Starke Frauen im antiken Griechenland

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Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Eine sehr sehenswerte Ausstellung wurde Anfang Juni in der Münchner Antikensammlung am Königsplatz eröffnet: "Starke Frauen". Darin wimmelt es nur so von Anspielungen auf die Labyrinth-Sage.

Im sehr liebevoll und üppig bebilderten Katalog findet man ein Zitat am anderen, vor allem in den Kurz-Portraits von Elisabeth Wünsche-Werdenhausen. Man wird fündig zu Theseus´ Affaire mit der Amazonenkönigen Antiope (S. 177 – s. auch unten Abb. 2), den Raub der Europa durch Zeus (S. 323), Medea (S. 291) und zu manch anderen Bezügen und Anspielungen auf das L-Motiv. Demonstrieren möchte ich das mit einer sehr kraftvollen Vasenmalerei, welche Theseus in dem Augenblick darstellt, als er den Minotauros tötet:


Abb. 1: Theseus tötet den Minotauros – links ist vermutlich Ariadne zu ahnen (Staatliche Antikensammlung München / Foto jvs)

Auch über Ariadne gibt es natürlich ein eigenes Kurzportrait. Florian S. Knauß versieht es allerdings mit einem Fragezeichen, das ich nicht nachvollziehen kann: "Ariadne- eine starke Frau?" (S. 294). Er begründet dieses Fragezeichen folgendermaßen:

Wie die kolchische Königstochter [Medea] stellt sie sich gegen die eigene Familie und leistet Beihilfe zur Ermordung ihres Halbbruders Minotaurus. Doch anschließend verhält sie sich wieder so, wie man es von einer Frau erwartete: Als sie auf der Fahrt nach Athen auf Naxos sitzen gelassen wird, sinnt sie nicht auf Rache an dem notorischen Weiberhelden [Theseus]. Weitgehend widerstandslos fügt sie sich in die weibliche Opferrolle. So kann Ariadne im [modernen Verständnis] nicht wirklich als stark gelten.

Das sehe ich völlig anders. Es bedarf einer weit größeren (Ich-) Stärke, sich nicht der Rache zu überlassen, sondern zu verzeihen und den Verlust kreativ zu verarbeiten. Deshalb fügt man sich noch lange nicht in die Rolle eines Opfers. Dafür spricht auch die zweite tradierte Variante von Ariadnes Schicksal, demzufolge sie ja lange vor ihrer Affaire mit Theseus dem Gott Dionysos versprochen war, dessen Priesterin sie dann auf Naxos wurde. Warum sonst hätten sie die Griechen der Antike als eigenes Sternbild Diadem (oder Krone) an den Himmel versetzt – wenn nicht wegen ihrer Stärke?

Ariadne findet man im Ausstellungskatalog übrigens auch noch an einer Stelle, wo ich sie am allerwenigsten vermutet hätte: im Hades. Dort begegnet ihr Odysseus auf seiner langen Reise. Im 12. Gesang der Odyssee vermeldet Homer (in den Worten des listigen Helden) folgende Variante von Ariadnes Schicksal:

Und Phaidra und Prokris sah ich und die schöne Ariadne, die Tochter des bös gesonnenen Minos, die voreinst Theseus von Kreta her zum Hügel Athens, des heiligen, führen wollte, doch hatte er keinen Gewinn davon. Denn vorher tötete sie Artemis auf der umströmten Dië [d.i. Naxos] auf des Dionysos Zeugnis hin.


Abb. 2: Theseus (hinten) und die Amazone Antiope (Staatliche Antikensammlung München / Foto jvs)

In der Ausstellung steht auch eine Doppelstatue des athenischen Helden Theseus und der Amazone Antiope. Obgleich die Skulptur ziemlich demoliert ist (benagt vom Zahn der Zeit oder von christlich-prüdem Vandalismus?), strahlt sie auch heute noch etwas von der Beziehung aus. Im Katalog heißt es dazu im 12. Kapitel "Eine Liebesgeschichte: Antiope und Theseus" (S. 177):

Aus der Beziehung von Antiope und Theseus geht Hippolytos hervor, der später durch Verleumdung seiner Stiefmutter Phädra ums Leben kommen wird – ein mythischer Stoff, der nach Behandlungen durch Euripides oder Racine jüngst Hans Werner Henze musikalisch wieder mit neuem Leben erfüllt hat.

(Zu H.W. Henze siehe den Schluss meinen Monats-Rückblick vom Mai: Yrrintische Nachlese.)

Eine wirklich "starke" Frau hat man in der Ausstellung leider vergessen: Lysistrata, die ihre Leidensgenossinen zu einem Sex-Streik animieren konnte, um die Männer von ihren Kriegsspielen heimzulocken. Aber sonst macht die Sammlung einer sehr perfekten Eindruck.

Die Ausrichtung von Ausstellung und Katalog ist Prof. Raimund Wünsche zu verdanken, dem Direktor von Staatlicher Antikensammlung und Glyptothek. Aus seiner Einführung im Ausstellungs-Katalog (S. 10) möchte ich noch einen indirekten Bezug zum Labyrinth-Thema durch die Stiefmutter von Theseus herstellen (die den Helden beinahe auch noch mit vergiftetem Wein umgebracht hätte):

Die griechische Mythologie kennt [jedoch auch] starke Frauen von mörderischer Stärke wie Klytemnestra und Medea, die sich durch ihre tragische Geschichte gezwungen fühlen zu töten.

Die Ausstellung wurde am 4. Juni 2008 eröffnet und dauert bis 2. August 2009 (nicht 2008, wie in der Süddeutschen zu lesen war).

Quellen:
Homer: Odyssee (Übersetzung: Wolfgang Schadewaldt). (1958) Reinbek Aug 1960 (Rowohlts Klassiker)
Podak, Klaus: "Siegreicher Schrecken". In: Südd. Zeitung vom 5. Juni 2008
Wünsche, Raimund (Hrsg.): Starke Frauen. München 2008 (Staatliche Antikensammlung und Glyptothek)

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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