Harakiri würde es auch treffen: “Ikarismus”

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Einige intellektuelle Berge Deutschlands kreißten und Peter Sloterdijk gebar den Begriff “politischer Ikarismus”.

Im Frankfurter Cantate-Saal fand soeben eine von der Bundeskulturstiftung ausgerichtete Tagung zum Thema „Politische Romantik” statt:

Es sollte um das gegenwärtige Verhältnis von Leidenschaft und Politik gehen – gemeinsam mit einem eindrucksvoll großen Teil der (männlichen) intellektuellen Prominenz des Landes von Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski über Karl Heinz Bohrer, Helmut Lethen, Heinz Bude bis zu Christoph Möllers und Herfried Münkler.

Allgegenwart des Labyrinth-Mythos
Ab und zu holt jemand aus der großen Schatzkiste der Labyrinthiade ein Thema oder einen Begriff heraus und gibt ihm einen neuen Sinn. So geschieht dies immer wieder mit dem Flug und Sturz des Ikaros. In seiner Einführungsrede zur erwähnten Tagung ging Peter Sloterdijk auf das geradezu selbstmörderische [Harakrir! JvS] Verhalten der Banken in der Gegenwart ein und gebar den Begriff “politischer Ikarismus”:


Von der „Liebe der Unglücklichen zum spektakulären Untergang” hatte tags zuvor in seiner Eröffnungsrede Peter Sloterdijk schon gesprochen. Zur politischen Romantik war selbst ihm nur eine überraschend mahnende Kritik am „politischen Ikarismus” eingefallen, an der Einheit von Herrschen und Fliegen. Am Beispiel der Karrieren und der späteren Rezeption von „Charismokraten” wie Alexander dem Großen und des größenwahnsinnigen, 1354 ermordeten römischen Herrschers Cola di Rienzo erzählte er sie freilich gewohnt eindrucksvoll als „Ur- und Frühgeschichte des politisch-romantischen Komplexes”. What goes up, must come down.

Ikarismus – das klingt gerade in diesem Zusammenhang und nicht nur lautmalerisch sehr ähnlich wie “Harakiri” und soll es wohl auch. All dem ist, denke ich, nichts hinzuzufügen.
Und dass so eine Tagung und ihre Referenten sehr viel mit Schreiben zu tun haben und somit auch diesbezüglich bestens in die Thematik dieses Blogs passen, muss ich wohl auch nicht eigens erwähnen.


Quelle:
Sloterdijk, Peter – zit.n. Rabe, Jens-Christian: “Sehnsucht nach dem Untergang”. In: Südd. Zeitung Nr. 87 vom 14. April 2014, S. 09

#276 / 1004 JvS / 930 SciLogs / Aktualisiert 15. April 2014/12:27 / v 1.1

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

11 Kommentare

  1. Harakiri ist etwas anderes, weil es ehr ein Selbstmordattentat ist, und damit den Untergang und den Schaden anderer alszentralen Zweck beinhaltet.

    Ikarismus kommt von Ikarus, der in seinem Drang zu Neuem der Sonne zu nahe kam und dabei umkommt. Alleine, wohl gemerkt und nicht als Absicht und schon keiner böswilligen.

    Die Schuldfrage und der Zweck: Beides gibt diesem eine andere Dynamik; eine nicht weniger brisante freilich.

  2. Ein Ikariker gleicht einem Harakiriker insoweit, als dass er eine unsägliche Schande auf sich lädt – die Schande ein ganzes Finanzinstitut in den Abgrund gestürzt zu haben. Doch ganz so physisch wie bei den Samurai gehts hier im Westen doch nicht zu, springt doch der Staat ein, rettet das Finanzinstitut mit Steuermitteln und stellt die Bank und damit den Banker unter Staatsaufsicht. Im schlimmsten Fall wird er entlassen und muss für eine Zeit lang mit Tantiemen aus früheren goldenen Zeiten über die Runden kommen – bis er vielleicht wieder eine kleine eigene Finanzboutique eröffnet. Anstatt Ikariker wäre so gesehen das Bild des Phönix, der aus der Asche wiederaufersteht, am Platz. Der Unterschied ist nur, dass der Phönix aus der Sage das aus eigener Kraft macht, nicht mit der Kraft des Steuerzahlers.

    • Eben , der Vergleich geht an der Realität vorbei und hat mit dem Bankenthema nichts zu tun.

      Eher paßt er zu Sloterdijks jüngeren Äußerungen , die stark auf einen spätgewendeten Marktradikalen hindeuten , was wiederum die Einschätzung begünstigt , Banker wären risikofreudig und innovativ – wie Ikarus – , tatsächlich ist die Bankenszene extrem risiokoscheu und rückwärtsgewandt.

      • Nun ja, wie risikoscheu und rückwärtsgewand die Bänker sind, siehz man ja am erneuten exzessiven Zocken mit ABS, der Staat wird schon für die Verluste der einen haften, während die anderen die Gewinne einstreichen…

        Schleuterdick? Das ist doch das Schandmaul, das Steuern als “Enteignung” verunglimpft und fordert, man solle diese doch durch herzensgütige Spenden – natürlich mit vorgegebenen Verwendungszweck – ersetzen. Sowas nennt saich im allgemeinen Sprachgebrauch asozial und er ist ein Sozialschmarotzer, also asozial.

        • Schandmaul , allerdings , eine weitere nette Äußerung Sloterdijks ist das Nachplappern der extremistischen Phrase , daß es nur noch sozialdemokratische Parteien gäbe , S. hat was von den “Qualitätsmedien” Spiegel oder Zeit , viele haben davon immer noch ein liberales oder linksliberales Bild im Kopf , das sich aber längst nicht mehr mit den Realitäten deckt.

          • (…) eine weitere nette Äußerung Sloterdijks ist das Nachplappern der extremistischen Phrase , daß es nur noch sozialdemokratische Parteien gäbe (…)

            Blöd ist halt, dass auf D bezogen ein pol. Extremismus festgestellt wird, wenn derart angemerkt wird, was Sloterdijks Aussage zu belegen in der Lage sein könnte, wenn es regelmäßig geschieht. – In anderen Ländern gibt es noch stringent liberale und konservative (“rechte”) Parteien.

            MFG
            Dr. W

      • Der Economist dieser Woche hat als Thema die immer engere Verbandelung von Staat und Finanzwirtschaft: Mit jeder der grossen Finanzkrisen gab der Staat mehr Garantien sowohl an die Einleger von Sparkonten als auch indirekt an die Banken selbst, indem sie zu verstehen bekamen, dass sie bei einem drohenden Bankrott nicht mehr einfach fallengelassen werden. Das gibt inzwischen den grossen Banken, denen die zu gross sind um fallengelassen zu werden, am Markt einen Vorteil, denn die Investoren wissen, dass eigentlich fast nichts schiefgehen kann – selbst wenn es schiefgeht.
        Das zu korrigieren dürfte schwierig sein, vor allem wenn der politische Wille fehlt und die Staaten ganz froh sind über Banken, die ihre Anleihen aufkaufen. Der Steuerzahler, der letztlich die Folgen tragen muss ist halt der, der sich am wenigsten wehren kann – weder gegen den Staat noch gegen seine heimlichen Verbündeten.

  3. @ Dr.Webbaer

    Jein.In D. sind insbesondere neoliberale Vostellungen stark eingesickert in die etablierte Parteienlandschaft, liberale und konservative Parteien gibt es , stringent konservative auch ,AfD .
    laube aber nicht , daß S. seine Aussage so differenziert gemeint hat , dagegen spricht seine neue Gesamtausrichtung und vor allem der Umstand , daß die Aussage eins der typischen Schlagwörter von Marktextremeisten ist und wortwörtlich so von diesen erfunden wurde.

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