Bibel für Blogger: Carsten Könneker kommuniziert

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Nicht nur Blogger lesen diesen Ratgeber mit großem Gewinn. Das Buch enthält viel Grundsätzliches über das Verfassen von Texten. Somit kann jeder Schreibende davon profitieren.

Schon im Mai hatte ich dieses Buch gelesen und wollte immer wieder eine lobende Rezension dazu schreiben. Mit dem Erfolg, dass ich dies immer noch nicht getan habe. Denn ich wollte meine Arbeit gut machen und nichts von dem missachten, was der Autor empfiehlt und so anschaulich darlegt.

Wer es nicht weiß: Carsten Könneker ist unter anderem der Gründer (2007) und Editor dieser wundersam vor sich hinwuchernden Welt der SciLogs und diesbezüglich gewissermaßen mein Chef. Er wird diese Titulierung sicher mit irritiertem Stirnrunzeln zur Kenntnis nehmen, denn natürlich ist SciLogs ein Netzwerk gleichberechtigter Blogger und urdemokratisch. Aber es ist nun mal so, dass er als Wissenschaftsautor und Blogger der ersten Stunden für mich eine wichtige Autorität darstellt.

Abb.: Titelbild von Carsten Könnekers Sachbuch plus Ratgeber: “Wissenschaft kommunizieren”

Damit dieses Empfehlung (so möchte ich es lieber nennen und nicht Rezension oder gar Buchkritik) nicht noch länger in meinem Regal mit den “wichtigen Jobs” unerledigt dahindämmert – quick & dirty endlich raus damit! Schließlich ist bald Weihnachten, und meine Empfehlung trägt hoffentlich dazu bei, dass dieses Buch auf möglichst vielen Gabentischen landet.

Ich beachte deshalb jetzt mal gar nicht, was der Autor dieses Buches auf sehr informative, unterhaltsame und nie belehrende, aber dafür zur Nachahmung anregende Weise im Kapitel über “Die Rezension” empfiehlt. Stattdessen bedanke ich mich recht herzlich für das viele Neue, was ich dazugelernt habe. Und ich freue mich über das Vertraute, das ich wiederentdecken konnte, denn leider vergisst man im Lauf der Zeit immer wieder Wichtiges und Bewährtes: Die Welt des Schreibens ist einfach zu komplex.

Zunächst die Einordnung: Ist das nun ein Sachbuch – oder ein Ratgeber? Ich möchte sagen, dass es beides ist. Eine gute sachbuchgemäße Einführung in das Thema “Wissenschaft kommunizieren” – und zugleich ein Ratgeber, wie man dies möglichst geschickt und erfolgreich anstellt.

Was entnehme ich diesem Buch für meine eigene Arbeit mit wissenschaftlichen Texten? Eine Fülle von Tipps und Anregungen. Und nicht zuletzt die Lust, selbst mal wieder ein Sachbuch zu schreiben: Könnekers Art zu formulieren annimiert einen dazu .

Sehr hilfreich sind im Anhang die Internet-Links zu den “Informationsquellen: Wo Wissenschaftsjournalisten recherchieren”. Das ausführliche Sachregister erleichtert das gezielte Suchen nach bestimmten Themen. Farbig abgehobene Inserte im Verlauf des Textes, konzentriert formulierte Kästen und witzige Zeichnungen vermehren den Lesegewinn und -genuss.

Ja: es ist ein Genuss, in diesem Buch zu schmökern – was man nicht von jedem Ratgeber oder Sachbuch sagen kann. Dazu kommt eine gute Gliederung des Stoffes, welche die Lektüre unterstützt. Die einzelnen Kapitel können für sich bestehen, falls man nicht genügend Zeit hat, das Ganze in einem Durchgang zu lesen. Insofern kann man es auch als eine Art Lexikon zur Thematik verwenden. Außerdem ist das Werk mit gerade mal 200 Seiten (ohne Anhang) nicht künstlich aufgeplustert, sondern dem Stoff gemäß sinnvoll durchdacht und dargestellt.

Ich kann viele der Anregungen im Prinzip sogar für erzählende oder autobiographische Texten anwenden. Denn auch denen tut es gut, wenn sie übersichtlich gegliedert sind, einen gut sichtbaren roten Faden bieten und mit klaren Sätzen zum Leser kommen.

 

Pflichtlektüre für alle, die das Schreiben ernthaft betreiben

Für die Teilnehmer meiner Schreib-Seminare wird dies jedenfalls Pflichtlektüre!

Ein Tipp, den Könnecker schon vor Jahren den Bloggern hier in SciLogs gegeben hat, überzeugte mich damals sofort: Das Wichtigste gleich zu Beginn ordentlich hervorheben – fett und mit Farbe. Seitdem mache ich das. Denn diese Methode
° gibt nicht nur dem potenziellen Leser wichtige Informationen, ob es sich lohnt, weiterzulesen,
° sondern sie zwingt auch mich als Autor, mir darüber klar zu werden und im Auge zu behalten, worüber ich eigentlich in meinem jeweiligen Text schreibe, wohin ich damit steuere.

 

Der Küchenzuruf

Hängengeblieben ist mir auch, was er über den Küchenzuruf schreibt. So ein anschaulicher Begriff und die Story dazu (Kapitel 4) hakt sich im Gedächtnis einfach besser ein als der Terminus Kernaussage oder Kernsatz (mit dem ich das bisher benannt habe). Und worum handelt es sich dabei? Könneker sagt es selbst um besten:

Was haben eine gute TV-Dokumentation über Invasive Arten, ein kunstgerechter Einladungsflyer für eine Sonderausstellung zur Nanotechnologie sowie eine gelungene Pressemeldung über den Tag des offenen Labors am Institut für anorganische Chemie der Universität XYZ gemeinsam? Das Thema ist es nicht, die Autoren sind es nicht, die mediale Form ist es nicht. Es ist das Vorhandensein einer zentralen, auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmten Botschaft. Denn die Existenz einer klaren Kernaussage ist ein eindeutiges Gütekennzeichen für jeden Beitrag in der Wissenschaftskommunikation.

Profis wie Journalisten und Öffentlichkeitsarbeiter lernen es von der Pike auf: Jeder Artikel muss auf eine Quintessenz hin organisiert sein, die klar erkennbar und auf den Punkt genau formuliert ist. Unter Journalisten hat sich für diese zentrale Botschaft eines Beitrags der schrullige Begriff „Küchenzuruf” etabliert. Geprägt hat ihn Henri Nannen, der Gründer des Stern. Dahinter verbirgt sich, leicht abgewandelt, die folgende Geschichte, welche immer noch wert ist, erzählt zu werden, auch wenn sie den Muff der 1950er Jahre atmet.

Hans und Grete gehen samstagmorgens einkaufen. Zurück zu Hause bereitet sie das Mittagessen zu, während er sich im Wohnzimmer der Zeitung widmet. Nach der Lektüre des Leitartikels ruft er ihr durch die offene Küchentür zu: ,,Stell Dir vor – die neue Grippe breitet sich jetzt auch in Deutschland immer weiter aus. Aber die Ärzte sagen, es besteht kein Grund zur Panik.” Diese zwei „Stell-Dir-vor”Sätze sind der Küchenzuruf des Artikels, die Quintessenz, die Message. Alle weitere Information in Hans’ Zeitungsartikel ist dem Küchenzuruf untergeordnet und arbeitet ihm zu.

Eine Grundregel guter Wissenschaftskommunikation lautet: Jeder Artikel, jede Meldung, jeder Vortrag, jedes Interview, jede Pressemitteilung, jeder Drittmittelantrag, jede Ausstellung usw. hat einen für die jeweilige Zielgruppe leicht identifizierbaren und von ihr unmittelbar verstehbaren Küchenzuruf: Und zwar genau einen – nicht dass mehrere Kernbotschaften einander den Rang ablaufen! Wenn Sie also einen eigenen Beitrag konzipieren, gleich welcher medialen Form, machen Sie sich von vornherein klar, wie sein Küchenzuruf lautet!

 

Letzteres machte mir etwas Bauchgrimmen, denn mein Blog hat ja eigentlich (seit Mitte dieses Jahres) zwei solcher Themen und Küchenzurufe, in das in jedem Beitrag: Das Labyrinthische (mit dem der Blog 2007 begann) – und seit Mai 2012 alles, was mit dem Schreiben zu tun hat. Aber vieleicht überzeugt die Leser ja allmählich, was ich anstelle, um diese beiden Themen zu integrieren (s. unten den ersten Kasten). Außerdem meint Könneker ja auch (wie ich gleich zitieren werde), dass Blogger manches dürfen, was anderen Autoren verwehrt ist.

 

Warum “Bibel für Blogger”?

An dieser Stelle sollte ich noch auf den Titel eingehen, den ich diesem Blogpost gegeben habe: Bibel für Blogger. Diese Formulierung sollte natürlich zunächst einmal die Blogger-Kollegen und die Leser dieses und anderer SciLogs-Blogs ansprechen und anlocken. Hier möchte ich nun nochmals deutlich hervorheben, dass natürlich jeder Verfasser von Texten, nachzumal sachlicher Art, von Carsten Könnekers Ratgeber profitiert. Was dabei das Kapitel über den Küchenzuruf wiederum speziell dem Blogger bringt, sei hier noch in des Autors eigenen Sätzen vorgestellt (farbige Hervorhebungen von mir, JvS):

Einzig der Blogpost könnte auf einen Küchenzuruf verzichten. Denn anders als andere nicht-journalistische Formen wie etwa der Vortrag oder die Ausstellung stellt der Blogpost keine geschlossene mediale Form dar, die man mit einem Orientierung schaffenden Küchenzuruf versehen müsste. Sein Kennzeichen ist vielmehr seine Offenheit; er ist auf Diskurs angelegt (siehe dazu Kapitel 21) Dennoch profitiert auch der einzelne Blogpost davon, einem – genau einem – klar herausgestellten Küchenzuruf zu folgen, nach dem die Nutzer nicht erst lange fahnden müssen. Denn dieser verleiht ihm eine klare Stoßrichtung. Die Leser werden es danken und statt Nachfragen („Was genau meinen Sie mit …”) sofort qualifizierte Kommentare spendieren und in die Diskussion einsteigen.
Unter Verwendung des Küchenzurufs lassen sich die fünf W-Fragen, die am Anfang aller Wissenschaftskommunikation stehen sollten […], noch einmal alternativ so formulieren: Jeder gute Beitrag zur Wissenschaftskommunikation richtet sich in einem konkreten Medium (wo?) an eine bestimmte Zielgruppe (wen?), bei der eine bestimmte Wirkung (wozu?) hervorgerufen werden soll. Er enthält genau einen klar herausgestellten Küchenzuruf, der den Inhalt auf den Punkt bringt und Orientierung verschafft (was?), und entspringt einer einfach erkennbaren kommunikativen Haltung (wie?), nach der sich die konkrete mediale Form richtet. Wenn alles zusammenpasst, kann der Beitrag das Vorhaben erreichen: die intendierte Wirkung in der angepeilten Zielgruppe.

 

Fazit

Dieses Buch liefert fundierte Information und ist zugleich unterhaltsame Nachhilfe für Autodidakten wie mich. Es ist wirklich, wie der Untertitel signalisiert, ein “Handbuch mit vielen praktischen Beispielen”. Der (Wissenschafts-)Journalist braucht gutes Handwerkzeug und entsprechend unterstützende oder einweisende Fachliteratur wie dieses Buch. Es hieße “Eulen nach Athen tragen” oder “den roten Faden ins Labyrinth”, wenn ich Könnecker diesbezüglich jetzt noch mehr loben würde. Ergänzend möchte ich an dieser Stelle vielmehr ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung einfügen, das Könnekers Argumente und Ausführungen aus ganz spezieller Sicht bestätigt.

Referiert wird eine Untersuchung, welche die amerikanischen Autoren Tim Fawcett und Andrew Higginson im Fachmagazin PNAS-online vorstellten:

Eine von ihnen erstellte Statistik ergab, dass mit jeder zusätzlichen Formel pro Seite im Aufsatz die Zitationsquote um durchschnittlich 28 Prozent sinkt. Das ist ein verheerendes Ergebnis, allein wenn man bedenkt, dass Karrieren von Wissenschaftlern auch von ihren Zitiererfolgen abhängen. „Dies behindert außerdem den wissenschaftlichen Fortschritt”, warnt Fawcett. Schließlich sei es notwendig, dass empirisch arbeitende Forscher die mathematischen Modelle im Experiment auch überprüften. Die beiden Studienautoren empfehlen daher, dass die Theoretiker besser darüber nachdenken sollten, wie sie die mathematischen Details ihrer Arbeit präsentieren. Entweder sollten sie diese besser in Worten erklären oder – wenn möglich – mathematische Ausführungen in einen Anhang verschieben. (cwb 2012)

 

Allgegenwart des Labyrinth-Mythos

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, weshalb ich dieses Labyrinth-Thema überhaupt beobachte, referiere, analysiere und kommentiere: Weil es für mich die Metapher schlechthin für unser modernes Leben ist. Und im Zusammenhang mit dem Schreiben habe ich zudem noch keinen besseren anschaulichen Vergleich für den kreativen Prozess beim Verfassen von Texten gefunden, als den allmählichen Übergang von anfänglicher Verwirrung (Irrgarten – Yrrinthos) zur Klarheit eines kretischen Labyrinths mit seinem einzigen Gang, in dem man sich unmöglich verlaufen kann.

Es hätte mich sehr gewundert, wenn ich nicht auch in Könnekers Buch mit Labyrinthischem fündig geworden wäre. Ist doch beispielsweise ein “roter Faden” unverzichtbar für einen ordentlich verfassten Sachtext, nachzumal einen wissenschaftlichen. Prompt kommt der anschauliche Begriff vor, und das gleich zweimal:

Auf S. 136 heißt es im Kapitel über “Die Rezension”:

Vermeiden Sie […] eine langatmige Aufzählung einzelner Kapitel […] Beschränken Sie sich darauf, den roten Faden wiederzugeben.

Und dann wieder auf S. 168, im Kapitel über Förderanträge für Drittmittel:

Texte verlaufen linear, ein Satz folgt dem nächsten. Beachten Sie daher, dass sowohl das Antragsdokument als Ganzes als auch einzelne Absätze daraus einer inneren Logik, einem roten Faden folgen.

Schließlich kann man Carsten Könneker eines wirklich nicht vorwerfen, weil er mit sehr klaren, knappen Sätzen arbeitet:

Eine Faustformel für die Zerschlagung von Bandwurmsätzen lautet: Ein Gedanke, ein Satz – zwei Gedanken, zwei Sätze. Damit lassen sich unübersichtliche Satzlabyrinthe in überschaubare Passagen gliedern. (S. 23)

Quellen
cwb: “Mathe-Angst”. In: Südd. Zeitung Nr. 146 vom 27. Juni 2012, S. 18
Könneker, Carsten: Wissenschaft kommunizieren. Weinheim 2012 (Wiley VCH). ISBN 978-3-527-32895-6. 219 Seiten – € 24,90

 

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

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"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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