Der “Ruf” der Gruppe 47 begann mit zwei roten Fäden
BLOG: Labyrinth des Schreibens
Ich führe Sie jetzt bewusst zunächst in die Irre. Beim Stichwort "Ruf" haben Sie vermutlich assoziiert: "Guter Ruf" – oder, was ja viel interessanter ist: "schlechter Ruf".
Nun, der "gute" oder "schlechte" Ruf der Gruppe 47 soll hier überhaupt nicht zur Debatte stehen. Das Zitat, das mich zu diesem Beitrag animiert hat, stammt aus einem Buch über diese einstmals tonangebende Gruppe von Schriftstellern der Nachkriegszeit und bezieht sich auf eine Zeitschrift jener frühen Jahre der Bundesrepublik, die Der Ruf hieß. Ursprünglich ein Informationsblatt für die Insassen deutscher Kriegsgefangener in einem Lager in den USA, wurde sie in – drastisch -veränderter Form zu einem erstaunlichen Erfolg im besetzten Deutschland, genauer: in der amerikanischen Besatzungszone.
Doch zunächst ein paar Sätze zur Gruppe 47. Dieser (sehr) lose Zusammenschluss von etwa einem halben hundert Autoren und Dichtern mit wechselnder Besetzung, zusammengehalten eigentlich nur von den persönlichen Einladungen des Initiators Hans Werner Richter, bestimmt in ihren Großmeistern noch heute (immerhin sechs Jahrzehnte später) recht nachhaltig die intellektuellen Debatten der Bundesrepublik und ein wenig auch den Buchmarkt und die Medienpräsenz in Deutschland: Günter Grass, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger.
Günter Gras muss nur öffentlich Pfeife rauchen – schon ist sein Photo in allen Gazetten; oder er erwähnt in einem Interview beiläufig, dass er in der SS war – schon verkaufen sich seine Memoiren gleich noch besser. Martin Walser muss in einem Vortrag nur Verständnis für den Milliarden-Korruptions-Skandal der Siemens-Manager äußern – schon raschelt der Blätterwald. Und Hans Magnus Enzensberger versteht sich ebenfalls geschickt immer wieder ins Spiel zu bringen – oder wird, als Promi mit eloquenten, phantasievollen Meinungen und Ideen, gerne als Interviewpartner gefragt.
Was auffällt an der Gruppe 47: Das waren alles Opfer des Krieges und der Nazi-Zeit. Wackere Antifaschisten, politisch sehr links (vor allem solange sie noch nicht als erfolgreiche Autoren richtig etabliert waren). Bis auf eine Ausnahme: der Jude Paul Celan, der ein einziges Mal las – und durchfiel mit seiner Todesfuge ("Der Tod ist ein Meister aus Deutschland -"). Welche grobe Verhaltensweise der Gruppe den Ruf eines "latenten Antisemitismus" einbrachte. Naja: Celan war eben ein Opfer ganz anderen Kalibers – als Angehöriger eines von den Nazis zur Vernichtung bestimmten und freigegebenen Teils der Menschheit sogar Opfer im doppelten Sinne.
Aber über all dies kann und will ich hier nicht rechten und be-richten. Vielmehr möchte ich ein sehr aufschlussreiches Zitat wiedergeben, auf das ich stieß, als ich den Blog-Eintrag über Hans Magnus Enzensberger recherchierte (Im Irrgarten der Intelligenz)
Das Zitat stammt aus Heinz Ludwig Arnolds Bild-Monographie Die Gruppe 47 (S. 21) , das sehr präzise die ideologischen bzw. weltanschaulichen Wurzeln der Gruppe 47 umreißt, obgleich er zunächst nur auf die genannte Zeitschrift Der Ruf gemünzt war. Es ist sicher kein Zufall, dass dabei der rote Faden bemüht wird, sogar in doppelter Ausführung – denn die Intellektuellen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg befanden sich ohne Frage in einer äußerst verwirrenden Welt:
Wir machten dieses Blatt unter dem Aspekt der Freiheit, also daß man in Deutschland sagen konnte, was man zu sagen für nötig hielt. Und das hat auch eingeschlossen die Kritik an der [amerikanischen] Besatzungmacht. Der "Ruf" war einige Zeit lang fast das einzige Blatt in Deutschland, das Kritik nicht nur an der jüngst vergangenene deutschen Geschichte übte, sondern auch an der Besatzungsherrschaft. – Es gab zwei zentrale rote Fäden, die sich durch die Zeitschrift zogen. Das eine war die Idee, Deutschland, also das künftige Deutschland, müsse eine Brücke zwischen Ost und West bilden. – Die zweite Sache war die, daß wir sagten: Sozialismus. Wir sind für ein sozialistisches Deutschland eingetreten, das außen- und innnepolitisch als Brücke zwischen den Westmächten und der Sowjetunion dienen solle. Und das natürlich nun geäußert im Moment des Beginns des Kalten Krieges…"
(Der Ruf erschien ursprünglich in der Nymphenburger Verlagshandlung, in der ich 1969 ein Jahr lang als Lektor meine ersten beruflichen Erfahrungen gesammelt habe. Dies ist einer dieser schönen Zufälle im Leben, hier aber nicht weiter von Bedeutung.)
Quelle
Arnold, Heinz Ludwig : Die Gruppe 47 / Reinbek 2004 (Rowohlt Monographien)
Gruppe 47
Die „Gruppe 47“ war in ihrer Wirkungsweise nichts anderes, als die rote Nachfolgeorganisation der braunen Reichsschrifttumskammer. Ein rotes Netzwerk, ein mafioses Geflecht von Verbindungen, Empfehlungen und Angeboten.
„Die Gruppe 47, war eine Mischung aus Club, Clique, und Consortium ……“ wie Fritz J. Raddatz, ehemaliger Leiter des „Zeit“- Feuilletons einmal meinte.
Ihre Mitglieder waren die ideologischen Vordenker der „Achtundsechziger“ und damit die Wegbereiter roten Gesinnungsterrors anders Denkenden gegenüber, der in der heutigen Zeit in der BRD immer beängstigende Züge annimmt.
Obwohl sie 1967 aufgelöst wurde, wirkt ihr Ungeist bis heute nach.
Lutz Huth
Hannover
Kommentar von Lutz Huth
Naja, so kann man es auch sehen. Aber so ist es bestimmt zu einseitig wahrgenommen. “Braun” und “rot” sind so griffige Farben.
Fest steht doch, dass die “Gruppe 47” auch eine beachtliche Reihe wichtiger und guter bis sehr guter Bücher hervorgebracht hat. Ich kenne eines ihrer Mitglieder, Barbara König, persönlich und habe alle ihre Bücher gelesen – “Die Personeneprson” ist ein wegeisender exzellenter moderner Roman (und noch ein sehr amüsanter dazu) und die anderen sich auch sehr lesenwert. Und überhaupt nicht “links”, keine Spur. Und Ingeborg Bachmann, die Lyrikerin und Hörspielautorin von hohen Graden?
Diese “Gruppe” war sicher ein sehr meinungsbildender Haufen – aber in ihren Ansichten so disparat wie eigensinnig. So etwas wie die “Gleichschaltung” der braunen Nazi-Schrifttumskammer war sie niemals, in keinster Weise. Es gab nur eine deutlich “linke” Einstellung bei vielen ihrer “Mitglieder” – ein wohltuendes Gegengewicht, möchte ich meinen und ganz natürlich so geworden (würde ich sagen) nach dem “rechten” Extrem der Nazi-Zeit.
(Ich würde mich selbst als “links-konservativ bezeichnen, wenn Sie ein Etikett wollen.)
Beispiel 2: Hans Magnus Enzensberger. Er gab und gibt fraglos als profilierter “Linker” in seinen Kommentaren zum Zeitgeist. Aber zeigt nicht gerade die Finanzkrise unserer Tage, wie Recht er hat? Abgesehen davon, hat er auch ein wunderbares Buch über “Zahlen” geschrieben und die m.E. großartigste Lyrik-Anthologie des 20. Jhts. herausgegeben (unter dem Pseudonym Andreas Thalmayr): “Die Wasserzeichen der Poesie”. Und hat selbst in den 1960-er Jahren wunderbare Gedichte geschrieben – von “links” oder gar ideologisch” keine Spur. Und seine Arbeit als Herausgeber der “Anderen Bibliothek” ist eine großartige, absolut un-ideologische Leistung.
Der Mensch – jeder Mensch der “Gruppe 47” – ist eben einiges komplizierter als ein Ideologie-Schema, in den man ihn hineinpresst.
Ein großes Minus würde ich der “G 47” allerdings ohne Bedenken anheften: Ohne dass sie das so geplant hat (alles andere würde auf eine intellektuelle “Verschwörung” hinauslaufen, und das ist bei so einem “Sack Flöhe” eine geradezu widersinnige Annahme): Diese Gruppe hat mit ihrem durchaus vorhandenen Einfluss qua “Netzwerk” auf Jahrzehnte hinaus den Buchmarkt dominiert und teilweise auch “verstopft”; auch mit schwächeren Werken (s. G. Gras nach der “Blechtrommel”).
Lassen wir es dabei. Die kritische Intelligenz zieht es halt eher nach “links” als nach “rechts”. Das war schon lange vor ger G 47 so.