Osterei: Jesus, Mithras und der “Kampf mit dem Minotauros”

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Warum nicht Ostern auf diese Weise würdigen? Graben wir doch mal nach den Wurzeln. (Bitte an die Skeptiker und Agnostiker: nicht gleich wegzappen!)

Kern der Labyrinth-Sage ist der Kampf des Helden Theseus mit dem Minotauros. Kern der Ostergeschichte ist für die Christen die Auferstehung des gekreuzigten Jesus Christus, nach vorangehendem Opfertod. Letzterer Mythos hat die Welt mächtig bewegt und tut es immer noch – auch wenn gerade die Machos es gar nicht gerne sehen, dass man sich auch opfern könnte statt den Kampf in alle Ewigkeit weiterzuführen – wogegen auch immer.

Wer sich in der Geschichte ein wenig auskennt, weiß, dass diese Mythe vom Kampf des Lichtbringers gegen die Finsternis in vielen Varianten überliefert wurde und wird, zum Beispiel im christlichen Glaubensbekenntnis:

Gekreuzigt – gestorben – niedergefahren zur Hölle – am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten – aufgefahren gen Himmel – *

* übrigens der klassische Verlauf einer Heldenreise

Dieser Mythos ist nicht in einem Vakuum entstanden. Zur Zeitenwende, also vor rund 2.000 Jahren, war im Mittelmeerraum der Mithras-Kult weit verbreitet (ca. 1300 vChr bis ca. 400 nChr). Es gab durchaus die Chance, dass er das Rennen gemacht hätte in jener Zeit, nicht zuletzt deshalb, weil er das Bedürfnis der Schwachen nach Heldentum besser bedient hat: der Sonnenheld Mithras, eine Art antiker Superman, besiegt im Zweikampf einen Stier, schleppt ihn in eine Höhle und opfert ihn dort.

Wie alt die Geschichte von Theseus´ Kampf mit dem Minotauros ist, weiß niemand. Das Labyrinth-Symbol ist lt. Hermann Kern gut 5.000 Jahre alt, mindestens. Vielleicht war die kretische Sage das Vorbild für den Mithras-Kult? Vielleicht war es auch genau anders herum? Stierkulte gab es in jener frühen Zeit etliche (der um den Apis-Stier in Ägypten war auch einer). Die Astrologen sprechen von der Stier-Zeit (der die Widder-Zeit folgte und das Fische-Zeitalter).

Warum sich der Christus-Kult durchsetzte, wo statt des siegreichen Helden im Zentrum der sich selbst Opfernde steht, das mögen andere ergründen (Nicht nur meine Vermutung: Weil das Urchristentum sich zunächst auf die Seite der Geknechteten schlug – den Pakt mit dem Establishment ging man dann allerdings sehr rasch doch ein, wie es bisher alle Religionen gemacht haben).

Auf eine recht gute Beschreibung des Mithras-Kults stieß ich dieser Tage zufällig beim Aufräumen im Archiv: in Form eines sehr fundierten Artikels von P.J. Blumenthal im PM-Magazin aus dem Jahr 1983. Er zeigt deutlich die Verwandtschaft zum Labyrinth-Kampf des Theseus mit dem Minotauros (ohne diesen allerdings zu erwähnen).

Was ist anders, was ist neu beim Kreuzestod von Jesus (der dadurch zum Christus überhöht wird – ähnlich wie man die sterbende Ariadne als Sternbild Diadem an den nächtlichen Himmel versetzte)? Nun, beim Kampf des Helden mit dem Ungeheuer (Mithras vs. Stier – Theseus vs. Minotauros) ging es um den Sieg des männlichen Helden. Was bei Jesus´ Opfertod menschheitsgeschichtlich neu ist – das ist, dass nicht weiter gemetzelt und der Schatten (für den das Ungeheuer ja tiefenpsychologisch steht) weiter verdrängt wird – sondern dass im Gegenteil die animalische Seite im Menschen, das sog. Böse, angenommen und integriert wird, als Teil der eigenene Persönlichkeit. Mancher Theologe würde mich für diese ketzerische These wohl gerne kreuzigen – aber wenn man die Jesus-Geschichte so versteht, wird sie unglaublich modern und ist plötzlich gar nicht mehr rätselhaft und theologischen Grübeleien und Haarspaltereien ausgeliefert.

(Man kann es allerdings – und sollte es wohl auch – anders herum sehen: Weil damals zu Ostern jemand auf die Heldenrolle verzichtete – haben wir für die Gegenwart diese neue tiefenpsychologische Sicht der Dinge gewonnen.)

Es lohnt sich allerdings, noch tiefer zu graben: Der Kampf mit dem Stier ist nämlich – mindestens – 17.000 Jahre alt und schon in den Höhlen von Lascaux dokumentiert (s. den nächsten Beitrag).

Quellen:
Blumenthal, P.J.: "Können sie sich vorstellen, an Mithras zu glauben?". In: Peter Moosleitners Magazin Nr. 12, 1983
Kern, Hermann: Labyrinthe. Erscheinungsformen und Deutungen – 5000 Jahre Gegenwart eines Urbilds. München 1982 (Prestel)

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blog rein! Hilfreich könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel sein.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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