dem dann (subjektiv) eine Überzeugung folgen kann. Aber vor allem: Was heißt „praktisch durchsetzen“? Eine Gültigkeit kann man nicht praktisch durchsetzen, der Satz ist eben gültig oder nicht, und wenn man praktisch durchsetzt, daß der falsche Satz für gültig gehalten wird, so ist er doch nach wie vor ungültig.

      „Wichtiger dürfte es sein, sich darauf zu besinnen, was einem im Leben wirklich wichtig ist und ob die Überzeugungen, die man hat und vertritt, dazu beitragen, eine Welt zu schaffen, die für uns alle lebenswert ist.“

      Das widerspricht der Aussage „Eine universale Gültigkeit bestimmter moralischer Normen, die von jedem anerkannt werden müsste, lässt sich theoretisch nicht ausweisen…“. Denn nun wird davon ausgegangen, daß es doch eine moralische Norm gibt, die „von jedem anerkannt werden müßte“: nämlich eine Welt schaffen zu sollen, die für uns alle lebenswert ist. Wenn sich die nicht vernünftig begründen („theoretisch nicht ausweisen“) läßt (wenn auch immer unter dem Vorbehalt, daß man sich trotz allen Anscheins geirrt haben könnte) – warum soll ich dem dann zustimmen und nicht z. B. die Welt so einzurichten versuchen, daß sie nicht für uns alle, sondern allein für mich lebenswert ist? Oder so, daß sie für viele lebenswert ist, aber nicht für alle, denn manche stehen ja vielleicht dem Glück der Vielen im Wege, woraus man – das kennt man ja – den Schluß ziehen kann, daß man einige (z. B. die Juden, die Kulaken) eliminieren muß, damit es den Vielen gut geht?

      „Statt uns über die Begründung von Normen den Kopf zu zerbrechen, sollten wir uns darum vielleicht besser darum kümmern, eine überzeugende Theorie des guten Lebens zu entwickeln.“

      Was ist das „gute Leben“? Manche meinen, es sei das angenehme Leben, das, dessen Optimum man früher mit „Glückseligkeit“ bezeichnet hat.

      Dann handelt man sich aber eine Reihe von Problemen ein. Abgesehen davon, daß man auch hier wieder vor der Frage steht, wie man denn diese Norm – und das ist ja eine – begründen soll, wenn es doch unmöglich sein soll, „bestimmte moralische Normen“ theoretisch auszuweisen, also zu begründen, sind das beispielsweise:

      Was soll man denn allgemein über dieses Leben aussagen in dieser Theorie des guten Lebens, wo doch für jeden etwas anderes angenehm ist? Die jetzige Generation richtet sich das Leben abgenehm für sich ein, aber der folgenden ist das ein Graus, was der jetzigen angenehm ist. Oder:

      Kann man es denn gutheißen, wenn das gute = angenehme Leben mit bösen Mitteln erreicht wird? Beispielsweise indem diejenigen, deren gutes = angenehmes Leben es dann ist, auf dem Weg dorthin andere über die Klinge springen lassen, oder indem die, die jetzt leben, beschließen, so angenehm wie möglich zu leben und zu diesem Zweck alle Ressourcen aufbrauchen, so daß die späteren Generationen keine Mittel zum guten = angenehmen Leben mehr haben? Vielleicht kann man ja argumentieren: Wieso soll man Rücksicht nehmen auf Menschen, die es gar nicht gibt, nur vielleicht geben wird? Aber man muß halt argumentieren, muß sich „über die Begründung von Normen den Kopf … zerbrechen“.

      Oder soll „gut“ doch nicht identisch sein mit angenehm, sondern eben gut im Gegensatz zu böse, nicht im Gegensatz zu schlecht meinen, also gut im moralischen Sinn bedeuteten? Das hieße: das „gute Leben“ ist nicht einfach das angenehme Leben, sondern das angenehme Leben der Guten. Das angenehme Leben darf sich nicht bösen Taten wie den genannten verdanken.

      Damit ist man aber wieder auf den Anfang zurückgeworfen. Man muß sich unabhängig von der Frage, was denn ein gutes = angenehmes Leben ausmachen könnte, die Frage stellen, was denn einen guten Menschen ausmache. Was immer das genau sein mag: Ein solcher Mensch ist jedenfalls einer, der den richtigen Normen folgt oder doch bemüht ist, ihnen zu folgen, wozu unabdingbar gehört, daß er sich bemüht, herauszufinden, was denn die richtigen sind.

    • @Ludwig Trepl

      »Eine Gültigkeit kann man nicht praktisch durchsetzen, der Satz ist eben gültig oder nicht, und wenn man praktisch durchsetzt, daß der falsche Satz für gültig gehalten wird, so ist er doch nach wie vor ungültig.«

      Es scheint mir durchaus konsensfähig, Vernunft als Grundlage der Beurteilung von Richtigkeit normativer Sätze zu nennen. In Hinblick auf die Unterscheidung zwischen dem, was für richtig gehalten wird, und dem, was richtig ist, liefert das aber kein Kriterium. In jedem konkreten Fall, wo sich irgendwer auf die Vernunft beruft, kann dies bestenfalls einen Verweis bedeuten auf das, was diesem Wesen als vernünftig erscheint, und nicht darauf, was “an sich” vernünftig ist.

      Unsere Bedingungen zum Beurteilen normativer Richtigkeit sind offenbar nicht besser als die zum Erkennen empirischer Wahrheit. In der individuellen Wahrnehmung mögen uns normative Regeln zwar als gleichermassen objektiv gerechtfertigt erscheinen wie empirische Gesetze, doch in beiden Fällen kann diese mutmassliche Objektivität letztlich immer nur als Intersubjektivität begriffen werden. Die Preisgabe des vermeintlich Absoluten impliziert aber auch für die empirischen Wissenschaften keinen Grund, sich “dem Relativismus zu beugen”, unser empirisches Wissen verliert dabei nichts an praktischer Verlässlichkeit. Oder anders gewendet, es gewinnt nichts an Wert dadurch, dass man sich der Illusion hingibt, man habe da etwas Absolutes erfasst.

      Praktische Durchsetzung von Normen — das liegt doch im Wesen der Sache, wenn es um eine Festsetzung dessen geht, was normativ Geltung haben soll, und nicht etwa um eine Konstatierung dessen, was faktisch Geltung hat. Wenn sich niemand um die Durchsetzung von Menschenrechten sorgen würde, dann wären die ohne jegliche praktische Bedeutung. Und Normen gelten ja nicht, weil sie irgendwann von irgendwem entdeckt worden wären, sondern weil sie innerhalb einer Gemeinschaft verbindlich sein sollen, was nur in Kombination mit einem Anspruch auf praktische Durchsetzbarkeit einen Sinn ergibt.

      Dass mit Hauskellers Vorstellung einer “Theorie des guten Lebens” gegebenenfalls so etwas wie Kontemplationen über den Lebensstil eines Hubsi von Hohenlohe gemeint sein könnte, habe ich, offen gesagt, nicht ernsthaft in Betracht gezogen.

      • Ludwig Trepl, @ Chrys.

        „…konsensfähig, Vernunft als Grundlage der Beurteilung von Richtigkeit normativer Sätze zu nennen. In Hinblick auf die Unterscheidung zwischen dem, was für richtig gehalten wird, und dem, was richtig ist, liefert das aber kein Kriterium. In jedem konkreten Fall, wo sich irgendwer auf die Vernunft beruft, kann dies bestenfalls einen Verweis bedeuten auf das, was diesem Wesen als vernünftig erscheint, und nicht darauf, was “an sich” vernünftig ist.“

        Das Kriterium ist natürlich nicht, daß sich jemand „auf die Vernunft beruft“ – klar, das kann jeder nach Belieben tun, und gewöhnlich erscheint ihm seine Meinung und nicht die der anderen als vernünftig. Aber Vernunft ist ja nicht etwas, was jeder für sich selber definieren kann. Es sind eben gewisse Kriterien zu erfüllen, damit etwas als vernünftig gelten kann. Man hat insbesondere die Regeln des logischen Schließens zu beachten, und man muß (da wird es allerdings schwieriger) Urteilskraft besitzen.

        „Unsere Bedingungen zum Beurteilen normativer Richtigkeit sind offenbar nicht besser als die zum Erkennen empirischer Wahrheit.“

        Bemerkenswerte Formulierung; denn der Naturalismus hält ja das Erkennen empirischer Wahrheit für das einzige, wozu man überhaupt „Erkennen“ sagen darf. – Ansonsten: Das ist schwer zu vergleichen, so daß man dann „besser“ oder „schlechter“ sagen könnte. Die Bedingungen, die möglichen Quellen von Irrtümern usw. sind halt sehr unterschiedlich.

        „…keinen Grund, sich ‚dem Relativismus zu beugen’, unser empirisches Wissen verliert dabei nichts an praktischer Verlässlichkeit. Oder anders gewendet, es gewinnt nichts an Wert dadurch, dass man sich der Illusion hingibt, man habe da etwas Absolutes erfasst.“

        Hmm; aber läßt sich das auf das normative Wissen übertragen? Beim empirischen Wissen ist von vornherein klar (auch wenn das nicht jeder praktizierende Wissenschaftler so sieht), daß es nichts Absolutes ist, daß letzteres vielmehr immer nur aufgegeben ist und nie mit letzter Gewißheit davon ausgegangen werden kann, daß es in einem bestimmten Fall gegeben ist. Wir können dennoch mit dem empirischen Wissen unter diesem Vorbehalt leben, solange es „praktisch verläßlich“ ist.
        Doch geht das im Bereich der Moral entsprechend? Die Sache scheint mir da etwas anders gelagert: Ich bin überzeugt von der Richtigkeit einer Maxime heißt: ich halte sie in gewissem Sinn für absolut sicher, und doch auch nicht ganz; das scheint mir schwer zu fassen. In empirischen Dingen kann ich völlig überzeugt sein, daß das, was mir jetzt richtig scheint, doch widerlegt werden wird – ich verlasse mich bis auf weiteres dennoch darauf, denn es funktioniert ja zur Zeit, was ich an technisch-praktischen Folgerungen daraus ziehe. Wenn ich aber der Überzeugung bin, daß man keinen Raubmord begehen soll, dann tue ich das nicht in dem Bewußtsein, daß das ein möglicherweise falsches Ergebnis bisherigen Nachdenkens ist, selbst wenn ich diese Möglichkeit nicht mit letzter Gewißheit ausschließen kann. Niemand begehe einen Raubmord aufgrund der Überlegung, daß es ja doch nicht so ganz sicher ist, daß das verwerflich ist, und man es folglich, wenn nur der Lohn, der da winkt, groß genug ist, schon mal riskieren könnte.

        Das hat damit zu tun, daß ganz Verschiedenes auf dem Spiel steht. In dem einen Fall hat man einen Fehler gemacht, in dem anderen eine Verfehlung begangen (die Leute regen sich zu recht darüber auf, daß der Bayernpräsident und andere seinesgleichen „Fehler“ eingestehen, wo sie doch Verfehlungen, d. h. Verwerfliches begangen haben). In dem einen Fall hat man sich als unklug, in dem anderen als nichtswürdig erwiesen.

        Und noch etwas: Es gibt im Bereich des Moralischen doch einen absolut sicheren Grund: das Sittengesetz selbst. Ob es entsprechendes im Bereich des empirischen Wissens gibt, weiß ich nicht. Vielleicht so: Das Sittengesetz gibt ja im Grunde nur die Methode vor, es ist eine Art Prüfverfahren für beliebige Maximen. Und was die Methode angeht, sind wir beim empirischen Wissen ja auch absolut sicher: Wenn wir die Gesetze der Logik allesamt beachtet hätten und die Aussage empirisch bestätigt hätten, dann wäre sie wahr.

        „Wenn sich niemand um die Durchsetzung von Menschenrechten sorgen würde, dann wären die ohne jegliche praktische Bedeutung. Und Normen gelten ja nicht, weil sie irgendwann von irgendwem entdeckt worden wären …“

        „Gelten“ hat da zweierlei Sinn. Der Satz „Sklaverei soll nicht sein“ gilt und er galt schon, als ihm niemand zustimmte, nicht einmal die Sklaven selbst. (Erkenntnistheoretisch benutzt man „Geltung“ immer so, etwa wenn man von „Geltungsdifferenz“ spricht.) Aber der Satz hatte damals keine gesellschaftliche Geltung. In dem einen Fall geht es um eine (moralische) de-jure-Frage, in dem anderen um eine de-facto-Frage. Im Übrigen: Auch wenn die Menschenrechte nicht durchgesetzt sind, sind sie doch nicht ohne jegliche praktische Bedeutung. Zum einen sind sie von Bedeutung für das individuelle Verhalten der wenigen, die sie doch erkannt haben, zum anderen liegt die praktische Bedeutung allein der Entdeckung ja darin, daß diese eine Voraussetzung der Durchsetzung (bis zur gesellschaftlichen Geltung) ist.

        Ihren letzten Absatz habe ich nicht verstanden. Bezieht er sich auf etwas, das ich geschrieben habe?

    • @Ludwig Trepl

      »Es gibt im Bereich des Moralischen doch einen absolut sicheren Grund: das Sittengesetz selbst. Ob es entsprechendes im Bereich des empirischen Wissens gibt, weiß ich nicht. Vielleicht so: Das Sittengesetz gibt ja im Grunde nur die Methode vor, es ist eine Art Prüfverfahren für beliebige Maximen. Und was die Methode angeht, sind wir beim empirischen Wissen ja auch absolut sicher: Wenn wir die Gesetze der Logik allesamt beachtet hätten und die Aussage empirisch bestätigt hätten, dann wäre sie wahr.«

      Die Sittengesetz konfrontiert den moralisch Beurteilenden auf eine vergleichbare Weise mit einer Forderung nach Allgemeingültigkeit, wie vom empirisch Beschreibenden methodisch gefordert ist, alle subjektiven Sichtweisen aus seinen Beschreibungen herauszuhalten. Diese Forderung an die empirische Methodik erscheint vernünftig, indem sie eine Nachvollziehbarkeit empirischen Wissens gewáhrleistet oder zumindest als Ideal vorgibt. Nun liefert uns die empirische Methode letztlich Sätze der Form: “Unter bestimmten angenommenen Gegebenheiten wird eine Beobachtung nach diesem Verfahren zu jenen Resultaten führen.” Aus solchen Sätzen lässt sich aber keine eindeutige Wahrheit induktiv erschliessen. Unsere Logik steht dem im Wege, und darum ging es ja auch gerade Karl Popper in seiner Auseinandersetzung mit dem Logischen Empirismus. Der Kritische Rationalismus stellt die Allgemeingültigkeit empirischer Sätze unter erhebliche Vorbehalte, und insbesondere kann die empirische Methode zu ganz unterschiedlichen Beschreibungen von Naturphänomenen führen, die alle gleichermassen als empirisch wahr zu gelten haben.

      Zurück zum Sittengesetz. Das sagt uns nicht, welche moralischen Sätze richtig sind, sondern allenfalls, welche falsch sind, nämlich jene, von denen man nicht wollen kann, dass sie ein allgemeines Gesetz werden. Und damit ist nicht garantiert, dass die gewissenhafte Einhaltung der sittengesetzlichen Methode notwendigerweise eine eindeutige Beurteilungen von Richtigkeit moralischer Sätze ermöglicht. Eine Bestätigung für diese Sicht habe ich schliesslich gefunden bei Onora O’Neill (Constructions of Reason: Explorations of Kant’s practical philosophy. CUP, 1989). Etwa auf p. 59:

      The Categorical Imperative is a fundamental strategy, not an algorithm; it is the fundamental strategy not just of morality but of all activity that counts as reasoned. The supreme principle of reason is merely the principle of thinking and
      acting on principles that can (not “do”!) hold for all.

      Oder vielleicht noch besser auf p. 161:

      Kant offers us a form of rationalism in ethics that (despite the unfortunate suggestions of some of his examples) does not generate a unique moral code, but still both provides fundamental guidelines and suggests the types of reasoning by which we might see how to introduce these guidelines into the lives we actually lead.

      Angesichts dieser fehlenden Eindeutigkeit moralischer Richtigkeit ist aber auch Ihr Vorwurf an Iris Radisch, dass sie nämlich »versucht die Frage nach dem, was moralisch richtig ist, zu beantworten, indem sie eine Vermutung darüber anstellt, was man für moralisch richtig halten wird,« nicht so ohne weiteres gerechtfertigt. Denn wenn Sie und Frau Radisch unterschiedliche Auffassungen über Tierethik vertreten, dann folgt daraus allein ja noch nicht, dass eine dieser Auffassungen im Sinne des Sittengesetzes falsch sein muss.

      »Ihren letzten Absatz habe ich nicht verstanden. Bezieht er sich auf etwas, das ich geschrieben habe?«

      Na ja, Hubsi führt sicherlich ein “gutes Leben”, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Hauskeller bei seinen moralphilosophischen Betrachtungen an so etwas gedacht haben könnte, wo er von “Theorie des guten Lebens” spricht. Soll heissen, nach meiner Lesart meint Hauskeller hier mit “gut” tatsächlich nicht einfach “angenehm” oder “komfortabel”, sondern eine moralische Bewertung.

      • @ Chrys.

        Onora O’Neill sagt da, scheint mir, auch nichts anderes als Kant selbst. Das Sittengesetz „sagt uns nicht, welche moralischen Sätze richtig sind, sondern allenfalls, welche falsch sind“, schreiben Sie. Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt, und zwar in diesem Sinne: Mittels des im KI genannten Verfahrens prüft man Maximen, mit denen wir uns beliebige Neigungen, wie sie Natur und Kultur in uns auch immer hervorbringen mögen, zu befolgen vorschreiben. Denjenigen Neigungen, deren Befolgung bei der Prüfung nicht ausgeschlossen wird, darf man nachgehen. Aus dem KI folgt kein Katalog von Ge- und Verboten, dies schon deshalb nicht, weil es empirisch (damit zufällig) ist, was da an Maximen, die zur Prüfung stehen, alles auf uns zukommen kann. Dennoch ist Ihre Formulierung nicht richtig: Das „Sittengesetz … sagt uns nicht, welche moralischen Sätze richtig sind“. Wenn der Satz „man darf Menschen bloß als Mittel benutzen“ falsch ist, dann impliziert das zugleich einen richtigen moralischen Satz: Man soll sie immer zugleich selbst als Zweck gebrauchen.

        „Angesichts dieser fehlenden Eindeutigkeit moralischer Richtigkeit ist aber auch Ihr Vorwurf an Iris Radisch, dass sie nämlich »versucht die Frage nach dem, was moralisch richtig ist, zu beantworten, indem sie eine Vermutung darüber anstellt, was man für moralisch richtig halten wird,« nicht so ohne weiteres gerechtfertigt. Denn wenn Sie und Frau Radisch unterschiedliche Auffassungen über Tierethik vertreten, dann folgt daraus allein ja noch nicht, dass eine dieser Auffassungen im Sinne des Sittengesetzes falsch sein muss.“

        Da geht etwas durcheinander. Selbst wenn es verschiedene gleichermaßen gerechtfertigte Auffassungen über Tierethik geben sollte, so heißt das doch nicht, daß aus dem Faktum, daß etwas für richtig gehalten wird, folgt, daß das für richtig Gehaltene richtig ist. Nur das habe ich Frau Radisch an dieser Stelle vorgeworfen. Ihre Auffassungen von Tierethik mögen ja richtig sein, vielleicht unterscheiden Sie sich gar nicht von meinen, vielleicht sind beide unterschiedlich und doch richtig (was aber nur möglich wäre, wenn sie einander nicht widersprechen). Aber die Tatsache, daß es diese oder jene Auffassungen gibt oder daß sie vorherrschen, ist dafür völlig irrelevant.

        „…nach meiner Lesart meint Hauskeller hier mit “gut” tatsächlich nicht einfach “angenehm” oder “komfortabel”, sondern eine moralische Bewertung.“

        Ich habe Hauskeller nicht gelesen, aber das glaube ich auch. Schon in der Antike, als der Gedanke „gutes Leben“ aufkam, war das selten anders gemeint als daß „gut“ nicht nur „angenehm“ meint, sondern „moralisch gut“ einschließt (oft mit dem – nicht haltbaren – Argument, daß man gar nicht angenehm leben kann, wenn man ein böser Mensch ist, denn da fehlt einem das angenehme Gefühl, das einem das Bewußtsein verschafft, ein guter Mensch zu sein). Nur: Eben dann greift ja mein Argument gegen Hauskeller:

        Wir sollen uns nicht, schreibt er, „über die Begründung von Normen den Kopf … zerbrechen“, sondern wir sollten uns „besser darum kümmern, eine überzeugende Theorie des guten Lebens zu entwickeln.“ Wenn nun aber zum guten Leben gehört, daß es gute Menschen sind, die das gute (d. h. hier: angenehme) Leben führen, dann muß man sich eben doch den Kopf darüber zerbrechen, was denn die Normen sind, denen man folgen soll, damit man von „gut“ sprechen kann. D. h. man muß das machen, was ohnehin jeder ständig macht, wenn er sich fragt: darf ich dies, soll ich jenes? – Man sieht hier einen entscheidenden Unterschied zu Kant: Ethiker wie Hauskeller denken sich eine Ethik aus, hier umgeformt zu einer „Theorie des guten Lebens“: Wie soll das Leben aussehen, das wir anstreben wollen? Kant fragt dagegen einfach nach dem, was ohnehin und unvermeidlich geschieht und expliziert es, er versucht ausdrücklich nicht, eine neue Ethik zu formulieren.

    • @Ludwig Trepl

      »Dennoch ist Ihre Formulierung nicht richtig: Das „Sittengesetz … sagt uns nicht, welche moralischen Sätze richtig sind“.«

      Ja, meine Formulierung war nicht sonderlich gelungen, schon weil da eigentlich die Modalitäten von Notwendigkeit und Möglichkeit erforderlich sind. Etwas präziser, das Sittengesetz sagt nicht, welche Handlungsmaximen notwendigerweise richtig sind, sondern spezifiziert nur ein Kriterium für notwendige Unrichtigkeit. Ist eine Maxime in diesem Sinn notw. unrichtig, so ist die ihr entgegengesetzte Maxime möglicherweise richtig. Ob diese dann im Rahmen eines bereits bestehenden Regelwerks akzeptierter Normen konfliktfrei als notw. richtig gelten kann, also auch normativ gesetzt werden könnte, liesse sich nur im Einzelfall durch weitere Prüfung entscheiden.

      In Entsprechung dazu stellt Poppers Bedingung der Falsifizierbarkeit ein Kriterium für notw. Unwahrheit empirischer Sätze dar. So wäre dann beispielswise der Satz, “Bewegte Uhren gehen verlangsamt,” observationell mögl. wahr, doch ist er in der Relativitätstheorie sogar notw. falsch, wohingegen er in der Aethertheorie auch notw. wahr ist.

      In Hinblick auf Iris Radisch und ihre Überlegungen zur Tierethik stellt sich nun die Frage, ob das irgendwie am KI-Test scheitert. Mir wäre das jedenfalls nicht ersichtlich, und dann liegt sie möglicherweise richtig. Dass sich Frau Radisch einen Konflikt mit der industriellen Fleischerzeuger-Lobby einhandelt, steht ausser Frage. Aus der Sicht dieser Leute muss das naturgemäss alles falsch sein, und die können dazu vielleicht sogar auf bestehende Gesetze verweisen. Doch muss das Frau Radisch nicht beeindrucken.

      Weiters ist die Stellung der Tiere in der abendländischen Kultur ja keineswegs massgeblich für menschliche Kultur und Ethik schlechthin. Bekanntlich hat bereits Schopenhauer den abendländischen Anthropozentrismus verurteilt, den er bedingt sah durch Taditionen, die ihren Ursprung im Alten Testament haben. Eine globale Ethik, die diese Bezeichnung verdient, und wie sie auch u.a. von Ursula Goodenough, Stuart A. Kauffman, oder nicht zuletzt Eugen Drewermann gefordert wird, kann gewiss nicht vorrangig fundiert sein auf abendländischen Traditionen, die ihre unterschwellige Prägung durch die 3000 Jahre alten Legenden eines nahöstlichen Nomadenvolkes nicht zu überwinden vermocht haben.

      Ob Michael Hauskellers Idee einer Theorie des guten Lebens vielleicht von ihm irgendwie in Verbindung zu einer angestrebten globalen Ethik gedacht war, kann ich aus dem Text nicht ersehen. Bevor Balanus hier Hauskeller genannt hatte, war mir der Name auch nicht geläufig, ich kann dazu also nichts wirklich sagen. Aber für mich liegt durchaus ein Sinn in einer solchen Verbindung, so würde ich das mit dem “guten Leben” einordnen wollen.

      • Ludwig Trepl, @ Chrys.

        “Etwas präziser, das Sittengesetz sagt nicht, welche Handlungsmaximen notwendigerweise richtig sind, sondern spezifiziert nur ein Kriterium für notwendige Unrichtigkeit. Ist eine Maxime in diesem Sinn notw. unrichtig, so ist die ihr entgegengesetzte Maxime möglicherweise richtig.“

        Das scheitert in dem Beispiel, das ich genannt habe: Wenn es verboten ist, den Menschen nur als Mittel zu benutzen, dann ist die entgegengesetzte Maxime „sondern zugleich als Zweck“ nicht nur „möglicherweise“ richtig.

        „Ob diese dann im Rahmen eines bereits bestehenden Regelwerks akzeptierter Normen konfliktfrei als notw. richtig gelten kann …“

        Der Relativismus (richtig immer nur relativ zu einem „bestehenden Regelwerk“) scheitert ganz allgemein an dem, was man seit Hegel als „sich vollbringenden Skeptizismus“ kennt. – Man kann das bestehende Regelwerk seinerseits daraufhin befragen, ob es denn als richtig gelten kann. Wenn man dann antwortet, daß man da keine letzten Prinzipien der Geltung finden kann, sondern immer nur auf weitere bestehende Regelwerke verwiesen wird, so ist zu sagen, daß selbst die relativistische oder skeptische Ablehnung der Behauptung, es gebe da keinen letzte Prinzipien, eben diese Prinzipien voraussetzt. Wer z. B. die logischen Prinzipien bestreitet, muß dafür eben diese Prinzipien in Anspruch nehmen. Sprachphilosophisch haben das Apel, Habermas, Kuhlmann u. a. reformuliert: Wer argumentiert – und das tut der Relativist/Skeptiker ja – nimmt die Bedingungen des Argumentierens für sich in Anspruch.

        In Hinblick auf Iris Radisch und ihre Überlegungen zur Tierethik stellt sich nun die Frage, ob das irgendwie am KI-Test scheitert. Mir wäre das jedenfalls nicht ersichtlich, und dann liegt sie möglicherweise richtig.“

        Welche Überlegungen zur Tierethik denn? Daß man Tiere nicht quälen soll? Das scheitert natürlich nicht am KI-Test, im Gegenteil; nur ihre Begründung erweist sich vielleicht (und ganz unabhängig vom KI) als unhaltbar. Ich habe aber, um es noch einmal zu wiederholen, nur einen Sein-Sollens-Fehlschluß kritisiert: Die Argumentation, daß es für die Frage, was ethisch richtig ist, für irgendeiner Bedeutung ist, was man faktisch für ethisch richtig hält – daß es von Bedeutung ist, daß man wohl bald die Tiere in ähnlicher Weise in die „Rechtsgemeinschaft“ aufnehmen wird, wie man einst die Sklaven und die Frauen aufgenommen hat.

        „Weiters ist die Stellung der Tiere in der abendländischen Kultur ja keineswegs massgeblich für menschliche Kultur und Ethik schlechthin.“

        Natürlich nicht, ebenso wenig wie die Stellung in jeder anderen Kultur. In dem Begriff globale Ethik (statt universelle) steckt drin, daß man diese Ethik irgendwie durch Einbeziehung der faktischen Ethiken der verschiedenen Kulturen gewinnen könnte. Das ist völlig falsch. Alle faktischen Maximen haben sich einer Vernunftprüfung zu unterziehen – ob die faktischen Maximen nun „ihre unterschwellige Prägung durch die 3000 Jahre alten Legenden eines nahöstlichen Nomadenvolkes“ erfahren haben oder (daran denkt der eifrige Atheist heute seltener, obwohl es sicher nicht weniger wichtig ist) durch die Legenden eines indogermanischen Bauernvolkes, die man selbstverständlich in der antiken Philosophie findet. Aber eben dadurch, daß es die Philosophie war, in die diese Legenden transformiert wurden (Popper sah die Entstehung der antiken Philosophie als den tiefsten Einschnitt auf dem Weg von der Amöbe zu Einstein, nicht etwa die „Menschwerdung“), entstand die Möglichkeit, mit einer „Vernunftprüfung“ grundsätzlich über das hinauszukommen, was als historisch-kulturelles Erbe sich halt so angehäuft hat.

    • @Ludwig Trepl

      »Das scheitert in dem Beispiel, das ich genannt habe: …«

      Was genau soll Ihr Beispiel besagen? Dass sich aus einer sittengesetzlich unrichtigen Maxime durch sinngemässe Umkehrung eine moralisch unbedingt richtige Maxime gewinnen lässt? Dann hätten Sie mit dem Sittengesetz bereits so etwas wie einen Algorithmus zur Vermeidung moralischer Dilemmata zur Hand. Onora O’Neill würde Ihnen das nicht abkaufen. (“Since no ethical algorithm is on offer, there is no guarantee that painful and tragic dilemmas are even in principle avoidable.”)

      Vielleicht missverstehe ich Sie ja in der einen oder anderen Hinsicht (und @Balanus ergeht es scheinbar ähnlich), deswegen muss ich da nochmals fragen. Sind Sie der Auffassung, dass das, was moralisch richtig ist, im Prinzip unterscheidbar ist von dem, was (irrtümlich) nur für moralisch richtig gehalten wird, weil etwa folgendes gilt?

      reason … lays down principles which are universal, categorical and internally consistent. Hence a rational morality will lay down principles which both can and ought to be held by all men, independent of circumstances and conditions, and which could consistently be obeyed by every rational agent on every occasion.

      Das ist das Zitat eines Zitates bei O’Neill. Ich sag’ jetzt mal nichts weiter dazu, sondern frage nur, ob dies aus Ihrer Sicht dem entspricht, was Kant gemeint hat.

      »In dem Begriff globale Ethik (statt universelle) steckt drin, daß man diese Ethik irgendwie durch Einbeziehung der faktischen Ethiken der verschiedenen Kulturen gewinnen könnte. Das ist völlig falsch.«

      Stuart Kauffman, als einer der von mir beispielhaft Genannten, erläutert seine Vorstellung von dem, was er mit globaler Ethik verbindet, u.a. so:

      Such an ethic must embrace diverse cultures, civilizations, and traditions that span the globe. It must set a framework within which we can hope to orient ourselves. It must be of our own construction and choosing. It must also be open to wise evolution. A rigid ethical totalitarianism can be as blinding as any other fundamentalism.

      Wäre das jetzt falsch? Am KI-Test scheitert er mit einer solchen Maxime jedenfalls nicht.

      • Ludwig Trepl, @ Chrys

        „Was genau soll Ihr Beispiel besagen? Dass sich aus einer sittengesetzlich unrichtigen Maxime durch sinngemässe Umkehrung eine moralisch unbedingt richtige Maxime gewinnen lässt?“

        Es gibt Fälle, in denen das so ist. Mein Beispiel ist ein solcher Fall. Es gibt Fälle, da ist es nicht so; wenn man durch die Vernunftprüfung herausbekommt, daß man einer bestimmten Neigung nicht folgen soll, so hat man damit keine Handhabe, um positiv sagen zu können, welchen Neigungen man denn nun folgen soll. Es gibt aber auch Fälle, in denen sich unbedingt richtige Maximen direkt ergeben. Der Maxime, daß man, wenn man schwimmen kann, einen Ertrinkenden retten soll (einige Spezifizierungen der Situation vorausgesetzt) ist richtig, sie besteht die Vernunftprüfung.

        „…there is no guarantee that painful and tragic dilemmas are even in principle avoidable“

        Da habe ich ein Problem mit dem Dilemma-Begriff. Schmerzhafte und tragische Situationen erlaubt das Sittengesetz nicht zu vermeiden, das hat wohl nie einer behauptet. Alles, was es ermöglicht, ist, sagen zu können, daß man bei aller Tragik das Richtige getan hat. („Machen Sie sich keine Vorwürfe“, pflegt der Tatort-Kommisar zu sagen, wenn etwas Schlimmes passiert ist, „Sie mußten so handeln“.) Aber ein Dilemma wäre eigentlich etwas anderes: Es gibt auf keiner Seite gewichtigere Argumente, es gibt keinen Vernunftgrund für eine Entscheidung. Ich weiß nicht, ob es so etwas gibt; vielleicht haben Sie ein Beispiel. Aber angenommen, das gäbe es, dann müßte doch als eine vernünftige Entscheidung gelten, was auch da als eine gelten muß, wo man den Vernunftgrund nur nicht findet, vielleicht aus Zeitmangel. In solchen Fällen ist es vernünftig, nach Belieben zu entscheiden (Münze werfen), falls gar keine Entscheidung zu treffen nicht zur Wahl steht.

        „ Sind Sie der Auffassung, dass das, was moralisch richtig ist, im Prinzip unterscheidbar ist von dem, was (irrtümlich) nur für moralisch richtig gehalten wird, weil etwa folgendes gilt?: reason … lays down principles which are universal, categorical and internally consistent. Hence a rational morality will lay down principles which both can and ought to be held by all men, independent of circumstances and conditions, and which could consistently be obeyed by every rational agent on every occasion.“

        Man sagt, daß Kant übertriebene Vorstellungen von der Einfachheit der Möglichkeit der Entscheidung aufgrund des KI gehabt hat und das erst spät im Leben revidiert hat, daß er also in der Nähe der hier zitierten Auffassung war. Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt. – Von Kant’schen Programm her müßte man wohl einwenden: Die „circumstances and conditions“ darf man nicht vernachlässigen, denn die Situationstypen, auf die die Maximen bezogen sind, sind bei der Vernunftprüfung zu berücksichtigen. Auch wenn es keinerlei Rechtfertigung für eine bestimmte Entscheidung ergibt, daß jemand in einem Mileu lebt, in dem man diese Entscheidung meint treffen zu müssen, so ist das doch Teil der Gesamtsituation, die zu berücksichtigen ist. Von dem einen kann man beispielsweise etwas verlangen, was man von dem anderen nicht verlangen kann. Wenn alle Vernunftwesen dem gehorchen sollen, was die Vernunft gebietet (und so ist es), so gehört doch zur vernünftigen Einschätzung der fraglichen Maxime, daß die Situation (damit auch die Herkunft des handelnden Individuums usw.), in der sie gelten soll, nicht außer Betracht bleibt, denn es gibt keine Entscheidungen außerhalb von Situationen. – Man kann die Situationen nicht klassifizieren, so daß man beim Vorliegen von Merkmal M eindeutig sagen kann: Das ist eine Situation der Klasse K, und hier gelten eindeutig die Prinzipien P. Man kann zumindest im allgemeinen nur Typen von Situationen bilden, und es gehört zum Wesen von Typen, daß sie breite Überhänge zu dem haben, was nicht mehr unter diesen Typ fällt. Zur Einschätzung, ob man denn nun noch in einer Situation ist, in der Prinzip P gilt (z. B. „du sollst nicht töten“), ist Urteilskraft nötig.

        „ ‚Such an ethic must embrace diverse cultures, civilizations, and traditions that span the globe. It must set a framework within which we can hope to orient ourselves. It must be of our own construction and choosing. It must also be open to wise evolution. A rigid ethical totalitarianism can be as blinding as any other fundamentalism.’ Wäre das jetzt falsch?“

        Ich halte es für falsch. Zum einen halte ich es – mit Kant – für falsch, sich überhaupt eine Ethik auszudenken. Kant expliziert nur, was wir ohnehin tun, wenn wir ethisch gerechtfertigt handeln wollen. Zum anderen: Was soll es für einen Grund geben, die „diverse cultures, civilizations, and traditions“ zu summieren oder zu integrieren? Daraus kann sich nie eine Ethik ergeben (d. h. nicht das ergeben, was man unbedingt soll), sondern nur eine – nun irgendwie interkulturell verbundene – Faktizität des für ethisch gerechtfertigt Gehaltenen; man begeht einen Sein-Sollens-Fehlschluß, wenn man meint, das sei ethisch gerechtfertigt. Zur Rechtfertigung gelangt man nur, wenn man die Maximen der „diverse cultures, civilizations, and traditions“ prüft.

        Man muß sich das mal praktisch vorstellen. Es geht zu wie seinerzeit bei der Konstruktion des Esperanto: Die faktische Moral der Christen wird zu 60 % berücksichtigt, weil es viele Christen gibt und die Staaten mit christlicher Tradition mächtig sind. Die faktische Moral der Moslems wird aus entsprechenden Gründen zu 20 % berücksichtigt, die der „animistischen“ Kulturen zu 0,1 %, denn die sind sehr wenige und sie sind machtlos. Hätte man das gleiche Unternehmen aber vor 150 Jahren begonnen, hätten die letzteren noch einen Anspruch auf sagen wir mal 20 % gehabt.

        Man könnte auch anders vorgehen und die „diverse cultures, civilizations, and traditions“ in einen Diskussionsprozeß bringen. Dann könnten vielleicht bestimmte faktische Moralvorstellungen, auch wenn sie sehr verbreitet sind (z. B. zur Homosexualität), verworfen werden, weil sie argumentativ zu schwach sind. Das wäre aber das Gegenmodell zur „globalen Ethik“, es wäre „universelle“.

        Sie schreiben: „Am KI-Test scheitert er [Kauffman] mit einer solchen Maxime jedenfalls nicht.“. Eben doch, denn manche Moralvorstellungen mancher Kulturen usw., die da „umfaßt“ werden sollen, werden am KI-Test scheitern und können also nicht mehr „umfaßt“ werden.

    • @Ludwig Trepl

      »Es gibt Fälle, in denen das so ist. Mein Beispiel ist ein solcher Fall. Es gibt Fälle, da ist es nicht so; wenn man durch die Vernunftprüfung herausbekommt, daß man einer bestimmten Neigung nicht folgen soll, so hat man damit keine Handhabe, um positiv sagen zu können, welchen Neigungen man denn nun folgen soll.«

      Eben. Das Beispiel widerlegt daher auch nicht, dass normativ die “Negation” einer notwendigen Unrichtigkeit generell nur eine mögliche Richtigkeit impliziert. Die möglicherweise richtigen Maximen sind dann die, von denen ich wollen kann, dass sie ein allgemeines Gesetz werden. Das wären aber noch immer nur meine Kandidaten für allg. Gesetze, und nicht alle von denen liessen sich miteinander konfliktfrei zu allg. Gesetze befördern. Was also den KI Test bestanden hat, kann weiterhin erwogen werden, steht aber unter Vorbehalt, doch was durchgefallen ist, ist definitiv raus.

      Etwas formale Heuristik (ohne Anspruch auf notwendige Richtigkeit). Normen sind offenbar nicht nur nicht wahrheitsfähig, sondern auch nicht (eindeutig) negationsfähig. Das heisst, die Negation ¬N einer Norm N lässt sich bestenfalls verstehen als eine Gesamtheit aller mit N unverträglichen Normen, in dem Sinne, dass man nicht beiden zugleich folgen kann, ohne etwas falsch zu machen,

      N’ ∈ ¬N :↔ N ∧ N’ ist notwendig unrichtig.

      Dann liesse sich ein Dilemma formal charakterisieren gemäss

      N ∨ N’ ist notwendig unrichtig ∀ N’ ∈ ¬N,

      d.h., man macht im einen wie im anderen Fall etwas falsch. Die Vernunftprüfung, ob man eine Norm N, die man für notwendig richtig hält, tatsächlich vom Kandidaten zum allg. Gesetz befördern will, müsste eigentlich vorsehen, dass ¬N gebildet und auf allfällige Dilemmata überprüft wird. Nun ist ¬N aber nur die Klasse der mit N unverträglichen Normen, und so etwas lässt sich i.a. nicht algorithmisch auf Konsistenz mit N untersuchen. O’Neill verzichtet zwar auf den ganzen Formelkram, aber mir hlft das, ihr Argument nachzuvollziehen, dass der KI weder einen Vernunftalgorithmus liefert, noch die Vermeidung von Dilemmata garantieren kann. (Dabei ist es freilich unerheblich, ob solche Dilemmata als schmerzlich oder tragisch oder sonstwie empfunden werden, was ohnehin eine subjektiv-emotionale Wertung wäre.)

      Damit erledigt sich auch jeder “ethische Platonismus”, der annimmt, es könne metaphysisch so etwas wie eine konsistente (also dilemma-freie), ideale und absolute Gesetzgebung durch die Vernunft vorgegeben sein. O’Neill hat wohl daher auch keine Berührungsängste gegenüber konstruktivistischer Ethik. Es ist zudem letztlich sinnlos, auf eine ultimative Unterscheidung zu hoffen zwischen dem, was richtig ist, und dem, was für richtig gehalten wird. Man endet immer wieder nur bei dem, was man für richtig hält.

      Bleibt noch anzumerken, dass es sich bei dem von O’Neill Zitierten (und von mir oben Rezitierten) um Alasdair MacIntyre handelt. Nicht, dass der einen solchen Rigorismus vertritt, aber er hat Kant unterstellt, dass der das getan hätte, und kritisiert dies. O’Neill wiederum argumentiert gegen MacIntyre, er habe Kant diesbezüglich missverstanden.

      »Was soll es für einen Grund geben, die „diverse cultures, civilizations, and traditions“ zu summieren oder zu integrieren? Daraus kann sich nie eine Ethik ergeben … Man muß sich das mal praktisch vorstellen. Es geht zu wie seinerzeit bei der Konstruktion des Esperanto: …«

      Dios mio, wo lesen Sie denn bei Kauffman heraus, dass er unter “globaler Ethik” so einen multi-kulti Proporz verstanden wissen will, wie Sie ihn da skizzieren? Mir scheint, Sie billigen den Menschen philosophisch zwar den Status fabelhafter Vernuftwesen zu, unterstellen ihnen praktisch aber, dass sie nur Unvernünftiges zuwege bringen werden, sobald mehr Vernunft angestrebt wird in Hinblick auf eine halbwegs erfolgreiche Bewältigung der Probleme, mit denen das Leben auf diesem Planeten heute konfrontiert ist. In Polynesien saufen bald wirklich einige Inseln mitsamt ihren Bewohnern ab, und wenn die Ethik nur dazu taugt, uns vielleicht hinterher die Einsicht zu bescheren, dass wir vernünftigerweise dagegen etwas hätten tun sollen, wenn also die Ethik nicht auch zu praktischem Handeln führen kann, dann ist diese ganze Ethik nichts wert.

      • In Polynesien saufen bald wirklich einige Inseln mitsamt ihren Bewohnern ab, und wenn die Ethik nur dazu taugt, uns vielleicht hinterher die Einsicht zu bescheren, dass wir vernünftigerweise dagegen etwas hätten tun sollen, wenn also die Ethik nicht auch zu praktischem Handeln führen kann, dann ist diese ganze Ethik nichts wert.

        Hüstel. Es könnte alternativ auch die Abreise empfohlen oder mit Mitteln unterstützt werden, es könnte aber auch eine Ethik bereit stehen, die weder das eine (das “Bleiben”) noch das andere empfiehlt.
        Eine “globale Ethik” kann insofern nicht bereit stehen, weil sie ausgehandelt werden muss, auch um die Stagnation zu meiden.
        MFG
        Dr. W (der allerdings auch nicht versteht, was Herr Trepl hier so treibt)

      • Ludwig Trepl, @ Chrys.

        „Das Beispiel widerlegt daher auch nicht, dass normativ die ‚Negation’ einer notwendigen Unrichtigkeit generell nur eine mögliche Richtigkeit impliziert.“

        In Fällen, in denen außer A auch B, C, D usw. möglich wären, impliziert der Nachweis, daß A unrichtig ist, nicht, daß beispielsweise B oder C richtig ist; sie sind nur möglicherweise richtig. In Fällen, in denen gilt: Entweder A oder B ist richtig (tertium non datur), genügt der Nachweis, daß A unrichtig ist, um zu zeigen, daß B richtig ist. Jetzt müßten Sie mir zeigen, daß es solche Fälle nicht gibt.

        Ihre „formale Heuristik“ habe ich, mangels Vorbildung, nicht verstanden. Wenn Sie wollen, daß ich verstehe, was Sie meinen, müßten Sie es so erklären, wie Sie es einem Kind erklären würden, ohne Fachsprache und ohne Formeln.

        „Dabei ist es freilich unerheblich, ob solche Dilemmata als schmerzlich oder tragisch oder sonstwie empfunden werden, was ohnehin eine subjektiv-emotionale Wertung wäre.“

        Auf das Empfinden kommt es in der Tat nicht an, das war nicht mein Punkt. Sondern darauf, daß ein Dilemma keinerlei Vernunftlösung hat (haben Sie ein Beispiel dafür?), und es etwas anderes ist, wenn eine Vernunftlösung einer moralischen Frage „Opfer“ verlangt – egal ob man das als schmerzhaft empfindet oder nicht.

        „Es ist zudem letztlich sinnlos, auf eine ultimative Unterscheidung zu hoffen zwischen dem, was richtig ist, und dem, was für richtig gehalten wird. Man endet immer wieder nur bei dem, was man für richtig hält.“

        Das ist bei empirischen Fragen auch nicht anders. Keine Unterscheidung zwischen gültig und ungültig kann da als ultimativ betrachtet werden. „Wissenschaft“ (im alten Sinne) ist uns immer nur „aufgegeben“, nicht „gegeben“, hat man früher gesagt. „Hoffen“ ist aber uneindeutig. Die Hoffnung, daß etwas Bestimtes, das man für richtig hält, auch richtig ist, kann immer erfüllt sein. Die Hoffung, daß man in einem bestimmten Fall mit letzter Sicherheit sagen kann, es sei richtig, kann nie erfüllt werden, ebenso wenig wie die Hoffnung, daß das, was die Menschheit für richtig hält, insgesamt richtig sein wird; das wird es in dieser Welt nicht geben, da gilt das „immer nur aufgegeben“ für alle Ewigkeit.

        Es geht um etwas anderes: Man muß bei empirischen Fragen (und nun zeigen Sie mir bitte, warum es bei moralischen anders sein soll) unterstellen, daß es eine gültige Lösung gibt, d. h. man muß unterscheiden zwischen dem, was man jeweils meint zu wissen und dem, worauf man mit seinem Wissenwollen zielt. Es ist nicht möglich, das zu tun, was man gerade tut, nämlich zu argumentieren, wenn man diese Unterstellung nicht macht. Man wäre genötigt, sofort mit dem Argumentieren aufzuhören, wenn man davon ausgehen müßte, daß es sinnlos ist, nach mehr zu fragen als nach dem, was man für richtig hält. Das haben die neueren Frankurter in Anlehnung an ihre angloamerikanischen Gewährsleute hinreichend klargemacht (allerdings, wie ich meine, auf einer oberflächlicheren Ebene als ältere, vor-sprachphilosophische Philosophen; das Für-richtig-Halten ist logisch gar nicht möglich ohne die Idee des Richtig-Seins).

        „Dios mio, wo lesen Sie denn bei Kauffman heraus, dass er unter “globaler Ethik” so einen multi-kulti Proporz verstanden wissen will, wie Sie ihn da skizzieren?“

        Das war natürlich eine Karrikatur, eine Überspitzung, um deutlich zu machen, worin die Idee der „globalen Ethik“ im Kern besteht. Natürlich denkt Kauffman, daß man da wohl doch irgendwo argumentieren muß. Aber damit hat man eben die Idee einer „globalen Ethik“ verlassen und ist bei der „universellen“ gelandet, wofür ich ja auch bin. Daß man in der politischen Praxis klug handelt, wenn man nicht so argumentiert wie in einem philosophischen Seminar, sondern z. B. sagt: Ich bin zwar nicht eurer Meinung, aber bis zu einem gewissen Grade bin ich bereit, eure traditionsbedingte Haltung zu Frauen hinzunehmen, damit Ihr nicht beleidigt seid oder gewalttätig werdet, steht auf einem ganz anderen Blatt.

        Jetzt mein Hauptpunkt. Sie schreiben: „Normen sind offenbar … nicht wahrheitsfähig“. Das schreiben Sie nun schon zum wiederholten mal, aber Sie erklären mir nicht, was es bedeuteten soll. – Was beim „KI-Test … durchgefallen ist, ist definitiv raus“, sagen Sie. Das lese ich so: Das soll man nicht tun; man hat nämlich erwiesen, daß man es nicht soll. Nun scheint man aber Ihnen zufolge nicht sagen zu dürfen: Es ist wahr, daß man das nicht soll. Sie benutzen hier einen Wahrheitsbegriff (wohl den oder einen unter den neueren Logikern üblichen), neben dem andere gebräuchlich sind, bei denen es möglich ist zu sagen „Es ist wahr, daß man das nicht soll“. Welchen Wahrheitsbegriff legen Sie zugrunde? Warum meinen Sie, daß man den und nicht einen anderen bei normativen Fragen zugrundelegen müßte? – Es scheint mir nicht so zu sein, daß die vielen Philosophen, die den Satz „Normen sind offenbar nicht … wahrheitsfähig“ bestreiten, das unter der Voraussetzung des gleichen Begriffs von Wahrheit tun, sondern sie haben einen anderen.

        • Jetzt mein Hauptpunkt. Sie schreiben: „Normen sind offenbar … nicht wahrheitsfähig“. Das schreiben Sie nun schon zum wiederholten mal, aber Sie erklären mir nicht, was es bedeuteten soll.

          Menschen können verschiedene Lautfolgen von sich geben. Unter diesen Lautfolgen sind solche, die einen Wahrheitswert tragen können (wahrheitsfähig sind) und solche, die das nicht sind. Lautfolgen, die wahrheitsfähig sind, nennt man “Aussagen”.

          Beispiele für nicht wahrheitsfähige Lautfolgen sind etwa neben Körpergeräuschen, Onomatopoesie, Inflektive, Aufforderungen (“Komm!”, Gegenmeinung von Searle etwa bei “Verlasse das Haus, weil es brennt!” wegen des propositionalen Gehalts im Nebensatz) und eben auch Normen.

          Welchen Wahrheitsbegriff legen Sie zugrunde?

          Ich weiß nicht, welchen Wahrheits”begriff” Chrys voraussetzt. Aber wenn man sich schon über einen Warheits”begriff” streiten muss, dann kann man m.E. nicht vernünftig miteinander kommunizieren. Wahr ist, was der Fall ist. Mehr ist da nicht dahinter und mehr braucht man da auch nicht hineinzugeheimnissen.

          • @ Ano Nym.

            Das verschiebt das Problem nur. Wenn man, wie Chrys und allerlei heutige Philosophen in der angloamerikanischen (und Wiener) Tradition, meint, normative Lautfolgen seien nicht wahrheitsfähig, dann wären sie Ihnen zufolge keine Aussagen. Denn: „Lautfolgen, die wahrheitsfähig sind, nennt man “Aussagen”.“ Nun würde aber kaum jemand einem Satz wie „Du sollst nicht ehebrechen“ bestreiten, daß er eine Aussage ist. Und wenn nun „wahr ist, was der Fall ist“, dann fragt man sich, was das denn heißen soll: der Fall sein.

          • normative Lautfolgen seien nicht wahrheitsfähig, dann wären sie Ihnen zufolge keine Aussagen.

            Korrekt. Ich möchte die Normgeltung nur schlicht nicht Wahrheit nennen, um normative Sätze, die Sie meinetwegen auch gern als normative Aussagen bezeichnen können (das sind ja nur Namen für Klassen von Dingen), von solchen, die nicht-normativ sind, zu unterscheiden.

            Das alles hat aber mit der Geltung der normativen Lautfolgen überhaupt nichts zu tun. Worüber nämlich hier aber in Wirklichkeit gestritten wird, ist doch die Frage, ob oder warum die Normen gelten.

            Nun würde aber kaum jemand einem Satz wie „Du sollst nicht ehebrechen“ bestreiten, daß er eine Aussage ist.

            Wenn Sie dieselben Leute fragen, ob der Satz “Du sollst nicht ehebrechen!” auf dieselbe Art ‘wahr’ ist, wie der Satz “Sie bekommen gerade eine Frage gestellt.”, dann werden die Leute vielleicht nach etwas Hilfestellung wohl überwiegend mit “Nein” antworten. Wie gesagt: Sie können geltende Normen gern als ‘wahr’ bezeichnen, wenn sie im Hinterkopf behalten, dass es sich um eine Homonymie handelt.

            Und wenn nun „wahr ist, was der Fall ist“, dann fragt man sich, was das denn heißen soll: der Fall sein.

            Das Ausgesagte ist genau dann der Fall, wenn das grammatische Subjekt der Aussage ein Objekt im Gegenstandsbereich bezeichnet und das grammatische Prädikat der Aussage eine Eigenschaft dieses Objektes repräsentiert.

    • @Ludwig Trepl

      Die Bedeutung modaler Sprechweisen ist in der Umgangssprache nicht exakt dieselbe wie in der modalen Logik, was auch zu Missverständnissen führen kann. Der Satz, “Es ist möglicherweise wahr, dass Uli H. mehr als 28 Mio. Euro an Steuern hinterzogen hat,” kann umgangssprachlich eine bestehende Ungewissheit ausdrücken darüber, wieviel ein ganz bestimmter Uli H. an Steuern hinterzogen hat. Hingegen wäre modallogisch “Uli H.” hier nur als ein Variablennamen zu vestehen, sodass bei jeder konkreten Belegung (etwa durch H. = Huber, Hinterhuber, Hoeness, …) ein als zutreffend oder unzutreffend entscheidbarer Sachverhalt beschrieben wird, über den in jedem Einzelfall keine Ungewissheit besteht, der aber für unterschiedliche Personen auch unterschiedlich herauskommen kann.

      In Anlehnung an die modallogische Verwendung lässt sich auch die “mögliche Richtigkeit” als Resultat der sittengesetzlichen Prüfung auffassen. O’Neill betont, dass laut Kant einer Handlung immer eine und zwar nur eine Maxime zugrundeliegt, für welche dann die Vernunftprüfung gefordert ist. Man kann seine Handlungen nicht durch mehrere Maximen legitimieren, auch wenn diese zur Rechtfertigung der Handlung vorstellbar wären. Anders gesagt, ein Vernuftwesen muss in Hinblick auf eine beabsichtigte Handlung quasi eine konkrete Wahl treffen für die dieser Handlung zugrundeliegende Maxime, und von den vorstellbaren Maximen, die zur Auswahl stehen, können natürlich etliche die Vernunftprüfung bestehen. In diesem Sinn gestattet die Vernunftprüfung eine Vielzahl möglicherweise richtiger Maximen für die erwogene Handlung, aber nur genau eine davon kann und muss schliesslich zur Maxime erhoben werden.

      Die Unzulässigkeit mehrerer Handlungsmaximen hängt, wenn ich O’Neill recht verstanden habe, damit zusammen, dass an der Maxime einer Handlung der moralische Wert dieser Handlung zu beurteilen ist. Wenn beispielsweise Uli H. für wohltätige Zwecke beträchtliche Geldbeträge spendet und dabei nur der Maxime folgt, dass er von anderen für einen guten Menschen gehalten werden will, so ist das moralisch anders zu werten, als wenn er etwa aus innerer Überzeugung für die Sache gespendet hätte. Ein moralisch guter Mensch wird man nicht allein durch sittengesetzlich richtiges Handeln, doch die Moralität von Handlungen ist nur schwer zu beurteilen. (“In his most pessimistic moments Kant doubts whether we can ever know that a morally worthy action has been performed. If he is right we can never judge the morality of acts.”)

      »Jetzt mein Hauptpunkt. …«

      Mir ist schon klar, dass philosophische Logik als eine normative Disziplin erachtet wurde, wie etwa [hier] beschrieben, und dass selbst in der Philosophie der Mathemaik und Logik mit einem unspezifischen Wahrheitskonzept operiert wurde. Aus einem solchen Blickwinkel wird nicht unbedingt ersichtlich, warum man bei präskriptiven und deskriptiven Sätzen nicht auf dieselbe Weise von Wahrheit reden kann. Das wurde durch die Entwicklung der modernen Logik drastisch geändert, nicht zuletzt, weil letztere keine normative Wissenschaft ist. Ein semantischer Begriff von Wahrheit, wie er dann in der modernen Logik etabliert wurde, aber auch aus praktisch allen modernen Wahrheitstheorien nicht mehr wegzudenken ist (laut Peter Janich), wäre für normative Sätze nicht annehmbar — das liefe wohl nur auf eine Festschreibung von Sein-Sollen-Fehlschlüssen hinaus, wenn man es versuchte. Folglich redet dann auch Onora O’Neill in derlei Zusammenhängen keinesfalls von Wahrheit, sondern von Richtigkeit (“rightness”). Das tut übrigens auch G. H. von Wright etwa in Hinblick auf juristische Gesetzgebung, and daran habe ich mich hier auch orientiert. Ich muss mich da mit der Nennung von mir bekannten Beispielen begnügen, zur gebräuchlichen Terminologie in den normativen Disziplinen kann ich darüber hinaus nichts sagen. Da ist bestimmt sogar google kompetenter, aber auch google deutet scheinbar darauf hin, dass “rightness” in den einschlägigen Zirklen die passende Vokabel ist.

      • Ludwig Trepl, @ Chrys (und @ Ano Nym).

        „Die Bedeutung modaler Sprechweisen ist in der Umgangssprache nicht exakt dieselbe wie in der modalen Logik, was auch zu Missverständnissen führen kann.“

        Die Bedeutung vieler Sprechweisen ist nicht nur in der Umgangssprache, sondern auch in der Philosophie eine andere als in der modernen Logik (wobei es bekanntlich in der Philosophie sehr oft mehrere verschiedene Sprechweisen gibt).

        “In his most pessimistic moments Kant doubts whether we can ever know that a morally worthy action has been performed. If he is right we can never judge the morality of acts.”

        Nicht nur in seinen „most pessimistic moments“, sondern das ist ein sich durchziehender und systematisch wichtiger Gedanke bei Kant, und auch ein unabweisbarer; „If he is right“ ist eine dumme Bemerkung: da hat er einfach recht. Nie können wir beurteilen, ob eine Handlung moralisch ist (statt nur moralgemäß). Denn man kann keinem Menschen „ins Herz schauen“, nicht einmal sich selber. Jeder, auch der mit dem simpelsten Verstand, weiß das. Aber wofür/wogegen soll das in unserem Zusammenhang ein Argument sein? Die moralische, d. h. wegen des Gesetzes erfolgende Handlung ist eine Norm, der wir, wie wir alle wissen, folgen sollen, sie ist anders als die moralgemäße, d. h. dem Gesetz gemäße Handlung kein Faktum, das man beobachten könnte.

        „Mir ist schon klar, dass philosophische Logik als eine normative Disziplin erachtet wurde … modernen Logik … keine normative Wissenschaft“

        Das ist teils falsch, teils richtig. Das „wurde“ ist falsch. Denn es ist noch so, betrifft aber nur bedingt das, was man moderne oder „reine“ Logik oder auch „Logik als eigene Wissenschaft“ nennt. Im Rahmen der Philosophie, genauer der Erkenntnistheorie, aber auch im Rahmen anderer Wissenschaften, ist Logik immer eine normative Disziplin: Sie fragt nicht, wie gedacht wird (das macht z. B. die Psychologie), sondern wie gedacht werden soll, damit „Erkenntnis“ möglich wird. Ja, auch in der Logik selbst, da wo sie nicht als normative Wissenschaft betrieben wird, ist sie dies doch immer auch. Das liegt daran, daß in der Logik, und wohl nur hier, sozusagen Gegenstand und Methode zusammenfallen. Wenn die Logik „deskriptiv“ untersucht, was unter bestimmten Bedingungen an „Logischem“ sich ergibt, dann benutzt sie zugleich „die Logik“ als Norm, als Regelwerk, das ihr sagt, wie dabei vorzugehen ist, damit Gültiges herauskommt. Oder anders: Weil in der Logik (auch der modernen) „das Wissen um ihren Gegenstand (das Logische) zusammenfällt mit dem Wissen um die Bedingungen dieses Wissens um ihren Gegenstand“ (Hans Wagner) und man die Bedingungen dieses Wissens (Logik) erfüllen soll (man logisch denken soll), weil anders ein Wissen um den Gegenstand (das Logische) nicht möglich ist, kann die Logik ihren Charakter als normative Disziplin auch für sich selber nicht loswerden.

        Nun zum eigentlichen Punkt: Von „Richtigkeit“ statt von „Wahrheit“ spricht man heute fast überall, auch da, wo man irgendwie transzendentalphilosophisch denkt (z. B. die „neueren Frankfurter“), ohne daß dadurch andere Verwendungs von „Wahrheit“ (z. B. in „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“) falsch würden. Es ist auch gar nichts dagegen zu sagen, daß zwei doch sehr verschiedene Arten von Gültigkeit (darauf hat auch @ Ano Nym hingewiesen) begrifflich unterschieden werden. Und man greift da auf einen schon lange üblichen Begriffsgebrauch zurück, nämlich: Innerhalb des theoretischen (also nicht normativen) Denkens hat man unterschieden zwischen derjenigen Gültigkeitskomponente, die in den formalen Maßstäben liegt (wo es also um die Anwendung der logischen Regeln geht), und der inhaltlichen Komponente, wo es darum geht, ob die Aussage dem Gegenstand gemäß ist. Ersteres hat man (theoretische )„Richtigkeit“ genannt (hier geht es darum, Regeln richtig anzuwenden), letzteres (theoretische) „Wahrheit“.

        Der Streit fängt erst da an, wo man – für den Bereich des Normativen – meint, „Richtigkeit“ könne immer nur relativ zu dem jeweiligen Regelwerk sein, wodurch Ethik als normative Disziplin unmöglich wird, alles, was mit ethischem Anspruch geäußert wird, nur noch Konvention sein kann.

        • @Ludwig Trepl.

          Im Rahmen der Philosophie, genauer der Erkenntnistheorie, aber auch im Rahmen anderer Wissenschaften, ist Logik immer eine normative Disziplin: Sie fragt nicht, wie gedacht wird (das macht z. B. die Psychologie), sondern wie gedacht werden soll, damit „Erkenntnis“ möglich wird.

          Diese Formulierung ist missverständlich, weil sie bei Leichtgläubigen den Eindruck erwecken könnte, diese normative Logik, die Sie hier ansprechen, sei eine schlechthin notwendige Bedingung für Erkenntnis. Das ist natürlich nicht der Fall. Um etwa in den Genuss kernphysikalischer Erkenntnisse über die Spaltbarkeit von Atomkernen zu gelangen, reicht das Studium der Kernphysik vollständig aus. Es bedarf keines zusätzlichen Studiums dieser normativen Logik oder gar eines Philosophiestudiums. Es bedarf noch nicht einmal einer bewussten Kenntnis der Inhalt irgendeiner Logik.

          Ja, auch in der Logik selbst, da wo sie nicht als normative Wissenschaft betrieben wird, ist sie dies doch immer auch. Das liegt daran, daß in der Logik, und wohl nur hier, sozusagen Gegenstand und Methode zusammenfallen. Wenn die Logik „deskriptiv“ untersucht, was unter bestimmten Bedingungen an „Logischem“ sich ergibt, dann benutzt sie zugleich „die Logik“ als Norm, als Regelwerk, das ihr sagt, wie dabei vorzugehen ist, damit Gültiges herauskommt.

          Diese Logik, die der Disziplin sagt, wie dabei vorzugehen ist, damit Gültiges herauskommt, findet Anwedung etwa auch in der Kernphysik. Dennoch ist die Kernphysik keine normative Disziplin. Sie schreibt den Kernen kein Sollen vor, stabil zu bleiben oder zu zerfallen, und sie schreibt den Physikern auch nicht vor, Kernreaktoren zu bauen oder es bleiben zu lassen. Aus dem Umstand, dass in einer Disziplin mit der Logik als Mittel gearbeitet wird, folgt also nicht, dass die Sätze der Disziplin Sollensätze sind.

          Oder anders: Weil in der Logik (auch der modernen) „das Wissen um ihren Gegenstand (das Logische) zusammenfällt mit dem Wissen um die Bedingungen dieses Wissens um ihren Gegenstand“ (Hans Wagner) und man die Bedingungen dieses Wissens (Logik) erfüllen soll (man logisch denken soll), weil anders ein Wissen um den Gegenstand (das Logische) nicht möglich ist, kann die Logik ihren Charakter als normative Disziplin auch für sich selber nicht loswerden.

          Das ist eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist, dass wir nicht die Normativität der Metalogik voraussetzen, sondern die nicht-Normativität der Logik des Gegenstandsbereichs. Dann ‘folgt’ aus dem “Zusammenfallen”, dass auch die äußere Logik nicht normativ ist. Was ich reinstecke, kommt auch heraus. In einer nicht-normativen Logik (also meiner Logik) folgt das widerspruchsfrei, in Ihrer normativen Logik übrigens auch.

          […] wodurch Ethik als normative Disziplin unmöglich wird, alles, was mit ethischem Anspruch geäußert wird, nur noch Konvention sein kann.

          Man kann sich damit trösten, dass die meisten Sollenssätze auch unter dem aciént regime schon Konventionen waren.

          • @ Ano Nym.

            „Diese Formulierung ist missverständlich, weil sie … den Eindruck erwecken könnte, diese normative Logik, die Sie hier ansprechen, sei eine schlechthin notwendige Bedingung für Erkenntnis. Das ist natürlich nicht der Fall. … Es bedarf keines zusätzlichen Studiums dieser normativen Logik“ .

            Ich glaube nicht, daß es außer Ihnen noch jemanden auf der Welt gibt, der das aus der Formulierung herauslesen könnte. Selbstverständlich ist die Logik, derer sich die Wissenschaften bedienen müssen, die Logik, die jeder ständig anwendet oder doch anwenden möchte, wenn er beansprucht, logisch, also gültig zu denken. Das gilt auch für einen, der nie mit Wissenschaft in Berührung kommt. Die Wissenschaft Logik prüft, als normative, nur, ob die Prinzipien, denen man meint folgen zu müssen, damit eine Aussage „logisch“ ist, auch „logisch“ sind. Es ist nicht anders als mit der Ethik: Um die Maxime aufstellen zu können „Sonntags soll man einen Anzug anziehen“, muß man nicht Ethik studiert haben. Die Ethik, als Wissenschaft, prüft nur, ob so ein Satz auch haltbar ist. Auch das kann der Nicht-Ethiker tun, aber die Wissenschaft Ethik tut es systematisch.

            „Kernphysik. … Aus dem Umstand, dass in einer Disziplin mit der Logik als Mittel gearbeitet wird, folgt also nicht, dass die Sätze der Disziplin Sollensätze sind.“

            Da hat der Meister des Sinnverdrehens aber wieder zugeschlagen! Nicht die Kernphysik ist normativ, sondern die Logik, die sagt, „wie gedacht werden soll“, d. h. die normative Logik, also das an der Logik, was den Physiker an ihr interessiert. Was die neue Logik herausbekommt, aber nicht als Mittel der Erkenntnisgewinnung in der empirischen Welt taugt, interessiert ihn nicht.

            „Die andere Möglichkeit ist, dass wir nicht die Normativität der Metalogik voraussetzen, sondern die nicht-Normativität der Logik des Gegenstandsbereichs. Dann ‘folgt’ aus dem “Zusammenfallen”, dass auch die äußere Logik nicht normativ ist.“

            Die Argumentation ist aber ganz anders: Weil die Logik etwas über einen bestimmten Gegenstand wissen will, nämlich „die Logik“, muß sie formal richtig vorgehen, d. h. logisch, d. h. sie muß „die Logik“ auf sich anwenden. Hier, in diesem methodischen Aspekt, ist die Logik normativ: Sie sagt, „wie gedacht werden soll“, nicht, wie faktisch gedacht wird.

            „Man kann sich damit trösten, dass die meisten Sollenssätze auch unter dem aciént regime schon Konventionen waren.“

            Warum erst unter dem aciént regime? Das war schon unter Vercingetorix so. Es dürfte nur wenige Sollensätze geben, die nicht auch Konventionen und sei es nur einer kleinen Gruppe sind. – Sie sind so was von begriffsstutzig, das erlebt man selten. Aus einem Sein (z. B. dem Beschluß eines Parlaments, dem informellen Bilden von Konventionen im Geschwätz der Nachbarn, oder „es steht geschrieben“) folgt kein Sollen. Man nennt die gegenteilige Behauptung Sein-Sollens-Fehlschluß. Es muß noch etwas hinzukommen, damit aus der Konvention oder dem Parlamentsbeschluß oder dem Bibelwort ein Sollen wird. Natürlich geht es hier nur um das unbedingte Sollen. Für das durch irgendeinen Zweck (z. B. Gerede zu vermeiden oder nicht ins Gefängnis zu kommen) auferlegte Sollen genügt das „Sein“.

          • @Ludwig Trepl:

            Aus einem Sein (z. B. dem Beschluß eines Parlaments, dem informellen Bilden von Konventionen im Geschwätz der Nachbarn, oder „es steht geschrieben“) folgt kein Sollen. Man nennt die gegenteilige Behauptung Sein-Sollens-Fehlschluß. Es muß noch etwas hinzukommen, damit aus der Konvention oder dem Parlamentsbeschluß oder dem Bibelwort ein Sollen wird.

            Sie machen hier aus einem Parlamentsbeschluss dasselbe, wie derjenige, der meint, ein Buch bestünde nur aus Tintenmolekülen an Zellulose: Sie leugnen den Inhalt. Weil ich das auch schon mehrfach formuliert zu haben glaube, fasse ich mich kurz: Der Inhalt ist der Unterordnungsanspruch des Wollenden (Parlament, Nachbarb, der aufs Schrifttum verweisende) gegen den Adressaten und dieser wird in Form von Sollenssätzen geäußert. Den Willen bilden sich die Wollenden anhang ihrer jeweiligen Zwecke.

          • @ Ano Nym.

            “Sie machen hier aus einem Parlamentsbeschluss dasselbe, wie derjenige, der meint, ein Buch bestünde nur aus Tintenmolekülen an Zellulose: Sie leugnen den Inhalt.“

            Das eben meinte ich mit „Es muß noch etwas hinzukommen, damit aus der Konvention oder dem Parlamentsbeschluß oder dem Bibelwort ein Sollen wird“. Aber ich leugne nicht den Inhalt, sondern ich sage nur, daß man aus etwas Faktischem (und das Parlament ist ebenso wie eine heilige Schrift etwas Faktisches) keinen Sollens-Schluß ziehen kann, auch nicht aus dem Inhalt als Faktum. Darum treffen Sie es mit „Inhalt“ nicht richtig. Zum Inhalt des Parlamentsbeschlusses usw. gehört durchaus der Sinn der beschlossenen Sätze. Doch selbst wenn diese Sätze ein Sollen enthalten – warum soll man sich darum scheren?

            Es reicht nicht, daß der Inhalt ein Sollens-Satz ist. Ich als Einzelner kann auch einen Sollens-Satz mit dem Anspruch („Unterordnungsanspruch des Wollenden“) formulieren, daß ihm alle folgen sollen. Aber es werden ihm nicht nur faktisch nicht alle folgen, es gibt auch keinen Grund, daß sie ihm folgen sollen. Es muß ein berechtigter Anspruch sein. Faktisch werden ihn die Adressaten für berechtigt halten, wenn der in ihm geäußerte Wille zugleich ihr eigener Wille ist. Aber das reicht nur bis zum „für berechtigt halten“, er kann dennoch unberechtigt sein. Man muß eine „kontrafaktische“ Bedingung einführen: eben daß der eigene und der im Anspruch enthaltene Wille berechtigt sind. Das ist nur als Idee möglich, in der faktischen Welt ist die Berechtigung nicht zu finden.

            „Den Willen bilden sich die Wollenden anhand ihrer jeweiligen Zwecke.“

            So richtig das ist, wenn man nur die Faktizität sieht: Darum geht es hier nicht. Es geht ja nicht um das Sollen in Zweck-Mittel-Relationen, sondern um das moralische, d. h. das unbedingte Sollen. Anders gesagt: Die Zwecke der Wollenden (sowohl derjenigen, die den Gesetzesanspruch formulieren, als auch derjenigen, die sich ihm unterwerfen oder unterwerfen sollen) sind selbst auf ihre Berechtigung zu befragen. Im Bereich des Moralischen geht es nicht wie beim „technisch-praktischen“ und „pragmatischen“ Sollen (so nannte das Kant) um Mittel zu (beliebigen) Zwecken, sondern um das Sollen ganz unabhängig von welchen Zwecken auch immer und das heißt – meine ich –, daß das richtige, gültige Sollen auf gültige, d. h. gerechtfertigte Zwecken gerichtet ist.

            Beispiel: Die Nachbarschaft, das Milieu erhebt eine moralische Forderung: Der Jüngere grüßt den Älteren zuerst. Wenn das eine moralische Forderung sein soll, impliziert das zweierlei: (1) Die Nachbarschaft ist höchste Instanz oder spricht doch im Namen der höchsten Instanz, sie verfolgt nicht irgendwelche Zwecke, sondern letztgültig gerechtfertigte, bzw. sie setzt die gültigen Zwecke. (2) Man unterwirft sich dem Anspruch der Nachbarschaft nicht wegen irgendwelcher Nachteile (Gerede usw.), sondern weil sie eben die Nachbarschaft ist und diese die höchste Instanz ist oder für sie spricht, d. h. man unterwirft sich ihr aus „Achtung vor dem Gesetz“, „um des Gesetzes selbst willen“. Andernfalls ist das Grüßen der Älteren zwar moralgemäß, aber nicht moralisch (sondern z. B. heuchlerisch). Sowie man der Nachbarschaft diesen Heiligenschein nimmt, sie als beliebige Zwecke verfolgend denkt, ohne dazu zu denken, daß ihre Zwecke per se, weil sie höchste Instanz ist, gültige, gerechtfertige Zwecke sind, bricht die ganze Konstruktion zusammen: Es gibt keine moralischen Handlungen mehr, nur noch sich letztlich beliebigen, gleichermaßen nicht zu rechtfertigenden Ansprüchen unterwerfende.

    • @Ludwig Trepl

      »Das „wurde“ ist falsch.«

      Auf dem “wurde” bestehe ich, denn es wäre falsch, den Eindruck zu vermitteln, in den als “philosophische Logik” bezeichneten Disziplinen würde noch heute im Stil von Friedrich Überweg philosophiert (“Nach ÜBERWEG ist die Logik »die Wissenschaft von den normativen Gesetzen der menschlichen Erkenntnis« (Log. § 1).”)

      Bereits der Charakterisierung von Logik als “Lehre vom Denken” wäre zu widersprechen. Logik ist mit strukturellen Aspekten von Sprache befasst, und man könnte vielleicht sagen, sie untersucht u.a. die formalen Bedingungen der kommunizierbaren Darstellung von Gedachtem. Die formale Regeln einer Sprche sind dabei nicht in einem normativen, sondern einem operativen Sinne zu verstehen, sie determinieren die Syntax einer Sprache. Mit anderen Worten, die Regeln legen fest, was die grammatikalisch korrekten Sätze einer Sprache sind, aber sie machen einem Sprecher dieser Sprache keinerlei Vorschriften, wie er denken soll.

      Auch die deontische Logik ist keine “Normenlogik”, d.h., es geht dabei nicht um allfällige logische Relationen zwischen Normen. Betrachtet werden dort indes Sprachen zur Beschreibung der Zustände einer deontisch perfekten Welt, die in einem System vorgegebener Normen implizit enthalten ist (vgl. von Wright, Is and ought).

      »Der Streit fängt erst da an, wo man – für den Bereich des Normativen – meint, „Richtigkeit“ könne immer nur relativ zu dem jeweiligen Regelwerk sein, wodurch Ethik als normative Disziplin unmöglich wird, alles, was mit ethischem Anspruch geäußert wird, nur noch Konvention sein kann.«

      Kant gibt uns überhaupt keine normative Ethik vor. Er gibt uns stattdessen mit dem Kategorischen Imperativ eine Anleitung zur vernunftgemässen Wahl und Befolgung unserer Handlungsmaximen an die Hand. Er sagt uns nicht, da sei irgendwo ein universelles ethisches Regelwerk, das zu befolgen wir verpflichtet wären, wie beispielsweise MacIntyre das deutet. Wenn man es recht bedenkt, dann würde dies doch auch allen Idealen der Aufklärung platt widersprechen. Kants ethischer Rationalismus liefert so wenig eine konkrete Ethik wie Poppers kritischer Rationalismus eine konkrete Wissenschaft, beides sind Metakonzepte. Und Kant sagt uns auch nicht, dass wir an seinen Maximen zu kleben hätten wie der Ratzinger am Evangelium, sondern wir sollen unsere Maximen selbstverantwortlich wählen. Das gilt dann auch und insbesondere für unsere ethische Haltung gegenüber Tieren oder, allgemeiner, den Konditionen für jegliches Leben auf diesem Planeten.

      • Ludwig Trepl. @ Chrys.

        „Auf dem “wurde” bestehe ich, denn es wäre falsch, den Eindruck zu vermitteln, in den als “philosophische Logik” bezeichneten Disziplinen würde noch heute …“

        Dieser Eindruck wäre in der Tat falsch. Aber ich habe aber gar nicht behauptet, „die als ‚philosophische Logik’ bezeichneten Disziplinen“ würden sich als normativ verstehen, sondern daß die Philosophie – und insbesondere die Erkenntnistheorie – die Logik notwendigerweise (auch) als normative Disziplin verstehen muß, und die anderen, etwa die empirischen Wissenschaften auch, was immer die Logik sonst noch sein mag. Warum, habe ich begründet.

        „Bereits der Charakterisierung von Logik als “Lehre vom Denken” wäre zu widersprechen. Logik ist mit strukturellen Aspekten von Sprache befaßt …

        Dieses Thema – die Auffassung, daß man mit der „sprachphilosophischen Revolution“ die als „Bewußseinsphilosophie“ bezeichnete vorherige und die heutige nicht-sprachphilosophische Philosophie zu den Akten legen könne – wollte ich hier eigentlich nicht vertiefen, es führt zu weit ab. Nur so viel: Es gibt zwar kein „einsames Denken“, aber das haben die vor-sprachphilosophischen Philosophen auch nicht behauptet, auch wenn sie die sprachliche Strukturierung des Denkens nicht eigens thematisiert haben. Doch es gibt auch keine Kommunikation ohne Denken. Die Sprachphilosophie ruht auf etwas, was tiefer liegt als sie, und wenn sie das nicht bedenkt, bleibt sie oberflächlich. Hier ein Text zu einem Aspekt dieser Frage.: http://uk-online.uni-koeln.de/remarks/d3626/rm11490.pdf
        „Die formalen Regeln einer Sprache sind dabei nicht in einem normativen, sondern einem operativen Sinne zu verstehen, sie determinieren die Syntax einer Sprache. Mit anderen Worten, die Regeln legen fest, was die grammatikalisch korrekten Sätze einer Sprache sind, aber sie machen einem Sprecher dieser Sprache keinerlei Vorschriften, wie er denken soll.“

        Vorschriften, wie er denken soll, machen sie nicht, aber Vorschriften, wie er gültig denken soll. Man kann sinnlose Sätze denken, aber die sind halt nicht „gültig“. – Das Hauptproblem der neueren angloamerikanischen (und Wiener) Philosophie ist, daß ihr die Dimension der Geltung abhandengekommen ist. Das zeigt sich auch in der Ethik: Dem Konventionalismus (und bei dem landet man da am Schluß immer) sind alle faktischen ethischen Auffassungen letztlich gleich-gültig).

        „Kant gibt uns überhaupt keine normative Ethik vor. Er gibt uns stattdessen mit dem Kategorischen Imperativ eine Anleitung zur vernunftgemässen Wahl und Befolgung unserer Handlungsmaximen an die Hand usw. …“
        Das und das folgende ist zweifellos richtig, und ich betone es auch hier wieder und wieder. Aber kaum einer der hiesigen Kommetatoren begreift es, da sind Sie eine große Ausnahme. Man kann sich nicht vorstellen, daß universelle Ethik etwas anderes sein könnte als ein Katalog von Gesetzen, die Gott uns offenbart hat oder die ein Gremium von der Art eines Parlaments, da wünschenwert, als gültig für alle beschließt, und Ethiker sind dann halt die, die diesem Parlament Vorschläge unterbreiten oder die göttliche Offenbarung interpretieren. – Man sollte Ihrem letzten Absatz vielleicht noch hinzufügen, daß Kant auch keine neue Ethik vorlegen wollte, sondern nur explizieren, was beim moralischen Urteilen eines jeden immer schon geschieht, wobei man allerdings, weil einem nun halt vieles bewußt wird, hoffen kann, daß die philosophische Ethik eine gewisse kritische und reinigende Wirkung auf das nicht-philosophsiche Urteilen hat.

      • @ Chrys

        “Und Kant sagt uns auch nicht, dass wir an seinen Maximen zu kleben hätten wie der Ratzinger am Evangelium, sondern wir sollen unsere Maximen selbstverantwortlich wählen”

        “Ratzinger” klebt nicht am Evangelium!

        Er wählt die Botschaft Jesu selbstverantwortlich als seine Maxime.

  16. “Gibt es (in der Sprachphilosophie?) unterschiedliche Vorstellungen davon, was Begriffe sind?”

    Scherzkeks. Diese Art von Humor mag ich. Hast Du schon einmal in der Philosophie einheitliche Vorstellungen von irgendwas entdeckt?

    In der Wikipedia findet man im Eintrag über Markus Wild z.B.: “Seine aktuellen Arbeiten betreffen die Biosemantik von Ruth Millikan, pragmatistische Begriffstheorien (Sellars, Brandom) und […]”

    Wenn es pragmatistische gibt, wird es wohl auch andere Begriffstheorien geben.

    Millikan solltest Du übrigens kennen. “Biosemantik” scheint mir Pflichtlektüre zu sein. Die meisten Schriften von ihr, wenn nicht sogar alle, findet man auf ihrer Homepage in englischer Sprache. Sie leistet in ihren Texten einiges an Vorarbeit, womit mir eine Naturalisierung der Sprache und der dort vorkommenden Begriffe möglich erscheint.

    Unterschiede zwischen Mensch und Tier vermutet sie bei der Benutzung von Zeichen:
    “Soweit ich weiß, sind alle von nichtmenschlichen Tieren untereinander verwendeten Zeichen P-P´s [Pushmi-Pullyus].”
    (R.G. Millikan, Die Vielfalt der Bedeutung, S. 219)

    Ob sich daraus Implikationen für die Ethik ergeben, kann ich nicht sagen.

    • Ludwig Trepl, @Joker.

      „‚Gibt es (in der Sprachphilosophie?) unterschiedliche Vorstellungen davon, was Begriffe sind?’ [Zitat Balanus] Scherzkeks. Diese Art von Humor mag ich. Hast Du schon einmal in der Philosophie einheitliche Vorstellungen von irgendwas entdeckt“ [Joker]

      Dieses Problem würde ich gerne etwas besser verstehen. Man hat in der Tat den Eindruck, daß es „in der Philosophie einheitliche Vorstellungen von irgendwas“ nicht gibt. (In den Naturwissenschaften ist es nur scheinbar anders, wenn Kuhn auch nur einigermaßen recht hat: Die Vertreter des alten Paradigmas können nie überzeugt werden, sondern nur überredet, d. h. ihre anderen Vorstellungen sind nur vergessen oder verdrängt; oder diese Vertreter sterben, nach Max Planck, einfach aus; auf der Ebene der Geltung, so könnte man sagen, sind also immer viele verschiedene Auffassungen da (nämlich nicht widerlegte), nur auf der Ebene der Meinung nicht.)

      Aber es gibt ein Phänomen, das dazu nicht passen will: Man kann oft seitenweise Texte einer philosophischen Richtung, die einem ganz und gar nicht paßt, lesen, ohne daß einem der geringste Einwand einfällt. Man ist mit allem einverstanden. Erst nach langen Phasen der Übereinstimmung taucht dann etwas auf, das einem grundfalsch erscheint. Könnte es, so ließe sich das vielleicht erklären, nicht sein, daß die „einheitlichen Vorstellungen“ bloß nicht auffallen. Und sie fallen nicht auf, weil sie nicht thematisiert werden, und das werden sie nicht, weil über sie nicht gestritten wird? Daß sie aber doch der Normalfall sind?

      • Ludwig Trepl schrieb (7. März 2014 15:18):
        > Man kann oft seitenweise Texte einer philosophischen Richtung, die einem ganz und gar nicht paßt, lesen, ohne daß einem der geringste Einwand einfällt. Man ist mit allem einverstanden. Oder man weist den Text als “nicht richtig; sogar noch nicht mal falsch” zurück.

        > Könnte es, so ließe sich das vielleicht erklären, nicht sein, daß die „einheitlichen Vorstellungen“ bloß nicht auffallen. Und sie fallen nicht auf, weil sie nicht thematisiert werden, und das werden sie nicht, weil über sie nicht gestritten wird?

        Aber immerhin müssten solche „einheitlichen Vorstellungen“ doch begriffen und benutzt werden,
        um überhaupt (über anderes, Weitergehendes) zu streiten.

  17. Balanus @Ludwig Trepl [1. März 2014 8:24]

    Einige Anmerkungen und Fragen zu diversen Punkten:

    »Das [Prüfen einer philosophischen Theorie auf Konsistenz mit naturwissenschaftlichen Befunden] ist seit ca. 200 Jahren überflüssig. Es kommt in der ernstzunehmenden Diskussion nicht mehr vor, daß da etwas nicht im Einklang steht.«

    Ob eine Diskussion ernst zu nehmen ist, weiß man ja erst, wenn man sie lange genug verfolgt und geprüft hat. In der Willensfreiheitsdebatte z. B. scheinen mir schon noch einige grenzwertige Vorstellungen vorzukommen.

    »Andersrum wird ein Schuh daraus. Naturwissenschafter meinen, als Naturwissenschaftler zu Dingen etwas sagen zu können, die definitionsgemäß außerhalb ihres Gegenstandsbereichs liegen (zu Fragen, die sich empirisch nicht prüfen lassen), d. h. sie betreiben Metaphysik in einem Sinn, wie man es lieber nicht tun sollte.«

    Mit Blick auf die Philosophie ist das wohl—in der Regel—zustimmungsfähig. Aber dieses Argument von der Nichtzuständigkeit der Naturwissenschaften ist ja auch in esoterisch angehauchten Kreisen sehr beliebt. Deshalb gilt es, genau hinzuschauen, wenn behauptet wird, etwas läge außerhalb des Gegenstandsbereichs der Naturwissenschaften (oft kommt diese Behauptung gerade dann, wenn eine Sache zumindest strittig ist).

    »Das Keil-Zitat: Da geht es um etwas anderes als hier. Ich hab ja diese Worte („entscheidend“, „prinzipiell“) benutzt, weil Iris Radisch sie benutzt hat. «

    Einverstanden, der Radisch-Text diente hier nur als Aufhänger. Aber das, was Keil in seiner Kritik auf Markus Wilds „Tierphilosophie“ anspricht, trifft m. E. ziemlich genau die von Iris Radisch aufgeworfene Frage des Unterschieds zwischen Menschen und anderen Tieren.

    »…Vernunft setzt auch voraus, daß komplizierteres logisches Denken möglich ist. Aber das ist Bedingung für Vernunft, es ist noch nicht Vernunft, nie hat man diesen Begriff so verstanden. […] Vernunft ist, spätestens seit den alten Römern, das Vermögen zu schließen,…«

    Apropos „Vernunft“: Markus Wild schreibt in seiner Replik auf Keils Kritik:

    »Keil (7) geht offenbar davon aus, das Geschäft der Philosophie bestehe darin, „notwendige und hinreichende Bedingungen für das Vorliegen“ von Phänomenen wie „Denken, Geist, Vernunft oder mentale Zustände“ anzugeben. Ich halte das für ein fruchtloses Unterfangen, weil es auf einer verkehrten Vorstellung davon wächst, was Begriffe sind.«

    Nun habe ich nicht die leiseste Idee, auf was Wild hier anspielt, aber allem Anschein nach haben wir es hier mit schwierigen Begriffen zu tun. Gibt es (in der Sprachphilosophie?) unterschiedliche Vorstellungen davon, was Begriffe sind?

    »Sie haben offenbar die Vorstellung, daß es auf biologischem Wege zu einer Höherentwicklung der Vernunft, d. h. einer Annäherung an die Idee der Vernunft kommen kann, also daß biologisch (und nicht durch Entfaltung der Fähigkeit der Vernunft, die die Vernunftwesen bereits haben) eine Vernunft entstehen könnte, die erkennen kann, was richtig und falsch ist (und dies nicht unter dem Vorbehalt, daß die Zukunft zeigen könnte, daß das doch nicht stimmt). Ich sehe dafür kein Argument, halte das für science fiction.«

    Ich habe die Vorstellung, dass Menschen (als Naturwesen) in unterschiedlichem Maße vernunftbegabt sind; dass Vernunft ein mentales Vermögen ist, und dass das Mentale als eine Systemeigenschaft des Gehirns aufzufassen ist, die im Laufe der Evolution entstanden sein muss. Und ich denke, dass es bislang keine Vernunft gegeben hat, die jede ethische Frage allgemeingültig (objektiv) beantworten konnte. Wie und ob sich das Vernunftvermögen in Zukunft weiter entwickeln wird, ist und bleibt pure Spekulation.

    Was die »Entfaltung der Fähigkeit der Vernunft, die die Vernunftwesen bereits haben«, angeht, so sehe ich hier ein Problem, nämlich das der begrenzten Lebensspanne (ich erwähnte das bereits an anderer Stelle). Künftige „Vernunftwesen“ müssen zwar nicht ganz bei Null anfangen, aber das, was die Vordenker geleistet haben, muss ja erst mal gesichtet und geprüft und nachvollzogen werden. Und das kostet Zeit, viel Zeit.

    »Die „Menschheit“ (so nennt es Kant immer) ist eine notwendige Idee. Es ist objektiv (moralisch) notwendig, ihr nachzustreben. Sie können suchen und suchen, Sie werden kein Argument dagegen finden.«

    Das wäre gar nicht mein Bestreben, ein Gegenargument zu finden. Ich sehe ja auch die „Menschheit“ als notwendige Idee, wenn auch vielleicht aus anderen (natürlichen) Gründen. Das heißt, suchen würde ich vielleicht eine natürliche Erklärung für diese Notwendigkeit.

    »Das stimmt, ein 15-jähriger hat mehr [Verantwortlichkeit] als ein 10-jähriger. Aus diesem Grund wird ersterer auch als strafmündig betrachtet, letzterer nicht. Das ändert aber nichts daran, daß zwischen überhaupt verantwortlich sein zu können und das nicht sein zu können ein prinzipieller, kategorialer Unterschied besteht. «

    So betrachtet ist dieser prinzipielle, kategoriale Unterschied vergleichbar mit dem zwischen wenigen Sandkörnern und einem Sandhaufen, also im Grunde nichts, worüber es sich zu streiten lohnte. Es gibt Menschen, die für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden können, und solche, bei denen man das nicht, ja niemals kann, bei denen es also diesbezüglich keinen Unterschied zum Tier gibt. Und zwischen diesen beiden Polen gibt es halt einen kontinuierlichen Übergang.

    »Es ist der, den wir machen, wenn wir etwas als „Natur“ oder als „mehr als nur Natur“ bezeichnen.«

    Auch wenn Lebewesen und Menschen (aus biologischen/gesundheitlichen Gründen) nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, sind sie dennoch „mehr als nur Natur“. Auch mein Hund ist (für mich) mehr als nur Natur. Das ist eben unsere Art, die Dinge zu sehen und zu bewerten. Wir sind halt unverbesserliche Sein-Sollens-Fehlschließende.

    »Sie verwechseln den prinzipientheoretischen Gebrauch des Begriffs Vernunft mit dem psychologischen, soziologischen, anthropologischen usw. …«

    Das glaube ich nicht. Ich verwende den Begriff Vernunft einfach nicht prinzipientheoretisch. Das überlasse ich denen, die das gelernt haben. Mein Vernunft-Begriff ist alltagssprachlich, Vernunft hat für mich mit folgerichtigem Denken zu tun und steht im Gegensatz zum spontanen Bauchgefühl.

    Wenn einer wie Geert Keil schon meint, dass wir nicht genau sagen können, „was Denken, Geist, Vernunft oder mentale Zustände sind“, und dass es „notorisch schwierig [sei], notwendige und hinreichende Bedingungen für das Vorliegen eines dieser Phänomene anzugeben“ (gleiche Quelle wie oben), dann ist es wohl besser, ich bleibe bei meinem alltagssprachlichen Begriffsverständnis.

    »Sie haben die Sache einfach nicht verstanden. Als ob das [dass bei einer ‚Vernunftprüfung’ auch Unsinn herauskommen kann] ein Argument sein könnte! «

    Es war nicht als Argument gedacht, sondern sollte bloß illustrieren, dass auch Vernunftprüfungen fallibel sind. Das ist zwar nichts Neues, aber manchmal liest es sich (nach meinem Eindruck) hier so, als erbrächten korrekte Vernunftprüfungen zu moralischen Zweifelsfragen am Ende, wenn nur lange genug nachgedacht würde, ein endgültiges, unumstößliches, gar objektives Ergebnis.

    »Bei einer Vernunftprüfung kam einst auch heraus, daß die Erde eine Scheibe ist und die Sonne um die Erde kreist und daß es Hexerei gibt. «

    Hier hätten Sie eigentlich Beispiele von Phänomenen bringen müssen, zu denen es keine empirisch überprüfbaren Untersuchungen geben kann.

    »Ein „Zusammenleben in großen Verbänden“ wäre sehr wohl ohne das Sittengesetz möglich. Das hat Hobbes gezeigt. Sie können nicht einfach blauäugig das Gegenteil behaupten, da müssen Sie ihn schon widerlegen, die Beweislast liegt bei Ihnen.«

    Ich kenne keine menschliche Gesellschaft, die ohne das oder ein „Sittengesetz“ (oder etwas Entsprechendem) auskommt („Sittengesetz“ verstanden als vernünftige Regeln für das gute Zusammenleben). Ich denke, die Fakten sprechen für sich. Das schließt keineswegs aus, dass es innerhalb einer Gesellschaft Gruppen geben kann, die unterschiedliche Auffassungen vom allein richtigen Sittengesetz vertreten.

    »Das Sittengesetz ergibt sich nicht funktional aus den Erfordernissen des Zusammenlebens, sondern logisch aus den Bedingungen, denen ein in Wechselwirkung mit anderen Wollenden lebender Wollender unterliegt, damit er überhaupt etwas wollen (und nicht nur wünschen) kann.«

    Kann man das Funktionale und Logische wirklich so trennen? Wenn etwas „funktional“ ist, dann steckt darin doch auch eine innere, man könnte vielleicht auch sagen, genuine Logik. Ich frage mich, ob Regeln für das gute Zusammenleben funktionieren können, wenn sie einer inneren Logik entbehren.

    Ich vermute mal, also ohne dass ich das jetzt eingehend überprüft hätte, man könnte das, was Sie im Beitrag „Zum Ursprung von Naturethik – Teil 1“ ausgeführt haben, als logische Begründung für die Funktionalität des Sittengesetzes lesen.

    • Von Ludwig Trepl, @ Balanus

      „Ob eine Diskussion ernst zu nehmen ist …“.

      Natürlich ist das ein Problem. Immer wieder mal stellt sich heraus, daß man einem Gedanken, den man als nicht ernst zu nehmen aus der Diskussion ausgeschlossen hat, Unrecht getan hat. Aber dennoch ist die „ernstzunehmende Diskussion“ ein Begriff, der sinnvoll ist und an dem man festhalten sollte. Ich muß mich um die intelligent-design-Lehren, um die Hohlerdetheorie und um allerlei esoterisches Zeug einfach nicht kümmern. Ich lese einen einzigen Satz und weiß: Das kann ich ignorieren. Dennoch stecken in dergleichen sehr oft Einsichten, die zumindest einem Großteil der ernstzunehmenden Diskussion fremd sind. Ich meine z. B.: Jeder Religiöse, auch der Fundamentalist aus dem bible belt, denkt in macher Hinsicht weit tiefer als ein ausgefuchster Naturalist, er hat einen Begriff von relevanten Dimensionen, vor denen der letztere steht wie der Ochs vorm neuen Scheunentor.

      „Ich habe die Vorstellung, dass Menschen (als Naturwesen) in unterschiedlichem Maße vernunftbegabt sind“

      Wenn Sie damit meinen sollten, daß es – gemessen an der Vernunft – unterschiedlich vernunftbegabte gibt, die einen schnell, die anderen langsam, wieer andere vielleicht in ihrem ganzen Leben nicht zu bestimmten Schüssen kommen usw., so ist das trivial und hat mit den hier diskutierten Fragen nichts zu tun. Wenn Sie dagegen meinen, daß die Menschen als Naturwesen verschiedene Arten von Vernunft haben, so wäre das ist eine Vorstellung, die im Zuge der Gegenaufklärung entstanden ist und sich im 19. Jahrhundert im fortschrittskritischen Lager verbreitet hat: Es gibt die allgemeine Vernunft nicht, von der die Aufklärung ausging, sagte man, sondern je nach angeborenenen Anlagen und Umwelt (also je nach den natürlichen Bedingungen) entwickeln sich verschiedene Arten von Vernunft, insbesondere jede „Kultur“ hat ihre eigene.
      Man muß bedenken, daß hier in einem ganz anderen Sinne von Vernunft geredet wird als in der Aufklärung. Vernunft ist so etwas wie die Gesamtheit dessen, was im Denken vor sich geht, sofern es mit einer Überzeugung von Gültigem verbunden ist (eben als vernünftiges Denken und nicht irrationales, unvernünftiges betrachtet wird). Trivialerweise ist das von Kultur zu Kultur, ja von Mensch zu Mensch anders, und immer ist es Ergebnis von Anlagen und Umwelt. Die Aufklärung meinte aber die Vernunft im prinzipientheoretischen Sinne – nicht etwa die Vernunft der Spezies Mensch, sondern, und das ist etwas ganz anderes, die Vernunft, die unter den uns bekannten Wesen nur Menschen haben; was diese Vernunft ausmacht, muß unter Absehung von aller Anthropologie bestimmt werden, es muß auch Wesen zukommen können, die keine Menschen sind, und so hat man es auch gemacht.
      Wenn Sie nun sagen: „ich bleibe bei meinem alltagssprachlichen Begriffsverständnis“, dann muß man dagegenhalten, daß das prinzipientheoretische Begriffsverständnis kein bißchen weniger alltagssprachlich ist. Die Frage etwa, was die Bedingungen der Geltung von Sätzen sind (nicht nur, was man meint, daß sie seien), ist als beantwortet vorausgesetzt, wenn man alltagssprachlich von „vernünftig“ redet und auch wenn man meint, daß die Deutschen anlagen- und umweltbedingt eine andere Vernunft haben als die Vietnamesen. – Wesentlich für die allgemeine Vernunft ist, daß ein Wesen, das sie besitzt, erkenntnisfähig und zurechnungsfähig (und damit verantwortlich und schuldfähig) ist. (Sagen Sie jetzt nicht, daß Tiere auch erkenntnisfähig seien; Erkenntnis ist etwas ganz anderes, als es da unterstellt wäre).

      „Ich denke, dass es bislang keine Vernunft gegeben hat, die jede ethische Frage allgemeingültig (objektiv) beantworten konnte.“

      Natürlich nicht, wenn Sie (wie ich vermute) mit Vernunft einen Menschen meinen, der Vernunft hat. Es gab aber auch noch keinen, der jede naturwissenschaftliche Frage allgemeingültig (objektiv) beantworten konnte. Die Vernunft aber kann sie beantworten. Das ist nichts als ein analytischer (tautologischer) Satz, denn „eine ethische Frage allgemeingültig (objektiv) beantworten“ ist definiert als: durch die Vernunft beantworten.

      „’Entfaltung der Fähigkeit der Vernunft, die die Vernunftwesen bereits haben’, angeht, so sehe ich hier ein Problem, nämlich das der begrenzten Lebensspanne“

      Wo ist das Problem? Natürlich geht es dadurch langsamer. Auch durch die Individuierung geht es langsamer, als wenn alle Menschen in einem einzigen Über-Wesen vereint wären: Jeder muß seine neuen Erkenntnisse immer erst anderen mitteilen, der Verstehensprozeß ist oft mühsam usw.

      „Ich sehe ja auch die „Menschheit“ als notwendige Idee, wenn auch vielleicht aus anderen (natürlichen) Gründen. Das heißt, suchen würde ich vielleicht eine natürliche Erklärung für diese Notwendigkeit.“

      Unter diesen Voraussetzungen gibt es keine notwendigen Ideen. In allem, was wir natürlich nennen – damit in dem Bereich, in dem wir durch Empirie zu Erkenntnissen kommen –, gibt es keine Notwendigkeit. Empirie kann uns immer nur sg, daß etwas ist, nicht, daß es notwendigerweise ist. – Die „natürliche“ Idee der Menschheit verdankt sich den Zufälligkeiten der Evolution; wäre sie anderes verlaufen, gäbe es diese Idee nicht. Notwendigkeit aber bedeutet eben Notwendigkeit. Egal wie die Evolution verlaufen mag, auch wenn sie nie ein Vernunftwesen („Menschheit“ steht ja nur – irreführenderweise – für Vernunftwesen) hervorgebracht hätte, so wäre diese Idee doch notwendig. Notwendigkeit findet man ausschließlich im Bereich des Apriorischen, in dem, was sich nicht der Empirie verdankt, sondern aller Empirie zugrunde liegt.

      „Es gibt Menschen, die für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden können, und solche, bei denen man das nicht, ja niemals kann, bei denen es also diesbezüglich keinen Unterschied zum Tier gibt. Und zwischen diesen beiden Polen gibt es halt einen kontinuierlichen Übergang.“

      Das Bild mit den Polen führt auf eine falsche Spur. Pole sind Extrempunkte. Es ist aber nicht so, daß es zwischen dem allerunzurechnungsfähigsten Geisteskranken und dem Allerverantwortlichsten (sagen wir mal: einem Mandela) einen Gradienten gäbe. Sondern die Menschen gehören typischerweise – also nicht alle, aber eben doch typischerweise – zu den Wesen, die für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden können, der eine nicht weniger als der andere. Und es gibt einige Menschen, für die das nicht, und recht viele Menschen, für die das noch nicht möglich ist. Zwischen diesen beiden Blöcken (nicht Polen) gibt es eine Grauzone.

      „aber manchmal liest es sich (nach meinem Eindruck) hier so, als erbrächten korrekte Vernunftprüfungen zu moralischen Zweifelsfragen am Ende, wenn nur lange genug nachgedacht würde, ein endgültiges, unumstößliches, gar objektives Ergebnis.“

      So ist es auch, d. h. es ist so wie bei wissenschaftlichen Fragen (nach Ch. S. Peirce). Das ist auch nicht verwunderlich, denn das unumstößliche, gar objektive Ergebnis ist durch nichts anderes definiert als dadurch, daß es das Ergebnis einer (als an ihr Ende gekommen gedachten) Vernunftprüfung ist. Wenn Sie dem widersprechen wollen, dürften Sie keine andere Wahl haben, als religiös zu werden. Dann kann man unsere Vernunft als nur einen schwachen Abglanz der göttlichen Vernunft sehen, und die Menschheit könnte bis ans Ende aller Tage mit ihrer Vernunftprüfung fortfahren – sie würde an das unumstößliche, gar objektive Ergebnis, das Gott vorbehalten ist, nicht herankommen. Ich meine dagegen, daß die Idee der göttlichen Vernunft in Wahrheit gar nichts anderes ist als die Vernunft (so unentwickelt sie im Augenblick auch sein mag), die ihre Arbeit bis zum Ende getan hätte.

      „Kann man das Funktionale und Logische wirklich so trennen? Wenn etwas „funktional“ ist, dann steckt darin doch auch eine innere, man könnte vielleicht auch sagen, genuine Logik.“

      Die Logik, die bei Ihnen gemeint ist, bezieht sich auf die Funktionsnotwendigkeiten des Systems, in unserem Fall eines selbstreferentiellen Systems; sie bezieht sich auf dessen Selbstproduktion und Selbstreproduktion. Die Frage ist aber, ob es das bezogen auf die Gesellschaften der Menschen überhaupt geben kann. Man hat es aus im weiteren Sinn positivistischen Philosophierichtungen (z. B. Ernest Nagel), also seitens von Leuten, denen Sie nahestehen, entschieden bestritten, und ich meine, mit Argumenten, gegen die einem nichts mehr einfällt. Die „Funktionslogik“ ist ein sinnvoller Begriff für Organismen und für Artefakte, „Gesellschaften“ aber sind Entitäten von ganz anderem Typ.

      Was ich hier mit „logisch“ meinte, ist von ganz anderer Art: Das, was im Kategorischen Imperativ das Subjekt ist – der Wille, der sich in bestimmter Weise bestimmen soll – wäre gar nicht möglich, wenn er nicht eben (u.a.) das wollte, was im KI gefordert ist. Von der Gesellschaft als einer funktionalen Einheit ist da überhaupt nicht die Rede, sondern nur von den anderen einzelnen „Willensträgern“. Es muß diese funktionale Einheit gar nicht geben.

      Geht man von der Funktionslogik des Systems aus, dann kann dem, das dem KI zufolge als gut gelten muß, durchaus zuwidergehandelt werden. Man kann z. B. die Juden (oder die Kulaken) auszurotten für von der Funktionslogik des Systems gefordert sehen – und für das System, das man da im Sinn hatte, waren sie ja wirklich gefährlich. Da sieht man zugleich den Charakter eines Teils der o.g. Einwände gegen die Vorstellung, Gesellschaften seien Systeme mit einer Funktionslogik: Das sind sie immer nur für diejenigen, die diese Systeme definieren. Für die Nazis waren die Juden eine Gefahr für das, was für sie das gesellschaftliche System ist/sein soll, für andere, z. B. für Demokraten oder Kommunisten, die auch zu diesem System gehören, ist es aber anders, weil die das System (wie es ist und wie es sein sollte) anders verstehen. Also: es gibt diese gesellschaftlichen Systeme nicht in dem Sinne, wie es Organismen gibt, sondern man kann sich bei jeder realen Gesellschaft (prinzipiell beliebig viele verschiedene) Systeme denken, und das tut man denn auch, meist von der Interessenlage her bestimmt.

  18. Chrys schrieb (28. Februar 2014 12:16):
    > Wie könnte unter diesen Gegebenheiten überhaupt eine Gewissheit darüber bestehen, dass Vernunft, sofern sie einem in Betracht stehenden Wesen zugestanden wird, als eine genuine Eigenschaft dieses Wesens anzunehmen ist, und nicht lediglich im Auge des Betrachters liegt?

    Durch Feststellung der eventuellen Gegenseitigkeit des genannten Zugeständnisses;
    bzw. durch die Feststellung, dass (bzw. ob) ein in Betracht stehenden Wesen die selbe Frage (eventuell sogar zuerst) stellt.

    Hat Turing diese Idee unabhängig gehabt? Oder Kant? …

  19. @Ludwig Trepl, Balanus

    Zitat Ludwig Trepl (@ Balanus, 24. Februar 2014 16:20) »Zweitens, wenn man einem „Tier“ Vernunft zusprechen muß, dann ist es eben kein Tier. Vielleicht wimmelt es im Weltall von Wesen, die wie Tiere aussehen, aber keine Tiere sind. – Vernunft ist ja das Merkmal, das den Unterschied definiert.«

    Da scheint mir doch ein Kernproblem der ganzen Angelegenheit genannt zu sein. Balanus sieht hier kein Merkmal, weil keine prüfbaren Kriterien zu dessen konkreter Feststellung spezifiziert sind.

    Wie könnte unter diesen Gegebenheiten überhaupt eine Gewissheit darüber bestehen, dass Vernunft, sofern sie einem in Betracht stehenden Wesen zugestanden wird, als eine genuine Eigenschaft dieses Wesens anzunehmen ist, und nicht lediglich im Auge des Betrachters liegt?

  20. Balanus @Ludwig Trepl /24. Februar 2014 16:20

    »Sie sind halt Naturwissenschaftler…«

    Und als solcher schaue ich, soweit es mir eben möglich ist, ob eine philosophische Theorie mit naturwissenschaftlichen Befunden im Einklang steht.

    »So lange Sie nicht aus ihrem Paradigma herausfinden […], hat es gar keinen Sinn, zu verstehen zu versuchen, was ich hier meine oder was man meint, wenn man von „prinzipiellem Unterschied“ spricht.«

    Das gibt mir Gelegenheit, Geert Keil zu zitieren: (Was nur menschliche Tiere können: eklatante Unterschiede kleinreden. EWE 23(2012)1; 66-68)

    Abschließend möchte ich kurz darlegen, warum ich den großformatigen Streit zwischen Assimilationismus und Differentialismus für unfruchtbar und nahezu gehaltlos halte. Zwischen den kognitiven Vermögen von Menschen und nichtmenschlichen Tieren gibt es unleugbar frappante Gemeinsamkeiten und frappante Unterschiede. In dieser Situation darüber zu streiten, ob die Unterschiede „graduell“ oder „prinzipiell“ sind, setzt voraus, dass es zwischen graduellen und prinzipiellen Unterschieden einen prinzipiellen Unterschied gibt. Aber worin genau sollte er bestehen?
    […]
    Nochmals: Wann sind zwei Fähigkeiten einander ähnlich, wann verschieden? Wann schlägt Quantität in Qualität um? Worin besteht der Unterschied zwischen einem riesigen graduellen Unterschied und einem „prinzipiellen“ oder „kategorischen“? Sowohl erklärte Differentialisten als auch erklärte Assimilationisten müssen diesen Meta-Unterschied angeben können, um ihre Position zu formulieren.

    Das scheinen mir berechtigte Fragen zu sein, wobei mein Versuch einer Antwort von der Position eines Assimilationisten ausginge.

    Das vorausgeschickt, möchte ich zu einige Aussagen noch etwas anmerken:

    »Erstens, Probleme lösen zu können, bedeutet noch lange nicht, Vernunft zu haben.«

    Das kommt wohl darauf an, was man unter einem Begriff wie „Vernunft“ verstehen will. Wenn man Vernunft so definiert, dass einfachstes logisches „Denken“ (oder was auch immer im Tierhirn passiert) nicht mehr unter den Begriff „Vernunft“ fällt, dann haben Sie Recht.

    »Wir, als Menschen, haben Verantwortung für das, was wir tun, und wir müssen alle unsere Handlungen rechtfertigen. […] Wo ist da eine „Zuschreibung“, also (das meinen Sie ja) etwas Willkürliches, Unbegründetes? «

    Das wäre auch in meinen Augen keine Zuschreibung. Es wäre sinnlos, ein Tier zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Ein Tier, das einem Menschen Schaden zufügt, wird (ohne Verhandlung) eingesperrt oder getötet.

    »Moral (Ethik) ist eine Sache der Vernunft, des logischen Schließens, nicht des „Erlebens“ oder des „Fühlens“.«

    Ethik (als philosophische Disziplin zur Untersuchung der Moral, und die Moral als Gegenstand der Ethik) ist sicherlich eine Sache der Vernunft. Bei der gelebten Moral habe ich Zweifel, ob jedes moralische Verhalten auch vernünftig ist, oder ob aus reinen Vernunftgründen moralisch gehandelt wird. Man kann auch fragen, ob menschliche Vernunft hinreicht, um in allen oder den meisten Fällen zu erkennen, was moralisch richtig und falsch ist (und nicht nur so erscheint). Dass das jeweilige subjektive Moralempfinden nicht der Maßstab für die Moral an sich sein kann, ist aber klar.

    »Ja, das tun Sie: Sie leugnen, daß es Vernunft gibt (denn damit hätten Sie den prinzipiellen Unterschied zugegeben).«

    Ich gebrauche zwar den Begriff „Vernunft“ hin und wieder, kann aber nicht behaupten, dass ich wüsste, was genau er bezeichnet. Wenn ich „Vernunft“ als etwas definiere, das von bestimmten mentalen Fähigkeiten abhängt, dann würde daraus vermutlich kein „prinzipieller“ Unterschied folgen. Der individuelle Mensch hat wohl mehr oder weniger davon (von der Vernunft; abhängig z. B. von Reifegrad und Gesundheit), so wie manche Tiere auf einem viel niedrigeren Niveau (möglicherweise) auch.

    »Aber Sie sollten bedenken, daß es dann, wenn man von „Menschenwürde“ spricht, nie darum geht, was der Mensch ist, sondern immer nur darum, was er sein könnte.«

    Typischerweise geht es, wenn man von Menschenwürde spricht, um (geborene) Menschen, und nicht um menschliche Embryonen (dessen Status war hier die Ausgangsfrage). Bei Embryonen scheint mir die Rede von „Menschenwürde“ noch keinen Sinn zu machen, zumindest kann dieser Begriff bei Embryonen nicht die gleiche (praktische) Bedeutung haben wie bei Geborenen.

    Außerdem ist es genau dieser Umstand, dass es bei der „Menschenwürde“ nicht darum geht, was der Mensch ist, sondern darum, was er sein könnte, in meinen Augen ein starkes Indiz dafür, dass es sich bei der Menschenwürde um eine Zuschreibung handelt. Es kommt überhaupt nicht darauf an, ob man einem Menschen Verantwortung zusprechen kann oder nicht, sondern allein darauf, dass man es könnte, wenn denn bestimmte Bedingungen vorlägen (Reife, Gesundheit, usw.). Es scheint, als ginge es wieder primär um den Menschen als Idee.

    »Nehmen wir den Begriff Verantwortung, denn da liegt der prinzipielle Unterschied (wenn man ihn auch anders benennen kann, z. B. mit „Menschenwürde“), um den es hier geht. Dem Neugeborenen kann man keine Verantwortung zusprechen, dem Volljährigen schon. Dazwischen liegt eine graduelle Entwicklung…«

    Das mit der graduellen Entwicklung sehe ich natürlich ganz genauso. Mein Eindruck war aber, dass Sie einen graduellen Übergang zwischen Wesen, denen man (noch) keine Verantwortung zusprechen kann, und solchen, bei denen man es kann, bestreiten würden.

    »Wenn einer argumentiert, der Volljährige könne nicht verantwortlich für seine Taten sein, weil er sich doch nur graduell von einem Säugling unterscheidet, dann tippt man sich an die Stirn; …«

    Das Argument ist aber ein anderes, nämlich dass es einen graduellen Zuwachs an Verantwortlichkeit geben kann. Und wenn es einen solchen graduellen Zuwachs gibt, kann man fragen, ob es wirklich einen „prinzipiellen“ Unterschied gibt zwischen dem Anfangs- und dem Endzustand. Gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen drei Sandkörnern und einem Sandhaufen? Das ist jetzt keine rhetorische Frage, ich halte es für denkmöglich, dass ein Haufen Sand etwas prinzipiell anderes ist als einige Sandkörner.

    »Die Verpflichtung durch das Sittengesetz ist also nicht etwas, was sich zufällig in der menschlichen Evolution ergeben hat.«

    Nein, ein Zufall war es sicher nicht. Ein Sittengesetz ist notwendig (musste notwendigerweise „entstehen“) in Populationen/Gesellschaften, in denen „Vernunft“ entstanden ist, wo also genetisch fixierte Verhaltens- und Reaktionsweisen ersetzt oder überlagert werden durch vernunftbasierte Handlungen. Unsere tierlichen Vorfahren kamen noch ohne ein logisch hergeleitetes Sittengesetz aus. Mit zunehmender Vernunft musste sich offenbar ein Sittengesetz auskristallisieren, ohne welches ein Zusammenleben in großen Verbänden wohl kaum möglich wäre (Sie haben es ja eindrücklich geschildert, wie unterschiedliches individuelles Wollen zu Konflikten führen kann). Begründet das nun einen prinzipiellen, oder doch nur entscheidenden Unterschied zu unseren tierlichen Vorfahren?

    Eben lese ich, dass Ano Nym (25. Februar 2014 15:55) die Sache mit der „Menschwerdung“ und die mutmaßliche Forderung, die Tötung von Kindern zu erlauben, angesprochen hat:

    »Das Interessante an dem als Argument (vom Typ “Dammbruch”) Vorgebrachten ist: Sie zeigen nicht, wo [wer auch immer] falsch liegt, sondern verlassen sich darauf, dass die durch es hervorgerufene Vorstellung eine hinreichend emotional wirkmächtige Abscheu beim Leser hervorruft.«

    Ich selbst hatte das Argument so verstanden, dass es keinen bestimmten Zeitpunkt geben kann, an dem aus einem Embryo bzw. Fetus eine schützenswerte Person wird. Aber damit lag ich offensichtlich auch falsch:

    »Sondern so: Wenn du A willst, mußt du auch B wollen. Das willst du aber nicht, also fang’ besser noch mal von vorn an, vielleicht willst du ja A gar nicht wirklich. Daß der Adressat B nicht will, muß nicht an einer emotional wirkmächtigen Abscheu liegen, und im Rahmen meiner Argumentation ist das ohnehin nicht so: Es ist ethisch zu begründen, daß man Kleinkinder nicht töten darf, und diese Möglichkeit der Begründung habe ich auch dem Adressaten unterstellt.« (L.T.)

    Das kann ich so nicht nachvollziehen. Wieso sollte ich, wenn ich A will („die Möglichkeit, ein Mensch zu werden“; B.), auch B wollen müssen („Tötung von Kleinkindern erlauben“; L.T.). Ich kann die Tötung geborener Kinder ablehnen, gleichzeitig aber die Tötung ungeborener Kinder (bis zum __ten Schwangerschaftsmonat) erlauben wollen. Ich sehe da keinen logischen Widerspruch.

    [Nebenbei: Hermann Ebbinghaus meint, in bestimmten Situationen (karge Natur, stärkere Feinde) kann es „für eine Gemeinschaft sittliche Pflicht werden, die schwächeren Kinder, namentlich die Mädchen, zu töten und die arbeitsunfähig gewordenen Alten aufzuessen, weil dem Stamm das Durchschleppen unnützer Esser unmöglich ist.“ (Abriss der Psychologie, S. 194). U. a. „namentlich die Mädchen“—da sieht man mal wieder, was bei einer „Vernunftprüfung“ so alles herauskommen kann]


    PS: Ich finde übrigens das, was der naturalistisch orientierte Philosoph Markus Wild in seinem Büchlein „Tierphilosophie“ (2008) schreibt, ziemlich stimmig, ich werde mir einige seiner Argumente und Vorstellungen wohl zu Eigen machen. Unter anderem geht es da auch um die hier behandelte „anthropologische Differenz“. Online lesbar ist das Büchlein unter: https://www.academia.edu/1543503/Tierphilosophie_2008

    Sehr interessant auch die Replik Wilds auf diverse Kritiken in EWE 23(2012)1:

    https://www.academia.edu/1789661/Replik_EWE_DRAFT_2012

    • Ludwig Trepl, @ Balanus

      „Und als solcher [als Naturwissenschaftler] schaue ich, soweit es mir eben möglich ist, ob eine philosophische Theorie mit naturwissenschaftlichen Befunden im Einklang steht.“

      Das ist seit ca. 200 Jahren überflüssig. Es kommt in der ernstzunehmenden Diskussion nicht mehr vor, daß da etwas nicht im Einklang steht. Mir ist jedenfalls kein Beispiel bekannt. Andersrum wird ein Schuh daraus. Naturwissenschafter meinen, als Naturwissenschaftler zu Dingen etwas sagen zu können, die definitionsgemäß außerhalb ihres Gegenstandsbereichs liegen (zu Fragen, die sich empirisch nicht prüfen lassen), d. h. sie betreiben Metaphysik in einem Sinn, wie man es lieber nicht tun sollte. Beispielsweise versuchen sie, über „prinzipielle“ Unterschiede zwischen Mensch und Tier etwas zu sagen (z. B., daß es solche nicht gibt), obwohl doch „Mensch“ in der Bedeutung, die der Begriff hier hat, keinesfalls ein naturwissenschaftlicher Gegenstand sein kann.

      Das Keil-Zitat: Da geht es um etwas anderes als hier. Ich hab ja diese Worte („entscheidend“, „prinzipiell“) benutzt, weil Iris Radisch sie benutzt hat. Der Sache nach geht es nicht um irgendwelche Unterschiede, so daß man dann fragen müßte, unter welchem Gesichtspunkt man die denn nun „prinzipiell“ nennen sollte, sondern darum, ob es Unterschiede zwischen Tier und Mensch gibt, die dem letzteren eine „Würde“ geben, etwas, das es verbietet, ihn bloß als Mittel zu behandeln. Damit ist der Gesichtspunkt genannt, unter dem man von „prinzipiell“ spricht. Wenn Keil fragt: „Aber worin genau sollte er [der prinzipielle Unterschied] bestehen?“ dann hat man hier die Antwort. Es geht ausdrücklich nicht darum, daß Menschen besser „denken“ können als Tiere, „intelligenter“ sind usw. Wenn es nur darum geht, dann hat Keil recht: Der riesige Unterschied, der da zwischen einem dummen Menschen und dem klügsten Tier besteht, ist nur ein Unterschied innerhalb von Gleichartigem.

      „’Erstens, Probleme lösen zu können, bedeutet noch lange nicht, Vernunft zu haben.’ [Zitat von mir] Das kommt wohl darauf an, was man unter einem Begriff wie „Vernunft“ verstehen will. Wenn man Vernunft so definiert, dass einfachstes logisches „Denken“ (oder was auch immer im Tierhirn passiert) nicht mehr unter den Begriff „Vernunft“ fällt, dann haben Sie Recht.“

      Vernunft setzt natürlich voraus, „dass einfachstes logisches ‚Denken’ (oder was auch immer im Tierhirn passiert)“ möglich ist, Vernunft setzt auch voraus, daß komplizierteres logisches Denken möglich ist. Aber das ist Bedingung für Vernunft, es ist noch nicht Vernunft, nie hat man diesen Begriff so verstanden. Wenn man immer von den „vernunftlosen Tieren“ gesprochen hat, dann war nie gemeint, daß Tiere nicht „Probleme lösen“ können, sondern eben daß Tiere nicht verantwortlich sein können. Wenn Mr. Starbuck darüber verzweifelt, daß Käpt’n Ahab ein „vernunftloses Tier“ haßt, dann nicht, weil er Moby Dick für dumm hält – der ist vielmehr ziemlich schlau –, sondern weil ein Wal nicht verantwortlich ist für das, was er anrichtet. – Vernunft ist, spätestens seit den alten Römern, das Vermögen zu schließen, und „schließen“ heißt auch: Über das, was empirisch prüfbar ist, hinaus zu schließen. Und das heißt nicht nur, Metaphysik der sinnlosen Art betreiben zu können (theoretisch nach einem Beweis für die Existenz einer unsterblichen Seele zu fragen usw.), sondern auch, eben durch Vernunftschlüsse auf die notwendigen Ideen (z. B. Freiheit, Menschenwürde, Verantwortung) im Bereich der praktischen Philosophie zu kommen.

      „Das wäre auch in meinen Augen keine Zuschreibung. Es wäre sinnlos, ein Tier zur Rechenschaft ziehen zu wollen.“

      Eben, Sie sagen hier ja selbst, daß es einen „prinzipiell“ Unterschied gibt, einen Unterschied, der den Menschen aus allem, was man Natur nennt, heraushebt. In keiner Naturwissenschaft werden Sie den Begriff „Rechenschaft“ finden – und auch keine Möglichkeit erkennen können, ihn einzuführen.

      „Bei der gelebten Moral habe ich Zweifel, ob jedes moralische Verhalten auch vernünftig ist, oder ob aus reinen Vernunftgründen moralisch gehandelt wird.“

      Da haben Sie recht, allerdings passen Ihre Begriffe nicht so ganz. Ein moralisches Verhalten ist vernünftig, d. h. es ist vernünftig motiviert, es geschieht wegen des Gesetzes, das sich die Vernunft selbst gegeben hat. So urteilen wir. Wenn jemand, nur weil er gewählt werden will, etwas Moralgemäßes tut, so würden wir doch nicht sagen, daß das moralisch ist. Der Mafiaboß, der Geschenke an die Armen in seinem Viertel verteilen läßt, weil das seine Position stärkt, handelt nicht moralisch, wohl aber moralgemäß, denn es ist ja moralisch gut, den Armen etwas zu geben. Dieser Unterschied, den wir bei der Beurteilung von Handlungen der Menschen machen, ist im Leben sehr wichtig, ohne ihn könnten wir gar nicht „als Menschen“ leben.

      Und „ob aus reinen Vernunftgründen moralisch gehandelt wird“, (d. h. ob moralisch gehandelt wird und nicht nur moralgemäß) können wir nie wissen, weder bei anderen noch bei uns selbst. Nicht einmal da können wir je sicher sein, daß bei einer moralgemäßen Handlung, die wir gern als moralisch (d. h. moralisch motiviert, vernünftig begründet und eben deshalb durchgeführt) ansehen würden, in Wirklichkeit nicht doch irgendein niederer Beweggrund im Hintergrund wirksam ist. Niemand kann sich selbst so gut kennen, andere schon gleich gar nicht.

      „Man kann auch fragen, ob menschliche Vernunft hinreicht, um in allen oder den meisten Fällen zu erkennen, was moralisch richtig und falsch ist (und nicht nur so erscheint)“.

      Schwierige Frage. Aktuell reicht sie sicher nicht immer, es gibt da ja so allerlei, was man später als falsch erkennt. Ob das die meisten Fälle sind oder nur ein kleiner Teil, ist eine müßige Frage. Die Vernunft (die ihrer eigenen Idee von sich selbst gemäße) reicht allerdings hin, denn „was moralisch richtig … ist“, heißt ja nichts anderes als „was so ist, wie es wäre, wenn allein die Vernunft unseren Willen bestimmte“, und Vernunft heißt hier nicht die aktuelle Vernunft, sondern entsprechend der Idealwissenschaft, die sich „in the long run“ nach Peirce ergeben würde, die Vernunft, die ihre ganze Entwicklung hinter sich hat. – Die Idee der Vernunft wurde im religiösen Denken reifiziert zu einer real existierenden zweiten, höheren, göttlichen Vernunft.

      Sie haben offenbar die Vorstellung, daß es auf biologischem Wege zu einer Höherentwicklung der Vernunft, d. h. einer Annäherung an die Idee der Vernunft kommen kann, also daß biologisch (und nicht durch Entfaltung der Fähigkeit der Vernunft, die die Vernunftwesen bereits haben) eine Vernunft entstehen könnte, die erkennen kann, was richtig und falsch ist (und dies nicht unter dem Vorbehalt, daß die Zukunft zeigen könnte, daß das doch nicht stimmt). Ich sehe dafür kein Argument, halte das für science fiction.

      „Bei Embryonen scheint mir die Rede von „Menschenwürde“ noch keinen Sinn zu machen, zumindest kann dieser Begriff bei Embryonen nicht die gleiche (praktische) Bedeutung haben wie bei Geborenen.“

      Schein mir auch so. Das liegt aber nicht daran, daß der Geborene mit einem Schlag das bereits hätte, weswegen wir von „Würde“ sprechen – das hat er im Alter von 50 Jahren auch nicht, es ist immer nur Möglichkeit und Bestimmung –, der Embryo aber nicht. In dieser Hinsicht ist zwischen Embryo und Geborenem kein Unterschied: Beide haben es nur der Möglichkeit nach. Wenn es hier einen prinzipiell Unterschied gibt, dann den, daß der Embryo kein selbstständiges Individuum ist, sondern eher Teil eines anderen. Die ethischen Konsequenzen dieses Sachverhalts sind mit allerdings nicht klar (siehe unten).

      „Außerdem ist es genau dieser Umstand, dass es bei der „Menschenwürde“ nicht darum geht, was der Mensch ist, sondern darum, was er sein könnte, in meinen Augen ein starkes Indiz dafür, dass es sich bei der Menschenwürde um eine Zuschreibung handelt. … Es scheint, als ginge es wieder primär um den Menschen als Idee.“

      In der Tat, es geht um den Menschen als Idee, nicht als Faktum. Aber das ist etwas anderes als das, was Sie immer mit „Zuschreibung“ meinen, dann damit meinen Sie, daß man es auch lassen könnte, diese Zuschreibung zu machen. Die „Menschheit“ (so nennt es Kant immer) ist eine notwendige Idee. Es ist objektiv (moralisch) notwendig, ihr nachzustreben. Sie können suchen und suchen, Sie werden kein Argument dagegen finden.

      „Das Argument ist aber ein anderes, nämlich dass es einen graduellen Zuwachs an Verantwortlichkeit geben kann.“

      Das stimmt, ein 15-jähriger hat mehr als ein 10-jähriger. Aus diesem Grund wird ersterer auch als strafmündig betrachtet, letzterer nicht. Das ändert aber nichts daran, daß zwischen überhaupt verantwortlich sein zu können und das nicht sein zu können ein prinzipieller, kategorialer Unterschied besteht. Es ist der, den wir machen, wenn wir etwas als „Natur“ oder als „mehr als nur Natur“ bezeichnen.

      „Mit zunehmender Vernunft musste sich offenbar ein Sittengesetz auskristallisieren, ohne welches ein Zusammenleben in großen Verbänden wohl kaum möglich wäre“

      Das ist zumindest schief. Nicht mit „zunehmender“ Vernunft – das ist die Ebene, auf der Sie eben die Individualentwicklung betrachtet haben: allmählich nimmt die Vernunft zu. Sondern wenn Vernunft da ist. – Sie verwechseln den prinzipientheoretischen Gebrauch des Begriffs Vernunft mit dem psychologischen, soziologischen, anthropologischen usw. Beim prinzipientheoretischen Gebrauch geht es um Prinzipien der Geltung von Sätzen, nicht beispielsweise darum, wie sich „Anlagen“ zu „fertigen Fähigkeiten“ entwickeln; sondern es geht darum, was (logisch) vorauszusetzen ist, damit man von diesen Fähigkeiten überhaupt berechtigterweise sprechen kann. Man muß die „Kontamination des Prinzipien- und Methodenbegriffs der Vernunft mit dem Begriff des konkreten Vernunftsubjekts“ vermeiden, es fehlt sonst „an der für jede Prinzipientheorie grundlegenden Scheidung der Korrelate Prinzip und Konkretum.“ (Grünewald).

      Ein „Zusammenleben in großen Verbänden“ wäre sehr wohl ohne das Sittengesetz möglich. Das hat Hobbes gezeigt. Sie können nicht einfach blauäugig das Gegenteil behaupten, da müssen Sie ihn schon widerlegen, die Beweislast liegt bei Ihnen. – Das Sittengesetz ergibt sich nicht funktional aus den Erfordernissen des Zusammenlebens, sondern logisch aus den Bedingungen, denen ein in Wechselwirkung mit anderen Wollenden lebender Wollender unterliegt, damit er überhaupt etwas wollen (und nicht nur wünschen) kann. Hier: https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/zum-ursprung-von-naturethik-teil-1/ habe ich das etwas ausgeführt.

      „Wieso sollte ich, wenn ich A will (‚die Möglichkeit, ein Mensch zu werden’; B.), auch B wollen müssen (‚Tötung von Kleinkindern erlauben’; L.T.).“

      Das habe ich nicht geschrieben, Sie haben sich verlesen. Schauen Sie noch mal nach.

      „Ich kann die Tötung geborener Kinder ablehnen, gleichzeitig aber die Tötung ungeborener Kinder (bis zum __ten Schwangerschaftsmonat) erlauben wollen.“

      Schon, das kann man meinen, ich meine das auch. Aber eine Meinung zählt soviel wie die andere, wenn sie nicht begründet ist, und die Begründung darf nicht einen Sein-Sollens-Fehlschluß enthalten. Die Argumentation allein mit der Möglichkeit, ein Mensch zu werden und die Bestimmung zu haben, die die „Menschheit“ ausmacht, führt letztlich in der Abtreibungsfrage auf die Position der katholischen Kirche. Wenn man das nicht will, fallen mir zwei vielleicht mögliche Begründungswege ein: (1) Der Grund liegt in der Entstehung eines selbständigen Individuums (s. o.: der Embryo ist noch Teil eines Menschen, kein Mensch), nicht im Erreichen eines Status während der Embryonalentwicklung, der es erlaubt zu sagen: Jetzt ist das ein Mensch, vorher war es keiner. – Das würde Abtreibung bis zur Geburt erlauben. (2) Faktisch reagieren wir wohl meist so: Wenn der Embryo menschenähnlich aussieht, haben wir Hemmungen, ihn zu töten. Aber wie kann man vom Aussehen zum Sollen kommen? Es ist nicht einfach, hier einen Sein-Sollens-Fehlschluß zu vermeiden. Vielleicht gibt es eine Begründungsmöglichkeit über die Pflichten, die man gegen sich selbst hat; etwa in dem Sinn, daß man seine eigene Würde verletzt, wenn man sich über dieses Gefühl, das einem durch das Aussehen kommt, einfach hinwegsetzt.

      „U. a. ‚namentlich die Mädchen’—da sieht man mal wieder, was bei einer ‚Vernunftprüfung’ so alles herauskommen kann.“

      Es kommt immer wieder durch: Sie haben die Sache einfach nicht verstanden. Als ob das ein Argument sein könnte! Bei einer Vernunftprüfung kam einst auch heraus, daß die Erde eine Scheibe ist und die Sonne um die Erde kreist und daß es Hexerei gibt. Die Vernunft ist aber halt auch das Vermögen (ein anderes haben wir nicht), diese Ergebnisse zu korrigieren.

      • Balanus @Ludwig Trepl

        Zum Vorwurf, nicht richtig gelesen zu haben:

        » „Wieso sollte ich, wenn ich A will (‚die Möglichkeit, ein Mensch zu werden’; B.), auch B wollen müssen (‚Tötung von Kleinkindern erlauben’; L.T.).“

        Das habe ich nicht geschrieben, Sie haben sich verlesen. Schauen Sie noch mal nach. «

        Ich habe nachgeschaut und folgendes gefunden:

        B.: »Nach meinem Verständnis ist die Möglichkeit, ein Mensch zu werden, etwas vollkommen anderes, als ein Mensch zu sein. «

        L.T.: »Mit dieser Begründung hat mal ein Philosoph des 20. Jahrhunderts (Ebbinghaus?) gefordert, die Tötung von Kindern zu erlauben, die noch keine Menschen im Vollsinn des Wortes sind (ich glaub’, er setzte etwa 2 Jahre als Grenze an; man könnte der Logik des Arguments nach ohne weiteres auch höher gehen, bis zu dem Alter, wo man von „Mündigkeit“ spricht). «

        A.N.: »…Argument (vom Typ ‘Dammbruch’)… «

        L.T.: »Als Dammbruch-Argument war es hier nicht eingesetzt. Sondern so: Wenn du A willst, mußt du auch B wollen. Das willst du aber nicht, also fang’ besser noch mal von vorn an, vielleicht willst du ja A gar nicht wirklich. Daß der Adressat B nicht will, muß nicht an einer emotional wirkmächtigen Abscheu liegen,… «

        Was könnte hier (A) sein? Doch nur das hier: Die Möglichkeit, ein Mensch zu werden, ist etwas vollkommen anderes, als ein Mensch zu sein.

        Und was (B), wenn nicht dieses hier?: Es wird gefordert, die Tötung von Kindern zu erlauben, weil diese noch keine Menschen im Vollsinn des Wortes sind.

        Wo genau soll ich mich verlesen haben?

        Oder geht es bloß um diese Formulierung: „…auch B wollen müssen (‚Tötung von Kleinkindern erlauben’; L.T.).“, weil man hier vielleicht denken könnte, Sie hätten diese Forderung (B) als eine mögliche Konsequenz von (A) gesehen ?

        • @ Balanus.

          „Was könnte hier (A) sein? Doch nur das hier: Die Möglichkeit, ein Mensch zu werden, ist etwas vollkommen anderes, als ein Mensch zu sein.“

          Nein, A ist: Um nicht als bloßes Mittel benutzt werden zu dürfen, muß man ein Mensch (im Sinne der Idee der Menschheit) sein. Dazu gehört vor allem: verantwortlich sein für seine Taten. Es genügt nicht die Möglichkeit, ein Mensch (im genannten Sinne) zu werden. Wenn man A zustimmt, muß man auch der Behauptung B zustimmen: Ein Wesen, das zwar die Möglichkeit hat, ein Mensch im genannten Sinne), aber noch kein Mensch (im genannten Sinne) ist (weil es z. B. noch nicht verantwortlich ist für seine Taten), darf als bloßes Mittel behandelt werden, also z. B. getötet werden, wenn durch dieses Mittel ein Zweck, den man sich gesetzt hat, erreicht werden kann.

        • @Ludwig Trepl

          Danke für die Erläuterung!

          Mir will aber dennoch nicht recht einleuchten, warum Sie dieses Argument gebracht haben. Ich verstehe nicht, warum ich (B) eigentlich (aus ethischen Gründen?) nicht wollen kann. Was spräche dagegen, etwas (von einem „Wesen“ kann wohl noch keine Rede sein), das erkennbar kein Mensch ist (im Sinne der Idee der Menschheit), nicht als bloßes Mittel zu behandeln?

          Das einzige Problem, das ich hier sehe, ist das der Grenzziehung: Ab welchem Entwicklungsstadium des Naturwesens Mensch sollten wir von einem menschlichen Subjekt, einem Menschen im Sinne der Idee der Menschheit sprechen?

          Ich würde (B) auch anders als Sie formulieren, nicht mit diesen präskriptiven Begriffen (»Ein Wesen, das […] noch kein Mensch (im genannten Sinne) ist (weil es z. B. noch nicht verantwortlich ist für seine Taten), darf als bloßes Mittel behandelt werden… «). Das klingt, als sei der Mensch in diesem Etwas, das kein Mensch (im genannten Sinne) ist, irgendwie verborgen, latent vorhanden.

          Wie der Zufall es will, habe ich zu diesem Doppelwesen Mensch/Mensch (Natur-/Vernunftwesen) und dem sogenannten Sein-Sollens-Fehlschluss eine Textstelle gefunden, die meine diesbezüglichen Überlegungen zu diesem Dilemma ganz gut zusammenfasst:

          Entweder wir nehmen den Begriff „Mensch“ als rein deskriptiven Begriff, dann können wir aus der Tatsache, dass etwas ein Mensch ist, keine normativen Schlussfolgerungen ziehen, also nichts über mögliche Handlungsverpflichtungen ihm gegenüber ableiten. Oder aber wir nehmen den Begriff „Mensch“ als normativen Begriff, dann gibt es wiederum nichts (das heißt keinen deskriptiven Sachverhalt), aus dem sich absehen ließe, ob es sich bei einer Sache (zum Beispiel einem Embryo) um einen Menschen handelt oder nicht. In beiden Fällen gibt es keine Möglichkeit, nach objektiven Kriterien, also durch eine bloße Sichtung der vorliegenden Fakten – und sei sie auch noch so gründlich —, irgendeine Entscheidung darüber zu treffen, was zu tun das Richtige ist.

          (Michael Hauskeller
          In: Bernhard Emunds et al. (eds.), Vom Sein und Sollen und zurück. Zum Verhältnis von Faktizität und Normativität, Frankfurt am Main: Haag u. Herchen Verlag 2004, 206-220.)

          Schon indem wir „Mensch“ sagen, nehmen wir eine Wertung vor, verbinden, ob wir wollen oder nicht, Sein und Sollen.

          • Erlaubte Tötung von „unfertigen“ Menschen?
            Ludwig Trepl, @ Balanus.

            Das sind schwierige Fragen, und erwarten Sie bitte nicht, daß ich darauf eine Antwort hätte. Alles, was ich mir dazu denke, gerät in eine Sackgasse oder verläuft sich im Nebel. In meinem vorigen oder vorvorigen Kommentar habe ich drei Wege angedeutet, die gangbar sein könnten, weil sie nicht unbedingt in einem Sein-Sollens-Fehlschluß münden: (1) den „katholischen“, (2) den, der die Entstehung eines selbständigen Individuums mit der Geburt betont und (3) den über die eigene Würde, die man verletzt, wenn man sich über bestimmte Gefühle („Embryo sieht aus wie ein Mensch“) hinwegsetzt. Ich gehe vielleicht irgendwann noch mal zusammenhängend darauf ein. Jetzt erst mal der Reihe nach:

            „Mir will aber dennoch nicht recht einleuchten, warum Sie dieses Argument gebracht haben. Ich verstehe nicht, warum ich (B) eigentlich (aus ethischen Gründen?) nicht wollen kann. Was spräche dagegen, etwas (von einem „Wesen“ kann wohl noch keine Rede sein), das erkennbar kein Mensch ist (im Sinne der Idee der Menschheit), nicht als bloßes Mittel zu behandeln?“

            B war nicht die Abtreibung eines Embryos „(von einem „Wesen“ kann wohl noch keine Rede sein)“, sondern die Tötung eines Kleinkindes (was man erweitern kann zur Tötung jedes Unmündigen). – Gefühle, so scheint die Mehrheitsmeinung der heutigen Ethiker zu sein, können zwar keine ethischen Forderungen begründen, aber sie sind doch als Warnsignale ernstzunehmen: Irgendwas stimmt da in den Begründungen vielleicht nicht. Nun ist das Gefühl, das zum Abscheu angesichts der Tötung von Kleinkindern führt, sehr stark. Schon in der Bibel kommt einem schlimmer als die Tötung von Jesus die Tötung der Neugeborenen durch Herodes vor; wer so etwas tut, hat einen abgrundtief schlechten Charakter.

            Was heißt nun „Mensch … (im Sinne der Idee der Menschheit)“? Da ist eine Zweideutigkeit drin. Der Idee der Menschheit entspricht natürlich kein einziger wirklicher Mensch (nur gedachte Menschen, z. B. Jesus). Aber es besteht folgender gewichtiger Unterschied:

            (1) Der Embryo hat (anders als ein Tier) die Möglichkeit, der Idee der Menschheit entsprechen zu sollen und damit prinzipiell auch zu können (das heißt, schein mir, praktisch: ihr nachstreben zu können, nicht etwa, sie aus eigener Kraft tatsächlich an sich verwirklichen zu können; niemand schafft es, ein Heiliger zu werden). Aber da muß man zusehen, wie man den Sein-Sollens-Fehlschluß vermeidet. Ein Embryo als ein Naturding (d.h. so, wie er uns in naturwissenschaftlicher Betrachtung erscheint) hat die Möglichkeit, ein „richtiger Mensch“ zu werden. Das ist einfach eine abstrakte Möglichkeit, so wie ein Stein die Möglichkeit hat, zum Pflasterstein zu werden, zu Staub zu zerfallen oder ein Kunstwerk zu werden. Diejenige Möglichkeit dagegen, die hier gemeint sein muß, habe ich oben mit „Bestimmung“ gekennzeichnet. Das ist ein normativer Begriff. Die Bestimmung kann verfehlt werden (der Stein, der nicht zu Staub zerfällt, hat dagegen keineswegs seine Bestimmung verfehlt). Was eine Bestimmung hat, soll etwas Bestimmtes werden (muß aber nicht).

            Wenn man diesen Gedanken auf den Embryo anwendet, ist man in einer Teleologie der strengsten Sorte drin: Da strebt nicht nur etwas auf ein Telos zu, sondern da soll dieses Telos auch angestrebt werden, und zwar im Sinne eines absoluten Sollens. Zur Verdeutlichung: Man kann es noch für einen sinnvollen Satz halten, daß das Erreichen des adulten und gesunden Zustandes bei einem Tier nicht nur ein faktisch angestrebtes Ziel ist, sondern daß dieser Zustand angestrebt werden soll, sozusagen als Binnen-Norm des Tieres. Aber: Soll denn dieses Tier überhaupt sein? Soll es denn nicht als Spanferkel enden oder vielleicht das Lamm zum Osterlamm zubereitet werden? Eben das wird man beim menschlichen Embryo nicht fragen: Der Mensch, der daraus werden kann, soll dies unbedingt werden. – Das etwa ist die „katholische“ Position (es gibt sie nicht nur da, aber da ist sie besonders markant). Sie geht aber nur auf, weil ein absoluter (göttlicher) Wille gedacht wird, der dieses Sollen gebietet und die Embryonalentwicklung zu mehr macht als nur einem naturwissenschaftlich beschreibbaren Sachverhalt.

            (2) Bei einem erwachsenen Menschen hat „Bestimmung“ eine darüber hinausgehende Bedeutung. Das Problem, naturwissenschaftliche Beschreibung und Normatives zusammenzubringen, besteht nicht mehr. Naturwissenschaftliches, überhaupt Deskriptives kommt überhaupt nicht mehr vor. „Bestimmung“ heißt ja hier: Dieser Mensch weiß, was er letzten Endes soll (der „Idee der Menschheit“ gerecht werden), er kann wissen, daß seine Menschenwürde und die eines jeden eben in dieser Bestimmung liegt.
            Wenn man so anfängt zu denken, dann kommt man dahin, daß Menschenwürde nur erwachsenen, verantwortlichen Menschen zukommt – nicht weil sie diese Würde (die in der Idee der Menschheit liegt) tatsächlich hätten (sie sind vielleicht ganz würdelose Schurken), sondern weil sie – auch der Übelste – um diese Würde als ihre Bestimmung wissen und der Bestimmung gemäß werden sollen (ein Kleinkind soll das noch nicht – wenn, dann in einem anderen Sinn). – Denkt man aber nur so weit, dann ergibt sich, daß (noch) nicht verantwortliche Menschen bloße Mittel zum Zweck sein können, und dagegen hat man ja (schwer klar erfaßbare, darum „gefühlsmäßig“ genannte) Einwände.

          • (Fortsetzung)
            Ludwig Trepl, @Balanus.

            Das Hauskeller-Zitat: Das stimmt schon. Keine empirische Untersuchung, und sei sie noch so genau, kann es ermöglichen, die gesuchte Entscheidung zu treffen.

            Der einzige Fehler ist das „also“ in diesem Satz „…keine Möglichkeit, nach objektiven Kriterien, also durch eine bloße Sichtung der vorliegenden Fakten – und sei sie auch noch so gründlich —, irgendeine Entscheidung darüber zu treffen, was zu tun das Richtige ist.“

            Denn das dürfte so gemeint sein: „objektive Kriterien“ sind „vorliegende Fakten“, und nur sie. Diejenige Objektivität, die hier nur gemeint sein kann, ist aber die moralische („das Richtige“ – im Unterschied zum Subjektiven „das für richtig Gehaltene“). Sie hat ihren Grund nicht im Empirischen („vorliegende Fakten“), sondern im Apriorischen, genauer gesagt in synthetischen Sätzen a priori; ein solcher Satz ist das Sittengesetz.

            Daß es synthetische Sätzen a priori überhaupt gibt, erkennt der Empirismus allerdings nicht an. Darum gerät er in ein Dilemma, er sucht („naturalistisch“) im Empirischen nach einem Grund für die Entscheidung über „das Richtige“, den es, wie in dem Zitat richtig erkannt, nicht geben kann. Daß allerdings mit dem Einnehmen einer transzendentalphilosophischen Position das Problem ( „das der Grenzziehung“) nicht gelöst ist, darauf scheint hinzuweisen, daß ich es nicht lösen kann.

            Vielleicht ist das aber ein ganz triviales Problem im Verhältnis von Theorie und Praxis. Strukturell scheint mir das Abtreibungs-Grenzziehungs-Problem nicht anders gelagert als das der Verantwortlichkeit von noch nicht Volljährigen oder auch das der Vergabe von Schulnoten: Man weiß, daß sich jemand mit 4,9 nur minimal von einem mit 5,0 unterscheidet, und daß zwischen dem Schüler mit 4,9 und einem mit 1,6 ein riesiger Unterschied ist. Aber der mit 4,9 kommt zusammen mit dem mit 1,6 in die Gruppe „bestanden“, der mit 5,0 in die Gruppe „durchgefallen“, wird also sozusagen getötet. Die Theorie sieht auf der einen Ebene einen Gradienten, auf der anderen Ebene einen „prinzipiellen“ Unterschied, in der Praxis muß aber ein eindeutiger Schnitt im Gradienten gemacht werden. Der muß nicht ganz willkürlich sein, kann unterschiedlich gut begründet sein, steht aber immer unter dem Vorbehalt, möglicherweise etwas ganz Unrechtes zu tun („Entscheidung unter Risiko“).

          • “Unfertiger” Mensch /@Ludwig Trepl

            Ist ein achtzelliger Embryo ein „unfertiger“ Organismus? Wohl kaum. Aber ein „unfertiger“ Mensch kann er sein, weil „Mensch“ fast immer, so auch hier, als normativer Begriff gebraucht wird.

            Zum Kellermann-Zitat:

            »Der einzige Fehler ist das „also“ in diesem Satz „…keine Möglichkeit, nach objektiven Kriterien, also durch eine bloße Sichtung der vorliegenden Fakten – und sei sie auch noch so gründlich —, irgendeine Entscheidung darüber zu treffen, was zu tun das Richtige ist….“

            Denn das dürfte so gemeint sein: „objektive Kriterien“ sind „vorliegende Fakten“, und nur sie.«

            Ja, das sehe ich auch so, dass das so gemeint war.

            »… Diejenige Objektivität, die hier nur gemeint sein kann, ist aber die moralische („das Richtige“ – im Unterschied zum Subjektiven „das für richtig Gehaltene“). Sie hat ihren Grund nicht im Empirischen („vorliegende Fakten“), sondern im Apriorischen, genauer gesagt in synthetischen Sätzen a priori; ein solcher Satz ist das Sittengesetz. «

            Damit habe ich ein Problem. Das moralisch objektiv Richtige ist doch das, was stets gesucht (aber sehr selten, wenn überhaupt, gefunden) wird, unter zu Hilfenahme bestimmter Kriterien. Dass hierbei faktische Sachverhalte nicht weiterhelfen, ist doch Konsens, Hauskeller sagt da nichts anderes als Sie.

            Nun weiß ich nicht, entweder war die zitierte Textstelle für sich genommen nicht so eindeutig zu verstehen, wie ich annahm, oder mir fehlt es hier an Verständnis. Das Folgende ging dem Hauskeller-Zitat unmittelbar voraus:

            Nur wenn man den Begriff „Mensch“ bereits selbst als normativen Begriff versteht, das heißt als etwas, das eine bestimmte Wertung impliziert, die uns wiederum ein bestimmtes Handeln nahe legt, beantwortet sich mit der ersten Frage („Ist es ein Mensch?“) zugleich die zweite („Wie sollen wir mit ihm umgehen?“ bzw. „Was zu tun sind wir ihm gegenüber verpflichtet?“). Dann jedoch sind wir nicht mehr in der Lage, allein aufgrund der vorliegenden Daten zu entscheiden, ob es sich um einen Menschen handelt oder nicht. Das Problem verschiebt sich gewissermaßen nur um eine Ebene nach hinten. Wir stehen mithin vor einem Dilemma: Entweder wir nehmen den Begriff „Mensch“ als rein deskriptiven Begriff,…


            Zum „Apriorischen“ bzw. zu den „synthetischen Sätzen a priori“: Apriorisch heißt für mich, dass etwas ohne vorherige Erfahrung oder vorhergehendes Lernen getan werden kann. Das heißt, wir bringen das für bestimmte synthetische Sätze notwendige „Wissen“ mit, es ist uns sozusagen in die Wiege gelegt.

            Insofern hätte ich mit der „Existenz“ von „synthetischen Sätzen a priori“ überhaupt kein Problem. Dass es sie (in uns) gibt, ja geben muss, erklärt sich aus unserer Evolutionsgeschichte. Wir kommen nicht als unbeschriebenes Blatt zur Welt.

            Vielleicht gibt es da auch eine Verbindung zu der Welt der Gefühle (zu der ich auch Hans Jonas‘ „elementares Sollen“ zählen würde).

            »Gefühle, so scheint die Mehrheitsmeinung der heutigen Ethiker zu sein, können zwar keine ethischen Forderungen begründen, aber sie sind doch als Warnsignale ernstzunehmen: Irgendwas stimmt da in den Begründungen vielleicht nicht.«

            Michael Hauskeller hat es so formuliert:

            Nicht weil wir so fühlen, ist die Handlung falsch, sondern wir fühlen so, weil die Handlung falsch ist; das heißt, wir erleben unser Gefühl als angemessene Reaktion auf die objektiv vorhandenen Gegebenheiten.

            Nicht, weil die Handlung falsch ist, sondern weil sie (aus verschiedenen Gründen) für uns falsch ist, würde ich sagen.

            Im Falle der Tötung eines Embryos oder Kleinkindes dürfte das Gefühl Unterschiedliches signalisieren. Ein „Schwangerschaftsabbruch“ mag gefühlsmäßig erlaubt sein, eine Kindstötung ist es in aller Regel nicht.

            Es kommt wohl nicht selten vor, dass ein Schwangerschaftsabbruch zwar für ethisch unbedenklich gehalten wird, aber dennoch aus Gefühlsgründen nicht vollzogen werden kann. So, als sei das Gefühl bzw. das Gewissen und nicht die Vernunft die oberste, handlungsleitende Instanz in Fragen der Moral.

            »Vielleicht ist das aber ein ganz triviales Problem im Verhältnis von Theorie und Praxis. Strukturell scheint mir das Abtreibungs-Grenzziehungs-Problem nicht anders gelagert als das der Verantwortlichkeit von noch nicht Volljährigen…«

            Ich halte all diese Probleme ohnehin für hausgemacht. Die makroskopische Natur kennt keine Sprünge, alles fließt und verändert sich graduell. Aber wir Menschen lieben nun mal das Denken in Kategorien, und wenn wir über die Dinge der Natur nachdenken, sind wir eben mit dem Problem der Grenzziehungen konfrontiert. Wenn es um Volljährigkeit oder Spezies geht, zieht man eben irgendwo eine Linie und fertig. Wenn es aber um Fragen der Moral und des Sollens geht, wenn es also aus logischen Gründen keine graduellen Übergänge geben kann, geraten wir ins Schwimmen und können einfach keine eindeutige und allgemeingültige (objektive) Lösung finden.

            Das war schon vor 50000 Jahren so und wird auch in 50000 Jahren noch so sein, vermute ich mal.

  21. @Ludwig Trepl:

    – “Wir, als Menschen, haben Verantwortung für das, was wir tun, und wir müssen alle unsere Handlungen rechtfertigen.”
    Das Problem, dass ich sehe, ist, dass der zweite Satzteil falsch ist. Es gibt unzählige Handlungen, die jeder von uns täglich vornimmt, welche keiner Rechtfertigung bedürfen. Wenn ich im Wald rülpse, wenn ich in der Nase bohre, wenn ich verträumt auf ein Bild schaue usw. dann bedarf all das als solches keiner Rechtfertigung.

    DIe Notwendigkeit zur Rechtfertigung scheint überhaupt erst dann auf, wenn es ein anderes Interesse gibt, das durch meine Handlung geschädigt werden kann. So wie das Sollen unter dem Konditional des Wollens steht, steht die Verantwortung bzw. die Rechtfertigung unter der Bedingung der Existenz eines fremden Interesses.

    – “Wo ist da eine „Zuschreibung“, also (das meinen Sie ja) etwas Willkürliches, Unbegründetes?”

    Es ist verzwickt: Die Zuschreibung findet an der Stelle statt, wo weggelassen wird. Nehmen Sie den Komapatienten. Richtig ist, dass von dem nicht nur keine Handlungen ausgehen sondern richtig ist auch, dass der keine Handlungen wahrnehmen kann. Der lebt nur in einem physiologischen Sinne. Dennoch soll er einen Achtungsanspruch (Würde, Menschenwürde) besitzen.

    Wie kann das sein, wenn der Achtungsanspruch gerade aus dem Vorhandensein von Vernunft folgen soll? Das geht nur indem ich sage, dass auch der Komaptient (Embryo, Kleinkind, Verstorbene [1] usw.) von der Art (Spezies) Mensch ist und dehalb so behandelt werden soll wie man den durchschnittlichen Menschen behandelt. »Ich sehe von der Besonderheit des Komapatienten ab, dass er im Koma liegt. Dann ist er ein normaler Mensch und als normaler Mensch besitzt er einen Achtungsanspruch.«

    – “Mit dieser Begründung hat mal ein Philosoph des 20. Jahrhunderts (Ebbinghaus?) gefordert, die Tötung von Kindern zu erlauben, die noch keine Menschen im Vollsinn des Wortes sind (ich glaub’, er setzte etwa 2 Jahre als Grenze an; man könnte der Logik des Arguments nach ohne weiteres auch höher gehen, bis zu dem Alter, wo man von „Mündigkeit“ spricht).”

    Das Interessante an dem als Argument (vom Typ “Dammbruch”) Vorgebrachten ist: Sie zeigen nicht, wo Ebbinghaus falsch liegt, sondern verlassen sich darauf, dass die durch es hervorgerufene Vorstellung eine hinreichend emotional wirkmächtige Abscheu beim Leser hervorruft. Dabei kann der Dammbruch ja gar nicht eintreten, weil niemand ernsthaft bestreitet, dass Erwachsene, die bei vollem Bewusstsein sind, zurechnungsfähig sind.

    – “Es geht darum, daß der Menschenembryo die Möglichkeit hat, in seinem Leben ein Vernunftwesen zu werden, der Tierembryo nicht.”
    1. Der nächste rosa Elefant.
    2. Das “passende” Dammbruchgegenargument dazu lautet: Das menschliche Spermium hat die Möglichkeit, in seinem Leben ein Vernunftwesen zu werden, das tierische nicht. Durchdeklinieren kann das jeder selbst.

    – “Wenn es einen Wollenden gibt, der Vernunft hat […] und der mit anderen Wollenden in Wechselwirkung steht, dann muß dieser Wollende wollen, daß sein Wille nicht von den anderen Wollenden von vornherein zunichte gemacht wird. […]”

    Ich weiß nicht so recht: Dinge, die von allein eintreten werden, brauche ich nicht zu wollen. Denen kann ich mich völlig neutral und passiv gegenüber verhalten. Da macht auch der Wille von anderen Wollenden keine Ausnahme. Und es macht auch keine Ausnahme, wenn diese anderen Wollenden mit mir in Wechselwirkung stehen. Nur unter ganz bestimmten Umständen, nämlich dann, wenn ein anderer Wollender Zugriff auf das eine und einzige nehmen will, auf das ich exklusiv zugreifen will, dann besteht überhaupt erst die Möglichkeit, dass ein Wille zunichte gemacht werden könnte.

    – “Dieser allgemeine Wille in einem jeden verlangt, daß alle dem Sittengesetz unterliegen, dem Kategorischer Imperativ, der fordert, die jeweiligen Maximen auf ihre Tauglichkeit zu allgemeinen Gesetzen zu überprüfen.

    Wie ist da der Wille des Strafvollzugsbeamten zu beurteilen, den Häftling in die Zelle zu sperren? Oder der Wille des Unternehmers, der mit seiner Unterschrift unter den Arbeitsvertrag, den Bewerber zum Lohnabhängigen macht? (Beispiele von Christine Zunke)

    [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Postmortales_Pers%C3%B6nlichkeitsrecht

    • Ludwig Trepl, @ Ano Nym.

      Nanu, Sie können ja auch seriös! Und sehen Sie: gleich funktioniert’s – ich kann Ihre Einwände nicht so einfach beiseite schieben wie sonst, den wichtigsten Einwand gar nicht.

      „’…wir müssen alle unsere Handlungen rechtfertigen.
’ [Zitat von mir] … Es gibt unzählige Handlungen, die jeder von uns täglich vornimmt, welche keiner Rechtfertigung bedürfen. Wenn ich im Wald rülpse….“

      Das „alle“ habe ich nachträglich reingeschrieben, weil ich erst auch dachte wie Sie. Aber dann merkte ich, daß das falsch ist. Psychologisch gesehen rechtfertigen wir sie nicht, wir denken nicht beim Rülpsen im Wald eigens darüber nach, ob das erlaubt ist. Aber logisch, und das im ethischen Rahmen, ist es anders. Solche Handlungen gehören zu denen, bei denen die Rechtfertigung durchaus stattfindet, aber so trivial ist, daß man nicht mehr groß nachdenken muß.

      „Die Notwendigkeit zur Rechtfertigung scheint überhaupt erst dann auf, wenn es ein anderes Interesse gibt, das durch meine Handlung geschädigt werden kann.“

      Eben daß dieses andere Interesse nicht vorliegt, dessen habe ich mich versichert: Ich bin ja im Wald, hier stört es ja keinen. Nur daß man diesen Gedanken nicht mehr ausdrücklich denken muß. Aber auf die Frage, warum ich denn meine, daß ich rülpsen dürfe, könnte ich diese Antwort geben. Übrigens kann das andere Interesse auch das eigene zu einer anderen Zeit sein. Daraus ergeben sich „Pflichten gegen sich selbst“.

      „…Komapatienten. … Der lebt nur in einem physiologischen Sinne. Dennoch soll er einen Achtungsanspruch (Würde, Menschenwürde) besitzen. Wie kann das sein, wenn der Achtungsanspruch gerade aus dem Vorhandensein von Vernunft folgen soll?“

      Der Komapatient an sich ist nicht das Problem; bei dem ist es so wie beim Kleinkind: Achtungsansprüche hat der Mensch nie aufgrund dessen, was er ist, sondern immer nur aufgrund dessen, was er sein kann und sein soll, was seine „Bestimmung“ ist. Das Problem ist der Komapatient, der garantiert nicht mehr aufwacht.

      „Das geht nur indem ich sage, dass auch der Komapatient (Embryo, Kleinkind, Verstorbene [1] usw.) von der Art (Spezies) Mensch ist und deshalb so behandelt werden soll wie man den durchschnittlichen Menschen behandelt.“

      Etwa dieses Argument habe ich auch bei einem Autor gelesen, der sonst zu denen gehört, auf die ich mich (gerade in diesen Dingen) berufe. Ich kann es aber nicht nachvollziehen. Daß der Komapatient faktisch aus eben diesem Grund so behandelt wird, kann man sich ja vorstellen, aber daß er deshalb so behandelt werden soll? Ich kann nicht verstehen, wie die Zugehörigkeit zu einer Natureinheit ethisch etwas begründen soll. Das scheint mir eine Variante des Sein-Sollens-Fehlschlusses. Aus einem deskriptiven Satz folgt kein präskriptiver, da braucht es immer ein Zwischenglied, das dem beschriebenen Sachverhalt (hier: einer bestimmten Spezies zugehörig) einen Wert zuschreibt, und damit ist man wieder beim Ausgangspunkt. – Im Übrigen: Um die Zugehörigkeit zur Spezies Mensch kann es nicht gehen. Auch der irreversibel im Koma liegende Meister Yoda hat seine Würde, und zwar weil er Vernunftwesen ist. Aber das ändert am Grundproblem (es besteht keine Aussicht, daß er je wieder Vernunftwesen wird), für das ich keine Lösung habe, nichts.

      „… Argument (vom Typ ‘Dammbruch’) … Sie zeigen nicht, wo Ebbinghaus [ich bin mir übrigens nicht sicher, ob er es war, hoffentlich habe ich da nicht ein übles Gerücht in Umlauf gebracht] falsch liegt, sondern verlassen sich darauf, dass die durch es hervorgerufene Vorstellung eine hinreichend emotional wirkmächtige Abscheu beim Leser hervorruft. Dabei kann der Dammbruch ja gar nicht eintreten, weil niemand ernsthaft bestreitet, dass Erwachsene, die bei vollem Bewusstsein sind, zurechnungsfähig sind.“

      Da bin ich wieder obenauf. Als Dammbruch-Argument war es hier nicht eingesetzt. Sondern so: Wenn du A willst, mußt du auch B wollen. Das willst du aber nicht, also fang’ besser noch mal von vorn an, vielleicht willst du ja A gar nicht wirklich. Daß der Adressat B nicht will, muß nicht an einer emotional wirkmächtigen Abscheu liegen, und im Rahmen meiner Argumentation ist das ohnehin nicht so: Es ist ethisch zu begründen, daß man Kleinkinder nicht töten darf, und diese Möglichkeit der Begründung habe ich auch dem Adressaten unterstellt. Und es geht um Kleinkinder, die getötet werden sollen; daß Erwachsene zurechnungsfähig sind, ist vorausgesetzt. Vorgebracht wird in dem Argument zusätzlich, daß sich die Begründung für das Tötendürfen (fehlende Zurechnungsfähigkeit) prinzipiell bis zur „Mündigkeit“ (Erwachsenwerden) ausdehnen läßt.

      „Es geht darum, daß der Menschenembryo die Möglichkeit hat, in seinem Leben ein Vernunftwesen zu werden, der Tierembryo nicht.”
1. Der nächste rosa Elefant“.

      Das es vorher keinen rosa Elefanten gab, kann das auch nicht der nächste sein. Warum das nichts mit „rosa Elefanten“ zu tun hat, habe ich Ihnen schon erklärt, ich wiederhole es hier nicht.

      „Nur unter ganz bestimmten Umständen, nämlich dann, wenn ein anderer Wollender Zugriff auf das eine und einzige nehmen will, auf das ich exklusiv zugreifen will, dann besteht überhaupt erst die Möglichkeit, dass ein Wille zunichte gemacht werden könnte.“

      Natürlich, und ich muß prinzipiell wollen, daß man mir unter allen solchen Umständen die sonst mögliche Realisierung meines Willens nicht zunichte macht. – Darum muß jeder Wollende wollen, daß alle anderen daran gehindert werden, unter solchen Umständen seinen Willen zunichte zu machen. Das, wovon sein Wille nicht tangiert ist und das, was diesen tangiert, was aber nicht von Menschen (allgemein: verpflichtungsfähigen Wesen) ausgeht, „Dinge, die von allein eintreten werden“, ist hier uninteressant: Es geht nur um Fälle, in denen ein anderer etwas tut könnte, das mit dem, was ich will, in Konflikt gerät. In diesen Fällen muß ich (außer juristischen Gesetzen, die den Willen des anderen, sowie er zu Handeln wird, mittels äußerem Zwang einschränken) wollen, daß der andere von sich aus verpflichtet ist, auf meinen Willen Rücksicht zu nehmen (mich nicht nur als Mittel zu benutzen). Von sich aus verpflichtet ist er, wenn das, was hier mein Wille ist, zugleich sein Wille sein muß. Das ergibt (über einige weitere Schritte) den KI.

      „Wie ist da der Wille des Strafvollzugsbeamten zu beurteilen, den Häftling in die Zelle zu sperren?“

      Die Maxime, nach der er handelt, ist wie alle Maximen einer Vernunftprüfung zu unterziehen. Ich vermute, da wird sich Verschiedenes ergeben je nach den näheren Umständen. Z. B. ist zu beachten, ob der Wille nur seinem Wunsch entspringt, seine Ruhe zu haben, oder ob er daher kommt, daß er meint, Anordnungen unbedingt befolgen zu müssen, oder ob er daher kommt, daß er meint, die Anordnung sei in diesem Fall gerechtfertigt und notwendig u.a.m.

      „Oder der Wille des Unternehmers, der mit seiner Unterschrift unter den Arbeitsvertrag, den Bewerber zum Lohnabhängigen macht?“

      Dito. Aber hier gibt es noch das Problem einer grundsätzlicheren Ebene. Beim Strafvollzugsbeamten dürfte (vermute ich) es keine Frage sein, daß der Strafvollzug als solcher gerechtfertigt ist, wohl aber z. B., ob bestimmte Leute, etwa politische Gefangene, im Gefängnis sitzen sollen. Im Falle des Unternehmers, also des Kapitalisten, steht aber auch in Frage, ob es denn überhaupt Kapitalisten geben solle. Dies, als Maxime formuliert, wäre eigens zu prüfen. – Der KI ist keine Liste von Maximen, die Gebotsrang haben, sondern die Forderung, eine jede Maxime einer Vernunftprüfung zu unterziehen.

  22. Ludwig Trepl, @ Balanus.

    Sie sind halt Naturwissenschaftler und gehen alles, was Ihnen begegnet, mit den Mitteln der Naturwissenschaften an, wie es den szientifschen Naturalismus definiert. So lange Sie nicht aus ihrem Paradigma herausfinden – nicht in ein anderes hinein, sondern auf eine Ebene, von der aus Sie auf Ihr Paradigma von außen blicken können –, hat es gar keinen Sinn, zu verstehen zu versuchen, was ich hier meine oder was man meint, wenn man von „prinzipiellem Unterschied“ spricht. Denn Sie haben von vornherein das, was einen prinzipiell Unterschied ausmachen könnte, aus Ihrem Denken ausgeschlossen, es ist nichts, von dem man etwas wissen könnte, weil es nichts Naturwissenschaftliches ist, meinen Sie. Alles, was Sie hier schreiben, kann darum nur völlig daneben sein.

    „Es ist eben sehr die Frage, ob man ‚dem Tier’ generell jegliche Vernunft absprechen kann. Wenn ein Tier es schafft, ein Problem zu lösen, dann kann von einem bloßen Reiz-Reaktions-Schema keine Rede mehr sein.


    Erstens, Probleme lösen zu können, bedeutet noch lange nicht, Vernunft zu haben. Zweitens, wenn man einem „Tier“ Vernunft zusprechen muß, dann ist es eben kein Tier. Vielleicht wimmelt es im Weltall von Wesen, die wie Tiere aussehen, aber keine Tiere sind. – Vernunft ist ja das Merkmal, das den Unterschied definiert. „Tier“ ist kein zoologischer Begriff, so daß zoologisch, anhand natürlicher Merkmale, feststünde, was ein Tier ist und was eine Mensch. Zoologisch sind die Menschen auch nur Tiere. Und es ist zufällig, daß wir nur eine zoologische Art kennen, die ein Natur- und zugleich ein Vernunftwesen ist. Es ist nicht so, daß Vernunft eben als das definiert ist, was wir nur bei einer bestimmten zoologischen Art finden.

    „Meine ‚Zuschreibung’ bezog sich auf den ‚prinzipiellen Unterschied’ zwischen Mensch und Tier. Wir erleben unser komplexes (Sozial-)Verhalten als (moralische) Handlungen und meinen, wir hätten etwas gefunden, was uns prinzipiell von Tieren unterscheidet, …“

    Wir meinen, wir hätten etwas gefunden? Es gibt etwas, das wußten wir immer schon, von dem Moment an, wo es überhaupt möglich war, zu “suchen”, und wir wußten es mit viel größerer Sicherheit als alles, was je (naturwissenschaftlich) gefunden wurde: Wir, als Menschen, haben Verantwortung für das, was wir tun, und wir müssen alle unsere Handlungen rechtfertigen. Wir haben Verantwortung auch im Hinblick auf Tiere, Tiere aber haben keine Verantwortung, weder für uns noch für andere Tiere, sie müssen sich für nichts rechtfertigen. Wo ist da eine „Zuschreibung“, also (das meinen Sie ja) etwas Willkürliches, Unbegründetes? Beim allerfundamentalsten Wissen tun Sie so, als könnte man das ohne weiteres beiseitelassen.

    „Wir erleben unser komplexes (Sozial-)Verhalten als (moralische) Handlungen“. Das können Sie nur deshalb sagen, weil Sie keinerlei Begriff von „Moral“ haben. Moral (Ethik) ist eine Sache der Vernunft, des logischen Schließens, nicht des „Erlebens“ oder des „Fühlens“. Letzteres sind nur Schubladen, in die Naturalisten alles stecken, was sie nicht begreifen, weil ihnen die Begriffe fehlen. Dabei liegen die wichtigsten auf der Hand, und im täglichen Leben wissen sie das auch. Ist die Fliege dafür verantwortlich, daß sie Ihnen den Nerv raubt? Sind Sie dafür verantwortlich, wenn Sie sie darum totschlagen? Na also, Sie wissen doch, wo der prinzipielle Unterschied liegt.

    „Wenn Begriffe Gegenstände oder Vorgänge bezeichnen, die allein im geistigen Innenleben vorkommen und sich nicht in Handlungen oder Verhaltensweisen erkennbar manifestieren, wird es schwierig, einen möglichen prinzipiellen Unterschied zwischen verschiedenen Lebensformen, so er denn allein auf dem geistigen Innenleben basiert, zu objektivieren.“

    Was nicht auf dem „geistigen Innenleben“ beruht, ergibt von vornherein, nämlich definitionsgemäß, keinen prinzipiellen Unterschied. Sie begründen im Zirkel.

    Aber Sie wissen ja, daß es einen prinzipiellen Unterschied gibt; Sie wissen, daß die Fliege nicht verantwortlich ist, und Sie wissen, daß Sie verantwortlich sind, andernfalls müßte man Ihnen das absprechen, was man Vernunft nennt. „Vernunft“ impliziert, sich als verantwortlich zu wissen (zum “Problemlösen” mag einer so unfähig sein wie er nur mag), und „verantwortlich sein“ hat Voraussetzungen, die man unter „Vernunft haben“ zusammenfassen kann. Und derer bedienen Sie sich, wenn Sie z. B. Wissenschaft betreiben und nach der Wahrheit suchen, leugnen aber gleichzeitig, daß es sie gibt. Ja, das tun Sie: Sie leugnen, daß es Vernunft gibt (denn damit hätten Sie den prinzipiellen Unterschied zugegeben). Sie tun so, als hätten wir Wissen über Objekte, z. B. Planeten oder Tiere (auch uns selbst als Tiere), aber keinerlei Wissen über uns als Subjekte, über das, was doch Voraussetzung dafür ist, daß wir über die Objekte etwas wissen können.

    „Nach meinem Verständnis ist die Möglichkeit, ein Mensch zu werden, etwas vollkommen anderes, als ein Mensch zu sein.“

    Mit dieser Begründung hat mal ein Philosoph des 20. Jahrhunderts (Ebbinghaus?) gefordert, die Tötung von Kindern zu erlauben, die noch keine Menschen im Vollsinn des Wortes sind (ich glaub’, er setzte etwa 2 Jahre als Grenze an; man könnte der Logik des Arguments nach ohne weiteres auch höher gehen, bis zu dem Alter, wo man von „Mündigkeit“ spricht). – Sie denken natürlich wieder biologisch. Aber Sie sollten bedenken, daß es dann, wenn man von „Menschenwürde“ spricht, nie darum geht, was der Mensch ist, sondern immer nur darum, was er sein könnte.
    Aber wem sage ich das, „Menschenwürde“ kann es ja in ihrem Weltbild nicht geben.

    „Der zukünftige Zustand, der den prinzipiellen Unterschied zwischen den Embryonen begründen soll, ist selbst nur ein kleiner Ausschnitt aus der Zukunft. Noch weiter in die Zukunft geblickt finden wir nichts, womit sich ein prinzipieller Unterschied zwischen den Embryonen begründen ließe.“

    Es geht darum, daß der Menschenembryo die Möglichkeit hat, in seinem Leben ein Vernunftwesen zu werden, der Tierembryo nicht. Es geht nicht darum, ob in der Entwicklungslinie des betreffenden Tieres irgendwann mal Vernunftwesen entstehen könnten: Dieser Embryo vor uns kann kein Vernunftwesen werden.

    „Daraus folgt, dass dieser behauptete prinzipielle Unterschied irgendwann entstanden sein muss, und das kann dann nur schlagartig erfolgt sein, weil eine sukzessive, graduelle Entstehung sich nicht mit dem Gedanken des prinzipiellen Unterschieds vereinbaren lässt.“

    Das scheint nur dem Naturwissenschaftler so, innerhalb seines Horizonts kann es nicht anders sein. Der denkt sich den prinzipiellen Unterschied so wie den Unterschied von flüssigem und gasförmigem Zustand des Wassers. – Nehmen wir den Begriff Verantwortung, denn da liegt der prinzipielle Unterschied (wenn man ihn auch anders benennen kann, z. B. mit „Menschenwürde“), um den es hier geht. Dem Neugeborenen kann man keine Verantwortung zusprechen, dem Volljährigen schon. Dazwischen liegt eine graduelle Entwicklung von ca. zwei Jahrzehnten. So urteilen wir im Leben, wenn wir vernünftig sind. Wenn einer argumentiert, der Volljährige könne nicht verantwortlich für seine Taten sein, weil er sich doch nur graduell von einem Säugling unterscheidet, dann tippt man sich an die Stirn; es ist unvernünftig, was er da sagt. Der szientifische Naturalist ist schlicht unfähig, das, was man Vernunft nennt und was er doch auch irgendwie hat, außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Naturwissenschaften anzuwenden – also in dem Bereich, den man „Leben“ nennt.

    „Deshalb vermute ich, dass die Vorstellung von einem prinzipiellen Unterschied zwischen Mensch und Tier offenbar auf den (biblischen) Schöpfungsgedanken zurückzuführen ist.“

    Wieso das? In den Begriffen der göttlichen Schöpfung hat man den Unterschied zunächst (in manchen Traditionen) thematisiert („Gott schuf ihn nach seinem Bilde“). Aber daß es nachweislich einen prinzipiellen Unterschied gibt, und zwar den, den ich hier genannt habe, ist Ergebnis wissenschaftlichen Denkens, nur eben nicht naturwissenschaftlichen (da kann es definitionsgemäß keinen prinzipiellen Unterschied geben), sondern reflexionswissenschaftlichen. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen erklären soll, was das ist, ich hab’s ja schon öfter versucht, aber Sie verstehen es nicht, Sie denken immer, das hätte etwas damit zu tun, empirisch ins Innere anderer sehen zu wollen, und da das nicht geht, meinen Sie, da kommt man halt nur zu „Zuschreibungen“.

    Der Unterschied, der letztlich im Sittengesetz und seinem verpflichtenden Charakter liegt (daraus ergeben sich Verantwortung, Würde) , ergibt sich logisch, nicht aus einem Gefühl heraus: Wenn es einen Wollenden gibt, der Vernunft hat (dazu gehören auch Sie, auch wenn Sie nicht glauben, daß es einen freien Willen gibt; aber Sie wollen ja z. B. nächste Woche in Urlaub fahren) und der mit anderen Wollenden in Wechselwirkung steht, dann muß dieser Wollende wollen, daß sein Wille nicht von den anderen Wollenden von vornherein zunichte gemacht wird. Sonst könnte er nicht wollen (denn dazu gehört die Realisierungsabsicht), nur wünschen. Er muß wollen, daß die anderen verpflichtet sind, sein Wollen nicht von vornherein zunichte zu machen. Er muß das auch da wollen, wo eine Verpflichtung durch äußeren Zwang unmöglich ist, d.h. er muß wollen, daß sich die anderen selbst verpflichten. Da das für jeden gilt, ergibt sich, daß jeder einen „allgemeinen Willen“ (volonté générale; Rousseau) hat. Dieser allgemeine Willen umfaßt nicht alles, was er will, er steht neben anderem, was diesem allgemeinen Willen eventuell widerspricht, er ist nur ein Moment seines Gesamtwillens, aber ein aus logischen Gründen nie fehlen könnendes Moment. Dieser allgemeine Wille in einem jeden verlangt, daß alle dem Sittengesetz unterliegen, dem Kategorischer Imperativ, der fordert, die jeweiligen Maximen auf ihre Tauglichkeit zu allgemeinen Gesetzen zu überprüfen. Selbst der Böseste muß diesen Willen haben, denn auch er kann nicht wollen, daß alles, was er will, von vornherein von anderen zunichte gemacht wird. Die Verpflichtung durch das Sittengesetz ist also nicht etwas, was sich zufällig in der menschlichen Evolution ergeben hat. Sie muß es vielmehr überall geben, wo vernünftige Wesen etwas wollen, die mit anderen vernünftigen Wesen (also solchen, von denen sie etwas fordern können – nichts anderes ist mit “Vernunft” gemeint) in Wechselwirkung stehen. Das ist logisch zwingend. – Das ist sehr verkürzt, ausführlicher habe ich es in https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/zum-ursprung-von-naturethik-teil-1/ dargelegt. (Siehe auch meinen letzten Kommentar zu @Chrys, da steht eine der Quellen.)

  23. @ Ludwig Trepl

    [21. Februar 2014 17:30]

    » » „Vielleicht existiert der prinzipielle Unterschied zwischen Mensch und Tier wirklich nur in der Vorstellung der Menschen. Wie alles andere ja auch in der Vorstellung existiert, wenn vielleicht auch nicht nur.“

    Worauf wollen Sie hinaus?«

    Dass wir uns diesen prinzipiellen Unterschied in den betrachteten Gegenstand (Mensch/Tier) möglicherweise bloß hineindenken, dass wir es womöglich nicht mit einem prinzipiellen, sondern eben bloß mit „entscheidenden“ Unterschieden zwischen Mensch und Tier zu tun haben. Dass der Mensch (Vernunftwesen!) sich gerne über „das Tier“ (Sache!) erhebt, ist ja bekannt.

    Es ist eben sehr die Frage, ob man „dem Tier“ generell jegliche Vernunft absprechen kann. Wenn ein Tier es schafft, ein Problem zu lösen, dann kann von einem bloßen Reiz-Reaktions-Schema keine Rede mehr sein.
    .

    [21. Februar 2014 15:32]

    »Wir „schreiben“ es uns nicht „zu“, daß wir unsere Taten zu rechtfertigen haben, daß es uns verboten ist, bestimmte Dinge zu tun, daß wir Verantwortung haben usw., so, als ob wir diese „Zuschreibung“ auch lassen könnten. «

    Meine „Zuschreibung“ bezog sich auf den „prinzipiellen Unterschied“ zwischen Mensch und Tier. Wir erleben unser komplexes (Sozial-)Verhalten als (moralische) Handlungen und meinen, wir hätten etwas gefunden, was uns prinzipiell von Tieren unterscheidet, weil diese allem Anschein nach nicht über ihr Verhalten nachdenken (können).

    Meiner Meinung nach könnte ein Wesen, das weder Mensch noch Tier ist, die Frage nach den prinzipiellen Unterschieden zwischen den Lebensformen objektiver beurteilen. Allerdings müsste dieses Wesen Zugang zum geistigen Innenleben aller Beteiligten haben.

    »Sie werden wohl sagen, daß das sinnlose Begriffe sind oder nur selbstgemachte im Sinne von willkürlichen Vorstellungen, an deren Stelle man nach Belieben auch andere setzen könnte, weil sie in den Naturwissenschaften, also innerhalb des Horizonts, in dem Sie sich eingegraben haben, nicht verkommen können.«

    Wenn Begriffe Gegenstände oder Vorgänge bezeichnen, die allein im geistigen Innenleben vorkommen und sich nicht in Handlungen oder Verhaltensweisen erkennbar manifestieren, wird es schwierig, einen möglichen prinzipiellen Unterschied zwischen verschiedenen Lebensformen, so er denn allein auf dem geistigen Innenleben basiert, zu objektivieren. Da mag der eine meinen, es gäbe einen prinzipiellen Unterschied zwischen Mensch und Tier, während andere bloß graduelle, aber entscheidende Unterschiede erkennen wollen. Es ist ähnlich wie bei einem Vergleich von Taschenrechner und Hochleistungscomputer: Während der eine hier einen prinzipiellen Unterschied sehen mag, weil nur ein Computer hochkomplexe Programme abarbeiten kann, finden andere, ein Computer funktioniere nach den gleichen grundlegenden Prinzipien wie ein simpler Kalkulator.
    .

    [21. Februar 2014 15:16]

    »Der prinzipielle Unterschied liegt ganz einfach darin, daß der Menschenembryo zu einem Menschen werden kann, der andere Säugerembryo aber nicht. «

    Das habe ich zunächst auch gedacht, aber dann kamen mir Zweifel. Nach meinem Verständnis ist die Möglichkeit, ein Mensch zu werden, etwas vollkommen anderes, als ein Mensch zu sein.

    Der behauptete prinzipielle Unterschied liegt ja nicht in einem unterschiedlichen Entwicklungsgang, sondern in dem offenkundigen, irgendwann erscheinenden „Endprodukt“, von dem behauptet wird, es unterscheide sich prinzipiell von allen anderen möglichen Endprodukten.

    Zudem: Der zukünftige Zustand, der den prinzipiellen Unterschied zwischen den Embryonen begründen soll, ist selbst nur ein kleiner Ausschnitt aus der Zukunft. Noch weiter in die Zukunft geblickt finden wir nichts, womit sich ein prinzipieller Unterschied zwischen den Embryonen begründen ließe. Das heißt, der Verweis auf irgendwelche zukünftige Zustände hat etwas Willkürliches und kann einen prinzipiellen Unterschied zwischen den Embryonen nicht zweifelsfrei begründen.

    In die andere zeitliche Richtung weiter gedacht, also in die Vergangenheit, käme man zu dem Punkt, wo man auch für menschliche und nicht-menschliche Keimzellen einen prinzipiellen Unterschied konstatieren müsste. Mit der Vorstellung eines prinzipiellen Unterschieds zwischen menschlichem und bovinem Sperma kann man m. E aber überhaupt nichts Sinnvolles mehr verbinden. Weder das eine noch das andere taugt für die Schweinezucht.

    Oder nehmen wir die Stammesgeschichte: Wenn aktuell zwischen einem Menschen und einem beliebigen Tier ein prinzipieller Unterschied besteht, dann muss dieser Unterschied auch zwischen den jeweiligen Elterngenerationen bestanden haben, und zwischen den Elterngenerationen davor, und so fort bis zu dem Punkt, wo es einfach keinen Sinn mehr macht, von einem prinzipiellen Unterschied zu sprechen. Daraus folgt, dass dieser behauptete prinzipielle Unterschied irgendwann entstanden sein muss, und das kann dann nur schlagartig erfolgt sein, weil eine sukzessive, graduelle Entstehung sich nicht mit dem Gedanken des prinzipiellen Unterschieds vereinbaren lässt.

    Deshalb vermute ich, dass die Vorstellung von einem prinzipiellen Unterschied zwischen Mensch und Tier offenbar auf den (biblischen) Schöpfungsgedanken zurückzuführen ist.

  24. @L. Trepl

    Das habe ich ja gerade nicht gemacht. Ich habe nicht von Einzelnen gesprochen, die irgendwelche besonderen Eigenschaften haben, sondern von „dem Menschen“ und von etwas, was allen ohne Ausnahme zukommt.

    Was ich ausdrücken wollte ist: Ich bin mir sicher, dass sich aus der Gesamtheit der [verschiedenen] Spezies (pl.) einzelne [Spezies (pl.)] herauspicken lassen, die sich bezüglich aller anderen [Spezies (pl.)] prinzipiell in irgendeiner Hinsicht unterscheiden. Nehmen sie “den Wolf” statt “den Menschen”. Ich weiß nicht ob man gerade beim Wolf etwas Spezielles findet, was allen Wölfen ohne Ausnahme zukommt. Aber es gibt bestimmt eine Art, die sich von allen anderen in irgendeiner bestimmten Eigenschaft unterscheidet. Vielleicht eine Pilzart oder irgendwelche Flagellaten.

    Das ist dann erst einmal nur ein Unterschied. Aus dem allein folgt (noch) nichts.

    Abgesehen davon, daß es, wie eben gesagt, nicht um einen „rosa Elefanten“ geht: Ich habe die Menschenwürde nicht bloß „vorgezeigt“, sondern habe auch die “Logik” skizziert, nach der sie zustande kommt.

    Sie hatten u.a. geschrieben, dass das Schwein sich nicht vorm eigenen Totsein ängstigt. Gemeint ist der Angstzustand, der bei manchen Menschen eintritt, wenn sie sich vorstellen, dass sie irgendwann nicht mehr sind. Man kann allerdings einwenden, dass das gar keine richtige Angst ist, weil es an der dafür erforderlichen Bedrohung fehlt: Der Tote ist ja höchstens durch die Reanimation nicht aber durch das Totsein bedroht.

    Dass also gerade diese fragwürdigen Überlegungen hinsichtlich der eigenen Jenseitigkeit “den Menschen” über “das Tier” stellen sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Warum gerade eine Angst, warum gerade das Nichtmehrdasein? Warum soll gerade daraus ein besonderer Achtungsanspruch des Menschen folgen und die “Berechtigung” das Tier zu töten?

    Bei genauer Nachschau würde man auch feststellen, dass Sie die Menschenwürde auch gar nicht vorgezeigt haben, denn es handelt sich ja bei ihr gar nicht um eine biologische oder psychologische Eigenschaft. Es ist eine Zuschreibung. Das meinte ich gestern (?) mit dem fehlenden Phänotyp “Würde”. Den gibt es tatsächlich nicht: Die Schweine im Schweinestall sind dort nicht wegen ihrer fehlenden Würde, sondern wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Art.

    Denn ich habe gedacht, in einem Fall, der in den letzten 2000 Jahren mehr oder weniger indirekt (meist unter dem Titel „Gottesebenbildlichkeit“) und in den letzten 200 Jahren direkt in allen Facetten ausgebreitet worden ist, so daß er ganze Bibliotheken füllt, reicht es, daran zu erinnern, dann wissen die gebildeten Leute, die Scilogs lesen und kommentieren, schon, was gemeint ist. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.

    Ich denke es lohnt sich schon sauber herauszuarbeiten, ob eine Antwort oder ein Kommentar, der Sie zu Ihrer Ansicht verleitet, tatsächlich auf mangelnder Bildung beruht oder ob im Einzellfall ein berechtigter Einwand vorliegt, der womöglich in den vergangenen 2000 Jahren auch im einen oder anderen Manuskript bereits ausformuliert wurde.

    • Ludwig Trepl, @ Ano Nym.

      „Was ich ausdrücken wollte ist: Ich bin mir sicher, dass sich aus der Gesamtheit der [verschiedenen] Spezies (pl.) einzelne [Spezies (pl.)] herauspicken lassen, die sich bezüglich aller anderen [Spezies (pl.)] prinzipiell in irgendeiner Hinsicht unterscheiden.“

      Da sind sie auf einer ganz falschen Fährte. Man kann die Lebewesen alle in Arten im Sinne logischer Klassen unterteilen (wenn man von „Morphospezies“ spricht, macht man es im wesentlichen so), und die sind dann durch definierende Merkmale (ein Merkmal oder eine Gruppe von Merkmalen) eindeutig unterschieden. (Biologische Arten, „Biospezies“ dagegen können vollkommen merkmalsgleich sein, siehe https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/l-t-sich-die-ausrottung-einer-art-r-ckg-ngig-machen-teil-1/).

      Hier kommt es aber auf den Sinn von „prinzipiell“ an. Ich hätte es vielleicht eigens hinschreiben sollen, aber ich dachte, es ergäbe sich aus dem Kontext (Diskussion um Naturalismus) von selbst: „Prinzipiell“ bedeutet hier, daß die Unterschiede von einer Art sind, daß sie von den Naturwissenschaften nicht thematisiert werden können; die Unterschiede, die man zur Unterscheidung von Morphospezies nimmt und ebenso die, die man eventuell zwischen Biospezies finden können, sind alle von der Art, daß die naturwissenschaftlich erfaßbar sind, es gibt in diesem Sinne keinen „prinzipiellen“ Unterschied zwischen ihnen.

      „ ‚… sondern habe auch die “Logik” skizziert, nach der sie zustande kommt.’ [Zitat von mir] Sie hatten u.a. geschrieben, dass das Schwein sich nicht vorm eigenen Totsein ängstigt.“

      Das hat aber gar nichts mit der „Logik“ zu tun, nach der die Menschenwürde oder die Idee von ihr zustande kommt. “Warum soll gerade daraus ein besonderer Achtungsanspruch des Menschen folgen“ – das habe ich nicht behauptet, und es steht auch nichts im Text, was das auch nur vermuten lassen könnte. (Lesen Sie einfach den Text noch mal; hier habe ich nicht den Eindruck, wie sonst so oft, daß Sie den Sinn von Sätzen durchaus verstehen, ihn aber dann so verdrehen, wie es zu Ihren Zwecken paßt, sondern daß Sie einfach nicht richtig gelesen haben.) Es ist ein davon ganz unabhängiger Gedanke, auch wenn sich vielleicht eine Verbindung herstellen läßt. Geschrieben habe ich das mit der Todesangst, (a) weil es von Iris Radisch angesprochen worden ist, (b) weil ich ihr da eine (in der einschlägigen Diskussion) Mainstream-Meinung entgegensetzen konnte, und (c) weil es sich um einen prinzipiellen Unterschied im genannten Sinn handelt. Denn das absolute Nicht-mehr-Sein, das mit „Tod“ gemeint ist, ist naturwissenschaftlich nicht zu thematisieren.

      Die Menschenwürde wird – nicht nur, aber doch vorzugsweise, und außerdem ist das in meinem Kontext der wichtigste Punkt – daraus hergeleitet, daß der Mensch ein moralisches Wesen ist. Das ist es, was ich angedeutet habe, so daß dann eigentlich jeder wissen müßte, was da gemeint ist. Wenn Sie nun schreiben, daß eine dem widersprechende Meinung nicht auf mangelnder Bildung beruhen muß, sondern auch ein berechtigter Einwand vorliegen könnte, „der womöglich in den vergangenen 2000 Jahren auch im einen oder anderen Manuskript bereits ausformuliert wurde“, so bin ich mir in Ihrem Fall ziemlich sicher, daß die Vermutung der mangelnden Bildung stimmt. Sie lassen wieder und wieder erkennen, daß Sie einfach nicht wissen, wogegen Sie hier argumentieren. – Natürlich wurde der Einwand nicht „im einen oder anderen Manuskript“ formuliert, sondern eine mehrhundertjährige breite und in den letzten paar Jahrzehnten enorm angeschwollene Strömung, die man empiristisch, positivistisch oder, in bestimmter Nuancierung, naturalistisch nennt, lehnt Philosophien, in denen Begriffe wie Menschenwürde oder auch der ihr zugrundeliegende Begriff des Sollens vorkommen, von vornherein ab, weil entsprechende Sätze sinnlos seien.

      „Bei genauer Nachschau würde man auch feststellen, dass Sie die Menschenwürde auch gar nicht vorgezeigt haben, denn es handelt sich ja bei ihr gar nicht um eine biologische oder psychologische Eigenschaft. Es ist eine Zuschreibung. Das meinte ich gestern (?) mit dem fehlenden Phänotyp “Würde”. Den gibt es tatsächlich nicht.

      Sag ich doch. Das „Vorzeigen“ kann nicht empirischer Art sein. „Zuschreibung“ – womit doch wohl gemeint ist, daß man das machen kann, aber nicht muß, weil einen nichts (wie im Falle empirischer Eigenschaften) zwingt, die Zuschreibung zu machen – ist falsch. Was da „vorgezeigt“ (aufgewiesen) wird, geschieht, in den traditionellen Begriffen, nicht im Bereich der theoretischen, sondern der praktischen Philosophie (aber da ist es nicht weniger zwingend). Da geht es nicht darum, was ist, sondern was wir sollen. Den einen wie den anderen Fragen kann man mittels dessen nachgehen, was man (mit einem traditionellen Begriff) Vernunft nennt. Man muß es auch. Denn auch die, die der praktischen Philosophie de facto keine Existenzberechtigung zuerkennen wollen (die Naturalisten usw.), erkennen ihr diese doch im Leben immerzu zu. Man kann nicht als Mensch leben, ohne nach der „Berechtigung“ dessen, was man tut, zu fragen, das geht einfach nicht. Damit ist man aber bereits in demjenigen Anwendungsbereich der Vernunft, eben dem praktischen, der unweigerlich auf den Begriff der Menschenwürde führt.

      „Die Schweine im Schweinestall sind dort nicht wegen ihrer fehlenden Würde, sondern wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Art.“

      Nein. Meister Yoda ist kein Mensch, das sieht man schon an den riesigen Ohren, und kommt doch nicht in den Stall. Ein Wesen, bei dem wir nicht umhin kommen, ihm Vernunft zuzuschreiben, darf nicht in den Stall kommen, egal welcher Art es angehört.

      Faktisch kann es natürlich hineinkommen, davor ist auch kein Mensch geschützt, nicht einmal ein ganz eng verwandter, man kann es immer wieder in der Zeitung lesen. Aber er soll da nicht hineinkommen, das ist ein unbedingtes Gebot der Vernunft. Das wissen Sie ja selbst. Auch wenn Ihnen Ihr Gefühl sagt, dieser Mensch sollte hineinkommen (z. B. wegen eines vielleicht durchaus verständlichen Hasses, den Sie auf ihn haben), so sagt Ihnen doch Ihre Vernunft, daß Sie diesem Gefühl nicht nachgeben dürfen. Die Vernunft in dieser Anwendung nennt man von alters her praktische Vernunft. Sie sagt das auch jemandem, der, als Positivist oder Naturalist, behauptet, es gebe sie gar nicht, sondern hier befinde man sich in dem Reich des Geisteslebens, in das u. a. auch die Dichtung gehört.

  25. L. Trepl:
    “Er hat diese (die Menschenwürde) insofern, als er ein moralisches Wesen ist. Jeder Mensch, auch der schlimmste, hat die Möglichkeit und die Aufgabe, ein solches Wesen zu werden. Das macht die „Menschenwürde“ aus, die allen gleichermaßen zukommt.”

    Um diese Aussage zu widerlegen, müsste man zeigen, dass sie eine reine Setzung ist, keine Feststellung. Da gäbe es zwei theoretische Möglichkeiten:

    1. Man weist nach, dass der Mensch kein moralisches Wesen ist. Das Problem ist, reichen dazu Gegenbeispiele, Ausnahmen (Unzurechnungsfähige, Zwangstäter, Demente, Kinder ohne Sozialisation etc.)? Ich denke nicht. Diese Ausnahmen bestimmen auch sonst nicht unsere Definition von Mensch. Es gibt auch Gesellschaften, wo die Moral implizit in Sitten und Gebräuchen und Verhaltenskodices geregelt ist, aber eine prinzipiell amoralische Gesellschaft ist mir nicht bekannt.
    Viele Begriffe haben Probleme der logischen Abgrenzung, ohne dass deswegen der Begriff wirklich aufgegeben werden kann oder muss.

    2. Man akzeptiert, dass der Mensch ein moralisches Wesen ist, aber verneint, dass man daraus den Schluss ziehen kann/darf, dass dem Menschen eine Menschenwürde zustehe. Meines Erachtens ist das unmöglich. Kennt jemand Gegenargumente?

    “Und jeder Einzelne gibt diesen unbedingten Wert, diese Würde sich selbst in dem Maße, wie er sich bemüht, dieser seiner moralischen Bestimmung gerecht zu werden.”

    Diese Formulierung ist vielleicht etwas problematisch, weil man sie in dem Sinne interpretieren könnte, dass jemand, der seiner moralischen Bestimmung nicht gerecht wird, in dem entsprechenden Maße nicht an der Menschenwürde teilhabe. Aber auch der schlimmste Verbrecher, auch ein Hitler, Stalin, etc. hat per se Menschenwürde.

    Im Grundgesetz steht: “Die Würde des Menschen ist unantastbar”. Das ist nicht nur als Verbot einer Verletzung des Achtungsanspruchs auf Menschenwürde gedacht, sondern als eine Feststellung.

    • Im Grundgesetz steht: “Die Würde des Menschen ist unantastbar”. Das ist nicht nur als Verbot einer Verletzung des Achtungsanspruchs auf Menschenwürde gedacht, sondern als eine Feststellung.

      Sozusagen angemessener wäre die Setzung als solche deutlicher herauszustellen, das gelang in der konstituierenden Volksversammlung u.a. auch deshalb nicht, weil sie divers war. [1] Nichts Schlimmes daran, aber es wäre vielleicht besser gewesen offen mit den Menschenrechten zu hantieren, die seit Dezember 1948 auf UN-Ebene bereitstanden, als Setzung.

      Die Menschenwürde als solche scheint ja eine bundesdeutsche Spezifität zu sein, sie war NS-motiviert sozusagen, es gibt sie in anderen Verfassungen meist nicht oder gar nicht. [2]

      Was sollen Menschenrechte oder Menschenwürde anderes sein als Setzungen?

      MFG
      Dr. W

      [1] die Tür zum Sozialismus sollte bspw. offen gehalten werden, wie einige seinerzeit fanden
      [2] sie wird auch nicht immer günstig ausgelegt, sondern als Täterwürde, leider leider sind die Opfer oft nicht mehr verfügbar, tot, hier gilt es also womöglich ein wenig aufzupassen

    • „‚Und jeder Einzelne gibt diesen unbedingten Wert, diese Würde sich selbst in dem Maße, wie er sich bemüht, dieser seiner moralischen Bestimmung gerecht zu werden.’ [Zitat von mir] Diese Formulierung ist vielleicht etwas problematisch, weil man sie in dem Sinne interpretieren könnte, dass jemand, der seiner moralischen Bestimmung nicht gerecht wird, in dem entsprechenden Maße nicht an der Menschenwürde teilhabe. Aber auch der schlimmste Verbrecher, auch ein Hitler, Stalin, etc. hat per se Menschenwürde.“

      Ich habe auch etwas gezögert, als ich das hinschrieb. Aber ich habe es dann doch gemacht:

      Wir sagen z. B., daß einer sich „wegwirft“. Oder wir reden davon, daß etwas die Menschenwürde „verletzt“. Was ist der Sinn dieser Redeweisen? Man selbst kann seine eigene Würde verletzten oder vernichten. Wenn einer etwas tut, das „die Menschenwürde verletzt“, dann nicht die des von der Handlung Betroffenen, sondern seine eigene. (Der Betroffene kann seine nur selbst verletzen, etwa indem er sich kriecherisch alles gefallen läßt.) Davon ist aber überhaupt nicht die Menschenwürde tangiert, die er als Mensch hat und die sich aus seinen Möglichkeiten als Mensch ergibt. Die kann er sich selbst nicht nehmen und auch kein anderer kann das. Wer seine eigene Würde durch seine Taten verletzt und sich selbst als einen „Nichtswürdigen“ bezeichnen muß, der hat sie für die anderen immer noch insofern, als er doch ein Mensch geblieben ist, ja er selbst kann sich distanzieren und seine Würde vor sich selbst wiedergewinnen.

      • (Der Betroffene kann seine nur selbst verletzen, etwa indem er sich kriecherisch alles gefallen läßt.)

        Ist einer, der nach eigener Aussage “aus Pflicht” gehandelt hat und dem nur “Winkeladvokaten und Rechtspositivisten” überhaupt etwas anhängen können, in diesem Sinne kriecherisch, wenn er trotz erwiesenermaßen selbstgeglaubter Schuldlosigkeit einem gewachsenen Druck nicht mehr standhält und selbst kündigt (anstatt sich rausschmeißen zu lassen)?

  26. Über den prinzipiellen Unterschied.

    Was ist nun von größerem Gewicht für unseren Umgang mit den Tieren, das, was sie faktisch mit uns Menschen verbindet, oder das, was sie „prinzipiell“ von uns trennt?

    Dieser „prinzipielle“ Unterschied zwischen Mensch und Tier beruht, wenn ich das richtig verstanden habe, nicht auf beobachtbaren Merkmalen, sondern ist eine Zuschreibung auf Grundlage unserer Vorstellungen vom Wesensunterschied von Mensch und Tier (z. B. Wissen um die eigene Sterblichkeit, Moral, Zwecksetzungen, etc., und, wie ich eben lese: Menschenwürde).

    Da dieser behauptete prinzipielle Unterschied sich der objektwissenschaftlichen Beobachtung entzieht, kann er wohl auch keiner graduellen Entwicklung unterliegen, ein prinzipieller Unterschied ist immer ganz vorhanden oder gar nicht.

    Ich habe meine Schwierigkeiten mit solch einer Vorstellung. Denn sie impliziert beispielsweise, dass auch ein zwei Tage alter Menschenembryo sich von allen anderen Säugerembryonen gleichen Alters prinzipiell unterscheidet. Der Mensch entstünde („entwickelte sich“) dann nicht in einem längeren Reifeprozess, so dass er ab einem mehr oder weniger beliebigen Zeitpunkt als Person oder Subjekt gilt, sondern wäre von Anfang an als Subjekt zur Gänze existent, also bereits zu einem Zeitpunkt, wo der „Mensch“ ohne technische Hilfsmittel als solcher noch gar nicht zu identifizieren ist. Das erscheint mit völlig kontraintuitiv. Wenn schon der prinzipielle Unterschied zwischen Mensch und Tier empirisch nicht feststellbar ist, so sollten Mensch und Tier doch zumindest als unterscheidbare Subjekte (oder Objekte) erkennbar sein.

    Ich finde, dass es völlig genügt, von „entscheidenden“ Unterschieden zwischen Mensch und Tier zu sprechen, wie es eben Iris Radisch im zitierten Artikel getan hat. Zwischen einem toten und einem lebenden Gegenstand besteht nach meinem Verständnis ein prinzipieller Unterschied. Ob auch zwischen Pflanzen und Tieren ein prinzipieller Unterschied besteht, könnte man diskutieren. Aber mit solchen Überlegungen wären wir ohnehin wieder im Bereich der Naturwissenschaften, und ob die überhaupt Aussagen zu „prinzipiellen“ Unterschieden machen können, wird im Blog-Artikel ja bestritten. Vielleicht sogar zu Recht. Vielleicht existiert der prinzipielle Unterschied zwischen Mensch und Tier wirklich nur in der Vorstellung der Menschen. Wie alles andere ja auch in der Vorstellung existiert, wenn vielleicht auch nicht nur.

    • Ich habe meine Schwierigkeiten mit solch einer Vorstellung. Denn sie impliziert beispielsweise, dass auch ein zwei Tage alter Menschenembryo sich von allen anderen Säugerembryonen gleichen Alters prinzipiell unterscheidet.

      Kaum glaublich, gell?
      MFG
      Dr. W

    • Ludwig Trepl, @Balanus.

      “Was ist nun von größerem Gewicht für unseren Umgang mit den Tieren, das, was sie faktisch mit uns Menschen verbindet, oder das, was sie „prinzipiell“ von uns trennt?“

      Da muß man fragen, wie das gemeint ist: (a) was ist von größerem Gewicht, (b) was soll von größerem Gewicht sein?

      Was ist von größerem Gewicht? Offenbar das, was Tiere faktisch mit uns Menschen verbindet, oder umgekehrt gesagt: das, worin Menschen sich von Tieren nicht prinzipiell, sondern nur graduell unterschieden. Menschen gehen mit Tieren um wie Tiere untereinander, sie gehen als Tiere mit den Tieren um: Sie nutzen sie rücksichtslos als Mittel zum eigenen Überleben und besserem Leben. Der graduelle, aber große Unterschied liegt in der höheren Entwicklung der Natureigenschaft der Intelligenz. Darum ist das faktische Verhältnis asymmetrisch. Tiere nutzen Menschen nur relativ selten als Mittel für sich (jedenfalls größere, Mücken schon).

      Was soll von größerem Gewicht sein? Da ist der prinzipielle Unterschied bereits in der Frage enthalten, denn Tiere sollen nicht. Sie verhalten sich einfach und haben ihr Verhalten nicht zu rechtfertigen. Menschen müssen das immer. Sie sollen vieles, wozu sie ihre Natur keineswegs treibt, und sie können Verantwortung haben, auch für Tiere, umgekehrt gilt das nicht; da liegt ein prinzipieller Unterschied. All das eben Genannte ergibt die „Würde“ des Menschen.

    • Ludwig Trepl, @ Balanus.

      „Ich habe meine Schwierigkeiten mit solch einer Vorstellung. Denn sie impliziert beispielsweise, dass auch ein zwei Tage alter Menschenembryo sich von allen anderen Säugerembryonen gleichen Alters prinzipiell unterscheidet.“

      Der prinzipielle Unterschied liegt ganz einfach darin, daß der Menschenembryo zu einem Menschen werden kann, der andere Säugerembryo aber nicht.

      Die Menschenwürde kommt (sofern man sie auf der Ebene der Moral begründet) dem Menschen (allen Menschen) deshalb zu, weil sie zu dem werden sollen, was ihre „Bestimmung“ ist, nicht, weil sie dieser schon entsprechen. Auch dem Schlimmsten kommt die Menschenwürde eben deshalb zu.

    • Ludwig Trepl, @ Balanus.

      „Dieser ‚prinzipielle’ Unterschied zwischen Mensch und Tier beruht …nicht auf beobachtbaren Merkmalen, sondern ist eine Zuschreibung auf Grundlage unserer Vorstellungen vom Wesensunterschied von Mensch und Tier“.

      Er beruht nicht auf der „Grundlage unserer Vorstellungen vom Wesensunterschied“, das wäre ein Zirkel. Er beruht auf dem Nachdenken („Beobachtung“ würde es nicht so recht treffen) über das, was uns selbst ausmacht, und das ergibt dann diese “Grundlagen”. Wir „schreiben“ es uns nicht „zu“, daß wir unsere Taten zu rechtfertigen haben, daß es uns verboten ist, bestimmte Dinge zu tun, daß wir Verantwortung haben usw., so, als ob wir diese „Zuschreibung“ auch lassen könnten. Sondern wir erkennen das, indem wir über uns als praktische, handelnde Wesen nachdenken. Da beobachten wir keine „Merkmale“, sondern sehen uns, ohne daß ein äußerer, etwa gesetzlicher Zwang bestünde, sozusagen von innen her „genötigt“,z. B. ein Versprechen einzuhalten, oder jemandem zu helfen, für den wir „verantwortlich“ sind.

      Sie werden wohl sagen, daß das sinnlose Begriffe sind oder nur selbstgemachte im Sinne von willkürlichen Vorstellungen, an deren Stelle man nach Belieben auch andere setzen könnte, weil sie in den Naturwissenschaften, also innerhalb des Horizonts, in dem Sie sich eingegraben haben, nicht verkommen können. Aber versuchen Sie doch mal, ohne sie auszukommen.

    • @ Balanus

      „Vielleicht existiert der prinzipielle Unterschied zwischen Mensch und Tier wirklich nur in der Vorstellung der Menschen. Wie alles andere ja auch in der Vorstellung existiert, wenn vielleicht auch nicht nur.“

      Worauf wollen Sie hinaus? Es gibt manches, das existiert in der Vorstellung des Menschen, aber nicht nur, so wie ein Berg oder ein Baum in unserer Vorstellung existiert, wenn wir ihn uns vorstellen, aber auch unabhängig von ihr: Er existiert auch, wenn wir ihn uns nicht vorstellen. Demgegenüber gibt es anderes, das existiert nur in unserer Vorstellung, z. B. Elfen und Vampire oder ausgedachte Bäume. Und Menschenwürde wäre auch so etwas. Ohne unsere Vorstellung gäbe es sie nicht. So etwa?

      Das wäre aber falsch. Auch wenn kein Mensch eine Vorstellung von Menschenwürde hätte: Die Menschen hätten sie doch. Es wäre eben wegen dieser Würde nicht erlaubt, Menschen wie Sachen zu behandeln.

      Wir können unsere Vernunft verschieden anwenden. Wir können sie auf die Frage anwenden, was in der Welt ist; das machen die positiven Wissenschaften; hier spricht man von „theoretischer“ Vernunft. Wir können sie auch auf die Frage anwenden, was wir sollen; hier spricht man von „praktischer“ Vernunft. Beide Felder sind gleichermaßen, wenn auch nicht in gleicher Art, wirklich. Unsere Vorstellung vom Sollen und seine Implikationen (z. B. „Menschenwürde“) sind darum nicht bloße Vorstellungen von der Art einer Phantasie, sondern haben einen wirklichen Gegenstand: unsere Praxis. Daraus, daß das kein Gegenstand der Naturwissenschaft ist, folgt nicht, daß es ihn nicht gibt.

      • Das wäre aber falsch. Auch wenn kein Mensch eine Vorstellung von Menschenwürde hätte: Die Menschen hätten sie doch. Es wäre eben wegen dieser Würde nicht erlaubt, Menschen wie Sachen zu behandeln.

        Das wäre dann früher einem Säbelzahntiger oder einem Wolfsrudel zu erklären gewesen, von den Ratten und Bären ganz zu schweigen.
        Hmm, hmm, sofern die nicht auch X-Würde hätten.

        MFG
        Dr. W (der die ganze Misere so auf den Punkt gebracht sieht, wenn ohne Setzungen und “frei Bauch” postuliert, geurteilt & gepruckelt wird)

        • @ Webbaer.

          „’Auch wenn kein Mensch eine Vorstellung von Menschenwürde hätte: Die Menschen hätten sie doch. Es wäre eben wegen dieser Würde nicht erlaubt, Menschen wie Sachen zu behandeln.’ [Zitat von mir] Das wäre dann früher einem Säbelzahntiger oder einem Wolfsrudel zu erklären gewesen“.

          Nein, die verstehen es ja nicht, und sie sollen ja auch keineswegs Menschen nicht wie Sachen behandeln. Sie dürfen nicht etwa Menschen auffressen wie irgendeine andere Sache, die ihnen schmeckt, sondern bezogen auf sie ist der Begriff des Dürfens wie der des Sollens einfach nicht anzuwenden.

          Zu erklären wäre es vielmehr einem Sklavenhalter, denn der kann es prinzipiell verstehen. Und wenn er es nicht versteht oder zwar versteht, aber interessenbedingt nicht wahrhaben will, dann wäre zu überlegen (wohlgemerkt: zu überlegen), ob es nicht moralisch zu rechtfertigen ist, mit ihm so zu verfahren, wie es die Kapitäne der auf Veranlassung der britischen Liberalen losgeschickten Kriegsschiffe gemacht haben, die den Atlantik nach Schiffen von Sklavenhändlern absuchten: Sie haben deren Kapitäne aufgeknüpft. Oder wie Spartakus und seine Leute (zu der Zeit hatte vielleicht wirklich keiner eine Vorstellung von Menschenwürde): Die haben ihre Besitzer erschlagen, und sie durften das (da muß man nicht lange überlegen).

          • Lieber Herr Trepl, diese Aussage ist hoch problematisch: ‘Auch wenn kein Mensch eine Vorstellung von Menschenwürde hätte: Die Menschen hätten sie doch.’

            Das ist eine hypothetische Zuschreibung von außen, die ja ganz ähnlich auch von Ihnen kritisierte Kräfte über Tiere versuchen. [1].

            Es spricht doch nichts dagegen, dass irgendwann eine Setzung zu den Menschenrechten (“Menschenwürde” gefällt dem Schreiber dieser Zeilen begrifflich nicht so – siehe an anderer Stelle) gefunden worden ist und dass das auch gut so ist.
            Übrigens hatten auch die alten Stoiker keine brauchbare Vorstellung von “Menschenwürde”.

            MFG, schönes Wochenende!
            Dr. W

            [1] oder Sie sind falsch verstanden worden oder haben sich unglücklich ausgedrückt

          • „Lieber Herr Trepl, diese Aussage ist hoch problematisch: ‘Auch wenn kein Mensch eine Vorstellung von Menschenwürde hätte: Die Menschen hätten sie doch.’ Das ist eine hypothetische Zuschreibung von außen“

            Passen Sie auf, wo Sie damit hingeraten. In einer Gesellschaft, in der Sklaverei üblich ist und es keine Vorstellung davon gibt, daß das mit der Menschenwürde unvereinbar ist (allenfalls den individuellen Wunsch von Sklaven, frei zu kommen – nicht aber, daß es keine Sklaverei geben solle), wäre also die Sklaverei in Ordnung? Weil die Menschenwürde nur „hypothetisch“ (was soll dieses Wort hier?) „von außen“ (wieso bin ich, der das kritisiert, da „außen“? Das haben die Ku-Klux-Klan-Leute zu den Bürgerrechtlern aus nördlicheren Staaten in den 60er Jahren gesagt: geht doch nach Hause!) „zugeschrieben“ wird? In einer Gesellschaft, in der mit den Frauen so umgegangen wird, wie es heute in manchen islamischen Ländern noch geschieht, wäre das in Ordnung, weil es diese Gesellschaft für richtig hält? Mich erinnert das an die Verteidigung von NS-Verbrechern: Aber das war damals eben so, so dachten wir halt, und nun kommen irgendwelche Amerikaner und belehren uns „von außen“.

            „Menschenrechten (‚Menschenwürde’ gefällt dem Schreiber dieser Zeilen begrifflich nicht so …“

            Es muß einen Grund geben, den Menschen Menschenrechte zuzuschreiben. Diesen Grund nennt man Menschenwürde. Man kann die Frage stellen: Was sind die Menschen denn wert, daß man sie anders behandeln soll als Schlachtvieh, daß man ihnen „Menschenrechte“ gewähren soll? – Es gibt also keine Menschenrechte ohne Menschenwürde (also einen Wert, „der kein Äquivalent verstattet“), sie lassen sich anders nicht begründen.

          • Dr. Webbaer an Ludwig Trepl :

            ‘Auch wenn kein Mensch eine Vorstellung von Menschenwürde hätte: Die Menschen hätten sie doch.’ (Ludwig Trepl)

            Gemeint war in der obigen Kritik, dass die Zuschreibung wegen der Bedingung ‘wenn kein Mensch eine Vorstellung von Menschenwürde hätte’ hypothetisch ist. Sie ist zudem eine Zuschreibung und sie erfolgt ‘von außen’, weil sie ja nicht im hypothetisch bereitgestellten Szenario von innen erfolgen kann, weil das ja ausgeschlossen wurde.

            Bitte also keine Überinterpretationen.

            Dass die Behauptung ‘sie hätten sie doch’ für Großaffen und anderes Getier im möglicherweise [1] intendierten Sinne auch funktioniert, war die weiter oben versuchte Kritik an Ihrer Zuschreibung.

            MFG
            Dr. W

            [1] die Einschränkung hier: Ihr Kommentatorenfreund glaubt Ihnen (noch) nicht, dass Sie es so meinen, wie es geschrieben steht

  27. Hauptpunkt wird nicht diskutiert.
    Von Ludwig Trepl.

    Die Diskussion scheint allmählich abzuebben. Ich will noch ein Defizit an ihr ansprechen: Die zentrale Behauptung meines Artikels wurde so gut wie gar nicht diskutiert. Diese Behauptung ist: Es gibt zwischen Tieren und Menschen einen prinzipiellen Unterschied, nicht nur einen graduellen. Der prinzipielle ist mit dem Begriff der Menschenwürde erfaßt. Dem hat niemand widersprochen. Auch wenn einige die heute gängige Behauptung von den allein graduellen Unterschieden wiederholt haben, so haben sie doch nicht versucht, die (oder diese) Behauptung vom prinzipiellen Unterschied zu widerlegen. Das hätte ich mir aber erhofft, nur dann hätten wir in der entscheidenden Frage weiterkommen können.

    • Der prinzipielle ist mit dem Begriff der Menschenwürde erfaßt. Dem hat niemand widersprochen. Auch wenn einige die heute gängige Behauptung von den allein graduellen Unterschieden wiederholt haben, so haben sie doch nicht versucht, die (oder diese) Behauptung vom prinzipiellen Unterschied zu widerlegen.

      Ihr Kommentatorenfreund Dr. Webbaer hat sehr wohl die ‘gängige gängige Behauptung von den allein graduellen Unterschieden’ eingeordnet, philosophisch-politisch, und erklärt.
      Die derartige Behauptung ist nicht ‘zu widerlegen’, aber wohlbegründet zurückzuweisen; wobei gerade auch die konstruktivistisch-dekonstruktivistische Herangehensweise der derart Argumentierenden verwendet werden konnte. [1]
      MFG
      Dr. W

      [1] die “Ich find so oder so”-Generation der diesbezüglich Behauptenden (“graduelle Unterschiede”) ohne philosophischen Überbau ist so natürlich nicht zu packen, die ist gar nicht zu packen

    • @L. Trepl

      Es gibt zwischen Tieren und Menschen einen prinzipiellen Unterschied, nicht nur einen graduellen. Der prinzipielle ist mit dem Begriff der Menschenwürde erfaßt. Dem hat niemand widersprochen.

      Ich bin mir sicher, dass sich aus der Gesamtheit der Spezies einzelne herauspicken lassen, die sich bezüglich aller anderen prinzipiell in irgendeiner Hinsicht unterscheiden. Dieser prinzipielle Unterschied ist zunächst nichts anderes als ein “rosa Elefant”, jedenfalls solange man nicht zeigt, dass das, was man eigentlich behaupten will, aus seinem Vorhandensein logisch folgt.

      Auch wenn einige die heute gängige Behauptung von den allein graduellen Unterschieden wiederholt haben, so haben sie doch nicht versucht, die (oder diese) Behauptung vom prinzipiellen Unterschied zu widerlegen

      Die Beweislast für Aussagen liegt bei dem, der sich auf sie beruft. Das schlichte Vorzeigen eines rosa Elefanten erlegt den anderen keine Pflicht auf, irgendetwas zu widerlegen, was schon logisch nicht aus dem Vorhandensein einer Eigenschaft folgt, etwa ein Sollen.

      • @ Ano Nym :

        Auch wenn einige die heute gängige Behauptung von den allein graduellen Unterschieden wiederholt haben, so haben sie doch nicht versucht, die (oder diese) Behauptung vom prinzipiellen Unterschied zu widerlegen. (Dr. Trepl)

        Die Beweislast für Aussagen liegt bei dem, der sich auf sie beruft. Das schlichte Vorzeigen eines rosa Elefanten erlegt den anderen keine Pflicht auf, irgendetwas zu widerlegen, was schon logisch nicht aus dem Vorhandensein einer Eigenschaft folgt, etwa ein Sollen.

        Ihr Kommentatorenfreund, Herr Ano Nym, muss hier natürlich konzidieren, dass Sie im Ringen um das Sein und die Konstruktivität der Begriffe und der Erkenntnis betreffend zurückfallen, als Relativist oder Nihilist oder gar als einer der “Ich find so oder so”-Generation.

        Wobei Sie sich immerhin schon konstruktivistisch bemühen und das Konstrukt als solches ansatzweise zu bearbeiten gedenken.
        Was nicht schlecht ist, in den Redaktionen bspw. der ZEIT, der SZ oder des SPOn finden sich auch Kollegen, die gar nicht wissen, um was es geht.

        Also, der ‘rosa Elefant’, wie Sie es nennen, ist leider leider das Einzige, das dem Primaten bleibt, wenn er sittlich (vs, Verhalten nur beschreibend) unterwegs ist.
        Sie könnten auch ein wenig mehr konstruktivistisch bemüht sein, wie Ihr Kommentatorenkollege findet, die Dekonstruktion kann in beliebiger Granularität (dbgzl. finden Sie einen Einstieg in der hiesigen Kommentatorik) weitergeführt werden.

        MFG
        Dr. W

      • Die v2.0 darf natürlich nicht fehlen, ein Dank auch den hiesigen Systemingenieuren, die dem Kommentator die Vorschau bestmöglich zu verbauen wussten:

        @ Ano Nym :

        Auch wenn einige die heute gängige Behauptung von den allein graduellen Unterschieden wiederholt haben, so haben sie doch nicht versucht, die (oder diese) Behauptung vom prinzipiellen Unterschied zu widerlegen. (Dr. Trepl)

        Die Beweislast für Aussagen liegt bei dem, der sich auf sie beruft. Das schlichte Vorzeigen eines rosa Elefanten erlegt den anderen keine Pflicht auf, irgendetwas zu widerlegen, was schon logisch nicht aus dem Vorhandensein einer Eigenschaft folgt, etwa ein Sollen.

        Ihr Kommentatorenfreund, Herr Ano Nym, muss hier natürlich konzidieren, dass Sie im Ringen um das Sein und die Konstruktivität der Begriffe und der Erkenntnis betreffend zurückfallen, als Relativist oder Nihilist oder gar als einer der “Ich find so oder so”-Generation.

        Wobei Sie sich immerhin schon konstruktivistisch bemühen und das Konstrukt als solches ansatzweise zu bearbeiten gedenken.
        Was nicht schlecht ist, in den Redaktionen bspw. der ZEIT, der SZ oder des SPOn finden sich auch Kollegen, die gar nicht wissen, um was es geht.

        Also, der ‘rosa Elefant’, wie Sie es nennen, ist leider leider das Einzige, das dem Primaten bleibt, wenn er sittlich (vs, Verhalten nur beschreibend) unterwegs ist.
        Sie könnten auch ein wenig mehr konstruktivistisch bemüht sein, wie Ihr Kommentatorenkollege findet, die Dekonstruktion kann in beliebiger Granularität (dbgzl. finden Sie einen Einstieg in der hiesigen Kommentatorik) weitergeführt werden.

        MFG
        Dr. W

        • Aja, danke für die Korrektur.
          Wenn es weiter oben noch ‘konzedieren’ heißen könnte…

          MFG
          Dr. W (der sich nun langsam ausklinkt)

      • „Ich bin mir sicher, dass sich aus der Gesamtheit der Spezies einzelne herauspicken lassen, die sich bezüglich aller anderen prinzipiell in irgendeiner Hinsicht unterscheiden.“

        Das habe ich ja gerade nicht gemacht. Ich habe nicht von Einzelnen gesprochen, die irgendwelche besonderen Eigenschaften haben, sondern von „dem Menschen“ und von etwas, was allen ohne Ausnahme zukommt.

        „Die Beweislast für Aussagen liegt bei dem, der sich auf sie beruft. Das schlichte Vorzeigen eines rosa Elefanten erlegt den anderen keine Pflicht auf, irgendetwas zu widerlegen“

        Abgesehen davon, daß es, wie eben gesagt, nicht um einen „rosa Elefanten“ geht: Ich habe die Menschenwürde nicht bloß „vorgezeigt“, sondern habe auch die “Logik” skizziert, nach der sie zustande kommt. Gewiß nur skizziert, ich habe das nicht so ausgeführt, wie es nötig wäre, wenn man jemandem, der gar nichts davon weiß, die Sache erklären will. Denn ich habe gedacht, in einem Fall, der in den letzten 2000 Jahren mehr oder weniger indirekt (meist unter dem Titel „Gottesebenbildlichkeit“) und in den letzten 200 Jahren direkt in allen Facetten ausgebreitet worden ist, so daß er ganze Bibliotheken füllt, reicht es, daran zu erinnern, dann wissen die gebildeten Leute, die Scilogs lesen und kommentieren, schon, was gemeint ist. Aber da habe ich mich wohl getäuscht. Zumindest manche derjenigen, die eine bestimmte Auffassung ablehnen, meinen, daß ihnen eben das die Erlaubnis gibt, diese Auffassung gar nicht zu kennen.

  28. Vielleicht heißt das, was ich meine, „Rechnen“ und nicht „Mathematik“. Dennoch stelle ich mir auch die richtige Mathematik (von der ich nicht die geringste Ahnung habe), so vor, daß man da manchmal auch Aufgaben lösen muß und daß man die richtig und falsch lösen kann

    Ja. Die Gleichung x²=16 kann man beispielsweise mittels der Umformung “Dividiere alle vorkommenden Zahlen durch 2” in x=8 umformen aber das stellt keine Äquivalenzumformung [1] dar, weil die umgeformte Gleichung für andere Werte von x wahr wird als die ursprüngliche Gleichung. Zum deskriptiven Verkündigungsgehalt der Mathematik gehört nun u.a. welche der möglichen Umformungen Äquivalenzumformungen bzw. welche das nicht sind.

    Schüler, denen im Mathematikunterricht die Aufgabe “Bestimme die Lösungen der Gleichung x²=16” aufgetragen wird, sollen auf dem Weg zum Ergebnis regelmäßig nur solche Äquivalenzumformungen vorzunehmen. Ein Verstoß gegen diese (implizite) Norm wird als Fehler gewertet (auch wenn das Ergebnis zufällig richtig ist). Und selbstverständlich wäre das auch ein Fehler, unterliefe er in einem mathematischen paper.

    Aber ist deswegen dieses Sollen Teil der Mathematik selbst? Die Mathematikunterrichts-Norm “Du sollst nur Äquivalenzumformungen verwenden” ist m.E. genau so wie die Kartenspiel-Norm “Es muss bedient werden.” ein Werk des Spielveranstalters, also Menschenwerk.

    [1] http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84quivalenzumformung

    • @ Ano Nym

      Danke, wieder etwas gelernt. Nur mit dem letzten Satz habe ich Schwierigkeiten:

      „Aber ist deswegen dieses Sollen Teil der Mathematik selbst? Die Mathematikunterrichts-Norm ‚Du sollst nur Äquivalenzumformungen verwenden’ ist m.E. genau so wie die Kartenspiel-Norm ‚Es muss bedient werden.’ ein Werk des Spielveranstalters, also Menschenwerk.“

      Alles, was Gedanke ist (Gedankeninhalt, Proposition), unterliegt der Geltungsdifferenz: Es kann gültig oder nicht gültig sein. Das impliziert Normatives: Der Gedanke soll gültig sein; er kann Wahres und Falsches, soll aber Wahres und nicht Falsches vom Gegenstand aussagen. – Wenn man sagt, die Wissenschaft steht unter der Idee der Wahrheit, dann heißt das, daß sie darunter notwendig steht, daß es logische Implikation des Begriffs der Wissenschaft ist, unter dieser Idee zu stehen.

      Was heißt da nun „Menschenwerk“? Das muß man differenzierter betrachten. Die Wissenschaft (auch die Mathematik, auch die Logik) ist in bestimmtem Sinne Menschenwerk: Sie existiert nirgendwo anders als im Denken der Menschen, und Menschen bringen sie hervor. Aber sie bringen sie nicht völlig willkürlich hervor wie der allmächtige Nominalistengott die Schöpfung, sondern sind dabei streng an etwas gebunden, was zwar ihnen selbst angehört, was die aber doch nicht in der Hand haben, sondern nach dem sie sich zu richten haben. Man nennt das „Vernunft“, für die Wissenschaft insbesondere „Logik“. Die empirische Wissenschaft ist außerdem gebunden an etwas, das sie ganz und gar nicht in der Hand hat: die „Welt“, der ihre Aussagen „entsprechen“ sollen, was immer das heißt. Gott spricht: Es werde Licht, und dann ward Licht. Der Wissenschaftler aber muß sehen, ob es Licht wirklich gibt, er kann es nicht durch sein Denken erzeugen.

      „Menschenwerk“ in einem eindeutigen Sinn kommt in unserem Fall auch vor, aber an anderer Stelle. Die Wissenschaft (das Denken überhaupt) soll zwar ihrer eigenen Logik nach Wahres und nicht Falsches hervorbringen, aber der Mensch muß das nicht (abgesehen davon, daß er es auch nicht immer kann). Der Mensch kann beschließen, sich von diesem Geschäft ganz zu verabschieden oder aus irgendeinem Grund hier und da Falsches zu behaupten. Das hat er ganz in der Hand.

      • Alles, was Gedanke ist (Gedankeninhalt, Proposition), unterliegt der Geltungsdifferenz: Es kann gültig oder nicht gültig sein. Das impliziert Normatives: Der Gedanke soll gültig sein; er kann Wahres und Falsches, soll aber Wahres und nicht Falsches vom Gegenstand aussagen.

        Ich denke, dass dieser Satz zu umfassend ist: Weil Aussagen über Zukünftiges noch nicht wahr sind, sind sie heute falsch. Tertium non datur. Wenn ich also heute etwas denke, was morgen sein wird, denke ich etwas Falsches. Ich denke also einen ungültigen Gedanken. Das gilt aber regelmäßig nur dann als problematisch (für und von anderen), wenn das, was ich mir da vorstelle, moralisch oder rechtlich missbilligt ist. Sonst bezeichnet man solche Gedanken als Planung, Traum, Phantasie usw.

        Aber sie [die Menschen] bringen sie [die Mathematik] nicht völlig willkürlich hervor wie der allmächtige Nominalistengott die Schöpfung, sondern sind dabei streng an etwas gebunden, was zwar ihnen selbst angehört, was die aber doch nicht in der Hand haben, sondern nach dem sie sich zu richten haben.

        Ja. Das stimmt, aber der Streit geht um die Frage, ob das, was man da nicht in der Hand hat, eine absolute normative Komponente besitzt. Und das würde ich jedenfalls bei der Mathematik bestreiten. Ich hatte geschrieben: »Zum deskriptiven Verkündigungsgehalt der Mathematik gehört nun u.a. welche der möglichen Umformungen Äquivalenzumformungen bzw. welche das nicht sind.« Diese Scheidung der Umformungen in äquivalente und solche, die das nicht sind, das ist kein Menschenwerk, das ist mathematische Struktur. Aber die Mathematik selbst bringt nicht hervor, dass man auf Gleichungen nur Äquivalenzumformungen anwenden soll und nicht andere Umformungen. Die Norm, dass nur Äquivalenzumformungen zulässig sein sollen, ist dem Willen geschuldet, Mathematik auf diese Art treiben oder paper schreiben zu wollen, die von anderen, die ebenfalls diese Regeln befolgen, anerkannt werden. Das Licht einschalten soll nur der, der im Dunkeln etwas sehen will.

  29. Analogien liefern andere normative Disziplinen, z. B. die Mathematik. Sie untersucht nicht, wie faktisch gerechnet wird (z. B. wie viele Prozent einer Schulklasse im allgemeinen falsch rechnen), sondern wie – egal wie faktisch gerechnet wird – gerechnet werden soll.

    Ich komme nicht ganz mit. Wieso soll die Mathematik eine normative Disziplin sein? Verwechseln Sie vielleicht das Schulfach Mathematik mit der Mathematik? Was unter Mathematik zu verstehen ist kommt in dieser Fomulierung zum Ausdruck: »Für Mathematik gibt es keine allgemein anerkannte Definition; heute wird sie üblicherweise als eine Wissenschaft beschrieben, die durch logische Definitionen selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht.« (WP)

    Nach meinem Dafürhalten ist die Mathematik genausowenig normativ wie eine der Naturwissenschaften, sondern deskriptiv: Ihr Wissen wird durch die Gesamtheit aller bekannten Theoreme in den jeweiligen Axiomensystenen konstituiert.

    • „Verwechseln Sie vielleicht das Schulfach Mathematik mit der Mathematik“

      Ich bin da etwas überfordert. In der Tat habe ich an das Schulfach gedacht, sonst hätte ich nicht die falschen Ergebnisse der Mathearbeit gegen das setzen können, was rauszukommen hat (und nur darum ging es in meinem Zusammenhang, Ihr Einwand berührt also meine Argumentation nicht). Vielleicht heißt das, was ich meine, „Rechnen“ und nicht „Mathematik“. Dennoch stelle ich mir auch die richtige Mathematik (von der ich nicht die geringste Ahnung habe), so vor, daß man da manchmal auch Aufgaben lösen muß und daß man die richtig und falsch lösen kann und daß das doch etwas anderes ist als in einer deskriptiven Wissenschaft von der Art der Naturwissenschaft, in der man die Beschreibung auch richtig und falsch machen kann und die insofern eine normative Komponente hat (denn sie soll ja richtig und nicht falsch beschreiben), die sie aber nicht zu einer normativen Wissenschaft macht. Falsch kann sie auf zweierlei Arten werden: logische Mängel und falscher Gegenstandsbezug. Letzteres entfällt wohl, wenn man Mathematik als deskriptive Wissenschaft auffaßt.

      Die Logik ist auf jeden Fall normativ: Sie untersucht nicht, wie faktisch gedacht wird, sondern schreibt vor, wie gedacht werden soll, auch wenn die Logiker versuchen, das System der Formen des Denkens zu beschreiben, das sie sozusagen wie ein nur teilweise bekanntes Objekt vor sich liegen haben.

  30. Toller Text – wenngleich ein einsames, langsam verstummendes Rufen in der Wüste von Konstruktivismus, Szientismus, Materialismus …

    Der Mensch ist vor allem Möglichkeit und Streben nach der Verwirklichung seiner besten Möglichkeiten ist das Wesen seines Handelns; es unterscheidet ihn prinzipiell vom Tier und verleiht im Würde.

    Kein Mensch verwirklicht sein ganzes Potential, das Gute in seiner Fülle.

    Auch im schwerbehinderten Menschen sehen oder erahnen wir diese Möglichkeit – obwohl sie nicht verwirklicht werden wird. Was uns traurig macht und unser Mitgefühl weckt.

    Das Tier verwirklicht seine Möglichkeiten dagegen immer schon in Gänze; in seiner Existenz steht nie noch irgendetwas aus. Wir sehen es daher auch so, wie es ist – und nicht in dem, was es einmal werden könnte. Das Tier selbst richtet seine Existenz nicht an seinen Möglichkeiten aus.

    Dürfen / sollen wir Tiere essen?

    Es liegt an uns, auch für unseren Umgang mit den Tieren die beste Möglichkeit (das Gute) zu erkennen und zu tun. Möglicherweise würde es unserer eigenen Würde zugute kommen und unser Leben in ein besseres Leben verwandeln, wenn wir auf die Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken verzichteten. Das jedoch müsste ergebnisoffen diskutiert werden. Im Hinblick auf das Quälen von Tieren haben die letzten 20-30 Jahre hier ziemlich klare Ergebnisse geliefert.

    • “Lassen Sie sich bitte von teils überraschenden Kommentaren nicht abschrecken” :

      “Das Tier verwirklicht seine Möglichkeiten dagegen immer schon in Gänze”

      !?

      Ein Ende unter dem Pflug, im Abfalleimer, im Kochtopf oder im Löwenkäfig; das sollen für ausgewählte Tiere ihre Möglichkeiten in Gänze sein?

      Hier steht sowohl in der Existenz der Tiere als auch im Denken des Menschen mit Sicherheit noch etwas aus.

      • Ludwig Trepl, @ Joker.

        Aber wenn das Huhn nicht im Kochtopf und der Löwe nicht im Käfig endet, sondern alles durchläuft, was „vorgesehen“ ist für sein Leben, dann hat es seine „Möglichkeiten in Gänze verwirklicht“. Beim Menschen ist das prinzipiell anders. Er ist, was immer er auch erreichen mag im Leben, immer unendlich weit von dem entfernt, was er erreichen will und was er erreichen soll, was seine „Bestimmung“ ist, und er ist sich dessen bewußt. Bei keinem Menschen, auch dem beschränktesten, ist das anders. Das ist ein Aspekt dessen, oder wenigstens dem ähnlich, was Hegel als „unglückliches Bewußtsein“ beschrieben hat. Der glaubte aber, daß man darüber hinauskommen könnte, ich nicht.

        • Beim Ende im Löwenkäfig habe ich nicht an einen Löwen gedacht, sondern an den Giraffen Marius aus einem dänischen Zoo, dessen existentielle Möglichkeiten, zumindest bei seinem durch Menschen vorzeitig verursachten Ableben, mir noch nicht ganz ausgeschöpft schienen, z.B. in Hinsicht auf seine sicherlich potentiell vorhandene Möglichkeit Nachwuchs zu zeugen. (Womit er vielleicht sogar zum Guten hätte beitragen können . Aber das ist natürlich eine andere schwierige Frage.)

          Als bekennender Determinist benutze ich den Begriff Möglichkeit – soweit ich achtsam bin – nur im Sinne epistemischer Unsicherheit oder in der Logik. Herr Hoppe und Sie verwenden ihn sicher anders. Wenn Sie den Begriff der Entscheidung allein beim Menschen zutreffend finden und nicht bei Tieren, weil Entscheidungen reflektiert und auf Ziele ausgerichtet sein sollen, so kann ich dieses noch nachvollziehen (auch wenn ich nicht zustimme). Dass Sie nun aber auch noch den Begriff der Möglichkeit in besonderer Weise dem Menschen zuordnen, das wirkt doch etwas seltsam.

          Möglichkeit beinhaltet doch immer, dass es auch anders kommen kann, eventuell eine andere Möglichkeit realisiert wird. Selbst wenn Möglichkeit hier im Sinne von Potentialen gemeint wäre, kann auch ein Tier niemals alles erreichen, was es potentiell könnte. “Alle Möglichkeiten in Gänze zu verwirklichen”, ist eine logische Unmöglichkeit. Wenn ein Tier das erreicht hat, hat es keine Möglichkeiten gehabt. Nur, wenn das gemeint ist, dann sollten Sie und Herr Hoppe es doch bitte anders formulieren, einfacher (nicht so wie Hegel oder, ich muss hier noch etwas Abstand dazwischenbringen, Dr. W).

          • Ludwig Trepl, @ Joker.

            In dem Sinne, wie Sie hier Möglichkeit benutzen, sind die Möglichkeiten auch bei einem Tier, ja selbst bei einem nicht lebenden Ding nie ganz ausgeschöpft. Das ist aber trivial. Die Hamburger Giraffe hätte, im Bereich des Möglichen wäre das durchaus gewesen, vielleicht noch eine Reise in den Zoo von Moskau machen können, ihr hätten die Haare ausgehen können oder sie hätte die Erfahrung eines Oberschenkelhalsbruchs machen können. Und ein Holzklotz hätte, wenn man ihn nicht verbrannt hätte, zu einem Kunstwerk verarbeitet werden können.

            Das ist hier natürlich nicht gemeint. Man hat früher zwei Arten von Möglichkeiten unterschieden, da gab’s lateinische Wörter dafür, ich weiß sie leider nicht, bin nicht vom Fach. Aber diese Unterscheidung machen wir im täglichen Leben immerzu und sie ist relevant. Die eine Art ist die eben genannte. Die andere haben wir im Sinn, wenn wir sagen „er ist im Beruf unter seinen Möglichkeiten geblieben“ oder „im Ei ist bereits das als Möglichkeit (als „Anlage“) vorhanden, was beim adulten Tier dann Wirklichkeit ist“. Da hat „Möglichkeit“ einen teleologischen und einen normativen Sinn. Wir benutzen diesen Begriff bezogen auf Tiere und Pflanzen und auf Menschen. Wenn wir z. B. von „Fehlentwicklung“ sprechen, etwa weil eine Extremität im Wachstum zurückbleibt, dann verwirklicht das Tier nicht seine Möglichkeiten – es wird nicht so, wie es werden soll, es entspricht nicht der Norm. Eine Möglichkeit im erstgenannten Sinn aber ist das natürlich nicht weniger als wenn das Tier normal wächst.

            Der Unterschied zwischen Menschen und Tieren liegt nicht darin, daß auf die einen dieser zweitgenannte Möglichkeitsbegriff anzuwenden ist und auf die anderen nicht. Er liegt vielmehr darin, daß diejenige „Bestimmung“, die der Mensch hat und der er, wie ihm bewußt ist, nachkommen soll, nicht darin liegt, erwachsen zu werden und Junge zu bekommen (also einen bestimmten natürlichen Weg zu nehmen und etwas zu erfüllen, was er tatsächlich erfüllen kann), sondern an erster Stelle moralischer Art ist und ihn mithin „unendlich über alle Natur erhebt“ – und daß er dieser Bestimmung garantiert nie gerecht werden wird, daß ein qualitativer Sprung zwischen dem bleiben wird, was er erreichen wird und was er erreichen soll und auch möchte (um den Sprung zu tun, müßte er in den Himmel kommen). Tiere sollen dergleichen nicht, es gibt keinen solchen qualitativen Sprung.

            Und zugleich ist der Mensch insofern nicht festgelegt, sondern ein „Möglichkeitswesen“, als er nicht in einer ökologischen Nische festsitzt, vielmehr seine Zukunft und die seiner Stellung in der Natur in einem radikalen Sinne offen ist, “es ist alles möglich”. Das hat nun nichts mit Teleologie und Normativem zu tun, sondern bezieht sich rein auf mögliches Faktisches. Ein Hase hat nicht die Möglichkeit zu fliegen, die Menschen hatten sie auch nicht, jetzt haben sie sie.

          • Joker @ Ludwig Trepl

            “Man hat früher zwei Arten von Möglichkeiten unterschieden”

            Ich dachte, ich hätte schon die beiden Möglichkeiten, Möglichkeit zu interpretieren, selbst angesprochen (mit den Potentialen). Auf jeden Fall habe ich auch nach Ihren Ausführungen keine Möglichkeit erkannt, dem Satz von Herrn Hoppe “Das Tier verwirklicht seine Möglichkeiten dagegen immer schon in Gänze” zustimmen zu können.

            Es ist mir auch schleierhaft, wie ich aus Hoppes Worten erschließen könnte, was Sie damit anscheinend in Verbindung bringen wollen, dass ” Er [der Unterschied zwischen Menschen und Tieren] an erster Stelle moralischer Art ist und ihn [den Mensch] mithin „unendlich über alle Natur erhebt””

            “Und zugleich ist der Mensch insofern nicht festgelegt, sondern ein „Möglichkeitswesen“, als er nicht in einer ökologischen Nische festsitzt”

            Dann sind aber auch viele Tiere “Möglichkeitswesen”, da viele Arten nicht nur in einer spezifischen Nische, sondern in verschiedensten Umwelten überleben können. Der Mensch scheint mir auch eher darin überlegen, seine Nische(n), bzw. die Bedingungen, die er zum Überleben braucht, an bestimmte Orte mitnehmen zu können. Dies gelingt ihm z.B. bei Reisen unter Wasser oder ins All, ohne dass dies wirklich typische Habitate für ihn werden könnten.

            “vielmehr seine Zukunft und die seiner Stellung in der Natur in einem radikalen Sinne offen ist”

            Im Gegenteil, die Zukunft eines Menschen erscheint radikal festzustehen, er wird sterben. Und auch für das, was vorher geschieht, gilt sicher nicht

            “es ist alles möglich”.

            In dem einen Sinn gilt: Es ist nur das möglich, was möglich ist. Das ist nicht alles Wünschenswerte, und damit nicht alles.
            In dem anderen Sinn gilt: Es ist maximal das möglich, was in des Menschen “Bestimmung” liegt. Das ist sicherlich auch nicht alles.

            Wenn einem alles möglich erscheint, ist man radikaler Konstruktivist oder steht unter Drogen. (Ich kenne beides aus eigener Erfahrung.)

            “Ein Hase hat nicht die Möglichkeit zu fliegen, die Menschen hatten sie auch nicht, jetzt haben sie sie.”

            Ich kenne keinen Menschen, der fliegen kann. Auch den Piloten unter meinen Bekannten gelingt dies nicht. Die können auch nur Knöpfe drücken, Pedale treten und an Hebeln ziehen. Gut, darin sind sie (hoffentlich) geschickter als Hasen. Aber es hat ja auch niemand bestritten, dass es Unterschiede gibt.

            Falls Sie meinen, als Passagier in einem Flugzeug oder Hubschrauber zu fliegen, diese Möglichkeit besitzen auch Hasen.

            So wie Sie ja gerne einige Begriffe für den Mensch reserviert sehen wollen, würde ich das Fliegen ausschließlich bei bestimmten Tierarten sehen, so den Vögeln. Und als transzendentale Bestimmung: Bedingung der Möglichkeit des Fliegens sind Flügel (“Wahre Flügel”, keine Flügel aus Metall oder Kunststoffen, die nur metaphorisch so genannt werden).

    • Kein Mensch verwirklicht sein ganzes Potential, das Gute in seiner Fülle.

      Das stimmt. In meinem Falle liegt das aber ausschließlich an meinen Mitmenschen, die mich daran hindern, all das Gute, das in mir steckt, in seiner ganzen Fülle zu verwirklichen.

      Das Tier verwirklicht seine Möglichkeiten dagegen immer schon in Gänze; in seiner Existenz steht nie noch irgendetwas aus.

      Der hinreichend Retardierte, Hirntote usw. verwirklicht seine Möglichkeiten (nicht zu verwechseln mit den durchschnittlich vorhandenen Fähigkeiten in einem Musterexemplar seiner Spezies) auch schon in Gänze. Sofern überhaupt welche vorhanden sind.

      Das jedoch müsste ergebnisoffen diskutiert werden.

      Befürchten Sie, dass sich ein zutreffendes Argument als wahr erweisen könnte?

  31. Hallo Herr Trepl,

    ich finde es immer sehr anstrengend mit Menschen zu diskutieren, die gerne andere Bereiche als Beispiel nehmen. Warum? Landwirtschaft und darin der Bereich der Tierhaltung sind umfangreich genug.

    Ich gestehe Ihnen gerne zu, dass ich mit der Sklaverei nicht ganz genau war, obwohl bspw. die Situation in Bangladesh auf mich diesen Eindruck macht. Egal.

    Wissen Sie eigentlich, wieviele Menschen mir schon geschrieben haben, welch Glückpilz ich sei, denn offensichtlich bin ich der einzige, der überwiegend gut geführte Betriebe kennt.

    Ich werde gleich morgen einen Lottoschein ausfüllen, ehe mich das Glück verlässt…

    • „ich finde es immer sehr anstrengend mit Menschen zu diskutieren, die gerne andere Bereiche als Beispiel nehmen.“

      Das glaube ich gern; es strengt Sie an, wenn auf diese Weise Ihre Argumente ins Wanken geraten und Ihnen nichts zu ihrer Rettung einfällt. – Wenn Sie allgemein argumentieren, daß man dann, wenn man die Erhöhung der Betriebskosten fordert, Preissteigerungen halt in Kauf nehmen muß (die Botschaft ist: dann lassen wir lieber die Erhöhung der Betriebskosten), dann müssen Sie logischerweise in Kauf nehmen, daß man Ihnen sagt: Mit diesem Argument können Sie die Abschaffung der Kinderarbeit auch nicht wollen. Sie müßten schon erklären, warum in dem einen Fall (Kinderarbeit) die Preissteigerungen nicht als Argument gelten sollen (falls Sie nicht, wie die Vertreter der einschlägigen Branche, die Kinderarbeit verteidigen wollen), in dem anderen (Geflügelhaltung) aber doch. Dafür gibt es Argumente (auch wenn ich ihnen nicht zustimme), z. B. daß das Leiden der Tiere irrelevant ist im Vergleich zu der Preissteigerung, das Leiden der Kinder aber nicht; aber diese Argumente müßten Sie dann eben bringen.

      Daß Ihnen zahlreiche Menschen schon geschrieben haben, welch Glückpilz Sie seien, denn offensichtlich sind Sie der einzige, der überwiegend gut geführte Betriebe kennt, wundert mich nicht. Denn jeder, der im Land herumgeht oder -fährt, bemerkt etwas ganz anderes. Wenn er einen Tag lang durch eine x-beliebige Gegend (außer durch die sehr niederschlagsreichen) wandert, sieht er überwiegend überhaupt keine Rinder auf der Weide, wohl aber ziemlich viele Ställe. Nach Ihrer Behauptung haben die Rinder aber von ihren Freilaufställen aus Weidezugang; das beschreiben Sie als den Normalfall. Wollen die Rinder nicht raus? Und wenn man in so einen Stall hineinschaut, sieht man in der Regel die Kühe auch in einem „gut geführten“ Betrieb nicht in ihrer „eigenen weichen Liegebox“ liegen, sondern mit dem Kopf eine einem Gestell stehen. Freilaufställe sieht man auch, aber nach meinem Eindruck ist das nicht die Regel. – Ich kenne einen hervorragend geführten Hof, einen Biohof. Da sind die Milchkühe in der Tat oft auf der Weide. Aber die Kälber und die zum Schlachten bestimmten männlichen Tiere stehen Tag für Tag in ihrem Verschlag. (Der eigentliche Skandal ist aber die Geflügel- und Schweinehaltung. Davon sprechen Sie nicht.)

      Man sieht also, nach unserem laienhaften Eindruck ist es nicht ganz so rosig, wie Sie uns glauben machen wollen. Der Unterschied zwischen dem laienhaften Eindruck und dem, was Sie und die anderen Experten behaupten, ist derart krass, daß man sich nicht wundern muß, daß der Agrarlobby praktisch niemand glaubt – selbst da nicht, wo sie recht hat.

  32. Es ist zu befürchten, dass herbeigesehnte oder phantasierte Außerirdische – so intelligent sie auch sein mögen – nie das humanistische Potenzial eines ansehnlichen Teils der menschlichen Spezies erreicht haben.

  33. Wenn auch Tiere nicht Menschen sind, so sind Menschen zweifelslos auch Tiere. Eine Tatsache, die noch bis in die Neuzeit von vielen bestritten wurde und zwar aus einem anthropozentrischen Denken heraus, welches auch bei Ludwig Trepl aufscheint, wobei er wohl ins Zentrum nicht die Spezies Mensch sondern vernunfbegabte Wesen setzt.

    Im ganzen Beitrag “Sind Tiere auch Menschen?” und in den Kommentaren von Ludwig Trepl dominiert die ethisch/moralische Betrachtungsweise. Es geht darum was Menschen tun sollen und was sie nicht tun sollen. Tiere quälen sollen sie beispielsweise nicht. Das ist eine Forderung hinter der schon Kant hätte stehen können. Doch die heutige Diskussion dreht sich nicht mehr um diese ethischen Gebote, an die sich jeder halten soll aber nicht halten muss, sondern sie dreht sich um Tierrechte, etwas über das Ludwig Trepl nicht diskutieren will, wohl weil er Tieren keine Rechte zugestehen will, denn einforderbare Rechte stehen wohl seiner Ansicht nach nur Menschen zu. Nimmt man aber die Rechtsgeschichte als Masstab, so muss man der Herangehensweise von Iris Raditsch bis zu einem gewissen Grade Recht geben. Zuerst hatten nur männliche und adliche oder begüterte Bürger der frühen Demokraten das Stimmrecht (und viele andere Bürgerrechte) und auch vor dem Gesetze waren wohl nicht alle gleich. Frauen und Kinder hatten in der Antike keine Bürgerrechte (in Sparta konnten Frauen aber über ihr eigenes Geld verfügen) . Tiere fielen im römischen Reich unter das Sachenrecht doch seit dem frühen 19. Jahrhundert gibt es Tierschutzbestimmungen. Schon der Tierschutzgedanke hebt Tiere über das Sachenrecht, denn die freie Verfügbarkeit wie sie über eine im Besitz stehende Sache besteht, gibt es mit dem Tierschutz nicht mehr. So werden Tierversuche und Tierhaltung an einklagbare Bedingungen gebunden. Der Tierschutz lässt sich am besten mit dem folgenden Satz verstehen: “Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu”. Nur ist beim Tierschutz der andere nicht mehr ein anderer Mensch sondern ein anderes Lebewesen. Wenn man einmal so weit ist, ist es nur konsequent und logisch, dass man nach weiteren Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier sucht und man nicht nur das Wohlergehen des Menschen sondern auch das Wohlergehen von Tieren im Auge hat und damit die freie Verfügbarkeit über Tiere weiter einschränkt.

    Für mich ist es klar, dass es keine rein logische Herangehensweise im Bereich der Tierrrechte geben kann. Am ehesten leuchtet mir – ähnlich wie bei Iris Raditsch Herangehensweise – ein, wenn man Tieren – wenn schon – um so mehr Rechte zugesteht je mehr sie Menschen ähneln. Tiere, die Formen von Bewussstsein zeigen, sollten demenstprechend mehr Rechte erhalten als andere. Letztlich bedeutet das sogar eine Art abgeschwächten Speziesmus: Wer Menschen ähnlicher ist erhält mehr Rechte. Die tiefere Grundlage solcher Rechte ist nämlich die Empathie. Ohne Empathie gibt es weder einen Grund Menschen noch Tiere so zu behandeln wie man sich selbst und seine engere Gruppe behandelt – mindestens keinen Grund, der über rationale Überlegungen hinausgeht.

    Fazit: Ludwig Trepl will die Diskussion über Tierrechte aus prinzipiellen Gründen vermeiden. Doch wir sind schon einige Zeit so weit, dass sich diese Diskussion nicht mehr vermeiden lässt.

    • v2.0 :

      Dr. Webbaer an Martin Holzherr:

      Fazit: Ludwig Trepl will die Diskussion über Tierrechte aus prinzipiellen Gründen vermeiden. Doch wir sind schon einige Zeit so weit, dass sich diese Diskussion nicht mehr vermeiden lässt.

      Das wäre “etwas” weit gegriffen behauptet, wenn nur eine bestimmte szientistisch-feuilleontische Argumentation zerstört worden ist, wie der Schreiber dieser Zeilen findet.

      Nichtsdestrotrotz ist etwas Wahres dran, wenn “Tierrechte” in Menschenrechten sozusagen aufzugehen haben, wie einige finden, wie die hier geprüfte ZEIT-Publizistin findet.
      Konsequent isses aber schon, bestimmte politische Maßgaben und Ziele unterstellend, also dieser Versuch…

      MFG
      Dr. W (der wirklich nichts gegen eine Editiermöglichkeit die versandte Nachricht betreffend hätte)

    • Von Ludwig Trepl, @ Martin Holzherr.

      „Wenn auch Tiere nicht Menschen sind, so sind Menschen zweifelslos auch Tiere. Eine Tatsache, die noch bis in die Neuzeit von vielen bestritten wurde und zwar aus einem anthropozentrischen Denken heraus, welches auch bei Ludwig Trepl aufscheint ….“

      Es ist zum Verzweifeln. Man kann wieder und wieder und wieder schreiben, „daß Menschen zweifellos auch Tiere“ sind. Aber dann wird einem doch wieder unterstellt, man habe das Gegenteil behauptet.

      „Doch die heutige Diskussion dreht sich nicht mehr um diese ethischen Gebote, an die sich jeder halten soll aber nicht halten muss, sondern sie dreht sich um Tierrechte, etwas über das Ludwig Trepl nicht diskutieren will, wohl weil er Tieren keine Rechte zugestehen will, denn einforderbare Rechte stehen wohl seiner Ansicht nach nur Menschen zu.“

      Nein, nicht weil sie nur Menschen „zustehen“. Was da „Tierrechte“ genannt wird, sind keine Rechte, die Tiere hätten, sondern juristisch festgeschriebene Pflichten, die Menschen haben. Das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren ist kein Rechtsverhältnis. Dieses ist symmetrisch. „Rechte gegen jemanden zu haben, heißt, berechtigte Forderungen an ihn stellen zu können.“ So habe ich oben Grünewald zitiert. Das heißt aber nicht, daß im Verhältnis zu Wesen, mit denen wir nicht in einem Rechtsverhältnis stehen, nicht ein bestimmtes Verhalten rechtlich festgeschrieben werden kann. Das geschieht im Tierschutzrecht.

      Da Sie auch mal wieder die Geschichte von der immer weiter um sich greifenden Einbeziehung weiterer Gruppen in das System gleicher oder doch gestufter Rechte erzählen: Erst nur die freien Männer, nicht die Sklaven, nicht die Frauen. Na, und jetzt sind bald die Tiere dran. – Man kann das etwas schärfer formulieren: Nur die freien Männer waren Menschen. Aber es war doch in der Regel nicht möglich, diejenigen, die keine Rechte hatten, nach Belieben zu behandeln: diejenigen, die „Rechtssubjekte“ waren, setzten sich im Hinblick auf den Umgang mit diesen Nicht-Menschen – die mitunter, wie die Sklaven, Sachen waren – Grenzen.

      Im Übrigen ist diese Erweiterungs-Geschichte krumm und schief. Sie betrifft nur einen sehr kleinen Teil der menschlichen Geschichte: die Zeit seit der Entstehung extremer Herrschaftsverhältnisse. Davor – man denke an die Irokesen, das Beispiel kennt jeder – waren alle Erwachsenen etwa so frei und gleichberechtigt wie heute. Es heißt sogar, daß für manche Indianerstämme Biber keine Tiere waren wie andere Tiere, sondern eine Art Menschenstamm: Immerhin konnten sie Bauwerke errichten, wie sie die Menschen nicht herstellen konnten.

      „Letztlich bedeutet das sogar eine Art abgeschwächten Speziesmus: Wer Menschen ähnlicher ist erhält mehr Rechte. Die tiefere Grundlage solcher Rechte ist nämlich die Empathie.“

      Dem widerspreche ich. Auch wenn es faktisch so wäre (was ich nicht glaube): ethisch zu rechtfertigen ist es nicht. Die Empathie kann eine gewisse Grundlage faktischen Verhaltens sein, aber nie der Ethik (also nicht dessen, was der Mensch faktisch tut, sondern was er tun sollte).

      Es hätte vielmehr so zu sein: Die Abstufung – die ist in der Tat unumgänglich – geschieht nicht nach Ähnlichkeit und auch nicht nach Verwandtschaft (was etwas anderes ist!), sondern nach bestimmten davon möglicherweise ganz unabhängigen Eigenschaften. Angenommen, wir hätten Hinweise darauf, daß ein uns ganz unähnliches und nicht verwandtes Tier in hohem Maße leidensfähig ist, viel leidensfähiger als viele uns ähnliche oder mit uns verwandte Tiere, dann müßte das ein Grund sein – nun, nicht diesem Tier Rechte zu verleihen, sondern es auf ethischer und eventuell juristischer Ebene in besonderem Maße zu schützen. Es gibt hier also keinerlei Speziezismus.

      In den science-fiction-Filmen hat man das übrigens erkannt. Die Wesen auf anderen Planeten können uns noch so unähnlich sein: Wenn sie leiden können, haben die Helden das zu berücksichtigen, und wenn sie Vernunft haben (also moralische Wesen sind), dann stehen sie mit den Erdlingen, die das Universum erobern, auf einer Stufe. Wenn sie keine Vernunft haben, also keine moralischen Wesen sind, sondern nur Intelligenzbestien, dann darf man ihren Planeten ohne weiteres in Staub verwandeln.

      • Steven Hawking meint, Ausserirdische könnten mit Menschen so verfahren wie wir mit Insekten verfahren (weswegen er von Kontaktaufnahmeversuchen abrät). Doch selbst Aussserirdische, die uns so behandeln, könnten durchaus fürsorglich mit Ihresgleichen umgehen – was sie in einem gewissen Sinn sogar Menschen sehr ähnlich machen würde.
        Die Annahme, die Vernunft und Überlegungen wie ” Hinweise darauf, daß ein uns ganz unähnliches und nicht verwandtes Tier in hohem Maße leidensfähig ist” könnten die Empathie ersetzen, ist recht theoretisch. In der Praxis spielen Gefühle der Verwandtschaft und/oder Verbundenheit eine so wichitge Rolle, dass die Vernunft diese Gefühle nicht ersetzen kann. Kaum noch eine Rolle spielt die Erkenntnis der Leidensfähigkeit des Andern dann, wenn der andere uns bedroht und angreift.

        Zu der Rechtsfähigkeit schreiben sie „Rechte gegen jemanden zu haben, heißt, berechtigte Forderungen an ihn stellen zu können.“. Womit dann für Tiere nur das Tierschutzgesetz bleibt. Das stimmt wohl. Dass könnte jedoch einfach bedeuten, dass man die Tierrechtfrage über das Tierschutzgesetz lösen muss. Auch sehe ich ein grundsätzliches Problem darin, nur diejenigen als rechtsfähig einzuschätzen, die Forderungen stellen können. Wer keine Stimme hat hat dann keine Rechte. Eine Situation, die es ja auch unter Menschen gibt, die aber jeweils mit einem Rechtsbeistand gelöst wird. Eine Lösung, die auch in Bezug auf Tiere denkbar wäre durch Einsetzen von Tier-Anwälten.

        • „Steven Hawking meint ….“

          Sie bringen hier Sein und Sollen durcheinander. „Aussserirdische, die uns so behandeln, könnten durchaus fürsorglich mit Ihresgleichen umgehen …“ Das wäre dann also so wie bei uns. Die Europäer gingen in ihren Ländern vergleichsweise fürsorglich miteinander um, aber in den Kolonien behandelten Sie die Menschen „wie Tiere“. Sie wissen sicher von den ungeheuer grausamen Verhältnissen in Belgisch-Kongo, oder daß man in Patagonien Kopfprämien auf tote Indianer aussetzte. Nur: daß das so war (und ist), sagt nicht das Geringste darüber aus, ob es so sein soll. Das zu meinen, wäre der berühmte Sein-Sollens-Fehlschluß.

          „’Hinweise darauf, daß ein uns ganz unähnliches und nicht verwandtes Tier in hohem Maße leidensfähig ist’ könnten die Empathie ersetzen, ist recht theoretisch. In der Praxis spielen Gefühle der Verwandtschaft und/oder Verbundenheit eine so wichtige Rolle, dass die Vernunft diese Gefühle nicht ersetzen kann.“

          Das ist das Gleiche: Sein-Sollens-Fehlschluß. Sie sollten bedenken, daß man sich in radikal verschiedenen wissenschaftlichen „Welten“ bewegt, je nach dem, ob man fragt, was faktisch geschieht (deskriptive Disziplinen) oder ob man fragt, was geschehen soll (normative Disziplinen). Analogien liefern andere normative Disziplinen, z. B. die Mathematik. Sie untersucht nicht, wie faktisch gerechnet wird (z. B. wie viele Prozent einer Schulklasse im allgemeinen falsch rechnen), sondern wie – egal wie faktisch gerechnet wird – gerechnet werden soll. Bei der Ethik ist’s komplizierter, aber nicht prinzipiell anders, weil sie halt auch normativ und nicht deskriptiv ist. – Im Übrigen, ganz banal: Würden wir wirklich, weil er mit uns enger verwandt ist, einem ganz primitiven Chordaten mehr Empathie entgegenbringen als einem Cephalopoden, bei dem wir Anhaltspunkte haben, daß er ein ziemlich entwickeltes Innenleben hat?

          „Auch sehe ich ein grundsätzliches Problem darin, nur diejenigen als rechtsfähig einzuschätzen, die Forderungen stellen können. Wer keine Stimme hat, hat dann keine Rechte. Eine Situation, die es ja auch unter Menschen gibt, die aber jeweils mit einem Rechtsbeistand gelöst wird.“

          Dazu gibt es eine umfangreiche Diskussion unter Juristen und Rechtsphilosophen. Auch Ihre Position wird da vertreten. Mich hat der Aufsatz überzeugt, aus dem ich oben zitiert habe. Darin wird argumentiert, daß die einzige Rechtsquelle, die allem positiven Recht vorausgeht und von der aus sich dieses kritisieren läßt, die nicht einen metaphysischen Glauben erfordert, die logische Herleitung des Rechts aus Forderungen ist, die wechselseitig notwendig aneinander gestellt werden müssen. Hier ist der Aufsatz: http://www.academia.edu/1338053/Okologie_Recht_Moral

          In der Praxis ändert sich, scheint mir, dadurch nicht viel: Ob ich sage, das Tier habe ein Recht, das wir beachten müssen, oder ob ich sage, wir haben in Ansehung seiner gewisse Pflichten, und darum geben wir uns ein Recht, das die Einhaltung dieser Pflichten vorschreibt, scheint mir auf das gleiche Verhalten hinauszulaufen. Nur die Begründung ist anders. Man braucht in dem einen Fall den Glauben (denn naturwissenschaftlich erweisen läßt sich da nichts) an gewisse Eigenschaften von Tieren, die es dazu befähigen, in die Rechtsgemeinschaft aufgenommen werden und können, in dem anderen Fall kommt man damit aus, daß überhaupt einen Willen haben zu können gewisse logischen Implikationen hat, die die Willensbestimmung anderer betreffen.
          27

  34. Letztendlich fehlt allen vermeintlich hinreichenden Bedingungen, die sie nennen, um das Töten von Lebewesen, die nicht getötet werden wollen, prinzipiell zu rechtfertigen, eine überzeugende Letztbegründung, ein moralisches Fundament, dem jedes Lebewesen, dem die Möglichkeit zur Reflexion gegeben würde, gezwungen wäre, vernünftigerweise zuzustimmen. Somit bleibt ihr Beitrag leider nur eine Meinung unter vielen.

    • Den Terminus “Letztbegründung” sollte man nicht verwenden (siehe Wikipedia), weil man bei jeder Begründung fragen kann, auf welcher Grundlage sie wiederum steht. Jede Kette muss irgendwann abbrechen, wenn der Betreffende meint, dass der dort genannte Grund keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Im vorliegenden Fall der Tötung von Tieren könnte dieser Abbruch z.B. an folgenden Stellen stehen (egal ob pro oder kontra):

      – Weil mir Fleisch schmeckt
      – Weil es Gott so gesagt hat
      – Weil Menschen über qualitativ andere Eigenschaften als Tiere verfügen
      – Weil es leidensfähige Mitgeschöpfe sind
      – Weil wir das Töten nicht (mehr) brauchen
      – etc.

      Also ein solches moralisches Fundament kann es nicht geben, es geht nur um den Austausch von Argumenten, die der eine überzeugend findet, der andere nicht.

      • Den Terminus “Letztbegründung” sollte man nicht verwenden (siehe Wikipedia), weil man bei jeder Begründung fragen kann, auf welcher Grundlage sie wiederum steht.

        Sagt der dekonstruktivistische Relativist oder Nihilist, der konstruktivistische Schreiber dieser Zeilen hätte dagegen mit einer Setzung als “Letztbegründung” grundsätzlich keine Probleme.
        MFG
        Dr. W

        • Erklären Sie doch bitte mal, was ein “dekonstruktivistischer Relativist oder Nihilist” ist. Was Dekonstruktivisten sind, weiß ich, aber Sie scheinen etwas anderes zu meinen. “Nihilist” hat in der Geschichte eine Vielzahl von Bedeutungen gehabt und hat sie noch. Also: Was meinen Sie mit diesem Wort? Und nebenbei könnten Sie auch noch erklären, was Sie mit “neomarxistisch” meinen. Den Begriff verwenden Sie auch dauernd, aber offensichtlich in einem vollkommen anderen Sinn als üblich.

          • Dr. Webbaer an Ludwig Trepl :
            Im Rahmen der zunehmenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit seiner Welt hat der Primat irgendwann erkannt, dass die Realität (“Sachlichkeit”) nur als Krücke zur Beschreibung der ihn umgebenden Welt gelten kann:
            -> http://apod.nasa.gov/apod/ap120312.html (die “Realität” findet nur in bestimmten Schichten statt, in ‘Beschreibungsebenen’ (Honerkamp et al.)

            Deshalb haben dekonstruktivistische Sichten zunehmend an Popularität gewonnen, die auflösen und weiter auflösen und weiter auflösen…
            Im Neomarxismus hat sich hier eine eigene politische Richtung gefunden, die politisch Honig saugen konnte und bspw. mittlerweile den Sachverhalt oder scheinbaren Sachverhalt des biologischen Geschlechts auflösen kann, Stichwort: J. Butler.
            Dem Neomarxismus geht es um die Zersetzung der Bürgerlichkeit, die dadurch erreicht werden soll, dass Gebildete erreicht & irritiert werden.
            Um so die allgemeine Fitness für eine Revolution oder “große Transformation” zu erreichen, nachdem die Arbeiter- und Bauernschaft sozusagen schlapp gemacht hat. [1]

            Andere philosophische und politische Kräfte sind einen anderen Weg gegangen und sie versuchen aus der oben beschriebenen Erkenntnis heraus die Sache wieder ins Lot zu bringen, indem sie das konstruktivistische Element der Erkenntnistheorie betonen, sich in der Granularität sozusagen angemessen aufstellen. Das Konzept der Menschenwürde passt hier bspw. hinein, die als Setzung eine “Letztbegründung” sein kann; so wie etwas nur eine Letztbegründung sein kann, die Ethik (vs. Verhalten) im konstruktivistischen Sinne betreffend.

            Wichtich in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass es um die Granularität der Welt bzw. um Sichten auf die Granularität dieser Welt geht und dass zwei antirealistische Sichten konkurrieren.

            HTH
            Dr. W

            [1] Nein, zum Politischen wird Ihr Kommentatorenfreund hier nicht weiter diskutieren, dieses Politische sollte im Artikel-Kontext zudem von wenig Belang sein.

        • @ Webbaer.

          „Im Neomarxismus hat sich hier eine eigene politische Richtung gefunden, die politisch Honig saugen konnte und bspw. mittlerweile den Sachverhalt oder scheinbaren Sachverhalt des biologischen Geschlechts auflösen kann, Stichwort: J. Butler.
Dem Neomarxismus geht es um die Zersetzung der Bürgerlichkeit“

          Was Sie mit „Neomarxismus“ meinen, erfahre ich hier immer noch nicht. Frau Butler habe ich nie gelesen, aber allerlei Ähnliches. Doch irgendeinen Zusammenhang mit dem, was man üblicherweise Neomarxismus“ nennt, konnte ich nie entdecken. Die Hintergrundphilosophien scheinen eher französischer Art zu sein, vor allem Foucault, hinter dem wiederum Nietzsche und Heidegger und die Psychoanalyse stehen mögen, also dem Marxismus ziemlich diametral Entgegengesetztes. – Sollten Sie meinen, „dem Neomarxismus geht es um die Zersetzung der Bürgerlichkeit“ sei eine Definition desselben, dann wäre das ein ziemlicher Bocksprung. Als ob es nicht allen möglichen anderen Richtungen auch um die „Zersetzung der Bürgerlichkeit“ ginge! Die Konservativen und die Romantiker haben schon vor 200 Jahren die „Bürgerlichkeit“ „zersetzen“ wollen, weil sie in ihr die Gefahr der „Zersetzung“ der alten Ordnung sahen, und Marxisten waren die doch eher nicht.

          Was Sie mit „konstruktivistisch“ und „Granularität“ meinen, haben ich nicht verstanden; ersteres kenne ich als häufig gebrauchten Begriff in der neueren philosophischen Diskussion (da gibt es z. B. den „radikalen Konstruktivismus“ der Autopoiesistheoretiker oder den Konstruktivismus der Erlanger Schule), aber das scheint mit dem, was Sie meinen, nichts zu tun zu haben. Und was die „zwei antirealistischen Sichten“ sein sollen, die da konkurrieren, verstehe ich auch nicht; ich habe nicht die leiseste Ahnung.

          • Dr. Webbaer an Ludwig Trepl :

            Was Sie mit „konstruktivistisch“ und „Granularität“ meinen, haben ich nicht verstanden; ersteres kenne ich als häufig gebrauchten Begriff in der neueren philosophischen Diskussion (da gibt es z. B. den „radikalen Konstruktivismus“ der Autopoiesistheoretiker oder den Konstruktivismus der Erlanger Schule), aber das scheint mit dem, was Sie meinen, nichts zu tun zu haben. Und was die „zwei antirealistischen Sichten“ sein sollen, die da konkurrieren, verstehe ich auch nicht; ich habe nicht die leiseste Ahnung.

            Tja, so isses halt, Handreichungen treffen nicht immer ihr Ziel. Der Schreiber dieser Zeilen kann bspw. zum Fachbegriff ‘Granularität’ auf die Schnelle mit diesem Zitat der bekannten Online-Enzyklopädie auszuhelfen versuchen: ‘Granularität (lat. granum „Korn“, „Kern“) ist ein Maß für die Feinkörnigkeit eines Systems.’ (Quelle)

            Der antirealistische (De-)Konstruktivismus, der sich wie beschrieben zweiteilt müsste eigentlich auch innerhalb Ihrer Bibliothek liegen, hmm, …, …

            Ischt denn ansatzweise verstanden worden, dass sich die Vorstellung der Primaten die Welt betreffend antirealistisch entwickelt hat?!

            MFG
            Dr. W

          • “Ischt denn ansatzweise verstanden worden”

            Nichts habe ich verstanden, gar nichts. Bemühen Sie sich doch einfach mal, verständliche Sätze zu schreiben, vielleicht geht es ja. Was Sie eben geschrieben habe, verstehe nicht nur ich, es versteht garantiert keiner.

      • Letztbegründung.
        Von Ludwig Trepl, @ Köppnick.

        „Den Terminus “Letztbegründung” sollte man nicht verwenden (siehe Wikipedia)“

        Na, da haben Sie aber nicht gerade eine zitierfähige Quelle erwischt.

        „Jede Kette muss irgendwann abbrechen, wenn der Betreffende meint, dass der dort genannte Grund keiner weiteren Rechtfertigung bedarf.“

        Da steckt der entscheidende Kategorienfehler drin. Die Kette bricht faktisch ab, „wenn der Betreffende meint, dass der dort genannte Grund keiner weiteren Rechtfertigung bedarf“. Ob dieser Grund wirklich keiner weiteren Rechtfertigung bedarf, ist eine ganz andere Frage, die auf der Ebene des Faktischen nicht zu beantworten ist.

        Analogie: Ein Schüler, der eine Rechenaufgabe zu lösen hat, bricht ab, sowie er die richtige Lösung gefunden zu haben meint. Ob er sie gefunden hat, steht auf einem ganz anderen Blatt. – Damit ist nicht gesagt, daß Letztbegründungen möglich sind, sondern nur, daß diese Möglichkeit mit Ihrem Argument nicht zu widerlegen ist.

        „Also ein solches moralisches Fundament kann es nicht geben, es geht nur um den Austausch von Argumenten, die der eine überzeugend findet, der andere nicht.“

        Dann gibt es keinen Grund, Argumente auszutauschen. Der eine meint halt dies, der andere das. Es gehört zu den Bedingungen, unter denen man überhaupt in eine Argumentation eintritt, daß man unterstellt, die Frage sei zu lösen. Das kann sich als falsch herausstellen, z. B. weil die Frage falsch gestellt ist, aber unterstellen muß man es. – Der radikale Relativismus, den Sie hier vertreten, hebt sich selbst auf. Alle „Wahrheiten“ sind relativ zu bestimmten Voraussetzungen, die der eine macht, der andere nicht, meinen Sie. Aber indem Sie die Wahrheit des Relativismus behaupten, haben Sie dem schon widersprochen. Nach Ihren eigenen Voraussetzunge müßte Ihre Behauptung von der Relativität der Argumente ja falsch sein können.

    • Stand doch da, wenn auch etwas soft als Frage formuliert (und im Schlusssatz des Artikels “ein wenig” irritierend diskontiert):

      Wenn es nun also doch einen prinzipiellen Unterschied zwischen Menschen und Tieren gibt, nämlich eben den, der mit „Menschenwürde“ bezeichnet ist – folgt daraus „ein Freibrief zum beliebigen Töten“ oder doch zum Töten von Tieren überhaupt (denn sie sollen ja „Lebensrechte“ haben)?

      Betrachten Sie den Post gerne als zerstörerisch gegenüber dem zitierten szientistisch-feuilletonistischen Text einer ZEIT-Publizistin.

      MFG
      Dr. W

  35. Hallo Herr Trepl,
    Sie haben in meinem Blog einen Backtrack auf Ihren Artikel gesetzt und mich damit auf diesen Ihren Artikel neugierig gemacht. Zunächst ein Back-Backtrack auf meinen Blog: http://kwakuananse.de/http:/kwakuananse.de/archives/tierversuche-und-ethik/

    Ich habe mir jetzt sowohl den Artikel von Frau Radisch als auch Ihren Artikel durchgelesen. Sie arbeiten selbst mit ähnlichen rhetorischen Tricks, die sie Frau Radisch vorwerfen, bereits der erste Satz ist ein solcher: “Die Wissenschaft hat bekanntlich nicht nur aufklärend gewirkt, sondern auch einen neuen Aberglauben hervorgebracht, nämlich den an die Wissenschaft, heute insbesondere die Naturwissenschaft.” Das ist eine Meinung, aber keine Tatsache und keineswegs unstrittig. Zunächst kurz meine Zusammenfassung der Hauptgedanken der beiden Artikel, dann meine eigenen Gedanken.

    Iris Radisch:
    – Werte ändern sich im Laufe der Zeit (Frauenwahlrecht, Kinderarbeit), wenn man neue Erkenntnisse gewinnt.
    – Über das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren haben die Naturwissenschaften neue Erkenntnisse gewonnen.
    – Deshalb wird sich unser Verhältnis zu den Tieren ändern.

    Ludwig Trepl:
    – Die Naturwissenschaften können nicht alle Fragen beantworten.
    – Werte sind Ergebnisse der Evolution, da Evolution zufällige Ergebnisse zeitigt, sind Werte (wenn sie aus den Naturwissenschaften gewonnen werden, eher) zufällig.
    – Der Unterschied zwischen Tieren und Menschen ist prinzipieller Natur, weil sich “das Tier verhält, der Mensch handelt. Er setzt sich Zwecke und verfolgt sie.”
    – Berufung auf die Kantsche Deontologie, die nur eine von vielen Möglichkeiten ist, eine Ethik zu begründen.
    – Der Unterschied zwischen Menschen und Tieren besteht in der “Menschenwürde”.
    – *Weil* wir das alles erkennen können, im Unterschied zu den Tieren, haben wir keinen Freibrief zum beliebigen Töten. Oder anders: “Leidensfähige Weisen, also auch Tiere, zu quälen verstößt gegen die Würde, die der Mensch als Mensch hat; er wirft sich weg, wenn er das tut, und er darf sich nicht wegwerfen.”.

    Meine Meinung: Selbstverständlich drängen uns neue Erkenntnisse in den Naturwissenschaften – hier, dass der Unterschied in den Fähigkeiten zwischen Menschen und den anderen Tieren so groß nicht ist, schließlich sind wir selbst Tiere und haben uns in einem evolutionären Prozess aus primitiveren Lebensformen entwickelt, das ist eine Erkenntnis der Naturwissenschaften und kein Ergebnis abstrakten Denkens – zu einem Überprüfen unserer Wertesysteme. Und wenn im Verlauf der Forschung die Unterschiede und deren Entscklung zwischen uns und den anderen Spezies immer besser erklärt werden können, dann steigt der moralische Druck auf uns, Tieren Rechte zuzugestehen, die bisher nur Menschen gegolten haben. Alles andere wäre ein reiner und ethisch nicht zu rechtfertigender Speziezismus – wir hätten mehr Rechte, einfach weil wir Menschen sind.

    • Von Ludwig Trepl, @ Köppnick.

      „Sie arbeiten selbst mit ähnlichen rhetorischen Tricks, die sie Frau Radisch vorwerfen“.

      Ich habe an keiner Stelle Frau Radisch rhetorische Tricks vorgeworfen.

      „Das ist eine Meinung, aber keine Tatsache und keineswegs unstrittig.“

      Ist es ein rhetorischer Trick, Meinungen vorzubringen? Darf man nur Tatsachen wiedergeben (d. h. in Wirklichkeit fast immer: die Meinung, daß etwas eine Tatsache sei)? Oder meinen Sie, der Trick liege im „bekanntlich“? Nun, das, was ich behaupte, ist doch bekannt. Daß es diejenigen nicht akzeptieren, daß es ihnen nicht “bekannt” ist, die dem Aberglauben anhängen, ist heute nicht anders als früher, das ergibt kein Argument.

      „Werte sind Ergebnisse der Evolution, da Evolution zufällige Ergebnisse zeitigt, sind Werte (wenn sie aus den Naturwissenschaften gewonnen werden, eher) zufällig“

      Das stellen Sie als meine Meinung dar, aber das stimmt nicht. Es ist um einiges komplizierter. Faktische Werte sind in aller Regel Ergebnis von Kultur und von Kultur zu Kultur verschieden. Allen Menschen gemeinsame Werte werden von den Naturalisten, und gerade nicht von mir, als Ergebnis der biologischen Evolution angesehen und sind darum für sie zufällig.

      „Selbstverständlich drängen uns neue Erkenntnisse in den Naturwissenschaften – hier, dass der Unterschied in den Fähigkeiten zwischen Menschen und den anderen Tieren so groß nicht ist, schließlich sind wir selbst Tiere und haben uns in einem evolutionären Prozess aus primitiveren Lebensformen entwickelt, das ist eine Erkenntnis der Naturwissenschaften und kein Ergebnis abstrakten Denkens – zu einem Überprüfen unserer Wertesysteme.“

      Das könnte nur dann der Fall sein, wenn die „Wertesysteme“ von eben diesen Erkenntnissen tangiert würden. Mag sein, daß das bei Ethiken des utilitaristischen Typs der Fall ist. Aber bei Ethiken vom (im weitesten Sinne) Kant’schen Typ (man könnte da eine Unzahl von Philosophen nennen, die sonst mit Kant und untereinander wenig Ähnlichkeit haben, von den deutschen Idealisten über Kirkegaard zu Husserl und Heidegger zu Sartre und ….) ist das definitiv nicht der Fall, die sind so angelegt, daß sie davon gar nicht tangiert werden können. – Daß es eine biologische Evolution gibt, ist in der Tat Ergebnis naturwissenschaftlicher Forschung, nicht von Reflexion (die Sie merkwürdigerweise „abstraktes Denken“ nennen). Aber wo wird diese Erkenntnis ethisch relevant? Ich kann da keinen einzigen Punkt sehen.

      „Und wenn im Verlauf der Forschung die Unterschiede und deren Entscklung zwischen uns und den anderen Spezies immer besser erklärt werden können, dann steigt der moralische Druck auf uns, Tieren Rechte zuzugestehen, die bisher nur Menschen gegolten haben.“

      Mit „Rechten“ ist es schwieriger. Würden Sie von moralischen Pflichten sprechen, könnte ich dem vielleicht etwas abgewinnen. Aber welche Erkenntnisse sollen das denn sein? Gibt es irgend etwas, das uns moralisch dazu zwingt, Tiere nicht zu quälen, das erst im Laufe der letzten Jahrzehnte herausgekommen ist? Ich wüßte nicht was. Der einzige moralisch relevante Punkt ist, daß Tiere leiden können. Das hat nicht die Naturwissenschaft herausgefunden. Man hat das immer angenommen und von der Meinung des Descartes, daß dem nicht so sei, hat man sich ganz aus philosophischen Gründen abgewandt, da hat naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht das Geringste dazu beigetragen. Und die ethischen Konsequenzen des Leidenkönnens sind ohnehin nichts, wozu die Naturwissenschaft irgend etwas beitragen könnte, sie liegen außerhalb dessen, wonach die Naturwissenschaft fragen kann.

      „Alles andere wäre ein reiner und ethisch nicht zu rechtfertigender Speziezismus – wir hätten mehr Rechte, einfach weil wir Menschen sind.“

      „Speziezismus“ ist ein Begriff, der nur in der naturalistischen Denkwelt vorkommen kann; das, was ich hier vertrete, trifft er überhaupt nicht. Nicht, weil wir eine andere biologische Spezies sind, haben wir Pflichten (den Begriff „Rechte“ lassen wir lieber weg, da wird’s komplizierter) oder dürfen uns etwas herausnehmen, sondern weil wir so beschaffen sind wie wir es sind, und zwar auf einer Ebene, die außerhalb des Gegenstandsbereichs der Naturwissenschaften liegt. „Pflicht“ kann überhaupt nur für uns einen Sinn haben. Gäbe es andere Spezies (vielleicht treffen wir im Weltall ja mal auf solche), für die das auch der Fall ist, wäre jede ethische Sonderstellung der Spezies Homo sapiens dahin. Ethisch ist der Gedanke unmöglich, daß wir uns gegenüber anderen Spezies etwas herausnehmen dürften, weil wir eine andere Spezies sind. Auf der anderen Seite ist der Gedanke unabweisbar, daß wir Pflichten haben (auch in Ansehung der Tiere), Tiere aber (auch in Ansehung der Menschen) nicht, und daß das eine unaufhebbare Asymmetrie begründet. Tiere können moralische Objekte sein, aber nie moralische Subjekte. (Würden wir ein „Tier“ entdecken, für das das nicht gilt, wäre es kein Tier.) Das ergibt die prinzipielle Differenz. Keine naturwissenschaftliche Forschung kann daran etwas ändern.

  36. So eine schlaue Diskussion! Darf ich trotzdem etwas naives fragen? Wenn die Nutztiere nicht gehalten werden dürfen und die Schweine nicht gegessen – wegen dem Lebensrecht und so – dann sterben diese Tiere doch aus. Wir reden hier doch nicht vom Reh im Wald, sondern von Zuchtformen, also Tiere, die den Menschen seit dem Neolithikum begleiten. Wem geht es besser? Dem Tier, das seit Generationen an den Menschen gewöhnt ist und von einem engagierten Landwirt gepflegt wird oder der Gazelle, die ständig von Krankheiten und Raubtieren bedroht wird? Wer will das entscheiden? Steckt da nicht viel Naturromantik drin, in diesen “Lebensrechten”? Übrigens: Nicht nur der Mensch, auch der Löwe formt sich seine Gazelle: Ohne Löwen wären diese kurzatmig und pummelig. Sorry für den naiven Einwand, ihr könnt jetzt weiter philosophieren 🙂

    • Wenn die Nutztiere nicht gehalten werden dürfen und die Schweine nicht gegessen – wegen dem Lebensrecht und so – dann sterben diese Tiere doch aus.

      Das Aussterben-Lassen von Nutztieren durch Nichtverzehr wäre womöglich eine Großsünde, korrekt.
      Wobei diese Sünde dann aber mit der erst durch die Zucht möglich gewordenen Erschaffung von Zuchttieren zu konkurrieren hätte.
      Insofern hat hier in jedem Fall eine Sündenabwägung zu erfolgen, womöglich wäre die sukzessive Abschaffung von sich in der Masentierhaltung befindlichen Zuchttieren sorgfältig zu planen.
      Herr Trepl weiß sicher Näheres.
      MFG
      Dr. W

    • „Wem geht es besser? Dem Tier, das seit Generationen an den Menschen gewöhnt ist und von einem engagierten Landwirt gepflegt wird oder der Gazelle, die ständig von Krankheiten und Raubtieren bedroht wird? Wer will das entscheiden? Steckt da nicht viel Naturromantik drin, in diesen “Lebensrechten”?“

      Gewiß steckt da viel Naturromantik drin. In dem „Tier, das seit Generationen an den Menschen gewöhnt ist und von einem engagierten Landwirt gepflegt wird“, steckt aber auch viel Bauernromantik drin.

      „auch der Löwe formt sich seine Gazelle: Ohne Löwen wären diese kurzatmig und pummelig.“

      Ohne Löwen würde es die Gazellen nicht stören, kurzatmig und pummelig zu sein. Dieses Argument wird immer von den organisierten Jägern vorgebracht: Ohne uns würden die Wildtiere degenerieren, verlören ihren Fluchtinstinkt, könnten nur noch langsam laufen usw., da müßten sie uns doch dankbar dafür sein, daß wir sie schießen Der Fehler in dem Argument ist, daß sie Fluchtinstinkt usw. ja nicht mehr nötig hätten, wenn es keine Jäger gäbe.

  37. Hallo Herr Trepl,

    das ist ein durchaus interessanter Artikel, der auch noch eine Weile nachwirkt – wenn da nicht der letzte Satz gewesen wäre. Zitat:

    “Es bedarf keiner „neuen Ethik“, um die Massentierhaltung als etwas Verwerfliches zu erkennen. Die Erinnerung an die alte würde schon reichen.”

    Ich persönlich habe von Ethik nicht die meiste Ahnung, aber von Tierhaltung dafür umso mehr. Und aus dieser Position heraus kann ich sagen, dass bspw. 200 Milchkühe in einem offenen Freilaufstall mit Weidezugang ein deutlich besseres Leben führen als ihre Vorfahren. Früher, also in einer Zeit, in der es noch keine “industrialisierte Massentierhaltung” gab, lebten diese Kühe teilweise nur zu 10 in einem kleinen dunklen Stall. Es war zugig, kalt und hygienisch problematisch.

    Ich möchte es bei diesem Beispiel belassen, das Thema füllt ganze Bücher. Nur ein kleiner Hinweis: viel wichtiger als die Tierzahl ist das Management. Wenn der verantwortliche Landwirt das nicht auf die Reihe bekommt, leiden 10 Tiere genauso wie 200.

    Und jetzt können Sie sich hier weiter Kant und Konsorten widmen.

    • „Massentierhaltung“ steht für eine bestimmte Art der Tierhaltung und ist selbstverständlich nicht wörtlich gemeint, weder von mir noch von anderen. Wer dieses Wort in der politischen Auseinandersetzung benutzt, stellt sich vor allem moderne Hühnerställe vor, keiner hat etwas gegen die Massentierhaltung von Rentieren in Lappland. Selbstverständlich kommt es nicht auf die bloße Anzahl an; auf die Dichte allerdings schon.

      So ganz saueber ist Ihre Argumentationsweise nicht. Sie vergleichen die besten Fälle von heute („offenen Freilaufstall mit Weidezugang“) mit den schlechtesten von früher; das kann man ohne weiteres umdrehen, dann stehen Sie dumm da. – Früher, als es noch keine “industrialisierte Massentierhaltung” gab, lebten die Kühe übrigens meist nicht zu zehnt in einem kleinen dunklen Stall, denn 10 Kühe hatten nur wenige Bauern, meist waren es weit weniger. Die Ställe waren so klein und dunkel, wie Sie es sich wohl kaum vorstellen können. Das wird den Kühen kaum gefallen haben. Aber immerhin – auf einem Metallrost standen die Kühe nicht, sie standen, wie heute zum großen Teil auch, in ihrem eigenen Mist, wenn’s gut ging, war genug Streu drauf. Das war im größten Teil Mitteleuropas (nicht an der Nordsee, nicht in den Alpen) etwas über 100 Jahre lang so, die Jahrtausende vorher lief das Rindvieh im wesentlichen frei herum. Ob es sich dabei wohler fühlte, weiß ich nicht, es hing wohl vor allem davon ab, ob es satt wurde. Und dann sollte man noch erwähnen, daß das für Rinder und bedingt für Schweine gilt, nicht für Ziegen, Schafe, Hühner, Gänse.

      • Ach, das war nicht wörtlich gemeint. Aber warum schreiben Sie es dann? Hätten Sie stattdessen “schlechte Tierhaltung” gewählt, wäre alles cool gewesen, denn die ist zweifellos verwerflich.

        Nein, ich stehe eben nicht dumm da. Dass es nicht grundsätzlich perfekt zugeht bzw. ebenso ist, schrieb ich ebenfalls. Auch heute stehen die Tiere auf keinem Metallrost, die gibt es lediglich in den Gängen (dort fällt der Kot durch) während jedes Tier seine eigene weiche Liegebox während des Wiederkäuer-Vorgangs hat oder um sich einfach auszuruhen.

        Ich gebe Ihnen recht, dass die Geflügelmast nicht mehr wirklich wie bäuerliche Landwirtschaft anmutet. Aber es ist halt die ökonomischste Variante. Um das Problem zu lösen, braucht es viele Hände, auch unsere, denn irgendjemand muss ja am Ende mehr als 5 Euro bezahlen, nicht wahr?

        • Von Ludwig Trepl, @ Sören Schewe.

          „Ach, das war nicht wörtlich gemeint. Aber warum schreiben Sie es dann?“

          Weil die nicht-wörtliche Bedeutung die in der Alltagssprache übliche ist und von jedem richtig verstanden wird. Die wörtliche Bedeutung, nach der eine durch die Heide ziehende 500-köpfige Schafherde unter „Massentierhaltung“ fallen mag, kommt außerhalb der agrarwissenschaftlichen Fachsprache nicht vor.

          „Nein, ich stehe eben nicht dumm da.“

          Sie stehen dann dumm da, habe ich geschrieben, wenn jemand Ihre Argumentationsmethode umdreht und z. B. so, wie Sie allein von Rindern reden und so tun, als wäre das repräsentativ für die Tierhaltung insgesamt, und die beste heutige Variante mit der schlechtesten früheren vergleichen, nur von Hühnern spricht und das Leben der im Hof freilaufenden Hühner mit dem Leben in einer dieser Hühnerfabriken vergleicht.

          „Auch heute stehen die Tiere auf keinem Metallrost“

          Doch, hab ich schon gesehen.

          „während jedes Tier seine eigene weiche Liegebox …“

          Noch vor wenigen Wochen hätte ich Ihnen einen Stall zeigen können, da standen die Tiere ziemlich dicht gedrängt bis zum Bauch in ihrem Kot, Streu gab es so gut wie gar nicht, hinlegen konnten sie sich nicht, Auslauf gab es nicht. Der Amtstierarzt (oder wie man den nennt) sagte, das sei im Rahmen des Erlaubten. Wenn Sie mir nicht glauben, nenne ich Ihnen den Ort, Sie können dann die Nachbarn befragen. – Sie können nicht immer das Optimum, das es überhaupt irgendwo gibt (wo? In einer Versuchsanlage in Weihenstephan?) als das heute Übliche bezeichnen.

          “Ich gebe Ihnen recht, dass die Geflügelmast nicht mehr wirklich wie bäuerliche Landwirtschaft anmutet.“

          Nein, da geben Sie mir nicht recht, denn nie hätte ich in diesem Zusammenhang „nicht mehr wirklich“ und „anmutet“ gesagt. Im Übrigen verteidige ich nicht die „bäuerliche Landwirtschaft“. Für die Tiere kann eine auf wissenschaftlicher Basis betriebene Landwirtschaft viel besser sein. Man darf aber nicht so tun, als ob das heute der Fall wäre.

          „denn irgendjemand muss ja am Ende mehr als 5 Euro bezahlen, nicht wahr?“

          Stimmt, die Produkte werden dann teurer. Aber mit Ihrem Argument kann man ebenso gut die Kinderarbeit in Bangla Desh verteidigen oder sie in den europäischen Bergwerken wieder einzuführen versuchen. Was wären dann die Kohlen billig!

          • Nur noch zur Info: ich bin kein Wissenschaftler, der den ganzen Tag auf seiner Station rumhängt, sondern kenne Betriebe aus dem Alltag und die sehen so aus wie ich es geschildert habe. Dass Sie einen offensichtlich miserabel geführten Betrieb gesehen haben, tut mir leid – für die Tiere. Entweder ist das noch ein alter Stall oder der Landwirt versteht seinen Beruf nicht.

            Mit Menschen, die von Lebensmittelpreisen zur Sklaverei wechseln, diskutiere ich nicht. Das ist totaler Blödsinn. Auch faktisch – dafür muss man nämlich wissen wie sich die Kosten pro Tier berechnen.

          • von Ludwig Trepl, @ Sören Schewe.

            Mit Menschen, die von Lebensmittelpreisen zur Sklaverei wechseln, diskutiere ich nicht.“

            Sie diskutieren also nicht mit Menschen, die von Lebensmittelpreisen zur Sklaverei wechseln. Da ich nicht von Lebensmittelpreisen zur Sklaverei gewechselt bin, sondern von Textil- und Kohlepreisen zu kapitalistischen Bergwerken und Fabriken (früheren und heutigen), in denen nicht Sklaven, sondern, wie man so sagt, freie Arbeiter arbeiten, werden Sie mit mir sicher weiter diskutieren. – Ich habe nur gesagt, daß Ihr Argument, das besagt, daß die Produkte teurer werden, wenn man bei der Produktion nicht den geringstmöglichen Aufwand betreiben kann, sondern gewisse Bestimmungen zu berücksichtigen hat, deren Einhaltung etwas kostet, ganz genauso auf Fälle anzuwenden ist, in denen diese Bestimmungen nicht das Wohlergehen der Tiere betreffen, sondern z. B. die Sicherheit der Arbeiter (oder auch die Umweltbelastungen, oder …). Das können Sie nicht bestreiten.

            Sie kennen also Betriebe aus dem Alltag und die sehen so aus wie Sie es geschildert haben. Da haben Sie aber Glück gehabt, daß Sie nur solche Betriebe gesehen haben. Ich habe auch andere gesehen (nicht nur den einen, von dem ich geschrieben habe).

            „Auch faktisch – dafür muss man nämlich wissen wie sich die Kosten pro Tier berechnen.“

            Was wollen Sie mit diesem Satz sagen? Ich kann keinen Sinn darin erkennen.

    • Hallo Herr Schewe,
      irgendwie spricht der Beitrag auch nicht für die meiste Ahnung in Mathematik. Ich stimme Ihnen zu, daß früher auch nichts besser war. Aber wir sollten die Haltung von 10 Milchkühen “Anno dazumal” nicht mit dem vergleichen, was heute in der Tierhaltung stattfindet. Von den 4 Millionen Milchkühen in Deutschland (Basis 2012) dürften wohl die wenigsten zu “200 Tieren im offenen Freilaufstall mit Weidezugang” ihr Dasein fristen.
      Zugegebenermaßen habe ich nicht die meiste Ahnung von der Kuhhaltung, erlaube mir aber mal die Überzeugung, daß die “industrialisierte Massentierhaltung” auch ganz einfach ein Problem der schieren Zahl und nicht nur des guten oder schlechten “Managements” ist, oder?
      Viele Kühe machen also nicht nur viele Mühe, sondern immer mehr Kühe müssen also auch immer mehr leiden.
      Um mal wieder einen Philosophen zu bemühen, würde ich mal frei nach Wittgenstein, bei Ihrem Vergleich von einem Kategorienfehler sprechen.

      • Hallo L. Lepida,

        was findet denn da heute in der Tierhaltung statt? Das interessiert mich wirklich sehr 😉

        Sie haben natürlich vollkommen recht. Nicht jede deutsche Kuh steht mit 199 anderen in einem modernen Freilaufstall und hat Weidegang, wenn es ihr passt. Die Durschnittsgröße eines deutschen Milchvieh-Betriebes lag vor wenigen Jahren noch 46 Tieren, das wird sich aber langsam nach oben korrigieren. Bayerb bildet dabei übrigens eine Sonderstellung mit einer noch sehr kleinteiligen Milchvieh-Wirtschaft. Das bewegen sich viele Betriebe im 20-40er Bereich.

        Was die Tierzahl angeht, habe ich hier gerade einen interessanten Vergleich aus den USA zur Hand. In einem Paper werden die Milchvieh-Populationen 1944 und 2007 in den USA verglichen. So lebten dort 1944 25,6 Millionen Kühe, die jährlich 53 Milliarden Liter Milch produzierten. 2007 lebten 9,2 Millionen Kühe in den USA und produzierten 84 Milliarden Liter Milch. Die Entwicklung der Betriebsgrößen ist dabei ungefähr mit Deutschland vergleichbar. Hier wie dort waren und sind es teure Investitionen bzw. Auflagen der Politik, die nur für größere Betriebe zu finanzieren waren/sind. Kleine Betriebe geben auf, bestehende wachsen. Die Gesamtpopulation der Tiere hat also mit der Größe der betrieblichen Bestände nichts zu tun.

        Woher nehmen Sie die Annahme, dass Kühe immer mehr leiden müssen? Kühe werden heute intensiver bewacht als die wertvollsten Schätze der Welt.

        • “So lebten dort 1944 25,6 Millionen Kühe, die jährlich 53 Milliarden Liter Milch produzierten. 2007 lebten 9,2 Millionen Kühe in den USA und produzierten 84 Milliarden Liter Milch….

          Woher nehmen Sie die Annahme, dass Kühe immer mehr leiden müssen?”

          Und es kommt Ihnen tatsächlich nicht komisch vor, dass heutzutage weniger Kühe mehr Milch produzieren? Allein das spricht dafür, dass Kühe heute immer mehr leiden müssen, immer mehr Kälber gebären, um immer mehr und regelmäßiger Milch zu produzieren. (Die Kälber nimmt man den Kühen übrigens ziemlich schnell weg – man hört die Kühe dann mehrere Tage nach ihnen schreien. Doch ohne den Eingriff des Züchtens würden Kühe nur halb so viel Milch produzieren.) Der Großteil der Kühe lebt in Laufstallhaltung, wo ihnen ca. 5qm zur Verfügung stehen. Setzt man sich mit den normalen Verhalten einer Kuh auseinander, begreift man recht schnell, dass das nicht gerade ein freudvolles Leben ermöglicht.

          Wenn man das also mal insgesamt betrachtet: Zwang zur Höchstleistung, ständige Schwangerschaft, wenig Platz (manche Kühe sehen niemals eine Weide), körperliche Überlastung, zahlreiche Krankheiten… Ehrlich gesagt: Ich komme da ziemlich schnell auf die Idee, dass Kühe immer mehr leiden müssen.

  38. Ich stimme Herrn Trepl in seiner grundlegenden Argumentation zu

    Zum Problem “Todesangst”:

    Das Wissen um den Tod beginnt beim Menschen langsam, wahrscheinlich mit der Pubertät. In diesem Alter ungefähr beginnt jedenfalls bei vielen Jugendlichen ein ausgeprägtes Interesse an Horrorfilmen …
    Manche Tiere scheinen bei schwerer Verletzung oder Krankheit einen nahenden Tod aber auch ahnen zu können, sie ziehen sich dann zurück.
    Der wesentliche Unterschied im Verhältnis zum Tod ist aber offensichtlich. Bei den Tieren kann man nur raten, ob manche Arten über den Tod in einem gewissen Maß nachdenken können.

    Beim Menschen ist es ein Kulturmerkmal, er bestattet nämlich seine Toten. In Deutschland gibt es sogar ein Museum, dass sich diesem Thema widmet, das Museum für Sepulkralkultur in Kassel.
    http://www.sepulkralmuseum.de/

    Die Beschäftigung mit dem Tod war und ist ein so zentrales Thema so vieler Kulturen, dass man graduelle Unterschiede zum Tier wohl kaum feststellen kann. Religion, Kunst und Literatur (oder ihre vorschriftlichen Vorläufer) hängen damit zusammen, auch sie setzen einen wesentlichen Unterschied zum Tier.

    • Die Beschäftigung mit dem Tod war und ist ein so zentrales Thema so vieler Kulturen, dass man graduelle Unterschiede zum Tier wohl kaum feststellen kann. Religion, Kunst und Literatur (oder ihre vorschriftlichen Vorläufer) hängen damit zusammen, auch sie setzen einen wesentlichen Unterschied zum Tier.

      * graduelle Unterschiede zum Tier wohl kaum verleugnen kann

      Wobei der Mensch zudem tendenziell das Tier verzehrt und nicht umgekehrt. Schwierig. Letztlich nagt es aber vielen genau daran, nämlich dass die Nahrungskette unidirektional ist, jedenfalls den Relativisten und Nihilisten.

      Der Webbaer ist hier -naturgemäß- unentschlossen, wer recht hat.

      MFG
      Dr. W

      • Wo liegt denn genau ein gradueller Unterschied zwischen Mensch und Tier bezüglich der genannten Bereiche: Bestattung, Religion, Kultur etc.? Graduelle Abstufungen finden Sie zuhauf bei Menschen und auch bei Tieren, aber eine Abstufung, die über die Kluft springt, kenne ich nicht.
        Beim Werkzeuggebrauch könnte man, wenn man will, eine Abstufung über die Grenze hinweg sehen.
        Aber gibt es Tiere mit ein klein bisschen Religion? Wenn Tiere (am ehesten Primaten) ihre verstorbenen Verwandten nach dem Tod z.B. mit Zweigen und Laub abdecken würden, wäre das ein Hinweis auf eine gewisses Denken über die Bedeutung des Todes.
        Bestattungen bei Urmenschen sind ein Beweis für das Erwachen (eine Metapher) des menschlichen Geistes. Damals stand der Mensch vermutlich noch nicht völlig unangefochten an der Spitze der Nahrungskette.

        • Aber gibt es Tiere mit ein klein bisschen Religion? Wenn Tiere (am ehesten Primaten) ihre verstorbenen Verwandten nach dem Tod z.B. mit Zweigen und Laub abdecken würden, wäre das ein Hinweis auf eine gewisses Denken über die Bedeutung des Todes.

          Das Tier denkt über das Wegsein Anderer nachweislich nach, die Katze, die ihre (weggegebenen Jungen) sucht, sei beispielsweise genannt oder der treue Hund:
          -> http://www.nordbayern.de/ressorts/schlagzeilen/bolivien-hund-wartet-seit-funf-jahren-auf-sein-totes-herrchen-1.3397376

          Der Primat hebt sich hier ein wenig hervor, sagt auch aus (ein wichtiger Punkt: er redet), was die Voraussetzung ist, um Ethik und so zu entwickeln, weil es den Austausch bedingt.

          Leider, leider verzehrt Leben Leben und erst künstlich erschaffenes Pseudo-Leben wird diesen Kreislauf brechen, wobei es dann die anfallende sittlichen Diskurse auszuhalten gilt. – Ob das Schnitzel nicht doch irgendwie Schwein ist, oder so.

          MFG
          Dr. W (der sich nun ausklinkt, die Ethik bei Dr. Trepl in besten Händen weiß)

        • Es fragt sich, ob das stimmt, was man gelegentlich hört – Wölfe, die den Mond anheulen – das Bedecken von Verstorbenen mit Zweigen sollen Elefanten tun – im Fernsehen sah ich mal eine Szene, die so aussah, als ob eine Herde Elefanten beim Skelett ihrer früheren Leitkuh (laut Kommentar) eine Art “Gedenkminute” abhalten würde.

          Aber, wie gesagt, stimmt so etwas wohl ??

          • Tiere haben auf jeden Fall Gefühle füreinander. Ich möchte das nicht unterbewerten, auch nicht die Intelligenz mancher Tiere, z.B. Elefanten, die ja ein sprichwörtliches Gedächtnis haben (sollen). Ich kannte auch ein Wellensittichpaar, das verliebt war. Einer flog durch Zufall weg (offene Haustür), der andere starb bald darauf aus Kummer. Man hörte an ihrem Zwitschern, dass sie sich gern hatten.

            Jaja, der Einwand anthopomorphisierender Deutungen: Ich vermute, wir können teilweise auch die Gefühle von Tieren deuten, weil viele Gefühle älter als die Menschen sind.

            Das der Mensch kulturell tätig wird, liegt zweifellos auch an seinen Händen zum freien Gebrauch. Die haben weder Elefanten noch Delphine.

    • „Das Wissen um den Tod beginnt beim Menschen langsam, wahrscheinlich mit der Pubertät. In diesem Alter ungefähr beginnt jedenfalls bei vielen Jugendlichen ein ausgeprägtes Interesse an Horrorfilmen …
“

      Das ist wohl etwas veraltet. Mein fünfjähriger Enkel – bis zur Pubertät ist es also, hoffentlich, noch lange hin – bewertet Filme überwiegend nach der Zahl der Toten und danach, ob das Töten auch richtig cool vor sich geht; und er ist da nicht der einzige in seiner Kindergartengruppe. Allerdings scheint er zwischen dem Tod eines Menschen und dem Tod eines Roboters in starwars noch nicht so richtig unterscheiden zu können.

      „Manche Tiere scheinen bei schwerer Verletzung oder Krankheit einen nahenden Tod aber auch ahnen zu können, sie ziehen sich dann zurück.
“

      Na, ob das nicht eine anthropomorphisierende Deutung ist? Würden sie die Nähe ihrer Angehörigen suchen, hätte das garantiert auch schon einer als Ahnung des nahenden Todes gedeutet.

  39. Es bedarf keiner „neuen Ethik“, um die Massentierhaltung als etwas Verwerfliches zu erkennen.

    Die Massentierhaltung allgemein oder nur bestimmte Massentierhaltung?
    MFG
    Dr. W

  40. @Ludwig Trepl

    Daraus, daß der Mensch um diese Frage nicht herumkommt, ergibt sich der mit nichts anderem verrechenbare Wert des Menschen, ein Wert, der etwas anderes ist als der, den man „Preis“ nennt, weil er nämlich „kein Äquivalent verstattet“ (Kant, Grundlegung): seine Würde.

    Die Unterscheidung zwischen Schwein und Mensch vollziehen Sie aber nicht am Vorhandensein des Phänotyps “Würde”. Und würde man das ernst nehmen, so würde man bei Komatösen, Hirntoten, hinreichend Retardierten usw. das Vorhandensein von Würde verneinen, das Gegenteil ist aber in der Praxis der Fall. Hier stimmt also (mal wieder) vermutlich mit dem Begriff der Würde etwas nicht.

    Das Töten von Tieren läßt sich nicht vermeiden.

    Rabulistik der gröberen Art. Das Töten von Menschen lässt sich nicht vermeiden (etwa im Krieg). Sollen Sie deshalb Ihren Nachbarn umbringen?

    Auch ein Veganer kommt nicht darum herum, denn das Ziehen jeder Ackerfurche tötet Abertausende von Tieren, und zwar auf qualvolle Weise.

    Und deshalb soll er sich bei den paar Millionen Schweinen nicht so anstellen?

    Die Begründung dafür, daß dieses Töten erlaubt ist, liegt nicht nur, wie man heute gern meint, darin, daß der Mensch für sich selbst sorgen dürfen muß – jedes andere Tier macht es ja ebenso –, sondern auch im unendlich höheren Wert des Menschen.

    Eine Erlaubnis braucht man nur dort, wo etwas verboten ist. Von neuzeitlichen Tierschutzgesetzen abgesehen ist die Tiertötung aber nicht verboten. Warum sind Sie scharf darauf, das, was schon nicht verboten ist, noch explizit erlaubt zu bekommen?

    • Ludwig Trepl, @ Ano Nym.

      „Die Unterscheidung zwischen Schwein und Mensch vollziehen Sie aber nicht am Vorhandensein des Phänotyps “Würde”.“

      Was ist denn ein Phänotyp “Würde”? Im Übrigen rate ich Ihnen, Kant zu lesen oder etwas aus dieser Richtung, wenigstens ein bißchen. Ich merke immer wieder, daß Sie einfach von dem Hintergrund, von dem ich ausgehe, nicht die geringste Ahnung haben, sonst könnten Sie nicht so argumentieren, wie Sie es tun, auch wenn Sie weiterhin dagegen argumentieren könnten. Ich kann doch nicht immer den ganzen Kontext erklären.

      „’Das Töten von Tieren läßt sich nicht vermeiden.’ Rabulistik der gröberen Art. Das Töten von Menschen lässt sich nicht vermeiden (etwa im Krieg). Sollen Sie deshalb Ihren Nachbarn umbringen?“

      Das ist nun wirklich eine rabulistische Meisterleistung. Kriege lassen sich vermeiden, essen muß man. Und wie kommen Sie darauf, daß ich der Meinung bin, man könne, weil sich das Töten von Tieren nicht vermeiden läßt, mit den Tieren nach Belieben umspringen? Im Artikel steht das genau Gegenteil.

      „’Auch ein Veganer kommt nicht darum herum, denn das Ziehen jeder Ackerfurche tötet Abertausende von Tieren, und zwar auf qualvolle Weise.’ Und deshalb soll er sich bei den paar Millionen Schweinen nicht so anstellen?“

      Lesen Sie doch erst mal meinen Text und drehen Sie mir nicht immerzu die Worte im Mund herum. Noch so ein Klopper, und ich schmeiß’ Sie raus. Es wird langsam unerträglich.

      „Eine Erlaubnis braucht man nur dort, wo etwas verboten ist. Von neuzeitlichen Tierschutzgesetzen abgesehen ist die Tiertötung aber nicht verboten. Warum sind Sie scharf darauf, das, was schon nicht verboten ist, noch explizit erlaubt zu bekommen?“

      Ist das so schwer zu erkennen? Weil ich hier gegen eine Position argumentiere, die die Tiertötung verbieten will.

  41. @Ludwig Trepl

    »Diese Frage [was sein soll] stellt sich kein Tier – jedenfalls kennen wir keinen Hinweis darauf –, wohl aber der Mensch, und zwar kultur- und zeitenübergreifend, und eben daraus resultiert der prinzipielle Unterschied.«

    Auch ein drei Tage altes H. sapiens stellt sich diese Frage nicht. Wann und wie wird daraus ein Mensch? Nach Ihrer Def. fängt der Mensch anscheinend frühestens beim Philosophen an, und eigentlich auch nur dann, wenn der sich als solcher mit der besagten Frage herumquält.

    Im übrigen hat die Behauptung eines absoluten Alleinstellungsmerkmals in der Menscheitsgeschichte immer nur fatale Irrtümer, aber noch nie eine Weisheit hervorgebracht.

    • Den wichtigsten Teil der Antwort habe ich eben im Kommentar zu M. Holzherr geschrieben.

      “Im übrigen hat die Behauptung eines absoluten Alleinstellungsmerkmals in der Menscheitsgeschichte immer nur fatale Irrtümer, aber noch nie eine Weisheit hervorgebracht.”

      Können Sie das bzgl. derjenigen Behauptung, um die es hier geht, belegen?

      “Nach Ihrer Def. fängt der Mensch anscheinend frühestens beim Philosophen an, und eigentlich auch nur dann, wenn der sich als solcher mit der besagten Frage herumquält.”

      Was für ein Quatsch, und sehr unter Ihrem Niveau, gerade Ihrem. Erstens ist das keine Definition (wenn wir auf einem fernen Planeten ein Wesen treffen, das die Frage, was sein soll, kennt und dem sie in ähnlicher Weise essentiell ist wie uns, das aber grüne Hörner und drei Köpfe hat, so ist das kein Mensch). Zweitens stellt sich die Frage, was sein soll, ein Mensch lange bevor er erwachsen ist und nicht erst, wenn er Philosoph ist. Drittens ist es für die Frage, was denn den Menschen von den Tieren unterscheidet, völlig egal, daß er einst ein Einzeller war, der sich in dem, was er aktuell konnte, sehr zu seinem Nachteil von einer erwachsenen Mücke unterschied.

    • @ Chrys :

      Diese Frage [was sein soll] stellt sich kein Tier – jedenfalls kennen wir keinen Hinweis darauf –, wohl aber der Mensch, und zwar kultur- und zeitenübergreifend, und eben daraus resultiert der prinzipielle Unterschied. (Artikel-Text)

      Auch ein drei Tage altes H. sapiens stellt sich diese Frage nicht. Wann und wie wird daraus ein Mensch? Nach Ihrer Def. [Hervorhebung: Dr. W] fängt der Mensch anscheinend frühestens beim Philosophen an, und eigentlich auch nur dann, wenn der sich als solcher mit der besagten Frage herumquält.

      Haha, es gab aber schon Saures von Herrn Trepl, sonst wäre Ihr Kommentatorenfreund hier zudringlich geworden.
      Tja, interessant, bei Fragen, die die Politik und die Ethik berühren, kommt auch von bewährten Kräften regelmäßig so etwas. Why is that?

      MFG
      Dr. W

    • v2.0 :

      @ Chrys :

      Diese Frage [was sein soll] stellt sich kein Tier – jedenfalls kennen wir keinen Hinweis darauf –, wohl aber der Mensch, und zwar kultur- und zeitenübergreifend, und eben daraus resultiert der prinzipielle Unterschied. (Artikel-Text)

      Auch ein drei Tage altes H. sapiens stellt sich diese Frage nicht. Wann und wie wird daraus ein Mensch? Nach Ihrer Def. [Hervorhebung: Dr. W] fängt der Mensch anscheinend frühestens beim Philosophen an, und eigentlich auch nur dann, wenn der sich als solcher mit der besagten Frage herumquält.

      Haha, es gab aber schon Saures von Herrn Trepl, sonst wäre Ihr Kommentatorenfreund hier zudringlich geworden.
      Tja, interessant, bei Fragen, die die Politik und die Ethik berühren, kommt auch von bewährten Kräften regelmäßig so etwas. Why is that?

      MFG
      Dr. W

    • @Ludwig Trepl

      Wenn Menschen versuchen, sich eine prinzipielle Sonderstellung zuzuschreiben, so scheitert das nicht daran, weil Tiere auch Menschen wären, sondern weil Menschen auch Tiere sind. Letzteres nehme ich mal als eine biologisch unabweisbare Einsicht, die aber bekanntlich insbesondere von jenen, die sich für gottähnliche Geschöpfe halten, nur schwer verkraftet wird (was aber hier nicht das Thema ist).

      Was nun das Menschsein typischerweise ausmacht, wird, wie ich es sehe, in einem kulturellen Kontext durch die Lebenspraxis derer, die sich Menschen nennen, fortwährend und immer neu ausgelegt. Das ist nicht irgendwann fertig, es ist ein andauernder, kollektiver Prozess der Selbsterschaffung eines evolvierenden Menschenbildes durch seine Konstituenten. Und was dann gut und richtig ist (oder dafür gehalten wird), was man also tun soll, lernen die Juvenilen von den Adulten üblicherweise durch soziale Konditionierung, indem Benehmen belohnt oder getadelt wird. So erzieht man im Prinzip allerdings auch Hunde.

      Unsere Sprache gestattet es, grammatikalisch korrekte Sätze zu formen, die etwas auszusagen scheinen über das Gute, Schöne, Wahre, über das Sollen oder über das Nichts. Es stellt sich dann aber die Frage, woran zu erkennen oder wie zu entscheiden ist, ob es sich dabei womöglich um Scheinsätze handelt, mit denen sich letztlich kein Sinn verbinden lässt. Aus der sprachlichen Zulässigkeit einer Substantivierung des Verbs sollen folgt nicht unbedingt, dass das dergestalt erhaltene Sollen ein sinnvoller Gegenstand der Erörterung sein muss. Ich bemühe hierzu einmal mehr Rudolf Carnap (Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache):

      Die logische Analyse spricht somit das Urteil der Sinnlosigkeit über jede vorgebliche Erkenntnis, die über oder hinter die Erfahrung greifen will. Dieses Urteil trifft zunächst jede spekulative Metaphysik, jede vorgebliche Erkenntnis aus reinem Denken oder aus reiner Intuition, die die Erfahrung entbehren zu können glaubt. […] Weiter gilt das Urteil auch für alle Wert- oder Normphilosophie, für jede Ethik oder Ästhetik als normative Disziplin. Denn die objektive Gültigkeit eines Wertes oder einer Norm kann ja (auch nach Auffassung der Wertphilosophen) nicht empirisch verifiziert oder aus empirischen Sätzen deduziert werden; sie kann daher überhaupt nicht (durch einen sinnvollen Satz) ausgesprochen werden. Anders gewendet: Entweder man gibt für „gut“ und „schön“ und die übrigen in den Normwissenschaften verwendeten Prädikate empirische Kennzeichen an oder man tut das nicht. Ein Satz mit einem derartigen Prädikat wird im ersten Fall ein empirisches Tatsachenurteil, aber kein Werturteil; im zweiten Fall wird er ein Scheinsatz; einen Satz, der ein Werturteil ausspräche, kann man überhaupt nicht bilden.

      Sie schreiben da,

      »Das ist der erste dicke Fehler in dem Text: Die Autorin versucht die Frage nach dem, was moralisch richtig ist, zu beantworten, indem sie eine Vermutung darüber anstellt, was man für moralisch richtig halten wird. Beides hat aber gar nichts miteinander zu tun. […] Da hat der Zeitgeist natürlich sofort einen Einwand: Hier handelt es sich um ein empirisches Faktum.«

      Sie haben natürlich recht damit, dass es sich hier nicht per se um ein empirisches Faktum handelt. Aber Carnap würde vermutlich fordern, dass empirische Kennzeichen benannt werden, anhand deren sich beurteilen liesse, ob das, was für moralisch richtig gehalten wird, auch tatsächlich moralisch richtig ist, weil ansonsten diese Unterscheidung gar nicht sinnvoll getroffen werden kann. Und er würde wohl auch bezweifeln, dass man dies überhaupt tun kann, ohne dabei dem moralisch Richtigen die Form einer Konvention zu geben, womit die Unterscheidung dann auch hinfällig wäre.

      @Dr. Webbaer

      Von Ihnen hätte ich dazu aber auch etwas Konstruktivistischeres erwartet …

      • Dr. W an Chrys :

        Und er würde wohl auch bezweifeln, dass man dies überhaupt tun kann, ohne dabei dem moralisch Richtigen die Form einer Konvention zu geben, womit die Unterscheidung dann auch hinfällig wäre.

        I.p. Verhalten gibt es keine Wertung, wenn verhaltens-wissenschaftlich betrachtet gibt, die Moral oder Sittlichkeit oder Ethik setzt aber Grenzen, die sich alleine schon aus dem Bemühen um die Moral oder Sittlichkeit oder Ethik ergeben, logisch (“sprachlich”). Es macht bspw. keinen Sinn dem Nihilismus eine wie auch immer geartete Sittlichkeit zuzuordnen.

        Sprechen Sie zudem bitte einfach einer älteren Nachricht Ihrerseits Ihr Misstrauen aus, was nett wäre, danke,
        MFG
        Dr. W

      • Ludwig Trepl, @ Chrys.

        “Wenn Menschen versuchen, sich eine prinzipielle Sonderstellung zuzuschreiben, so scheitert das nicht daran, weil Tiere auch Menschen wären, sondern weil Menschen auch Tiere sind.”

        Sie wollten wohl schreiben: “weil Menschen auch nur Tiere sind.” Andernfalls kann es hier kein Scheitern geben. Denn wenn Menschen auch Tiere sind (woran noch nie einer gezweifelt hat), dann könnten sie ja auch noch etwas anderes sein, und dieses andere könnte die prinzipielle Sonderstellung ausmachen. Traditionell sagte man: Der Mensch ist ein Tier, ein Naturwesen, aber er ist nicht nur das, er ist auch ein Vernunftwesen.

        Im Übrigen fordere ich mehr Konsequenz: wenn Sie der Meinung sind, daß Menschen auch nur Tiere sind, dann sollten Sie sagen, warum man nicht alte Leute, die zu nichts mehr nütze sind, wie eine alte Kuh behandeln soll, die keine Milch mehr gibt. Man schlachtet sie und verarbeitet sie zu Hundefutter. Warum nicht? Vielleicht wären die meisten Angehörigen froh.

        Zu Carnap: Carnap hat, wie etliche aus dem Wiener Kreis, die wichtigsten seiner frühen etwas rabiaten Behauptungen später widerrufen. Auf das, was Sie hier zitieren, trifft das glaub’ ich nicht zu, aber er stieß damit selbst innerhalb des Positivismus im weiteren Sinn nicht auf viel Verständnis.

        „Die logische Analyse spricht somit das Urteil der Sinnlosigkeit über jede vorgebliche Erkenntnis, die über oder hinter die Erfahrung greifen will. Dieses Urteil trifft zunächst jede spekulative Metaphysik, jede vorgebliche Erkenntnis aus reinem Denken oder aus reiner Intuition, die die Erfahrung entbehren zu können“

        Das hat er von Kant übernommen, da taucht es historisch erstmals auf.

        „Weiter gilt das Urteil auch für alle Wert- oder Normphilosophie, für jede Ethik oder Ästhetik als normative Disziplin. Denn die objektive Gültigkeit eines Wertes oder einer Norm kann ja (auch nach Auffassung der Wertphilosophen) nicht empirisch verifiziert oder aus empirischen Sätzen deduziert werden; sie kann daher überhaupt nicht (durch einen sinnvollen Satz) ausgesprochen werden.“

        Da fehlt die Begründung. Wieso sollen Inhalte, die sich nicht auf Empirisches beziehen, deswegen nicht in einem sinnvollen Satz ausgesprochen werden, weil sie sich nicht auf Empirisches beziehen? In diesem Falle: weil das, was da sein soll, eben nur sein soll, aber nicht existent in der empirischen Wirklichkeit? Die Argumentation von Carnap zeigt nur, daß dem Positivismus (definitionsgemäß, weil er sich auf das, was ist, bezieht, nicht auf das, was nicht ist, aber vielleicht sein soll) die Dimension des Moralischen nicht zugänglich ist. Er hat sich entschieden, daß alles, was nicht empirisches Wissen ist, nur in sinnlosen Sätzen bestehen kann, und dann ist es halt so. Kein Wunder, daß ihm da nur wenige gefolgt sind.

        Er selber kann sich da auch nicht gefolgt sein, denn dann hätte er sich aus dem verabschieden müssen, was man „Leben“ nennt. (Vielleicht hat er das ja, vielleicht ist es kein Zufall, daß sein Sohn Pfarrer wurde). Es ist schlechterdings nicht möglich, den Gedanken im Leben durchzuhalten, daß moralische Behauptungen sinnlos sind oder aber nichts anderes sind als Konventionen. Denn um moralische Behauptungen kommt niemand herum. Wenn das aber so wäre: Warum macht er sich überhaupt die Mühe, herauszufinden, was moralisch geboten ist? Die aber die macht er sich, immerzu. Warum quält er sich, wenn er ein schlimmes Verbrechen begangen hat? Warum sagt er nicht: Daß man das nicht tun soll, ist doch nur ein sinnloser Satz? Warum beruhigt er sich nicht wenigstens damit, daß er doch nur gegen Konventionen verstoßen hat (etwas anderes gibt es ja nicht), und um die muß man sich nicht ja scheren? Warum gibt er anderen Konventionen den Vorzug und hält sich nicht an die Konvention mancher Kulturen, Ehebrecherinnen zu steinigen? Ist er nicht vielleicht doch der Meinung, daß diese Konvention falsch ist? Und warum beruhigt er nicht sein Gewissen im Falle eines schweren Verbrechens mit Drogen? Von der positivistischen Position aus spricht gegen all das nichts.

    • @Ludwig Trepl

      »Sie wollten wohl schreiben: “weil Menschen auch nur Tiere sind.”«

      Nein, wollte ich nicht. Ich würde auch nicht sagen wollen, weil die rationalen Zahlen “nur” Zahlen sind, habe für sie nur das Geltung, was für alle anderen Zahlen auch gilt, denn das wäre unzutreffend. Umgekehrt wäre es aber auch ungerchtfertigt, den rationalen Zahlen eine prinzipielle Sonderstellung unter den Zahlen zuschreiben zu wollen, nur weil sie exakt die Eigenschaften haben, durch die sie als rationale Zahlen charakterisiert werden.

      »Denn wenn Menschen auch Tiere sind (woran noch nie einer gezweifelt hat), …«

      Noch nie? Das Institute for Creation Research kann Ihnen da vielleicht ganz neue Perspektiven bieten.
      http://www.icr.org/article/522/226/

      »Da fehlt die Begründung. Wieso sollen Inhalte, die sich nicht auf Empirisches beziehen, deswegen nicht in einem sinnvollen Satz ausgesprochen werden, weil sie sich nicht auf Empirisches beziehen?«

      Beispielsweise sind weder das Prädikat “schuldig” noch eine Gesetzesgrundlage G zur Beurteilung von Schuld empirisch begründet. Dennoch kann der Schuldfrage semantisch eine sinnvolle Bedeutung beigemessen werden, wobei der empirische Bezug in den semantischen Regeln steckt. Also nach dem Schema: “X ist schuldig” (im Sinne von G) gilt, wenn X eine konkrete Person bezeichnet und als (empirische) Tatsache festgestellt wird, dass X irgendwelche (näher zu spezifizierende) G-Regeln verletzt hat.

      »Es ist schlechterdings nicht möglich, den Gedanken im Leben durchzuhalten, daß moralische Behauptungen sinnlos sind oder aber nichts anderes sind als Konventionen. […] Warum sagt er [Carnap] nicht: Daß man das nicht tun soll, ist doch nur ein sinnloser Satz?«

      Lassen wir ihn dazu selbst nochmals zu Worte kommen. Im bereits zitierten Text schreibt er:

      Wenn wir sagen, daß die Sätze der Metaphysik völlig sinnlos sind, gar nichts besagen, so wird auch den, der unseren Ergebnissen verstandesmäßig zustimmt, doch noch ein Gefühl des Befremdens plagen: sollten wirklich so viele Männer der verschiedensten Zeiten und Völker, darunter hervorragende Köpfe, so viel Mühe, ja wirkliche Inbrunst auf die Metaphysik verwendet haben, wenn diese in nichts bestände als in bloßen, sinnlos aneinandergereihten Wörtern? […] Diese Bedenken haben insofern recht, als die Metaphysik tatsächlich etwas enthält; nur ist es kein theoretischer Gehalt. Die (Schein-)Sätze der Metaphysik dienen nicht zur Darstellung von Sachverhalten, weder von bestehenden (dann wären es wahre Sätze) noch von nicht bestehenden (dann wären es wenigstens falsche Sätze); sie dienen zum Ausdruck des Lebensgefühls.

      Ausdruck des Lebensgefühls — na ja, das ist sicherlich etwas drastisch reduzierend. Aber wenn Sie argumentieren, hinter der Moral müsse mehr sein als vom Menschen selbst hervorgebrachte Konventionen, dann doch letztlich deshalb, weil das so Ihrem Lebensgefühl entspricht. Was ist denn so schrecklich an der Vorstellung, dass menschliche Ethik dem menschlichen Geist entspringt? Für die Musik und die Mathematik gilt das auch, und die verlieren von ihrer Grossartigkeit doch nichts dadurch, dass es sich “nur” um menschliche Errungenschaften handelt.

      • Ludwig Trepl, @ Chrys.

        „’Sie wollten wohl schreiben: “weil Menschen auch nur Tiere sind.”’ [Zitat von mir]« Nein, wollte ich nicht.“

        Ohne das „nur“ bleibt aber mein Satz stehen: „Denn wenn Menschen auch Tiere sind …, dann könnten sie ja auch noch etwas anderes sein, und dieses andere könnte [könnte!! Mehr habe ich an dieser Stelle nicht gesagt] die prinzipielle Sonderstellung ausmachen.“

        „’Denn wenn Menschen auch Tiere sind (woran noch nie einer gezweifelt hat)…’ Noch nie? Das Institute for Creation Research …“

        Es ist doch klar, daß so etwas mit „noch nie“ nicht gemeint ist. „Alle“ sind in unserem Zusammenhang nicht alle Exemplare der Spezies Homo sapiens.

        „Beispielsweise sind weder das Prädikat “schuldig” noch …(usw.)“

        Ich weiß nicht, was Sie mir damit sagen wollen. Ich dachte, Sätze wie „du sollst nicht ehebrechen“ seien nach Carnap sinnlos, weil sie nicht empirisch zu prüfen sind. Jetzt scheint es mir so, als ob sie doch nicht sinnlos wären. Wie ist es denn nun?

        „Wenn wir sagen, daß die Sätze der Metaphysik völlig sinnlos sind, gar nichts besagen, so wird auch den, der unseren Ergebnissen verstandesmäßig zustimmt, doch noch ein Gefühl des Befremdens plagen: … sie dienen zum Ausdruck des Lebensgefühls.“ (Carnap)

        Dazu hat Kant auch schon Stellung genommen, gleich am Anfang der KrV, nur nicht so platt-empiristisch. Für eine in sich ungeheuer differenzierte Welt von Gedanken, richtigen und falschen, kategorial ganz unterschiedlichen, haben die Positivisten nur eine Schublade: Lebensgefühl. Aber ein gewisser Unterschied ist es doch, ob ich als Ausdruck eines Lebensgefühls jauchze oder tanze oder satt-zufrieden grunze oder ob mich das „Lebensgefühl“ auf den Gedanken der Menschenwürde führt. – Dieses Denken ist einfach unsäglich ärmlich. Ich habe mal eine Stelle von Walter Benjamin gelesen, wo er beschreibt, wie er erschüttert aus einer Sitzung des Wiener Kreises kam, in die er zufällig hineingeraten war. Er sah die Welt untergehen. Recht hatte er. Leider weiß ich nicht mehr, wo das stand, vielleicht in einem Brief an Scholem.

        „Aber wenn Sie argumentieren, hinter der Moral müsse mehr sein als vom Menschen selbst hervorgebrachte Konventionen, dann doch letztlich deshalb, weil das so Ihrem Lebensgefühl entspricht.“

        Wie kommen Sie denn auf so was? Darüber, ob ein bestimmter moralischer Satz richtig oder falsch ist, entscheiden wir nie mit Hilfe eines Gefühls, auch nicht des Lebensgefühls; vielmehr ist eine jede Antwort, die das Gefühl uns zu geben scheint, zu prüfen. Das Gefühl legt uns allerlei nahe, auch einander Widersprechendes, es gibt aber kein Gefühl, mittels dessen wir zwischen Gefühlen, denen wir nachgeben sollen, und Gefühlen, denen wir uns widersetzen sollen, unterscheiden können. – Wir entscheiden in moralischen Dingen mit Hilfe von Vernunftschlüssen wie zu irgendeinem anderen Thema auch, das wir durch Denken bewältigen. Nur können wir da nicht einfach rechnen, sondern müssen argumentieren. So wie in vielen anderen Dingen auch.

        „Was ist denn so schrecklich an der Vorstellung, dass menschliche Ethik dem menschlichen Geist entspringt?“

        Jetzt sind wir schon etwas weiter: nicht Lebensgefühl, sondern Geist. Ich weiß nicht so genau, was „Geist“ ist, aber man kann auf jeden Fall, wenn man sagt, daß die Ethik dem menschlichen Geist entspringt, genauso sagen, daß auch die Naturwissenschaft und die übrige Wissenschaft dem menschlichen Geist entspringt. Eben darum, weil es sich hier um Gedanken, nicht um Zustände oder Vorgänge (wie sie allein Gegenstand der Objektwissenschaften sein können) handelt, stehen sie unter der Geltungsdifferenz. Sie können gültig sein oder nicht, wahr oder falsch. An jeden Gedanken ist diese Frage zu stellen, und es gibt Prüfkriterien. Bei Behauptungen, die sich nicht auf Empirisches („Seiendes“), sondern z. B. auf Regeln, unter die man seine Willensbestimmungen stellt, beziehen, kann die Empirie natürlich kein Prüfkriterium sein. Ein Kriterium ist aber die logische Konsistenz. Eine Maxime, die die Vernunftprüfung bestehen will, darf sich z. B. nicht selbst aufheben.

        Also: Wie die Objektwissenschaft und die Mathematik ist auch die Ethik „nur“ eine menschliche Errungenschaft. Aber da es sich um Gedanken handelt, die da hervorgebracht werden, stellt sich immer die Frage, ob sie wahr oder nicht wahr sind. Denn Gedanken „sind“ nicht einfach wie irgendein materielles Ding, das man als „menschliche Errungenschaft“ bezeichnen könnte, z. B. eine Straße oder ein Kochtopf. Sondern sie gelten oder sollen doch gelten.

        Nun könnten bestimmte Gedanken eventuell nur wahr/falsch sein in Relation zu bestimmten Konventionen (für die Wissenschaft wird das ja von manchen auch behauptet). Aber das wird dem Wesen des Normativen, was darin steckt, nicht gerecht. Es bleibt nämlich immer die Frage, ob denn die Konventionen wahr/falsch sind, wenn sie sich auf Moral beziehen (und nicht z. B. so etwas sind wie Verkehrsregeln). Darum muß Moral „mehr sein als vom Menschen selbst hervorgebrachte Konventionen“, denn die Konventionen sind ja selbst auf ihre moralische Richtigkeit zu prüfen. Das gestehen Sie ja auch zu und fahren dann fort: „dann [wenn sie ‘mehr’ ist] doch letztlich deshalb, weil das so Ihrem Lebensgefühl entspricht.“ Überhaupt nicht: sondern weil sie die Prüfung durch die Vernunft bestanden hat (was manchmal bis ans Ende aller Tage dauern kann, meist aber recht schnell geht), ist sie mehr als Konvention.

        Die Haltlosigkeit des Konventionalismus ist in der Diskussion um den Rechtspositivismus deutlich geworden. Positives Recht – Konvention par excellence – kann und muß (nicht aufgrund eines Lebensgefühls, sondern aus Vernunftgründen) seinerseits auf seine Rechtmäßigkeit hin befragt werden. Sonst kann es, „wie wir aus unserer Geschichte und aus unserer Gegenwart wissen, sich beliebig weit in Unrecht verkehren“ (Grünewald).

    • @Ludwig Trepl

      »Ich weiß nicht, was Sie mir damit sagen wollen. Ich dachte, Sätze wie „du sollst nicht ehebrechen“ seien nach Carnap sinnlos, weil sie nicht empirisch zu prüfen sind.«

      Empirisch prüfen lässt sich bestenfalls nur, ob ein in Betracht stehender Sachverhalt vorliegt oder nicht. Normative Regelsätze mit “sollen” oder “dürfen” machen aber rein formal gar keine Aussagen über Sachverhalte, denn “sollen” und “dürfen” stellen keine logischen Prädikate dar. Vielmehr lässt sich derlei erst im Rahmen der modalen Logik durch die modalen Operatoren der Notwendigkeit und der Möglichkeit formal erfassen. Doch sind dies keine Wahrheitsfunktionen. Es liegt insbesondere kein Sinn darin, die Wahrheit oder Unwahrheit normativer Direktiven beurteilen zu wollen. Über Sinnhaftigkeit eines Gesetzes lässt sich in angemssenen Begriffen natürlich streiten, aber typischerweise eben nicht über seine Wahrheit.

      »Darüber, ob ein bestimmter moralischer Satz richtig oder falsch ist, entscheiden wir nie mit Hilfe eines Gefühls, auch nicht des Lebensgefühls; vielmehr ist eine jede Antwort, die das Gefühl uns zu geben scheint, zu prüfen.«

      Wenn hier mit dem “moralischen Satz” eine normative Regel in vorgenannten Sinn gemeint ist, dann ist “richtig oder falsch” nicht einfach synonym zu “wahr oder unwahr”. Könnten Sie hier die Bedeutung von “richtig” sprachlich präzisiern? So etwas wie regelkonform? Oder rechtmässig?

      »Positives Recht […] kann und muß […] seinerseits auf seine Rechtmäßigkeit hin befragt werden.«

      Wieder ein modaler Satz (wegen “kann” und “muss”), und eine normative Regel über normative Regeln. Ich würde vermuten, dass ähnlich wie bei der Problematik mit dem Wahrheitsbegriff ein hinreichend nichttriviales, konsistentes System von normativen Sätzen seine eigene Rechtmässigkeit nicht widerspruchsfrei behaupten kann. Leider ich habe leider keine Ahnung, wer sich mit solchen Fragen befasst haben könnte, aber bestimmt hat das schon jemand getan.

      »Eine Maxime, die die Vernunftprüfung bestehen will, darf sich z. B. nicht selbst aufheben.«

      Spätestens wenn Sie die Vernünftigkeit der Vernunft prüfen wollen, wird es spannend. Das ist immer so, Rekursion macht das Leben interessant.

      N.B. Wenn Sie das, was Carnap als “Lebensgefühl” etikettiert hat, anders nennen wollen, so habe ich keinen Einwand. Mit dem Wort Lebensgefühl wird auch nach meinem Sprachempfinden normalerweise etwas anderes assoziiert als das, was er da meint.

      • Von Ludwig Trepl, @ Chrys.

        So etwa hab ich mir’s schon gedacht. Der Begriff der Wahrheit, der in der traditionellen moralphilosophischen Diskussion zugrundegelegt ist, ist ein anderer als der, den Carnap in der Tradition des Empirismus verwendet. Natürlich, letzteres ist heute weithin üblich – deshalb unterscheiden etwa die Diskursethiker auch zwischen „theoretischer Wahrheit“ und „normativer Richtigkeit“; aber es ist darum nicht eben „wahr“. – Sicher sind moralische Sätze nicht wahr, wenn man einen Wahrheitsbegriff zugrundelegt, nach dem Wahrheit gar nicht zu den Prädikaten gehört, die ihnen zukommen können.

        „Könnten Sie hier die Bedeutung von “richtig” sprachlich präzisiern? So etwas wie regelkonform? Oder rechtmässig?“

        Üblicherweise: regelkonform. „Rechtmäßig“ ist eine spezielle Form von „regelkonform“. Die moralphilosophische (ethische) Frage ist aber, ob die Regel selbst „wahr“ ist im alten Sinn, ob sie, wenn sie sich nicht nur als technisch-praktische auf Mittel zur Erreichung beliebiger Zwecke, sondern unabhängig von allen Zwecken Geltung beansprucht oder sich auf die Zwecke selbst bezieht, eine Vernunftprüfung besteht.

        Richtig im Sinne von regelkonform kann auch eine verwerfliche Handlung sein, nämlich dann, wenn die Regel, ob das nun eine moralische Regel ist oder positives Recht, verwerflich ist. Das kennt man ja zur Genüge. – Sie schreiben nun, „dass ähnlich wie bei der Problematik mit dem Wahrheitsbegriff ein hinreichend nichttriviales, konsistentes System von normativen Sätzen seine eigene Rechtmässigkeit nicht widerspruchsfrei behaupten kann.“ Das mag sein, allerlei analytische Philosophen behaupten das sicher und vielleicht haben sie sogar recht, ich kenne mich da nicht aus. Aber es kann nicht sein, daß man auf dem richtigen Weg ist, wenn man die Frage der Moral auf diese Weise angeht, und es ist auch möglich, sie ganz anders anzugehen.

        Ich stelle mir den Grund für die Behauptung im Zitat so vor, daß ein System zur Begründung seiner eigenen „Rechtmäßigkeit“ seine eigenen Kriterien benutzt und die sind nun einmal so, daß sich dann dieses Systems als „rechtmäßig“ ergibt. Ganz praktisch: Irgendein Normensystem, das z. B. die Steinigung von Ehebrecherinnen oder die Tötung von Säuglingen, die nicht erwarten lassen, daß sie je zum Krieger taugen, verlangt, hat Kriterien in sich, die eine Kritik daran als falsch erscheinen lassen. Aber es gibt es doch immer die Möglichkeit, auf eine auch andere Systeme umfassende Ebene zu wechseln (oder in der Sprache der Hermeneutik: den Sinn anderer Überlieferungen zu verstehen, so daß es zu einer „Horizontverschmelzung“ kommt). Man muß nicht „Beobachter erster Ordnung“ bleiben, man muß nicht Gefangener seines Paradigmas bleiben. Die Vernunft ist so angelegt, daß sie immer ein Übersteigen des jeweils für erkannt Geglaubten erlaubt und auch verlangt. Man muß sich nur von dem Gedanken verabschieden, man könnte das endgültige Normensystem je in der Tasche haben; es bleibt immer aufgegeben, aber als Aufgegebenes ist es vernunftnotwendig.
        Ein beliebiges faktisches System von normativen Sätzen steht also immer unter der Idee der Wahrheit (nicht im Carnap’schen Sinn), ebenso wie irgendein System von Sätzen der empirischen Wissenschaft auch (nun Wahrheit im Carnap’schen Sinn). D. h., ein jedes faktisches System von normativen Sätzen ist immer einer Vernunftprüfung zu unterziehen. Das steckt im Begriff des objektiven Sollens, das unterstellen wir, sowie wir den Begriff „Moral“ benutzen, das unterstellen wir im Leben ständig. Wir sollen, was immer wir subjektiv für das Richtige halten mögen, objektiv das tun, was sich als das Richtige ergäbe, wenn wir die Vernunftprüfung abgeschlossen hätten. Das ist das Prinzip, nach dem wir leben, insofern wir Menschen sind und nicht Tiere.

        Daß das, was wir uns zur Regel machen, dem gemäß ist, was wir uns objektiv zur Regel machen sollen – das ist der höchste Punkt, auf den es im Leben ankommt. Das kann jeder wissen, und im Grunde weiß es auch jeder. Aber dieses ganze Feld hat der Positivismus bzw. Naturalismus aus dem ausgeschlossen, worüber vernünftigerweise nachgedacht werden kann (bzw. wenn man nachdenkt, kommt man nie weiter als bis zu „Konventionen“, die aber nicht den Charakter unbedingter Verpflichtung haben können, den der Begriff des moralischen Sollens nun einmal hat). Damit schließt diese philosophische Richtung die praktische Vernunft, die auf die Willensbestimmung gerichtete, praktisch ganz aus dem aus, wozu sich etwas Vernünftiges („Wahres“) sagen läßt, während in Wahrheit die Vernunft in ihrer Anwendung aufs Praktische (Willensbestimmung) erst das höchste Interesse finden kann und „ihre höchste praktische Bestimmung in der Gründung eines guten Willens erkennt“ (Kant, Grundlegung, irgendwo ganz am Anfang).

        Zur NB: Der Fehler von Carnap mit seinem “Lebensgefühl” liegt im “Gefühl”, nicht im “Leben”.

    • @Ludwig Trepl

      Noch ein paar ergänzende Stichworte, im web recherchiert.

      Die Erweiterung der modalen Logik, die spezieller mit normativen Sätzen befasst ist, wird gemeinhin deontische Logik genannt. Diese Bezeichnung wurde von G. H. von Wright geprägt, der u.a. auch folgenden Übersichtsrtikel dazu verfasst hat (habe leider kein freies PDF gefunden):

      Von Wright, G. H. (1986). Is and ought. In Facts and values, (pp. 31-48). Springer Netherlands.
      doi: 10.1007/978-94-009-4454-1_3

      Dass Normen keine Wahrheitswerte zugeschrieben werden können, sowie die sich daraus für die Logk ergebende Problematik, bezeichnet man im übrigen auch als Jørgensens Dilemma.

      • Ludwig Trepl, @ Chrys.

        Vielen Dank für die Hinweise.

        Der entscheidende Punkt ist, daß in der Tradition, auf die ich mich beziehe, das Sittengesetz ein synthetischer Satz a priori ist, und daß in der Tradition, in der Sie offenbar stehen (und all die Autoren, auf die Sie sich berufen), es synthetische Sätze a priori nicht gibt, sondern nur formale Logik und Empirie. Auf diese Ebene müßte man gehen, sonst kann man endlos weiterdiskutieren.

        Wenn man aber nicht auf diese Ebene der Ausgangsdifferenz zwischen der Tradition der Transzendentalphilosophie im weitesten Sinne und der empiristisch-positivistischen Tradition gehen will, dann fällt mir nur noch die Ebene der Lebenswelt ein. Man nehme beispielsweise die Diskursethik etwa im Habermas-Apel’schen Sinn (der ich keineswegs zustimme, die aber in die nicht-empiristisch-positivistische Traditionslinie gehört), so würde man da wohl sagen: Diejenigen, die das Ethische von vornherein aus dem Bereich ausschließen, über den sinnvolle Sätze möglich sind (und die allenfalls zu einem Konventionalismus kommen, womit aber eben Ethik für unmöglich erklärt ist ), stehen von vornherein in einem performativen Selbstwiderspruch, sowie sie sich mit ihrer Auffassung ins Leben stellen.

  42. @Zoran Jovic
    Es ist schon möglich, Säugetieren mehr Rechte zuzugestehen als Springschwänzen,und das ist ja auch gängige Praxis. Leiden zu minimieren sollte uns schon wichtig sein, denke ich. Allerdings gebe ich zu, dass mir meistens die Mitmenschen näher sind als andere Säugetiere, und mir ihr Wohl eher am Herzen liegt.
    Es sollte schon möglich und auch Ziel sein, Tiere besser zu behandeln, als das in vielen Fällen geschieht, gerade weil wir das können.
    Ich finde aber auch, dass das Argument, dass es die ganzen Zuchtschweine gar nicht gäbe, wenn Menschen sie nicht essen wollten, durchaus interessant und bedenkenswert ist.
    Die Frage könnte also derart zugespitzt werden, dass man darüber diskutiert, was denn nun für Tiere besser ist: gar nicht zu leben, oder nach einem relativ kurzen Leben den Weg allen Fleisches zu gehen?
    Das mag zynisch klingen. Dennoch halte ich es für vertretbar, Schweinefleisch zu essen, wenn ein Tier vor der Schlachtung halbwegs “würdig” leben durfte. Ich denke, dass die Frage wirklich so gestellt werden muss: Besser gar kein Leben oder ein Leben(mit suhlen, rumrennen, etc.) als zu schlachtendes Schwein?
    Und viele Menschen vegetieren auch eher, als dass sie wirklich leben. Um die darf man sich auch sorgenn und kümmern , denke ich.

  43. Ich bin gerne bereit die Unterschiede zwischen Menschen und anderen Tieren als minimal anzusehen. Aber selbst dann folgt für mich nicht, dass man Tieren Rechte geben sollte, ganz einfach weil es praktisch nicht geht.

    Wir können mit Tieren das selbe nicht verhandeln, wir sind von Natur aus Allesfresser und ja Tiere werden auch beim Ackerbau getötet. Wie soll man so etwas praktisch machen???

    • Hier sind sich wohl die meisten einig: Nicht alle Tiere sind gleich “menschlich”. Gerade wenn wir annehmen Menschen und Tiere seien graduell verschieden würden wir Tiere unterschiedlich behandeln und einem Regenwurm nicht die gleichen “Rechte” zugestehen wie einem Schimpansen.
      Hier noch der Extremfall eines graduell kleinen Unterschieds: Scheinbar lebten ja Neandertaler und Homo sapiens einmal in den gleichen Gebieten und zur gleichen Zeit. Sie scheinen sich sogar vermischt zu haben und die heutigen Europäer haben vor allem (helle) Haut, (helle) Haare und (helle) Pigmente teilweise von den Neandertalern geerbt. Es wird aber auch vermutet (nur vermutet), der Homo sapiens habe dem Neandertaler den Garaus gemacht. Wie müsste man das heute ethisch beurteilen. Oder gibt es neben der ethischen Beurteilung einfach noch diejenige welche die Verwandtschaft miteinbezieht und wo man dann schliesst: Der Neandertaler war verschieden vom Menschen, also haben sie keine gegenseitigen Verpflichtungen und der Mensch muss sich keine Sorgen machen, wenn er sich der Neandertaler entledigt. Problematisch bei dieser Argumentationsweise ist allerdings, dass sich Neandertaler und Mensch teilweise gemischt haben und damit möglicherweise auch zusammengelebt haben.

  44. Ein paar Bemerkungen zu diesem bemerkenswerten und sehr anregenden Post:
    “…..denn das Tier weiß nichts vom Tod.” Das mag schon sein, aber wissen wir Menschen denn wirklich etwas vom Tod? Wir wissen, dass wir sterben müssen, haben aber in der Vergangenheit sehr viel Hirnschmalz und Energie darauf verwendet, diesen Tod abzuschwächen, ja teilweise radikal zu leugnen, indem wir z.B. Religionen entwickelt haben, die das ewige Leben auf die eine oder andere Weise postulieren. Viele Menschen wollen auch heute anscheinend vom Tod nichts wissen, und leugnen ihn auf sehr phantasievolle Art und Weise.
    Dann bezweifle ich, dass die tierischen “Todes”ängste sich grundlegend von den menschlichen unterscheiden: die “Todes”angst dürfte ohne größere Probleme evolutionär herleitbar sein, vielleicht beschreibbar als extremer Wille um jeden Preis zu überleben. Ich denke nicht, dass es da einen wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt.
    Außerdem fürchte ich, dass die von Ihnen dargestellte Sichtweise bei manchen dazu führt, dass sie ihr eigenes Tier-Sein weiter leugnen, was mitunter zu merkwürdigen Abgrenzungen zu Tieren verführt, die letztendlich nicht zu halten sind.
    Ich halte auch nach wie vor viel davon, darauf aufmerksam zu machen, dass es auch menschliche Wesen gibt, die vom Tod nichts wissen (können), weil sie unter schweren Beeinträchtigungen im kognitiven Bereich leiden(Hirnschaden etc.). Wieso sollten wir solche Menschen nicht wie “Tiere” behandeln, wenn wir uns Ihren Ansatz zu eigen machen? Es wird, denke ich, schwierig, diesen Speziesismus sauber zu begründen.
    Ich stimme Ihnen aber grundsätzlich in Vielem zu, und der Artikel von Frau Radisch ist mir auch sauer aufgestoßen. Das Argument, dass wir, egal wie wir leben und uns ernähren, immer anderen nichtmenschlichen Lebewesen das Leben nehmen oder zur Hölle machen, würde ich auch gerne öfter lesen.

    • “Es wird, denke ich, schwierig, diesen Speziesismus [so nennen Sie meinen “Ansatz”] sauber zu begründen.”

      Meinen “Ansatz” mag man sonst wie nennen können, nur nicht Speziezismus, das ist völlig verfehlt. Wie kommen Sie denn überhaupt darauf?

      “Wieso sollten wir solche Menschen [extrem geistig behinderte] nicht wie “Tiere” behandeln, wenn wir uns Ihren Ansatz zu eigen machen?”

      Ich weiß es leider auch nicht, aber ich weiß, daß wir es nicht dürfen. Haben Sie eine Idee? “Speziezistisch” – also etwa: die gehören doch zu unserer Spezies – darf sie nicht sein, denn daraus ergibt sich keine Ethik, kein “nicht dürfen”. Die Interessen der eigenen Horde oder der eigenen Art zu verteidigen ist vielleicht etwas, was von Natur aus ohnehin geschieht, aber nicht das, was von den Menschen zu fordern ist, egal ob ihre Natur sie dahin treibt oder nicht, und nur dann hätten wir es mit Ethik zu tun.

      “Dann bezweifle ich, dass die tierischen “Todes”ängste sich grundlegend von den menschlichen unterscheiden”

      Da haben Sie sich eine gewaltige Beweislast aufgebürdet. Das Tier müßte irgend etwas vom Tod, vom Nicht-mehr-Sein wissen. Gibt es darauf Hinweise? – Menschen, die glauben, daß sie nicht nicht mehr sind, wenn sie sterben, haben manchmal keinerlei Todesangst (die singenden Täufer auf dem Scheiterhaufen). Zur Todesangst gehört das Wissen oder die Ahnung, daß es aus ist mit einem, sonst ist es keine Todesangst.

      • Wie ich auf Speziezismus komme? Gut, sie haben recht, eigentlich vertreten sie eher das Gegenteil…..zumindest vordergründig. Und es scheint mir wohl eher als unbewusste Provokation herausgerutscht zu sein. Ich nehme es also zurück.

        Ich erinnere mich natürlich lebhaft an die Singer-Debatte, und weiß deswegen auch, wie schwierig ethische Debatten in dem Bereich zu führen sind. Vielleicht äußere ich mich später noch ausführlich zu dem Thema, wenn es sich aus der Diskussion heraus ergibt.

        Aber zum Thema Todesangst würde ich ganz gerne vorläufig auf meinem Standpunkt bestehen. Ich denke, dass es sehr schwierig sein dürfte, die menschliche Todesangst direkt auf das Wissen um den Tod zurückzuführen. Natürlich haben sie durch den Begriff selbst scheinbar alle Argumente auf ihrer Seite. Aber…..
        Ich wollte meinen Einwurf so verstanden wissen, dass die große Angst, die Lebewesen befällt, wenn ihr Leben massiv bedroht ist, bei sehr vielen nichtmenschlichen Lebewesen Kräfte freisetzt, und ganz allgemein Reaktionen hervorruft, die denen bei Menschen sehr ähneln, die wir unter “Todesangst” zusammenfassen. Ich bin der Meinung, dass es zuallererst recht schwierig sein dürfte, zu belegen, dass es wirklich die Vorstellung des Todes ist, die die typischen “Todesängste” verursacht. Ich habe Schwierigkeiten, einen wesentlichen Qualitätsunterschied zwischen der Panik, die ein Tier ergreift, wenn es in Lebensgefahr ist, und der “Todesangst” eines Menschen zu sehen.
        Ich bezweifle also, dass es wirklich das Wissen um etwas ist, das die Angst verursacht. Es ist eher eine biologisch sinnvolle Reaktion auf eine Extremsituation, die zudem physiologisch recht ähnlich verläuft. Anders gesagt: die intellektuelle Dimension der Todesangst will mir nicht so recht einleuchten.
        Ich behaupte also nicht, dass das Tier um seinen Tod weiß, sondern möchte das menschliche Wissen um den Tod sehr viel tiefer gehängt sehen. Deswegen auch mein Einstieg mit den diversen Todesleugnungen der Menschen: das Wissen um den Tod ist zwar irgendwie da, aber nicht prägend für das, was wir “Todesangst” zu nennen pflegen.
        Das Phänomen existiert bei sehr vielen Lebewesen, vielleicht sogar bei insekten. Vielleicht sollten wir es einfach, auch beim Menschen, nicht “Todesangst” nennen.

        • Nachtrag: Ich sollte nicht so schnell antworten, und meinen Text zuerst noch mal lesen…..ich habe Ihnen nicht im Geringsten Speziezismus unterstellt, und ihn auch nicht unterstellen wollen, sondern eben die weit verbreitete Sicherheit, mit der viele Menschen einen rigorosen Speziezismus vertreten, in Frage gestellt.

          Wahrscheinlich haben Sie mich missverstanden: was ich in dem Zusammenhang wichtig fand, ist, zu vermeiden, Mensch und Tier zu sehr voneinander zu trennen. Die Faktenlage, dies tun zu können, erscheint mir tatsächlich zu dünn, und ein gesitig schwerbehinderter Mensch scheint mir als Beispiel gut geeignet, um unsere Denkweise zu überprüfen. Und ich habe eben keine wirklich gute Idee, hatte aber den Eindruck, Sie würden eine vorbringen, die ich nicht schlüssig finde.

          • geistige Schwerstbehinderung.
            Ludwig Trepl, @ Alisier.

            „was ich in dem Zusammenhang wichtig fand, ist, zu vermeiden, Mensch und Tier zu sehr voneinander zu trennen. Die Faktenlage, dies tun zu können, erscheint mir tatsächlich zu dünn,…“

            Wenn man nur die Faktenlage betrachtet, dann ist der Graben tatsächlich nicht besonders groß. Was man an Fakten ermitteln kann, sind Unterschiede in der Intelligenz (davon habe ich geschrieben) und wahrscheinlich – jedenfalls haben das schon viele gut begründet behauptet – eine viel größere Leidensfähigkeit; nicht nur, aber auch, weil bestimmte Leiden bestimmtes Wissen voraussetzen. Ein Tier leidet nicht, weil die Prognosen für die Ernte im nächsten Jahr schlecht stehen. Aber das sind alles nur graduelle Unterschiede.

            Der prinzipielle, sozusagen unendlich große Unterschied, den ich genannt habe – und andere prinzipielle Unterschiede, die man genannt hat, hängen alle damit zusammen – hat nichts mit einer Faktenlage zu tun. Er erschließt sich, wenn man über seine eigene Bestimmung als Mensch nachdenkt, und er ist nicht zu leugnen.

            Wenn Sie nun schreiben „ein geistig schwerbehinderter Mensch scheint mir als Beispiel gut geeignet, um unsere Denkweise zu überprüfen“, dann ist mein Hauptproblem, daß ich kein Ethiker bin und die vielen Antworten, die von Philosophen, die an der Relevanz der Menschenwürde festhielten, auf diesen Einwand gegeben haben, nicht kenne. Daß es eine Unzahl von Antworten (und Antworten auf diese Antworten) gab in den paar Hundert Jahren, kann als sicher gelten.

            Man könnte vielleicht folgende Möglichkeiten durchdenken:
            (a) Ein solcher Mensch hat in der Tat das nicht, was die Menschenwürde ausmacht (anders als ein Embryo: die Menschenwürde ergibt sich ja nicht aus eine faktischen moralischen Lebensführung, sondern aus ihrer Möglichkeit, und die besteht bei dem Schwerstbehinderten nicht). Die ethisch gebotene Haltung ihm gegenüber ist allein durch Begriffe wie Verantwortung und Fürsorgepflicht zu beschreiben – wie bei einem leidensfähigen Tier. Als Problem scheint mir hier aufzutreten, daß man das Tier zwar nicht quälen, aber doch töten darf, z. B. um es von seinen Leiden zu erlösen. Das will mit bei einem geistig schwerbehinderten Menschen nicht einleuchten; aber unter der eben gemachten Voraussetzung scheint sich diese Intuition nicht begründen zu lassen.
            (b) Wir wissen grundsätzlich nicht, wie es in einem anderen Menschen aussieht. Die Gesundung von für hirntot erklärten Menschen scheint mir ein Hinweis darauf, daß alles, was sich objektwissenschaftlich da herausfinden läßt, eventuell nicht das letzte Wort ist. Vielleicht hat der geistig schwerbehinderte Mensch ein Innenleben, von dem wir nichts ahnen. – Das klingt schwach, aber gibt es die Möglichkeit einer glatten, befriedigenden Antwort, wenn man den Gedanken der Menschenwürde aufgibt? (Abgesehen von der Frage, ob das überhaupt möglich ist, was ich für ausgeschlossen halte, trotz aller naturalistischen Philosophen).

        • Todesangst

          @ Alisier

          Vielleicht sollte man da trennen:

          (1) Es gibt sicher Situationen, da treten bei Menschen wie bei Tieren panikartige Reaktionen auf, und es hat eine gewisse Plausibilität, den Tieren eine ähnliche Gefühlslage zu unterstellen. Diese Situationen können so beschaffen sein, müssen aber nicht, daß da wirklich das Leben bedroht ist. Umgekehrt gibt es viele lebensbedrohliche Situationen, da treten keinerlei Todesängste oder sonstige Panikgefühle auf. Wir kennen das aus dem Straßenverkehr, Soldaten kennen es auch aus dem Nahkampf, und Beutetiere fressen in aller Gemütsruhe, obwohl ein Raubtier ganz in der Nähe ist; und wenn dieses eine bestimmte Bewegung macht, dann rennen sie halt weg oder ducken sich, das macht nicht den Eindruck von Panik oder Angst. Eine qualitativ andere Gefühlslage scheint erst einzutreten, wenn sie Schmerzen spüren – und da muß gar keine wirkliche Lebensgefahr bestehen oder irgendwie bewußt sein. Für diese Fälle dürften Sie recht haben: „Die intellektuelle Dimension der Todesangst will mir nicht so recht einleuchten“ – es scheint sie kaum zu geben.

          (2) Die Angst, die den Menschen befällt, wenn er – ganz unabhängig von der Bedrohungssituation – an sein Ende denkt, wenn er denkt, daß er dereinst oder bald nicht mehr ist. Das kann ohne Anlaß geschehen, oder er ist wirklich z.B. durch Krankheit vom Tod bedroht und denkt daran, daß er bald seine Angehörigen nicht mehr sehen wird. Das ist nun eine rein intellektuelle Angelegenheit (was man auch daran sieht, daß diese Angst ganz „intellektuell“ zum Schweigen gebracht werden kann, etwa indem man denkt, daß man ja doch auferstehen oder wiedergeboren werden wird). Und allein darin besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen Mensch und Tier. Nur bezogen auf solche Situationen hat er eine Leidensdimension mehr als das Tier. Wenn er im Kampf rasch getötet wird oder eine tödliche Spritze bekommt, von der man ihm versichert hat, daß sie ein Medikament enthält, geht’s ihm auch nicht anders als einem höheren Tier.

  45. Dieser Text macht es sich zu einfach, indem es immer wieder das fiktive Geschöpf Mensch in den Mittelpunkt stellt. Doch der Mensch als Idee, den gibt es sicher in unseren Vorstellungen, im Alltag aber haben wir es mit einer Vielzahl von Menschen zu tun und dann verschwindet in gewissen Fällen der prinzipielle Unterschied zwischen Mensch und Tier und es wird nur noch ein gradueller Unterschied. Douglas Hofstadter, der Autor von Gödel, Escher, Bach: An Eternal Golden Braid hat einmal über seine Schwester gesagt, er würde ihren Tod weniger bedauern als den seiner Hauskatze. Seine Schwester Molly ist nämlich geistig schwer behindert. Er schreibt über sie: “Our folks’ third and last child, Molly, born in Palo Alto, was, sadly, not what anybody had thought. By four or so, Molly was visibly abnormal — not saying any words at all, nor absorbing any. It wasn’t autism; it was a profound brain malfunction, probably dating from birth or prior to birth, but what was wrong, nobody could say — no diagnosis. Molly just didn’t pick up any words, who knows why”

    Wenn man nun Sätze schreibt wie “Das Tier verhält sich, der Mensch handelt. Er setzt sich, heißt das, Zwecke und verfolgt sie, sucht sie zu realisieren.” so sind das eigentlich Definitionen. Sie definieren das was ein Mensch ist. Ein Geschöpf, das nicht handelt und keine Zwecke verfolgt ist demnach kein Mensch.
    Doch so eine Überlegung ist äusserst problematisch.

    • Ludwig Trepl, @ Martin Holzherr.

      „Dieser Text macht es sich zu einfach …“

      Ich habe versucht, das, was ich in der gegenwärtigen Diskussion für das Hauptproblem halte, herauszustellen. Auf all die Schwierigkeiten, die es praktisch gibt, und zwar vor allem deshalb, weil es Grenz- und Übergangsfälle gibt, Schwierigkeiten, die Berge von Büchern füllen, wollte ich nicht auch noch eingehen, und es wäre auf den paar Seiten wohl auch nicht möglich gewesen.

      Ihr Beispiel ist sehr unglücklich, denn es vermischt zwei Dinge, die völlig verschieden geartet sind. Das eine ist das psychologische Phänomen, daß so gut wie jedem der Tod seiner Katze mehr zu schaffen macht als der Tod irgendeines Menschen nur, weil er ein Mensch ist; der Tod eines ihm unbekannten Menschen berührt ihn nämlich in aller Regel nicht im Geringsten. Das andere ist das Problem des „lebensunwerten Lebens“ (da hätte man, nebenbei, eine ganz andere Quelle erwartet als Douglas Hofstadter). Das ist kein psychologisches, sondern ein ethisches Problem, so sehr die Psychologie zur Erklärung des Zustandekommens der einen der hier vertretenen Positionen (eben daß dieses Leben „lebensunwert“ ist) beitragen mag.

      „’Das Tier verhält sich, der Mensch handelt. Er setzt sich, heißt das, Zwecke und verfolgt sie, sucht sie zu realisieren.’ [Zitat von mir] so sind das eigentlich Definitionen. Sie definieren das was ein Mensch ist.“

      Nein, das ist keine Definition. Es ist vielmehr eine Beschreibung dessen, was typischerweise einen Menschen ausmacht. Selbstverständlich ist beispielsweise ein kleines Kind, das noch nicht in der Lage ist, zu handeln, ein Mensch – so wie ein Mensch, der nicht zwei Beine hat, die ihn zoologischen Bestimmungsbüchern zufolge kennzeichnen, dennoch ein Mensch ist.

      Im Übrigen zeigt Ihre Formulierung „das fiktive Geschöpf Mensch“ sehr schön, wie vollkommen unfähig der Szientismus ist, das hier diskutierte Problem auch nur im Ansatz zu verstehen.