Anglizismen, oder: English in der deutschen Language

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Sind Anglizismen eine Bedrohung, eine Bereicherung oder schlichtweg eine Nuisance für unsere Muttersprache?
Dieser Beitrag hat ausnahmsweise nichts mit dem Labyrinth-Thema zu tun (wenn man mal außer Acht lässt, dass jede Sprache ein Irrgarten ist, insbesondere für den, der sie nicht richtig beherrscht). Ich befasse mich, in Form einer Buchempfehlung, mit einem Thema, das uns hier in den Wissenschafts-Blogs alle mehr oder minder betrifft: dem Gebrauch englischer (amerikanischer) Begriffe in Texten, die ansonsten in deutscher Sprache abgefasst sind. Das zieht sich in der Tat wie der sprichwörtliche rote Faden durch die moderne deutsche Sprache – zumindest durch die Medien und da speziell durch die wissenschaftlichen. Schon die zentralen Begriffe in unserer eigenen Bloggerspäre zeigen sehr deutlich, worum es geht: um SciLogs und das Schreiben von Blogs.

Und wenn wir beim Formulieren einer Überschrift nicht aufpassen – schwupps, macht unsere so praktische LifeType-Software (sic) eine Uberschrift daraus, denn sie kennt keine German Umlauts. Was mit dem Abenteuer Bologna und überhaupt mit der Kultur (?) unserer Universitäten geschieht, ist ein weiterer dynamischer Beleg für die Relevanz des Themas: Da wimmelt es nur so von Master und Bachelor-Graden und wer nicht genug credit points für seine Studien-moduls zusammenbekommt, ist ganz schön in den Arsch gekniffen – pardon: das war jetzt kein Anglizismus. Letzterer würde wohl lauten: "Knifed in the ass" oder so. (Wie übersetzt man denn "gekniffen"? Natürlich nicht mit "knifed" – das ist nur ein Kalauer – aber so kann´s gehen, wenn man kein Muttersprachler ist – s. auch den Schluss dieses Beitrags.)

Doch Spaß beiseite, und zugleich eine kleine Beichte in Sachen eigener Anglizistik-Vergehen: Vor Jahren habe ich – im Rahmen meiner Studien über das Drama der zur Hochbegabten – den Neologismus* BrainSpotting geprägt und eingeführt – in Anlehnung an Trainspotting und Planespotting als beliebte britische Freizeitvergnügen. Ich hatte und habe gute Gründe für diese Neuprägung, nicht zuletzt den, dass ich das Englische resp. Amerikanische einfach sehr mag, schon wegen meines Faibles (ups – das ist jetzt was Französisches) für Jazz und Science Fiction (kann man auch nicht gut eindeutschen). 
* -das ist jetzt dem Griechischen entlehnt, wie so viele Termini (sic) der modernen Wissenschaftssprache; wenn sie nicht aus dem Lateinischen übernommen wurden.

Lange Rede kurzer Sinn: Ich möchte das eben erschienene Buch eines deutschen Journalisten vorstellen, der als Chefreporter beim Bayrischen Fernsehen oft den Weltspiegel moderierte und auch später ein bekanntes Gesicht mit dem von ihm moderierten Café Europa der ARD war. Franz Stark hat sich, schon von Berufs wegen, viel mit seiner Muttersprache befasst und – wegen der Internationalität seiner Themen – zwangsläufig wie aus Neigung mit dem Englischen und dessen Einfluss auf die deutsche Sprache. Er hat bei seinen Recherchen spannende und zum Teil sehr nachdenklich stimmende Themen und Details entdeckt.

 

Wie viel English verkraftet die deutsche Sprache?

Die zunächst noch recht vage erscheinende Frage, „wie viel Englisch die deutsche Sprache verkraftet“, spitzt der Autor auf 164 Buchseiten auf zwei sehr konkrete Fragen zu. Die erste: Könnte Deutsch durch den andauernden und starken Einfluss des Englischen seine Bedeutung als eigenständige Kultursprache verlieren? Die zweite: Wird sich – mit dem sprachlichen Einfluss – auch unsere Lebenswelt und unser Denken immer stärker anglisieren? Der Buchtitel allein könnte zunächst vermuten lassen, es gehe um eine bloße Kampfschrift eines engagierten Sprachpflegers gegen die Flut der Anglizismen im Deutschen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um eine anspruchsvolle und gleichwohl verständliche Auseinandersetzung mit dem Thema auf wissenschaftlich akzeptablem Niveau. 
 
Der Autor Franz Stark, ehemaliger ARD-Journalist mit Erfahrung in internationaler Politik,  promoviert in Sprachphilosophie und Germanistik und somit auch Kenner des aktuellen Stands der Sprachwissenschaft, ist keineswegs ein deutschtümelnder Sprachpurist. Ebenso wenig steht er aber auf der Seite jener akademischen Linguisten, die – zuweilen reichlich arrogant – die Ängste sprachpflegerisch bemühter Laien belächeln. Der Autor stellt durchaus in Rechnung, dass die sozioökonomischen und soziokulturellen Veränderungen  unserer Zeit das Englische unbestritten zum Weltkommunikationsmedium gemacht haben und dadurch zwangsläufig auch den Wortschatz und die Kommunikationsweisen der Einzelsprachen beeinflussen. Allerdings tun sie das bei kaum einer anderen großen Sprache so sehr wie beim Deutschen. Deshalb geht der Autor sowohl der Frage nach, warum das so ist, wie auch, ob das Ausmaß der Anglisierung unserer Sprache eventuell zu Lasten unserer historisch gewachsenen kulturellen Identität und Denkweise geht.

 

Linguistische und außerlinguistische Aspekte

Das Buch ist in zwei Hauptteile gegliedert, einen linguistischen und einen außerlinguistischen. Im ersten Hauptteil schlägt sich der Autor in der Kontroverse zwischen Laien und Fachlinguisten um die von den einen behauptete und den anderen bestrittene Gefährdung der deutschen Sprachstruktur weitgehend auf die Seite der Letzteren. Der Morphologie und der Syntax unserer Sprache habe der englische Einflüsse bislang nicht viel anhaben können.

Anders, so das Urteil Starks, ist es mit dem Einfluss auf Wortschatz und Sprachgebrauch (Semantik und Pragmatik). Hier geht der Autor in der überarbeiteten Neuauflage wesentlich breiter als in der Erstausgabe von 2009 auf den Zusammenhang von Sprache und Denken ein, wobei er auch die neuesten Ergebnisse der Psycholinguistik und Neurowissenschaften kurz referiert. Sein Fazit ist, dass in diesem Bereich ein gewisser Grad an Anglisierung des Denkens und der kulturellen Identität der Deutschsprechenden unbestreitbar ist. Ob dies der Sprachgemeinschaft zum Nutzen oder Schaden gereicht, sei freilich eine gesellschafts-politische Wertentscheidung. Angesichts der möglichen Folgen teilt der der Autor hier eher die Besorgnis der anglizismenkritischen Laien.

Diese möglichen Folgen behandelt Stark ausführlich im zweiten Hauptteil; also die Wirkung der Anglisierung auf die politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Stellung der deutschen Sprachgemeinschaft und insbesondere des „Standorts Deutschland" selbst. Sprache sei ja auch ein wirksames internationales macht- und wettbewerbspolitisches Instrument, was von vielen unterschätzt wird. Der Versuch, die internationale Geltung der eigenen Sprache zu verteidigen, habe nichts mit Nationalismus zu tun, sondern mit Nationalinteresse, also mit den Zukunftschancen der staatlichen Gemeinschaft, in der man lebt.  Dieses Interesse lasse sich aber schwer vertreten, wenn man seine kulturelle und sprachliche Identität zu stark preisgibt.

Für mich besonders interessant ist dabei die breite Betrachtung der Wissenschaftssprache. Hier betont der Autor überzeugend die notwendige Unterscheidung der Funktionen, die Sprache einerseits im Prozess der Erkenntnisgewinnung und andererseits bei der (inter-nationalen) Vermittlung und Weitergabe der Ergebnisse spielt. Dass dies im zweiten Fall überwiegend auf Englisch geschehen muss, sei unstrittig. Im Prozess des Forschens selbst, bei der Hypothesen- und Begriffsbildung, sei die Muttersprache jedoch das bessere Instrument. Die Muttersprache mit ihrem Vorrat an Bildern und Assoziationen besitzt eine „erkenntnisstiftende Funktion“, die sich auch durch relativ gute Kenntnisse einer Fremdsprache nicht ersetzen lasse. Darüber hinaus bliebe eine Neuprägung empirischer Begriffe in der Muttersprache näher an der Allgemeinsprache und würde zudem den drohenden Ausbaurückstand der deutschen Wissenschaftssprache vermeiden helfen. (Siehe dazu Textauszug im Kasten – Dank dem Autor und dem Verlag für die Genehmigung).      

Im Schlusskapitel kontrastiert Stark (von einer – wie er einräumt – persönlichen Warte aus) Eigenschaften und Funktionalität von Englisch und Deutsch in bestimmten Bereichen. Dies verschafft dem Leser interessante und vielleicht bisher so nicht wahrgenommene Vorzüge und Nachteile im Kontrast beider Sprachen.

Dank der kurzen Erläuterung verwendeter Fachbegriff bietet Starks Abhandlung dem Nichtfachmann zugleich eine knappe Einführung in wichtige Aspekte der Sprachwissenschaft, zumal auch die fachlichen Gegenargumente der Linguistik fair referiert werden. Wer über die möglichen Folgen einer unreflektiert akzeptierten Anglisierung unserer Sprache nachdenken möchte, findet in diesem fakten- und gedankenreichen Buch eine Fülle von Denkanstößen. 

 

Gut gemeint kann voll daneben sein

Eine spannende und nachdenklich stimmende Ergänzung der Arbeit von Franz Stark war übrigens vor einiger Zeit in der Süddeutschen Zeitung zu lesen: Ein bisschen Englisch reicht nicht. Der Text befasst sich mit einem Irrtum, dem so mancher deutschsprachige Wissenschaftler unterliegt, wenn er seinen Text oder den Abstract dazu selbst ins Englische übersetzt. Da gilt, in Abwandlung eines Diktums von Gottfried Benn: ("Kunst ist das Gegenteil von gut gemeint"): "Übersetzen ist das Gegenteil von gut gemeint."

Deutsch als bedrohte Wissenschaftssprache (Textauszug Kapitel 10)

Aus der Tatsache, dass Englisch das internationale Kommunikationsmedium schlechthin ist, lässt sich keineswegs die Notwendigkeit herleiten, Englisch auch in immer mehr Fachgebieten im eigenen Land an die Stelle der deutschen Sprache zu setzen. Ein Bereich, indem dies besonders schwerwiegende Folgen haben könnte (und zum Teil schon hat), sind die Wissenschaften. Es geht hier also nicht um die internationale, sondern um die nationale Wissenschaftssprache. Der Rückgang der Verwendung von Deutsch zunächst im internationalen und dann auch im nationalen Wissenschaftsleben ist nicht nur in der „nostalgischen“ Erinnerung schmerzlich, wenn man daran denkt, dass Deutsch von Mitte des 19. Jahrhunderts bis Mitte der 1960er Jahre zusammen mit Französisch und Englisch zu den drei Weltwissenschaftssprachen zählte und in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sogar die führende war. Der zunehmende Verzicht auf Verwendung auch im eigenen Land bringt es mit sich, dass neue Termini von vornherein nur noch auf Englisch geprägt und auch vorhandene deutsche in englische umgewandelt werden. Damit droht der Ausbau der deutschen Wissenschaftssprache nach einer fast ein halbes Jahrtausend währenden Entwicklung und stetigen Verfeinerung aufzuhören. Und damit auch die für eine Gesellschaft wichtige Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und der Allgemeinheit [ … ].

Aber der Verlust von Deutsch als Wissenschaftssprache hätte noch eine zweite Konsequenz: Auch die deutsche Forschung selbst wird an kreativer Kraft verlieren. Es ist zwar so, dass Fachausdrücke der Wissenschaft genau definiert und somit die Unschärfe und Situationsabhängigkeit der Wortbedeutungen der Alltagssprache weitgehend ausgeschlossen sind. Insofern kommt es nur auf ihre eindeutige lexikalische Bedeutung an, und die kann man ohne Verluste auch übersetzen oder von vornherein in einer anderen Sprache ausdrücken. Doch dies gilt nur für die Übermittlung der Forschungsergebnisse, nicht für den Prozess des Forschens selbst. Die wenigsten Wissenschaftler beherrschen die Fremdsprache Englisch genauso gut wie ihre Muttersprache und können deshalb im Prozess des Nachdenkens, Grübelns, der Hypothesenbildung und Erkenntnisgewinnung aus demselben Vorrat an Bildern und Assoziationen schöpfen, den ihnen die eigene Sprache bereitstellt.

Wenn wir Vorstellungen, Bilder, Gedanken mit Wörtern verbinden bzw. wenn umgekehrt Wörter diese Ideen und Vorstellungen im Gehirn auslösen, ist dies ein Prozess, der sich auf höchst komplexer und weitgehend unbewusst-intuitiver Grundlage abspielt. Diese gedanklichen Inhalte bzw. die Wörter, mit denen wir sie bezeichnen, sind ja nichts Isoliertes, sondern sind eingewoben in ein Netz vieler weiterer Vorstellungen und Wörter, also Bedeutungen. Dieses Netz bzw. die semantischen Felder, aus denen es besteht, sind im Zuge des Erlernens unserer Sprache entstanden, und in ihm eingeflossen sind sowohl persönliche Erfahrungen und Emotionen wie auch gesellschaftlich-kollektive Wahrnehmungen. All das zusammen ist aktiv, wenn wir über ein Problem nachdenken, eine Lösung suchen, einen Einfall oder Gedankenblitz haben – gleichgültig ob es um den forschenden Wissenschaftler oder um den „Laien“ geht. Die semantische Flexibilität, die wir in der eigenen, von Kind auf erlernten Sprache aktivieren können, ist immer größer als die in einer selbst gut beherrschten Fremdsprache. (Und allemal als in dem reduzierten und stereotypisierten „Verständigungs-Englisch“, das wir im internationalen Kontakt verwenden) [ … ]

Es ist ein oft anzutreffendes Vorurteil, dass das angelsächsische Modell wissenschaftlichen Schreibens das universell gültige sei. Im englischen Sprachraum wird dieser Unterschied nicht „als typologisch anerkannt … sondern als Zeichen von mangelnder Logik … als in einem chaotischen Stil geschrieben und als ungenügende Information (gewertet), einfach, weil die Struktur anders ist … weil (die Darstellungen) sich nicht nach angelsächsischen Regeln richten“. Damit werden angesichts der anglo-amerikanischen Dominanz in Wissenschaft und Wissenschaftspublikationen anderssprachige Wissenschaftler „gezwungen, Texte (in einer Weise) zu verfassen, die ihren eigenen kulturellen Vorstellungen widerspricht“ (Clyne, 71). 

Nun bleibt angesichts dieser angloamerikanischen Dominanz und der natürlich erwünschten internationalen Rezeption ihrer Ergebnisse nichts anderes übrig, als sich diesem Stilwunsch anzupassen. Aber dies erfordert nicht die Preisgabe der Wissenschaftssprache Deutsch im eigenen Land. Natürlich könnten wir wissenschaftliche Kenntnisse an den deutschen Universitäten auch auf Englisch erwerben. Aber eigene Forschungsergebnisse können und sollten – neben ihrer internationalen Verbreitung auf Englisch – zunächst einmal auf Deutsch publiziert werden. Eben um kreativ neue deutsche Fachbegriffe zu prägen, die eigene Wissenschaftsterminologie auszubauen und die Verbindung zur Semantik des Deutschen (und selbst zur Allgemeinsprache) nicht abreißen zu lassen. Denn, wie der Sozialphilosoph Johannes Heinrichs sagt: „Ein Kulturvolk, das seine Wissenschaft nicht mehr in seiner eigenen Sprache betreiben kann, gibt sich in seiner kulturellen Identität auf“. Und mehr noch: Wenn deutschsprachige und andere nichtenglischsprachige Wissenschaftler im Prozess der Ideenfindung und des Forschens auf die eigene Sprache ganz verzichten, würden viele Ideen und Ergebnisse wahrscheinlich gar nicht erst zustande kommen.

Das konstatiert auch der Linguist Konrad Ehlich (Berlin/München): „Der angestrebte (englische) Monolingualismus für das internationale Wissenschaftsgeschehen hat erkenntnishindernde Folgen. Sprache ist nicht einfach eine Ansammlung von Wortmarken, die den sprachunabhängigen Wissenselementen angehängt würden … Der Sprache kommt eine eigene erkenntnisbezogene, ja erkenntnisstiftende Funktion zu“. Der Trend zu einer nur noch auf Englisch betriebenen Wissenschaft beruht neben historisch-politischen und ökonomischen Machtverhältnissen sowie auch der sprachenpolitischen Wirkung der „citation indices“ wohl auf einem viel schlichteren Grund. Die europäischen Wissenschaftler, stellt der Bamberger Linguist Prof. Helmut Glück fest, beherrschen Englisch, „so dass sie auf Englisch publizierte Forschungsresultate rezipieren können. Viele von ihnen lesen auch französische, italienische oder spanische Texte, manche von ihnen können sogar Latein. Viele britische und amerikanische Forscher hingegen rezipieren keine anderssprachigen Forschungsresultate, weil sie keine Fremdsprachen beherrschen“. (Was auch die selektive Praxis der erwähnten amerikanischen „Citation Indices“ erklärt und diese Praxis zugleich noch weiter verstärkt). Über diesen Monolingualismus ein Urteil zu fällen, hat Helmut Glück den Mut, den man sich häufiger bei Vertretern dieser Disziplin wünscht. Er sagt: „Darin drückt sich intellektueller Provinzialismus aus. Er ist die Kehrseite der ‚Internationalisierung der Wissenschaften’“.

Schon 1999 hatte der Deutsche Germanistenverband in den „Tutzinger Thesen zur Sprachenpolitik in Europa“ als These 6 festgestellt: „Die meisten europäischen Sprachen sind leistungsfähige Wissenschaftssprachen mit einer ausgebauten Terminologie und unterschiedlichsten sprachlichen Ausdrucksformen. Würde die wissenschaftliche Verständigung, wie jetzt in Deutschland massiv propagiert, aufs Englische festgelegt, dann ließe die Leistungsfähigkeit der anderen Sprachen nach. Riesige Bestände nichtenglischer Fachliteratur kämen weitgehend außer Gebrauch und näherten sich der Museumsreife … Gerade in den Geisteswissenschaften spielt für die angemessene Darstellung eines Gegenstands auch die Beherrschung stilistischer Nuancen eine entscheidende Rolle. Der Vorrat an Sprachbildern, geflügelten Worten, literarischen Anspielungen, über den die Wissenschaftler in ihrer Herkunftssprache verfügen und damit Sprachatmosphäre schaffen können, ließe sich schwerlich ins Englische adäquat hinübernehmen“. Mit jeder Wissenschaftssprache, die verschwindet, verschwindet auch ein Blickwinkel auf die Wirklichkeit, geht eine von vielen Möglichkeiten verloren, diese Welt zu erklären und zu verstehen.  

Quellen:
Stark, Franz: Wieviel Englisch verkraftet die deutsche Sprache? (2009) Überarb. 2. Aufl. Paderborn Okt 2010 (IFB Verlag Deutsche Sprache) ISBN 978-3-931263-89-8 – 164 Seiten – 14,90 €uro
ders: Sprache – "Sanftes" Machtinstrument in der globalen Konkurrenz. Paderborn 2007-01 (Asgard)
ders.: Deutsch in Europa. St. Augustin 2002 (Asgard)

Scheidt, Jürgen vom: Das Drama der Hochbegabten. München 2004) TB-Ausgabe München 2005 (Piper)

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

9 Kommentare

  1. On the Woodway?

    Deutsch als Wissenschaftssprache auf dem Rückzug? Ich behaupte: Es gibt Fachgebiete, da hat die deutsche Sprache bereits kapituliert. Und das schon vor langer Zeit. Die Physik, und insbesondere die Astrophysik, ist ein solches.

    Merken tut man das ganz wunderbar dann, wenn man lange überlegen muß, um die deutsche Entsprechung eines (Fach)begriffs zu finden. Häufig landet man dann auch nicht mehr bei einem Wort oder Begriff, sondern bei einer umständlichen Formulierung über erläuternde Nebensätze – eben weil es keine direkte deutsche Entsprechung gibt. Und dann ist man ganz schnell an dem Punkt, an dem es einfach keinen Sinn mehr macht, einen deutschen Begriff zu verwenden. Würde man sich nämlich einen neuen schaffen, wäre das Resultat mit großer Wahrscheinlichkeit ein Lehnwort aus dem Englischen, dem man seine Wurzeln noch sehr deutlich ansieht, womit wir vom Anglizismus nicht mehr weit entfernt sind.

    Ich zumindest habe – Vorrat an Assoziationen und Bildern in meiner Muttersprache hin oder her – im Wissenschaftsbetrieb häufig auch auf Englisch gedacht – was wohl das deutlichste Zeichen dafür ist, daß eine Fremdsprache nicht nur etwas “Fremdes” ist, sondern etwas das man sich zu eigen gemacht hat.

    Man beachte hier aber durchaus die Verbreitung des Englischen in dem jeweiligen Fachgebiet. Während es in der Astrophysik (eigentlich in der Physik generell) keine ernstzunehmende Fachzeitschrift mehr gibt, die auf Deutsch herausgegeben wird, mag das in anderen Naturwissenschaften nicht so ausgeprägt sein, mit Sicherheit aber wesentlich weniger in den Geisteswissenschaften.

    Dennoch. Für mein Gebiet gilt: Man übersetzt keine Abstracts mehr – man schreibt sie erst gar nicht mehr auf Deutsch. Schon meine Diplomarbeit (an einer deutschen Uni) habe ich auf Englisch abgefaßt – und den Abstract dafür übersetzt. Allerdings vom Englischen ins Deutsche, und das auch nur weil es die Prüfungsordnung so vorsah.

  2. Zitat

    Ich komme mit dem zitierten Abschnitt nicht ganz klar. Gerade bei Fachtermini (Fachausdrücken) ist es doch egal, wie ich sie benenne.

    Ich meine, wenn ich einen neuen Fachbegriff einführe, dann verbinde ich diesen mit einer genauen Definition seiner selbst. Wie der Begriff dann selbst aussieht, ob er ein genuin Deutscher ist, oder ob ich ihn aus dem englischen oder griechischen entlehne, spielt für das Verständnis des Begriffes selbst keine Rolle. Vielmehr würde meine Definition fehlerhaft sein, wenn der Begriff nicht verstanden würde.

    Ein Beispiel: Ich kann festlegen, dass ein „match“ eine „Übereinstimmung von morphosyntaktischen Merkmalen zwischen zwei Terminalsymbolen“ ist. Genauso gut könnte ich statt „match“ sagen, dass eine solche Übereinstimmung „Krümelplotz“ heisst. Oder „Treffer“. Es wäre egal, da es auf die Definition ankommt. Ist diese fehlerhaft oder unverständlich, bringt mir auch der zusammenfassende Terminus nichts, egal, woher er stammt.

    Ausserdem würde ich den Einfluss des Englischen auf unser „Denken“ nicht auf Spracheinflüsse zurückführen. Anstatt, dass „Amerikanischer Einfluss auf das Denken“ und „Amerikanischer Einfluss auf die Sprache“ kausal in einen Zusammenhang stehen, könnte beides auch jeweils Folge einer dritten Variable sein. Vielleicht ist der Verlust einer wie auch immer gearteten kulturellen Identität die Ursache für beides: „Weil wir unsere kulturelle Identität aufgeben, haben es amerikanische Einflüsse so leicht, auf unsere Sprachesprachliches Lexikon und unser Denken einzuwirken“. Wäre ja möglich…

  3. Humbug

    Allerdings tun sie das bei kaum einer anderen großen Sprache so sehr wie beim Deutschen.

    Völlig abstruse Behauptung. Aber klingt natürlich gut, wenn man das einfach so behauptet und nicht weiter belegt. Ist ja kein Ding, wenn man die Realität ein bisschen in seine eigene Argumentationsrichtung biegt, es geht schließlich um die Rettung der deutschen Sprache!

  4. ,,, en passant …

    … wenn ich hier in den Anmerkungen lese, dass in der Physik die deutsche Sprache kapituliert, dann fällt mir dazu automatisch ein, dass schon jede neue Formel, Konstante etc. etwas “undeutsches” ist, dass die Formelsprache der Mathematik nicht nur die deutsche, sondern jedwede Sprache gleichsam transzendiert …

    … und dann träume ich auch einmal kurz von der Universalsprache 😉

    Ob sie Englisch, Amerikanisch, Deutsch, Mathematisch-Formologisch oder PHP oder JAVA heißt … ist mir nicht so wichtig. Auch nicht, dass ausgerechnet ich sie qua Sozialisierung prima verstehe … denn das wäre natürlich die allerschönste Sprache: wenn meine eigene zufälligerweise exakt die Universalsprache wäre 😉

    Unutopisch betrachtet werden sich immer neue Sprachen entwickeln, das Ziel ist vermutlich eine effektive Kommunikation – und in dieser Effizienz mögen durchaus auch ästhetische Kriterien eine Rolle spielen.
    Einzelne Sprachen haben wohl “Überlebensvorteile”, wenn sie offen sind für Einflüsse aus anderen Sprachen, eventuell auch sinnvolle Strukturen daraus übernehmen (und nicht nur Vokabeln!). Insbesondere die Immigranten haben die deutsche Sprache des öfteren verkürzt …

  5. Buchautor zu Patrick Schulz

    Natürlich ist es bei Fachtermini mehr oder weniger egal, ob man sie englisch oder deutsch prägt, wenn sie nur ausreichend definiert sind. Dies gilt aber nur für die Vermittlung/Weitergabe von Erkenntnissen oder Ergebnissen und bezieht sich in der Regel auf die Benützung bereits eingeführter Termini. Es gilt meines Erachtens jedoch nicht für das Beobachten und Nachdenken über ein Phänomen und die anschließende Suche nach Erklärungen. Hier scheint mir das “Denken” in der Muttersprache kreativer und erfolgreicher dank des vorhandenen (zunächst sogar nur alltagssprachlichen) Begriffsnetzes. Es sei denn, man beherrscht die andere Sprache (Englisch) ebenfalls quasi muttersprachlich. Die eigene vertraute Sprache besitzt für den Wissenschaftler, zumal für den Geisteswissenschaftler, ein größeres “erkenntnisstiftendes” Potential. Nach dem Auffinden der Lösung kann man dann über einen passenden englisch-internationalen Terminus nachdenken. Näheres dazu in Kapitel 3 (Semantik) und Kapitel 4 (Sprache und Denken) dieses Buchs.

  6. Herr Stark,

    Hier scheint mir das “Denken” in der Muttersprache kreativer und erfolgreicher dank des vorhandenen (zunächst sogar nur alltagssprachlichen) Begriffsnetzes. Es sei denn, man beherrscht die andere Sprache (Englisch) ebenfalls quasi muttersprachlich. Die eigene vertraute Sprache besitzt für den Wissenschaftler, zumal für den Geisteswissenschaftler, ein größeres “erkenntnisstiftendes” Potential.

    Man denkt doch in der dominanten Sprache, d.h. wenn jemandes Englisch dergestalt ist, dass es ihn am Erkenntnisgewinn hindert, wird er auch gar nicht in der Sprache denken. Sie fangen ja nach einem Jahr Sprachunterricht auch nicht plötzlich an, in fehlerhaftem Französisch (oder was auch immer) zu “denken”.

    Im Übrigen gibt es schlicht und ergreifend unschlagbares Argument: Wissenschaft ist international. Wer auf Deutsch schreibt, möchte offenbar auch nicht von einem größeren Publikum rezipiert werden. Das ist ja jedem selbst überlassen.

    Ich jedenfalls bin froh, dass mir die Erkenntnisse isländischer oder tschechischer Wissenschaftler nicht deshalb verwehrt bleiben, weil die eine diffuse Angst vorm Englischen haben.

  7. Zu Gareth

    Ich betone es noch einmal – obwohl es ja schon in dem Textauszug des Rezensenten zu finden ist: Natürlich ist die Wissenschaftskommunikation international und damit heute Englisch. Aber vom Kommunizieren/Weitergeben eines Ergebnisses oder einer Versuchs-beschreibung zu unterscheiden ist der vorangehende Prozess des Suchens, Aus-probierens,Beobachtens und Grübelns,und der verläuft druchtbarer in der vertrauten eigenen Sprache. Das sage nicht nur ich, das sagen auch kompetente Wissenschaftler wie z. B. Einstein. Lesen Sie doch einmal den Aufsatz des Biomediziners Prof. Ralph Mocikat nach, der arbeitet das präzise heraus.
    Link: http://www.humboldt-foundation.de/de/netzwerk/Veranstalt/ hoersaal/abstracts_expert_09_2006/
    mocikatlang.pdf

  8. Herr Stark,

    Aber vom Kommunizieren/Weitergeben eines Ergebnisses oder einer Versuchs-beschreibung zu unterscheiden ist der vorangehende Prozess des Suchens, Aus-probierens,Beobachtens und Grübelns,und der verläuft druchtbarer in der vertrauten eigenen Sprache.

    Na, Ihren Punkt habe ich schon verstanden. Ich habe ja auch nur entgegnet, dass ich keine Beispiele kenne, wo Menschen in einer Forschungssituation bewusst in eine andere Sprache wechseln, in der sie schlechter kommunzieren können. Die Erkenntnis, dass jeder am besten in der Sprache denken kann, in der er sowieso denkt, ist doch wirklich banal.

    Indem Sie diese Selbstverständlichkeit ins Feld führen, suggerieren sie doch, dass Wissenschaftler und Forscher in Deutschland externen Faktoren unterlegen sind, die sie in eine suboptimale Situation zwingen. Das ist doch schlichtweg nicht der Fall. Egal ob sie in Köln im Fach Physik oder in Wien im Fach Linguistik auf Englisch promovieren — als deutscher Muttersprachler im deutschen Sprachraum ist niemand dazu gezwungen, in der Forschung alles auf Englisch zu machen. Wer sich dennoch dafür entscheidet (z.B. in internationalen Forschungsclustern, deren ausschließliche Arbeitssprache Englisch ist), wird Vor- und Nachteile abgewogen haben (und selbst dann stellt sich noch die Frage, ob der Reflexionsprozess nicht doch in der Muttersprache stattfindet).

  9. Falsches Deutsch …

    Komme aus dem technischen Bereich und war immer “gezwungen” englische Artikel zu lesen. Speziell im Bereich der EDV kam alles aus den USA, für vieles gab es keine deutschen Begriffe. Einige der original Bezeichnungen sind sehr bildlich, trotzdem würde niemand ein Daisy-Chain mit “Gänseblümchen-Kette” übersetzen.
    Wer erreichen will, dass seine Erkenntnisse und Ideen international gelesen werden veröffentlich sie in “NATURE” oder in einer der IEEE Publikationen.
    Viel mehr beunruhigt mich die “Verschlampung” der deutschen Sprache durch falsche Übersetzungen:
    e.g.:
    minimisation -> minimisieren (richtig: minimieren)
    time invariant -> Zeit invariant (Zeit invariabel)

    Manche Begriffe werden immer mehr verdrängt:
    Schusterjungen und Hurenkinder wurden durch Witwen und Waisen “ersetzt”.

    Zum Abschluss noch folgender Satz:
    “Ich sitze im Park auf einer Bank und esse Kekse.”
    Alle Substantive kommen aus dem Englischen …

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