Pfingstmontag als Bloggers Day?

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Gestern haben sämtliche gläubigen Christen Pfingsten gefeiert. Ein starkes Bild, diese “Ausgießung des Heiligen Geistes”. Das kann auch einen Skeptiker wie mich berühren, der nicht an solche Ammenmärchen glauben mag – der aber als Autor so manche eigene Geschichte davon zu erzählen weiß, was es heißt, von einem Ein-Fall oder Zu-Fall stark berührt und zu einem Text angeregt und motiviert zu werden.

Manchmal fühlt man sich sogar richtig inspiriert (was ja nichts anderes heißt, als einen wie im Pfingstwunder beschriebenen Einhauch deutlich zu spüren). Ja gelegentlich meint man regelrecht angezündet zu sein, genauso wie die Jünger Jesu das angeblich an Pfingsten Geschehene überliefert haben. Anschließend zieht man los und beginnt “mit Engelszungen” zu predigen. Das heißt nicht unbedingt, dass gerade diese Texte besonders gelingen, besonders geistreich ausfallen.
Manchmal erweist sich die anfängliche Begeisterung sogar als hinderlich, lässt einen Wichtiges übersehen, sogar blind werden für Mängel in der Argumentation. Aber ich vermute, dass meine Blogger-Kollegen und andere, die gerne schreiben oder dies oft tun müssen, nachvollziehen können, was ich da skizziere, und dass sie es selbst auch schon erlebt haben. Man ist dann, um es mal umgangssprachlich deftig auszudrücken, wie besoffen von der eigenen Kreativität. Aber ab und an ist das Gefühl doch korrekt und das Ergebnis zufriedenstellend, ja sogar wirklich sehr gut.

Mit diesem Text ging es mir ähnlich. Ich saß beim Frühstück. Dachte: Holla, heute ist ja schon Montag, Pfingstmontag. War da nicht was – gestern? Pfingstwunder – Feuerregen –

Und machen wir Autoren, wir Blogger, wir Dichter, wir Schriftsteller nicht genau diese pfingstlichen Erfahrungen unaufhörlich? Könnten wir ohne sie, ohne diese continuos creation aus welcher Quelle auch immer, überhaupt kreativ schreibend existieren?

Da müsste jetzt ein sehr dickes, großes Fragezeichen hin (muss ich in die nächste Zeile packen, dammit es wirklich unübersehbar groß wird:)

?

Zu diesem Fragezeichen gehört die Frage: Was ist es denn eigentlich was uns da inspiriert?

Es is die uralte, immer neue Frage nach dem, was die Quelle von Kreativität ist. Als Kreativitätspsychologe und Autor der Gegenwart eines extrem skeptischen Zeitalters, ist mir auf Grund meines nicht gerade sehr religiösen, schon gar nicht irgendwie kirchlich gebundenen Hintergrunds die traditionelle naive Vorstellung von Kreativität versperrt. Mein durch Schule und Studium (natur-)wissenschaftlich geprägtes Denkens samt der damit verbundenen deformation professionelle blockiert den Ausweg in eine wie auch immer göttliche Quelle meiner Inspirationen und meiner Kreativität. Brauche ich auch gar nicht. Ich weiß ja, mit Sigmund Freud und den anderen Tiefenpsychologen, dass dieses Zeug aus meinem Unbewussten und Vorbewussten quillt:

  • Also aus meinen Kindheitserinnerungen, meinen Träumen, meinen Tagtraumphantasien;
  • aus der Lektüre der Inspirationen anderer Autoren;
  • aus so manchem pipe dream oder LSD-Trip (ist schon ein Weilchen her) oder der Anregung eines Gläschen guten Weins und und und.

Alles gut und einfach zu erklären.

Oder?

Aber manchmal habe ich etwas, das ich wie einen besonders klaren Moment empfinde, der mich dann dieser Skepsis gegenüber wiederum skeptisch sein lässt: Diese so coolen rationalen Argumente und Beobachtungen sollen etwas so Wunderbares wie Kreativität erklären? frage ich mich da.

Da denke ich dann, dass dieses Universum, in dem wir Menschen so unglaublich winzige Stäubchen auf einem so unglaublich winzigen Planeten unter Trillionen von Sternen sind und all dies in einem Zeitstrom von etwa 15-25 Milliarden Erdenjahren (heutiger Wissenstand) – dass es ja vielleicht Kräfte (unsere Altvorderen nannten das Geist, anschaulicher Rauch – von hebr. ruach) geben könnte, die unglaublich viel weiter entwickelt sind als wir, sagen wir mal eine Million Jahre weiter, oder drei Millionen oder 65 Millionen oder eine Milliarde (no limit). Und die vielleicht  weit besser wissen, was uns inspiriert als unsere doch recht bescheidenen rationalen kreativitäts- und tiefenpsychologische Einblicke aus ein paar Hundert Jahren Forschung. Oder sollte ich besser schreiben: unsere “wissenschaftliche Phantasien” (denn viel mehr ist das ja nicht, was unsere Forschungen bisher an brauchbaren Erkenntnissen zutage gefördert haben).

Halt! Ersetze ich da die nicht lediglich die nicht mehr akzeptablen religiösen Phantasien früherer Wunderglauben-Epochen durch die durchgeknallte Fantasy des aktuellen Science-Ficiton-Genres? Perry Rhodan statt Neues Testament?

Was meinen Sie dazu, geneigter Leser dieser Zeilen? Was meint ihr dazu, meine Blogger-Kollegen von SciLogs und in anderen Bloggersphären? Was glaubt ihr, was euch da antreibt, wenn ihr bloggt?

Egal, was für Erklärungen wir heute und in Zukunft für unsere Einfälle verwenden, an den Haaren herbeiziehen oder wie auch immer produzieren: Ich denke, dass ein wenig Bescheidenheit und auch, ja Gutgläubigkeit und Eingeständnis des letztlich Nicht-voll-Erklärbarenen (“Ich weiß, dass ich nichts weiß”, orakelte ein berühmter Vorfahre) uns Kreativen und Produktiven gut anstehen würde. Und dass wir dies vielleicht feiern sollten. Einmal im Jahr: dieses kleine Pfingstwunder der täglich geforderten Kreativität.
Dass wir es feiern mit einem “Bloggers Day”, wie ich vorschlage, weil es ja inzwischen gut eine Million* Bogger gibt und diese mit ihrer kombiniereten Schwarmintelligenz (gibt´s die wirklich – oder ist sie nur eine farcon de parler?) demnächst wahrscheinlich eh alles dominieren werden, was da schreibend kreucht und fleucht.
Der Pfingstmontag bietet sich deshalb als brauchbarer Kompromiss an, weil er auch für Nichtgläubige und Nichtchristen weit genug von der religiösen Aura des Pfingstfestes entfernt ist – vor allem Atheisten fürchten ja angeblich alles Kirchliche wie der – pardon – Teufel die Nähe vom Weihwasser. Und den gläubigen Christen bietet er immerhin, mit einem Tag Abstand, die Nähe zu einem der höchsten Feste der Christenheit.

* 460.015 Blogger tummeln sich allein unter den Fittichen von WordPress, sehe ich gerade.

Noch was Labyrinthisches

Ach übrigens: Demnächst ist Bloomsday, am 16. Juni, wie jedes Jahr. Ein Muss für alle Fans von James Joyce – jenem großem Labyrinth-Fan und Verarbeiter von labyrinthischen Ideen und Metaphern und Symbolen, nicht nur in seinem Meisterwerk “Ulysses”.
Und weil wir schon beim Labyrinth-Thema sind (sollte schon sein in einem Blog, der dieses Thema in seiner Fahne führt):

Ist es nicht so etwas wie ein Pfingstwunder, wenn wir uns in den zunächst sehr verwirrenden Irrgarten eines neuen Themas hineinbegeben, bis endlich der inspirierende Blitz der Erkenntnis uns ein wenig Klarheit verschafft und wir den roten Faden spinnen, der uns aus der Menge der Informationen schließlich das klare Bild eines Labyrinths des fertigen Textes schaffen lässt? Dieser Text wirkt dann vielleicht auf den Leser, noch dazu bei sehr hohem Informationsgehalt, zunächst einmal wie ein Yrrinthos.
Aber wenn wir als Autoren gut gearbeitet haben, ruft auch der Leser irgendwann: “Heureka!”. Das ist bekanntlich nicht nur der Titel einer Fernsehserie um durchgeknallte Hochbegabte (Eureka” heißt sie, genau genommen), sondern der angebliche Ausruf des Archimedes in der Badewanne, nachdem er begriffen hatte, wie Wasserverdrängung funktioniert oder so – ist lange her. Könnte gut ein Zuruf sein, mit dem man sich beim Bloggers Day begrüßt – ähnlich wie die Science Fiction-Fans sich (zumindest zu meiner aktiven Zeit als Fan) mit “Ad Astra!” begrüßten (abgeleitet von “Per aspera ad astra” – “Durch die Dunkelheit zu den Sternen”). Aber man kann es natürlich auch sein lassen und sich lediglich stumm (oder freundlich verständnisvoll grinsend) zunicken. So wie wir das in Deidesheim geübt haben, im März.

Dann also bis zum nächsten Bloggers Day, 2013 am Pfingsmontag. See you. I´ll be back. Hasta la vista.

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem Willkommen im Labyrinth des Schreibens und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

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"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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