Entdeckerfreude im “Fröhlichen Weinberg” und in China-Krimi

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Ja, so kann´s gehen. Man zappt sich Samstagnacht bei jeder Werbeunterbrechung weiter zum nächsten Sender – und landet im Fröhlichem Weinberg des SWR.
Und just in dieser Sekunde, als der Labyrinth-Blogger genervt weiterzappen will – da schmettert eine Sängerin das Lied "Im Labyrinth der Liebe".

Ich habe einige Male für die Gema-Stiftung in Celle an einem Seminar meiner Kollegin Edith Jeske für Text-Dichter mitgewirkt, war verantwortlich für den kreativen Einstieg. Ich erinnere mich noch genau, dass ich vor zwei Jahren als Thema zur Anregung der Phantasie mal Labyrinth vorschlug – und einhellig die Antwort bekam, dass dies für das deutsche Schlagerpublikum viel zu intellektuell und pretäntiös sei. Aber wie´s so geht: Bei irgendjemandem fiel die Anregung offenbar doch auf fruchtbaren Boden. Oder vielleicht hatte auch rein zufällig ein(e) Textdichter(in) den selben Einfall. Sei´s drum: Das Lied ist ganz nett, ein richtiger deutscher Schlager halt, Lyrik à la "Herz – Schmerz". Die Refrainzeile der Kuriosität lautet wie der Titel: "Im Labyrinth der Liebe". Wer unbedingt mehr darüber wissen will: Der Name der Sängerin ist Lou und die Website des SWR-Fernsehens verkündet folgendes über sie:

Lou: Der Name steht für geballte musikalische Power und künstlerisches Talent. Die quirlige deutsche Sängerin mit den roten Haaren [wurde bekannt] durch ihre Teilnahme beim Eurovision Song Contest im Jahr 2001. Seit dem tourt sie mit ihrer Coverband durch ganz Europa und gibt ihre Schlager-Hits zum Besten. Im Weinberg muss sie beim lustigen Lied-Quiz mit Marc Marshall ihr Können unter Beweis stellen und wird so für die eine oder andere Überraschung sorgen. Live präsentiert sie unter anderem ihren aktuellen Hit „Im Labyrinth der Liebe“.

(Für die Fans: Über den Link findet man auch ein Foto von Lou.)

Weil wir schon beim Zufall sind

Anderntags (also Sonntag, 24. Mai 2009) saß ich gleich um die Ecke im Starbucks in der Feilitzschstraße und begann mit der Lektüre eines Krimis, der herrenlos auf einem Tischchen lag: Die Schnapsstadt von Mo Yan. Der Rücktext hatte mich neugierig gemacht:

In China brodelt die Gerüchteküche: In einer entlegenen Provinz sollen dekadente Parteikader, die nach der Wirtschaftswende zu Reichtum gekommen sind, kleine Kinder nach allen Regeln der Kochkunst zubereiten lassen.

Na, das ist doch was für einen geruhsamen Sonntagmittag im Café, dachte ich, und begann zu lesen. Der Roman fing gleich sehr spannend und mit kräftigem Lokalkolorit an. Der Sonderermittler Ding Gou´er kommt bei seinen Recherchen in die Verwaltung eines Bergwerks. Und man hält es nicht für möglich, freut sich aber als Labyrinth-Fan natürlich diebisch über den unerwarteten Zufallsfund auf S. 31:

"Ich bin noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden mit dem Fall beschäftigt, dachte er, und schon habe ich einen Weg durch den Irrgarten gefunden."

Auf der übernächsten Seite variiert der Autor die Metapher. Vom Pförtner des Bergwerks ordentlich mit Schnaps abgefüllt, sucht der Held seinen Weg durch das fremde Gelände:

"Die Phantasie des Ermittlers schwang sich in die Lüfte; Windböen trugen Flügel und Federn vor sich her. Wahrscheinlich war der junge Mann mit der Stoppelfrisur Mitglied einer Bande, die kleine Kinder fraß, und war schon dabei, seine Flucht vorzubereiten, als er ihn in diesen Irrgarten von Baumstämmen gelockt hatte. Der Weg, den er einschlug, war voll Fallen und Gefahren. Aber die Verbrecher hatten Ding Gou´ers Intelligenz unterschätzt."

Neugierig geworden? Dann lesen Sie doch den Roman! Es lohnt sich. Er ist wirklich gut und spannend geschrieben und präsentiert China mal von einer ganz anderen Seite, nämlich aus der Sicht der Unterwelt. Das Ganze ist keineswegs nur ein genrekonformer Krimi, sondern eher ein moderner Roman, der im Gewand eines Krimis daherkommt. Auf den letzten Seiten lässt der Autor sogar sämtliche Satzzeichen weg – eine unübersehbare Hommage an den immer noch modernsten und experimentierfreudigsten Autor des eben vergangenen 20. Jahrhunderts, James Joyce. Aber über den und seine Affinität zum Labyrinth-Theme in drei Wochen mehr: am 16. Juni., dem Bloomsday.

Bezug zum Thema Hochbegabung gewünscht?

Kein Problem. Auf S. 23 lesen wir:

"Sonderermittler Ding Gou´er "war ein erfahrener Ermittler, einer der besten, und genoss einen guten Ruf bei höheren Kadern."

Ich tippe demgemäß "aus der Ferne" auf Hochbegabung. Bei den Besten ihres Faches liegt man da bestimmt selten daneben.

Um es ganz klar zu stellen: Sowas wie den Fröhlichen Weinberg würde ich mir nie im Leben anschauen. Aber vielleicht habe ich mich während einer Sekunde des Zögerns unbewusst an die interessanten und weinseligen Stunden der Deidesheimer Spätlese erinnert und mein Unbewusstes machte sich dies zunutze.

Und noch eine Querverbindung: Der Plot der Schnapsstadt kommt Kennern der Kriminalliteratur wahrscheinlich bekannt vor: Stanley Ellin hat ihn bereits 1946 in seiner Kurzgeschichte "Spezialität des Hauses" wohl als erster durchexerziert – in seiner allerersten gedruckten Story.

In der selben Anthologie Sanfter Schrecken kommt an drei Stellen übrigens auch das Stichwort Labyrinth vor (S. 73, 84, 116). Krimi-Autoren (und SF-Autoren) lassen sich das selten entgehen. Aber das will ich jetzt nicht weiter vertiefen.

Quellen
Ellin, Stanley: "Spezialität des Hauses" (1946): In: Ellin, Stanley: Sanfter Schrecken. Deutsch von Arno Schmidt. 51. bis 55. Tsd, Frankfurt am Main April 1974 (Fischer Taschenbuch)
Lou (Gesang): Im Labyrinth der Liebe. In: SWR, Sendung "Der Fröhliche Weinberg" vom 23. Mai 2009, 20:30 Uhr.
Yan, Mo: Die Schnapsstadt. (Taibai/China 1992). Dt. Übersetzung von Peter Weber-Schäfer: Zürich 2005 (Unionsverlag)

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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