Das Gänge-Labyrinth der “Costa Concordia” vor Giglio
BLOG: Labyrinth des Schreibens
Schreiben ist in vielen Formaten präsent. Das beginnt in der Tageszeitung mit der kurzen Meldung in zwei, drei Sätzen – und kann in seiner umfänglichsten Form die rund 5.000 Seiten der siebenbändigen Saga um den Zauberlehrling “Harry Potter” umfassen. Dazwischen tummeln sich die größeren und kleineren Textsorten, sei ihr Inhalt sachlicher, erzählerischer (belletristischer) oder autobiographischer Art.
Es gibt drei Textvarianten, die ich bei meiner Lektüre der Süddeutschen Zeitung (print!, wohlgemerkt) besonders schätze und dementsprechend meist als erstes durchschmökere:
° Da ist zunächst das Streiflicht auf der Titelseite,
° dann das Aktuelle Lexikon auf S. 2
° und gleich danach die große Reportage einer der Edelfedern der SZ, die berühmte Seite Drei auf eben dieser.
Abb. 1: Die havarierte Costa Concordia vor der Insel Giglio (Foto: Gregor vom Scheidt 2012)
Mit dem Streiflicht befasse ich mich ein andermal (selbigen Artikel habe ich schon vor Monaten vorbereitet und schiebe ihn seitdem vor mir her). Aber nachdem einer meiner Söhne mir gerade tolle Fotos aus dem Urlaub von der havarierten Costa Concordia gemailt hat, sei diesmal ein Beitrag des Aktuellen Lexikons gewürdigt. Er stammt zwar vom Anfang dieses Jahres – aber er musste im Archiv ruhen, bis die Fotos eintrafen. Die Bergung der Toten ist inzwischen abgeschlossen; aber das Wrack liegt noch immer wie eine gewaltige Drohung vor der Insel.
Ich hoffe, dass der Autor und die SZ mir nicht übelnehmen, dass ich den Text hier komplett nachdrucke. Er ist einfach zu gut geschrieben; Kürzungen würde ihn nur verstümmeln. Er passt perfekt in meine Labyrinth-Rubrik. Ich nehme an, dass dies als lizenzfreies Zitat noch durchgeht.
Heute liegt die Costa Concordia wie ein gestrandeter Technik-Wal umgekippt vor der italienischen Insel Giglio.Zum Zeitpunkt des Unglücks am 13. Januar 2012 gegen 21:45 Uhr waren 4229 Menschen an Bord, davon etwa 1000 Besatzungsmitglieder. In einer bemerkenswerten Hilfsaktion, bei der sich vor allem die Bewohner der Insel auszeichneten, wurden fast alle gerettet. Die Zahl der gefundenen Leichen beträgt (laut Wikipedia) 30, die alle identifiziert waren; zwei Personen werden noch vermisst. (Stand: 26. Nov 2012). Die Toten sind von den Tauchern mit modernsten Gerät geborgen worden. Aber wie sie das anstellten – das führt Jahrtausende zurück und zu einem entsprechend altehrwürdigen Werkzeug.
Abb. 2: Die Bauchseite des gestrandeten Technik-Wals (Foto: Gregor vom Scheidt 2012)
Allgegenwart des Labyrinth-Mythos: Der Ariadnefaden
Seit jeher hat das Labyrinth die dunkle Seite im Menschen fasziniert. Wer würde sich nicht davor ängstigen, nicht mehr ins Freie zu können? Die Taucher, die im Wrack der Costa Concordia nach Opfern suchen, erleben diese Urangst täglich ganz konkret, denn das Wrack mit seinen 1500 Kabinen ist ein Labyrinth der besonderen Art. Damit sich die Männer in der Dunkelheit des Meeres nicht verirren, wenden sie die uralte Technik des „Ariadne-Fadens” an, wie Taucher Luca Falcone im Fernsehen erklärte. Damit hat Falcone das wichtigste Motiv des Ariadne-Mythos benannt, der zu den bekanntesten Mythen der Antike überhaupt gehört. Ariadne, Tochter des Königs Minos, verliebt sich in Theseus aus Athen. Der führt Jungen und Mädchen nach Kreta, die dem Minotaurus geopfert werden. Doch Theseus, ein jugendlicher Held, will das Ungeheuer erlegen, und dabei hilft ihm Ariadne mit ihrem weltberühmten Trick, den zum Beispiel Ovid so überliefert hat:
„Und das Getier, zweimal mit aktaiischem Blute gemästet, / War auf der Jungfrau Rat mit gewickeltem Faden gefunden.”
Und nicht nur das: Dank des Fadens findet Theseus auch wieder aus dem Labyrinth ins Freie, und beide versprechen sich einander – womit der erste, bekanntere Teil des Ariadne-Mythos beschrieben ist. Der zweite ist so vielfältig, dass man leicht selber den Faden verlieren kann. Deshalb folgt hier: Schweigen.
Ich weiß nicht, wer sich hinter dem Namenskürzel “hoc” verbirgt – aber er/sie ist ein Könner seines/ihres Fachs: Auf kürzestem Raum ein Maximum an Information und dies in einer spielerisch-leichten, fast elegant zu nennenden Ausdrucksweise, wie man sie sonst in Lexikonbeiträgen kaum findet. Was der Autor im Zitat mit “Schweigen” meint, also nicht benennt, findet man in aller Ausführlichkeit in meinem separaten Beitrag zur Labyrinthiade.
Quelle
hoc: “Ariadnefaden”. In: Südd. Zeitung Nr. 17 vom 21./22. Januar 2012, S. 02 (Aktuelles Lexikon)
222 / #821/1452 – BloXikon: Lexikonartikel