Präsident der USA und mächtigster Mann der Welt: Eine Heldenreise

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Ich könnte leicht einen Bezug zum Labyrinth-Thema herstellen. Als sehr klar herausgearbeiteter Roter Faden würde sich die Suche nach dem Vater anbieten und damit die Suche nach der eigenene Identität, mit der Barack Obama sich in diesem wunderbaren Buch befasst, das ich hier vorstellen möchte.

Einen direkten Bezug zum L-Thema habe ich nirgends finden können. Muss aber gar nicht sein. Ich habe ja jetzt mit der Hochbegabung ein paralleles Thema in diesem Blog. Und dazu passt dieser Mann, passt diese Autobiographie, passt dieses ganze Leben aufs allerbeste. Wenn man jemals problemlos eine Ferndiagnose über jemanden in punkto Hochbegabung stellen durfte – dann über Barack Obama, und zwar nicht erst jetzt, wo er bis an die Spitze der Weltmacht USA gelangt ist. Diese Autobiographie zeigt schon 1995 wesentliche Elemente von enormer Intelligenz, mit allen Facetten eines großartigen Vernetzers:

° einmal als schriftstellerische Leistung, die für sich bestehen kann (Obama könnte bestimmt auch als Autor eine tolle Karriere machen),
° mit seiner akademischen Laufbahn in Harvard, die er mit summa cum laude abschloss,
° dann mit der Wahl zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der renommierten Fachzeitschrift Harvard Law Review.
° Von 2005 bis 2008 war er der dienstjüngste US-Senator (Junior Senator) für den Staat Illinois.
° Und dann sind da noch seine Vorfahren (der Vater promovierter Akademiker, der Großvater auch schon mit deutlichen Zeichen des rebellischen Hochbegabten; bei der mütterlichen Seite weniger spektakuläre Anzeichnen, aber HB zu vermuten). 

Aber bleiben wir beim Buch. Ein amerikanischer Traum ist wunderbar geschrieben: sachlich-dokumentierend und doch auch voller Poesie. Ein Genuss, es zu lesen. Was für ein Sprache! Da breitet jemand sein Leben auf eine Weise aus, bei der man ihn gerne begleitet – ohne dass man das Gefühl haben muss, zum Voyeur gemacht zu werden.

Angesichts der Tatsache, dass dieser Autor übermorgen, am 20. Januar 2009, in Washington auch ganz offiziell der mächtigste Mann der Welt wird, meine ich immer noch, zu träumen. Was für ein Gewinn nicht nur für die USA: Ein gebildeter, sein Leben kritisch reflektierender Mensch, der weiß, was er will. Der mit dem Internet auf die modernste heute mögliche Weise seine Wahl gewonnen hat. Der in diesem Buch aber auch deutlich zeigt, dass das kein Wunder war, sondern das Ergebnis harter, fleißiger, disziplinierter Arbeit. Erst wenn man Jahr für Jahr, Buchseite für Buchseite miterlebt, wie Obama in Chicago in einem Elendsviertel gelernt hat, wirklich an der sozialen Basis der USA zu arbeiten, versteht man, was ihn bis nach ganz oben getragen hat:

Dieser Mann nimmt nicht nur (wie das Politiker ja alle gerne tun) – sondern er gibt auch unglaublich viel .

Umso eindrucksvoller ist es, seine wirklich nicht leichte Lebensgeschichte mitzuverfolgen und zu sehen, wie da jemand buchstäblich auf drei Kontinenten herangewachsen ist (Amerika, Asien, Afrika): ein Weltbürger im besten Sinne, wenn es je einen gegeben hat.

 

Stationen einer Heldenreise

Diese Lebensgeschichte zeigt wirklich alle Stationen einer Heldenreise – besser könnte es ein Hollywood-Blockbuster nicht inszenieren, die ja durchwegs nach diesem dramatischen Muster gestrickt sind:

° Da ist zunächst das Dahindümpeln in der Oberwelt der typischen afroamerikanischen Probleme, pendelnd zwischen Resignation, Selbsthass, Wut auf die Weißen.
° Dann der Call to Adventure, (die Aufforderung des Vaters aus der Ferne: Mach was aus deinem Leben, sei der Beste!)
° Dies setzt schließlich die Reise in die Unterwelt in Gang, mit der sich alles ändern soll.
° Bis der Held am tiefsten Punkt seiner Existenz angekommen ist: ein zutiefst deprimierter Kiffer und Kokser, der am liebsten das Studium hinschmeißen und im psychischen Elend ersaufen würde.
° Doch dann das Auftreten eines Mentors (der jüdische Promoter Marty Kaufman, der ihm den Job im sozialen Brennpunkt in Chicagos Elendsviertel Altgeld verschafft – s. S. 154) und etliche – vor allem weibliche – Helfer, ohne die eine Heldenreise nicht gelingen kann. 
° Er überwindet den schlimmsten Widersacher, den man sich vorstellen kann: seine eigene negative Seite, seinen Schatten, und zwar, indem er sich (dieses Buch schreibend) auf die Suche macht nach den Wurzeln seiner Identität, sprich: nach seinem Vater.
° Dadurch mobilisiert er ungeahnte Kräfte, die ihm vorher nicht zugänglich waren und findet auf diese Weise einen wahren Schatz.: seine politische Mission der Versöhnung der Gegensätze
° Mit dieser neuen Energie und Intensität erfolgt dann die Rückkehr in die Oberwelt,
° in welche der Held das Elixier, den in der Unterwelt gehobenen Schatz mitbringt: die klare Botschaft , dass er die Polarisierung der Gesellschaft und der ganzen Welt aufheben wird.

Der Rest ist Geschichte – diesmal buchstäblich Weltgeschichte. Selbst wenn am Inauguration Day das denkbar Schrecklichste geschehen und Obama einem Attentat zum Opfer fallen würde, hätte er schon Weltgeschichte gemacht.

Apropos “Schreiben als Selbst-Therapie”: Ein ähnliches Dokument gleicher Stärke und Aussagekraft eines Nicht-Berufsschriftstellers habe ich noch selten gelesen. George Soros, der weltbekannte Börsenspekulant und Philanthrop fällt mir diesbezüglich noch ein (der Obamas Wahl übrigens sehr unterstützt hat) und sein Buch Die Alchemie der Finanzen. Da hat sich ebenfalls jemand in einer Phase tiefster Verzweiflung und schrecklichen beruflichen Versagens auf die – schreibende – Suche nach sich selbst gemacht, inklusive Psychotherapie (wenn es auch nur einige Sitzungen bei einem Psychoanalytiker waren – s. Soros 1996. S. 61 f.).

Was ist sonst noch zu Obamas Buch zu sagen? Ich finde es schade, dass der Verlag weder ein Glossar der exotischen (afrikanischen, indonesischen) Begriffe beigefügt hat noch einen Stammbaum dieser recht komplizierten Familie noch eine Zeittafel. Der amerikanische Originaltitel trifft´s es übrigens weit besser als die blasse, nichtssagende Übersetzung Ein amerikanischer Traum: das Original heißt Dreams from My Father. Genau darum geht es doch: um die Träume von meinem Vater, um die Suche nach der – zunächst tief im Unbewussten vergrabenen – Identität auf der väterlichen Seite.

Obamas Frau Michelle erscheint erst ganz am Schluss der Autobiographie (die ja nur ein erster Teil sein kann: endet sie doch 1995). Sie ist dann wohl wirklich die Ariadne geworden, die aus dem Roten Faden ein Werkzeug und einen hilfreichen Wegweiser durch diesen – zunächst recht verwirrenden – modernen Schicksals-Irrgarten gemacht hat, einen echten Ariadnefaden. Übermorgen wird man sie als erste schwarze First Lady an seiner Seite zu sehen sein. Aus dem suchenden Prinzen Theseus und der helfenden Prinzessin Ariadne wird dann ein echtes Königspaar geworden sein, wenn auch nicht in griechischen Athen, sondern im nordamerikanischen Washington. Das moderne Äquivalent des antiken Königtums ist ja die Präsidentschaft.

 

Schreiben als Therapie (Nachtrag vom 23. Jan 2009) 

Ich kann mir schlecht vorstellen, dass das Schreiben eines Buches jemals so unmittelbar weltbewegende Folgen gehabt hat wie bei Obamas Buch über die Suche nach seinem Vater. Nun, da er nicht mehr nur der “President elect” ist, sondern in einer sehr bewegenden Zeremonie zum amtierenden Präsidenten der USA vereidigt wurde, ist sichtbar, was das Verfassen eines Buches bewirken kann, wenn der Autor wirklich authentisch über sich und seine wahren Beweggründe schreibt. Zweimal erwähnt dieser Nachkomme eines (für die übrige Welt sehr obskuren) nilotischen Stammes in Kenia in seiner wirklich sensationellen ersten Rede seinen afrikanischen Vater und bezieht ihn auf diese Weise an zentraler Stelle in seine Botschaft an das amerikanische Volk mit ein (zit.n. Südd. Zeitung vom 21. Januar 2009). Zunächst etwa in der Mitte der Rede:

Ich sage allen Menschen und Regierungen, die heute zusehen, von den größten Hauptstädten bis zu dem kleinen Dorf, in dem mein Vater geboren wurde: Amerika ist ein Freund jeder Nation, jedes Mannes, jeder Frau, jedes Kindes, die nach einer Zukunft in Frieden und Würde suchen [. . .] 

Und dann gegen Schluss:  

Das ist die Bedeutung unserer Freiheit und unsere Überzeugung – das ist es, warum Männer, Frauen und Kinder jeder Rasse und jeden Glaubens einstimmen können in die Feierlichkeiten auf diesem Platz, und warum ein Mann, dessen Vater vor weniger als 60 Jahren hier in einem Restaurant wohl nicht bedient worden wäre, nun vor ihnen steht und den heiligsten Eid ablegt. 

Quellen
Obama, Barack: Ein amerikanischer Traum. (New York 1995/2004 Times Books_Random House). München 2008 (Hanser)
ders.: Antrittsrede bei der Vereidigung am 20. Jan 2009 – zit.n. Südd. Zeitung vom 21. Jan 2009, S. 2
Soros, George: Die Alchemie der Finanzen (The Alchemy of Finance). (New York 1987). Frankfurt a.M. 1994 / 2. Aufl. 1998 (Börsenbuch-Verlag) 
Ders.: Soros über Soros. (New York 1995) Frankfurt a.M. 1996 (Eichborn) 

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

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BloXikon: Heldenreise
Letzte Aktualisierung: 17. Juli 2013/10:59
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"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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