Schavan / Winnacker im Blick kritischer Professoren – ein Nachschlag

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Dieser Artikel enthält garantiert keinen einzigen eigenen Gedanken des Bloggers. Stattdessen nehmen drei deutsche Professoren via Copy-and-paste nochmals kritisch Stellung zur Plagiats-Affaire Schavan und ihres Verteidigers Winnacker und watschen die beiden ordentlich ab.

Ich wollte mich längst mit anderen Themen befasssen, die mir wichtiger sind als diese leidige Plagiatsaffaire. Aber drei Protagonisten aus dem System “Deutsche Universität” haben in Leserbriefen an die Süddeutsche Zeitung so vehement Gegenposition zu den Einlassungen von Ernst-Ludwig Winnacker bezogen, dass man dies auf gut Bayrisch nur als Abwatschen bezeichnen kann. Da diesen professoralen Äußerungen nichts hinzuzufügen ist, zitiere ich sie hier in vollem Umfang (so wie sie in der SZ abgedruckt worden sind). Kommentar überflüssig! (Korrekte Quellenangaben s.unten).

Der erste Leserbrief, von Prof. Gaitanides, bringt den Kern des Problems auf den Punkt (von mir rot hervorgehoben)

“Copy and paste”-Lernen
Ob die Universität Düsseldorf das Problem „Schavan” verstanden hat, mag dahin gestellt sein, Ernst-Ludwig Winnacker hat es jedenfalls nicht. Das Problem liegt vor allem in der Kultur dieser Jahre, in denen Annette Schavan promoviert hat: Es wurden Personen zu Professoren gemacht, die den harten Weg einer wissenschaftlichen Laufbahn nicht erlebt haben und mangels Erfahrung nicht in der Lage waren, Promotionen gewissenhaft zu betreuen. Doktoranden wie Schavan* haben keinen akademischen Abschluss vor ihrer Promotion erarbeiten müssen, haben keine Diplomarbeit oder ähnliche wissenschaftliche Leistung erbringen müssen, bevor sie promovierten. Woher sollten sie also wissen, wann hätten sie lernen können, wie man eine wissenschaftliche Arbeit verfasst? Erschwerend kommt hinzu, dass häufig der betreuende Professor nur über eine ähnliche wissenschaftliche Biografie verfügte. In dieser Kultur hat Schavan promoviert.
Wen wundert es, dass sie die Diplomstudiengänge abgeschafft hat, die Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Eigenleistung eröffneten, und sie durch Bachelor-/Masterabschlüsse ersetzt hat, die jedes wissenschaftliche Arbeiten für Studenten überflüssig machen. Studieren heißt nun „plagiatieren” von Hunderten Power-Points pro Vorlesung, das heißt, Studieren reduziert sich auf ein „Copy-and-Paste”-Lernen. Hier schließt sich der Kreis im Problem Schavan mit nicht wieder gutzumachenden Folgen für die akademische Ausbildung in Deutschland. Man kann verstehen, dass Winnacker als Wissenschaftsfunktionär dieses Problem nicht sieht oder sehen will, was nicht zuletzt seiner Nähe zur Politik geschuldet ist.
(Prof. Michael Gaitanides, Hamburg)
* Nachfrage JvS: War das vor 30 Jahren, als Frau Schavan ihre Dissertation schrieb, wirklich auch schon so? Bologna und die Einführung des Systems “Bachelor/Master” für universitäre Abschlüsse kamen doch erst wesentlich später! Also hat Frau Schavan vermutlich eine Diplomarbeit verfassen müssen, bevor sie ihre Dissertation schrieb. Weiß da jemand Genaueres?

Titelentzug als Sekundäreffekt
Die gesellschaftliche Funktion, die Integrität und die Würde der Wissenschaft basieren darauf, dass Wissenschaft unbeirrt von politischen, wirtschaftlichen oder kirchlichen Einflussnahmen und nach autonom statuierten, allgemein verbindlichen Regeln (von Ernst-Ludwig Winnacker in seiner Außenansicht als „Zitierheftchen” verniedlicht) auf der Suche nach Wahrheiten ist. Mit der Aberkennung des Doktortitels oder der Habilitation zieht das Wissenschaftssystem Qualifikationsschriften aus dem Verkehre, die dem Fortschritt der Wissenschaft nicht zu dienen geeignet sind, weil sie Gedankengut usurpieren, das im Wissenschaftsprozess bereits präsent ist, und dieses als neu ausgeben. Dass damit auch der Plagiator einer (zumeist eher gesellschaftlich oder beruflich als wissenschaftlich nachteiligen) Sanktion ausgesetzt wird, ist eher ein Sekundäreffekt des fundamentalen Ziels, Autorität und Integrität des Wissenschaftssystems zu schützen. Der von Winnacker beklagte „Fehler im System” liegt weniger in der Verfahrenskompetenz der von ihm als jakobinische Eiferer diffamierten Fakultäten. Als Fehler im System erweisen sich zwei Tatbestände:
Dass, erstens, in Deutschland viel zu viele Dissertationen geschrieben werden, deren Entstehung sich nicht (wie die meisten PhD-Arbeiten im angelsächsischen Raum) wissenschaftlichem Antrieb, sondern der Erwartung besserer Arbeitsmarktchancen verdankt.
Und dass, zweitens, die Gutachter an den Fakultäten oft nicht mit der gleichen Sorgfalt zu Werke gehen wie der Promotionsausschuss im späteren Aberkennungsverfahren.

(Prof. Johannes Köndgen, Bonn)

Krude Argumentation
Ernst-Ludwig Winnacker sollte seinen Furor, mit dem er gegen „diese Kreise” (eine bezeichnende Wortwahl!) wettert, lieber auf die häufig fahrlässig lasche Praxis bei der Vergabe, Abfassung und Bewertung von Doktorarbeiten (und bei der Verleihung von akademischen Titeln generell) richten. Und er macht bei seiner Argumentation kurioserweise den gleichen Denkfehler wie die Redakteure der SZ – er tut nämlich so, als habe die Universität Düsseldorf sich in dem Verfahren gegen Schavan selbst freigesprochen, zum Beispiel aus „Angst um ihren Ruf“. Das genaue Gegenteil ist doch der Fall – die Universität hat dem Doktorvater, dem Promotionsausschuss und der Fakultät (und somit auch der Universität) eine schallende Ohrfeige verpasst, indem sie festgestellt hat, dass seinerzeit ein epigonaler Text als Doktorarbeit angenommen worden ist. In der konsequenten Fortsetzung einer solchen kruden Argumentation müssten zukünftig alle Arten von Geständnissen, Selbstbezichtigungen und Bitten um Entschuldigung abgelehnt werden, da nur externe Dritte so etwas feststellen können und dürfen.
(Prof. Wolf-Rüdiger Hellmann, Berlin)


Quellen

Gaitanides, Prof. Michael (Hamburg): “´Copy-and-paste´-Lernen”. Leserbrief in Südd. Zeitung Nr. 49 vom 27. Feb 2013, S. 15
Köndgen, Prof. Johannes (Bonn): “Titelentzug als Sekundäreffekt”. Leserbrief in Südd. Zeitung Nr. 49 vom 27. Feb 2013, S. 15
Hellmann , Prof. Wolf-Rüdiger (Berlin): “Krude Argumentation”. Leserbrief in Südd. Zeitung Nr. 49 vom 27. Feb 2013, S. 15

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem Willkommen im Labyrinth des Schreibens und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs. .
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245 / #890 Jvs /1565 SciLogs – BloXikon: Plagiat
v2-2

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

5 Kommentare

  1. Abschluss vor der Promotion

    Das mit der Promotion ohne vorhergehende Diplomarbeit stimmt schon, das gab es auch schon damals. Nur war es damals eher die Ausnahme und heute ist es die Regel.

    Der 1. Leserbrief macht sicherlich den (einzigen) eigentlich interessanten Punkt, den man im Zusammenhang mit dieser “Affaere” breiter haette diskutieren sollen. “Studieren heißt nun „plagiatieren” von Hunderten Power-Points pro Vorlesung” bringt es schoen auf den Punkt.
    Waehrend ich die Briefe 2 und 3 eher unter “Geschwafel” einordnen wuerde.

  2. @ tk

    Da geht ewas durcheinander. „Promotion ohne vorhergehende Diplomarbeit … gab es auch schon damals.“ Nein, das gab es damals noch. Ich weiß nicht, ob es das heute noch gibt, wenn, dann viel seltener. Die Diplomarbeit oder die Magisterarbeit als akademische Abschlußarbeit wurde erst allmählich und nicht überall eingeführt. Und heute ist an die Stelle der Diplomarbeit im allgemeinen die Masterarbeit getreten, die allerdings in der Regel deutlich weniger gilt und meist auch weniger anspruchsvoll ist als es eine Diplomarbeit war. – Ob man vor der Dissertation schon einmal eine Abschlußarbeit geschrieben hat, muß nicht so wichtig sein (kann es aber). In manchen Studiengängen ist die Diplomarbeit die erste schriftliche Arbeit, die der Student anfertigt, in anderen ist er in jedem Semester mit Seminar- oder Projektarbeiten beschäftigt, in denen er u. a. zu zitieren lernt – wenn es gut geht, viele lernen es trotzdem nicht.

    Prof. Gaitanides spricht ein ganz anderes Problem an, nämlich daß in der Zeit, als Frau Schavan promovierte, sehr viele Leute Professoren geworden waren, die nicht den üblichen Weg zurückgelegt hatten. Der stellt ziemlich hohe Anforderungen; dazu gehören das Verfassen einer Dissertation und einer Habilitation und einer Vielzahl von Publikationen und das Betreuen von Abschlußarbeiten. Sondern im Zuge des gewaltigen Ausbaus der Universitäten hat man um 1970 ziemlich viele Angehörige des Mittelbaus einfach zu Professoren gemacht. Sie mußten derartige Anforderungen nicht erfüllen und wiesen entsprechend gewisse Mängel auf, was die Fähigkeit zur Betreuung von Dissertationen angeht; zwar hatten sie selbst im allgemeinen eine geschrieben, aber oft nicht viel mehr als das gemacht. Das spielte gerade in Fächern wie den Erziehungswissenschaften eine Rolle, die damals besonders rasch und stark ausgebaut wurden. Ob es allerdings im Falle Schavan eine Rolle gespielt hat, weiß ich nicht.

  3. @ludwig trepl

    War mir schon klar. Mit “damals die Ausnahme und heute die Regel” wollte ich nur darauf anspielen, dass eine heutige Masterarbeit nicht dasselbe ist wie die gute alte Diplomarbeit, an der Leute (jedenfalls in meinem Fach) oft mehrere Jahre gesessen haben.

  4. Diplomarbeit

    Die Liebe Frau Schavan durfte direkt, ohne den Zwischenschritt einer Diplom- oder Masterarbeit, ihren Doktor fälschen. Darum war auch immer die Rede davon, dass sie im Falles einer Aberkennung “ohne Abschluss” wäre. Das sowas geht…… ???

  5. @ Heinrich Mallison

    Was war daran schlimm, daß man ohne Abschlußarbeit promovieren konnte? Das Prinzip, das sich an manchen Orten noch ziemlich lang gehalten hat, war: Wer erkennen läßt, daß er eine wissenschaftliche Arbeit anfertigen kann, der kann es tun. Er muß halt jemanden finden, der das erkennt, und hinterher muß die Wissenschaftlergemeinde, repräsentiert durch Gutachter und die Fakultätsmitglieder, bestätigen, daß die Arbeit gut genug ist.

    Heute hat man sich daran gewöhnt, daß alles bürokratisch geregelt sein muß und ohne Prüfung keiner mehr eine Glühbirne einschrauben darf; demnächst soll, und das ist kein Witz, niemand mehr einen Hund ohne Leine ausführen dürfen, der nicht einen „Hundeführerschein“ hat. Und in diesem Klima ist man natürlich empört und fragt man „Dass sowas geht…… ???“.

    Die Frage der Fälschung ist eine ganz andere. Sie hat nicht das Allergeringste damit zu tun, daß Dissertationen ohne vorherige Abschlußarbeit geschrieben werden konnten.

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