Atombunkerruine des Kalten Krieges
BLOG: Labyrinth des Schreibens
3000 Menschen hätte man in einem Bunker an der Heßstraße in München im Falle eines Atomschlags schützen können. Aber hätte man sie dort auch gerettet?
Und wen hätte man gerettet? Wer wären die Auserwählten gewesen für diese Arche der 1960-er Jahre? Klar, der Oberbürgermeister stand ganz oben auf der Liste; für ihn war sogar eine richtige Befehlszentrale vorgesehen. Aber die anderen 2999 Geschützten?
Vielleicht die Nachbarn aus der Heßsstraße? Das wäre für mich gut gewesen: damals wohnte ich am anderen Ende dieser (nicht nach Rudolf Heß benannten) Straße in der Max-Vorstadt, in der Nummer 6. Ich hätte nur ordentlich rennen müssen, wenn die Luftschutzsirenen Atomalarm geben, damit ich noch reingekommen wäre, bevor sich die drucksicheren Schleusentore hermetisch schliessen, so wie man das aus den Katastrophenfilmen über den Dritten Weltkrieg und andere Apokalyptika kennt.
Ja, und wer wäre da gerettet worden? Der Film Deep Impact machte diesbezüglich vor Jahren einen Vorschlag. Ein gigantischer Komet nähert sich in diesem Szenario auf Kollisionskurs der Erde. Wie schon einmal, vor 65 Millionen Jahren bei der Vernichtung der Saurier, ist ein großer Teil des Lebens auf der Erde bedroht. Eine Million Amerikaner soll in unterirdischen Bunkern gerettet werden – davon rund 800.000 von vorneherein auf geheimen Listen ausgewählt (überwiegend Angehörige der Eliten) und 200.000 per Zufall anhand der Sozialversicherungsnummer ausgelost.
Aber ob das Über-Leben in so einem Bunker das Gelbe vom Ei gewesen wäre, wage ich zu bezweifeln. Als der – längst aufgegebene – Bunker in Münchens Untergrund dieser Tage besichtigt werden konnte, kamen der Lokalrreporterin Susi Wimmer von der Süddeutschen Zeitung nicht zufällig recht bedrohliche Assoziationen aus einer uralten Sage in den Sinn:
Die Schritte hallen dumpf durch den großen Raum, irgendwo tropft Wasser auf den blanken Betonboden, langsam gewöhnt sich das Auge an die Dunkelheit, die Nase an den Brandgeruch und der Körper an das Gefühl des Eingeschlossenseins. Ein verzweigtes, unteriridische Labyrinth tut sich auf, gut 15 000 Quadratmeter groß, wie ein kleines Dorf.
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Weiter geht es durch die verwinkelten Gänge des Betonlabyrinths . . .
Schlagen wir also drei Kreuze und hoffen wir, dass die rund 30.000 Atombomben, die zur Zeit noch in den Arsenalen der Großmächte (und des Iran? Israels? Nordkoreas? Südafrikas? Pakistans? Indiens?) lagern, dort weiterhin friedlich verrotten und wir nie in so ein Bunkerlabyrinth reinkriechen müssen. Vor dessen Minotauren uns kein Theseus retten würde.
Makabrer Rückblick in ein anderes Labyrinth
Da war doch noch was, in einem ganz anderen Krieg, der nicht in der Zukunft lauert, sondern längst stattgefunden hat – Ein Griff ins Archiv stellt es klar: Am 1. September 2007, brachte Spiegel TV einen Bericht über den Ersten Weltkrieg. Der Titel der Dokumentation lautete ""Das Todeslabyrinth". Im Bericht des Süddeutschen Zeitung über den Film hieß es anderntags:
"Viele Millionen Soldaten kämpften im Ersten Weltkrieg in einem Labyrinth aus Schützengräben."
Noch ein Krieg gefällig? "Ein Labyrinth aus Schützengräben" überschrieb Axel Rühe vor sieben Jahren, ebenfalls in der Süddeutschen, einen Bericht über ehemalige Zwangsarbeiter. Darin dieser Satz:
"Im Frühjahr ´44 hatten die Deutschen hinter [dem ukrainischen] Dorf ein Labyrinth aus Schützengräben angelegt.."
Nichts dazugelernt – könnte man es deutlicher ausdrücken als mit diesen beiden Zitaten? Dass in beiden Fällen nicht die klassische Struktur eines kretischen Labyrinths gemeint war, ist klar: Hier geht es um den Irrgarten in seiner schrecklichsten, bedrohlichsten Form: der des Krieges.
Wenn ich mir diese drei Beispiele so anschaue, wundert mich gar nicht mehr, dass das Labyrinth-Motiv – in seiner wohl grusligsten Ausprägung – so präsent ist. Und mir wird auch bewusst: Im Falle eines Atomschlags wäre ich gut beraten, nicht zum Bunker in der Heßstrasse zu rennen. Selbst wenn man mich dort reingelassen hätte – in einem der Schützengräben des Ersten oder des Zweiten Weltkriegs hätte ich die Hölle schneller hinter mich gebracht als im Atombunker.
Quellen
Leder, Mimi (Regie): Deep Impact. USA 1998
Rühe, Axel: "Zeugen vergilbter Vergangenheit". In: Südd. Zeitung vom 12. Dez 2001
Wimmer, Susi: "Die Ruine des Kalten Krieges". In: Südd. Zeitung vom 25. April 2008