Gustl Molath: Minotauros oder Theseus?

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Im Labyrinth der Justiz: Die Auflistung der Geschehnisse in der Causa “Gustl Mollath” liest sich wie ein Stück aus dem Tollhaus – stünde dahint nicht das konkrete Leiden eines Menschen, der vermutlich sieben Jahre lang grundlos in der geschlossenen Anstalt eines Psychiatrie-Gefängnisses weggesperrt wurde. Und das mitten im Deutschland des Jahres 2013. Aktueller Stand dieses Skandals: Mollath wurde am 7. August überraschend freigelassen

Warum ist dieser Fall ein Thema für diesen Blog? Aus drei Gründen:

1. Man kann über diesen Skandal gar nicht genug schreiben – damit er endlich aufgeklärt wird. Dafür gibt es nun eine gute Chance.

2. Da wurde eine Menge geschrieben, um Mollath hinter Gitter zu bringen: Gutachten, Verhörprotokolle, Gerichtsurteile, Schriftsätze der Anwälte, ein interner Revisionsbericht der Bayrischen Hypo-Vereinsbank und und und. Ohne Schreiben gäbe es diese Causa nicht.

3. Es handelt sich um äußerst labyrintische Vorgänge: nicht zuletzt  Google bestätigt dies, wenn man die beiden Suchwörter “Mollath” und “Labyrinth” gemeinsam eingibt (gemeint ist natürlich wieder einmal der Irrgarten oder das Yrrinthos).

 

Eine fulminante Leistung der Medien im Dienste der Aufklärung

Ausgelöst von einer hervorragend recherchierten Dokumentation von Report Mainz und begleitet von einem unerbittlichen Trommelfeuer der Medien, allen voran die sehr engagierte Süddeutsche Zeitung unter der Federführung ihres unermüdlichen Aufklärers Hans Leyendecker, wurde das persönliche Justizdrama inzwischen zur Staatsaffaire. Das Thema haben sich erstaunlicherweise alle Parteien für den Wahlkampf in Bayern zu eigen gemacht. Für die Opposition (SPD, Grüne, Freie Wähler, Linke) gipfelt das in der Forderung: Die Justizministerin Merk muss gehen. Gut möglich, dass Ministerpräsident Seehofer sie als Bauernopfer über die Klinge seiner Partei-Strategie springen lässt.

Wie hat sich dieser Fall in gut zehn Jahren entwickelt? Der Einfachheit halber übernehme ich auszugsweise die Chronologie zum Fall Gustl Mollath in der Süddeutschen Zeitung und ergänze sie ein wenig :

 

Jahrzehnt eines Justiz-Skandals

November 2002: Mollath wird von seiner Frau wegen Körperverletzung angezeigt. Er soll sie im August 2001 und Mai 2002 mindestens 20-mal geschlagen, außerdem gebissen, getreten und gewürgt haben. Mollath bestreitet die Vorwürfe.
Mai 2003: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erhebt Anklage: gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung. 
Dezember 2003: Mollath erstattet seinerseits Strafanzeige gegen seine Frau, weitere Mitarbeiter der Hypo-Vereinsbank und 24 Kunden wegen Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäften. Die Anzeige wird von der Staatsanwaltschaft [nicht weiter verfolgt]. Die Angaben seien zu unkonkret für ein Ermittlungsverfahren.
April 2004: Fortsetzung der Hauptverhandlung. Ein Gutachter attestiert Mollath gravierende psychische Störungen.
Juni 2004: Mollath muss zur Begutachtung ins Bezirkskrankenhaus (BKH) Erlangen, kommt aber wieder frei.
Januar 2006: Das Landgericht Nürnberg ordnet ohne Anhörung Mollaths dessen einstweilige Unterbringung in der Psychiatrie an. Im Februar stellt sich Mollath; er wird ohne rechtskräftiges Urteil ins BKH Straubing gebracht, wo nur hochgefährliche und kranke Straftäter sitzen.
April 2010 Molath wendet sich an
Report Mainz; dessen erster Fernsehbericht (dem zwei weitere folgen) mobilisiert die Medien und die Bevölkerung.
6. August 2013: Das Oberlandesgericht Nürnberg hebt die Regensburger Entscheidung auf. Das Gericht ordnet die Wiederaufnahme des Strafverfahrens sowie die sofortige Freilassung Mollaths an.

 

Labyrinth-Mythos

Gibt man bei Google “Mollath” und “Labyrinth” ein, erhält man zum aktuellen Zeitpunkt (7. August 2013) 36.000 Ergebnnisse!

Im Labyrinth der Gerichtsinstanzen titelte die Website von DasErste (ARD) einen Bericht von Report Mainz, der wesentlich zum Wiederaufrollen des skandalösen Falls beitrug.

Wie der Zufall so spielt, findet man auf der Seite 1 der Süddeutschen Zeitung vom 07. August 2013 (wo anlässlich von Mollaths Freilassung auf derselben Seite 1 und auf Seite 2 etc. wieder ausführlich über diesen erschütternden Fall berichtet wird), im berühmten Streiflicht einen Hinweis auf die Labyrinth-Sage: Ausgehend von einer Ehrung für Joachim Ringelnatz, endet die launige Glosse bei Wolf Biermann, der mal “preußischer Ikaros” genannt wurde, wie das Streiflicht süffisant zitiert.

Biermann hat man (dies nun meine Schlussfolgerung, nicht die des Streiflichts) in der früheren DDR nicht ganz so schlimm mitgespielt, wie Gustl Mollath in der ach so freiheitlichen Nach-Bundesrepublik. Aber man hat ihn, bevor er die Ausreisegenehmigung bekam resp. aus seiner Heimat geworfen wurde, nicht wenig drangsaliert.

 

Wird Mollath nun das Schwert ziehen – oder akribisch dem Roten Faden nachgehen?

Mollath bekommt in der endlich angeordneten Wiederaufnahme des Verfahrens die Chance, der Wahrheit auf die Sprünge zu helfen. Wie wird er sich verhalten? Im Labyrinth-Mythos finden wir interessante Vorschläge:
° Er kann rachsüchtig wie der Minotauros auf die Schuldigen im Justizapparat und auf seine Ex-Frau losgehen.
° Er kann wie Theseus das Schwert ziehen und auf seine Gegner losgehen.
° Aber er kann auch mit Hilfe des Ariadnefadens den verschlungenen Wegen dieses bizarren, für ihn so demütigenden und traumatisierenden Skandals nachgehen. Letzteres empfiehlt sich für ihn wie für alle anderen Beteiligten als die wohl hilfreichste Lösung, auch und gerade als Aufklärung der interessierten und äußerst sensibilisierten Öffentlichkeit und um diese zu sensibilisieren für die Möglichkeit ähnlich gelagerter Fälle von Justizmissbrauch.

Mollath hat angekündigt, ein Buch über seine Erfahrungen mit der Justiz, der Politik und den Medien schreiben. Er sollte sich beeilen. Denn der Droemer-Verlag hat schon einen Schnellschuss zum Thema von den beiden Journalisten Olaf Przybilla und Uwe Ritzer (von der Süddeutsche Zeitung) angekündigt. Aber nachdem das Verfahren erst 2014 wieder vor Gericht aufgerollt wird, darf Mollath weiterhin mit großem Interesse an einer persönlichen Aufarbeitung seines Schicksals rechnen. Möge er finanziell mit dem Buch so erfolgreich sein, dass er seine finanzielle Katastrophe einigermaßen ausgleichen kann; denn mit einer hohen Entschädigung durch ein entsprechendes Gerichtsurteil wird er kaum rechnen können. Da hätte er in Amerika sicher bessere Chancen.

Merke: “Das Labyrinth ist immer und überall.” (Frei nach Erste Allgemeine Verunsicherung)

 

Quellen
SZ: “Ein Drama ohne Ende (Zeittafel)”. In: Südd. Zeitung Nr. 181 vom 07. August 2013, S.2
anonymus: “Streiflicht””. In: Südd. Zeitung Nr. 181 vom 07. August 2013, S.1
Report Mainz: Justizskandal in Bayern (Der Fall Mollath). Sendung der ARD vom 13. Nov 2012
Ritzer, Uwe und Olaf Przybilla: Die Affäre Mollath. München 2013 (Droemer) – bereits lieferbar


266 / 1666 SciLogs / 899 JvS – / Aktualisierung: 12. August 2013/07:45 – v 2.1

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

10 Kommentare

  1. Der Unterschied zwischen Wirr und Irr

    Gustav Mollath hat wirre Briefe geschrieben, in denen einzelne Worte und auch ganze Passagen großgeschrieben waren – so wie es auch einige Kommentatoren hier auf scilogs häufig tun (und so wie auch ich es schon getan habe). Zudem hat sich nach eigenen Angaben Gustav Mollath in der Causa Gustav Mollath an bekannte Persönlichkeiten wie Beate Klarsfeld und Jean Ziegler gewandt was auf eine (wahnhafte?) Überschätzung der eigenen Person hinweist. Andererseits scheint er sich stundenlang mit einem Begutachter unterhalten zu haben ohne wahnhafte Ideen zu äußern oder zerfahrenes Denken an den Tag zu legen.
    Kann man alle oder die meisten Personen zwei klaren Kategorien zuordnen, wovon in die eine die klar, differenziert und in jedem Gedankengang nachvollziebar denkende Person gehört und in die andere die wahnhafte, halluzinierende, wirre Bezüge herstellende und zerfahren denkende Person? ?? (2 Fragezeichen hier, auffälliger Autor, der hier schreibt). Oder gibt es in Vielen von uns ein Yrrinthos

    Wäre es der ultimative Beweis der geistigen Gesundheit Mollaths, wenn er ein luzides Buch über sein eigenes Schicksal schreiben würde in dem es keine überlange kursiv oder gar fett und kursiv gehaltene Passagen gäbe und auch keine farbigen Titel?

  2. Mollath

    Man kann über diesen Skandal gar nicht genug schreiben (…)

    …oder Mollaths Freunde veröffentlichten die seinerzeitige Urteilsbegründung, die in einem Artikel zu diesem Thema nicht fehlen muss:

    -> http://www.gustl-for-help.de/…il-Landgericht.pdf

    HTH
    Dr. W

  3. @Dr.Webbaer: PS PS

    Richtig, aber unvollständig ist: “Der Name des Betroffenen wurde zweimal falsch geschrieben, einmal an prominenter Stelle.”
    Vollständiger ist: Der Name des Betroffenen wurde mindestens dreimal falsch geschrieben, einmal an prominenter Stelle.

    Hier meine Fehlerstellenliste:
    – Gustav Molath: Minotauros oder Theseus im Labyrinth der Justiz
    Mollarth wurde am 7. August überraschend freigelassen
    – April 2010 Molath wendet sich an Report Mainz

    Bemerkung: Ihre Korrektoren-Kompetenzen Dr. Webbaer, die sie schon öfters an den Tag gelegt haben, sind zwar immer noch erkennbar, doch es fehlt die nötige Penibilität (für was eigentlich).

  4. Herr Holzherr

    ‘Mollarth’ ist überlesen worden. Wenn es dem zu Lektorierenden nachgesehen werden kann, stellt sich idR eine gewisse Milde ein.
    Sie erkennen die Labyrinthe, die sich hier auftun?

    MFG
    Dr. W (der iDT schon mehrfach zum Gebrauch von IT-gestützten Hilfen geraten hat, nicht nur hier – kam aber generell nicht so-o gut an 😉 )

  5. Engagement

    Der Erfolg des öffentlichen Drucks ist mal ein positives Beispiel für seriösen , engagierten Journalimus , wie er sein sollte und zeigt , wie unser in Teilen hochproblematischer Journalismus aussehen könnte, auch unter finanziellen Gesichtspunkten , die Sueddeutsche steht ganz gut da , “obwohl” sie an solchen Themen dranbleibt und sich fast als Einzige noch eine Gerichtsreporterin leistet.

  6. Der

    Schreiber dieser Zeilen hat sich vor einigen Monaten vglw. intensiv mit dem Fall Mollath beschäftigt, kurz zusammengefasst könnten die Ergebnisse so dargestellt werden:
    1.) Mollath muss aus der Psychiatrie raus, was mittlerweile geschehen ist.
    2.) Mollath hat sich seinerzeit ungünstig verhalten und so daran mitgewirkt das seinerzeitige Urteil herbeizuführen.
    3.) Der Fall Mollath ist nicht zuletzt aus Gründen des Wahlkampfs hochgekocht.

    MFG
    Dr. W

  7. Mollath und die SZ

    Hallo Herr vom Scheidt, zur Info: Olaf Przybilla und Uwe Ritzer waren die Journalisten der SZ, die maßgeblich hinter den Berichten standen, nicht Herr Leyendecker. Eher muss da noch Heribert Prantl erwähnt werden. Das Buch von Przybilla und Ritzer ist Anfang Juni schon erschienen, und vermutlich ist Herr Mollath darüber nicht undankbar gewesen.

  8. Mollaths Buch

    Ich wünsche Gustl Mollath ebenfalls, dass er mit einem Buch eine finanzielle Entschädigung erlangt. Ich bewundere das Durchhaltevermögen diesen Mannes. Er sitzt 7 lange Jahre in der Psychiatrie. Ich kann mir vorstellen, dass man sich selbst im Verhalten wandelt, wenn einem wie einen Verrückten behandelt. Zudem litt er unter mächtigen Schlafstörungen, da er fast stündlich von der Nachtwache durch das Anleuchten mit der Taschenlampe geweckt wurde. Bei der Reportage stellte mir eine Frage: Wie ergeht es anderen Inhaftierten in so einer Anstalt? Werden die ebenfalls so menschenunwürdig behandelt?

  9. Fehler korrigiert / Zwei Seelen wohnen

    Danke für die Hinweise auf die fehlerhafte Schreibweise “Mollarth” – da haben meine Augen beim Korrigieren etwas als “richtig” gesehen, was eben nicht da war. Wurde inzwischen korrigiert.
    Diese “irrige Wahrnehmung beim Korrigieren” ist übrigens ein passendes Beispiel für die Frage von Martin Holzherr: “Kann man alle oder die meisten Personen zwei klaren Kategorien zuordnen…”
    Ich denke: Ja, man kann. Das nicht nur von Goethe festgestellte “Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust” (er hat das von Wieland wörtlich übernommen) weist auf eine psychische Realität hin, die wir alle kennen. Ich erlebe das in meinen Seminaren immer wieder sehr nachdrücklich: Dass ich je nach Zusammensetzung der Gruppe ein wenig “anders” bin, rede, schreibe. Wir reagieren intensiv auf unsere Umgebung, wie wir von anderen wahrgenommen und angesprochen werden etc. Dies geschieht in der Regel sehr unbewusst und unwissend. Barbara König hat dies auf die Spitze getrieben in ihrem Roman “Die Personenperson” (1965) – und liegt wohl nicht weit von der Wahrheit damit.
    Herr Mollath hat sich in negativer Umgebung sicher anders gefühlt und auch analog gedacht – als in einer im wohl gesonnenen. Schon allein die Umgebung in problematischer Ehe (seine Frau hat sich offenkundig kriminell betätigt) und in der Psychiatrie (die in seinem Fall ja eigentlich ein Gefängnis ist) verändert die Persönlichkeit. Ich habe vor vielen Jahren Drogenabhängige im Untersuchungsgefängnis besucht – eine schreckliche Umgebung! Und “Größenideen” – haben wir die nicht alle mal? Es zeigt sich nun ja, dass Mollath die Bedetung seines Falles keineswegs übertrieben wahrgenommen und geschildert hat: das ist wirklich ein höchst bedeutsamer “Fall” – für uns alle. Mollath durchlebt und “trägt” dies nur für uns alle durch.
    Was “Leyendecker” angeht: Er ist der Boss der investigativen Abteilung der Süddeutschen Zeitung; so meinte ich das.

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