Fliegerbombe in Schwabing: Wiederkehr des Verdrängten
BLOG: Labyrinth des Schreibens

Das Gelände der Olympischen Spiele von 1972 in München wird nicht nur von den modernen Stadien und dem Fernsehturm beherrscht. Da ist auch noch der Olympiaberg, wie er heute heißt. Dieser Berg birgt ein schreckliches Geheimnis.
Darauf deutet verschlüsselt die früher bei den Einheimischen übliche Bezeichnung hin: Schuttberg. Die (künstlich herbeigeführte) Explosion einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg mitten im Stadtteil Altschwabing vor fast zwei Monaten ist Anlass, wieder einmal auf dieses Geheimnis hinzuweisen.
Schuttberg – daas bedeutet: Hier wurden gegen Kriegsende im Mai 1945 nicht nur die Trümmer der im Luftkrieg zerstörten Gebäude zusammengekarrt – sondern hier liegen auch die zur Unkenntlichkeit zerfetzten Überreste einer unbekannten Anzahl Menschen, die man nicht in ordentlichen Gräbern bestatten konnte. Die Überlebenden haben das rasch vergessen: Sie mussten ja den Wiederaufbau stemmen. Wer heute auf diesem Berg lustwandelt und den Blick auf die imposante Anlage der “heiteren Spiele” von 1972 genießt, denkt vielleicht auch an die israelischen Opfer der palästinensischen Attentäter von vor 40 Jahren. Aber weiter zurück dürfte kaum jemand sich erinnern. Denn auf der Hinweistafel unterhalb des Gipfels steht nur lakonisch:
Dieser Berg entstand aus Trümmern der im zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstörten Münchner Häuser.
Abb. 1: Nur das Gipfelkreuz erinnert den, der es wissen will, was sich wirklich unter diesem hübschen Hügel verbirgt: zahllose namenlose Opfer der Münchner Bombennächte
Als in der Nacht von Dienstag, dem 28. August dieses Jahres, mitten in der Stadt eine bösartige Fliegerbombe von 250 Kilogramm tödlicher Ladung bei Bauarbeiten zum Glück rechtzeitig entdeckt und zur kontrollierten Explosion gebracht wurde- da waren diese anderen, weiter zurückreichenden Erinnerungen bei vielen Münchnern plötzlich ebenfalls wieder da. Sehr lebendig sogar. Die Medien waren voll von ihren Aussagen. Hildegard Hamm-Brücher, eine der Ikonen der FDP, wohnte während des Krieges als junge Studentin in der Feilitzschstraße, wo dieser Tage die Bombe hochging. Sie war damals bei den Löschtrupps dabei, die nachts losgeschickt wurden, und “erlebte eine Stadt in Todesangst”. Sie bringt jene schreckliche Zeit des Bombenkrieges so auf den Punkt:
Anfangs kamen immer nur Brandbomben, die Sprengbomben wurden erst gegen Kriegsende von den Amerikanern eingesetzt. Wir Studenten sollten die Brände eindämmen oder löschen, bevor die Feuerwehr eintraf. Im Ernstfall konnten wir nicht wirklich etwas ausrichten, dazu waren die Mittel zu primitiv. Zum Glück habe ich nie einen richtigen Angriff […] erlebt, da hatte ich wohl einen Schutzengel. (Hamm-Brücher 2012)
Ich habe meine Schuhe viele Jahre bei einem Schuster richten lassen, der nach der Pensionierung von München nach Weilheim umzog. Weil ich seine Arbeit sehr schätzte, fuhr ich sogar an seinen neuen Wohnort. Zwangsläufig kam man sich dabei näher, denn es gab Kaffee und Kuchen, während ich auf meine Schuhe wartete. Bei einem dieser Gespräche kam heraus, dass seine Frau fast jede Nacht schreiend aus Albträumen aufwachte. Der Zusammenhang war ganz einfach, bedurfte keiner psychologischen Deutung: Im Krieg war sie in München tagelang im Keller eines zerbombten Hauses verschüttet. Sie wurde nur gerettet, weil ein benachbarter hoher Offizier darauf bestand, dass weiter ausgegraben wurde. Hier wurde nichts verdrängt – hier war das erlebte Grauen noch ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende höchst lebendig. Millionen Menschen haben in Deutschland Ähnliches erlebt – und es für sich behalten. Wer machte damals schon eine Psychotherapie oder hatte das Geschick und die Disziplin, das Erlebte wenigstens literarisch zu verarbeiten?
Wiederkehr des Verdrängten
Sigmund Freud hat in seinen Schriften den staunenden Lesern viele ungewöhnliche Beobachtungen vorgestellt und in diesem Zusammenhang eine Reihe neuer Begriffe geprägt. Die sind uns heute so geläufig, dass wir selten daran denken, von wem sie stammen und dass sie in die deutsche Sprache erst vor etwa einem Jahrhundert Eingang fanden. Für mich einer der faszinierendsten Begriffe dieser Art ist die “Wiederkehr des Verdrängten” (Freud 1895).
In etlichen der Medienberichte wurde sie erwähnt, diese Wiederkehr. Man wies damit darauf hin, dass da in der makabren Schwabinger Bombennacht etwas wieder auftauchte, das recht gut und tief verborgen lag: Der Krieg, die Bombenangriffe, der Fliegeralarm, die furchtbaren Nächte in den Luftschutzkellern, der Feuersturm.
Krieg im Mikroformat
Die “kontrollierte Explosion”, welche die Münchner Experten um 21:54 Uhr auslösten, entfachte ein Inferno, das 17 der umstehenden Häusern teils erheblich demolierte und geschätzte vier Millionen €uro Schaden anrichtete. Der Student Simon Aschenbrenner (was für ein passender Name!) hat dieses Ereignis in einem eindrucksvollen Video dokumentiert. Aber dank der vorbildlichen Absperrung im Umkreis von 300 Metern und der Evakuierung von tausend unmittelbaren Anwohnern verlief die Aktion ohne menschliche Schäden. Die finanziellen Schäden dürften freilich erheblich sein und die direkt Betroffenen noch auf Jahre hinaus belasten.
Was hätte schief gehen können, demonstriert ein rund ein Kilogramm schwerer Splitter der Bombe, der 660 (!) Meter weit durch die Luft bis zum Haupotgebäude der großen Versicherung Munich Re in der Königinstraße geschleudert wurde. Er war “ein Kilo schwer und rasiermesserscharf”, wie die Abendzeitung titelte (Willi Bock). Als ich mir den Flug dieses Trumms auf den Statplan einzeichnete, wurde mir nachträglich ein wenig mulmig: denn die Flugbahn führte ziemlich genau über das Haus, in der Seesrtraße, in dem ich etwas mehr als ein Jahr zuvor noch gewohnt hatte.
“Das war Krieg im Mikro-Format”, bemerkte einer der Schaulustigen neben mir, als ich mich einige Tage später unter die Neugierigen mischte, um ein paar Fotos zu – pardon – schießen. Und innerlich mich auch ein wenig zu gruseln bei dem Gedanken, dass da, wo jetzt der Bombenkrater gähnte, einst die Kultkneipe Schwabinger Sieben gestanden hatte. In der hatten wir als Studenten unsere ersten Joints geraucht. Was für ein Glück, dass wir nichts davon ahnten, welche Zeitbombe buchstäblich unter uns geduldig fast sieben Jahrzehnte wartet, um dann nicht etwa zu ticken, sondern zu tropfen – ja: zu tropfen, denn dieses tückische Monster war mit einem Säurezünder versehen, den irgendeine starke Erschütterung hätte auslösen können.
Abb. 2: Zerstörte Schaufenster der Bäckerei…
Abb. 3: … und beim Tatoo Theater gleich gegenüber in der Marktstraße (Fotos: J. vom Scheidt / 29. Aug 2012)
Abb. 4: Sogar McDonalds Markt- /Ecke Feilitzschstraße musste einige Tage schließen – im Hintergrund die Menge der Neugierigen ((Foto: J. vom Scheidt / 29. Aug 2012)
Wie ein roter resp. brauner Faden…
… zieht sich durch die Nachkriegsgeschichte die Verdrängung der schrecklichen Geschehnisse des Bombenkriegs und des Naziterrors einerseits – und die reale Existenz des “braunen Sumpfs” der Ewgiggestrigen und der Neonazis andrerseits. Diese sind ja bis auf den heutigen Tag die Wiedergänger jener Verbrecher, welche mit ihren Luftangriffen auf London, Rotterdam und Warschau die Ursache der Bombenkriegs waren, den die Engländer und ihre Verbündeten von 1942 bis 1945 mit ungeheurer Wucht nach München, Dresden, Hamburg zurücktrugen.
Hat eigentlich jemand auch einmal die schreckliche Mordserie der drei Neonazis in diesen Zusammenhang gebracht, die uns 2012 so beschäftigt haben? Holt doch alles, was mit dem “braunem Sumpf” (auch ein hübscher Euphemismus) zu tun hat, sehr unmissverständlich ans Tageslicht, was die Deutschen (mich eingeschlossen) gerne – ja: “verdrängen”, wie der Jude Sigmund Freud es einst formulierte.
Abb.5: Am Tag danach sind in vielen Häusern der Umgebung die Fenster zerstört und die Türen verrammelt. (29. Aug 2012 – Foto: J. vom Scheidt)
Seltsame Koinzidenz: Direkt gegenüber von dem Bombenkrater befindet sich das Gebäude der Constantin Filmgesellschaft, die den eindrucksvollen Film “Der Untergang” über die letzten Tage Adolf Hitlers und seiner Hofschranzen im Führerbunker zu Berlin produzierte. Noch heute, zwei Monate nach der Explosion, sind etliche der Fensterscheiben oben im dritten Stock zerstört (s. Foto). Auf mich wirkt das so, als greife da eine Hand “von jenseits des Grabes” im Führerbunker in die Gegenwart: “Schaut her, mich werdet ihr so leicht nicht los!”
Abb.6: Der Krater, in dem die Bombe gezündet wurde…
Abb.7: … und die geschwärzten Fassaden der Umgebung (Fotos: J. vom Scheidt / 29. Aug 2012)
Allgegenwart des Labyrinth-Mythos: Minotauros
Das Verdrängte, das mit einer Art “Gegenwillen” (S. Freud) in die Tiefen des Unbewussten versenkte Wissen um schreckliche Ereignisse, wird in der griechischen Mythologie in einem eindrucksvollen Bild und von einem ebenso schrecklichen Ungeheuer dargestellt: dem Labyrinth mit dem menschenfressenden Minotauros.
Dieser Minotauros ist, man erinnere sich, selbst etwas Verdrängtes: nämlich die Frucht der perversen körperlichen Vereinigung der kretischen Königin Pasiphäe mit dem Stier des Poseidon. König Minos ließ von dem Erfindergenie Daidalos dieses tödliche Verließ bauen, um den stierköpfigen Stiefsohn vor den Augen der Welt zu verbergen. Indem er – der Sage nach – alle sieben Jahre athenische Geiseln* an das Ungeheuer verfütterte, entriss Minos das von ihm Versteckte und Verdrängte allerdings immer wieder selbst der Dunkelheit jener unterirdischen Höhle. Ähnlich wie Joseph Campbell in seinem Buch über die Heldenreise sehe ich in diesem Minotauros-Aspekt das Kernstück der Labyrinthiade.
* Diese Geißeln waren übrigens ebenfalls das Resultat eines Krieges: zwischen Kreta und Athen. Athen hatte Kretas Vormachtstellung im Mittelmeer brechen wollen – und den Krieg verloren.
Sigmund Freud erfand auch dafür die passende Bezeichnung. Er nannte dies Wiederholungszwang. Ein Verhalten, das jedem Menschen geläufig ist, der sein eigenes Leben selbstkritisch anschaut und reflektiert. Autobiographisches Schreiben ist dafür eine hervorragende Gelegenheit.
Die drei Themenstränge dieses Blogs
Wir sehen hier also, ausgelöst von einer (zum Glück glimpflich abgelaufenen) Bombenexplosion alle Themen, die ich in diesem Blog “Labyrinth des Schreibens” behandle und immer wieder “unter einen Hut” zu bringen versuche, möglichst unter einen “neuen Hut”:
° Da ist das Schreiben in seinen drei Grundvarianten sachthematisch (Freuds wissenschaftliche Arbeiten), erzählend (der Labyrinthmythos, die Zeitungsberichte) und autobiographisch.
° Da ist die vielschichtige Labyrinthiade mit ihrer Fülle von Unterthemen (Minotauros, Daidalos).
° Da ist der Zusammenhang von Themen, die ihre untergründige Verbindung erst bei genauerer Betrachtung preisgeben, darunter das Konzept der Heldenreise, das uns noch intensiver beschäftigen wird.
Autobiographisches
Eine der eindrucksvollsten Kinoerfahrungen meiner Jugend war der Film “Irrtum im Jenseits”. David Niven spielt darin einen britischen Bomberpiloten, dessen Lancaster beim Rückflug in Brand geschossen wird und der vor der Küste Englands ohne Fallschirm ins Meer springt. Seltsamerweise überlebt er: Jemand von “Drüben” hat es verpasst, ihn mit seiner toten Crew in den Himmel zu bringen. Während er, nachdem der Absturz scheinbar problemlos verlief, wegen eines Gehirntumors operiert werden soll, erlebt er auf dem Operationstisch halluzinierend/träumend eine eindrucksvollen Gerichtsverhandlung: Man will herausfinden, ob er zu Recht weiterlebt oder doch “ins Jenseits” muss – und wie es mit seiner Verantwortung für die Handlungen steht, die er im Krieg, eben als Bomberpilot, ausführen musste..
Die stärkste Szene ist die gleich zu Beginn, als der Pilot im brennenden Bomber mit einer Helferin unten auf der Erde via Funk ein makabres Gespräch führt – mit jener Frau, in die er sich nach der Rettung verliebt.
1992 traf ich nach einer Bergwanderung im Wallis in dem Restaurant, wo ich auf meinen Zug wartet. ein amerikanisches Ehepaar. Die Frau war krank, konnte kaum laufen. Ich besorgte gleich gegenüber im Bahnhof einen Rollstuhl. So kamen wir ins Gespräch. “Where do you come from?” fragte mich der Mann, der vom Alter her gut mein Vater hätte sein können. “From Munich.” Er wurde plötzlich sehr still und sagte dann, sehr bewegt, dass er im Krieg Bomberpilot gewesen sei und München bombardiert hätte. Es war ihm deutlich anzumerken, dass ihn diese schreckliche Zeit noch immer sehr beschäftigte. Ich konnte ihn beruhigen, dass ich damals nicht in München gelebt hätte. Aber ich werde nicht vergessen, dass die Angreifer von damals ebenso mitfühlende Menschen sein konnten und nicht nur böse Unmenschen, wie ihre Opfer unten in den Städten mitleidlos töteten – und die noch Jahrzehnte danach ebenfalls von jener schrecklichen Zeit verfolgt wurden. Manche von ihnen jedenfalls.
Ich wurde 1940 geboren und habe den Krieg, in einigen Ausschnitten, noch immer sehr lebhaft in Erinnerung. Ob ich einen der ersten Angriffe auf Leipzig (ab Winter 1942) erlebt habe, weiß ich nicht. Aber es gibt schreckliche Albträume in meinem Leben, die das irgendwie eingefangen haben. In München sah ich 1943 im Frühling im Treppenhaus bei meinem Onkel das Loch im Dach, das eine Brandbombe geschlagen hatte. Ganz fasziniert von diesem ungewöhnlichen Ausblick wollte ich immer wieder “die Sternele sehen” – nicht ahnend, worum es sich bei diesem wunderbaren Ausblick in den Nachthimmel handelte.
1945, als die Amerikaner sich dem Ort Rehau näherten, wohin meine Familie aus Leipzig evakuiert worden war, mussten wir eines Nachts in den Keller. Die SS wollte gleich nebenan die Brücke über den Höllbach sprengen, in einem letzten verzweifelten Aufbäumen gegen den Untergang. Zum Glück gab es auch vernünftige Leute, die das im letzten Moment verhinderten. Aber diese Situation im Keller werde ich ebenfalls nie in meinem Leben vergessen: vor allem nicht die Todesangst der Erwachsenen, die auf uns Kinder durchschlug.
Wer in München richtige Bombenangriffe mitmachte, mag diese für lächerliche Peanuts halten. Aber mich hat das fürs Leben geprägt. Mein Interesse an Science fiction speist sich in hohem Maße aus dieser Quelle: Der Angst vor dem Atomkrieg. In den Romanen wurde das in unzähligen Varianten durchgespielt. Aber nach der letzten Seite der Lektüre schlug man das Buch, das Heft zu – und war gerettet, egal, wie es in der Erzählung ausging. In vielen Träumen habe ich das erlebt, in immer neuen Varianten: Wie die Flugzeugschwärme am Himmel auftauchen, mit ihrer tödlichen Last.
Lange, bevor Gorbatschow und Reagan in Reykjavik (1985/86) endlich diesem drohenden Inferno Einhalt geboten, träumte ich, als hätte ich es geahnt, wie sich von Osten eine golden strahlende Bomberflotte wieder einmal näherte – und dann friedlich abzog und zurückflog. Seit diesem Traum ist meine Angst vor dem Atomkrieg fast verschwunden.
Fast, betone ich – denn es gibt ja noch immer genug Verrückte auf diesem Planeten, welche die Option des “atomaren Erstschlags” für eine durchaus sinnvolle politisch-militärische Möglichkeit halten. Dieser Irrsinn ist noch nicht vorbei.
Jedenfalls war die Sirenenprobe einmal im Monat am Mittwoch mittags um 12:00 Uhr eine schauerlicher Begleitmusik meiner Schulzeit in der Münchner “Gisela Oberrealschule”. Bis diese Proben eingestellt wurde. Weil nun auch der Kalte Krieg zu Ende schien.
Der Zufall wollte es, dass ich genau in der Zeit, als ich mit diesem Artikel über die “Schwabinger Bombe” begann, bei einer Wanderung am Starnberger See, in der Nähe von Bernried, genau diese Fanfare der Apokalypse wieder hörte. Keine Ahnung, warum man die Sirenen mitten am Tag heulen ließ. Feueralarm? Wer weiß. Da war nirgends Rauch am Himmel. Technische Probe? Vielleicht.
Auf jeden Fall:
Ab und zu brüllt der Minotauros in der Tiefe. Und man weiß nicht, ob es Ernst ist oder nur so zum Vergnügen.
Quellen
Bock, Willi: “Dieser Splitter ist 660 Meter weit geflogen”. In: Abendzeitung Nr. 202 vom 1. Sep 2012, S. 9
Freud, Sigmund und Josef Breuer: (Wiederkehr des Verdrängten) „Studien über Hysterie“ (1895). In: Ges. Werke Bd. I , S. 301
ders.: „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ (1914). In: Ges. Werke Bd. X
ders.: „Die Verdrängung“ (1915). In: Ges. Werke Bd. X
Hamm-Brücher, Hildegard (Interview durch Christian Mayer): “Damals hatte ich wohl einen Schutzengel”. In: Südd. Zeitung Nr. 202 vom 1. Sep 2012, S. R6 (Regionalteil)
Powell, Michael und Pressburger, Emmerich (Regie): A Matter of Life and Death (Stairway to Heaven / Dt. Irrtum im Jenseits). Great Britain 1946
219/#807/1368 – BloXikon: Verdrängung / Begonnen in der Virtuellen Schreib-Werkstatt #308
Vielen Dank…
…für diesen zwar etwas langen, aber buchstäblich tief-schürfenden, eindrucksvoll bebilderten und bewegenden Blogpost!
Dran bleiben
Ich wollte doch ein paar Anmerkungen machen – schon lange. Zuerst einmal: Danke. Da hast so viele Zusammenhänge anklingen lassen. Wichtige, die vielleicht dann am meisten prägten, wenn man darüber nicht richtig sprechen kann. Es fällt manches noch schwer.
Ich – Jahrgang 45, als Baby aus dem brennenden Haus rausgetragen. Meine Mutter hatte natürlich Recht: Du kannst dich doch gar nicht dran erinnern. Also tu nicht so, brauchst nicht wehleidig zu sein. Mit den Schlussfolgerungen hatte sie natürlich nicht mehr so Recht. Aber es war zu ihrem Selbstschutz notwendig: Ihre Generation hat da was mit verschusselt, verschuldet. Sollte sie diese Peinlichkeiten– gerade wenn sie diffuse Schuldgefühle hatte und sonst auch mit niemand drüber sprach – ausgerechnet ihren Kindern erläutern? Aufbauen, das war überlebensnotwendig und auch so etwas wie eine Bußübung. Da hat sie einiges geleistet und durchgestanden, was wir Jüngeren als sehr selbstverständlich ansahen.
Ja, wir hatten als Pubertäre schon gespöttelt und erst recht als Studenten eingefordert: dass diese Generation sich ihrer Schuld stellt. Doch erst nachträglich fiel mir auf, dass wir forschen Fordernden da ziemlich genau so alt waren wie unsere Eltern waren, als sie sich 1933 braun beschmutzten und auf jene Parolen hereinfielen. Waren wir wirklich politisch gereifter? Weniger verführbar? Oder hatten wir nur mehr Glück, dass unsere Parolen nicht annähernd so viel und jedenfalls nicht dieselbe Wirkung zeigten?
Wir waren in den 60er/70-er-Jahren auch empört, dass diese Älteren nichts von der Schrecklichkeit der Kriege (Vietnam…) und anderer politischer Scheußlichkeiten (in der „dritten Welt“) wissen wollten – eine heile Welt uns vorgaukelten oder sagten: Eure Aufregung nützt ja doch nur den Falschen. War es unpolitisches Desinteresse? Oder war es der Versuch der Immunisierung gegen Dinge, die jene Generation viel drastischer durchmachte als wir pausbäckig Fordernden ermessen … wollten? Denen musste man doch die Scheußlichkeit von Kriegen ausmalen.
Nun ja, sie haben es auch nicht selber erzählt, was sie selber durchmachten und merkwürdig emotionslos mal nebenbei erzählt, wie man mit Leuten umging, denen man „Rassenschande“ vorwarf: Ja, sie habe man geschoren durchs Dorf getrieben und ihn dann im Bunker verhungern lassen…
Aber auch davon, wie unser Haus und die Hälfte des Dorfes brannte: nur ein paar Eckdaten. Und nichts darüber, wie die Frauen die ersten Stunden überstanden oder was da durchgemacht wurde. Manches wie ein Filmriss. Filmriss? Später in dokumentarischen Aufbereitungen ein paar Hinweise, was für Geschehnisse zu Filmrissen führen können. Ja doch, die Oma eines „Besatzungskindes“ habe damals gemeint: dass es schwarz ist, wird nicht schlimm sein, aber wenn es nicht einmal richtig Deutsch kann.. So was konnte man erzählen, das war die lustigere Seite. Was es da aber Unsagbares gab – und es wird viel gewesen sein – sie haben es mit ins Grab genommen. Und wollten uns schonen.
Ist gut, wenn über manches Gras wächst. Aber besser, wenn man die verborgenen Sprengbomben dann doch entdeckt, entschärft… Und nie denkt, die Gefahr sei einfach vorbei und vergangen, sondern weiter „dranbleibt“, aufarbeitet. Und auch verdeckte Wunden ernstnimmt – damit sie nicht wieder gefährlich werden.