Tauchglocke am Drucklabyrinth
BLOG: Labyrinth des Schreibens
Ich habe lange keinen Beitrag für diesen Blog geschrieben, weil mir große Zweifel an seinem Sinn gekommen waren. Ich könnte jeden Tag…
… einen Artikel in einer Zeitschrift oder einem Buch finden und hier zitieren, der in irgendeiner Form auf das Labyrinth-Thema und seine vielfältigen Aspekte nimmt oder in dem auf den geradezu sprichwörtlichen Roten Faden Bezug genommen wird.
Aber was bringt das?
Im Grunde läuft das auf nichts anderes hinaus, könnte man kritisch einwenden, als auf den immer wieder neuen Beweis, dass das Labyrinth-Thema eben allgegenwärtig ist (nahezu eine Trivialität) – oder auf ein Kuriositäten-Kabinett. Oder auf beides.
Gut. Für beides also hier, nach langer Pause von (zwei) Monaten wieder mal ein Beleg:
a) für die Allgegenwärtigkeit des Labyrinth-Themas und
b) für das dadurch sich öffnende und ständig erweiternde Kuriositäten-Kabinett.
Vorhang auf also für:
Die Klempner am Meeresgrund
So also müssen sich Astronauten fühlen: eingepfercht in einer engen Röhre, hermetisch abgeschlossen von der Außenwelt, am Leben gehalten durch eine komplexe Maschinerie. Tief im Bauch der Skandi Arctic, eines stolzen rotlackierten Schiffes, lebt ein Dutzend Männer unter genau diesen Bedingungen. Verglichen mit Astronauten haben die eingesperrten Seefahrer allerdings einen großen Vorteil: Sie dürfen einmal am Tag vor die Tür. Wobei das in ihrem Fall bedeutet: Sie dürfen einen Ausflug zum Meeresgrund unternehmen.
Die Skandi Arctic gilt als das modernste Tauchschiff der Welt, dafür gebaut, um Taucheinsätze in bis zu 180 Metern Tiefe möglich zu machen. Dort ist der Druck des Wassers so groß, dass das menschliche Blut beim schnellen Auftauchen sofort Blasen werfen würde – ganz so, wie eine zu stark geschüttelte Sprudelflasche.
Deshalb leben die Taucher an Bord der Skandi Arctic wochenlang unter dem Druck, der auch am Meeresboden herrscht. Deshalb stecken sie in engen Röhren, deshalb hausen sie wie Astronauten. „Ohne diese Druckkammern würden wir mehr Zeit mit der Dekompression als mit der eigentlichen Arbeit verbringen”, sagt [Projektleiter] Nakkestad.
Die Techniker, Taucher und Ingenieure sind zuständig für die Montage und Reparatur von Ölipipelines – derzeit 89 Röhrensysteme mit insgesamt 12 800 Kilometern Länge. Die Lebensumstände der Arbeitskräfte über und unter Wasser sind dementsprechend. Ich denke, diesem ausführlichen Zitat muss man nichts weiter hinzufügen: Labyrinthe sind immer und überall (um den Titel eines alten Songs der Ersten Allgemeinen Verunsicherung aus den 1980er Jahren abzuwandeln):
Wie eine kleine Raumstation sieht deren Quartier an Bord der Skandi Arctic aus. Es besteht aus vier Büchsen, die jeweils von drei Tauchern bewohnt werden. Untereinander verbunden sind die Kammern durch ein Labyrinth aus Tunneln und Luken, Ein Gewirr von Leitungen, Pumpen, Ventilen garantiert den konstanten Überdruck.
Hinzu kommen zwei Dekompressionskammern, deren Druck langsam an die Umgebung angepasst werden kann. Pro Tag darf er maximal so stark sinken, als würden die Männer um 21 Meter auftauchen. An einen schnelleren Druckabbau ist aus Gesundheitsgründen nicht zu denken, nicht einmal im Notfall.
Deshalb sind zwei grellrote Überdruck-Rettungsboote an das Labyrinth angeschlossen, zu erreichen über ein Schott in der Toilette. […]
Für die Ingenieure und Taucher an Bord der Skandi Arctic spielt all das keine Rolle. Für sie ist das Schweißen nur ein weiterer Auftrag – allerdings einer mit völlig neuen Dimensionen: Bislang sind sie nur zu Pipelines mit einem Durchmesser von 44 Zoll hinabgetaucht. Die Nord-Stream-Stränge messen aber 48 Zoll, also gut 120 Zentimeter. Fast alle Maschinen, die die Röhren heben, schneiden, schweißen sollen, mussten um- oder neu gebaut werden. Jetzt stehen sie an der Kaimauer von Haugesund, fertig zum Verladen. Sie sehen ein bisschen aus wie die Kampfroboter aus den StarWars-Filmen: Links und rechts haben die Maschinen zwei massive Füße, dazwischen hängt an einem Querbalken eine gigantische Greifzange. Über Hydraulikzyliinder kann der Greifer nach oben und zur Seite bewegt werden. Bald soll er am Grund der Ostsee die Enden der beiden Pipelines schnappen und in die passende Position fürs Schweißen bringen.
[Im Notfall] müssen allerdings die Taucher ihre engen Quartiere im Bauch der Skandi Arctic verlassen. Sie werden nach der Toilette nicht nach rechts, Richtung Rettungsboot, abbiegen, sondern nach oben. Dort ist eine Tauchglocke ans Drucklabyrinth angeschlossen, Mit einer Größe von sieben Kubikmetern fällt sie nur unwesentlich geräumiger aus als die Apollo-Kapsel, in der die ersten Mondfahrer ausharren mussten. Die Glocke wird die Taucher zum Meeresgrund bringen, wo bereits zwei Roboter auf die Männer warten […]
Quelle:
Stirn, Alexander: „Klempner am Meeresgrund“. In: Südd. Zeitung Nr. 115 vom 19. Mai 2011, Feuilleton, S. 16