Glück, Hirn, Gene

BLOG: Landschaft & Oekologie

Unsere Umwelt zwischen Kultur und Natur
Landschaft & Oekologie

Vor fünf Jahren hat Tanja Dückers auf Zeit-online einen kleinen Artikel unter der Überschrift  „Alles nur die Gene“ veröffentlicht.[1] Den habe ich nun zufällig entdeckt und meine, daß die Autorin den Scilogs-Lesern, gerade ihnen, etwas zu sagen hat. Die Hauptreaktion kann man vorhersagen: Die hat doch keine Ahnung von Genetik und Hirnforschung. Das stimmt natürlich, sie ist Journalistin. Aber von dem, was einige Genetiker und Hirnforscher derzeit in der öffentlichen Diskussion anrichten, versteht sie offensichtlich mehr als unsere Genetiker und Hirnforscher – was kein Wunder ist, denn diese verstehen gewöhnlich außer von Genetik und Hirnforschung von nichts etwas, Journalisten schon eher. Hier ist der – gekürzte – Artikel:

Sind Sie heute gut gelaunt aufgewacht? […] Was auch immer Sie antworten mögen: Fühlen Sie sich nicht verantwortlich für Ihre Fähigkeit, aus einem Tag das Beste zu machen – Sie sind einfach nur Opfer Ihrer Hirnbotenstoffe. So wie im 19. Jahrhundert die Schädelvermessung und später die Erforschung der Hysterie für unanfechtbare Disziplinen gehalten wurden, so sind es nun die Hirnforschung und die Genetik. Beide Wissenschaften mögen manch interessantes, unter Umständen sogar richtiges Ergebnis zutage fördern – der derzeitige Kult um sie muss dennoch äußerst skeptisch betrachtet werden. […]

Gerade hat eine neue „Glücksstudie“ […] von sich reden gemacht. Die Wissenschaftler behaupten, in einer Untersuchung von 973 Zwillingspaaren herausgefunden zu haben, dass Gene einen beträchtlichen Einfluss darauf haben, ob Menschen in ihrem Leben glücklich sind.

Das Problem bei solcherart „Erkenntnissen“ ist, dass sie nicht mit sozialwissenschaftlichen Thesen amalgamiert werden. Sind Thesen wie „Kinder, die geschlagen werden, werden oft selbst zu Schlägern“ plötzlich obsolet? Allein ein Satz wie „Anhand eines Fragebogens erfassten die Wissenschaftler die Persönlichkeitsstruktur von 973 Zwillingspaaren“ […] muss Zweifel aufkommen lassen. Wer selber zum Spaß mal einen Psychotest gemacht hat, weiß, dass die eigene Einschätzung nicht unbedingt die Beste ist – und dass man, abhängig von Tagesform und Lebenssituation, sehr unterschiedliche Antworten geben kann. […] Was überhaupt „Glück“ ist, stand natürlich nicht zur Debatte. Wie man etwas, das man nicht einmal konsensuell definieren kann, messen will, sei dahingestellt.

Es mutet seltsam an, dass wir aus den Relativierungen der Heilslehren früherer Zeiten nichts gelernt haben. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird man in 30 oder 50 Jahren über unseren demütigen Glauben an die Ergebnisse der Hirnforschung und der Genetik lachen. […]

Focus […] bellte die Leser im vergangenen Herbst an: „Tatort Gehirn: Warum Menschen zu Verbrechern werden“. Geschrieben von niemand Geringerem als Helmut Markwort, dem Chefredakteur. Schön, dass jemand so genau Bescheid weiß! Dann können wir ja uns alle magnetresonanztechnisch durchchecken und gegebenenfalls vorsorglich einbuchten lassen.

Selbstkontrolle durch Dinge wie Anstand und Humanismus scheint keinerlei Relevanz mehr zu besitzen. Alles alter Kaffee. Christus und Konfuzius, Mohammed und Buddha, Franz von Assisi, Martin Luther, Mahatma Gandhi – sie alle haben sich getäuscht, Herr Markwort weiß es besser: Unser Aggressionspotenzial ist eine Frage von Schaltkreisen im Gehirn. Und der US-amerikanische Neuropsychologe Adrian Raine souffliert, Strafgefangene (offenbar auch die, die wegen dreimal Schwarzfahren im Knast gelandet sind) hätten überdurchschnittlich häufig ein verkleinertes „Moralzentrum“. […]

Die Botschaft ist, dass niemand mehr verantwortlich für sein Verhalten und alles determiniert ist. Das „Tatort Gehirn“ und das „Moralzentrum“ führen uns direkt ins Mittelalter zurück, mit dem Unterschied, dass nicht mehr an einen alten Mann mit weißem Bart geglaubt wird, sondern an einen jungen Mann in weißem Kittel.

An der monotheistischen Inbrunst hat sich jedoch nicht viel geändert. Die Modewelle Biologismus ist in ihrer derzeitigen medialen Omnipräsenz nichts anderes als ein Versuch, der überkomplexen Wirklichkeit mit einem einfachen Ursache-Wirkungszusammenhang zu entkommen. Wir verstehen unsere eigene Welt nicht mehr und wünschen uns nichts sehnlicher, als Verantwortung abzugeben. Lieber sprechen wir unschuldig von unseren Genen und Hirnschaltkreisen als von bewussten Entscheidungen, gar Fehlern oder Versagen.

[…] Zu ihrem 50. Geburtstag lud Angela Merkel den Hirnforscher Wolf Singer ein […] Herr Singer hatte dann auch richtig Partytaugliches im Gepäck: „Der Mensch verfügt nicht über einen freien Willen. Er wird in Wirklichkeit von Neuronen gesteuert.“ Aha! Aber der Höhepunkt, mit dem Herr Singer sogar hinter das Alte Testament zurückfällt, kam noch: „Der Mensch ist in seiner Entscheidung zwischen Gut und Böse festgelegt.“

Das Hamburger Satiriker-Duo Ebermann & Trampert bringt es schön auf den Punkt: „Deutschlands Elite war begeistert, als sie hörte, dass nicht Deutsche, sondern Neuronen den Völkermord an den Juden verübt hätten. Warum die Neuronen damals gerade so und nicht anders entschieden haben, weiß der Professor heute noch nicht.“ 

Vermutlich hatten Hunderttausende Deutsche vor mehr als 60 Jahren alle einen Schaden im limbischen System.

Soweit der Artikel. – Unsummen werden ausgegeben für Forschungen wie die hier angesprochenen. Für sehr sinnvoll hielte ich es, wenigstens einen kleinen Teil der Forschungsmittel dafür zu verwenden, genauer nachzusehen, was es mit diesem Typ von Wissenschaft eigentlich auf sich hat. Mit „diesem Typ“ meine ich nicht Genetik und Hirnforschung insgesamt – das sind respektable Wissenschaften, vielleicht die ergiebigsten, die es zur Zeit gibt –, sondern nur den Teil, der sich Themen widmet wie der genetischen Verankerung von Glück oder der Suche nach dem Ort im Hirn oder im Genom, wo die Moral oder der Glaube an Gott sitzt. Zu untersuchen wäre, was das Gemeinsame ist von eben diesen Forschungszweigen und früheren „Wissenschaften“, die beispielsweise Schädelvermessungen zum Zwecke der Früherkennung von als potentiell kriminell Auszusondernden vornahmen.

Hier will ich nur einige Anmerkungen zu zwei anderen Punkten machen. „Das Problem bei solcherart ‚Erkenntnissen’ [nämlich daß Gene einen Einfluß darauf haben, ob Menschen in ihrem Leben glücklich sind] ist, dass sie nicht mit sozialwissenschaftlichen Thesen amalgamiert werden.“ Zweifellos ist das ein großes Problem. In Forschungsarbeiten dieser Art haben soziale Faktoren fast nur die Funktion, Ausreden zu ermöglichen. Denn wenn man darauf aufmerksam macht, daß es mit dem „Glück“ oder der „Religiosität“ oder der Neigung zu Verbrechen oder was es immer sein mag trotz unbezweifelbar gleicher „genetischer Gundlage“ doch überaus verschieden stehen kann, dann kommt reflexartig die Erwiderung: Ja, das waren halt die sozialen Faktoren, die leugnen wir ja nicht. Aber nicht viele der relevanten, nicht-trivialen Fragen erhalten durch diese biologischen Forschungen eine Antwort. Oder genauer: Wenn man etwas Relevantes herausfindet, so gehört das ins Gebiet der Medizin. Es betrifft Krankheiten, nicht den Normalfall.

Selbstverständlich hat die Genetik Einfluß darauf, ob die Menschen im Leben glücklich sind oder nicht, das war bereits vor aller Wissenschaft völlig hinreichend bekannt. Um die Frage zu beantworten, ob es diesen Einfluß gibt und ob er groß sein kann, hätte man keinen Pfennig an Forschungsgeldern ausgeben müssen. Wenn jemand erblich bedingt eine Magenkrankheit hat, dann kann das erheblich auf sein Glücksgefühl drücken. Und daß jemand von seinen Eltern „Schwermut“ erben kann, wußte man schon immer, und dieses Wissen reicht völlig, um jene Frage zu beantworten. In der Medizin ist es sicher gut, wenn man mehr an biologischem Detailwissen hat. Aber für die Fragen, die die Öffentlichkeit heute diskutiert, wenn von Genetik oder Hirnforschung die Rede ist, ist das unwichtig. Diese Fragen betreffen nicht krankhafte Abweichungen. Man diskutiert, ob es (bei gesunden Menschen!) einen freien Willen gibt und man diskutiert über Dinge, die das Schicksal ganzer Gesellschaften betreffen. Fragen sind z. B., warum man in manchen Ländern trotz materieller Not und sonstiger Bedrückung glücklicher zu sein scheint als in anderen, in denen es den Leuten „gut geht“, warum in manchen Bevölkerungsgruppen die Kriminalitätsrate höher ist als in anderen oder warum die Ostdeutschen und die Russen sich wohl größtenteils als Atheisten bezeichnen würden, die Polen nicht. Dafür bringt biologische Forschung gar nichts. Die für den naturalistischen Zeitgeist naheliegende Antwort, daß dergleichen an den Genen der Verbrecher und der Glücklichen und der Gläubigen liegt, ist so offensichtlich weltfremd, daß man sich mit ihr nicht befassen muß. Weltfremd: Von dem, was in der Welt geschieht und von Einfluß ist auf Glücksempfinden, Religiosität usw. – Kriege und Revolutionen, Erziehung und Bildung, Indoktrination und Aufklärung, Elend und Ausbeutung und deren Überwindung usw. –, dringt offenbar nichts in die sterilen Loboratorien. Den einen Faktor, den man dort zu isolieren vermag, hält man hoch, tausend andere bemerkt man nicht.

Wichtiger noch als der Hinweis auf die fehlende „Amalgamierung“ mit sozialwissenschaftlichem Wissen scheint mir aber dieser: „Was überhaupt ‚Glück’ ist, stand natürlich nicht zur Debatte.“

Das kennzeichnet nicht nur diese biologischen Forschungen, sondern auch jene, die derartige Fragen mit den Mitteln der empirischen Sozialwissenschaften angehen, Forschungen, die beispielweise herauszubekommen versuchen, ob Geld glücklich macht, wobei man biologische Dispositionen unbeachtet läßt. Der Sehnsucht, „Verantwortung abzugeben“ entgegenzukommen – diese Wirkung kann diese Art von Forschung durchaus auch haben. „Lieber sprechen wir unschuldig von unseren Genen und Hirnschaltkreisen als von bewussten Entscheidungen, gar Fehlern oder Versagen“. Das ist richtig, aber man kann auch unschuldig von ungünstigen sozialen Einflüssen in der Kindheit sprechen, die einen, ohne daß man etwas dagegen tun könnte, auf die falsche Bahn bringen, um nicht von Fehlern und Versagen sprechen zu müssen. Der Unterschied, und er ist kein unwichtiger, ist: Die sozialen Faktoren kann man verändern, die genetischen nicht (im gleichen Sinne), sie machen die „Natur“, das unveränderliche „Wesen“ der Individuen aus. Nur Biotechnologien, vor allem Züchtung im weitesten Sinne, also Verfahren, die nicht auf die Entwicklung des Individuums gerichtet sind, sondern auf Populationen, bleiben als Möglichkeiten der Einflußnahme.

Will man aber der sozialen Beeinflussung eine Richtung geben, so setzt das ebenso wie im Falle jener biotechnischen Beeinflussung voraus, daß wir eben doch zurechnungsfähig und damit verantwortlich sind für das, was wir tun; weder Gene noch Hirnschaltkreise noch soziale Faktoren legen im Voraus fest, wie wir uns entscheiden werden. Jemand mag durch soziale Einflüsse in der Kindheit zu einem bestimmten Verhalten genötigt werden, aber diejenigen, die diese sozialen Einflüsse gestalten, um die Menschen in andere Bahnen zu lenken, entscheiden sich dafür, daß sich etwas anders entwickelt als es sich ohne ihre willentliche Entscheidung entwickeln würde. Dem muß man zustimmen, andernfalls begibt man sich in einen Widerspruch, wenn man nicht nur feststellen will, daß unser Verhalten gewissen (biologischen und sozialen) Gesetzen folgt, sondern dieses Wissen zum Zwecke gezielten Eingreifens benutzen will – wie es ja dem Wesen der Naturwissenschaften (und methodologisch gehören die empirischen Sozialwissenschaften auch zu diesen) entspricht. Denn naturwissenschaftliches Wissen ist nicht Wissen darüber, wie die Natur an sich ist, sondern Wissen darüber, wie sie unter der Frage möglicher technischer Beeinflussung, möglicher Veränderung dessen, was auch ohne unsere freie Entscheidung geschehen würde, ist.

Die Ergebnisse solcher Forschungsarbeiten der empirischen Sozialwissenschaftler finden jedenfalls ebenso wie die der Genetiker und Hirnforscher immer wieder den Weg in die Zeitungen, wo sie dann unter „Vermischtes“ neben Meldungen über die Neurosen eines Promi-Schoßhündchens stehen, und das geschieht diesen Ergebnissen recht. In Osnabrück, so hat man in einer „repräsentativen Umfrage“ herausgefunden, sind die Menschen glücklicher als in allen anderen deutschen Städten. 87 % der Einwohner fühlen sich „wohl bis sehr wohl“.

Zum Glück sind die normalen Menschen nicht so dumm wie die studierten Sozialforscher, die solche Umfragen machen: „Kaum wurde das bekannt, ergoss sich eimerweise Häme über die Stadt. Konnte denn diese Zufriedenheit mehr sein als die bräsige Genügsamkeit von Menschen, die den Neubau eines Einkaufszentrums als persönlichen Erfolg verbuchen? Konnte denn dieses Wohlfühlen etwas anderes sein als eine dumpfe Unberührtheit durch die Probleme, die unsere Zeit nun mal außerhalb Osnabrücks umtreiben?“[2] Es stimmt, was überhaupt Glück ist, ist in Forschungsarbeiten dieser Art kein Thema. Darauf direkt angesprochen, antworten die Forscher natürlich, daß sie schon wüßten, daß da ein Problem liegt und daß ihre Ergebnisse nur bezogen auf eine ganz bestimmte Definition von Glück gelten, neben der andere möglich sind. Doch darf man das nicht so ernst nehmen. Was man da an Definitionen findet, spricht eher gegen die Vermutung, daß diese Wissenschaftler ein hinreichendes Problembewußtsein haben. Als „emotionales Wohlbefinden“ fand ich Glück (oder Glücksgefühl) definiert. Oder (in Wikipedia) als „ein Hochgefühl, das vom Wunsch nach Fortdauer gekennzeichnet ist, solange es andauert und vom Wunsch nach Wiederkehr, wenn man sich seiner erinnert“. Nichts dagegen; man kann bei allem, was es gibt, etwas Gemeinsamen suches und wird es finden. Man sollte nur nicht anfangen, das so definierte Glück zu messen. Das aber will man. Dann wird’s peinlich. Man begibt sich auf das Niveau von Kartenabreißern im Theater, die einem zur Komödie wie zur Tradödie gleichermaßen „viel Spaß“ wünschen. Daß es Unterschiede zwischen Spaß, Freude, Vergnügen, Erbauungsgefühlen verschiedener Art usw. gibt, daß dazwischen Welten liegen können, die eine Addition schlechterdings verbieten, wissen sie nicht. Alles „emotionale Wohlbefinden“ fällt für sie unter „Spaß“, und bei unseren Glücksforschern fällt halt alles unter „Glück“. Daß das „emotionale Wohlbefinden“ (gibt es ein nicht emotionales?) trotz, sagen wir mal, gleich großer Ausschüttung eines bestimmten Hormons oder Ankreuzens der gleichen Stufe in einem Fragebogen im Falle eines Requiems doch etwas völlig anderes ist als im Fall eines Schlagers, im Falle eines Sporterfolges doch etwas ganz anderes als im Falle der Geburt eines Kindes, ist den Glücksforschern so wenig ein Problem wie den Kartenabreißern. Was es alles gibt an verschiedenen Arten des „emotionalen Wohlbefindens“, wie diese zusammenhängen oder nicht zusammenhängen, einander bedingen oder ausschließen, ob im Hinblick auf sie überhaupt empirische Forschungen möglich sind oder nicht und in welchem Sinne man den lebensweltlichen Begriff „Glück“ in welchen Wissenschaften sinnvoll verwenden kann – das und vieles andere bleibt unbeachtet. Die Arbeit an Begriffen, anders als die Arbeit mit (allerdings kaum begriffenen) Begriffen, ist diesen Teilen der Wissenschaft so fremd wie den Philologen das Experimentieren im Labor. Dabei füllen die Diskussionen über Begriffe, die für die von den empirischen Sozialforschern bearbeiteten und vor allem für die neuerdings von den Genetikern und Hirnforschern in die Öffentlichkeit gebrachten Fragen einschlägig sind (Glück, Religion, Freiheit, Wille, Schuld …), ganze Bibliotheken, und es ist schon einigermaßen unverfroren, wie man diese Diskussionen, die doch als wissenschaftliche immerhin bereits über 2000 Jahre andauern, einfach ignorieren und trotzdem behaupten kann, das, was man da tut, sei Wissenschaft. Es kommt mir vor, als ob einer die Berge von einschlägiger chemischer Literatur einfach nicht zur Kenntnis nehmen will und dennoch meint, in der Physiologie mitreden zu können.

Man könnte schon zufrieden sein, wenn man unter den empirischen Sozialforschern und den sich, nach dem Abklingen des nationalsozialistischen Schocks, wieder in deren Geschäft einmischenden Genetikern und Hirnforschern diese Diskussionen bis hin zu Fragen dieser Art verfolgte: wie es denn möglich sei, daß sich der kynische Philosoph in seinem Faß glücklicher fühlen kann als der König und ob denn überhaupt das gleiche gemeint ist, wenn dieser sich glücklich preist und wenn jener das tut. Mit den schwierigeren Fragen muß man sich nicht unbedingt auskennen, denn sie betreffen das Glück und nicht nur das Glücksgefühl, auf das sich die empirischen Forschungen ohnehin nur richten können. So eine schwierigere Frage hat etwa Sokrates aufgeworfen, und er hat eine Antwort gegeben:

Sokrates: […] Soll er auch dann für glücklich gelten, wenn er für sein Unrecht die gebührende Strafe erhält?

Polos: Keineswegs, denn in dem Falle würde er ja höchst unglücklich.

Sokrates: Wenn also der Übeltäter keine Strafe erhält, soll er nach deiner Ansicht für glücklich gelten?

Polos: Ja.

Sakrates: Nach meiner Ansicht aber, lieber Polos, ist der Übeltäter und Ungerechte in jedem Falle unglücklich, unglücklicher jedoch, wenn er dem Rechte nicht genügt und der Strafe nicht verfällt für ein Vergehen, weniger unglücklich aber, wenn er dem Rechte genügt und der Strafe verfällt vor Göttern und Menschen. (Gorgias, Platon-SW Bd. 1, 337 f.)

Mit der Behauptung des Sokrates wird auf eine Bedeutungskomponente von „Glück“ hingewiesen, die dieser Begriff immer auch hatte und hat: daß Glück nicht im Glücksgefühl aufgeht, daß man ohne es zu merken ein Unglücklicher sein kann, ein „Verworfener“.

Nun, die Glücksforscher müssen sich nicht unbedingt mit solchen Fragen auskennen, habe ich eben geschrieben. Die Bedingung ist, daß sie sich explizit darauf beschränken, über das Glücksgefühl und nicht über das Glück zu sprechen. Aber auch um das begründet und einigermaßen differenziert tun zu können, müßte man zumindest zur Kenntnis nehmen, daß es Diskussionen der Art, wie sie zwischen Sokrates und den Sophisten geführt wurden, überhaupt gibt.


[1] Alles nur die Gene VON TANJA DÜCKERS | © ZEIT online  1.4.2008 – 19:45 Uhr
[2] http://www.merian.de/magazin/glueck-in-osnabrueck.html

  Blogartikel und andere Beiträge im Internet mit Bezug zum Thema: 1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,34,35,36,37,38,39,40, 41,42,43,44,45

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

36 Kommentare

  1. Freiheit /@Ludwig Trepl:

    » „…um am Ende festzustellen, dass in der konkreten Natur (Kategorie 1) der abstrakte Freiheitsbegriff (Kategorie 2) keinen Sinn [ergibt].“

    Wie meinen Sie denn das? «

    Im Wesentlichen so, wie Sie es selbst nachfolgend ausgeführt haben:

    »Wo immer Freiheit auftaucht, sind wir nicht in der Natur, und wenn wir sie untersuchen, machen wir nicht Naturwissenschaft.«

    Wobei es hierbei aber um den ursprünglichen, starken Freiheitsbegriff geht. Denn mittlerweile haben viele das Thema gewechselt, „Freiheit“ und „freier Wille“ scheinen nunmehr mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur vereinbar zu sein.

    In etwa so, wie auch die „freie Energie“ oder der Begriff „Freiheitsgrad“ mit der (in)deterministischen Natur kompatibel sind.

    Diese Entwicklung ist nur folgerichtig. Denn, wie Sie ja selbst sagen, „der Wille ist ein Vermögen (Fähigkeit)“, mithin also ein empirisches Faktum. Wenn ich eine naturhafte Tatsache mit einem Begriff verbinde, der aus einem kategorial anderen Gegenstandbereich kommt, dann erhalten wir ein begriffliches Zwitterwesen, das zwei Welten zugleich angehört. Daraus erwachsen mMn ganz neue, zusätzliche begriffliche Probleme.

    Dass der Begriff „Wille“ Freiheit (nun wieder im starken Sinne) generell voraussetzt, kann ich nicht sehen. Den Willen als solchen kann ich nicht beobachten, das ist klar, aber ich kann beobachtbares Verhalten vernünftigerweise als „willentliches“ Verhalten interpretieren. Es gibt z. B. kein Naturgesetz, das meinem Hund vorschreibt, welchen Weg er zu nehmen hat. Insofern ist das Tier selbstverständlich „frei“ in der Wahl seines Weges. Wenn also der Begriff „Wille“ tatsächlich Freiheit implizieren soll, dann kann es sich eigentlich nur um diese triviale Form der Freiheit handeln, die auch Tieren zukommt, denn was ursprünglich mit Freiheit gemeint war, geht ja weit darüber hinaus (so weit, dass der Gegenstandsbereich der Biologie verlassen wird).

    »Freiheit kennen wir nur, weil wir willentlich handeln.«

    Das sehe ich auch so. Ich sehe da auch keinen Widerspruch zu meinen obigen Ausführungen. Aber es ist, nach meiner Auffassung, eine „Freiheit“, die, wie gesagt, im Grunde auch tierischen Organismen zukommt, in unterschiedlichem Maße, versteht sich.

    Am freiesten ist wohl der Mensch, was dessen selbstbestimmte Verhaltenssteuerung angeht. Deshalb nennt er einige seiner Verhaltensweisen auch „Handlungen“, um seine besondere Entscheidungsfreiheit zu betonen (sag ich jetzt mal so, ohne jegliche handlungstheoretische Expertise).

    Eine Bakteriengeißel kann links- oder rechtsrum rotieren. Das könnte man fast als „elementare“ Freiheit bezeichnen.

    »In der Reflexion erkennen wir uns als Handelnde, also als frei, wir sehen, daß wir die Ursache von etwas sind.«

    So ähnlich wie Sie formuliert das auch der Neuropsychologe Daniel M. Wegner, der allerdings meint, eben daher rühre der irrige (illusionäre) Eindruck, der Mensch könne als unbewegter Beweger Kausalketten neu in Gang setzen. Da gibt es offenbar bei gleicher Urquelle ganz verschiedene Folgerungen.

    »Aber sie [die Freiheit] ist keine Idee, die wir uns manchen können oder dies auch lassen können. Sie ist eine notwendige Idee. Wir wissen um unsere Freiheit, weil wir (mittels unserer praktischen Vernunft) wissen, daß wir etwas tun sollen, das sich ohne uns (unseren Willen) nicht ereignen würde. «

    Ich habe es irgendwo schon mal geschrieben, für mich liegt das entscheidende Moment im Wissen um die möglichen Handlungsfolgen. Das allein macht uns verantwortlich für unser Tun. Es genügt zu wissen, was wir tun sollen.

    Ich finde, dass wir uns als selbstbestimmte Akteure erleben (können), ist völlig hinreichend, um sagen zu können, dass wir etwas tun oder lassen sollen. Mein bewusstes Reflektieren über die Folgen meiner Handlungen (auch „Willensbildung“ genannt) muss nicht mit dem Label „Freiheit“ versehen werden. Denn das macht die Sache nur unnötig kompliziert.

    (Man könnte vielleicht einwenden, dass eine bewusste Reflexion ja „Freiheit“ impliziere, aber das glaube ich einfach nicht—zumindest nicht Freiheit im oben erwähnten starken Sinne)

    »Sie sollten mal Kuhn lesen,…«

    Ach ja, es gäbe so vieles, was ich noch lesen müsste…

  2. Forschung /@Ludwig Trepl:

    »Die höchstmögliche Abstraktion, die der Tauschwert bzw. das Geld bedeutet und die unsere Gesellschaft beherrscht, ist der Hintergrund dafür, daß manchen Leuten solche Unternehmen wie „das Glück“ zu messen ganz selbstverständlich vorkommen: sie sind in einer Ideologie gefangen.«

    Könnte der Grund nicht auch darin liegen, dass es schlicht zum Alltag gehört, „Glück“ irgendwie zu „messen“?

    Wenn wir fragen: „Na, wie geht’s?“, dann erhalten wir eine Antwort irgendwo zwischen „prima“ und „bescheiden“ (Ehrlichkeit vorausgesetzt).

    Das Gleiche machen Sozialforscher bei einer Umfrage, wenn sie durch die Lande ziehen, Fragen stellen und Antworten erhalten. Soweit halte ich das alles für völlig unbedenklich. Kritisch wird es m. E. erst dann, wenn aus den Antworten bestimmte Schlussfolgerung gezogen oder Behauptungen aufgestellt werden, die über das, was die Befragung hergibt, hinausgehen. Wie z. B., dass der typische Osnabrücker glücklicher ist als der Hamburger, oder dass man in Osnabrück mehr Gründe zum Glücklich sein findet als in jeder anderen Stadt.

    Und klar lasse ich Unterschiede verschwinden, wenn ich jemanden nach der Zufriedenheit frage, ohne mich für die speziellen Gründe zu interessieren. Meist will ich auch gar nicht so genau wissen, warum jemand zufrieden ist, denn da könnten Abgründe auftauchen, die besser ungenannt bleiben. Aber das ist ein anderes Thema…

  3. @ Balanus

    „Worauf es mir vor allem ankommt, ist, dass ich genau erfahre, was in einer Studie gemacht wurde und was die verwendeten Begriffe im Rahmen dieser einen Studie bedeuten sollen, damit ich mir eine mehr oder weniger qualifizierte Meinung dazu bilden kann.“

    Klar, darauf kommt es immer an, aber nicht nur. Mir kam es in unserer Diskussion vor allem auf etwas anderes an: (a) Die Begriffe müssen auch etwas Relevantes bedeuteten. Es gibt unendlich viele mögliche Gegenstände für die Wissenschaften, und man braucht Auswahlkriterien, man muß Relevantes von Irrelevantem scheiden, das ist der allererste Schritt; ohne ihn ist Wissenschaft schlechterdings nicht möglich. (b) Man kann mitunter klar sagen, was mit einem bestimmten Begriff gemeint ist, und trotzdem ist es im vorliegenden Kontext Unsinn, ihn zu gebrauchen. Mein Beispiel von neulich: Man kann zwischen Schwerkraft, Überzeugungskraft und Kaufkraft sicher irgendetwas Gemeinsames finden und einen alle drei übergreifenden Begriff von Kraft definieren. Man kann das Glück durch Reichtum, durch Drogen und durch Vermeiden böser Taten zu einem Begriff von Glück zusammenfassen („subjektives Wohlbefinden“ oder so was). Aber das Glück, zu dem Reichtum verhilft, ist etwas von ganz anderer Art als das Glück, das der Gute empfindet, auch wenn beides „subjektives Wohlbefinden“ hervorruft; es ist ein ganz anderes Wohlbefinden. Es ist Ideologie, was herauskommt, wenn man solche Unterschiede zum Verschwinden bringt. Man kann zwischen Pflastersteinen und Gedichten etwas Gemeinsames finden und sie als einen Gegenstand definieren und dann Addieren.

    Nur Unsinn ist das allerdings nicht: Wenn man mit ihrem Verkauf Geld verdient, dann sind Pflastersteine und Gedichte unter diesem Aspekt in der Tat gleich. Daher kommt das ja alles: Die höchstmögliche Abstraktion, die der Tauschwert bzw. das Geld bedeutet und die unsere Gesellschaft beherrscht, ist der Hintergrund dafür, daß manchen Leuten solche Unternehmen wie „das Glück“ zu messen ganz selbstverständlich vorkommen: sie sind in einer Ideologie gefangen.

    „ ‚… und sich so dumpf wie scharfsinnig allein aufs Rätsellösen zu konzentrieren.’ 
Das klingt jetzt aber sehr negativ.“

    Ist nicht von mir, sondern (wenn auch nicht wörtlich) von Kuhn. Dem hat man in vielem widersprochen, aber daß man ihm in diesem Punkt widersprochen hätte, ist mir nicht bekannt.

    „Ich find’s gut, dass man in den Wissenschaften, seien sie nun paradigmatisiert oder nicht, versucht, sich aufs Wesentliche konzentriert.“

    Selbstverständlich, das muß man immer tun, nicht nur in der Wissenschaft, auch beim Autofahren und beim Tennisspielen. Mit der normal science ist aber ein ganz besonderer Fall beschrieben. In nicht-paradigmatisierten Wissenschaften oder in der Philosophie muß bei aller Konzentration der ganze ausgeblendete Rest immer gegenwärtig bleiben. Jeder neue Gedanke muß mit dem Ganzen des Wissens abgeglichen werden und darum werden ständig ganze Systeme umgebaut. In der normal science aber geschieht eine Isolation vom ausgeblendeten Rest, er wird systematisch nicht mehr beachtet, wird vergessen, nicht nur ausgeblendet und im Hintergrund bereitgehalten, und das ist wesentlicher Teil des Erfolgsrezepts. Sie sollten mal Kuhn lesen, es ist sehr erhellend, auch wenn man ihm in vielem nicht folgen mag.

    „…um am Ende festzustellen, dass in der konkreten Natur (Kategorie 1) der abstrakte Freiheitsbegriff (Kategorie 2) keinen Sinn [ergibt].“

    Wie meinen Sie denn das? Freiheit ergibt bezogen auf die empirische Welt („Natur“) „keinen Sinn“, sie ist da auf keine Weise zu finden, einfach deshalb, weil das, was wir uns unter dieser Welt denken, Freiheit nicht kennen kann; die Welt als „Natur“ zu denken bedeutet, sie so zu denken, daß Freiheit in ihr nicht vorkommt. Wo immer Freiheit auftaucht, sind wir nicht in der Natur, und wenn wir sie untersuchen, machen wir nicht Naturwissenschaft. Das zu erkennen war eine Großtat der Geistesgeschichte. Wieso soll man es geringer schätzen, wenn gezeigt wird, daß in der Natur keine Geister ihrem freien Willen gemäß die Vorgänge steuern, als wenn gezeigt wird, daß der Mensch von Affen abstammt?

    „Das muss man sich mal vorstellen, die unzulässige Verknüpfung zweier simpler Wörter, die jeweils für sich genommen begrifflich überhaupt keine Probleme bereiten, beschäftigt die Philosophie seit Jahrhunderten“.

    Wieso unzulässig? Und wieso sollen die Wörter „für sich genommen begrifflich überhaupt keine Probleme bereiten“? Natürlich bereiten sie Probleme, und was für welche, und natürlich sind sie nicht einfach nach Lust und Laune verknüpft worden, sondern sie sind von vornherein verknüpft, man hat sich nur bemüht über die letzten mehr als 2000 Jahre, die Art ihrer Verknüpfung herauszuarbeiten. Jedoch sind sie nicht identisch, so wie auch (auf ganz andere Art) Gravitation und Magnetismus miteinander verknüpft sind, doch nicht identisch, weshalb man nach Formeln der Verbindung suchen muß.

    Freiheit kennen wir nur, weil wir willentlich handeln. Der Wille ist ein Vermögen (Fähigkeit) “der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen” (Kant), und der Begriff des Willens setzt Freiheit voraus. Aber Freiheit ist nicht der Wille, sondern eine Bedingung, daß Wille überhaupt möglich ist.

    „…aber woher wissen wir, dass es wahr ist, wenn weder Empirie noch Mathematik noch Logik weiterhelfen? Durch Introspektion?“

    Nein, durch Reflexion. Und da hilft in unserem Fall zwar nicht die Empirie weiter und die Mathematik auch nicht, aber doch die Logik; sie und nur sie leitet uns da. Mit Introspektion meinen Sie sicher so etwas wie das nur subjektiv mögliche Wissen darum, wie sich etwas von Innen anfühlt. Reflexion ist etwas anderes.

    Das Denken kann grundsätzlich zwei Richtungen einschlagen. Es kann sich auf Gegenstände (die „Welt“) richten, es kann sich auch auf sich selbst (bzw. das Subjekt auf sich als Subjekt) richten. Es muß das auch, denn anders bleibt das Denken über die Welt haltlos, man kann nicht wissen, ob das nicht vielleicht alles nur Schein ist, was das Denken da vermeintlich herausbekommt. Reflektierend denkt das Denken darüber nach, ob und wenn ja warum und unter welchen Bedingungen es nicht nur Schein ist usw. Man weiß da auf weit solidere Weise, „dass es wahr ist“, weil etliche Unsicherheitsfaktoren wegfallen, als im Feld des Empirischen. – In der Reflexion erkennen wir uns als Handelnde, also als frei, wir sehen, daß wir die Ursache von etwas sind. Ohne unser reflexiv gewonnenes Wissen um unser Handeln (und damit den freien Willen) wäre es nicht möglich, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in der Natur zu erkennen; sie sind ja keine empirische Tatsachen, sie sind nirgends empirisch gegeben, man sieht nur ein Aufeinanderfolgen, nicht ein Bewirken. Handeln (und damit den freier Wille), worin ich mich als Bewirkenden weiß, ist damit Voraussetzung dafür, daß es für uns überhaupt Natur gibt.

    „Die reale Existenz eines ‚freien Willen’ kann man aus guten Gründen schlicht verneinen.“

    Wenn Sie mit „real“ empirisch meinen: gewiß. Das zeigt einem aber nicht die empirische Wissenschaft (sie kann das grundsätzlich nicht), sondern das setzt sie voraus. Sie konstituiert einen Gegenstandsbereich, in dem freier Wille, überhaupt Freiheit nicht vorkommen kann. Freiheit ist kein Faktum, sondern ein Postulat (eines der drei „großen“ der Tradition: „Gott, Freiheit und Unsterblichkeit“). Damit ist sie in der Tat „eine Idee“, wie Sie schreiben, nichts in der empirischen Welt kann ihr gemäß sein. Aber sie ist keine Idee, die wir uns manchen können oder dies auch lassen können. Sie ist eine notwendige Idee. Wir wissen um unsere Freiheit, weil wir (mittels unserer praktischen Vernunft) wissen, daß wir etwas tun sollen, das sich ohne uns (unseren Willen) nicht ereignen würde.

  4. @Ludwig Trepl

    Ad Grundlagenforschung: Ja, stimmt, ich habe das mit den grundlegenden Fragen zu eng gesehen. Im Grunde ist wohl jede Forschung, die nicht eine bestimmte Anwendung zum Ziel hat, Grundlagenforschung.

    Ad Glücksforschung: Auch hier stimme ich Ihren grundlegenden Ausführungen zu, was mich aber nicht davon abhält, etwas gnädiger und großzügiger als Sie mit den Psychologen (und Sozialforschern) zu sein.

    Um es kurz zu machen: Worauf es mir vor allem ankommt, ist, dass ich genau erfahre, was in einer Studie gemacht wurde und was die verwendeten Begriffe im Rahmen dieser einen Studie bedeuten sollen, damit ich mir eine mehr oder weniger qualifizierte Meinung dazu bilden kann. Dass nicht jede Studie den wissenschaftlichen Standards genügt, damit müssen wir wohl leben.

    »Es gehört zum Erfolgsrezept dieser Wissenschaften, sich abzuschotten und sich so dumpf wie scharfsinnig allein aufs Rätsellösen zu konzentrieren.«

    Das klingt jetzt aber sehr negativ. Ich find’s gut, dass man in den Wissenschaften, seien sie nun paradigmatisiert oder nicht, versucht, sich aufs Wesentliche konzentriert.

    » „Und seien wir mal ehrlich: Was hat beispielsweise all die Arbeit am Begriff ‚freier Wille’ gebracht?“

    Ungeheuer viel. Ich sehe keinen Grund, den Ertrag für geringer zu halten als etwa den der Arbeit in der Evolutionsbiologie. «

    Tatsächlich? Ich versuche gerade, mir das vorzustellen: Da werden also zwei kategorial verschiedene Begriffe zusammengebracht, Wille und Freiheit, was dann über Jahrhunderte hinweg für Diskussionsstoff sorgt, um am Ende festzustellen, dass in der konkreten Natur (Kategorie 1) der abstrakte Freiheitsbegriff (Kategorie 2) keinen Sinn macht.

    Dass es im Zuge der Diskussion zu mancherlei Erkenntnissen und Einsichten gekommen ist, mag ja sein, aber der Klärung des Begriffs ist man dabei wohl nicht wesentlich näher gekommen. Zumindest kursieren nach wie vor sämtliche Vorstellungen von einem „freien Willen“, die man sich nur denken kann.

    Dazu passt z. B., dass im Januar 2010 die Templeton Foundation 4,4 Mio. Dollar gespendet hat, um nach vierjähriger Projektarbeit (empirisch und philosophisch) mehr Klarheit bezüglich des Konzepts „Freier Wille“ zu erhalten.

    Das muss man sich mal vorstellen, die unzulässige Verknüpfung zweier simpler Wörter, die jeweils für sich genommen begrifflich überhaupt keine Probleme bereiten, beschäftigt die Philosophie seit Jahrhunderten und hat jüngst dem Philosophie-Professor Alfred Mele von der Florida State University ein Millionen schweres Forschungsprojekt eingebracht. Da bekommt die Rede vom „Ertrag“ der philosophischen Begriffsarbeit doch eine ganz neue Bedeutung.

    Vor wenigen Jahren habe ich einige Aufsätze zum Begriff „survival of the fittest“ gelesen, es gab da mal da den Verdacht auf Tautologie. Das fand ich sehr instruktiv und lehrreich. Aber auch dieses Beispiel zeigt, dass eine Naturwissenschaft selbst mit Wendungen, die (auf den ersten Blick) tautologisch erscheinen, problemlos arbeiten kann. Biologen hat diese Arbeit am Begriff wohl nur am Rande interessiert.

    Es stimmt zwar,

    »[f]ür die Frage, was wahr ist, ist es unerheblich, ob es viele oder wenige sind, die etwas Wahres sagen«,

    aber woher wissen wir, dass es wahr ist, wenn weder Empirie noch Mathematik noch Logik weiterhelfen? Durch Introspektion?

    Die reale Existenz eines „freien Willen“ kann man aus guten Gründen schlicht verneinen. Eben weil es sich um ein gedankliches Konstrukt, eine Idee handelt, die jenseits der Naturprozesse existiert.

    Die Ablehnung der biologischen Evolution hingegen ist da von ganz anderer Qualität.

  5. @Ludwig Trepl

    Eigentlich wollte ich ja Ruhe geben, aber da ich weiß, dass Sie nicht aus purer Höflichkeit antworten und auch nicht unbedingt das letzte Wort haben wollen….

    »Wenn ein Biologe erklären möchte, warum im Wald X eine bestimmte Pflanzenart wächst,… «

    …dann würde ich das eher nicht in die Rubrik Grundlagenforschung einordnen wollen. Die Frage, warum diese Pflanzenart auf kalkhaltige Böden angewiesen ist, dann schon eher.

    Wenn ich als Psychologe nach genetischen Zusammenhängen frage, muss ich nicht wissen, ob die Probanden deutschstämmig oder eingewandert sind (wie etwa die kalkliebende Pflanzenart), oder ob sie lieber Rotwein trinken als Wasser.

    Es wäre vielleicht schön zu wissen, ob jemand, der nach eigenen Angaben hochzufrieden mit seinem gegenwärtigen Leben und dem Leben insgesamt ist, und der zudem das Gefühl hat, sein Leben voll im Griff zu haben, ob der nun gerade zu viel Wein getrunken oder kurz zuvor eine Glückspille geschluckt hat. Aber ich denke eher, dass man aus methodischen Gründen gerade nicht danach fragen sollte und die Probanden nicht entsprechend selektiert. Dass viele soziale Faktoren dazu beitragen, dass jemand vollauf mit seinem Leben zufrieden oder eben todunglücklich ist, ist doch klar, gerade deshalb hat man ja eine Zwillingsstudie durchgeführt, um herauszufinden, wie die von den Lebensumständen unabhängigen genetischen Persönlichkeitsfaktoren mit dem allgemeinen subjektiven Wohlbefinden zusammenhängen.

    Was die Arbeit am Begriff betrifft: Ich habe kein fünfjähriges Psychologiestudium absolviert und kann deshalb nicht wirklich beurteilen, ob die Psychologen die Begriffe, mit denen sie gemeinhin arbeiten, hinreichend gut definiert haben oder nicht.

    (Wer weiß, vielleicht sorgen unsere hier geäußerten Überlegungen und Bedenken bei gestandenen Psychologen für eine gewisse Heiterkeit… )

    »Aber vergleichen Sie das [die Arbeit an Begriffen] doch mal mit dem, was dort Standard ist, wo man wirklich an Begriffen arbeitet; es ist nur Stümperei. «

    Diese „Stümperei“ scheint aber in den meisten Fällen brauchbare Ergebnisse zu liefern. Zudem genügen in der Praxis oft unscharfe Begriffe. Biologen können erfolgreich forschen, ohne am Begriff „Leben“ oder „Gene“ übermäßig intensiv gearbeitet zu haben.

    Und seien wir mal ehrlich: Was hat beispielsweise all die Arbeit am Begriff „freier Wille“ gebracht? Auf dem Nachbarblog „Natur des Glaubens“ wurden letztens Studien vorgestellt, in denen Probanden darauf „geprimed“ wurden, dass es keinen „freien Willen“ gibt. Viele Jahrhunderte Arbeit am Begriff, und man weiß ganz offensichtlich immer noch nicht, was genau man sich unter dem Begriff „freier Wille“ vorzustellen hat (oder man ignoriert die gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten).

    Diese Willensfreiheit-Priming-Studien würde ich deutlich stärker kritisieren als die oben angesprochene Zwillingsstudie. Hier scheint mir genau das nicht beachtet worden zu sein, was Sie zu Recht fordern (und was ein schönes Schlusswort sein könnte):

    »Wenn man etwas messen will, dann muß man vorher die Begriffe klären, mit denen man die Gegenstände begreift, an denen man etwas messen will.«

    • Ich mach’ doch noch nicht Schluß. Da stehen ja ein paar nicht ganz einfache Fragen zu Diskussion.

      „….
»Wenn ein Biologe erklären möchte, warum im Wald X eine bestimmte Pflanzenart wächst,… «
…dann würde ich das eher nicht in die Rubrik Grundlagenforschung einordnen wollen. Die Frage, warum diese Pflanzenart auf kalkhaltige Böden angewiesen ist, dann schon eher.“

      Könnte man so sagen oder auch nicht. Die meisten Biologen würden wohl sagen: Das ist nicht Grundlagenforschung, sondern Anwendung. Ein theoretischer Physiker würde sagen: Die Erforschung der Struktur von Quarzkristallen ist Anwendung, ein Mineraloge würde das nicht sagen. Wenn der Biologe aber Biogeograph ist oder Evolutionsforscher, und zwar nicht einer, der allgemeine Theorien aufstellt, sondern z. B. die Stammesgeschichte der Convolvulaceen erforscht, dann gehört es für ihn zur Grundlagenforschung, wann eine bestimmte Linie von einen anderen abgezweigt ist und wann eine Gründerpopulation auf einer bestimmten Insel sich etabliert hat. Anwendung ist für ihn erst, wenn ein Agrarbiologie seine Ergebnisse zum Zwecke der Unkrautbekämpfung benutzt.

      „… oder kurz zuvor eine Glückspille geschluckt hat. Aber ich denke eher, dass man aus methodischen Gründen gerade nicht danach fragen sollte“.

      Mein Punkt ist, daß es etwas ganz anderes ist, wenn jemand mittels einer Pille oder Alkohol sich ein angenehmes Gefühl erzeugt als wenn jemand sich gut fühlt, weil er eine dumme Sache endlich ins Reine gebracht hat und seine Gewissensqualen aufhören. Man befaßt sich da einfach mit völlig verschiedenen Sachen – so wie man sich mit völlig verschiedenen Sachen befaßt, wenn man sich mit physikalischer Kraft, Überzeugungskraft oder Kaufkraft befaßt. Nur weil das alles in der Alltagssprache Kraft heißt, heißt das noch lange nicht, daß es sich für die Wissenschaft um ein und denselben Gegenstand handelt. Von Geschmack reden wir in Bezug auf das Schöne ebenso wie aufs Essen, und doch sind das ganz verschiedene – kategorial verschiedene – Dinge, Landschaft nennen die physischen Geographen einen physischen Gegenstand, die Kunst- und Kulturwissenschaftler einen ästhetischen und symbolischen; sie benutzen dasselbe Wort, reden aber über etwas kategorial Verschiedenes; usw. usf.

      Gewiß kann man in den meisten Fällen irgend etwas Gemeinsames finden und so eine allgemeine Definition machen. Kraft wäre eine Fähigkeit überhaupt, einen Widerstand zu überwältigen, oder so etwas. Glück das subjektive Wohlbefinden oder so etwas usw. Oft kann man mit solchen allgemeinsten Definitionen auch etwas anfangen, siehe z. B. Leibniz mit dem Begriff der Kraft in seiner Kosmologie, oder viele Philosophen seit 2000 Jahren mit einem allgemeinen Begriff von Glück in den Diskussionen um das „höchste Gut“.

      Aber man kann nicht, wie unsere Psychologen (oder die Sozialpsychologen, die herausfinden, daß man in Osnabrück am glücklichsten ist) damit solche vergleichenden empirischen Forschungen machen. Da kommt dann heraus, daß die einen mit Geld oder mit Pillen sich eben denselben Glückszustand erzeugen wie die anderen damit, daß sie, sagen wir mal, sich endlich aufraffen und sich für eine lange zurückliegende böse Tat bei den Betroffenen entschuldigen. Ist das nicht mit einem einzigen Satz vom Tisch zu wischen? Nämlich daß das Glück in letzterem Fall 1000 mal so groß ist wie in ersterem, auch wenn Befragungen das nie ergeben können und auch physiologische Messungen nicht? Beides ist „subjektives Wohlbefinden“, aber von ganz verschiedener Art – es ist eben nicht derselbe Glückzustand, und es ist irrelevant, ob nach den Maßstäben jener Untersuchung die Osnabrücker am glücklichsten sind: Diese Maßstäbe sind für die Katz. So etwas geht in einen naturwissenschaftlich sozialisierten Kopf typischerweise nicht hinein, aber deshalb ist es nicht weniger wahr.

      „…kann deshalb nicht wirklich beurteilen, ob die Psychologen die Begriffe, mit denen sie gemeinhin arbeiten, hinreichend gut definiert haben oder nicht.“

      Ich auch nicht, aber ich weiß doch aus Erfahrung, daß man dort, wo man naturwissenschaftliche Methoden auf Gebieten anwendet, die zumindest zusätzlich andere Methoden erfordern, im allgemeinen sich mit den Begriffen sehr, sehr schwer tut. In den

      Naturwissenschaften selbst scheint es mir etwas anders. Man bemüht sich da als Kollektiv über die Jahrhunderte hin um die Begriffe des Faches und arbeitet sie immer genauer heraus. Daß sich als Folge für bekannten Implikationen von normal sciences sich die Naturwissenschaften im allgemeinen sehr stark abschirmen und so einen Großteil dessen, was sie für ihre Arbeit an Begriffen brauchen könnten, nicht mitbekommen, will ich jetzt nicht vertiefen, sondern etwas anderes ansprechen: Den präzisen, durchdachten Begriff bekommt der typische einzelne Naturwissenschaftler durchs Lehrbuch serviert, er lernt nicht, ihn selbst zu erzeugen, er weiß nicht, warum der Begriff so ist wie er ist, er glaubt ihn eher als daß er ihn weiß, denn wissen bedeutet selbst erzeugen können. Das ist ein Preis, den die Vorzüge der Naturwissenschaft haben, man muß das wohl hinnehmen. Aber wenn man das angestammte Forschungsfeld verläßt und mit naturwissenschaftlichen Methoden sich da einmischt, wo die Begriffe nicht Molekül, Energie oder Magnetismus lauten, sondern z. B. Glück, dann wird’s finster.

      Im übrigen: Was die Psychologie (ich hab’ das auch nicht studiert, aber eine Zeitlang sehr viele gelesen) angeht, ist das mit der Begriffsarbeit sehr verschieden. Teile sind noch so nahe an ihrer Ausgangsdisziplin Philosophie, daß sie das sehr gut können; aber die Osnabrück-Glücksforscher gehören nicht dazu.

      „Diese ‚Stümperei’ scheint aber in den meisten Fällen brauchbare Ergebnisse zu liefern“

      Ja, in der Tat. Da hat Kuhn recht: Der Forscher einer paradigmatisierten Wissenschaft, in der Phase der normal science, der die von ihm benutzen Begriffe nicht begreift, tut gut daran, sich darum nicht zu scheren. Es gehört zum Erfolgsrezept dieser Wissenschaften, sich abzuschotten und sich so dumpf wie scharfsinnig allein aufs Rätsellösen zu konzentrieren. Und es sind diese Wissenschaften, die ein außerordentliches Entwicklungstempo haben, ein Tempo, an das ohne dieses Erfolgsrezept gar nicht zu denken ist. Nur: Wenn es dann doch mal auf die Begriffe ankommt, dann muß man halt doch damit umgehen können. Und um solche Fälle diskutieren wir hier, nicht über Kernphysik oder Zellphysiologie.

      „Und seien wir mal ehrlich: Was hat beispielsweise all die Arbeit am Begriff ‚freier Wille’ gebracht?“

      Ungeheuer viel. Ich sehe keinen Grund, den Ertrag für geringer zu halten als etwa den der Arbeit in der Evolutionsbiologie. Dieser Ertrag bleibt natürlich für bestimmte Wissenschaftler bedeutungslos, wenn sie ihn nicht zur Kenntnis nehmen. Nähmen sie ihn zur Kenntnis, würden sie merken, daß ihre Forschungen auf Sand gebaut sind, daß es nicht wahr ist, was sie da meinen herausgefunden zu haben. – Ihr Einwand läßt an jemanden denken, der einige Jahrhunderte nach Kopernikus sagt: „Und seien wir mal ehrlich: Was hat all diese astronomische Arbeit gebracht? Die Theologen und mit ihnen die Leute glauben immer noch, daß die Erde der Mittelpunkt der Welt ist.“ Für die Frage, was wahr ist, ist es unerheblich, ob es viele oder wenige sind, die etwas Wahres sagen.

  6. @Ludwig Trepl: Gene und Wohlbefinden

    Abschließend noch eine Anmerkung zu dieser Aussage:

    »Was habe ich denn herausgefunden, wenn sich ergibt, daß „Glück“ zu einem bestimmten Prozentsatz erblich ist, wenn ich nicht weiß, ob dieses „generelle subjektive Wohlbefinden“ sich einem stoischen Gemüt, einer Hochschätzung des Geldes oder von Staussymbolen oder einem ruhigen Gewissen verdankt?«

    Wenn ich das richtig verstanden habe, dann wissen wir dank der Zwillings-Glücks-Studie, dass „subjektives Wohlbefinden“ und bestimmte zentrale Persönlichkeitsmerkmale genetisch offenbar zusammenhängen. Insbesondere ein geringer Neurotizismus, eine hohe Extraversion und eine hohe Gewissenhaftigkeit scheinen sich positiv auf das generelle subjektive Wohlbefinden auszuwirken.

    Psychologen finden Ergebnisse dieser Art offenbar interessant genug, um sie zu publizieren.

    Solche statistischen Ergebnisse besagen für den Einzelnen natürlich überhaupt nichts, zumindest nicht Konkretes. Das wird vom Laienpublikum regelmäßig nicht beachtet.

    In der Laienpresse wird dann daraus: „Die Wissenschaftler behaupten […], dass Gene einen beträchtlichen Einfluss darauf haben, ob Menschen in ihrem Leben glücklich sind“ (Tanja Dückers). Nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig.

    Man kann ja fordern, dass solche Ergebnisse der psychologischen Grundlagenforschung mit „sozialwissenschaftlichen Thesen amalgamiert“ werden sollten, aber das zu tun gehört m. E. nicht zum Aufgabenbereich der Grundlagenforscher.

    • @ Balanus

      „… wissen wir dank der Zwillings-Glücks-Studie, dass ‚subjektives Wohlbefinden’ und bestimmte zentrale Persönlichkeitsmerkmale genetisch offenbar zusammenhängen. Insbesondere ein geringer Neurotizismus, eine hohe Extraversion und eine hohe Gewissenhaftigkeit scheinen sich positiv auf das generelle subjektive Wohlbefinden auszuwirken.
 Psychologen finden Ergebnisse dieser Art offenbar interessant genug, um sie zu publizieren.“

      Das spricht nicht gerade für diese Psychologen. Der Quintus Fixlein fand seine Forschungen zu Fragen wie der nach der Anzahl der Wörter in einem bestimmten Bibelkapitel auch interessant genug, um sie zu publizieren.

      „Man kann ja fordern, dass solche Ergebnisse der psychologischen Grundlagenforschung mit ‚sozialwissenschaftlichen Thesen amalgamiert’ werden sollten, aber das zu tun gehört m. E. nicht zum Aufgabenbereich der Grundlagenforscher.
“

      Sie meinen: naturwissenschaftlicher Grundlagenforscher, nicht Grundlagenforscher schlechthin.

      Aber auch die naturwissenschaftlichen Grundlagenforscher müssen „sozialwissenschaftlichen Thesen“ berücksichtigen, wenn sie für das relevant sind, was die erklären wollen. Wenn ein Biologe erklären möchte, warum im Wald X eine bestimmte Pflanzenart wächst, dann kann er sich nicht auf Naturwissenschaft beschränken und etwa sagen: Es liegt daran, daß diese Art an den Kalkgehalt des Bodens einen bestimmten Anspruch hat und dieser Anspruch im Wald X erfüllt ist. Wenn die Art aus Amerika stammt und deshalb nach Europa kam, weil im 19. Jahrhundert eine bestimmte Gartenmode herrschte, dann hat er diesen Faktor zu berücksichtigen, sonst kann er seine Aufgabe nicht lösen. (Er hätte dann z. B. das Problem, daß die Art trotz gleicher Umweltfaktoren in einem anderen Land, in dem es so eine Gartenmode nicht gab, nicht vorkommt). Er muß sich nicht darum kümmern, warum diese Mode aufkam, aber er muß beachten, daß derartiges für seine Frage von Bedeutung ist.

      Das ist aber alles nicht mein Hauptpunkt, sondern (ich hab das neulich in anderem Zusammenhang schon mal geschrieben): Wenn man etwas messen will, dann muß man vorher die Begriffe klären, mit denen man die Gegenstände begreift, an denen man etwas messen will. Man muß erst an Begriffen arbeiten, bevor man mit Begriffen arbeitet. Wenn ein Physiker den Begriff Kraft nicht vorweg so klärt, daß seine, die physikalische, Kraft sozusagen rein hervortritt, wenn er statt dessen Überzeugungskraft und Willenskraft und Kaufkraft und was es sonst noch an Kräften gibt, einbezieht und einen Gesamtwert für Kraft an sich herausbekommen möchte, dann kommt nur Unsinn heraus. Wer unter der Überschrift „subjektives Wohlbefinden“ das durch reines Gewissen verursachte Wohlbefinden ebenso faßt wie das durch Reichtum oder Rotwein verursachte, verhält sich genauso. Das heißt nicht, daß Glück im Sinne von subjektives Wohlbefinden ein unsinniger Begriff ist, den man meiden sollte. Philosophen gebrauchen ihn mitunter so und tun recht daran, so wie es auch philosophische Kosmologien gibt, in denen „Kraft“ in einer alles, was nur Kraft heißt, umfassenden Bedeutung gebraucht wird. Nur kann man dieses Glück und diese Kraft nicht messen, ohne daß es völlig blödsinnig wird.

      Vielleicht meinen Sie ja, daß diese Psychologen (Biologen, Sozialforscher) doch auch an Begriffen arbeiten und nicht nur mit ihnen. Immerhin denken sie doch darüber nach, denken sich Definitionen aus usw. Aber vergleichen Sie das doch mal mit dem, was dort Standard ist, wo man wirklich an Begriffen arbeitet; es ist nur Stümperei.

  7. @Ludwig Trepl: Wille

    Ein letztes Wort zum Willen. Sie schreiben:

    »Na ja, es [das Wort „frei“] ist überflüssig, wenn man, wie es meist gemacht wird, in die Definition von Wille die Freiheit bereits aufgenommen hat. Gesagt ist damit, daß es von der Entscheidung abhängt, ob A oder B geschieht, daß vor der Entscheidung nicht festliegt, ob A oder B geschieht; und daß ich es in der Hand habe, mich so oder so zu entscheiden; …«

    Das sehe ich eigentlich ganz genauso. Wozu sonst sollte ein komplexes Nervensystem bzw. Gehirn bei Mensch und Tier gut sein, wenn es keine Wahlfreiheit gäbe?

    »…während bei einem determinierten, einem normalen physikalischen Vorgang die Bedingungen zusammen mit allgemeinen Gesetzen determinieren, daß A und nicht B geschieht.«

    Unter der Annahme, dass auch im Gehirn sämtliche physikalischen Gesetzmäßigkeiten gelten, kommt es in Abhängigkeit der jeweiligen Determinanten (Einflussgrößen) entweder zu A oder B (das ist die Wahlfreiheit). Was am Ende den Ausschlag geben wird, welche Determinante das größte Gewicht erhält, ist nicht vorhersagbar, das ergibt sich erst im Laufe oder am Ende des Entscheidungsprozesses.

    Im Nachgang lässt sich dann kaum mehr feststellen, ob eine Entscheidung (angesichts der Determinanten) auch anders hätte ausfallen können.

    Ich könnte es auch so formulieren: Welcher Determinante ich am Ende das größere Gewicht beimesse, entscheide ich allein. Das kommt für mich aufs selbe raus.

  8. @Ludwig Trepl

    »Das ändert nicht viel. Mein Argument ist, daß abstrakte Größen wie „Wohlbefinden“ oder „Zufriedenheit“ nicht geeignet sind, der Frage näherzukommen, die man doch eigentlich beantworten möchte. «

    Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ging es in der Studie um die Frage, welcher Art der (genetische) Zusammenhang zwischen den fünf Persönlichkeitsfaktoren (die „Big Five“) und dem generellen subjektiven Wohlbefinden ist. Eine typisch psychologische Fragestellung, wie ich finde, und eben keine sozialwissenschaftliche. Tatsächlich waren es ja auch Psychologen und keine Sozialforscher, die diese Studie durchgeführt haben.

    Wenn man also die Sozialforschung niedermachen will, dann erscheint mir zumindest diese Studie dafür denkbar ungeeignet.

    Davon abgesehen gestehe ich gerne zu, dass ich mit der Psychologie als harte Wissenschaft durchaus so meine Probleme habe. Aber das könnte auch an meiner mangelnden Fachkenntnis liegen.

    (Ausgehend von der von Tanja Dückers ins Spiel gebrachten „Glücks-Studie“ hatte ich immer nur die Psychologie im Sinn, während Sie offenbar vor allem die empirische Sozialforschung im Visier hatten und haben—woran man wieder mal sieht, wieviel Verwirrung Journalisten stiften können).

    »Die andere [philosophische Richtung] hält die These von der durchgängigen Determiniertheit für falsch, es kann gerade darum Willensfreiheit geben;… «

    Diese Richtung hat aber das Problem zu erklären, wie denn etwas Indeterministisches Freiheit begründen könnte (nicht umsonst gilt das Willensfreiheitsproblem in der Philosophie immer noch als ungelöst).

    An @Skeptiker gerichtet schreiben Sie:

    »Nur von uns selbst denken wir und müssen es denken, daß wir etwas bewirken können, das ohne uns nicht geschehen würde, daß wir den Lauf der Dinge willentlich beeinflussen können; daß es also an uns, an unserem freien Willen liegt, ob etwas geschieht oder nicht.«

    Ich hoffe, meine Hervorhebung des Wörtchens „frei“ macht deutlich, dass dieses Attribut an dieser Stelle eigentlich überflüssig ist. Es liegt schlicht an unserem Willen, was durch unser Tun geschieht. Wäre der Wille wirklich „frei“, also unabhängig von unseren Wünschen, Motiven, Erinnerungen, Vorstellungen etc., bräche vermutlich das große Chaos aus.

    »Aber daß es sich um Handlungen und nicht nur um Verhalten handelt, impliziert Willensfreiheit. «

    Das kann man auch anders sehen: „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will,“ (Schopenhauer).

    Verhalten im weitesten Sinne kann auf Reflexen (unwillentlich) oder auf Reflexionen (willentlich) beruhen. Letzteres nennen wir dann Handlungen. Von mir aus auch „freie“ Handlungen. Dafür genügt das Vorhandensein eines Willens (oder Wollens) vollauf, finde ich.

    »Die [Willensfreiheit] muß dann anderswo ihren Ort haben als in der Natur, für die die deterministischen Gesetzmäßigkeiten gelten. «

    Es scheint, dass wir am Ende in dieser Frage doch nicht so weit auseinanderliegen, wie es zeitweise scheinen mag. In Bezug auf die physische Realität des Menschen macht die Rede von der „Willensfreiheit“ keinen Sinn, d‘accord. Bleibt also nur die menschliche Vorstellung als der Ort, wo von Willensfreiheit einigermaßen sinnvoll gesprochen werden kann. Es handelt sich demnach um ein rein gedankliches oder philosophisches Konzept, das mit anderen philosophischen Konzepten wie Determinismus und/oder Indeterminismus irgendwie zusammengebracht werden muss.

    Mit anderen Worten: In der Neurobiologie ist das Konzept der „Willensfreiheit“ fehl am Platze, es wird nicht gebraucht, um (menschliche) Entscheidungsprozesse zu erklären. Es gibt meines Wissens auch kein naturwissenschaftliches basiertes Bewusstseins-Modell, in dem die „Willensfreiheit“ eine Rolle spielt. Für die Hirnforschung ist es naturbedingt so, als ob die „Willensfreiheit“ gar nicht existierte.

    Auf die Frage, ob die Neurowissenschaft etwas zur Frage der Willensfreiheit beitragen kann, kann mit einem klaren Nein geantwortet werden. Erstens, weil es in biologischen Modellen keine „Willensfreiheit“ geben kann, und zweitens, weil aus methodischen Gründen niemals überprüft werden kann, ob eine Entscheidung wirklich „frei“ erfolgt ist.

    Soviel also zum Thema Hirn und Glück. Danke nochmals für die Antworten!

    • @ Balanus

      „Eine typisch psychologische Fragestellung, wie ich finde, und eben keine sozialwissenschaftliche.“

      Ja. Ich habe das im Artikel mit der anderen prominenten Glücks-Studie, der Osnabrücker, in Eins geworfen. Das liegt daran, daß mir dieser Unterschied an dieser Stelle nicht wichtig war, auch der zwischen sozialwissenschaftlichen Arbeiten des Osnabrücker Typs und biologischen Studien generell, die den genetischen Anteil an irgendwas nachweisen wollen, war mir da nicht wichtig. Mir geht es hier allen darum, daß in einem hochabstrakten Begriff von Glück die allergrößten Unterschiede verschwinden („generelles subjektives Wohlbefinden“). Dagegen kann man formal gar nichts haben, das ist das Wesen der Abstraktionen; im Begriff „rot“ verschwindet ja auch der Unterschied zwischen der roten Rose und der Revolutionsfahne. Ich möchte auch nicht behaupten, daß auf diese Weise nie etwas herauskommt – in den Naturwissenschaften geht man ja sinnvollerweise meist so vor.

      Aber in den Sozialwissenschaften (und in unserem Falle – Glück – auch in der Psychologie) führt das zu Irrelevanz und zu komischen Effekten. Was habe ich denn herausgefunden, wenn sich ergibt, daß „Glück“ zu einem bestimmten Prozentsatz erblich ist, wenn ich nicht weiß, ob dieses „generelle subjektive Wohlbefinden“ sich einem stoischen Gemüt, einer Hochschätzung des Geldes oder von Staussymbolen oder einem ruhigen Gewissen verdankt? Und ob das ruhige Gewissen daher kommt, daß ich nie etwas Bösen getan habe oder daher, daß ich ein sehr weites Gewissen habe? Was weiß ich über die glücklichen Osnabrücker, wenn man vermuten kann, das liege nur an der Dickfelligkeit dieser Provinzler, es aber auch sein könnte, daß sie von tiefer Weisheit sind? – Forscher haben nicht nur ihre Fragen zu lösen, sondern auch zu fragen, ob sich ihre Fragen rechtfertigen lassen. Mich erinnert das jedenfalls sehr an den Quintus Fixlein von Jean Paul, der seine Zeit damit verbrachte, Fragen der Art zu nachzugehen, wie viele Wörter ein bestimmtes Kapitel der Bibel habe und welches das mittlere Wort sei.

      „Diese Richtung [Indeterminismus] hat aber das Problem zu erklären, wie denn etwas Indeterministisches Freiheit begründen könnte“

      Mit Indeterminismus ist nicht gemeint, daß nichts determiniert ist (das setzen wir ja beim Handeln, aber sozusagen beim Realwerden der Willensfreiheit, voraus), sondern nur, daß es keine vollständige, Laplace’sche Determiniertheit gibt. Denn wenn die Welt im Laplace’schen Sinn determiniert wäre, könnte es keine Willensfreiheit geben: es steht ja alles schon vorher fest und kann nicht willentlich in eine andere Richtung gelenkt werden. Von der Willensfreiheit haben wir aber ein sicheres Wissen, die Laplace’sche Determiniertheit dagegen ist eine gewagte metaphysische These. So etwa das Argument.

      „….. Wörtchens „frei“ [bei „freier Wille“] macht deutlich, dass dieses Attribut an dieser Stelle eigentlich überflüssig ist. Es liegt schlicht an unserem Willen, was durch unser Tun geschieht.“

      Na ja, es ist überflüssig, wenn man, wie es meist gemacht wird, in die Definition von Wille die Freiheit bereits aufgenommen hat. Gesagt ist damit, daß es von der Entscheidung abhängt, ob A oder B geschieht, daß vor der Entscheidung nicht festliegt, ob A oder B geschieht; und daß ich es in der Hand habe, mich so oder so zu entscheiden; während bei einem determinierten, einem normalen physikalischen Vorgang die Bedingungen zusammen mit allgemeinen Gesetzen determinieren, daß A und nicht B geschieht.

      „Wäre der Wille wirklich „frei“, also unabhängig von unseren Wünschen, Motiven, Erinnerungen, Vorstellungen etc., bräche vermutlich das große Chaos aus.“

      Das ist mit „frei“ wohl nie gemeint gewesen. Gemeint ist, daß es verschiedene Wünsche geben mag, daß man sie prüfen kann und sich dafür entscheiden, dem einen zu folgen und nicht den anderen. Die Wünsche mögen alle in ihrem Zustandekommen naturwissenschaftlich erklärbar sein, also determiniert sein. Freiheit im höchsten Sinn, im transzendentalen Verstande (moralische Freiheit) wäre dann eine Entscheidung nicht aufgrund von solchen Wünschen, Motiven usw., die sich ihrerseits wieder naturwissenschaftlich erklären lassen, sondern rein aus Vernunftgründen. Da aber gibt es kein Chaos, sondern da herrschen Gesetze, wenn auch andere als die naturwissenschaftlichen: die „Gesetze der Freiheit“, die moralischen. – Das ist aber eine kompatibilistische (dualistische), nicht indeterministische Sicht.

      „’Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will,’ (Schopenhauer).“

      Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Vielleicht bedeutet es, daß es Handeln nicht gibt, sondern nur Verhalten, dann wäre es eben das, was auch Leute wie W. Singer sagen. Und Sch. würde sich in denselben Selbstwidersprüchen verfangen wie Singer.

    • @Ludwig Trepl: (In)determinismus

      Ätzend, dass es so viele widersprüchliche philosophische Meinungen gibt.

      Sie schreiben:

      »Mit Indeterminismus ist nicht gemeint, daß nichts determiniert ist (das setzen wir ja beim Handeln, aber sozusagen beim Realwerden der Willensfreiheit, voraus), sondern nur, daß es keine vollständige, Laplace’sche Determiniertheit gibt. «

      Laut Otfried Höffe verhält es sich aber so, ich zitiere: „Im Gegensatz zum Determinismus, behauptet der Indeterminismus, mindestens einige Handlungen und Willensentschlüsse ließen sich prinzipiell nicht empirisch erklären, womit weniger menschliche Freiheit u. Verantwortung „gerettet“ als grundsätzliche Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit behauptet werden.“ (Lexikon der Ethik, Beck 1997)

      Dass dieser Höffesche Determinismus nichts mit der Laplaceschen Determiniertheit zu tun hat, versteht sich.

      (Nun gut, meine Behauptung, dass Chaos ausbräche, wenn der Indeterminismus wahr wäre, ist trotzdem hinfällig…)

  9. Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Ich stimme im Prinzip mit Ihnen überein.
    Niemand wird jemals genau vermessen können welche Potentiale – im Positiven, wie Negativen – in einem Menschen schlummern.
    Nach meinem subjektiven Gefühl ist das jedoch das Pendel in Deutschland nach der unsäglichen NS-Vergangenheit in die andere Richtung ein wenig zu weit ausgeschlagen.
    Ich weiß nicht, ob Sie sich Zwillingsstudien oder Forschungen, welche die Lebensläufe und Fähigkeiten adoptierter Kinder untersuchen, schon mal im Detail angesehen haben. Ich schon – und war mehrmals wie vor den Kopf gestoßen!
    Kleines Beispiel: Wer hätte gedacht dass Umfang und Qualität des Wortschatzes eines Menschen (um die 30) mehr dem der leiblichen Eltern entspricht als dem der Adoptiveltern? Und das völlig unabhängig vom Milieu in dem er aufwächst, vorausgesetzt es existieren öffentliche zugängige Bildungseinrichtungen, mindestens eine Leihbibliothek.

    Warum finde ich ein unrealistisches Menschenbild mit überzogenem Optimismus in Bezug auf Formbarkeit des Individuums problematisch?
    Lehrer, Therapeuten, Eltern usw. müssen sich unweigerlich – schon allein deshalb – ständig und nachhaltig überfordert, gar als gescheitert fühlen. Deren Klientel ebenfalls, oder – auch genervt und gelangweilt.
    Das kann man besser machen. Es ist sogar bekannt wie das gehen könnte, andere Länder machen es vor.

    • @ Ralph

      „Nach meinem subjektiven Gefühl ist das jedoch das Pendel in Deutschland nach der unsäglichen NS-Vergangenheit in die andere Richtung ein wenig zu weit ausgeschlagen.
“

      Das scheint mir auch so. Denn es gibt ja vor allem in gewissen avantgardistischen Bewegungen die Meinung, daß durch soziale Beeinflussung so gut wie alles möglich ist, egal wie es auf der Ebene der Biologie steht, etwa was das „soziale Geschlecht“ angeht. Aber dennoch scheint mir so gut wie alles an konkreten Behauptungen über genetische Bedingtheit, was man heute wieder hört, an der Haaren herbeigezogen (bzw. aus alten Ideologien herausgezogen).

      Beispiel:

      „Beispiel: Wer hätte gedacht dass Umfang und Qualität des Wortschatzes eines Menschen (um die 30) mehr dem der leiblichen Eltern entspricht als dem der Adoptiveltern? Und das völlig unabhängig vom Milieu in dem er aufwächst, vorausgesetzt es existieren öffentliche zugängige Bildungseinrichtungen, mindestens eine Leihbibliothek.
“

      Und so schließt er messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf? Nein, nicht weil ich das nicht möchte, sondern weil es allen Erfahrungen widerspricht, die ich in meinem Leben gemacht habe. In einem typischen Arbeitermilieu kann man als Kleinkind den Wortschatz nicht erwerben, den man in einem bildungsbürgerlichen Milieu ganz selbstverständlich erwirbt. Man hört ja diese Wörter nie. Auch die Leihbibliothek nützt da nichts: Wer geht da schon hin? Die Erklärung scheint mir eine andere: Spätestens mit 6 Jahren entkommen die Arbeiterkinder teilweise ihrem Milieu. Auch sie gehen heute 5 oder 7 Jahre lang in die gleichen Schulen wie Bildungsbürgerkinder. Eine fürs Wortschatz-Lernen ganz entscheidende Milieu-Komponente ist also für alle gleich. Und das glaube ich gerne, daß es Unterschiede in der genetischen Veranlagung gibt, die dann durchschlagen – was aber nicht heißt, daß unter anderen Umweltbedingungen, etwa einem anderen Schulsystem, die jeweiligen Rangordnungen sich völlig verändern könnten.

      Man hätte so eine Untersuchung unter solchen Verhältnissen machen müssen, wie sie vor einigen hundert Jahren herrschten, als die Bauernkinder völlig getrennt von den adeligen und bildungsbürgerlichen Kindern aufwuchsen. Halten Sie es für vorstellbar, daß ein solches Bauernkind den gleichen Wortschatz erwirbt wie ein bildungsbürgerliches? Es muß diese Wörter doch erst mal hören können. Das kam praktisch nur vor, wenn der Pfarrer einem Bauernjungen anmerkte, daß er besonders hell ist (das dürfte oft auch mit Biologie zu tun haben, muß aber nicht) und ihm dann die Lateinschule ermöglichte: ein anderes Milieu.

  10. Herr Trepl, Danke für die ausführliche Antwort!

    Sie schreiben:

    »Formal ist das [die abstrakte Gemeinsamkeit von irgendetwas] in Ordnung, aber kommt Relevantes heraus, wenn ich das positive Gefühl, das ich beim Hören der Goldbergvariationen mit dem positiven Gefühl, das ich beim Trinken von drei Flaschen Bier gewöhnlich bekomme, unter ‚subjektives Wohlbefinden’ einordne? «

    Aber wer tut das denn? Doch allenfalls die Journalisten, die über Studien berichten, die sie nicht richtig gelesen und verstanden haben.

    Bleiben wir kurz bei der erwähnten „Zwillings-„Glücks“-Studie“. Die Variable „Subjektives Wohlbefinden“ bezog sich nicht auf momentane Empfindungen des Glücks (Bach hören, Bier trinken, etc.), sondern darauf, wie zufrieden jemand mit seinem gegenwärtigen Leben ist, ob und wie sehr man das Gefühl hat, sein Leben selbst gestalten zu können, und wie zufrieden man mit dem Leben insgesamt ist.

    Ich kann mir nicht helfen, für mich ist so etwas kein »sinn- und verstandlose[s] Abstrahieren«. Auch wenn Sie das jetzt in Bezug auf die konkrete Studie vielleicht so auch nicht behauptet haben, so gibt es doch dieses unschöne Muster, dass von einer bestimmten Studie bestimmte Dinge behauptet werden, die dann, pars pro toto, ein ganzes wissenschaftliches Feld in Misskredit bringen sollen. So ähnlich empfinde ich Tanja Dückers ZEIT-Artikel.

    »Kant – und wie Sie wissen, stimme ich ihm im allgemeinen zu – war der Meinung, daß alles, wirklich alles absolut determiniert ist, egal wie lang die Zeitspanne ist; daß das aber nicht gegen die Möglichkeit, diese Determination durch willentliche Akte zu durchbrechen, spricht.«

    Mit anderen Worten: „Alles“ außer willentlichen Handlungen ist absolut determiniert?

    Wenn Kants Überlegungen so auf den Punkt gebracht werden, tritt, meine ich, die Widersprüchlichkeit klar zu Tage. Entweder, ein Ereignis ist durch vorausgehende Ereignisse determiniert, oder ist es eben nicht. Ob der Mensch oder ein Tier oder irgendein anderer Organismus Teil einer Ereigniskette ist, spielt da überhaupt keine Rolle.

    Ich vermute mal, dass Kant zwischen Determinismus und Fatalismus unterschieden hat. Dass also nicht alles auf ewig vorbestimmt ist. Wo blieben denn sonst die Folgen menschlichen Handelns?

    Kann man Kant denn nicht auch so verstehen, dass die Autonomie eines Lebewesen mit den deterministischen Gesetzmäßigkeit nicht nur vereinbar ist, sondern durch sie erst ermöglicht wird?

    »Für die Hirnforscher als Hirnforscher kann es keine übergeordnete Instanz geben, meine ich, wenn sie Biologen bleiben wollen. «

    Genau!

    »Aber sie sollten wissen, daß die Naturwissenschaft nicht „die Welt“ erforscht, sondern die Welt unter bestimmten eingeschränkten Bedingungen, mit einer Methodik, mit der man viel herausbekommt, aber doch notwendig vieles ausblendet, das aber doch nicht weniger real ist. «

    Ich denke, das wissen die allermeisten sehr wohl. Die Beschränktheit der menschlichen Erkenntnis und die Unmöglichkeit, das subjektive Erleben messtechnisch erfassen zu können, liegen doch klar auf der Hand. Nicht umsonst gibt es ja auch Geistes- und Kulturwissenschaften.

    »Singer beachtet das nicht, er macht aus der Naturwissenschaft eine Metaphysik. «

    Inwiefern das denn? Er äußert sich gelegentlich zu Fragen, die außerhalb der Naturwissenschaft liegen, das ja. Aber wenn er in der Forschung „geistige“ Instanzen als wirkmächtige Steuereinheiten ausblendet bzw. negiert, dann macht er doch das genaue Gegenteil von Metaphysik, sondern beschränkt sich explizit auf das empirisch fassbare.

    Oder anders gesagt: Egal, was ein Hirnforscher macht, ob er eine mentale Verursachung verneint, bejaht oder offen lässt, er macht unvermeidlich ein metaphysisches Statement. Eben weil die Behauptung von wirkmächtigen geistigen Entitäten, also Metaphysik, nun mal in der Welt ist und man sich irgendwie dazu verhalten muss.

    Ich könnte mir vorstellen, dass Benjamin Libet einer der Letzten mit einem metaphysischen Ansatz war, indem er nämlich zu zeigen versuchte, dass Handlungen vom phänomenalen Bewusstsein initiiert werden. Also derart, dass bei einer willentlichen Bewegung der bewusst erlebte Entscheidungsmoment der tatsächlichen Bewegung stets vorausgeht. Das Ergebnis dieser und ähnlicher Experimente ist bekannt, es konnte nicht gezeigt werden.

    Also, um es auf den Punkt zu bringen, wenn man in der Forschung übergeordnete geistige Instanzen negiert, dann scheint mir das genauso wenig Metaphysik zu sein, wie wenn man die pharmakologische Wirkung von homöopathischen Hochpotenzen bestreitet.

    »Erst mal ist der Grund der nur, daß Scilogs zu WordPress gegangen ist, und da ist halt einiges anders. Ich komme darum mit vielem nicht zurecht, weiß nicht, wie man „links“ setzt und wie man Hervorhebungen macht usw. «

    Dass man den Leser nicht über diese Dinge informiert, kann ich ja noch nachvollziehen, aber dass man auch den Blogger im Unklaren lässt, das verstehe wer will. WordPress ist sicherlich nicht verantwortlich für das Fehlen einer Liste mit den neuesten Kommentaren auf der Hauptseite. Schließlich kann man ja auch dieses Twitter-Gezwitscher zeigen…

    Eine Übersicht über mögliche HTML-Befehle für Texthervorhebungen findet sich zum Beispiel hier:

    http://www.html-seminar.de/befehlsuebersicht.htm

    • @ Balanus

      „…aber kommt Relevantes heraus, wenn ich das positive Gefühl, das ich beim Hören der Goldbergvariationen mit dem positiven Gefühl, das ich beim Trinken von drei Flaschen Bier gewöhnlich bekomme, unter ‚subjektives Wohlbefinden’ einordne? «
Aber wer tut das denn? Doch allenfalls die Journalisten …“

      Die natürlich ganz besonders, aber nicht nur. Das ist ein systematisches Defizit der empirischen Sozialforschung. Ich schreibe gleich in einem zweiten Kommentar etwas dazu.

      „Die Variable ‚Subjektives Wohlbefinden’ bezog sich nicht auf momentane Empfindungen des Glücks (Bach hören, Bier trinken, etc.), sondern darauf, wie zufrieden jemand mit seinem gegenwärtigen Leben ist“

      Das ändert nicht viel. Mein Argument ist, daß abstrakte Größen wie „Wohlbefinden“ oder „Zufriedenheit“ nicht geeignet sind, der Frage näherzukommen, die man doch eigentlich beantworten möchte.

      Auf eines hat Tanja Dückers aufmerksam gemacht: Die Antworten fallen völlig verschieden aus, je nachdem ob mir gerade in den Kopf kommt, daß der weitaus größte Teil meines Lebens schon hinter mir liegt oder ob ich, vielleicht weil schönes Wetter ist, nicht daran denke, ob ich eine länger zurückliegende böse Tat gerade mal wieder vergessen habe oder ob sie mir ein zufälliges Gespräch wieder in den Kopf bringt. So etwas gleicht sich auch nicht einfach aus durch große Zahlen von Befragten.

      Das andere habe ich in meinem Kommentar hinzugefügt: Was an Wissenswertem weiß ich denn, wenn ich weiß, daß die eine Gruppe mit ihrem Leben zufrieden ist, weil sie Geld hat und nichts weiter verlangt vom Leben, und die andere zufrieden ist, weil sie, obwohl arm, ihre Zeit mit Wohltätigkeit verbringt und ihr das ein gutes Gefühl gibt? Gar nichts weiß ich an Relevantem, nur die Trivialität, daß die Leute halt verschieden sind und durch allerlei Verschiedenes zufriedengestellt werden können oder auch nicht.

      „…dass von einer bestimmten Studie bestimmte Dinge behauptet werden, die dann, pars pro toto, ein ganzes wissenschaftliches Feld in Misskredit bringen sollen.“

      Ja, in der Tat, das will ich. Ich versuche der empirischen Sozialforschung den Kredit zu nehmen. Das heißt nicht, daß es in den Gesellschaftswissenschaften ohne Empirie geht, natürlich nicht, und daß es nicht einige Studien gibt, die von der Kritik nicht getroffen werden (berühmtes Beispiel, das ich für überaus gelungen halte: Pierre Bourdieu). Aber die typische empirische Sozialforschung, die, für die das allermeiste Geld ausgegeben wird, die meine ich.

      „Entweder, ein Ereignis ist durch vorausgehende Ereignisse determiniert, oder ist es eben nicht.“

      Dieses Thema hatten wir schon mal, und ich habe dazu (noch) keine einigermaßen feste Meinung. Die Kompatibilisten, die die Mehrheit stellen sollen, meinen, ein Ereignis ist durch vorausgehende Ereignisse determiniert, und trotzdem gebe es den freien Willen. Dazu gehörte auch Kant. Die Inkompatibilisten meinen, daß sich durchgängige Determiniertheit und freier Wille ausschließen. Da gibt es dann zwei Richtungen: Die eine hält die These von der durchgängigen Determiniertheit für richtig und schließt dann, daß der freie Wille eine Illusion ist; das soll eine kleine Minderheit sein, nicht zuletzt unsere philosophierenden Biologen. Die andere hält die These von der durchgängigen Determiniertheit für falsch, es kann gerade darum Willensfreiheit geben; diese Auffassung soll sich im Aufwind befinde.

      „Kann man Kant denn nicht auch so verstehen, dass die Autonomie eines Lebewesen mit den deterministischen Gesetzmäßigkeit nicht nur vereinbar ist, sondern durch sie erst ermöglicht wird?“

      Ja, vielleicht nicht Lebewesen, aber doch Vernunftwesen. Die deterministische Gesetzmäßigkeit ermöglicht überhaupt erst Handlungen. Aber daß es sich um Handlungen und nicht nur um Verhalten handelt, impliziert Willensfreiheit. Die muß dann anderswo ihren Ort haben als in der Natur, für die die deterministischen Gesetzmäßigkeiten gelten.

      „’Naturwissenschaft nicht „die Welt“ erforscht, sondern die Welt unter bestimmten eingeschränkten Bedingungen, mit einer Methodik, mit der man viel herausbekommt, aber doch notwendig vieles ausblendet, das aber doch nicht weniger real ist.’
      Ich denke, das wissen die allermeisten sehr wohl.“

      Vielleicht; ich habe mal diesen Eindruck, mal einen anderen. Da könnten die empirischen Sozialforscher eine Umfrage machen. Allerdings würde die vermutlich auch nicht viel bringen. Es ist ja ein Unterschied, ob jemand das so dahersagt, aber nach zwei Minuten Nachdenken doch sich gezwungen sieht zu sagen: das kann doch nicht sein, oder ob er eine ausgearbeitete Theorie hat, aus der diese Meinung hervorgeht. Dieser Unterschied scheint mir wichtiger als die bloße abfragbare Meinung.

      „Aber wenn er in der Forschung ‚geistige’ Instanzen als wirkmächtige Steuereinheiten ausblendet bzw. negiert, dann macht er doch das genaue Gegenteil von Metaphysik“

      Ja, aber wenn er mehr macht als sie nur methodisch auszublenden, wenn er von da zu der Behauptung übergeht, es gebe solche Instanzen nicht, dann macht er Metaphysik. Denn diese Behauptung läßt sich empirisch (also in der „Physik“) weder beweisen noch widerlegen.

      „Egal, was ein Hirnforscher macht, ob er eine mentale Verursachung verneint, bejaht oder offen lässt, er macht unvermeidlich ein metaphysisches Statement.“

      Ein methodologisch versierter Hirnforscher wird die Frage offen lassen und damit gerade kein metaphysisches Statement machen, jedenfalls wenn er sie nicht nur vorläufig offen läßt und denkt: das werden wir schon noch bewältigen, sondern sagt: Da ist eine Antwort (mit meinen Mitteln, denen der Naturwissenschaft) prinzipiell nicht möglich. Bejahung und Verneinung dagegen sind metaphysisches Statements. Man muß da aber aufpassen: Nur weil es sich um Behauptungen handelt, die die physische Welt betreffen, ist es Meta-Physik; das würde ich jedenfalls für eine vernünftige Definition von Metaphysik halten. Es gibt Fragen, auf die man eine sichere Antwort finden kann, die nicht empirisch prüfbar ist (weil sich die Fragen gar nicht auf die physische Welt beziehen), und deren Beantwortung ist dann auch nicht metaphysisch. Beispiel: Mathematik. Ein vielleicht etwas gewagtes anderes Beispiel: Die Behauptung, es gebe Gott den Schöpfer ist Metaphysik; da wird etwas über die Ursache physischer Dinge behauptet. Die Behauptung, es gebe Gott als Richter oder Erlöser dagegen ist nicht metaphysisch, denn da wird gar nichts über die physische Welt behauptet. Ob man diese Frage richtig oder falsch oder gar nicht beantworten kann, steht auf einem anderen Blatt.

    • @ Balanus

      Ich habe vorhin einen Kommentar zu der Frage angekündigt, wer das eigentlich macht: „das positive Gefühl, das ich beim Hören der Goldbergvariationen mit dem positiven Gefühl, das ich beim Trinken von drei Flaschen Bier gewöhnlich bekomme“, gleichermaßen „unter ‚subjektives Wohlbefinden’“ einzuordnen.

      @ Balanus meinte: „Aber wer tut das denn? Doch allenfalls die Journalisten.“

      Ich dagegen meine, das tun die Wissenschaftler, und zwar die empirischen Sozialforscher, schon selbst. Und das hat einen systematischen Grund. Den wollte ich erläutern, merkte aber bald, daß das viel mehr Platz braucht, als man in so einem Kommentar hat. Ich werde dazu darum demnächst einen Blog-Artikel schreiben. Hier nur soviel:

      „Empirische Sozialforschung“ besteht typischerweise (also nicht immer) darin, daß man Themen, die herkömmlicherweise solche von „Geisteswissenschaften“ (z. B. derjenigen, die man „Staatswissenschaften“ nannte) waren, mit den Methoden der Naturwissenschaft anzugehen versucht. Dabei hat man vergessen, daß nicht nur die Methoden, sondern auch das Erkenntnisinteresse und die Aufgaben dieser Wissenschaftstypen ganz verschieden sind. Man hat den Unterschied zwischen ihnen im späten 19. Jahrhundert mit dem Begriffspaar nomothetisch-idiographisch zu fassen versucht. Vernachlässigt man diesen Unterschied, dann wird die Forschung für die Fragen, die man beantworten sollte und die man im Grunde auch als empirischer Sozialwissenschaftler trotz aller Faszination vom naturwissenschaftlichen Methodenideal hat, weitgehend irrelevant.

  11. Und daß jemand von seinen Eltern „Schwermut“ erben kann, wußte man schon immer, und dieses Wissen reicht völlig, um jene Frage zu beantworten.

    Das muss aber keineswegs an den Genen liegen! Es sind sehr viele Faktoren als auslösend denkbar:
    – Soziale Stellung, in die das Kind hineingeboren wird.
    – Erzieherische Einflüsse, die über Generationen konstant bleiben.
    – Vielleicht sogar hormonelle Einflüsse oder andere Umweltbedingungen.
    – usw.usf.

    Hier kann natürlich empirische Forschung entscheiden helfen, ob der Schwermut von den Genen oder woanders herrührt. Auch wenn die Frage akademisch ist.

    Man diskutiert, ob es (bei gesunden Menschen!) einen freien Willen gibt und man diskutiert über Dinge, die das Schicksal ganzer Gesellschaften betreffen.

    Naja, oft genug wird der Freie Wille einfach als gegeben vorausgesetzt.

    • „daß man ’„Schwermut“ erben kann, wußte man schon immer, und dieses Wissen reicht völlig, um jene Frage zu beantworten.
’
[Zitat von mir] Das muss aber keineswegs an den Genen liegen!“

      Guter Hinweis, Sie scheinen mir weitgehend recht zu haben, aber doch nicht ganz. – Das Alltagswissen, auf das ich hier anspielte, ist natürlich nicht so methodisch abgesichert, daß man sich in der Wissenschaft damit zufriedengeben könnte. Aber so ganz und gar nicht ungetrennt blieben biologische Vererbung und Umwelteinflüsse doch nicht. Man wußte schon, daß der biologische Vater, der das Kind nicht aufzieht, ihm vielleicht nie im Leben begegnet, „durchschlagen“ kann. Um die Frage nach der Relevanz von Genen überhaupt zu beantworten, reicht das.

      „Naja, oft genug wird der Freie Wille einfach als gegeben vorausgesetzt.
“

      Wir wissen wirklich um den freien Willen, den setzen wir nicht einfach voraus in dem Sinne, daß wir das auch lassen könnten. Jeder kann von seinem freien Willen wissen, indem er auf sein Denken und Handeln reflektiert. Allerdings ist das kein Wissen von der Art des naturwissenschaftlichen oder überhaupt des theoretischen Wissens über Dinge in der Welt. Ein solches Wissen kann es über Freiheit vielmehr nie geben. Freiheit ist nichts, was man je in der empirischen Welt entdecken könnte, dort erscheint uns immer alles durch Ursachen bestimmt. Selbst wo es uns prinzipiell nicht möglich sein sollte, eine Kausalursache zu erkennen (subatomare Dimension), ist es doch gar nicht möglich zu denken, daß etwas in der „Natur“ (also in der Welt insofern, als sie durch Gesetze bestimmt ist) ohne Ursache geschieht. Nur von uns selbst denken wir und müssen es denken, daß wir etwas bewirken können, das ohne uns nicht geschehen würde, daß wir den Lauf der Dinge willentlich beeinflussen können; daß es also an uns, an unserem freien Willen liegt, ob etwas geschieht oder nicht.

      Die (Natur-)Wissenschaft untersucht Objekte in der Welt. Es sind aber Subjekte, die das tun. Wenn das Subjekt sich selbst als Subjekt betrachtet, gehen ihm Dinge auf, die der Objekt-Wissenschaft grundsätzlich verborgen bleiben müssen. Sie scheinen ihr nur Illusion zu sein, weil dergleichen für sie nicht existieren kann. Aber auch die Objekt-Wissenschaft, weil sie eben von Subjekten betrieben wird, setzt sie immer voraus, ob die Wissenschaftler das nun bemerken oder nicht.

  12. @Ludwig Trepl

    Die Ökologie ist nicht immunisiert gegen die Vereinnahmung durch”rassistische” Sichtweisen ( dies ist in der Tat ein Gummibegriff geworden ) , genausowenig wie alle anderen politischen Denkrichtungen.
    Dogmatiker gibts überall , und auch Fanatiker , die ökologische Variante muß da nicht zwingend aus der heutigen Öko-Bewegung kommen (wenn sie denn kommt).

    Gegen eine ideolgische Entgleisung des Öko-Gedankens auf breiterer Ebene könnte sprechen , daß die Umweltproblematik eine Herausforderung von ziemlich heftigem Ausmaß ist , dagegen hilft auf die längere Sicht nur eine effektive und nicht dogmatische Antwort , gleichzeitig sind kurzfristige Exzesse niemals ganz ausgeschlossen.
    Erschwerend für Ideologen kommt die Langatmigkeit des Umweltthemas hinzu , das ist jetzt da und geht nicht wieder weg , und bindet dauerhaft Ressourcen , die dann für destruktive und folgende Wiederaufbau-Phasen nicht mehr zur Verfügung stehen.

  13. Ich finde, man sollte Natur- und Sozialwissenschaftler nicht in einen Topf werfen. Dazu scheinen mir die Forschungsgegenstände zu verschieden. Schwierig finde ich die Einordnung der Psychologen, da scheint es mir sowohl mehr naturwissenschaftlich als auch mehr sozial- oder geisteswissenschaftlich orientierte Vertreter zu geben.

    Aus dem Tanja-Dückers-Zitat:

    Gerade hat eine neue „Glücksstudie“ […] von sich reden gemacht. Die Wissenschaftler behaupten, in einer Untersuchung von 973 Zwillingspaaren herausgefunden zu haben, dass Gene einen beträchtlichen Einfluss darauf haben, ob Menschen in ihrem Leben glücklich sind.

    Vermutlich hat sich Tanja Dückers diese „Glücksstudie“ mit den 973 Zwillingspaaren gar nicht angesehen. Dennoch steht ihr Urteil fest: Alles Quatsch, was die Psychologen da veranstalten („Wer selber zum Spaß mal einen Psychotest gemacht hat,…“). Aber so sind sie nun mal, die Journalist(inn)en…

    In der Studie wurde das subjektive Wohlbefinden („subjective well-being“, kurz: “happiness”) telefonisch abgefragt (“The first question asked how satisfied participants were with life at the present, the second asked how much control subjects felt they had over their lives, and the third asked how satisfied they were with life overall.”).

    Das kann man natürlich alles kritisieren und für eine Verschwendung von Forschungsgeldern halten, aber mit einem ideologischen Biologismus oder Naturalismus hat das mMn zunächst mal nichts zu tun.

    Wichtiger noch als der Hinweis auf die fehlende „Amalgamierung“ mit sozialwissenschaftlichem Wissen scheint mir aber dieser: „Was überhaupt ‚Glück’ ist, stand natürlich nicht zur Debatte.“

    Nun ja, warum sollte es, im Kontext der Studie war es doch klar. Es wurde definiert, was mit „subjektiven Wohlbefinden“ gemeint ist, mehr braucht es da nicht.

    Was darüber hinaus und an anderer Stelle manche Sozialwissenschaftler so treiben, steht auf einem anderen Blatt. Aber so pauschal würde ich deren Arbeit auch nicht abqualifizieren wollen, wie es hier im Artikel anklingt.

    Die Determiniertheit unseres Handelns scheint ja doch ein großes Problem darzustellen. Zumindest wird die Sache immer wieder thematisiert:

    Will man aber der sozialen Beeinflussung eine Richtung geben, so setzt das ebenso wie im Falle jener biotechnischen Beeinflussung voraus, daß wir eben doch zurechnungsfähig und damit verantwortlich sind für das, was wir tun; weder Gene noch Hirnschaltkreise noch soziale Faktoren legen im Voraus fest, wie wir uns entscheiden werden.

    Wenn mit „im Voraus“ eine längere Zeitspanne gemeint ist, dann ist natürlich nichts absolut festgelegt, aber im Moment des Entscheidens werden die physischen und sozialen Faktoren vermutlich zu den alles entscheidenden Determinanten. Wäre es anders, würde das ganze soziale System von Belohnung und Strafe in Frage gestellt.

    Und wenn Wolf Singer sagt, „der Mensch verfügt nicht über einen freien Willen. Er wird in Wirklichkeit von Neuronen gesteuert“, dann ist damit lediglich gemeint, dass es für die meisten Hirnforscher keine der Physis übergeordnete, steuernde Instanz gibt. Dualistische Vorstellungen sind ja noch lange nicht vom Tisch, deshalb ist es wohl nicht verkehrt, gelegentlich darauf hinzuweisen.


    PS

    Den [Artikel von Tanja Dückers] habe ich nun zufällig entdeckt und meine, daß die Autorin den Scilogs-Lesern, gerade ihnen, etwas zu sagen hat.

    Welche SciLogs-Leser haben Sie denn da im Sinn? Die paar Leute, die hier mehr oder weniger regelmäßig kommentieren? Oder doch das ganze naturwissenschaftlich interessierte, aber stille Publikum?

    Der kommentierende Leser wird ja neuerdings auf SciLogs sehr stiefmütterlich behandelt. Man hat den Eindruck, er wird von Seiten des Verlags vor allem als störend empfunden. Oder gibt es einen anderen Grund, warum auf der Startseite nicht mehr die neuesten Kommentare erscheinen? Und in den einzelnen Blogs die aktuellsten Kommentare nur ohne den Namen der Verfasser?

    Die Hauptreaktion kann man vorhersagen: Die hat doch keine Ahnung von Genetik und Hirnforschung.

    Ich glaube, wenn ich das recht erinnere, das war damals auch die mehrheitliche Meinung der ZEIT-Leser, von denen wohl die allerwenigsten Genetiker und Hirnforscher, sondern interessierte Laien waren.

    Aber von dem, was einige Genetiker und Hirnforscher derzeit in der öffentlichen Diskussion anrichten, versteht sie offensichtlich mehr als unsere Genetiker und Hirnforscher – was kein Wunder ist, denn diese verstehen gewöhnlich außer von Genetik und Hirnforschung von nichts etwas, Journalisten schon eher.

    Nun ja, Genetiker und Hirnforscher finden doch vor allem dann Gehör, wenn die Journalisten entsprechend breit über deren Arbeit und Statements berichten. Und in zu vielen Fällen berichten sie falsch oder so verkürzt, dass es falsch wird. Dass es auch ziemliche unglückliche Formulierungen von manchen Forschern gibt, ist unbestritten. Da wäre es aber vielleicht guter Journalismus, genauer nachzufragen oder sich ein wenig mit der Sache zu beschäftigen, um das Eine oder Andere geradezubiegen.


    PPS

    Das ist ja eine beeindruckend lange Liste von themenbezogenen Blogartikeln und andere Beiträgen im Internet. Haben Sie das alles gelesen?

    • Lieber @Balanus,

      ich antworte wie üblich sehr ausführlich, aber anders als üblich nicht zu dem Zweck, mir selber über etwas klar zu werden (und ohne Rücksicht darauf, ob das jemand liest), sondern weil Sie mehrere sehr konkrete Dinge angesprochen haben; ich antworte also wirklich Ihnen und rechne damit, daß Sie es lesen.

      „Ich finde, man sollte Natur- und Sozialwissenschaftler nicht in einen Topf werfen.“

      Stimmt schon, aber die empirische Sozialforschung ist nun mal der Versuch, Themen, die traditionell solche der „verstehenden“ Geisteswissenschaften waren, mit den Methoden der Naturwissenschaften anzugehen. Darum ist in diesem Punkt die Gleichsetzung schon zulässig.

      „… Einordnung der Psychologen, da scheint es mir sowohl mehr naturwissenschaftlich als auch mehr sozial- oder geisteswissenschaftlich orientierte Vertreter zu geben“.

      Ja, es gibt ja z. B. auch eine sich explizit „verstehend“ nennende Richtung der Psychoanalyse. Allerdings wird herkömmlicherweise Psychologie als empirische Wissenschaft verstanden und insofern strikt von Philosophie, die sich mit Themen wie „Geist“ befaßt, unterschieden. Innerhalb der Psychologie gibt es aber sehr verschiedene Auffassungen davon, was hier „Empirie“ zu heißen hat: Für die einen gehört das, was nur introspektiv zugänglich ist (etwa zu wissen, was „Liebe“ ist), zu der Erfahrung, die zu berücksichtigen ist, für die anderen (Behavioristen) sind nur Methoden zulässig, die auch in der Biologie zulässig sind, und das sind immer solche, die sich auf das beschränken, was „von außen“ zu beobachten ist (etwa bei der Liebe das Herzklopfen).

      „Das [diese Sozialfoschung] kann man natürlich alles kritisieren und für eine Verschwendung von Forschungsgeldern halten, aber mit einem ideologischen Biologismus oder Naturalismus hat das mMn zunächst mal nichts zu tun.“

      Das habe ich ja auch extra gesagt: nicht nur biologistische Interpretation biologischer Arbeiten ist zu kritisieren, sondern auch solche, die sich um Biologie gar nicht kümmert, sondern nur Sozialforschung ist. Beides könnte man vielleicht unter einen weiten Begriff von Szientismus einordnen.

      „’Was überhaupt ‚Glück’ ist, stand natürlich nicht zur Debatte.’ 

Nun ja, warum sollte es, im Kontext der Studie war es doch klar. Es wurde definiert, was mit ‚subjektiven Wohlbefinden’ gemeint ist, mehr braucht es da nicht.“

      Das war eigentlich mein Hauptpunkt (und ich sollte dazu vielleicht eigens etwas schreiben) : diese Art von abstraktem Denken. Man sucht eine abstrakte Gemeinsamkeit von irgend etwas, es mag noch so verschieden sein, und dann fängt man an zu messen. Ich kann auch eine Gemeinsamkeit von Autos und Nashörnern finden (sind etwa gleich schwer) und dann zu messen anfangen. Formal ist das in Ordnung, aber kommt Relevantes heraus, wenn ich das positive Gefühl, das ich beim Hören der Goldbergvariationen mit dem positiven Gefühl, das ich beim Trinken von drei Flaschen Bier gewöhnlich bekomme, unter ‚subjektives Wohlbefinden’ einordne? Und dazu noch das positive Gefühl, das ich habe, wenn das Gewissen ruhig ist? Neben dem Elend, das durch den Naturalismus über die Welt des Denkens gekommen ist, gibt es noch eines, das vielleicht damit gar nichts zu tun hat: dieses sinn- und verstandlose Abstrahieren.

      „Wenn mit ‚im Voraus’ eine längere Zeitspanne gemeint ist, dann ist natürlich nichts absolut festgelegt“

      Kant – und wie Sie wissen, stimme ich ihm im allgemeinen zu – war der Meinung, daß alles, wirklich alles absolut determiniert ist, egal wie lang die Zeitspanne ist; daß das aber nicht gegen die Möglichkeit, diese Determination durch willentliche Akte zu durchbrechen, spricht.

      „Wolf Singer sagt, ‚der Mensch verfügt nicht über einen freien Willen. Er wird in Wirklichkeit von Neuronen gesteuert’, dann ist damit lediglich gemeint, dass es für die meisten Hirnforscher keine der Physis übergeordnete, steuernde Instanz gibt.“

      Für die Hirnforscher als Hirnforscher kann es keine übergeordnete Instanz geben, meine ich, wenn sie Biologen bleiben wollen. Aber sie sollten wissen, daß die Naturwissenschaft nicht „die Welt“ erforscht, sondern die Welt unter bestimmten eingeschränkten Bedingungen, mit einer Methodik, mit der man viel herausbekommt, aber doch notwendig vieles ausblendet, das aber doch nicht weniger real ist. Singer beachtet das nicht, er macht aus der Naturwissenschaft eine Metaphysik.

      „…daß die Autorin den Scilogs-Lesern, gerade ihnen, etwas zu sagen hat. 

Welche SciLogs-Leser haben Sie denn da im Sinn?“

      Die typischen, und von denen mache ich mir ein Bild von den Kommentatoren ausgehend, und außerdem von meinen Erfahrungen mit meinen Kollegen ausgehend.

      „Man hat den Eindruck, er [der „kommentierende Leser“] wird von Seiten des Verlags vor allem als störend empfunden. Oder gibt es einen anderen Grund, warum auf der Startseite nicht mehr die neuesten Kommentare erscheinen?“

      Ich weiß es nicht. Erst mal ist der Grund der nur, daß Scilogs zu WordPress gegangen ist, und da ist halt einiges anders. Ich komme darum mit vielem nicht zurecht, weiß nicht, wie man „links“ setzt und wie man Hervorhebungen macht usw. Ob es auch strategische Überlegungen hinter den Veränderungen gibt, weiß ich, wie gesagt, nicht. Das machen andere.

      „Nun ja, Genetiker und Hirnforscher finden doch vor allem dann Gehör, wenn die Journalisten entsprechend breit über deren Arbeit und Statements berichten.“

      Das stimmt, die Dominanz der philosophierenden Genetiker und Hirnforscher ist eine Dominanz in den Medien, nicht in der Fachdiskussion.

      „Das ist ja eine beeindruckend lange Liste von themenbezogenen Blogartikeln und andere Beiträgen im Internet. Haben Sie das alles gelesen?“

      Überhaupt nicht, ich bin im wesentlichen nur nach den Überschriften gegangen. Es gibt noch viel mehr, die Liste hätte auch fünf mal so lang sein können.



  14. Die Infragestellung sozialer Faktoren liegt im Interesse der “Eliten “, deren erklärtes Ziel es ist , die Freiheit auf dem Umweg über die soziale Freiheit zu schleifen , kritische Betrachtungen zum Einfluß sozialer und humaner Faktoren sind dabei unerwünscht .
    Es ist doch kein Zufall , daß sich die Medien immer wie auf Knopfdruck auf diese verkürzten Thesen der Hirnforschung und der Genetik stürzen , während andere Stimmen hinten runterfallen.
    Gezielte Propaganda , das Ganze , daß erhebliche Teile insbesondere der Mittelschichten einen Hang zu sozialdarwinistisch geprägten Weltbildern haben , kommt da natürlich zupass und wird gezielt bedient.
    Und doch entfaltet diese Entwicklung nicht dieselbe Dynamik wie die Gemengelage in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts , es wird wohl ein rechter Traum bleiben , denselben Weg noch einmal beschreiten zu können.

    • @ DH
      „Und doch entfaltet diese Entwicklung nicht dieselbe Dynamik wie die Gemengelage in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts , es wird wohl ein rechter Traum bleiben , denselben Weg noch einmal beschreiten zu können.“

      Dazu habe ich unter der Überschrift „Biologismus Rassismus Ökologismus“ einen ausführlichen Artikel geschrieben.

  15. Glück ist natürlich das Zufrieden-Sein mit dem, was man tut, und nicht etwa die Befähigung, das zu tun, was man mag.

    MFG
    Dr. W (der im Zusammenhang mit dem Glück schon so manchen Mops festgestellt hat)

  16. „’Für wirklich wirklich halten wir heute nur noch, was wir durch die Brille des Physikers zu sehen bekommen – das sind aber nur wabernde Atomwolken’, dann haben Philosophie und Geisteswissenschaften eben vollkommen versagt.“

    Sie haben im (kultur-)politischen Kampf verloren, aber haben sie deshalb „versagt“? Hat die Wissenschaft „versagt“, weil die Mehrzahl der Menschen esoterisches Zeug glaubt?

    Die Dominanz des Naturalismus/Physikalismus/Biologismus ist eine Folge der politischen, ökonomischen und kulturellen Vorherrschaft der angloamerikanischen Länder. Das relative Zurücktreten von Philosophien, die noch vor vier Jahrzehnten in Frankreich oder im deutschsprachigen Raum die einflußreichsten waren, muß also keine Gründe haben, die in ihrer inneren Schwäche liegen. Die Vorherrschaft des Marxismus-Leninismus auf einem großen Teil der Erdoberfläche bis vor einem Vierteljahrhundert beweist ja auch nicht die philosophische Qualität dieser Lehre.

    Was Sie dann über Idealismus, Willensfreiheit, Verbrechen usw. schreiben, zeigt nur, daß Sie von der einschlägigen Debatte nichts wissen, daß Sie insbesondere nicht wissen, was Idealismus ist. Ich werde darauf nicht eingehen.

    • Den Begriff “Idealismus” würde ich durch einen hierzulande überzogenen Erziehungsoptimismus ersetzen.
      Klammert man veranlagungsbedingte Faktoren komplett zu Gunsten der Faktoren des Lebensumfelds aus, entsteht ein unrealistisches, letztlich inhumanes Menschenbild.
      Dies muss zu ineffizienten Bildungssystemen und unbefriedigenden Wiedereingliederungsbemühungen im Strafvollzug etc. führen.
      Zwillingsstudien, sowie die Biografien früh adoptierter Kinder relativieren den Faktor des sozialen Umfeldes durchaus. Dieses Wissen kann man natürlich auf unmenschliche Weise überspitzen und politisch instrumentalisieren. Man kann es aber auch nutzen um Individuelle Schwächen auszugleichen bzw. Stärken zu fördern.

      • @ Ralph

        „Klammert man veranlagungsbedingte Faktoren komplett zu Gunsten der Faktoren des Lebensumfelds aus, entsteht ein unrealistisches, letztlich inhumanes Menschenbild.“

        Unrealistisch stimmt sicher, aber warum inhuman? – Vor allem aber: komplett klammert ja niemand, wirklich niemand aus. Umgekehrt schon: Das war das Wesen rassistischer Ideologien. Durch keine Art der Erziehung kann aus einem Juden ein richtiger Deutscher gemacht werden, Ausrottung ist die einzige Möglichkeit.

        „Dies muss zu ineffizienten Bildungssystemen und unbefriedigenden Wiedereingliederungsbemühungen im Strafvollzug etc. führen.“

        Ein Problem ist, daß man außer im Falle krankhafter Ausnahmen (das habe ich oben im Artikel betont) nie weiß, ob es wirklich inneffizient bleiben muß, was man da unternimmt. Immer gibt es einen Spielraum, und immer besteht die Möglichkeit, daß man nur noch nicht gefunden hat, durch welche Umweltbedingungen sich da doch noch etwas machen ließe. Denn alle Feststellungen von Erblichkeit durch Vergleichsstudien gelten nur unter der Bedingung, daß die Umweltfaktoren so sind wie die geprüften.

        Angenommen, man bekäme durch Zwillingsstudien heraus, daß Kinder, deren Eltern das Einmaleins nicht konnten, es trotz aller Bemühungen nie lernen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: (1) man gibt es auf, sie auf diesem Gebiet zu unterrichten, (2) man sucht nach Methoden des Unterrichts, die bisher nicht ausprobiert wurden (und man kann nie ausschließen, daß mit diesen Methoden gerade diejenigen die besten Rechner werden, die bisher die schlechtesten waren, das ist eine biologische Grundeinsicht). Aber die Annahme ist ganz unrealistisch: Außer bei genau umschriebenen Krankheiten findet man so etwas nicht. Alles, was Kindern in der Schule beigebracht wird, ist auch bei den „Unbegabtesten“ ungeheuer steigerbar. Das zeigt jeder Blick auf andere Kulturen, etwa solche ohne Schrift, ohne jede Kenntnis der Mathematik usw.

        Was nun Verbrechen angeht: Wer nicht prinzipiell dazu in der Lage ist, sein Fehlverhalten einzusehen und sich zu ändern, den nennen wir unzurechnungsfähig. Er ist ein Fall für die Medizin, nicht für den Strafvollzug. Es handelt sich m. E. um etwas ganz anderes als im Fall der Erziehung und Ausbildung, um etwas Grundsätzliches, bei dem die Humanität einer Gesellschaft überhaupt auf dem Spiel steht.

        Im Falle der Ausbildung kann man durchaus, wie Sie, fordern, daß man das Wissen um Wahrscheinlichkeiten des Erfolgs (mehr als Wahrscheinlichkeiten sind es nie, und die gelten immer nur unter bestimmten Bedingungen) „nutzen um Individuelle Schwächen auszugleichen bzw. Stärken zu fördern“. Wer zeigt, daß er in Mathematik sehr wahrscheinlich kein Meister werden wird, den soll man damit nicht quälen, auch wenn man nicht ausschließen kann, daß er es vielleicht doch noch wird. Er soll Dichter werden oder Maler, man sollte ihn von der Qual des Mathematikunterrichts befreien. Das fände immer meine Zustimmung.

        Aber ganz anders ist es im Falle des Verbrechens. Wer zurechnungsfähig ist, darf einfach nicht abgeschrieben werden, egal wie schwer es ihm fällt, gegen sei es durch Gene, sei es durch frühkindliche Umwelt festgezurrte Einstellungen anzukommen. Hier ist eine prinzipielle Scheidelinie. Wer da mit geringen Wahrscheinlichkeiten der Wiedereingliederung argumentiert, landet dort, wo man unter Stalin war: Es ist zwar nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich, daß ein Kulake sich ändert; Umerziehungsmaßnahmen belasten den Staatshaushalt, sie alle umzubringen ist billiger.

  17. Womöglich hätte Einstein schon vor Jahrzehnten gesagt,
    da ALLES WAS IST – ENERGIE IST (E=mc2)
    Glück ist ein energetischer Folge-Zustand von Worten die im Gehirn gespeichert sind.

    Meines Erachtens ist Glück das Zusammenspiel von energetischen, positivgeladenen Wort-Quanten (Phononen) welche auf der Bio-Festplatte “Unterbewusstsein” gespeichert sind – und demzufolge energetische Impulse auslösen, die wiederum Gen-Gruppen aktivieren, folgedessen Positiv-Hormone ausgelöst werden (z.B.: Dopamin, Serotonin, Endorphine) welche nun Geist und Körper fluten (befüllen).

    Negativ-Hormone (Adrenalin, Noadrenalin) sind bekanntlich die Ursache für die berühmte “Wut im Bauch”.

    Auf meiner Homepage berichte ich darüber.

    Wünsche allen Lesern nun noch einen angenehmen Tag,
    herzlichst Günter Gerstenberger

    • “Energie vergeht nicht, sie nimmt nur eine andere Form an” – der “Folgezustand” ist das wachsende Bewußtsein, für eine Realität “wie im Himmel all so auf Erden”. Das “Unterbewußtsein”, von dem wir alle im SELBEN Maß durchströmt sind, ist der Geist der “Gott” ist – die universelle Ordnung / Schöpfung mit Zentralbewußtsein und “göttlicher Sicherung” vor den Möglichkeiten im wirklich-wahrhaftig FREIEN WILLEN 🙂

  18. Das Thema ist ein Nebenschauplatz zur Ablenkung. Es ist zwar oben zu recht und gut kritisiert, es hat aber wie oben beschrieben wenig Relevanz für die Ralität, weil “Glück” in der Form vorgeschrieben ist, wie sie akzeptiert ist. Und das “Empfinden” von so etwas, wie Glück, man herstellen kann – nahezu gleich, welcherart Umgebungsvariablen hier bestehen.

    Heisst: Wenn einer nicht glücklich ist, deswegen aus der Welt fällt (und etwa kriminel wird oder anderweitig desintegriert), kann mit entsprechend unsichtbarer Methode dafür gesorgt werden, dass ein Subjekt sich mit dem für ihn verfügbaren (jedem das Seine!) von sich aus zufrieden gibt. Das “Glück” und sein “Empfinden” wird sich den Umgebungsbedingungen mit der Zeit anpassen – gerne auch angesichts eines drohenden Todes; man dann sich eben glücklich schätzen darf, dennoch am Leben zu sein – dann egal, was dabei so alles auf der Strecke der Emotionalität blieb. Man also erstmal umfänglich am Boden sein muß, damit man das einem zustehende/zugebilligte wenige zu schätzen weiß. Krankheit biete sich hier gut an – woraufhin das Glück der “Genesung” erst eine objektive Heilung des “Glücksproblems” und seiner Folgen herbeiführt.

    Weil solcherart Perspektiven nicht nur Perspektiven seien, sondern eben Realitäten, kann man über (derzeitige) Neurowissenschaften eigentlich nur folgendes sagen:
    Sie fischen in fremden Welten und teilen uns logischerweise für diese Welt die falschen Ergebnisse mit.

    Über Zwillingsstudien wird auch viel falsche Schlüsse gezogen – besonders, was die Genrelevanz bedingt, wenn es um Verhalten und Persönlichkeitsmerkmale geht.

    Gibt es eigentlich Verabredungen, wann denn wieder wer Belangloses und wirres zu emittieren hat? Das Volk will ja nun auch unterhalten werden…

  19. In den öffentlichen Diskussionen über “Hirnforschung” fehlt meist die Psychologie; da reden Biologen, Mediner und Philosophen. Doch die hier zur Debatte stehende “Hirnforschung” ist entweder Psychophysiologie (z.B. Bildgebung) oder Neuropsychologie – beide sind unbestritten Fachgebiete der Psychologie, näherhin der Biologischen Psychologie. Hierzu würde ich dann auch die Psychogenetik zählen wollen. (Denn in diesen Fächern werden nicht Physiologie und Genetik als solche vorangetrieben, sondern die bekannten Methoden werden im Hinblick auf ein besseres Verständnis des Psychischen verwendet.)

    Die Achillesferse der modernen “HIrnforschung” ist somit die Psychologie. Was fehlt ist eine überzeugende Philosophie der Psychologie bzw. des Psychischen überhaupt. Und das in Zeiten des Physikalismus!

    Machen wir uns nichts vor. Für wirklich wirklich halten wir heute nur noch, was wir durch die Brille des Physikers zu sehen bekommen – das sind aber nur wabernde Atomwolken. Im Beispiel der Zeit-Redakteurin bzw. des Satiriker-Duos fehlt daher eine weitere Reduktion: Nicht nur sind Entscheidungen und Taten von Tätern auf Neuronenaktivität zu reduzieren – es gibt so etwas wie Mord oder gar “Judenmord” überhaupt nicht mehr; wir reden hier nur noch vom “Schicksal” der Moleküle.

    Materialismus führt immer in Nihilismus, auch ethisch. Wir können ausgehend von empirischen Fakten wie die Naturwissenschaften sie liefern niemals zu Normen kommen. Moralisch relevante geistig-seelische Phänomene wie Motive, Schuld, Reue usw. verkommen hier zu Epiphänomenen oder Illusionen; denn sie haben für sich genommen keine Wirklichkeit.

    Die Naturwissenschaften sind überhaupt nicht das Problem; die Pseudo-Philosophie namens “Physikalimsus”, die man daraus machen will, ist das Problem. Denn nur sie glaubt, dass man die Lebenswelt von den naturwissenschaftlich beobachtbaren Fakten her vollständig rekonstruieren können muss, um ihr noch Wirklichkeit zuschreiben zu können – während jede gute Philosophie leicht erkennt, dass die naturwissenschaftliche Denkform eine Reduktionsform des ursprünglicheren lebensweltlichen und personalen Wirklichkeitsverhältnisses darstellt, welche ohne Zweifel ihren Rang und Platz im Leben der Menschen hat – die aber einfach nicht überzogen werden darf.

    Ja, wir sind im Begriff ein Verständnis des Normativen als Wirklichkeit zu verlieren. Das ist erstaunlich, weil die Naturwissenschaften als bisheriger Höhepunkt personaler Wirklichkeitsverhältnisse unter einer absoluten Wahrheitsforderung stehen, welche nicht erst noch empirisch begründet oder ermittelt werden könnte, sondern die umgekehrt die Möglichkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnis begründet.

    Die funktionellen und materiellen Grundlagen geistig-seelischer Phänomene naturwissenschaftlich zu erforschen ist etwas gänzlich anderes als diese wegzuerklären und ihnen philosophisch (und dann auch sozial und politisch) jede Wirklichkeit abzusprechen.

    • Wenn folgendes stimmt (Zitat)“Für wirklich wirklich halten wir heute nur noch, was wir durch die Brille des Physikers zu sehen bekommen – das sind aber nur wabernde Atomwolken.” dann haben Philosophie und Geisteswissenschaften eben vollkommen versagt. Die naturalistische, physikalistische Sicht ist nämlich eine vollkommene Gegenwelt zu der in deutschen Landen bevorzugten idealistischen und romantischen Sicht. Gerade deshalb sind physikalistische und Atom-rekuktionistische Sichten hier so erfolgreich, denn der deutsche Idealismus und Romantizismus ist in weiten Teilen wirklichkeitsfremd und Hirn- und Genforschung holen uns dann vermeintlich zurück in die “schmutzige” Realität.

      Dabei gibt es auch noch den empirischen Zugang zur Realität. Wenn man diesen verfolgt, wird man von Hirn- und Genforschung nicht sofort vom Feld gefegt, denn der empirische Ansatz hängt nicht an solch Scheinproblemen wie beispielsweise der “Willensfreiheit”, also der Freheit zu wollen, was man will. Ein empirisch orientierter Zeitgenosse, zum Beispiel ein typischer Brite, erkennt viel schneller, dass solche Frage wie die nach der Freiheit zu Wollen was man will letzlich unfruchtbare Gehirnverrenkungen sind. Auch Fragen wie die nach Schuld, Verantwortung und Sühne, die übrigens mit der Frage nach der Willensfreiheit zusammenhängen, bekommen in einer emprischen Betrachtung eine ganz andere Bedeutung. Empirisch ist beispielsweise belegt, dass ein sehr wichtiger Grund kein Verbrechen zu begehen, die Angst ist, erwischt zu werden. Die bessere Verbrechensaufklärung ist mit ein Grund dafür, dass hier in den westlichen Gesellschaften die Verbrechensrate gesunken ist. Das bedeutet nun einfach, dass die idealistische Vorstellung, der Mensch sei im Kern ein hochethisches Geschöpf, eben genau das ist: eine idealistische Vorstellung ist. Dass der Mensch allein von seinen Genen oder Trieben getrieben sei, wird andererseits gerade durch die Rationalität des potenziellen Verbrechers widerlegt. Diese Rationalität besteht in der Vorwegnahme der Zukunft und der Einsicht der möglichen Konsequenzen des eigenen Handelns.

      Die im obigen Artikel behandelten Formen eines simplen Atom-Reduktionismus sind im Prinzip nichts anderes als das völlige Gegenstück zu überzogenen idealistischen Weltvorstellungen. Beides kann einer Prüfung menschlicher Tatsachen und Verhälntisse nicht standhalten.

    • Ich glaube, ich kann Ihnen in allem zustimmen. In dem Zeit-Artikel und in meinem Kommentar ist das Fehlen der Psychologie zwar nicht angesprochen, aber etwas Entsprechendes: die fehlende „Amalgamierung“ mit sozialwissenschaftlichen Ergebnissen.

      Die(se) Sozialwissenschaften und ebenso die Psychologie sind empirische Wissenschaften. Aber so wie eine riesige Kluft besteht zwischen molekularen Vorgängen im Gehirn und Genom und den sozialen Phänomenen, die man etwa mit „Krieg“ oder „Kriminalität“ beschreibt, so auch zwischen solchen molekularen Vorgängen und psychischen Phänomenen, etwa Angst, Lust, Liebe. Das ist mit Sicherheit nicht nur ein Problem großer Komplexität, d. h. kein prinzipielles Problem für eine physikalistische Weltsicht, sondern eines, das sich wenn auch nur auf sehr lange Sicht wird bewältigen lassen. Vielmehr ist es eben doch ein grundsätzliches: was Angst „ist“, ist von außen nicht zugänglich, also für die Physik nicht zugänglich. Wer als Physiker (oder Biologe) Forschungen zu „Angst“ macht, setzt voraus, daß er ein Wissen durch „Introspektion“ davon hat, was Angst ist. Insofern sind Physik und Biologie hier unaufhebbar parasitär. Obwohl also Psychologie und Physik beides empirische Wissenschaften sind, setzt die Psychologie (von Schrumpfformen wie Behaviorismus abgesehen) eine Art der Empirie voraus, die der Physik (und der Biologie) grundsätzlich verschlossen sind und der sie sich grundsätzlich verschließen muß, wenn sie Physik Naturwissenschaften bleiben wollen.

      Dennoch: Auch Psychologie und Sozialforschung sind empirische Wissenschaften und zur Frage des Normativen haben sie keinen Zugang. Alles, was mit Ethik und ihren Voraussetzungen (Freiheit) zu tun hat, liegt jenseits aller empirischen Wissenschaft, egal welcher, und darum ist es doch in Ordnung, daß die für die Öffentlichkeit wichtigen Diskussionen hauptsächlich von Philosophen (und von Biologen, die auf dem Gebiet der Philosophie dilettieren) geführt werden: Im Kern ist das ihr Thema.

  20. Nichts gegen die hier webverwiesene Nachricht oder Kommentar, aber Zwillingsstudien sind schon interessant und der Klick auf ‘Die Wissenschaftler behaupten, in einer Untersuchung von 973 Zwillingspaaren herausgefunden zu haben, dass Gene einen beträchtlichen Einfluss darauf haben, ob Menschen in ihrem Leben glücklich sind.’ (in der verwiesenen Nachricht/Kommentar) führt leider nicht zum Gemeinten. [1]
    Wobei sich das Gemeinte der Schreiber dieser Zeilen auch gerne angeschaut hätte.

    MFG
    Dr. W

    [1] sondern hierhin: -> http://de.nachrichten.yahoo.com/