Italiener entscheiden über Existenzwert des Regenwalds

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Unter der Überschrift „Existenzwerte“, was seltsamerweise eine „Ökosystemdienstleistungs-Kategorie“ genannt wird, steht in TEEB (2010):

„Horton et al. (2003) verwenden den kontingenten Bewertungsansatz und schätzen die Zahlungsbereitschaft britischer und italienischer Haushalte für Schutzgebiete im brasilianischen Amazonasgebiet auf US$ 46 pro Hektar und Jahr.“

Ich bin auf dem Gebiet der Ökonomie völliger Laie und meine Frage mag dumm sein, aber ich möchte sie doch nicht unterdrücken: Kann man auf diese Weise tatsächlich den „Existenzwert“ von irgend etwas ermitteln, noch dazu in Zahlen? Wenn die Ökonomen damit nur unter sich blieben! Aber sie können sich nicht halten und teilen der Öffentlichkeit mit, wie viele Dollar die Existenz eines Stücks Regenwald wert ist, und die Leute glauben dann, diese Zahl sage ungefähr so viel aus wie im Falle handfester Sachen, etwa wie im Falle der Summe, die man für eine Flasche Bier zahlen muß.

Gemeint scheint ja etwa zu sein, daß der Wert der bloßen Existenz dessen, was zur Zeit auf Flächen im Amazonasgebiet vorhanden ist, folgendermaßen festgestellt werden kann: Man fragt Briten und Italiener, was sie zahlen würden, wenn sie damit erreichen könnten, daß auf diesen Flächen alles so bleibt, wie es ist. Sicher diskutieren die Ökonomen heftig und mit größter Akribie darüber, daß die ermittelten Zahlen unsicher sind, weil man bei leichter Veränderung der Befragungssituation vielleicht erheblich abweichende Werte genannt bekäme. Aber diskutieren sie auch die Möglichkeit, daß Brasilianer, Nigerianer, Chinesen oder Texaner sich vielleicht bereit erklären könnten, dafür zu zahlen, daß das Stück Regenwald in eine Viehweide umgewandelt wird oder in einen Golfplatz? Und wie bestimmt man unter diesen Bedingungen den – nun eventuell negativen – Zahlenwert des Regenwalds? Errechnet man den Durchschnitt aus Briten und Chinesen? Berücksichtigt man dabei, daß es mehr Chinesen als Briten gibt? Wird in Rechnung gestellt, daß ein US-Amerikaner viel mehr wert ist als ein Nigerianer – wie man ja da daran sieht, daß 10 tote Amerikaner eine viel größere Zeitungsmeldung wert sind als 1000 tote Nigerianer? Kann mich jemand aufklären?

 

Literatur: 

TEEB (2010): Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität: Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren. (TEEB (2010) The Economics of Ecosystems and Biodiversity: Mainstreaming the Economics of Nature) Ansatz, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – eine 

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

3 Kommentare

  1. Wert

    In der Marktwirtschaft bezeichnet “Wert” den Preis, den eine Sache beim Verkauf auf einem Markt erzielt.

    Für Dinge, für die es keinen Markt, keine Nachfrage gibt, muss man den benötigten Cash Flow, um einen Wert > 0 behaupten zu können, anders konstruieren. Hier wohl durch Umfrage:

    http://de.wikipedia.org/…gente_Bewertungsmethode

    Im Zweifel muss man als Staatsbürger und Konsument stets damit rechnen, dass solche Fragen nicht grundlos gestellt werden, sondern dass der, der fragt, bezweckt, die Toleranzschwelle für eine Umlage oder eine Steuer zu ermitteln. Ich würde solche Fragen daher prinzipiell nicht (mit einem Betrag > 0 €) beantworten.

  2. Gekauft/Gerettete Regenwälder

    Den Existenzwert von Regenwald muss man gar nicht berechnen.
    Man kann den zu schützenden Regenwald ja aufkaufen. Und es gibt mehrere Private und Organisationen, die das auch schon getan haben. Allerdings dürfte es teuer werden den gesamten amazonischen Regenwald so zu erwerben.

    Hier ein paar Links:

  3. 1 qm Regenwald

    Werter Herr Trepl,

    das haben sie wohl falsch verstanden oder eben so, wie es verstanden werden soll. Es geht nicht um einen Existenzwert.

    Die Zahl besagt, daß britische und italienische Haushalte bereit sind, Geld auszugeben. Dies nicht beliebig, sondern 46US$ für Schutzgebiete im Regenwalde. Nun, mit italienischen Ver-hältnissen und britischen Gepflogenheiten kenne ich mich nicht so aus, aber statistischsignifi-kant befragt, wird sicherlich zu ermitteln sein, daß auch der Bundesdeutsche bereit ist, eine gewisse Summe für den Regenwald auszugeben. Sie beträgt vermutlich, angesichts des öko-logischen Diskurses, mehr als einen halben USCent/qm/a.

    Mit Schutzgebieten in Regenwäldern kann man natürlich kein Geld verdienen, hingegen je-doch mit der sicherlich wohl stimmigen Feststellung, daß Briten, Italiener, Deutsche, etc. pp. … bereit sind für ebenjene Schutzgebiete Geld auszugeben. An dieser Gutmenschlichkeit pro-fitiert z.B. Krombacher. Man trinkt doch umsolieber Bier, wenn es aus dem lichten Herzen der Natur kommt oder gar mit einer getrunkenen Flasche (oder muß man ‘ne Kiste trinken) ein qm Regenwald gerettet werden kann.
    Die Erforschung der Wertigkeit der Natur realisiert die ‘Zahlungsbereitschaft für Regenwald-schutzgebiete’, für ‘Natur’ und ‘Ökologie’ im Bierverkauf. (Ob’s jetzt nur Profit oder Extrapro-fit ist, man jemand marxistisch klären – Vermutlich geht es nur um Abgrenzung gegen gold-glänzende Radeberger-Image, um eben die gutmenschlich bewegten Biertrinker zu halten.)
    Umd da spielt es keinerlei Rolle, daß die Insel der Krombacher-Reklame nicht im Regenwald sondern in Deutschland (sic!) im Stausee (sic!) der Wiehltalsperre (sic!) liegt und der Bach unter der Krombacher Brauerei verroht ist.

    Ach, und zur Natürlichkeit des Regenwaldes, jedenfalls zum südamerikanische schreibt Charles C. Mann (2005) in Ancient Americans, daß es auch nur altes Kulturland ist, aber schon seit ca. +/- 1492 brach.

    schönes WE