Spiel mit dem Zufall 1: OH-Karten

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Der Zufall spielt im Leben eine große Rolle. Denken Sie nur daran, wie Ihre Eltern sich kennengelernt haben – wodurch wohl eher rein zufällig auch Sie selbst entstanden sind.

Jeder Lotto-Millionär kann ein frohes Lied von Unwahrscheinlichkeit und Zufall singen (jedenfalls solange er seine Million noch hat). Auch in der Kunst, der Literatur und der Wissenschaft ist unverzichtbar, was man als kreativen Zufall bezeichnen könnte. Dies half zum Beispiel 1928 Alexander Fleming bei der Entdeckung des Penicillins. Und was wäre die Erfolgsquote der Polizei bei Gewaltverbrechen wie Mord ohne die Hilfe des “Kommissar Zufall”?

Als Schriftsteller wünscht man sich ein Werkzeug, mit dem man diesem kreativen Zufall ein wenig nachhelfen könnte. Vor etlichen Jahren (im Frühjahr 1990) brachte ein Kursteilnehmer zufällig (!) ein Kartenspiel in eines meiner Schreib-Seminare mit, das genau das tut: dem Zufall auf spielerische und stets verblüffende (also doppelt wirksame) Weise nachzuhelfen. Dies ist geradezu ein Zaubermittel, wenn man mal an einer Schreibblockade leidet!

 

Ausruf des Staunens: “Oh” 

Diese “OH-Karten” (so benannt nach dem Ausruf des Staunens: „Oh!“) bestehen aus zwei verschiedenen Decks:
° aus einem Kartensatz mit Bildern (Aquarellen), die bewusst mehrdeutig gemalt sind, um der Fantasie viel Raum zu lassen;
° und aus einem weiteren Satz Karten mit Wörtern wie VATER, HASSEN, WARTEN, VERLEGENHEIT.

Wie man schon an den genannten Begriffen sieht, handelt es sich um Reizwörter, die psychodynamisch gewissermaßen aufgeladen sind, ähnlich wie bei manchen Persönlichkeit-Tests.

Wenn man mit den Karten arbeitet, zieht man am besten aus den beiden Decks je eine Karte, und zwar verdeckt, so dass man nicht gleich erkennt, was man da gezogen hat. Ein Beispiel sehen Sie in Abb. 1. Es ist zusammengesetzt aus der Wort-Karte “BOSS” und der Bild-Karte “Labyrinth”.

 Abb. 1: Wort und Bild aus den OH/SAGA-Karten (courtesy OH-Verlag)

Diese beiden Kartendecks zeigen also wieder einmal, wie präsent das Labyrinth-Motiv in unserer Kultur in allen möglichen Aspekten ist. Die Bild-Karte von Abb. 1 stammt aus einem die OH-Karten ergänzenden Karten-Deck, das man zusammen mit den Wörtern der OH-Karten verwenden kann: den SAGA-Karten. Diese enthalten vor allem Märchenmotive, ähnlich wie ein drittes Deck mit Namen MYTHOS eben mythologische Bild-Motive anbietet.

Während ich dies notiere, sitze ich in einem Schreibseminar, das ich jedes Jahr Anfang August zusammen mit meiner Frau anbiete: die Große Sommer-Schreibwerkstatt. Mit mir im Raum sitzen zwölf Frauen und Männer, die gerade genau wie ich verdeckt je ein Wort und ein Bild aus dem Karten-Deck gezogen haben. Leise Meditationsmusik ertönt. Wir schauen unsere Karten an, schließen ein paar Minuten die Augen und lassen wirken, was wir auf den Karen gesehen haben.

Ich bin immer wieder verblüfft, wie diese Karten passen – so als befrage man ein Orakel und bekomme durch Wort und Bild eine Antwort; diese muss man dann natürlich erst einmal interpretieren. Das Wort, das ich diesmal gezogen habe, lautet BOSS. Und das Bild (aus dem SAGA-Deck) ist das Labyrinth, das Sie auf Abb. 1 sehen. Dazu fällt mir sofort ein: Ich wollte ja ohnehin bald wieder einen Beitrag für den Labyrinth-Blog schreiben. Die (wie gesagt: verdeckt, also blind) gezogene Abbildung hat meine Gedanken in Richtung dieses geplanten Beitrags sofort in Gang gebracht. Passender Zufall.

Zufall auch, dass in diesem Seminar ich als Leiter der BOSS bin (wenn auch gemeinsam mit meiner Frau).

Um eine zornige Abrechnung mit einem (unfähigen) BOSS ging es – wieder rein zufällig – in der eMail, die ich kurz vor der aktuellen Sitzung des Seminars an diesem Morgen zugeschickt bekam. Der Zusender will dem Chef der Firma, für die er zur Zeit arbeitet und den er für sehr inkompetent hält, endlich mal die Meinung über seine Inkompetenz mitteilen und notfalls kündigen.

„BOSS werden“ – das ist nicht zuletzt auch ein zentrales Themas eines Romans, an dem ich seit vielen Jahren arbeitet. Er handelt von einem angestellten Journalisten, der wegen angeblicher Inkompetenz seinen Job verliert und sich deshalb auf eine lange Reise machen muss, die ihn in die berufliche und vor allem persönliche Selbstständigkeit führen wird. Die ihn also zum BOSS macht. (In dieser Deutlichkeit, wie ihn mir da die aktuelle Anregung der OH- und SAGA-Karten vor Augen führte, habe ich den Plot meines Romans noch nie gesehen!) Klar auch, dass – nun allerdings gar nicht zufällig – in meinem Roman das Labyrinth-Motiv eine zentrale Rolle spielt.

In dem MYTHOS-Deck ist übrigens auch der Minotauros vertreten – s. Abb. 2.

Abb. 2: Minotauros aus dem SAGA-Kartendeck (courtesy OH-Verlag)

 

Ein weiteres Beispiel, das Labyrinth-Geschichte und Zufall auf wirklich eigenartige Weise zusammenbringt, stelle ich im nächsten Beitrag vor: Spiel mit dem Zufall 2 

(Wer mehr über diese Karten des kanadischen Malers Ely Raman erfahren möchte, wird fündig in dem Buch Erdbeeren vor dem Fenster von Waltraud Kirschke. Bestellen kann man das Buch und die OH-Karten sowie ähnliche Decks direkt beim Vertrieb von Moritz Egetmeyer: “OH Verlag”, Postfach 1251 _ D-79196 Kirchzarten _ web-Adresse: OH-Karten )

Quelle:
Kirschke, Waltraud: Erdbeeren vor dem Fenster. Kirchzarten 1997 (OH Verlag)

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

1 Kommentar

  1. Spiel mit dem Zufall – OH-Karten

    Es ist immer wieder faszinierend, auch im Web Erfahrungen mit den OH- Karten und den anderen Karten des Genres zu entdecken! Unser Leben wird reich, wenn wir dem kreativen Zufall einen Platz darin einräumen… Und ich finde es toll, dass diese Erkenntnis sich immer weiter verbreitet. Danke an alle, die sich entschieden haben, nicht in den ewig gleichen Bahnen zu denken, sondern sich zu neuen Denkwegen herausfordern zu lassen! Dafür sind die assoziativen Kartenspiele ein besonders gutes Werkzeug.
    Übrigens bin ich immer auf der Suche nach neuen Erfahrungsberichten mit OH. Das Buch “Erdbeeren vor dem Fenster” (mittlerweile auch in Englisch, Hebräisch und Französich erschienen) wächst mit den Erfahrungen aller OH-Karten-Benutzer weltweit mit…. mit jeder neuen Auflage kommen neue Erfahrungsberichte dazu….

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