„Naturbewußtsein 2013“. Einige Nachfragen zu einer repräsentativen Umfrage „zu Natur und biologischer Vielfalt“.

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Unsere Umwelt zwischen Kultur und Natur
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In der Süddeutschen (28. April 2014) wird über eine repräsentative Umfrage des Bundesamts für Naturschutz[1] berichtet:

„Je wilder die Wälder, desto besser gefallen sie den Deutschen. Das geht aus einer Studie des Bundesamtes für Naturschutz hervor. Beliebte Waldtiere sind demnach Biber, Luchse und Wildkatzen – bei zwei anderen Raubtieren sieht das ganz anders aus.“

Diese anderen sind Waschbär und Wolf. Die Frage war: „Wie finden Sie es, wenn sich die folgenden Tiere in Deutschland verbreiten?“ Beim Luchs haben 64 % „finde ich gut“ und 17 % „finde ich nicht gut“ angekreuzt, bei der Wildkatze 63 % „finde ich gut“ und 19 % „finde ich nicht gut“, beim Waschbär 48 % „finde ich gut“ und 34 % „finde ich nicht gut“, beim Wolf 44 % „finde ich gut“ und 41 % „finde ich nicht gut“.

 

Das sind signifikante Unterschiede. Aber was weiß man, wenn man diese Antworten kennt? Kaum etwas, vor allem nichts, was diejenigen, die sich mit solchen Dingen befassen, nicht ohnehin schon wußten. Das gilt im wesentlichen auch für die differenzierteren und differenzierenden Fragen, die man außerdem noch stellte, etwa wenn man die Bevölkerung in sog. Sinus-Milieus einteilte, wie “Bürgerliche Mitte” und “Hedonisten”; ich will darauf nicht näher eingehen.

Vielleicht finden aber die 64 %, die bei der Ausbreitung des Luchses “finde ich gut” ankreuzen, sie nur ein bißchen gut, im Grunde ist sie ihnen ziemlich egal. Den 44 %, die die Wolfsausbreitung „gut finden“, könnte sie dagegen ein überaus wichtiges Anliegen sein. Die 44 % würden dann vielleicht viel mehr „bedeuten“ als die 64 %. – Solche Fragen könnte man zusätzlich stellen. Daß sie nicht gestellt wurden, ist kein grundsätzlicher Einwand gegen das Umfrage-Verfahren. Daß aber munter drauflos geschlußfolgert wird, ohne daß den Sozialforschern in den Sinn kommt, die Antworten auf solche Fragen könnten alle Schlußfolgerungen über den Haufen werfen – das läßt schon eher eine grundsätzliche Schwäche dieser Art von Forschung vermuten.

 

Die Autoren der Studie machen sich Gedanken über die Gründe der Ablehnung:

„Gründe für die Vorbehalte [gegen den Waschbären] sind vermutlich, dass ihm die Verwüstung von Privatgärten nachgesagt wird und er eine Bedrohung für einheimische Vogelarten darstellt. Inwieweit das Bewusstsein für Neobiota eine Rolle spielt, kann aufgrund der aktuellen Datenbasis nicht nachvollzogen werden.“

Da hätte ich doch ein paar Einwände. Die Verwüstung von Privatgärten wird ihm nur „nachgesagt“, daß er eine Bedrohung für heimische Vogelarten darstellt, weiß man nach Ansicht der Autoren hingegen, das wird nicht nur nachgesagt. Dabei weiß man, daß er Schäden in Privatgärten anrichtet – ob man gleich von „Verwüstung“ sprechen sollte, wie es bei Wildschweinen sicher angebracht ist, ist eine andere Frage. Daß er aber eine Bedrohung für Vogelarten – und nicht nur für individuelle Vögel – sein soll, das sagt man ihm nur nach; vielleicht stimmt es, aber man weiß es nicht. Und dann: Um etwas darüber aussagen zu können, „inwieweit das Bewusstsein für Neobiota eine Rolle spielt“, dafür fehlen angeblich die Daten. Gleichzeitig wird behauptet, daß nicht etwa die Bedrohung irgendwelcher Vogelarten eine Rolle spielen könnte, sondern die Bedrohung der einheimischen. Um das – also das Vorhandensein eines „Bewußtseins“ vom relativen Wert heimischer Arten einerseits, von Neobiota andererseits –, behaupten zu können, braucht man also keine zusätzlichen Daten, das, so meint man, ist vielmehr sicher.

 

Interessant finde ich, was man als Gründe für die „Vorbehalte“ gegen die Wiederausbreitung des Wolfes vermutet:

„Während die Einen vielleicht befürchten, nachts im Wald von einem Wolf angegriffen zu werden oder Bauern um ihre Herden bangen, sehen die Anderen den Wolf als Symbol für Freiheit und Ursprünglichkeit, ja sogar für Fürsorge und soziale Kompetenz“.

Manche Leute haben also, wie in Urzeiten, Angst um sich, andere Mitleid mit den Bauern (denn diese selbst sind in einer Umfrage eine vernachlässigbare Größe), wieder andere – und das sind dann wohl die, die „finde ich gut“ angekreuzt haben – nehmen ihn als Symbol, allerdings für sehr verschiedenes.

Vor allem junge Leute haben „finde ich gut“ angekreuzt. Da haben die Autoren folgende Vermutung:

„Vielleicht sind Personen unter 30 Jahren stärker von der aktuellen Berichterstattung zu Wölfen geprägt. Seit der ersten Sichtung eines Wolfswelpen in Deutschland zur Jahrtausendwende haben viele Institutionen im Bereich Naturschutz ihre Bildungsarbeit verstärkt. Der Wolf wird dabei weniger als ein gefährliches, sondern vielmehr als ein schützenswertes Tier dargestellt.“

Wie man darauf kommen kann, daß ausgerechnet die Jungen von der aktuellen Berichterstattung zu Wölfen und damit der „Bildungsarbeit“ des Naturschutzes beeinflußt sein sollen, ist mir ein Rätsel. Die zahllosen Natur- und Tierfilme, die im Fernsehen laufen und von denen viele die Botschaft vom harmlosen, bedrohten und „ökologisch wertvollen“ Wolf verkünden – während von einer Gefährlichkeit des Wolfes nur insofern die Rede ist, als man diese Behauptung widerlegen möchte –, werden doch vor allem von Rentnern gesehen. In den Filmen aber, die sich Kinder ansehen, sind, vom „Dschungelbuch“ einmal abgesehen, die Wölfe gefährlich und unheimlich wie eh und je.

Zum Glück für die Wölfe. Denn eben das – und das scheint einem Naturschützer nicht in den Kopf nicht zu wollen und schon gar nicht einem Sozialforscher – ist wohl der Hauptgrund dafür, daß der Wolf beliebt ist. Er ist beliebt, weil er verhaßt und gefürchtet ist. Die Wildnis ist, wie die Studie herausgefunden hat – was man aber hinreichend zuverlässig schon vorher wußte – sehr angesehen unter den Deutschen. Nur 3 % antworteten, daß es weniger Wildnis geben solle. (Daß 19 % in dieser Wildnis keine Wildkatzen haben wollen, zeigt sehr schön, daß man solche Zahlen besser nicht so ernst nimmt.) 42 % behaupteten, mit dem derzeitigen Zustand zufrieden zu sein, ebenfalls 42 % gaben an, mehr Wildnis zu wollen. Was aber verbindet man mit Wildnis, warum will man mehr davon haben? „Zwar sind einer Vielzahl der Befragten Tiere in den Sinn gekommen, die als gefährlich gelten, jedoch haben nur 3 Prozent einen Begriff genannt, welcher direkt der Kategorie ‚Gefahr’ zuzuordnen ist.“ „Gefahr“ taucht darum in der Tabelle nicht auf, denn da hätten sie wenigstens 4 % nennen müssen.

Nun ist es aber zweifellos hauptsächlich Gefahr, was mit Wildnis verbunden wird und was auch ihre Attraktivität ausmacht; „Abenteuerurlaub“ würde sonst nicht funktionieren, und Abenteuerfilme und -romane auch nicht. Zwar wollen manche – wie vor einigen Jahrzehnten fast alle –, daß alles Gefährliche beseitigt werden sollte, aber heute wird vor allem das Gefährliche vermißt; zumindest meinen die Leute das, solange es nicht wirklich gefährlich wird. Das erfährt man nicht durch Umfragen, aber man kann es doch auf wissenschaftliche Weise in Erfahrung bringen. Man muß vor allem Texte analysieren; dabei darf man nicht zählen, wie oft „Gefahr“ in Verbindung mit welchen anderen Wörtern auftaucht, sondern man muß den Sinn der Texte herausarbeiten, man muß sie „verstehen“. Damit befaßt sich die Wissenschaft auch, und zwar unter der Überschrift „Hermeneutik“. Daß es die gibt, scheint aber den Sozialforschern kaum mehr bekannt zu sein.

 

Was den Wolf angeht, so vermute ich (und es wäre sinnvoll, wenn die Naturschutzbewußtseinsforscher dieser Vermutung nachgingen): angenommen, die „Bildungsarbeit“ des Naturschutzes hätte durchschlagenden Erfolg, als allgemeine Meinung setzte sich durch, daß der Wolf kein gefährliches, sondern ein harmloses, bedrohtes Tier ist von hohem „ökologischem Nutzen“ – den allerdings, wenn der „Bildungsarbeit“ des Naturschutzes zu glauben ist, alle anderen Tiere auch haben. Dann gäbe es keinen Grund mehr, diesem Tier besondere Beachtung zu schenken. Und was im Naturschutz nicht besonders beachtet wird, wird überhaupt nicht beachtet, allen Bekenntnissen zum „gleichen Lebensrecht aller Arten“ zum Trotz.

 

[1]Naturbewusstsein 2013. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Hg. Bundesamt für Naturschutz (BfN). Erstellt wurde die Studie von der Firma “SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH”, Heidelberg.

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

18 Kommentare

  1. Lieber Herr Trepl,
    die aufgeführte Studie macht es einem leider wieder sehr einfach, Vorurteile gegen die Sozialforscher zu schüren. Sie verstößt nämlich gegen eine zentrale Grundregel der quantitativen Sozialforschung, die ich immer versuche, meinen Studenten einzuimpfen: Interpretiere nicht auf Basis eines einzelnen Statements! Diese Ad-hoc-Thesen der Forscher zur Interpretation der Daten sind nette Vermutungen, die man am Stammtisch äußern kann, hat aber nichts mit Forschung zu tun. Herr Trepl, Sie entlarven ja auch sehr schön die Inkonsistenzen und Fehlannahmen in der Argumentation.
    Grundsätzlich ist die Befragung eine artifizielle Situation, bei der Leute zu Themen sich äußern, wozu sie sich möglicherweise gar nicht auskennen – eine wichtige Meßgröße ist daher immer die Meinungslosigkeit, die z.B. bei bestimmten Tieren größer als bei anderen sein kann und hier nicht abgefragt wurde. Die Antworten zu mehreren Statements sollten daher immer zu sog. Faktoren zusammengefasst werden, wobei hier z.B. Crombachs Alpha ein Kennwert darstellt, ob diese Zusammenfassung sinnvoll ist oder nicht (wenn es nicht sinnvoll ist, sollten wir die Ergebnisse besser gar nicht berichten, da wir dann nicht wissen, was wir gemessen haben).
    Zum Abschluß möchte ich aber noch eine Lanze für diese Art der Datenerhebung sprechen. Mit Hilfe der wiederholten Befragungen sind langfristige Meinungsumschwünge erkennbar – dafür sollte natürlich wieder nicht einzelne Statements oder Fragen herangezogen werden sondern valide (mit interner und externer Validität!) Faktoren.

    • wobei hier z.B. Crombachs Alpha ein Kennwert darstellt,

      Schreibt man das nicht mit ‘K’ statt mit ‘C’ 😀

    • Wie könnte denn eine sinnvolle Arbeit empirischer Sozialforscher zu dem Thema aussehen? Liege ich richtig, wenn ich es mir etwa so denke:

      Am Anfang müßte eine Theorie des Gegenstands stehen, in unserem Fall also etwa von„Naturbewußtsein“, dies eingeschränkt auf das, was für den Naturschutz eine Rolle spielt. Da könnte man dann Begriffe für mögliche „Faktoren“ finden und denen dann die einzelnen Antworten („ich finde Luchse gut“) zuordnen, bzw. man müßte die Fragen der Umfrage bereits unter dem Gesichtspunkt formulieren, wie sie sich auf diese „Faktoren“ beziehen. Von der Qualität dieser Theorie hängt alles ab. Man muß sich solche Theorien nicht ausdenken, in der Philosophie und der Kunstgeschichte findet man sie, und die relevanten „Faktoren“ (das, was die einzelnen Antworten „bewirkt“) könnten dann etwa Gefühle sein wie (Lust am) Schönen und Erhabenen oder die Lust an bestimmten Ideen wie Freiheit oder Geborgenheit, die durch irgend etwas in der Natur symbolisiert werden – aber auch etwas ganz anderes; “bewirken” kann ja auch etwas auf anderer Ebene liegendes eine bestimmte Antwort.

      Sie schreiben nun, sicher richtig, „mit Hilfe der wiederholten Befragungen sind langfristige Meinungsumschwünge erkennbar“, und dazu bräuchte man „valide (mit interner und externer Validität!) Faktoren“. Wie geht man mit diesem Gedanken nun beispielsweise einen so fundamentalen Meinungsumschwung an wie den um 1800 vom „Naturbewußtsein“ der Aufklärung zu dem der Romantik? Der Faktor „Erhabenheit“ wirkt, sagen wir mal, nach wie vor gleich stark. Gleich viele Menschen (die man vielleicht noch nach irgendeiner kulturtheoretisch begründeten Relevanz in wichtige und weniger wichtige und unwichtige unterscheiden kann) geben auf Fragen, die sich auf die „Attraktivität“ bestimmter Wildnis-Anblicke beziehen, die gleichen Antworten. Nur bedeuten sie jetzt etwas völlig anderes. Angenommen, die befragten Menschen der Aufklärung hätten sie im Sinne des Kant’schen Dynamisch-Erhabenen gedeutet: Die Anblicke „erheben“ mich, indem sie mich meine Überlegenheit als Mensch, d. h. als moralisches Wesen, über alle Naturgewalt fühlen lassen. Die Menschen der Romantik würden durchaus ähnlich stark sich von solchen Wildnis-Anblicken (Sturm, Lawinen …) zugleich angezogen und abgestoßen fühlen, nur deuten sie diese ambivalente Faszination anders: Sie meinen, nicht die Größe des Menschen zu fühlen, sondern die der Natur, und die Faszination liegt nicht in der Erhebung des Menschen, sondern in seiner Auflösung in der Allgewalt der Natur; oder so ähnlich.

      (Wie) ließe sich so etwas zu einer Aufgabe empirischer Sozialforschung machen? So, daß mehr herauskommt als das, was die Kulturwissenschaftler auf ihre Weise ohnehin herausbekommen haben? Gewiß, für eigentlich sozialwissenschaftliche Fragen schon; man kann dann (bzw. könnte, wenn man die Leute damals hätte befragen können) mit einigen quantitativen Daten belegen, daß im Jahre 1803 ein Schub in der Romantisierung von Denken und Fühlen in der sozialen Klasse K stattgefunden hat, während man das bisher nur aus einigen Hinweisen zeitgenössischer Schriftsteller erschließen konnte. . Aber ist es auch möglich, daß man mit den Methoden der quantitativen Sozialforschung etwas zum Verständnis des fraglichen kulturellen Wandels beitragen kann? Also zu den eigentlich kulturwissenschaftlichen Fragen, etwa „wie hat sich qualitativ in der Zeit der Romantik das Selbst- und Naturverständnis der Menschen geändert?“ Oder müssen, und so scheint es mir im Moment, solche Fragen immer bereits beantwortet sein, bevor man sich an quantitative Sozialforschung machen kann?

  2. Nachtrag: Ich habe ihre Erwähnung von Bröring und Wiegleb wahrgenommen, bezweifle aber angesichts vieler Aktivitäten der Naturschutzverbände(und Behörden) dass deren Erkenntnisse wirklich so einflussreich waren. Der Trend zur Landschaftsgärtnerei ist teilweise ungebrochen. Und da wünsche ich mir, wie schon angedeutet, eine Wende im Denken, die eine differenziertere Betrachtungsweise nicht nur zulässt, sondern die zuständigen Stellen und Verbände auch wirklich erreicht.

  3. Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, Herr Trepl! ……und wahrscheinlich sollte ich einfach des Öfteren hier aufschlagen, damit ich meine Position und Argumentation präzisieren kann, und Sie besser einschätzen können, worum es mir geht. Bis jetzt lese ich mir Ihre Beiträge meistens lediglich mit Gewinn durch.
    Was die Nationalparks anbelangt, haben Sie freilich recht: mir ging es aber eher um das hier und jetzt. Das Abenteuerelement scheint mir da keine so große Bedeutung zu haben, selbst wenn es zuweilen (über)betont wird.
    Und Ihre Ansichten zur Bedeutung und Entwicklung des Wildnisbegriffs teile ich und halte besonders Ihre Bemerkung zur allgemeinen Einschätzung der Entwicklung von Biodiversität für sehr bedenkenswert, auch weil sich hier die Argumentationssünden der frühen Ökologen oft sehr deutlich zeigen(Ich denke gerade an den Aufstand eines Teils der Bevölkerung, der hier in der Nähe provoziert wurde, als die Robinien”wildnis” gerodet werden sollte).
    Ob man nun aber andererseits wirklich “Ökomuseen” zwecks maximaler Biodiversität mit erheblichem Arbeitsaufwand immer erhalten sollte ist eine Frage, die ich mir oft stelle. Ich habe da einige Beispiele vor Augen, die mich die Frage eher mit Nein beantworten lassen. Manch künstlich erhaltener Trockenrasen scheint mir durchaus mit Baumarktwildblumenwiesen vergleichbar. Ich würde mir übrigens eine fundierte Diskussion zu dem Thema sehr wünschen.
    Ansonsten stimme ich, soweit ich es einschätzen kann, weitestgehend mit Ihnen überein.
    Und mich würde auch der wirkliche Wissensstand in der Bevölkerung interessieren, und dafür bräuchten wir dann bessere Umfragen. Und gute Diskussionen.

  4. Die “bitte mehr Wildnis”- Fans würde ich sehr gerne genauer befragt sehen, auch weil ich vermute, dass Ihre Annahme, Herr Trepl, nicht zutrifft. Der Abenteuerurlaub hat wahrscheinlich mit der Wildnisliebhaberei wenig bis gar nichts zu tun. Ich möchte mich dann hier als unerschütterlicher Optimist outen, und behaupten, dass inzwischen in breiten Teilen der Bevölkerung angekommen ist, dass hohes Gras mit ein paar Blumen nicht den Untergang des Abendlandes einläuten.
    Und dass man Schmetterlinge ohne etwas Wildnis nicht haben kann(zumindest bei Brennesseln ist das angekommen, wie ich bei vielen Gesprächen feststelle, auch wenn nun manche meinen, sämtliche Raupen ernährten sich von Brennesseln) haben inzwischen auch erstaunlich viele verstanden.
    Ich behaupte also, dass inzwischen eine Verknüpfung zwischen dem Begriff “Wildnis” sowie den Begriffen “Vielfalt” und “Leben” stattgefunden hat.
    Ich denke aber, dass die Umfrage in der Form in der Tat nicht viel Erkenntnis bringt, weil man nur spekulieren kann. Wenn man aber öfter mit Menschen über solche Themen spricht(was ich sehr gerne im Rahmen von naturkundlichen Führungen tue), dann gibt es durchaus einige sich abzeichnende Tendenzen, die ich als positiv ansehen würde.
    Die Rückkehr des Wolfes z.B. wird von vielen als Beleg angesehen, dass ein paar Dinge wieder ins Lot kommen, mit Luchs und Wildkatze wissen hingegen nur die wenigsten überhaupt etwas anzufangen(der Luchs wird z.B. oft nicht als einheimisches Tier angesehen).
    “Natur und natürlich ist immer gut!”, so würde ich die inzwischen verbreitetste Position zusammenfassen, und genau das scheint mir auch die Umfrage widerzuspiegeln: Artenkenntnis und das Wissen um ökologische Zusammenhänge sind aber ein anderes paar Schuhe.

    • @ Alisier.

      Ich habe leider nicht bei jedem Satz verstanden, worauf Sie hinauswollen. Aber der Grundgedanke ist interessant und ich finde, richtig:

      „Ich behaupte also, dass inzwischen eine Verknüpfung zwischen dem Begriff ‚Wildnis’ sowie den Begriffen ‚Vielfalt’ und ‚Leben’ stattgefunden hat.
“

      Doch dieser Satz:

      „Der Abenteuerurlaub hat wahrscheinlich mit der Wildnisliebhaberei wenig bis gar nichts zu tun“

      ist sicher falsch. Die Beziehung beider Sätze ist kompliziert. Zunächst zum zweiten:

      Die ersten Nationalparks (in den USA) wurden wegen eben dieses Zusammenhangs, von dem Sie meinen, er bestünde nicht, gegründet. Nationalparks waren sozusagen Erinnerungsstätten an die „wilde“, gefährliche, heroische nationale Vergangenheit. Mit den Begriffen „Vielfalt“ und „Leben“ war der Begriff „Wildnis“ zunächst nicht verbunden. Der Löwe, ein wildes Tier und ein Tier der Wildnis, war nicht der Savannenkönig, sondern der Wüstenkönig – er lebte in einer Wildnis ohne Leben, der Wüste eben, und machte sie maßgeblich zur Wildnis, weil er für Gefahr sorgte. Wildnis konnte auch eine Eiswüste ganz ohne Leben sein, zumindest ohne Vielfalt des Lebens, wie etwa ein Sumpfgebiet, in dem nichts als eine einzige Pflanzenart wächst. Und das war hier in Mittel- und Nordeuropa auch nicht anders als in den USA. Die Wildnis war, das war ihr Wesen, ein Ort außerhalb der Kultur (bzw. Zivilisation). Sie war nicht ein Ort ohne Menschen, aber doch ohne kultivierte Menschen. Dort lebten Heiden und Ausgestoßene, Zauberer und Hexen, aber auch Helden oder Büßer, die sich „bewähren“ wollten.

      So ein über Jahrhunderte, ja Jahrtausende kulturell tief eingeschliffener Begriff verschwindet nicht einfach zugunsten eines ganz anderen. Und tatsächlich ist er auch nicht verschwunden. Zur gleichen Zeit (etwa ab den 70er Jahren), als unter den Ökologen die „Ökosysteme im Gleichgewicht“ zugunsten der „dynamischen Ökosysteme“ in Verruf gerieten und unter den Naturschützern das Leitbild der traditionellen, vielfältigen Kulturlandschaft mehr und mehr abgelöst wurde durch das der „Wildnis“, begann eine Konjunktur von Aktivitätsformen in der Wildnis, „Abenteuerurlaub“ und „Extremsport“ sind besonders auffällig. Ich vermute, auf irgendeine noch wenig geklärte Art hat dieser Wandel im allgemeinen „Naturbewußtsein“ die andere Blickweise der Ökologen und Naturschützer verursacht.

      „Vielfalt des Lebens“ war mit diesem Wandel zunächst nicht verbunden. Es war ganz selbstverständlich unter den Naturschützern, daß man der Natur nicht ihren Lauf lassen darf, wenn man Vielfalt (an Arten, Lebensgemeinschaften) will. Darum rücken ja immer noch die Entbuschungskolonnen aus, denn wenn die Natur sich ungehindert entwickeln darf, verschwinden die artenreichen Trockenrasen und artenarme Hochstauden- und Gehölzgesellschaften breiten sich aus. Das aber – die Verarmung – meinte man nun in Kauf nehmen zu müssen, denn ein Naturschutz, der im ständigen „menschlichen Eingriff“ besteht, ist gar kein Naturschutz, ist vielmehr „Landschaftsgärtnerei“ (so die Biologen Bröring und Wiegleb vor einigen Jahrzehnten in einem einflußreichen Artikel).

      In der Bevölkerung – und nun kommt der Punkt, an dem Sie recht haben – aber bildete sich allmählich der Glaube, die Natur, wenn man sie nur gewähren ließe, würde von sich aus für maximale „Biodiversität“ sorgen. Dagegen kamen die Ökologen nicht auf, hatten sie doch selbst vorher dazu beigetragen mit (inzwischen weitgehend abgelegten) Theorien über den Zusammenhang von Vielfalt und Stabilität oder darüber, daß Ökosysteme im Zuge ihrer Sukzession zu immer höherer Vielfalt (und Stabilität) tendieren, bis zum Maximum im „Klimax“.

      Aber man sagte nun statt „natürliche“ oder „unbeeinflußte“ Lebensgemeinschaften“ (oder „Ökosysteme“) lieber „Wildnis“, obwohl Wildnis ein Begriff ganz anderer kategorialer Zugehörigkeit ist, mit Ökologie nichts zu tun hat. Denn die Wildnis hatte ja nun Konjunktur. Und es gab von jeher Typen von Wildnis, die mit „Leben“ verbunden waren, auch wenn das kein Charakteristikum der Wildnis war. In diesen Typen rührte das Wildnistypische, die Bedrohlichkeit, nicht von Steinschlägen und plötzlichen Unwettern her, sondern von wilden Tieren. Das waren vor allem die Wildnistypen „Urwald“ und „Dschungel“. Insbesondere letzterer ist nicht nur mit Leben, sondern auch mit dessen „Vielfalt“ verbunden: im Dschungel „wimmelt“ es von verschiedenstem Leben.

      An den „wilden“ Tieren ist aber nicht die Vielfalt von Bedeutung, sondern vor allem die (vermeinte) Gefährlichkeit. Sie gehören wie die wilden Menschen zur Wildnis. Wenn die Wölfe wiederkommen, kehrt die Wildnis mit ihnen zurück. In dem Film „Wolfen“ breiten sich die Wölfe in New York City aus. Die Mohikaner, die dort die gefährlichen Hochbau-Arbeiten machen, sitzen hoch oben auf den Kränen und beobachten die Rückkehr der Wildnis, deren wichtigste Elemente die Wölfe und sie selbst sind. Der Wolf aber bringt nicht die „Vielfalt des Lebens“ mit sich, wohl aber Wildnis. Wo Wölfe sind, ist Wildnis, auch wenn außer Wölfen (und Rentieren, von irgendwas muß er ja leben) dort nichts leben sollte.

      Das schafft nicht jedes Tier. Andere Tiere sind nur wild, wenn sie in der Wildnis sind, sie machen nicht selbst die Gegend, in der sie vorkommen, zur Wildnis. Wenn der Braunbär „in rumänischen Städten die Mülltonnen leert, reiht er sich eher in die Gesellschaft der Ratten und Krähen und anderer heruntergekommener Stadtbewohner ein, als dass er die Wildnis in die Stadt brächte“ (aus dem in https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/was-sind-wilde-tiere/ besprochenen Text).

      So etwa funktioniert das, weitgehend nicht erst seit kurzem, sondern schon lange.

  5. @Ludwig Trepl

    Was genau besagt Ihre abschliessende Vermutung? Dass es schlecht wäre für den Wolf, wenn die Menschen nicht länger an das Märchen vom “bösen” Wolf glauben, weil er dann “langweilig” würde und sich niemand mehr für seine Belange interessiert?

    Menschen, die noch an den “bösen” Wolf glauben, sind jedenfalls unaufgeklärt, und es wäre mit den Idealen der Aufklärung unvereinbar, nicht dagegen anzugehen. Und aufgeklärte Menschen kümmern sich schliesslich auch um die Belange “langweiliger” Fauna und Flora. So leben meines Wissens im Wattenmeer eigentlich nur “langweilige” Tiere. Dennoch sind da nicht wenige Naturschützer, die sich sehr engagiert für den Erhalt dieses Bioms einsetzen, das funktioniert doch.

    • @ Chrys.

      „Was genau besagt Ihre abschliessende Vermutung?“

      Eine „abschließende“ habe ich nicht. Aber „dass es schlecht wäre für den Wolf, wenn die Menschen nicht länger an das Märchen vom ‚bösen’ Wolf glauben, weil er dann ‚langweilig’ würde und sich niemand mehr für seine Belange interessiert?“ ist schon eine Vermutung, für die sehr viel spricht.

      „Menschen, die noch an den ‚bösen’ Wolf glauben, sind jedenfalls unaufgeklärt, und es wäre mit den Idealen der Aufklärung unvereinbar, nicht dagegen anzugehen.“

      Das ist falsch. Eher kann man sagen, daß sie nicht nur mit dem Blick des Biologen auf die Tiere schauen, weil sie dazu zu aufgeklärt sind. Es ist – seit Cassirer gehört das zum Bildungsgut – eine unaufgekärte Auffassung, eine, die mit dem Gang der Wissenschaft nicht so recht mitgekommen ist, daß die wissenschaftliche Weltsicht (zusammen mit der ästhetischen) die mythische Weltsicht abgelöst hat oder doch bald ablösen wird. „Der Löwe ist der König der Wüste“ – das ist kein unaufgeklärterer Satz als „der Löwe ist eine in Rudeln lebende Species der Gattung Panthera“, er ist nur kein biologischer Satz.

      „So leben meines Wissens im Wattenmeer eigentlich nur ‚langweilige’ Tiere.“

      Auch süße, nämlich Seehunde. – Der Grund dafür, daß das Wattenmeer Interesse auf sich zieht, sind weniger seine Tiere – die interessieren nur ein paar Spezialisten und Liebhaber –, sondern die Landschaft und, für Biologen, das Ökosystem.

    • @Ludwig Trepl

      In einer Entgegnung an Balanus hatten Sie kürzlich andernorts selbst noch betont, dass ein kategorialer Unterschied zwischen Natur und Nicht-Natur zu beachten ist. In der Tat, menschliche Moral- und Wertbegriffe haben keinerlei Bedeutung in derjenigen kontextualen Sprachkategorie, in der sich sinnvoll über Wölfe oder Löwen, Seehunde oder Wattwürmer reden lässt. Das ist schon im Wesen unserer Sprache so begründet und gilt ganz unabhängig von der individuellen Weltsicht. Die Sprache gestattet es, praktisch jeden semantischen Unsinn wie selbstverständlich und grammatikalisch korrekt zu artikulieren, und wer das nicht durchschaut, kann noch nicht als aufgeklärt gelten. Auf den “bösen Wolf” kommt man mithin nicht durch sachgemässen Gebrauch seines Verstandes, sondern vielmehr durch einen als solchen nicht erkannten Kategorienfehler. (Okay, gewisse Ausnahmen sind da vielleicht hinzunehmen. [Böser Wolf].)

      Im übrigen denke ich, dass bei engagierten Naturschützern normalerweise schon ganze Biotope im Fokus stehen und die Motivation eine andere ist als romantische Abenteurlust. Die besagte Umfrage war aber nicht speziell an Naturschützer gerichtet, die Befragten sollten repräsentativ für die Deutschen insgesamt sein, sodass man daraus allenfalls ersehen kann, wie das medial vermittelte Bild von Naturschutz von denen so aufgenommen wird. Allzu sehr darf man sich dann auch nicht wundern über das, was dabei als typische Antworten herauskommt.

      • @ Chrys.

        „…und wer das nicht durchschaut, kann noch nicht als aufgeklärt gelten. Auf den “bösen Wolf” kommt man mithin nicht durch sachgemässen Gebrauch seines Verstandes“.

        Ja natürlich. Das hat ja auch Ernst Cassirer nicht behauptet (und ich habe das allzu verkürzt dargestellt in der Antwort auf ihren vorigen Kommentar): daß die Menschen der „mythologischen Zeit“, die weder eine „wissenschaftliche“ noch eine „ästhetische Weltauffassung“ oder „Raumformung“ kannten, aufgeklärte Menschen gewesen wären.

        Er hat nur dem Glauben widersprochen, die letzten beiden „Weltauffassungen“ könnten die „mythische“ völlig ablösen, ein aufgeklärter, moderner Mensch, der von dieser gar nichts mehr an sich hat, wäre möglich. Auch der aufgeklärte Mensch blickt vielmehr ständig auch mit dem Blick des „mythischen“ Menschen, der jene Trennungen („das Wahre, das Gute, das Schöne“) nicht kannte, für den etwa ein jeder Ort sein Wesen darin hatte, „gesegnet“ oder „verflucht“ zu sein, auf die Welt und formt sie sich so symbolisch. (Lit. dazu: die Diss von Jörn Bohr, eine im Entstehen begriffene Diss von Gisela Kangler, natürlich Cassirers Werk selber).

        Und die Gegenaufklärer (dazu kann man die Romantiker zählen) haben ja nicht einfach hinter die Aufklärung zurückgewollt in Zeiten, in denen man von diesen großen kategorialen Trennungen nichts wußte, sondern wollten Aufklärung auf höherer Stufe betreiben, Aufklärung über die Aufklärung. Ob man dem nun zustimmt oder nicht: Man kann jedenfalls nicht blauäugig sagen, daß man, wenn man als aufgeklärter Mensch begriffen hat, daß ein Wolf nicht „böse“ sein kann, sondern dergleichen immer nur eine Projektion von etwas, das in uns ist, in die Natur ist, damit schon auf der Höhe der Wissenschaft unserer Zeit wäre. Wenn man sich etwa ansieht, was die Phänomenologen – die diese Vorstellung der Projektion ablehnen (Lit dazu der Hamburger Philosoph Großheim, die Brüder Böhme) – über so etwas wie die „Atmosphären“ von Räumen sagen, dann merkt man schnell, daß da das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, wenn man meint, mit den Begriffen des „aufgeklärten“ positivistischen 19. Jahrhunderts auszukommen. Ich jedenfalls bin nicht so kühn.

        „Im übrigen denke ich, dass bei engagierten Naturschützern normalerweise schon ganze Biotope im Fokus stehen und die Motivation eine andere ist als romantische Abenteuerlust.“

        Heutige „engagierte Naturschützer“ haben im allgemeinen eine verengte „ökologische“ Sicht auf ihren Gegenstand. Sie merken – anders als ihre weit reflektierteren Vorläufer vor über 100 Jahren – nicht, daß es ihnen in Wirklichkeit nicht um Biotope (oder um Arten, das wechselt, „Arten- und Biotopschutz“ nennen sie im allgemeinen das, was sie machen, ihre Vorläufer sagten eher „Heimatschutz“) geht, sondern um Landschaften, also etwas kategorial anderes; das sie dann aber versuchen, in den Begriffen, die ihnen zugänglich sind (wie „Biotop“) zu begreifen. Um das bemerken zu können, fehlen ihnen die Begriffe. Darum verstehen sie im allgemeinen auch nicht, daß die Normalbevölkerung den Kopf schüttelt über das, was die Naturschützer da tun, denn die ist da nicht so verengt, sie versteht auch einen Begriff wie „romantische Abenteuerlust“ (den ein typischer Naturschützer nicht versteht, weil er in einem Biologiebuch nicht vorkommen kann) und weiß, daß „romantische Abenteuerlust“ viel mehr mit der enorm gestiegenen Motivation für den Naturschutz zu tun hat als das, was in der engen Welt der Naturschützer mit ihrem „ökologischen Weltbild“ denkmöglich ist.

        Das „medial vermittelte Bild von Naturschutz“ versucht ihnen aber ständig dieses „ökologische Weltbild“ beizubringen. Heraus kommt dann das, was @ Alisier eben bemerkt hat: ein für Wissenschaft gehaltener Glaube an einen Zusammenhang vor allem von „Vielfalt und Stabilität“, oder von Vielfalt, Eigenart und Schönheit, oder von Naturwissenschaft, Moral und Ästhetik, der die kategorial verschiedenen Motivationen in ein einziges großes öko-religiöses Weltbild einfügt.

    • Die Zahlen scheinen sich nicht auf Europa zu beziehen, sondern auf die EU. Das macht bei diesen Tieren viel aus, weil es große Populationen in Nordrußland gibt. Vielfraße hat man nicht 13000 gefunden (in Schweden und Finnland), sondern 1300.

  6. Medial verbreitete ikonische Vorstellungen von wilden Tieren und Wildnis spielen wohl eine viel grössere Rolle für die Einschätung und Würdigung von Wildnis und wilden Tieren als die Erfahrungen der Befragten mit wilder Natur.
    Der Wolf beispielsweise ist mit einer ikonischen Vorstellung verbunden – auch heute noch. Es gibt sowieso weniger Innovationen im Bereich ikonischer Vorstellungen als man meint. Das Bild des Werwolfes ist heute noch so aktuell wie vor 30 Jahren. Gerade jetzt läuft in den USA die Fernsehserie Teen Wolf

    Sie dreht sich um den Teenager Scott McCall, der von einem Werwolf gebissen wird und nun mit seinem neuen Leben inmitten der Welt des Übernatürlichen zurechtkommen muss. Handlungsschauplatz der Serie ist die fiktive nordkalifornische Stadt Beacon Hills.

    Dass Teenager und Pupertierende eine gewisse Faszination für Wölfe empfinden verwundert mich (auch) deshalb nicht.

    • Ergänzung: Bestimmte wilde Tiere wie Bären, Wölfe und Löwen haben eine über Jahrtausende gehende kulturelle Konstanz: Sie tauchen in Wappen und Stadttoren auf, in Geschichten und Märchen und sind eigentlich nicht mehr wegzudenken. Selbst wenn es diese Tiere in der realen Umgebung gar nicht gibt.
      Das Löwentor von Mykene ist ein frühes Beispiel. Es zeigt zwei sich gegenüber stehende Löwen (“Das Löwenrelief ist die älteste Monumentalplastik Europas.”). Doch gab es in der Umgebung der antiken Stadt Mykene Löwen? Ich bezweifle es.

    • @ Martin Holzherr.

      „Medial verbreitete ikonische Vorstellungen von wilden Tieren und Wildnis spielen wohl eine viel grössere Rolle für die Einschätzung und Würdigung von Wildnis und wilden Tieren als die Erfahrungen der Befragten mit wilder Natur.
“

      Mit Sicherheit. Erfahrungen gibt es ja so gut wie gar nicht. Wer ist außerhalb des Zoos schon einem Wolf begegnet? Eine interessante Frage wäre aber, wie weit man hier von „ikonisch“ sprechen kann und wie weit es sich (im Peirce’schen Sinne) um „symbolische“ Vorstellungen handelt. Symbole beruhen da auf „Verabredung“, nicht auf Ähnlichkeiten mit dem Objekt, das als Zeichen dient, wie beim Ikon. Zweifellos ist in den Vorstellungen wilder Tiere viel an Ikonischem drin. Ein Tier, das man nie angreifen sieht, beispielsweise ein Hase, wird in keiner Kultur zum Kriegs- oder Herrschaftssymbol werden. Aber ob der Wolf als mutig gilt (weil er angreift) oder als feige (weil er immer nur in Überzahl angreift), ob er als „Räuber“ gilt oder als „Herrscher“, der sich legitimerweise nimmt, was ihm zusteht usw. – das kann man kaum dem realen Wolf ansehen, es ist eher den Geschichten geschuldet, die sich jede Kultur anders „ausdenkt“. Hier: https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/was-sind-wilde-tiere/ verweise ich auf einen Text, in dem die einzelnen Tiere „durchgespielt“ werden im Hinblick auf ihre „Bedeutung“. Der Frage, was daran ikonisch, was symbolisch ist, bin ich dabei nicht nachgegangen. Aber man könnte es mal probieren. Das wäre auch im Hinblick auf die Versuche der Naturschutz-Propaganda (die Naturschützer selbst nennen es „Bildung“) sinnvoll, die versuchen, den Einfluß von Geschichten (Mythen) zu eliminieren, wo er der Meinung der Naturschützer nach schädlich ist. Aber wird sich die Haltung der Menschen zum Wolf ändern, wenn man es geschafft hat, „Rotkäppchen“ aus dem kollektiven Gedächtnis zu streichen und nur noch biologisches Wissen darin haftet? Wird er zum Friedensymbol taugen, wenn alle wissen, daß er keine Großmütter frißt?