P.H.A.I.D.R.A. für Leseratten (Österreich III)

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Was tun, wenn sich dauernd die Speichermedien und die Formate ändern und man immer wieder verloren geht in den Wirrnissen der Informationen? 

Noch einmal schiebt sich ein aktuelles Thema vor die Gewinnerin des Ersten Preises im Wettbewerb und ihre Geschichte (morgen ist es dann so weit). Das Folgende entdeckte ich am Vorabend in der Wiener Presse. Es passt so gut in den Kontext dieses Blogs, dass ich es nicht "auf Halde" legen, sondern Ihnen gleich mitteilen will. Das Problem, um das es geht, ist allen Bibliotheken inzwischen sehr bewusst (und in ähnlicher Form Ihnen als PC- und Internet-User sicher auch):

Wie lassen sich gespeicherte Inhalte möglichst vielen Usern zugänglich machen UND über Änderungen des Formats auch für künftige Versionen retten bzw. konvertieren? Ein sehr ehrgeiziges Projekt in dieser Richtung verfolgt derzeit die Universitätsbibliothek Wien:

Wie kann man Texte, Videos und Audio-Files weltweit zugänglich machen, wie komplexe Moleküle darstellen oder Computer-Programme archivieren? Lange hat ein ganzes Team aus Experten getüftelt. Nun steht die Lösung vor der Tür: in Form einer digitalen, eierlegenden Wollmilchsau namens Phaidra.
Mit der unglücklich verliebten Heroin hat der Name wenig zu tun, vielmehr steht er für "Permanent Hosting, Archiving and Indexing of Digital Ressources and Assets" und bezeichnet ein Projekt zur Langzeitarchivierung von digitalen Beständen […] in Phaidra soll alles, was bereits digital ist oder digitalisiert werden kann, Platz finden. Und das möglichst lange . . .

Ach ja, die "unglückliche Heroin" (erinnert so fatal an eine bekannte Droge)! Dabei ist Phaidra (oder Phädra, wie eigentlich üblich ist) viel mehr: nämlich die Frau, welche in der Labyrinth-Sage Ariadne als Lebenspartnerin von Theseus ablöst. Warum sie als "unglücklich" bezeichnet wird, können Sie in der LABYRINTHADE nachlesen (sie verliebt sich in Theseus´ Sohn Hippolytos, der obwohl völlig unschuldig, vom rasend eifersüchtigen Vater ermordet wird). Aber wie Sie schon bemerkt haben dürften, ist PHAIDRA im oben zitierten Zusammenhang auch ein Akronym, wie das die Literaturwissenschaftler nennen: ein Wort, dessen einzelne Buchstaben ihrerseits für ein ganzes Wort mit einer bestimmten Bedeutung stehen. Dröseln wir das noch einmal übersichtlich auf:

P ermanent
H osting
A rchiving and
I ndexing of
D igital
R essources and
A ssets.

Was so zufällig daherkommt, ist natürlich keineswegs zufällig entstanden. Da haben die Mitglieder des genannten Teams wahrscheinlich eine ganze Weile eifrig getüftelt – bis ihnen die Idee mit der Labyrinth-Figur Phaidra kam. Oder ist dieser (sehr versteckte) Hinweis auf das L-Thema gar nicht so zufällig? Immerhin geht es ja bei diesem Projekt (wie bei vielen ähnlichen in dieser Richtung) um nicht mehr und nicht weniger, als eine zuverlässig begehbare Schneiße durch das verwirrende Dickicht der Formate und Inhalte zu schlagen, auf welcher der Suchende sich möglichst sicher zum ersehnten Ziel bewegen kann. Google läß grüßen – denn nichts anderes als eine solche Suchmaschine inklusive Bestand an Inhalten soll dieses Phaidra-Projekt ja letztendlich sein. Und das möglichst resistent gegen Veränderungen von Datenträger-Techniken und Formaten.

 

Haben Sie noch eines der großen Laufwerke . . .

. . . das eine 5,2-Zoll-Floppy lesen kann? Ich hab eines, zum Glück, in einem schon recht betagten PC, aber voll funktionsfähig. Mein neuester PC kann ja nicht einmal mehr mit einer ZIP-Disk was anfangen, weil nur noch Eingänge für USB-Sticks vorhanden sind (und gerade mal ein Laufwerk zum Brennen und Lesen von CD-ROMS). Natürlich habe ich längst alle antiken Text-Dateien konvertiert und in allen möglichen aktuellen Formaten inklusive USB-Stick gesichert. Aber was, wenn – wie absehbar – schon in wenigen Jahren der Daten-Kristall kommt (den die SF-TV-Serie Babylon 5 eigentlich erst für das Jahr 2250 vorgesehen hat?) Der eigentliche Datenträger im USB-Stick IST ja jetzt schon kleiner als so ein futuristischer B5-Kristall!

Und was ist, wenn gerade die Kurzgeschichte aus dem Jahr 1984, die Sie von der uralt-Gigant-Floppy rüberkonvertiert haben – leer ist, weil der Vorgang  des Konvertierens (dessen Resultat Sie dummerweise nicht überprüft haben) die Inhalte gar nicht mitgenommen hat? Ist mir schon ein paar Mal passiert – kein Wunder, bei mehr als 4.000 Text-Dateien…

Das Wiener Projekt PHAIDRA ist also wirklich etwas sehr Zukunftsträchtiges – und dies nicht nur für Bibliotheken!
Die mythische Figur aus der Labyrinth-Sage (Phaidra war die zweite Frau von Theseus – wenn man Ariadne als die erste zählt) stellt nur zu Recht die Nähe zu dieser Sage her und demonstriert mal wieder, wie unglaublich modern diese so uralte Geschichte ist!

(Die Idee mit dem Akronym konnte ich übrigens gut in meinem Schreib-Seminar als Übung verwenden. Ich drehte den Vorgang einfach um: Die Teilnehmer schrieben senkrecht untereinander die Buchstaben ihres Vor- und Familiennamens und ergänzten diese dann nach rechts durch neue Wörter. Aus dem "A" einer "ANDREA" wurde auf diese Weise ein "AUSWEG", aus dem "N" der "NORDPOL" und so weiter. Eine Schreibübung, die allen viel Spaß machte und witzige, interessante, sogar tiefsinnige Texte erzeugte.)

Und morgen bitte wieder reinschauen in den Blog – für die Geschichte von Agnes Liebi, die den Ersten Preis des Wettbewerbs bekam – für ihre Story Winterwölfin, Labyrinth und Bär. Es lohnt sich!

Quelle: Rampetzreiter, Heide: "Die wiener Uni-Bibliothek wird digital. In: Die Presse (Wien) vom 27. Feb 2008

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blog rein! Hilfreich könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel sein.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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