Zauberfrack und Kerkerlabyrinth

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Der Schweizer Schriftsteller Hermann Burger (1942-1989) hielt 1985 eine der bekannten Frankfurter Poetik-Vorlesungen. In dem daraus entstandenen Werkbericht "Die allmähliche Verfertigung der Idee beim Schreiben" finden sich etliche Nennungen des L-Motivs.

Aber zuvor möchte ich die Hintergrund-Geschichte erzählen, wie ich überhaupt an diese Zitate kam. So etwas ist ja manchmal interessanter als die Vordergrund-Geschichte. Also: Ende Mai besuchte ich in Grindelwald einen "Krimi-Workshop" des Berner Psychotherapeuten und Krimi-Autors Hansruedi Gehring (Rätselhafter Tod in Zähringen). Ich wollte wieder mal für mein eigenes Schreiben was dazulernen (hab ich auch, jede Menge – danke, Hansruedi). Der Seminarleiter empfahl u.a. als weiterführende Lektüre die hier gleich vorgestellte Poetik-Vorlesung von Hermann Burger. Das Taschenbuch ist längst vergriffen – aber über amazon bekam ich sofort ein antiquarisches Exemplar, das ich auch gleich las. Dass ich dabei auch auf Labyrinth-Bezüge stoßen wurde, hatte ich gar nicht im Sinn. Umso mehr habe ich mich natürlich über die reiche Beute gefreut. So ist das eben mit dem Spiel- und Sammeltrieb.

Die folgenden Zitate (alle aus Burger 1986) stellen drei völlig verschiedene Bezüge zum Motiv des Irrgartens her. Da ist einmal der Frack eines Zauberkünstlers, dann (dreimal) das unterirdische Yrrinthos im Inneren eines Berges resp. als Kerkerlabyrinth und schließlich noch der Wirrwarr der Hörsäle in einer Hochschule.  Hier also die Zitate:

Zudem trägt der Zauberkünstler einen vertrackt ausstaffierten Frackanzug mit verborgenen Innentaschen an den Schößen, mit Servanten und Pochetten. Das Futter seiner Galauniform ist ein Labyrinth von geheimen Schlupfwinkeln. (S. 65)

Bei einer Lesung in Klagenfurt aus dem Roman Die künstliche Mutter wollen alle von mir wissen, was sich im Stollenlabyrinth des Gotthards abspiele. (S. 72) 

Als ich vor Jahren in München den Faust II auf der Bühne sah, kriegte ich Schüttelfrost bei der Mütter-Szene und mußte das Theater verlassen. Während Faust die Helena in diesem Hades-Trip hervorbringt, ist [meine Romanfigur] Schöllkopf nur mit Hilfe einer Helena fähig, den Gang in sein Kerkerlabyrinth zu überstehen. (S. 90)

Es mag mit meinem Architektur-Studium zusammenhängen, dass jeder Romanteil auch durch zentrale Bauwerke repräsentiert wird. Dem Labyrinth der Lehrsäle und Stichtonnengewölbe der Eidgenössischen Technischen Universität im Anfangskapitel entspricht der Heilstollenkomplex im vierten Teil, dort Granit, hier Granit. (S. 95)

Die Nuß der Erzählung muss immer auf wenige Sätze zu bringen sein. Ein Patient sucht Heilung von der Unterleibsmigräne im Stollenlabyrinth des Gotthard und explodiert nach vorzeitig abgebrochene Therapie wie eine Doppelrakete im Tessin.  Schreiben als Existenzform heißt, die komplementären Erfindungen suchen zu diesem Leben, das als Rohfassung nicht genügt. Entscheidend ist der Spieltrieb. (S. 105)

Quellen:
Burger, Hermann: Schilten. Schulbericht zuhanden der Inspektorenkonferenz. Zürich 1976 (Artemis)
ders.: Diabelli. Erzählungen. Frankfurt am Main 1979  (S. Fischer)
ders.: Die Künstliche Mutter. Roman. Frankfurt am Main 1982 (S. Fischer)
ders.: Die allmähliche Verfertigung der Idee beim Schreiben. Frankfurter Poetik-Vorlesung. Frankfurt am Main 1986 (S. Fischer)

Gehring, Hansruedi: Rätselhafter Tod in Zähringen. Zürich 2001 (Orte Verlag)
ders.: Website für Seminare: seminar11 

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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