Spenden – oder Spenden beenden?

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Von 32 Grad Celsius im Schatten runter auf 16 Grad. Draußen rauscht gerade, passenderweise, ein Wasserfall vom Himmel, wieder einmal. Erneut werden die Dämme überlaufen oder durchbrechen. Ein paar ketzerische Gedanken im Gefolge der aktuellen Wetterkapriolen und

… über kommende Hochwasser und was das Schreiben damit zu tun hat.

Auslöser dieser Gedanken ist eine E-Mail, die mir dieser Tage zugestellt wurde mit der Bitte, für die Hochwassergeschädigten entlang der Donau Geld zu spenden. Besonders die 1500 Bewohner des Ortsteils Fischerstadt bei Deggendorf hat es so schlimm getroffen, dass sie alle ihre Häuser verlassen und in Notquartiere umziehen mussten. Man kann sich vorstellen, wie es in diesen – teilweise bis in die zweite Etage – überfluteten Häusern aussehen mag. Was für Schäden da entstanden sind. Wie sich da die neuen finanziellen Belastungen und Schulden zu denen aus den noch nicht erledigten Belastungen der Überschwemmung(en) einige Jahre früher gesellen. Wie da Heimaten, Lebensentwürfe, Zukunftspläne zerstört wurden.

Nun, diese Katastrophe passiert ja nicht zum ersten Mal, nicht nur entlang der Donau, sondern auch entlang der anderen großen Ströme und ihrer Zuflüsse, vor allem an Elbe und Rhein, an Main und Mosel. Ketzerische Frage: Wie lange wird man mit wie vielen Milliarden €uros diese Schäden noch ausgleichen können? Wie lange werden die Steuerzahler dies noch wollen? Wann werden sie aufbegehren und endlich hinterfragen, ob es wirklich so weitergehen soll mit dieser klammheimlichen Subventionierung von lokalen Partikularinteressen und privater Gier (die immer neue Häuser baut)? Diese führen immer stärker und absehbar hierzu:

° Versiegelung von gigantischen landwirtschaftlichen Flächen, die früher mühelos die Wasserfluten auffangen konnten;
° Zerstörung der Auenwälder, die die gleiche Funktion hatten;
° Begradigung der Flüsse und ihre Eindeichung, die das Tempo der Wasserfluten erhöhen, statt sie abzubremsen.

Muss da nicht endlich von Staats wegen ein gewaltiges “Stop!” kommen, und sei es in Form der schon lange geforderten Zwangsversicherung für alle Anwohner gefährdeter Gebiete? Der von der Bundesregierung eingerichtete Hilfsfonds für die Opfer der Juni-Hochwasser wird acht Milliarden €uro umfassen (SZ vom 25. Juni 2013); man darf ruhig annehmen, dass die Geschädigten insgesamt zusätzlich noch die eine oder andere Milliarde schultern werden müssen.

Nur nebenbei: “Taktvolles Schweigen” übertitelte Lukas Meyer-Blankenburg einen Artikel über die finanzielle Seite der Aufräumarbeiten – “aber über das Geschäft mit dem Aufbau will niemand reden”.

 

Was vor Jahrtausenden schon den Ägyptern mit ihrem Nil gelungen ist

Sind wir wirklich nicht zu etwas in der Lage, was vor Jahrtausenden schon den Ägyptern mit ihrem Nil gelungen ist: den steten Wechsel der Wasserstände mit einer stetig steigenden Bevölkerung in Einklang zu bringen?

Wenn ich im Fernsehen eine alte Frau weinen sehe, deren Zuhause schon zum dritten Mal in diesem neuen Jahrhundert total zerstört wurde, dann tut mir diese Frau natürlich leid und ich möchte ihr helfen. Aber gleichzeitig denke ich mir: Wie dumm, nein: wie uneinsichtig kann jemand sein, der im Wissen um solche Abläufe an so einem Wohnort kleben bleibt? Ich würde schleunigst wegziehen – spätestens nach dem dritten Desaster dieser Art.

° Da wir so etwas wie Monsunwetter à la Indien und Indonesien zu bekommen scheinen (so die langfristigen Wetterprognosen);
° da der Spiegel der Weltmeere langsam aber stetig steigt und entsprechend immer größere Küstengebiete immer wieder überflutet werden;
° und nachdem die Zahl der Menschen unablässig ebenso steigt –

– kann doch ein Schulkind an den Fingern seiner Hand ablesen, wohin dies führen wird! Beate Jessel, amtierende Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, macht folgende Rechnung auf:

Jessel: Wir haben das am Beispiel der Elbe überschlagen, Entlastung von Kläranlagen; Erholungswert, eingesparte Schadenskosten. Der volkswirtschaftliche Gewinn bei einer Rückverlegung von Deichen beträgt das Dreifache der Kosten. Wo Auen renaturiert werden, da gehen nicht Werte verloren, da werden neue Werte geschaffen.

SZ: Irgendwie klingt die ganze Debatte sehr vertraut. Kann es sein, dass es die gleiche ist wie bei den letzten Hochwassern?

Jessel: Leider ja. Unsere Appelle sind haargenau die gleichen wie bei den letzten Hochwassern. Natürlich muss man den Betroffenen sehr kurzfristig helfen, nur darf dabei nicht das langfristige Ziel des vorbeugenden Schutzes aus den Augen geraten. Das betrifft übrigens das gesamte Einzugsgebiet. Nehmen Sie die Versiegelung: Da gibt es seit langem eine schöne Zielmarke, nach der nicht mehr als 30 Hektar Land zugebaut werden dürfen, am Tag! Tatsächlich aber sind es momentan 75 Hektar. Und was nicht versickern kann, fließt eben ab.

So gipfeln diese Überlegungen in meiner, zugegeben: sehr überspitzten Formulierung des Titels dieses Beitrags: Spenden – oder (die ständige Subventionierung durch den Steuerzahler) beenden?

Nun, ich bin weder Wetterfrosch noch Klimaforscher noch Experte für Hochwassergefahren. Doch ich lese die Zeitung, und ich kann, wie ein Schulkind, Eins und Eins zusammenzählen. Sollen sich andere um das nötige Forschen und Handeln in dieser Hinsicht kümmern. Mich interessiert in diesem Blog vorrangig, was all dies mit Schreiben zu tun hat. Und da lande ich weit in der Vergangenheit und sehe hochinteressante Zusammenhänge: Ich habe den Verdacht, dass die Wasserkatastrophen jener frühen Epoche gewissermaßen die Geburtshelfer des Schreibens geworden sind. Oder umgekehrt formuliert: Wenn man das, was in Jahrhunderten und Jahrtausenden über solche Flutkatastrophen aufgeschrieben wurde, richtig lesen würde, könnte man wahrscheinlich anders und sinnvoller damit umgehen. Aber mit dem Lesen und Schreiben ist das so eine Sache. Was wir da in der Schule lernen (und auch auf den Universitäten), ist offenbar sehr ungenügend.

Soweit die naive Deutung solcher Geschehnisse. Aber letztlich geht es um politische Entscheidungen, die ganz oben getroffen werden müssen – die jedoch mit wirtschaftlichen Konsequenzen ganz unten im Volk kollidieren. Wobei die einfachen Schicksale der betroffenen Menschen letztlich überhaupt keine Rolle spielen – von unmittelbarer Nachbarschaftshilfe und der Spendenbereitschaft der übrigen Bevölkerung einmal abgesehen. Obwohl es ja eigentlich genau umgekehrt sein sollte. Letztlich ist es wie im Krieg mit der Triage: Man hilft dort, wo es sinnvoll ist. Die anderen lässt man sterben respektive absaufen.

(Forts. folgt)

Quelle
Anonymos: “Kabinett billigt Fonds für Hochwasser-Opfer”. In: Südd. Zeitung Nr. 144 vom 25. Juni 2013, S. 05
Jessel, Beate (Interview mit der Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz): “Gebt den Flüssen mehr Raum”. In: Südd. Zeitung Nr. 134 vom 13. Juni 2013, S. 10
Meyer-Blankenburg, Lukas: “Taktvolles Schweigen”.
In: Südd. Zeitung Nr. 144 vom 25. Juni 2013, S. R15

# 259 / 1626 SciLogs  / 922 JvS /  Aktualisierung: 30. Juli 2013/16:59  / v 2-1

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

8 Kommentare

  1. Borniert

    Leider ein Grundmuster im Umgang mit ökologischen Themen – kein Wille zur Anpassung , aber ständig über die Folgen jammern.
    Und am besten noch blöd daherreden über “diese Ökos”.

  2. Man schreibt

    Ich habe den Verdacht, dass die Wasserkatastrophen jener frühen Epoche gewissermaßen die Geburtshelfer des Schreibens geworden sind.

    … was passiert ist, was passieren könnte und was nicht passiert ist, eine wie auch immer angenommene Kausalität zugrunde legend. Das Meta, die Prognosis oder das Mathematisch-wissenschaftliche anzunehmend sozusagen.

    So ist der Primat halt.

    MFG
    Dr. W

  3. Das sagt sich leicht.

    Klar sind Vorschläge wie “zieht doch einfach weg” schnell gemacht und genauso wohlfeil wie das entrüstete “selbst schuld, wer bleibt”.

    Ich möchte nur mal Folgendes zu bedenken geben: Der deutsche Staat sorgt mit seiner Baupolitik bewußt für hohe Grundstücks- und Häuserpreise. Wer unter diesen Umständen ans Herz gelegt bekommt, dass er doch bitte seinen teuer bezahlten Grund und Boden räumen möge, weil die Gemeinde den als Polder benötigen würde, der wird faktisch kalt bzw. nass enteignet und gleich doppelt in den Hintern getreten.

  4. Spenden – oder…

    Danke, du sprichst mir aus der Seele! Leider wird die postfluviale Demenz der Verantwortlichen eine effektive Vorsorge wieder minimieren. Wer bestellt eigentlich immer die Flut kurz vor der Wahl?

  5. Dies ist eine schwierige Situation

    Der Lauf der Zeit bringt eine Modernisierung mit. Doch auch ich empfinde, dass eine modernere Welt nicht gleich “schlauer” ist. Denn eigentlich genau das Gegenteil ist der Fall.

    Das Beispiel mit dem Nil lässt sich doch auch in andere Situationen einbringen: Während man damals noch Wertgegenstände repariert hat, werden diese heute in der “Wegwerfgesellschaft” einfach nur noch ausgetauscht. Was damals mühevolle Handarbeit war, wird heute von Computern übernommen.

    Während die Technologie also Fortschritte erziehlt, geht das Wissen eines einzelnen Menschen eher zurück.

    Damals konnten riesige – noch heute existenten – Bauwerke errichtet werden. Heutzutage schaffen es einige “Experten” nichtmals mehr, simple Häuser zu konzipieren und anschließend zu bauen.

    Aber gab es das gleiche Problem mit der “Vorhersage” nicht bereits bei der Flutkatastrophe in Japan? Ich meine doch, schon vor langer Zeit wurde auch davor gewarnt…

    Grüße

  6. Hochrisikozonen ziehen Menschen an

    Das Hurrikanrisiko hat in den USA in den lezten Jahrzehnten massiv zugenommen – nicht etwa, weil es mehr Hurrikane gibt, sondern weil die gefährdeten Küstenregionen immer mehr Leute anlocken und sie die herrliche Meersicht samt den vielen Freizeitgestaltungsmöglichkeiten wie Schwimmen, Tauchen, Bootsausflüge dazu verleitet haben ihr Haus nah an der Küste zu bauen.
    Flussufer sind ebenfalls viel attraktiver als Wohnzone als es irgend ein Fleck mittem im platten Land je sein könnte. Auch die Los Angeles Times berichtet über den zunehmenden Hausbau in brandgefährdeten Gegenden. Einer der beiden Kontrahenten in der Diskussion ob man dies erlauben sollte oder nicht schreibt:
    “The free market works, but only to a point .. Restrictive building codes and zoning laws do restrict some property rights — but they also define other property responsibilities and may reduce the number of neighbor vs. neighbor lawsuits. From my perch in Northern California, I see San Diego as a case of fairly loose regulations that allow homes to be built all across the landscape, and Los Angeles as a case of fairly strict regulations and a much smaller percentage of homes in fire-prone areas”

    Beim Abwägen zwischen dem Gewinn durch die höhere Attraktivität des Wohnens in Risikozonen und den Gefahren, die damit verbunden sind, sollte man die Schadenskosten richtig verteilen. Wer ein höheres Risiko eingeht sollte dieses Risiko auch tragen können, ja es sogar tragen müssen. Es ist nicht einzusehen warum die Allgemeinheit ein Risiko mitfinanzieren soll, dass Leute eingehen, die sich nicht um das Risiko kümmern.

    Das ist ein allgemeiner Grundsatz und gilt auch auf anderen Gebieten. Warum sollen die Steuerzahler die Risiken der Banken tragen? Um einen zu grossen unmittelbaren Schaden abzuwenden kann das nötig werden. Doch in diesem Fall muss das System so umkonstruiert werden, dass die Wahrscheinlichkeit von Grosschäden abnimmt. Im Fall von Flutschäden sollte das Bauen in flutgefährdeten Gebieten zurückgehen und bei den Banken sollten risikobehaftete Geschäfte weniger attraktiv gemacht werden oder mit einer Versicherungspflicht verbunden sein.

  7. Alles Jacke wie Hose oder was?

    Die Donau wurde trotz massiver Proteste der Anrainer immer mehr begradigt und ausgebaggert, die Auen verschwanden. Schließlich ist sie eine profitable Wasserstraße auf der Güter aller Art transportiert werden. Erst im Februar dieses Jahres wurde ein weiterer Ausbau beschlossen, damit Schiffe auch bei niedrigem Wasserstand auf der Donau fahren können. Den Hochwasserschutz sah man anscheinend als nicht so dringlich an, er sollte später in Angriff genommen werden. Allerdings weiß man nicht, ob die Planungen überhaupt ausgereicht hätten, denn es wurden viele Gebiete überschwemmt, die vorher noch nie vom Hochwasser betroffen waren. Zudem sind in Zeiten des Klimawandels nicht nur große Flüsse ein Problem. Vielerorts verwandeln sich bei Starkregen auch kleine Bäche in gefährliche Sturzfluten, die in kurzer Zeit ganze Dörfer überschwemmen. Hier ein Beispiel:

    http://www.meinanzeiger.de/…eckblick-d29569.html

    Die betroffene Bevölkerung nun mit simplen Ratschlägen oder gar Schuldzuweisungen zu überziehen halte ich nicht für zielführend. Die abgesoffene Infrastruktur muss mit Steuergeldern wieder aufgebaut werden. Einen großen Teil der Schäden müssen die Leute sowieso selbst tragen, weil auch ein Hochwasserfond nicht alles abdecken kann. Von den vielen Helfern, die tagelang umsonst arbeiteten will ich erst gar nicht reden. Den Vergleich mit Bankern, die das Geld ihrer Kunden aus reiner Habgier verzockten finde ich diesem Zusammenhang mehr als zynisch. Und im Gegensatz zu den geretteten Bankern wird sich die vom Hochwasser betroffene Bevölkerung wohl auch nicht über Deutschland lustig machen wollen.
    http://www.manager-magazin.de/…and-a-907855.html

  8. Der Markt?

    Hier in Köln ist es ja so, dass die Grundstücke am Rhein oft die teuersten sind. Das kommt daher, weil die Leute, die sich das leisten können, den Risikofaktor Überschwemmung nicht fürchten brauchen – sie werden ja sogar subventioniert in dem in den besseren Gegenden mehr für Hochwasserschutz ausgegeben wird.

    In einer Kleinstadt an der Donau oder der Elbe gehe ich davon aus, dass ein Grundstück welches alle 4 Jahre überschwemmt wird, um einiges günstiger ist, wie ein Überschwemmungsfreies Grundstück. Dann wären die Hochwasserschäden bereits eingepreist?

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