Medizinisches Wunder nach zwei Jahren Locked-in
BLOG: Labyrinth des Schreibens
Der Film Schmetterling und Taucherglocke hat dies anhand des ebenfalls echten Falles eines Franzosen nachgestellt. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (Frank 2012) liest sich das so:
Durch Pantkes Körper geht ein Ruck. Er will aufstehen, Bilder holen, die Christine Kühn damals gemalt. hat. Mühsam zieht er an der Tischplatte, drückt gegen den Stuhl, taumelt, erwischt den Rollator. Dann schlurft er durch das Atelier zu einem antiken Schreibtisch und kramt im Chaos. „Hier!”, ruft er. In der Hand hält er eine Serie getuschter – ja, was eigentlich? Gehirne? Labyrinthe? Geduldspiele? „Es könnte alles sein”, sagt er.
Es würde alles zu dem Leben passen, das er und seine Freundin damals führten. Ein Leben wie in einem Irrgarten, zwischen tiefer Depression und großer Hoffnung, immer kurz davor, aufzugeben und doch nie so weit. Sie ließ das nicht zu. Christine Kühn brachte ihm Bilder ins Krankenhaus, sie brachte Kraft, Neuigkeiten und vor allem: Geduld. Es braucht viel Geduld, um ein eingeschlossenes Wesen zu verstehen. Viel Geduld, es weiter zu bewegen. wenn alle anderen gegangen sind. Unerschöpfliche Geduld, um daran zu glauben, dass eine Statue sich regen wird. Um für ein paar Millimeter, die der große Zeh zuckt, dankbar zu sein. Es war der rechte, nach einem Vierteljahr. Dann der ganze Fuß, einen Monat später konnte Pantke die Stirn runzeln. Als taute er auf, unendlich langsam.
„Herr Pantke ist aus medizinischer Sicht fast ein Wunder”, sagt Franz Gerstenbrand. Der Wiener Professor hat 1966 das Locked-in-Syndrom als Erster beschrieben. In dieser Zeit sind ihm, sagt er, nur zwei Fälle untergekommen, die so gut ausgingen wie Pantkes: Schon nach zwei Jahren im Krankenhaus wurde er nach Hause entlassen […]
Mich hat diese Fallgeschichte nicht nur deshalb berührt, weil die Stichwörter Labyrinth und Irrgarten darin vorkommen. Es ist diesmal nicht nur ein Beispiel aus dem Kuriositätenkabinett des Labyrinth-Themas. Ich habe selbst einmal etwas erlebt, was – wenn auch nur sehr entfernt – diesem Zustand des Locked-in nahekam. Als Student, etwa 1965, habe ich einmal mehr gekifft als bekömmlich war. Die für dieses Stoned-sein typische Verlangsamung der psychischen Abläufe und eine zugleich eintretende Distanziertheit zur eigenen Existenz weckte in mir die Vorstellung, dass ich durch mein Leben wie durch eine Ausstellung spazieren könnte, deren Bilder wichtige Szenen aus meinem Leben waren. Das war zunächst eine interessante Vorstellung. Aber dann geriet ich in ein Erlebnis, das mehr als schrecklich war: Als Neunjähriger hatte ich mich lange zuvor einer Mandeloperation unterziehen müssen. Der Operateur (er machte seinem Namen „Dr. Metzger“ für mich alle Ehre) begann bereits zu schneiden, als die Betäubung noch nicht wirkte und ich die Schmerzen, die sein Skalpell verursachte, mehr als deutlich spürte. Ich versuchte zu schreien, drang aber nicht durch zu ihm.
Ich versuchte in meinem Zustand des Bekifft-seins von 1965 diese böse Erinnerung von mir wegzuschieben, vor allem, weil mich plötzlich zusätzlich die paranoide Vorstellung überkam, dass ich in dieser furchtbaren Erinnerungsszene für alle Zeiten wie eingefroren gefangen bleiben könnte: wirklich locked-in, so würde ich das heute nennen. So muss man sich die Hölle vorstellen, dachte ich mir damals, und suchte in Panik nach einem Ausweg.
Ich kam mir vor, als würde ich durch eine Galerie mit unzähligen Bildern wandern – und jedes dieser Bilder war ein wichtiges Ereignis in meinem Leben.
Ich entkam dem Locked-in, indem ich mich aufraffte, ein Stück Schokolade zu essen (Süßes ist bekanntlich ein gutes Antiodot gegen eine akute THC-Vergiftung). Dann warf ich das ganze Hasch, das ich noch hatte, vielleicht fünf Gramm, ins Klo und spülte es runter. Vor allem aber entschloss ich mich, mit dem Kiffen aufzuhören und einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Es dauerte dann noch gut ein Jahr, bis ich wirklich zu dem Therapeuten ging. Aber die Verändderung war begonnen.
Ich denke, ich kann ein wenig nachvollziehen, wie es Karl-Heinz Pahnke in diesen beiden schrecklichen Jahren zumute gewesen sein muss.
Frank, Charlotte: “Pantke lebt”. In: Südd. Zeitung vom 4. Mai 2012, S. 3
203/549/1253
Neugier
Ich bin neugierig nach Details: Als Sie stoned Erlebnisse Ihres Lebens betrachteten, war die Reihenfolge dieser Bilder hierarchisch(zeitlich) aufsteigend, absteigend oder eher stichpunktartig?
Neugier II
Ich vergaß eine 4. Variane zu erfragen: waren die erinnerten Erlebnisse mit einem gleichartigen Thema/ Erlebnisbereich/ Stichpunkt?
@KRichard: Keine klare Erinnerung
An solche Details kann ich mich nicht mehr erinnern. Die einzige klare Abfolge war: Erst die “schreckliche” Erinnerung an die Mandeloperation. Danach die bewusste Suche nach positiven Erlebnissen, die sich dann – durch ihren bedrohlichen “Ewigkeits”-Charakter – als ebenso schrecklich erwiesen.
Die “Gleichartigkeit”, nach der Sie fragen, bezog sich nur auf den “negativen” resp. “positiven” Charakter. Was ja unter dem Strich in diesem Zustand auf dasselbe hinauslief: “Das hört nie wieder auf und ich kann es nicht ändern.” (Locked-in!)
Das ist alles fast ein halbes Jahrhundert her!
schade
Vielen Dank für die Infos.
Ich hätte getippt, dass die Erlebnisbilder zeitlich absteigend erlebt wurden um dann bei der Operation ´hängen´ zu bleiben. Schade, dass Sie sich nicht mehr erinnern können.
(Ich sende Ihnen mein Buch ´Near-Death Experiences completely explained´ mit ein paar erklärenden Zeilen zu – wo ich kurz auf die Arbeitsweise des Gehirns eingehe. Als Psychologe könnte Sie dieses Erklärungsmodell interessieren)