200 Jahre Kunstakademie in München
BLOG: Labyrinth des Schreibens

Rüdiger Safranski, in jüngster Zeit bekannt geworden durch sein Sachbuch "Romantik. Eine deutsche Affaire", ist Philosoph und Schriftsteller. Anlässlich des 200. Jahrestages der "Akademie der Bildenden Künste" (kurz: Kunstakademie) in München hielt er die Festrede mit dem Titel "Spiel ohne Ball".
Darin ging es um Nachteile und Nutzen des Eskapismus für die Kunst – nicht nur in der Gegenwart. Das Labyrinth-Motiv erscheint darin an zentraler Stelle gleich dreimal auf, verbunden mit den Schlüsselfiguren Ikaros, Dionysos und Odysseus (die beiden letzteren aus dem äußeren der Fünf Kreise von Figuren der Labyrinthiade):
Es gibt ein Ressentiment [betr. Eskapismus des Künstlers] von oben und von unten. Von "oben" – das heißt von einer Art höherer Vernunft aus, die sich religiös oder wissenschaftlich versteht, jedenfalls entscheiden zu können glaubt, wo die Kunst von der "wahren" Wirklichkeit abirrt. Von "unten" – wenn Kunst als Privileg, Luxus, als Selbsterhöhung denunziert wird. Die Künstler als Überflieger. Das Ressentiment wünscht ihnen das Schicksal des Ikarus auf den Hals. Herunter kommen sie immer!
Danach wendet sich Safranski den Gedanken von Friedrich Nietzsche über das Gegensatzpaar des Apollinisch-Vernünftigen vs. des Dionysisch-Rauschhaften zu (wobei man wissen sollte, dass Nietzsche vom rauschhaften Exzess des Weingottes Dionysos sehr fasziniert war, wenngleich ihn das Helle und Klare des Vernunftsgottes Apoll ebenso anzog):
So hochfahrend konnte Nietzsche nur reden, weil er der ästhetischen Erfahrung zutraute, dass sei die eigentliche Dimension der Wahrheit über den Menschen berührt. Und das bedeutet für ihn: dass sie in die dionysische Tiefenschicht des Lebens hineinreicht und damit an den Schlaf der Welt rührt. Die wahre Kunst hat für ihn etwas Ekstatisches, Berauschendes. Sie versetzt in einen außerordentlichen Zustand, das "Dionysische". Sie ist Sirenenklang und darum nicht ganz ungefährlich.
Damit kommt Safranski zur Gestalt des Odysseus, der zusammen mit Herakles/Herkules und Theseus so etwas wie das Helden-Dreigestirn der griechischen Mythologie bildet:
Es überrascht nicht, dass Nietzsche das Sinnbild dieser prekären Situation im Schicksal des Odysseus findet, der sich an den Mastbaum binden lässt, um den Gesang der Sirenen hören zu können, ohne ihm zu seinem Verderben folgen zu müssen. Der Wille zur gewöhnlichen Selbsterhaltung widerstreitet der Lust an der dionysischen Selbstauflösung in der Kunst.
Das Jubiläum der Akademie wird übrigens durch eine sehr sehenswerte Ausstellung im Haus der Kunst (München) begleitet: "200 Jahre Kunstakademie München". Das Labyrinth-Thema wird dort allerdings nirgendwo angesprochen. Muss ja auch nicht sein. Dafür gab´s jede Menge Krieg zu sehen. Mich haben am meisten diese beiden Bilder beeindruckt:
° "Die Flagellanten" (1889) von Carl von Maar.
° "Der Generalstab" (1947) von Willi Geiger. Auf dieser surreal-symbolischenen Darstellung des Zweiten Weltkrieges beugen sich zwei Generäle und ein Soldat über einen Kartentisch, auf dem der nächste Angriff geplant wird – alle drei in schnieken Uniformen – aber als Skelett dargestellt.
Im nächsten Beitrag stelle ich Ihnen als aufschlussreiche Ergänzung eine sehr moderne Interpretation des Ikaros-Mythos durch einen Studenten der Akademie vor: Andreji Herzog.
Quelle:
Safranski, Rüdiger: "Spiel ohne Ball" (Festrede anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Akademie der Bildenden Künste in München, gehalten am 20. Juni 2008). In: Südd. Zeitung vom 21. Juni 2008