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BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Auch wenn Ihre Ambitionen "kürzer" angelegt sein sollten: Hier ein hilfreicher labyrinthischer Tipp für alle Geschichtenschreiber.
Er stammt aus einem Artikel über Computerspiele von Andreas Rosenfelder, lässt sich aber eins zu eins aufs Romanschreiben und aufs Geschichtenschreiben überhaupt übertragen:

Mit jedem Videospiel wiederholt sich der Ursprungsakt der Weltschöpfung. Alle Aufgaben der Entwicklerstudios sind in der Genesis aufgelistet:
Am Anfang geht es darum, eine überzeugende
Spielephysik aufzubauen – mit realistischem Wechsel zwischen Tag und Nacht, spiegelnden Wasseroberflächen, glänzenden Lichteffekten und allerlei animiertem Getier. Dann muss ein Protagonist erschaffen werden, der zur Identifikation einlädt. Und zuletzt braucht es eine Handlung.
Hier ähneln die neuesten Spiele der biblischen Schöpfung: es gibt kaum Vorgaben, so ziemlich alles ist möglich.
Lange Zeit war das anders. In der Frühgeschichte der Spiele schlossen finstere Verließe und labyrinthische Korridore den Spieler ein. Handlungsfreiheit war in diesen unteren Welten gänzlich unbekannt: Es war der nackte Überlebenstrieb, der das bewaffnete Ego vorwärts trieb. Und wer in den Katakomben überleben wollte, hatte keine Wahl – außer vielleicht jener zwischen Raketenwerfer und Plasmapistole.

Für Spielephysik kann man im Falle des erzählenden Schreibens Erzählbühne mit Schauplätzen, Atmosphäre etc. einsetzen. Ich weiß, warum ich diesen Tipp empfehle. Ich stecke gerade selbst mitten in einem Roman und fand diese Anregung sehr hilfreich, obwohl sie mir nicht neu ist. Aber sie enthält die drei wesentlichen Elemente des Erzählens "in der Nussschale", und die sollte man sich immer wieder klarmachen. Man heftet sie sich am besten an den Bildschirm und berücksichtigt sie nicht nur am Anfang der Geschichte, beim Entwickeln des Exposés, sondern möglichst bei jeder Szene, die man schreibt.

(Über die Bedeutung von Labyrinthen bzw. Irrgärten für die Verlaufsstruktur von Computerspielen habe ich übrigens bereits am 18. Mai 2008 geschrieben: 101 Mazes.)

 

Weil wir schon bei Tipps zum Schreiben sind:

Das Beste, was mir bisher an Hilfen für das Schreiben von (längeren) Erzählungen zugänglich wurde, ist The Writer´s Journey von Christopher Vogler (die dt. Ausgabe Die Odyssee des Drehbuchschreibers ist zur Zeit endlich wieder erhältlich – zupacken!). Anhand des Konzepts der Heldenreise beschreibt Vogler, der viele Jahre für Hollywoods Filmstudios Drehbücher analysiert und begutachtet hat, wie man einen überzeugenden Spannungsbogen aufbaut. Er hat dieses Konzept aus Joseph Campbells bahnbrechender mythologischen Studie Der Heros in tausend Gestalten übernommen, aber zusätzlich diese Heldenreise auch beim kreativen Prozess des Autors sichtbar gemacht. Und das ist wirklich eine exzellente und enorm hilfreiche, das eigene Schreiben erleichternde Idee!

Bei Vogler findet man übrigens eine Menge Hinweise zur Labyrinth-Geschichte. Theseus, Ariadne, der rote Faden, der Kampf mit dem Minotauros, Ikaros Höhenflug und Sturz und noch manches mehr tauchen auf, insgesamt 15 solcher Nennungen. Im zweiten Teil wird das Geschehen im Labyrinth sogar zur Heldenreise schlechthint (wie übrigens schon bei Campbell).

Ich bezeichne dieses Konzept der Heldenreise des Autors als HyperReise und verwende es in meinen eigenen Workshops und Kursen zum Romanschreiben als Hintergrund (Details hier: Programm IAK).

In zwei Ratgebern von mir, die sich mit dem Erzählen befassen (Kreatives Schreiben, Kurzgeschichten schreiben), finden Sie weitere Anregungen. Wie man speziell eine Zeittafel zum Entwerfen und Strukturieren eines Romans einsetzen kann, habe ich behandelt in einem Kapitel meines Sachbuchs Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Hochbegabung und Kreativität: "Die Handlungsstruktur eines Romans organisieren" (S. 132-140).
 
Quellen
Campbell, Joseph.: Der Heros in tausend Gestalten. (USA 1949) Frankfurt am Main April 2007 / 4. Aufl. (Insel)
Rosenfelder, Andreas: "Und der Mensch sah, dass es gut war. Warum auch in der Welt der Computerspiele die Moral regiert." In: Chrismon 12 (Beilage der Südd. Zeitung vom 24. Nov 2008, S. 42)
Scheidt, Jürgen vom: Kreatives Schreiben – HyperWriting. (1989). München 2006-11 (Allitera Paperback). 216 Seiten – 19,90 €uro / / ISBN 978-3-86520-210-9
ders.: Kurzgeschichten schreiben. (1994) München 2002-07 (Allitera). 91 Seiten. 9,90 €uro / ISBN 3-935877-57-9
ders.: Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Hochbegabung und Kreativität. München März 2004 (Allitera) 176 Seiten – 18,00 €uro / ISBN 386520-043-5
Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibers (The Writers Journey). (1998) Frankfurt am Main 2008 (Zweitausendeins). 485 Seiten. € 16,80 / ISBN 3-86150-294-1 

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

9 Kommentare

  1. Ich bevorzuge die Kettensäge

    die erzeugt einfach mehr zwischenmenschliche Nähe als die ganzen Distanzwaffen. 😉

    Es hängt einfach auch von der Geschichte ab, wie man beim Schreiben vorgeht. Ein großer historischer Roman lässt sich kaum so einfach aus der Inspiration heraus schreiben.

  2. Eindimensional

    Third-Person-Shooter können ein Labyrinth sein, daß im Prinzip nur eindimensional durchlaufen werden kann, so wie zum Beispiel “Dead Space”.

    Third-Person-Shooter können aber auch ein großer, dreidimensionaler Raum sein, in dem man machen kann, was man will, so wie zum Beispiel “Mercenaries 2”.

    Die überwiegende Anzahl der Romane ist eindimensional, und ohne jede Verzweigungsmöglichkeit.

    Gegenbeispiele sind selten, sie könnten ungefähr so aussehen, sind aber sehr unpraktisch:

    Seite 51: Graf Hombug vernichtet Wrukon,
    Seite 86: Die Wruks vernichten die Erde,
    Seite 109: Gegenseitige Auslöschung,
    Seite 145: Friedensvertrag.

    Wenn man bereits eine Welt konstruiert hat, dann kann man sie in den Fortsetzungen des Romans sowohl beibehalten, als auch dadurch weiter vertiefen.

    So gibt es das Graf-Hombug-Universum, das Perry-Rhodan-Universum, und sogar das Kombi-Universum dieser beiden Universen:

    http://www.e-stories.de/…geschichten.phtml?18616

  3. Multi-Dimensionalität

    Hier ein Kommentar zum Kommentar: ‘Eindimensionalität’. Ich verstehe nicht, wie Romane als überwiegend eindimensional bezeichnen werden können, nur weil die ‘Erscheinungsform’ dieses Mediums zunächst eindimensional ist. Unglaublich viele Romane sind meiner Meinung nach Multi-Dimensional. Und ich wage zu behaupten, das, mit wenigen absolut nichtssagenden Ausnahmen, alle Romane nicht-linear verlaufen, da Lesen ein aktiver Prozess ist. Zumindest kann er das sein, wenn sich der Leser darauf einlässt.
    Das Lesen eines Romans ist so etwas wie die Einladung zu einem Gedankenspiel. Der Leser wird zunächst in ein Anfangsszenario eingeführt (manchmal auch recht unsanft reingeschubst), und dann beginnt der Leser auch schon in seinem Kopf diverse Theorien aufzustellen und Szenarien zu entwerfen. Man erwartet, aufgrund seiner bisherigen ‘Leseerfahrung’, eine bestimmte Entwicklung. Oft werden diese Erwartungen auch erfüllt (für viele Leser eine Voraussetzung für einen garantierten Lesegenuss), aber genausooft werden diese Erwartungen auch über den Haufen geworfen. Die ‘unzuverlässigen Erzähler’ erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit (und sind dabei weiss Gott kein neues Erzähl-Phänomen), gerade weil sie den Leser permanent auf falsche Fährten locken. Dadurch wird Lesen zu einem multidimensionalen Erlebnis. Der Leser bekommt Informationen, er wägt ab, er versucht Zusammenhänge herzustellen, und wenn eine Theorie sich nicht bestätigt ist er gezwungen, einen Schritt zurückzugehen, erneut abzuwägen, noch weiter zu gehen, Vergleiche zu anderen Geschichten zu ziehen und so weiter und so fort.
    Jeder Roman ist ein Labyrinth. Bei manchen ist man nach ein, zwei Stunden ‘durchgelaufen’ ohne kaum mal anzuecken, und bei manchen ‘verläuft’ man sich ständig und stellt fest, dass es viel mehr Möglichkeiten gibt einen Weg durch die Geschichte zu finden, als man am Anfang auch nur zu hoffen wagte…

    Ich lese Romane genau aus diesem Grund: weil ich so viele Denk-Abzweigungsmöglichkeiten habe. Computerspiele machen auch einen Riesenspass, vor allem wenn sie mir auch noch eine Geschichte erzählen und damit meine beiden Lieblingstätigkeiten auf die wundervollste Art miteinander verbinden. Spielen und Lesen. Gerne und oft. In mehreren Dimensionen…

  4. Hallo Maren Haas,

    ich meinte, daß das Medium der Romane und der Filme eindimensional ist, während das Medium der Computerspiele mehrdimensional ist.

    Was die Romane oder Filme im menschlichen Gehirn bewirken, das kann durchaus mehrdimensional sein, weil das Gehirn ebenfalls mehrdimensional funktioniert.

    Computerspiele enthalten Verzweigungen, die meisten Romane aber nicht.

    Ich besitze aber ein mehrdimensionales Buch zur Pflanzenbestimmung:

    zum Beispiel: glatte Blattränder: weiter auf Seite 53,
    gezackte Blattränder: weiter auf Seite 64,

    Seite 53: fleckige Blätter: weiter auf Seite 75,
    einfarbige Blätter: weiter auf Seite 83,

    Seite 83: ätsch, diese Pflanze gibt es nicht.

  5. Hallo Karl Bednarik,

    hmmm, und ich war doch so gespannt auf die einfarbigen Blätter, und dann diese herbe Enttäuschung, seufz, es ist aber auf nichts, aber auch auf garnichts mehr Verlass…

    Ich dachte mir schon, dass das so gemeint ist, ich bin einfach jemand der lieber nach Gemeinsamkeiten als nach Abgrenzungen sucht, es gibt meiner Meinung nach nichts faszinierenderes, als nach spielerischen Elementen in Erzählungen und vice versa zu suchen…

    Und: schon oft musste ich feststellen, dass für mich die meisten ‘Spielräume’ (mit all ihren fantastischen Abzweigungsmöglichkeiten) begrenzter sind als so manch ein ‘Erzählraum’, der das Imaginationszentrum in unseren wundervollen, mehrdimensionalen Hirnen zum Rotieren bringen kann, dass einem so richtig schön schwindlig wird.

    Aha, auf Seite 75 findet sich allerdings der Hinweis, nicht alles zu glauben, was auf Seite 83 steht.

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