Bilder von Envisat

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

+++ Bitte beachten Sie das Update +++ Der seit 8. April nicht mehr funktionsfähige Umweltsatellit Envisat der ESA ist mittlerweile nicht nur von Radarstationen, sondern auch von anderen Satelliten abgebildet worden.

Das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR) hat mit seinem abbildenden Radar TIRA in Wachtberg bereits seit Tagen Aufnahmen während der Überflüge des Satelliten gemacht. Es sollte festgestellt werden, ob der Satellit in einen geordneten “Safe-Mode” gegangen ist, d.h., ob zumindest sichergestellt ist, dass er seine eigene Ausrichtung im Raum und die seines Solargenerators so steuern kann, dass an Bord nichts überhitzt oder unterkühlt und die Batterien geladen bleiben.

Die Interpretation von Radarbildern ist für Ungeübte etwas schwierig, hilft aber denen, die genau wissen, wie der Satellit ausgerichtet sein und deswegen auf den Aufnahmen aussehen müsste.

Zusätzlich hat die französische Weltraumagentur CNES mit Satelliten des von betriebenen Systems von Erdbeobachtungssatelliten “Pleiades” Bilder aus etwa 100 km Entfernung von Envisat machen lassen. Hierbei handelt es sich um optische Aufnahmen. Die Pleiades-Satelliten sind auf knapp 700 km hohen Bahnen, also etwa 70 km tiefer als Envisat.

Auch dieses Bildmaterial kann ein Experte mit der Computersimulation des erwarteten Aussehens aus der jeweiligen Betrachtungsgeometrie vergleichen.

 


Update 27.4.2012: Auf der Webseite des CNES ist eine Bildserie veröffentlicht worden.

Sequenz von Bildern vom Vorbeiflug von Envsiat an einem Pleiades-Satelliten

 

Weitere Information

Web-Artikel der ESA, Abteilung Erdbeobachtung, vom 20.4.2012

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

57 Kommentare

  1. “Intern” hat die ESA kaum noch Hoffnung

    Einen Tag vor der heutigen Pressemitteilung hat es auch einen eher versteckten Update zur Lage gegeben: Zum einen erfährt man hier, dass der Satellit zwar äußerlich heil und auf der richtigen Bahn aber in einer falschen Orientierung ist – wieso hat man diese wesentliche Erkenntnis in der PM weg gelassen? Und zum anderen gibt’s die düstere und wohl realistische Einschätzung: “It is however clear that the chances to recover the satellite control are slim” …

  2. Remember Olympus (and XMM-Newton)

    Die Älteren unter uns werden sich noch an den Fall des geostationären ESA-Satelliten Olympus erinnern, der 1991 aufgrund eines falschen Telekommandos außer Kontrolle geriet, dann aber nach 77 Tagen wieder reaktiviert werden konnte, worauf damals auch keiner mehr viel Geld gewettet hätte, da der Satellit taumelte, die Batterien entladen waren und der Treibstoff einfror.

    Dann, 1998, der Verlust des orbitalen Sonnenobservatorium SOHO. Auch da, Taumeln, keine elektrische Energie, komplett entladene Batterien, eingefrorener Treibstoff. Lange war gar kein Kommandozugriff und kein telemetrieempfang mehr möglich, aber am Ende schaffte man es doch, die Kontrolle wiederzugewinnen und den Satelliten, in einem sehr langwierigen Prozess wieder die Sonde in den Betriebszustand zurückzuversetzen. Das hätte damals auch keiner geglaubt.

    2008 ging die Kontrolle über das orbitale Röntgenteleskop XMM-Newton verloren. Auch da völlig unerwartet und ohne Vorwarnung. Zuerst hatte man keinerlei Information und beführchtete den Totalverlust. Dann aber gelang es, ein schwaches Signal aufzufangen und in Folge vollen Kommandozugriff wiederzuerlangen.

    Auch in diesen Fällen, und ganz besonders bei Olympus, waren die “chances very slim”. Trotzdem haben die Ingenieure nicht gleich die Flinte ins Korn geworfen, und das werden sie auch diesmal nicht tun.

  3. Frage zu Envisat

    Der Satellit “Envisat” ist seit zehn Jahren im Dienst, die Satellitenbauer hatten aber angeblich nur eine Lebensdauer von fünf Jahren vorgegeben. Wieso ist man überrascht, dass er nun möglicherweise defekt ist? Schreibt die NZZ da Unrichtiges oder stimmt das?
    http://www.nzz.ch/…ril-verstummt_1.16423140.html

  4. @Mona

    Es ist hier so, dass der Totalausfall vollkommen unerwartet kam. Es wäre etwas Anderes gewesen, wenn man über einen gewissen Zeitraum gesehen hätte, dass wichtige Komponenten des Satelliten mehr und mehr degradieren. Offenbar hat auch die Einnahme der Safe-Mode-Position nicht geklappt, also muss es da eine Kette von Defekten gegeben haben oder einen Ausfall an einer kritischen Stelle. Ich kann mir allerdings kaum vorstellen, was das für ein Defekt gewesen sein mag, angesichts der redundanten Auslegung kritischer Komponenten und der Tatsache, dass zumindest gemäß der Radar- und optischen Aufnahmen, nichts zu fehlen scheint.

    Ein Volltreffer durch selbst ein kleines Stück Weltraumschrott hätte den sofortigen Totalausfall bewirken können, aber der müsste auch zu sichtbaren Beschädigungen führen, angesichts der mittleren Relativgeschwindigkeit von rund 10 km/s. Solche Beschädigungen sieht man aber nicht.

    Es ist deswegen nicht ausgeschlossen, dass man die Kontrolle zurückerlangt, oer vielleicht zumindest Kommandozugriff bekommt und die Versendung der Telemetrie wieder in Gang setzen kann, damit man zumindest herausbekommt, was zum […] denn da vorgefallen ist.

    Problematisch ist auch die Bahnhöhe. Die verbleibende Lebensdauer bis zum natürlichen Wiedereintritt wird dort sehr lang sein, und so lange stellt der Satellit auch ein erhebliches Risiko dar, denn er kann jederzeit von Schrott oder einem aktiven Satelliten getroffen werden und dadurch eine gewaltige Wolke weiterer Trümmer freisetzen, die zu einem Lawineneffekt im Orbit führen. Wenn man ihn wenigstens soweit reanimiert, dass man den letzten Treibstoff für ein Absenken einsetzen kann, wäre schon viel gewonnen.

    Vielleicht sind alle Bemühungen vergebens, aber wer es nicht einmal versucht, hat schon von vorneherein verloren. Außerdem gibt es ja die Vorgeschichte von wiedererlangter Kontrolle selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen.

  5. Weltraumschrott @Michael Khan

    Da kann man nur wünschen, dass es gelingt Envisat wieder flott zu bekommen. Die Sache mit dem Weltraumschrott ist ja wirklich unangenehm und scheint langsam dramatische Ausmaße anzunehmen. Ich dachte gar nicht daran, dass da im Weltraum Explosionen stattfinden, weil sich alle möglichen Überreste verbinden und entzünden können. Das hat man aber sicher auch schon gewusst, als man den Satelliten Envisat in die Umlaufbahn brachte. Wieso traf man da keine Vorkehrungen oder sind diesbezügliche Konzepte noch in Planung? Ich habe mich zwar jetzt durch alle verlinkten Seiten durchgelesen, aber ein wirkliches Konzept scheint es da noch nicht zu geben oder habe ich was übersehen?

  6. Mit Lasern gegen Weltraumschrott

    @Mona, die meint, “ein wirkliches Konzept scheint es da noch nicht zu geben oder habe ich was übersehen?”

    Ich weiß aus deutschen Raumfahrtkreisen, dass speziell hierzulande recht intensiv an Möglichkeiten geforscht wird, Raumschrott auf optischem Weg zu orten und dann per Laserbeschuss gezielt zum Absturz zu bringen – über diese Dinge (gerade auf einer Party unter der Hand erfahren 🙂 wird aber wegen ihrer politischen Brisanz derzeit noch nicht viel öffentlich gesagt. Es gibt aber frei zugängliche Papers zu der generellen Idee wie http://arxiv.org/abs/1110.3835 (sorgte letztes Jahr für einiges Aufsehen).

  7. Müllpartygeflüster @Daniel Fischer

    “Ich weiß aus deutschen Raumfahrtkreisen, dass speziell hierzulande recht intensiv an Möglichkeiten geforscht wird, Raumschrott auf optischem Weg zu orten und dann per Laserbeschuss gezielt zum Absturz zu bringen”

    Mir ist zwar bekannt, dass die NASA Laser zur Beseitigung von Weltraumschrott erforscht. Aber “hierzulande” entwickel die Schweizer einen Müllwagen, der mit Fangarmen den Weltraummüll einsammeln soll, um ihn zur Erde zurückzubringen. Hier gibt es ein Filmchen von “CleanSpace One”:
    http://www.netzwelt.de/…mschrott-beseitigen.html

  8. Absenken von Envisat

    Envisat hat nur noch etwa 1/10 seines ursprünglichen Treibstoffes an Bord. Das reicht nicht, um die Bahn noch signifikant zu senken. Zum Vergleich: Der kleinere Satellit ERS-2 hatte noch die Hälfte seines Treibstoffes zur Verfügung, als seine Bahn vor ein paar Monaten um 200 km gesenkt wurde. (Der Tank von Envisat ist genauso gross wie bei ERS!)

    Bei der 10-Jahres Feier von Envisat wurde vor ein paar Wochen am ESOC der Operationsplan für die nächsten Jahre vorgestellt. Danach sollte Envisat nach Abschalten der wissenschaftlichen Geräte in zwei oder drei Jahren noch in einem Bereitschaftszustand gehalten werden. Mit dem geringen noch vorhandenen Treibstoff könnte man dann über einen Zeitraum von 10 Jahren Ausweichmaneuver fliegen, um Kollisionen mit anderen Objekten zu vermeiden.

    Danach, so hofft man, gibt es vielleicht endlich ein (oder mehrere) Systeme zum “Entsorgen” von “nicht-kooperativem” Weltraumschrott. Mit seinen 8.2 t auf der “verkehrsreichsten” Umlaufbahn wäre Envisat in jedem Fall ein Prioritätsobjekt zur Entsorgung.

    Es wäre in der Tat zu wünschen, dass es das ESOC mal wieder schafft, das fast Unmögliche möglich zu machen und die Kontrolle über Envisat wiederzugewinnen. Ein toter Envisat wäre eine tickende Zeitbombe.

  9. @Gerhard

    Völlig richtig, das Antriebssystem von Envisat war, wenn ich mich richtig erinnere, genauso dimensioniert wie das von ERS, aber Envisat hatte mehr als drei Mal so viel Masse. Da war so ein Absenkungsmanöver wie bei ERS-2, wo die Vorgabe eines natürlichen Wiedereintritts innerhalb von 25 Jahren eingehalten werden kann, keinesfalls mehr drin. Im Gespräch war mal ein Absenken um das, was der verbleibende Treibstoff noch hergibt, aber dann wäre in der Tat nichts für Ausweichmanöver übrig geblieben.

    Wenn es eines Tages ein Entsorgungsvehikel für nicht-kooperativen Schrott geben sollte, dann könnte das auch Envisat entsorgen, aber einfacher ist es allemal, an ein kooperatives Ziel anzudocken.

    So ein Vehikel könnte sich dann auch um ERS-1 kümmern, denn diesen Satelliten, einen Vorgänger von Envisat, ereilte im Jahre 2000 ein ähnliches Schicksal wie jetzt offenbar Envisat: Er versagte total und unvorhergesehen. ERS-1 ist seitdem ein Stück Weltraumschrott in einer Bahn, die der von Envisat stark ähnelt.

    Was ich mit dieser Bemerkung in einem Vorkommentar meinte…

    Wenn man ihn wenigstens soweit reanimiert, dass man den letzten Treibstoff für ein Absenken einsetzen kann, wäre schon viel gewonnen.

    … war, dass jetzt, wo es offenbar ein ernstes Problem mit dem Satelliten gibt, die einzige vertretbare Vorgehensweise meines Erachtens darin besteht, allen verfügbaren Treibstoff für ein Absenken des Perigäums soweit wie möglich einzusetzen. Vorausgesetzt natürlich, es gelingt jetzt noch einmal, Kommandozugriff zu erlangen. Das Risiko eines Weiterbetriebs sollte man auf gar keinen Fall mehr eingehen.

  10. @Mona: Weltraumschrott-Entsorgung

    Es ist leider richtig, dass Envisat, auch wenn er steuerbar geblieben wäre, nicht auf eine genügend niedrige Bahn hätte transferiert werden können, um seine orbitale Lebensdauer auf 25 Jahre zu reduzieren, weil das Treibstoffbudget es nicht zulässt.

    So etwas würde es heutzutage bei einem ESA-Satelliten nicht mehr geben. Allerdings muss man auch hinzufügen, dass, selbst wenn die Treibstoffmenge ausreichend wäre, dies an der jetzigen Situation nichts ändern würde: Er wäre auch dann noch – angenommen, es gelingt nicht, ihn wiederzubeleben – ein Stück Weltraumschrott auf einer zu hohen Bahn, allerdings eins mit mehr Sprit.

    Zum Thema Entsorgung: da haben einige Leute einige Ideen, allerdings nicht immer brauchbare. Auch muss man unterscheiden, mit was für einer Art Weltzraumschrott man es zu tun hat, denn je nach Art ist auch die Bekämpfungsmöglichkeit sehr unterschiedlich.

    Mit einer Laserkanone herumbeamen, um von einem Teil etwas zu verdampfen und es dadurch abzubremsen, das mag bei Trümmer-Teilchen gehen (oder auch nicht, das soll man erst einmal überzeugend demonstrieren – Vorschläge gibt’s im Dutzend billiger.).

    Bei einer ausgebrannten Oberstufe oder einem intakten, aber funktionsuntüchtigen Satelliten sollte man so etwas aber tunlichst unterlassen, denn wenn man dabei die Tanks oder Treibstoffrohre beschädigt, dann hat man genau das erreicht, was man auf jeden Fall vermeiden wollte, nämlich aus einem großen Stück Schrott eine Wolke kleinerer Trümmer zu erzeugen.

    Bei einem alten oder kaputten Satelliten oder einer Oberstufe hilft wohl in der Tat nur eine Rendezvous-Strategie. Aber, wie bereits in einem anderen Kommentar gesagt, das Andocken an ein nicht-kooperatives, vielleicht gar taumelndes Objekt ohne einen geeigneten Andockpunkt ist ein hochgradig nicht-triviales Unterfangen.

    Möglicherweise wäre es besser, nur eine Art Segel anzubringen, das den Luftwiderstand erhöht. Simples Ankleben würde reichen, denn es braucht keinen großen Belastungen standzuhalten. Wenn das Objekt, an dem man es befestigt hat, tief genug ist, dass die aerodynamischen Kräfte zu stark für das Segel oder seine Befestigung werden, dann macht es auch nichts, wenn es abreißt, denn dann hat es seinen Zweck erfüllt.

  11. Weltraumschrott Entsorgung

    Zu dem Thema würde mich jetzt mal interessieren, was man genau unter kooperativen und nicht-kooperativen Zielen zu verstehen hat?

    Dann würde mich interessieren, wo genau die Schwierigkeiten beim einfangen von Weltraumschrott liegen. Ich bin da immer noch zu sehr “Science Fiction geschädigt”, was bedeutet, das man “einfach” eine Fähre mit Piloten oder alternativ einen Roboter los schickt, der das Zeug mit einem Greifer einsammelt und in einen mitgeführten Container packt. Wenn der Container voll ist, landet er auf einem Schrottplatz, oder bei einer Recyclingstelle, wo die eingesammelten Satelitten, Raketenstufen und sonstige Teile zerlegt werden, um sie entweder zu recyclen oder zu verschrotten.
    Leider entspricht dieses Szenario derzeit nicht dem technisch machbaren, weshalb mich interessieren würde, wo da genau die Haken und Ösen liegen, an denen es hängen bleibt.

  12. Zu dem Thema würde mich jetzt mal interessieren, was man genau unter kooperativen und nicht-kooperativen Zielen zu verstehen hat?

    Satelliten mit bzw. ohne funkionierende Lageregelung. Bei funktionierender Lageregelung kann er so ausgerichet werden, dass er für den “Fänger” einfach zu greifen ist.

    Bei nicht funktionierender Lageregelung müsste das Entsorgungsvehikel die ganze Arbeit selbst machen. Also beispielsweise die Solarpanele umkurven. Was auch nur das kleinere Problem ist. Ohne Lageregelung könnte der Satellit anfangen zu taumeln (drehen um mehrere Rotationsachsen).

    Dann würde mich interessieren, wo genau die Schwierigkeiten beim einfangen von Weltraumschrott liegen.

    Keine Andockvorrichtungen, der Schrott darf durch den Greifer nicht zerbrochen werden und taumeln des Schrotts dürften die Hauptprobleme sein.

  13. @Hans

    1.) Zu kooperativen verglichen mit nichtkooperativen Zielen beim Einfang oder Andocken:

    Nicht-technische Erklärung: Wenn Sie schon einmal einem Kleinkind an einem Wintertag eine Strumpfhose angezogen haben, dann werden Sie wissen, dass es einen fundamentalen Unterschied macht, ob das Kind kooperiert oder nicht. 🙂

    Technische Erklärung: Wie bereits von einem anderen Kommentator erwähnt, ist ein wesentlicher Punkt das Funktionieren der Lageregelung. Wenn der Zielsatellit sich dann auch noch in die Lage drehen kann, die am günstigsten ist, dann ist das sozusagen schon die Luxusausführung. Selbst wenn er das nicht tut, aber wenigstens still hält, ist schon viel gewonnen.

    Dann gibt es auch noch so etwas wie eine “passive Kooperation”: Sind Komponenten eingebaut, die das Annähern, das Ergreifen und das Andocken erleichtern, so wie Laser-Reflektoren, Haltepunkte und Docking-Adapter?

    Stellen wir uns mal vor, dass das alles nicht gegeben ist, das heißt, ein Satellit mit einer durch Aufbauen zerklüfteten Oberfläche, durchaus mit vielen scharfen Kanten und mit weit hervor stehenden Bauteilen wie (im Fall des Envisat) des Solargenerators, des Antennenauslegers und des SAR-Reflektors ist in einer Rotations- oder Taumelbewegung.

    Dann muss der Satellit, der andocken will, eine Anflugrichtung finden, bei der dieses 8-Tonnen-Trumm iun seinem dementsprechend hohen Drehimpuls ihm keinen Schlag verpasst, und er muss eine Stelle finden, an der er sich festhalten kann.

    Sollte das schief gehen und das Trumm verpasst ihm doch einen, dann gibt es eine gute Chance, dass von beiden Satelliten Teile abbrechen und dass nicht nur der andockende Satellit dadurch funktionsunfähig wird, sondern dass man gleich eine Menge orbitalen Schrott produziert hat.

    2.) Zum bahnmechanischen Problem des Einfangens:

    Im Prinzip ist Ihre Beschreibung schon richtig: Man fliegt einfach hoch, sackt das Zeugs ein und bringt es herunter. (Mit der Ausnahmen, dass man es wohl eher nicht dem Recycling zuführt, sondern es kontrolliert in die Atmosphäre eintreten lässt.

    Das Problem mit der dieser Beschreibung ist allerdings, dass es im Prinzip auch richtig ist, wenn ich sage: “Klavier spielen ist ganz einfach, man muss nur zur richtigen Zeit auf die richtigen Tasten drücken.”

    Stimmt zwar, aber da ist dann doch noch was …. 🙂

    Es liegt für uns Erdenmenschen vielleicht nahe, sich die Bahnmechanik so vorzustellen wie ebene Bewegungen auf der Erdoberfläche. Bei allen orbitalen Operationen ist es aber so, dass alle Objekte, von der Raumstation zum kleinsten Trümmerteilchen, auf Bahnen um die Erde sind, und der Satellit, der den Müll einsammeln will, auch.

    Bahnen sind durch sechs Parameter gekennzeichnet. Wenn man ein Rendezvous machen will – und das muss man für einen Einfang – dann müssen alle sechs Parameter für beide Objekte komplett identisch sein.

    Angenommen, das bekommt man hin und will nun ein weiteres Objekt einsacken. Das ist auf seiner eigenen Bahn, die sich von der augenblicklichen Bahn des Müllsammlers unterschiedet. der Müllsammler muss also seine Bahnparameter verändern und genau das kann schnell so viel Treibstoff kosten, dass es komplett unmachbar ist.

    In der Regel ist alles, was über das Einsacken von einem oder höchstens zwei Trümmern hinausgeht schon nicht mehr drin. Das heißt, es ist vollkommen illusorisch, mit einem kleinen Müllsammler auf die Jagd nach den kleinen Teilchen zu gehen. Das Gedankenmodell von dem Greifer, der oben hin und her flitzt und sich ein Teilchen nach dem anderen schnappt, taucht immer mal wieder in Dokus oder Artikeln auf, aber es funktioniert einfach nicht.

    Wenn es wirklich einen Müllsammler geben wird, dann einen für defekte Satelliten oder ausgebrannte Oberstufen. An die kann der Andocken und dann ein Bremsmanöver ein;eiten oder, wie ich anderswo erwähnte, er kann ein Segel oder etwas anderes ankleben, das den Luftwiderstand des objekts stark erhöht.

    Um die kleinen Trümmer muss man sich anders kümmern.

  14. Was tun?

    Wenn ich in dieser Welt was zu sagen hätte – jawohl, ich meine diktatorische Vollmachten! – würde ich Folgendes verpflichtend vorschreiben:

    1.) Jeder Satellit muss mit automatischen Passivierungseinrichtungen versehen werden. Diese werden durch Timer ausgelöst. Die Timer werden regelmäßig durch Telekommandos gestellt. Unterbleibt das, weil der Satellit nicht mehr ansprechbar ist, dann wird nach Ablauf der Timer die Passivierungssequenz automatisch und zuverlässig (also ohne Zutun des Bordcomputers) aktiviert:

    – Tanks für Treibstoff und Oxidator werden entleert und drucklos gemacht.
    – Hochdrucktanks (in denen das Treibgas enthalten ist, das die Treibstofftanks unter Druck setzt) werden entleert
    – Batterien werden entladen und gesichert

    2.) Jeder erdnahe Satellit muss über automatische, timergesteuerte Vorrichtungen zur Erhöhung der Querschnittsfläche verfügen. Werden diese ausgelöst, beispielsweise als Segel oder als gasgefüllter Ballon, dann reduziert sich die Lebensdauer im Orbit auf maximal 25 Jahre.

    Gleichfalls muss man die orbitale Lebensdauer in die Auswahl der Zielbahn einbeziehen und darf diese nicht allein auf der Basis des wissenschaftlichern Ertrags oder anderer operationeller Parameter wählen.

    In 800 km Höhe beispielsweise verbleibt ein Satellit, je nachdem wieviel Querschnitssfläche und Masse er hat, zwischen 60 und 300 Jahre. In 700 km Höhe sind es nur 15-60 Jahre, also hätte man das Problem langlebigen Schrotts schon einmal ganz deutlich entschärft.

    Ich habe gesprochen.

  15. @Daniel Fischer: Meinung der Müllmänner

    Ich bin zwar sicher kein Space-Debris-Experte, aber als Missionsanalytiker habe ich auch mit Space-Debris-relevanten Daten und Erwägungen zu tun.

    Es ist aber keineswegs so, dass ich mit meiner Meinung, dass Maßnahmen zur Vermeidung von Debris schon beim Bau der Satelliten und bei der Auswahl der Bahn einfließen sollten, allein dastehe.

    Langsam kommt es auch dahin, dass man auf die Space-Debris-Leute hört, und wenn ich sage “langsam”, dann meine ich wirklich langsam.

    Beispiel gefällig? Zwar ist allgemein bekannt, dass das geostationäre Orbit eine ganz einzigartige Ressource ist, die der ganzen Menschheit dient und die man nach Kräften schonen und auf keinen Fall zumüllen sollte. Schon als ich Student war, ging es in einem Seminarvortrag an der Uni um genau diese Thematik. Das war Mitte der 80er. Da kann keiner sagen, dass die Problematik ihm ganz neu und fremd ist.

    Schaue ich mit aber die Statistiken der geostationären Satelliten an, die selbst in den letzten Jahren immer noch nicht nach Ablauf ihrer Mission ordnungsgemäß entworgt, d.h., in eine Friedhofsbahn gehievt wurden, die mindestens 250 km über dem geostationären Ring liegt, dann wundert mich das schon.

    Von 1997 bis 2003 beispielsweise beendeten 103 geostationäre Satelliten ihre Mission. Davon wurden allerdings nur 34, also gerade ein Drittel, in ein sicheres Friedhofsorbit gehoben. Ein Drittel wurde einfach im GEO abgeschaltet, ein Drittel etwas angehoben, aber nicht genug. Quelle: H. Klinkrad: Space Debris – Models and Risk Analysis, Springer Praxis, 2006

    In den darauffolgenden Jahren hatten die Bemühungen um ein verantwortungsbewussteres Verhalten langsam (s.o.) Erfolg. 2004 wurden 13 GEO-Missionen beendet, davon 5 sicher. 2005: 19/11, 2006: 19/9, 2007: 13/6, 2008: 11/6, 2009: 21/12, 2010: 16/11, 2011: 16/12. Also stieg der Anteil der ordnungsgemäß entsorgten GEO-Objekte langsam auf mehr als 50% an und nähert sich nun 2/3. Was allerdings bedeutet, dass immer noch ein Drittel der deaktivierten geostationären Satelliten nicht entsorgt wird. Quelle: T. Flohrer: Classification of Geosynchronous Objects, ESA-ESOC, 2012

    Kaum zu fassen, oder?

  16. “Im rechtsfreien Raum” @Michael Khan

    Ein Grund für das langsame Umdenken von dem Sie hier sprechen ist sicher auch, dass bisher nicht geklärt ist, wer die teuren Räumaktionen im Weltraum bezahlen soll. Das Wissensmagazin “scinexx” brachte mal eine zehnteilige Serie über Weltraumschrott. Der letzte Teil befasst sich mit den juristischen und politischen Aspekten der Schrottentsorgung. Siehe hier: http://www.g-o.de/dossier-detail-508-12.html

  17. @Mona

    Ich denke, der Grund, warum das so langsam geht und warum man ständigen Druck braucht, damit überhaupt etwas passiert, ist derselbe Grund, wie immer, wenn es um öffentliches Gut geht, das verschmutzt oder übernutzt wird, weil es ganz konkrete, unmittelbare individuelle, kommerzielle Interessen gibt.

    Das ist genau dieselbe Situation wie bei der Überfischung der Meere oder der Überweidung von Grasflächen.

    Jeder Einzelne mag zwar durchaus sehen, dass das so nicht weiter geht und dass er sich langfristig selbst schadet. Auch jede einzelne Firma, die einen geostationären Satelliten betreibt. (Ich rede jetzt mal von der Situation im geostationären Ring, nicht von der im niedrigen Erdorbit, wo Envisat ist)

    Aber in der Praxis und kurzfristig gedacht ist es halt so, dass der, der seinen Satelliten bis zum letzten Tropfen Treibstoff betreibt, ein paar Monate mehr Betriebsdauer herausquetscht, und das bedeutet eben ein paar Millionen mehr Gewinn. Jeder sagt sich: “Wenn ich das nicht mache, macht’s ein Anderer mit seinen Satelliten und nimmt mir das Geschäft weg.”

    Am Ende sind die vielleicht sogar ganz froh darüber, wenn es eine staatliche (oder überstaatliche) Vorgabe gibt, denn die gilt für Alle und bevorzugt oder benachteiligt keinen.

    Was die “Reinigungsgeräte” angeht: Ich denke, da werden wir sehen, dass die von Raumfahrtagenturen entwickelt und zur Betriebsreife werden müssen. Sonst passiert da wieder gar nichts.

    Das freie Unternehmertum und die Kräfte des Marktes, alles schön und gut, aber wir brauchen halt Beides, den Markt und auch den Staat.

    Im Fall des niedrigen Erdorbits könnte es allerdings schon zu spät für die Disziplin bei der Vermeidung von noch mehr Schrott sein. Wir sind vielleicht schon über den Punkt heraus, wo das Problem sich noch ohne aktive Intervention lösen lässt.

    Das wird jetzt in der Tat teuer werden, und mit jedem Jahr, in dem wir lamentieren, aber im Wesentlich nichts tun als Papers schreiben, Vorträge halten und noch mehr lamentieren, wird es teurer. Wir sollten einfach mal ein europäisches Programm zur aktiven Entfernung inaktiver Objekte aus dem LEO umsetzen.

    Wenn andere mitziehen, umso besser, wenn nicht, dann sollten wir es allein machen. Aber die werden mitziehen, die hätten viel zu viel Angst davor, dass wir so etwas können und die nicht.

  18. Macht ihn weg, den Müll

    “Wir sollten einfach mal ein europäisches Programm zur aktiven Entfernung inaktiver Objekte aus dem LEO umsetzen” – wenn ich meinen ‘Informanten’ beim DLR richtig verstanden habe, dann will “die ESA” das im Prinzip im Rahmen oder in der Folge der aktuellen SSA-Bemühungen durchaus, und einzelne Mitgliedsstaaten, namentlich Deutschland, wollen sogar umgehend tätig werden. Aber dann geht’s schon los, wer für was zuständig ist und wer die spannendsten Industrieaufträge und interessantesten Technologien bekommen solle etc. Auch deshalb bin ich sehr auf den DLR-Vortrag gespannt, der ja wohl die deutsche ‘party line’ vorstellen wird.

    P.S.: Eigentlich geht’s hier ja um den armen Envisat – irgendwas Neues? Bei https://earth.esa.int/web/guest/missions/esa-operational-eo-missions/envisat/news jedenfalls nicht. Ich fand die Mitteilung dort vom 19. April spannend, dass der Satellit zwar in einer stabilen Lage zu sein scheint, “however in an unexpected orientation”. Spricht das für eine noch aktive (aber irritierte) Lageregelung, oder würde es bei einem komplett toten Satelliten dieser Dimension einfach dauern, bis er spürbar zu taumeln beginnt?

  19. Da, schon wieder ein Artikel!

    Also man kann nicht sagen, dass in Deutschland nicht über das Weltraummüllproblem gesprochen – und geforscht! – würde: http://www.wdr.de/…/technik/weltraumschrott.php5 (erfreulich auch, wie offen in letzter Zeit über die Arbeit am Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik berichtet werden kann; früher war das so was von geheim, was in dem Institut und Riesenradom abging …).

  20. @Daniel Fischer

    Jaja, alle sind sich einig, dass zur aktiven Beseitigung von Weltraumschrott dringend etwas unternommen werden muss. Man trifft allenthalben auf offene Ohren und auf offene Herzen, aber so gut wie nie auf offene Taschen.

    Könnte man den Weltraumschrott aus dem Orbit herunterreden oder ihn mit der schieren Übermacht von PowerPoint-Präsentationen angreifen, wäre das Problem schon längst gelöst.

    Dass Envisat in einer stabilen Lage ist, ist mir neu, mein Wissensstand war allenfalls, dass die Lage sich nicht schnell ändert.

    Eine Rotationsbewegung käme dadurch zustande, dass die niht mehr angetriebenen Drallräder ihren Drehimpuls über die Reibung in ihren Lagern wieder ins System einspeisen. da es Drallräder in allen drei Hauptachsen gibt, kann die resultierende Rotationsbewegung komplex sein. Offenbar – mit Vorbehalt weil die Analyse nicht abgeschlossen ist – ist dies (noch?) nicht der Fall, allerdings muss man aber auch berücksichtigen, dass bei eine so große Struktur die Tendenz haben wird. eine Ausrichtung entlang des Gravitationsgradienten einzunehmen und dass die Rückstellmomente bei einem passiv gravitatonsgradientenstabilisierten Objekt erheblich sein können.

    Ich sehe da keine Daten, die es erlauben würden, über ein Funktionieren oder ein Nicht-Funktionieren des Lageregelungssystems zu spekulieren. Dass die Orientierung nicht so ist, wie sie im ordnungsgemäßen Safe-Mode sein sollte ist bekannt.

  21. TV-Bericht zur EU-Space Awareness

    “Man trifft allenthalben auf offene Ohren und auf offene Herzen, aber so gut wie nie auf offene Taschen.” Genau dies soll offenbar auch Thema des ‘Berichts aus Brüssel’ heute Abend – und nochmal Freitagfrüh – im WDR-Fernsehen sein: http://www.wdr.de/…2012/2504/weltraumschrott.jsp (wo es im Abstract heißt, “die Finanzierung scheitert, weil die Europäer um den Standort streiten”; das würde zu meinen Informationen über Zuständigkeits-Querelen zwischen den ESA-Staaten passen).

  22. Danke für die Erklärungen, das war sehr Aufschlussreich.
    @MK: Das sind ja sehr plastische Beispiele, die sofort einleuchten. 🙂

    Was die kleineren Teile angeht, die… sagen wir mal bis zu einem Kubikmeter Raum einnehmen, der aber nicht ganz ausgefüllt sein muss: Wäre es da nicht möglich, das ein Müllsammler dafür, der in etwa den gleichen Kurs fliegt, wie das einzusammelnde Objekt, dieses mit einem grossen Trichter einfängt, dessen Öffnung eine Fläche von etwa der doppelten Höhe und Breite aufweist, als das einzusammelnden Objekt? Man müsste das Objekt also nicht sofort ergreifen, sondern der Trichter würde es in einen Sammelbehälter hinein zwingen, bzw, im hinteren Bereich wäre so eine Art “Flügeltor”, ähnlich einem Schaufelrad, welches das Objekt letztlich in den Sammelbehälter befördert und diesen gleichzeitig verschliesst?

    Oder hätte man da immer noch das Problem, das ein solcher Trichter so massiv gebaut werden müsste dass er beim Start zu schwer wäre, wenn er die Kräfte, die beim Aufprall wirken, aushalten können soll? Oder gibt es die dafür nötigen, hochfesten Materialien noch gar nicht?

  23. @Hans

    Es ist nicht so, dass die Bahnen aller Trümmer auf einige Dezimeter genau bestimmt und damit ähnlich exakt vorausberechnet werden können. Das geht ja noch nicht einmal bei aktiven Satelliten.

    Was nun das Einfangen mit einem Trichter angeht: Die Kreisbahngeschwindigkeit in 800 km Höhe ist 7.45 km/s, also rund 26800 km/h. Wenn die Bahnen des Fängers und des Ziels sich nur minimalst unterschieden, sagen wir um nur 0.01 Grad in der Knotenlinie, dann ist die Relativgeschwindigkeit, wenn die beiden einander begegnen, fast 50 km/h.

    Das müsste also schon ein recht solider Fänger sein, der ein Trümmerstück, das mit 50 Sachen angeflogen kommt, einfängt und einsackt, und dabei unbeschädigt bleibt.

    Ich denke, das kann man schnell vergessen.

    Wir sollten einfach die ausgebrannten, aber intakten Stufen und alten Satelliten so schnell wie möglich herunterbringen. Bei den Trümmern, die als Resultat einer Explosion oder Kollision entstanden sind, muss man sich etwas Anderes überlegen. Aber das muss schon etwas Machbareres als ein Einfänger sein.

  24. @MK

    Danke für die Erläuterungen. Das hab ich ja befürchtet. – Wahrscheinlich kommt noch erschwerend hinzu, dass der Zusammenstoss dann zu Kursänderungen führen wird, die das einfangende Gefährt kompensieren müsste…
    Also schön,vergessen wir das.

    Kennen Sie (oder jemand der Leser) eigentlich ein Buch über Raumfahrtphysik, wo Bahnmechanik und die Probleme mit Start und Wiedereintritt auf Abiturniveau behandelt werden? – Also ohne die Voraussetzung, das man ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik absolvieren will?

  25. Umdenken? @Michael Khan

    Sie schrieben mir: “Ich denke, der Grund, warum das so langsam geht und warum man ständigen Druck braucht, damit überhaupt etwas passiert, ist derselbe Grund, wie immer, wenn es um öffentliches Gut geht, das verschmutzt oder übernutzt wird, weil es ganz konkrete, unmittelbare individuelle, kommerzielle Interessen gibt.”

    Das ist richtig, aber anscheinend fällt es sehr schwer da umzudenken. “Wirtschaftliche Interessen” sind die heilige Kuh unserer Zeit.

    “Jeder Einzelne mag zwar durchaus sehen, dass das so nicht weiter geht und dass er sich langfristig selbst schadet.”

    Leider sieht das aber nicht “Jeder Einzelne” so, sondern nur mancher oder manche Einzelne. Ich finde es oft auch frustrierend immer wieder wegen meiner Einstellung diesbezüglich angegriffen zu werden, wie neulich, als ich mich auf einem Scilogs-Blog gegen unnötige Tierversuche aussprach und sich da gleich jemand über “Zeitgenossen” echauffierte, die ein “moralisch höher gestelltes Weltbild” vertreten würden. Dabei hätte man das Ganze durchaus auch von der wirtschaftlichen Seite sehen können, insofern, dass Versuchstiere ja den Unternehmen auch Geld kosten. Gut, das gehört vielleicht jetzt nicht hierher, aber es ist doch symptomatisch, dass alle möglichen Leute meinen sie müssten “den Firmen” helfen Geld zu verdienen, in der Hoffnung, es würden dabei auch eine paar Körnchen für sie abfallen.

    “Das freie Unternehmertum und die Kräfte des Marktes, alles schön und gut, aber wir brauchen halt Beides, den Markt und auch den Staat.”

    Der Staat sind wir alle und unsere gewählten Volksvertreter denken doch auch nicht anders. Da bräuchte es schon massiven Druck “von der Straße”, dass da was geschieht. Irgendwann wird man den Weltraumschrott schon entsorgen müssen, aber nur, weil es zu teuer ist, wenn Satelliten oder ähnliches öfters durch Schrott beschädigt werden.

    “Das wird jetzt in der Tat teuer werden, und mit jedem Jahr, in dem wir lamentieren, aber im Wesentlich nichts tun als Papers schreiben, Vorträge halten und noch mehr lamentieren, wird es teurer. Wir sollten einfach mal ein europäisches Programm zur aktiven Entfernung inaktiver Objekte aus dem LEO umsetzen.”

    Das ist wohl dasselbe Problem wie mit dem Atommüll oder der allgemeinen “Übernutzung” von der Sie oben sprachen. Jeder weiß, dass es so nicht weitergeht, trotzdem wird nichts getan. Die Zeche werden aber nicht wir, sondern unsere Kinder zahlen.

    Und mit den Kindern kommen wir auch gleich zu einem neuen Problem, nämlich der Erziehung und Bildung. Mein Sohn besucht das G8, das verkürzte Gymnasium. Obwohl man in manchen Fächern massive Streichungen durchführte und so das Allgemeinwissen immer weniger wird, “dürfen” die Schüler jetzt vermehrt an Bewerbungstrainings teilnehmen, die von privaten Firmen, wie McDonalds (kein Witz!), veranstaltet werden. Da lernen sie dann sich möglichst gut zu verkaufen. Wichtig ist dabei, dass die Jugendlichen sich in guter Kleidung und die Mädchen zusätzlich noch mit perfektem Make up präsentieren und sie den zukünftigen Arbeitgebern möglichst nach dem Mund reden. Kritisches Denken ist nicht erwünscht, das erzieht man den Kindern möglichst gar nicht an, denn dann bringt man sie womöglich noch um die Karriere. Wobei sich viele Jugendliche nach dem Studium von einer zeitlich begrenzten Stelle zur anderen hangeln müssen und kaum mehr was Richtiges finden, aber das nur nebenbei.

    Der Preis ist, bei immer mehr Arbeitnehmern kommt es heutzutage zu einem Burnout-Syndrom, weil die Arbeit und die Umwelt immer stressiger werden. Besonders das Leben in den großen Städten dieser Welt ist für manchen unerträglich. Mein Zen-Lehrer z.B. stammt aus Tokio, er fand das laute Plastikleben dort so stressig, dass er auswanderte. Leider kann das nicht jeder tun.

    Es würde mich auch interessieren welche Werte andere Eltern oder Erziehende den Kindern vermitteln, denn das ist ja doch eine wichtige Sache, finde ich. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, ich möchte hier nicht über eine moralische Erziehung diskutieren, sondern mir geht es lediglich darum, ob man Kindern ein Bewusstsein für eine weitergehende Problematik mitgeben soll oder nicht. Wer das jetzt Off-Topik findet, den darf ich an den Weltraumschrott und sonstiges “öffentliches Gut” erinnern, “das verschmutzt oder übernutzt wird”. Was können wir tun?

  26. @Mona: Tragik der Allmende

    Die Nutzung des Weltraums ist ein klassisches Beispiel des soziologischen Konzepts der “Tragik der Allmende” (engl.: tragedy of the commons).

    Was kann man da machen? Regulieren hilft zwar, aber regelmäßig zu spät. Wenn das Problem noch nicht akut ist, will es ja keiner wahr haben. Außerdem ist das mit dem Regulieren in diesem Fall leichter gesagt als getan, denn wie will man die Regeln gegen solche durchsetzten, die sie hartnäckig ignorieren?

  27. Arbeit

    Warum wird die Arbeit immer stressiger, obwohl, im Gegensatz zu vor 50 Jahren, der grösste Teil der Arbeit von Maschinen gemacht wird, und obwohl der durchschnittliche Wohlstand in Mitteleuropa viel grösser geworden ist?

    Eine utopische Überlegung:

    http://www.e-stories.de/…geschichten.phtml?28160

  28. @Mona: Nachtrag

    Irgendwann wird man den Weltraumschrott schon entsorgen müssen, aber nur, weil es zu teuer ist, wenn Satelliten oder ähnliches öfters durch Schrott beschädigt werden.

    Ich fürchte, wenn es erst so weit ist, dass Satelliten in nennenswerter Anzahl mit Schrott kollidieren, dann werden wir schon so hoch auf der Kurve des lawinenartigen exponentiellen Anstiegs von Weltraumschrott sein, dass es für relativ einfache Gegenmaßnahmen wie das Wegräumen der alten Oberstufen und ausgedienten Satelliten schlicht zu spät sein wird.

    Dann bleibt wirklich nur das Wegreäumen der großen wie kleinen Trümmer. Und das wird dann richtig teuer werden – mit sehr ungewissen Erfolgsaussichten.

  29. Lösungsansatz @Michael Khan

    Die “Tragik der Allmende” ist seit der Antike bekannt, aber es gibt dafür auch Lösungsansätze. Die US-amerikanische Professorin Elinor Ostrom z.B. hat aufgezeigt, wie die Menschen gemeinschaftliches Eigentum erfolgreich verwalteten können.
    http://www.bpb.de/…entdeckung-der-allmende?p=all

  30. Geschichte @Karl Bednarik

    “Warum wird die Arbeit immer stressiger, obwohl, im Gegensatz zu vor 50 Jahren, der grösste Teil der Arbeit von Maschinen gemacht wird, und obwohl der durchschnittliche Wohlstand in Mitteleuropa viel grösser geworden ist?”

    Wahrscheinlich weil manche Leute den Hals nicht vollkriegen, um es mal ganz profan auszudrücken.

    Zu Ihrer verlinkten Geschichte: Sie haben ja wirklich viel Fantasie. Der neue “Dingsbumsismus” wird bloß nicht kommen, fürchte ich, weil wir inzwischen unseren Planeten komplett heruntergewirtschaftet haben. Wir haben uns zwar technisch weiterentwickelt, aber sozial leider nicht.

  31. Zum Nachtrag @Michael Khan

    Anscheinend gab es schon mal einen 10 Jahres-Plan (zwischen 1981 und 1991) um das Schrottproblem zu lösen, der aber nicht weitergeführt wurde. Leider find ich keine Informationen darüber, wie der Plan aussah. Wissen Sie etwas darüber?
    Quelle: http://blog.exopolitik.org/…-erreicht-hohepunkt/

  32. @MK: Buchtipp

    @MK: Besten Dank für die Info. Ich werde mal nachsehen, ob es sich noch irgendwo finden lässt.

    @Mona: Ich bin sehr dafür, dass “man Kindern ein Bewusstsein für eine weitergehende Problematik mitgeben soll”. Denn wenn wir alles nur durch die betriebswirtschaftliche Brille betrachten, wie es heutzutage der Fall ist, richten wir uns am Ende selbst zu Grunde. Und die “heilige Kuh” der wirtschaftlichen Interessen, wobei es sich ja i.d.R. um Einzelinteressen handelt, gehört besser heute als Morgen auf die Schlachtbank. Denn das, was für die Allgemeinheit gut ist, ist letztlich auch für alle Einzelnen gut, auch wenn es nicht gleich offensichtlich ist.

    Zurück zum Weltraumschrott: vielleicht muss erst mal ein grosses, hitzebeständiges schweres Teil in einem etwas dichter bevölkerten Gebiet herunter kommen, damit einige Verantwortliche wach werden, und die notwendigen Massnahmen zum aufräumen der Orbits durchgeführt werden können…

  33. @Mona

    Leider sieht das aber nicht “Jeder Einzelne” so, sondern nur mancher oder manche Einzelne.

    Jeder einzelne, der einen Satelliten starten und betrieben kann, ist sich des Problems des Weltraumschrotts bewusst. Mangelnde Aufklärung ist da wirklich nicht mehr das Thema. Jetzt ist wirklich Zwang vonnöten.

    Natürlich gibt es Möglichkeiten, mit dem Allgemeingut nachhaltig umzugehen, Aber diese funktionieren doch wohl nicht ohne Sanktionsmöglichkeiten gegenüber denen, die einfach rücksichtslos ihre Eigeninteressen durchsetzen. Genau das ist beim Weltraumschrott aber das Problem.

    Ich bin dafür, dieses Problem im europäischen Alleingang anzugehen, denn zumindest hier kann eine Konsensentscheidung auch durchgesetzt werden. Also: Keinen langlebigen Schrott mehr erzeugen und aktiv mögliche alte Trümmerquellen entfernen. Wenn wir erst einmal hier in Vorleistung gehen, werden alle Anderen mitziehen.

  34. Rechnung eines Satellitenbetreibers

    Hier geht’s um Satelliten auf niedrigen Bahnen, aber bei denen ist die Motivation der Betreiber schwerer zu fassen, weil es da ganz unterschiedliche Anwendungen gibt, manche wissenschaftlich, manche kommerziell, manche zur Erdbeobachtung (zivil oder militärisch), manche zur Kommunikation.

    Also schaue ich noch einmal die geostationären Satelliten und ihre Betreiber an. Dort ist es viel einfacher: Neben ein paar Wettersatelliten udn einigen militärischen Anwendungen handelt es sich dort fast ausschließlich um Nachrichtensatelliten (zivil und militärisch).

    Aus denen greife ich mir den großen Brocken der kommerziellen Nachrichtensatelliten und ihrer Betreiber heraus. Die machen, wenn es um die Entsorgung in ein Friedhofsorbit geht, das mindestens 250 km über dem geostationären Ring liegt, folgende Rechnung auf:

    Das Herausheben eines Satelliten am Ende seiner Betriebsdauer kostet etwa 9 m/s an Delta-v (das ist das maß für Steuermanöver). Die Positionsregelung innerhalb einer Abweichung von maximal 0,1 Grad von der Sollposition kostet je nach Jahr und Standort bis zu 45 m/s pro Jahr.

    Also entspricht die Entsorgung schon mal mindestens einem Fünftel Jahr des kommerziellen Betriebs.

    Nun ist es aber auch noch so, dass die Treibstoffmasse in Satellitentanks notorisch schwer zu berechnen ist. Man macht zwar eine Buchhaltung aller Manöver, daraus lässt sich jedoch die Treibstoffmasse nur mit erheblicher Unsicherheit berechnen. Die Unsicherheit wird über das Leben des Satelliten immer größer. Man kann ja keinen hinschicken, der einen Peilstab in die Tanks hält.

    Das heißt nun aber, dass die Treibstoffmasse, den man vorhalten muss, wenn man sicher gehen will, dass die 250-km-Anhebung noch funktioniert, deutlich höher sein muss, als die, derer es nominal bedarf, um die Entsorgung vorzunehmen, Es kommt auf das, was es für den Transfer ins Friedhofsorbit braucht, noch die Unsicherheit in der Buchhaltung hinzu.

    Da reden wir nun aber nicht mehr von einem Fünftel Jahr des kommerziellen Betriebs, sondern von deutlich mehr, vielleicht sogar ein Jahr des Betriebs mit einem längst abgeschriebenen Satelliten, dessen Betriebskosten minimal sein dürften. Umsatz ist also fast gleich Gewinn.

    Die Dienstleistung mit diesem Satelliten kann man sehr scharf kalkulieren und dabei immer noch einen Schnitt machen, wenn man unverantwortlich handelt und ihn bis zum letzten Tropfen Sprit in Betrieb hält und dann einfach im geostationären Orbit belässt. Alle verantwortlich handelnden Konkurrenten können da preislich nicht mithalten.

    Deswegen wäre eine Zwangsverordnung an dieser Stelle genau richtig. Damit ist der, der seinen Kram ordentlich entsorgt, nicht mehr kommerziell im Nachteil; das Spielfeld wird wieder eben.

    Jeder Betreiber muss sich in seiner Kalkulation darauf einstellen, dass er gegebenenfalls seine Satelliten mit erheblichem Resttreibstoff in die ewigen Jagdgründe schickt und sie dann halt entsprechend zeitig durch neue Satelliten ersetzen muss. Die Zusatzkosten dafür werden an die Kunden weiter gereicht, aber da dies alle Satellitenbetreiber gleichermaßen betrifft, ist keiner benachteiligt. Wenn sich also die Weltgemeinschaft hier auf Regelungen einigt (was ja eigentlich schon der Fall ist) und diese auch konsequent durchsetzt (Wir erinnern uns: Selbst heute wird ein Drittel der geostationären Satelliten noch nicht ordnungsgemäß entsorgt), dann wird es gar nicht so viel Murren geben.

    Also: Just do it!

    Nächstes Problem: Auch die Oberstufen von Starts ins geostationäre Orbit stellen Weltraumschrott dar.

  35. Nachgefragt @Michael Khan

    Die Entsorgung ausgedienter Satteliten scheint Sie ja schwer zu beschäftigen. Wenn jeder so denken würde wie Sie, dann hätten wir das Problem schon längst nicht mehr, da bin ich mir sicher. Eine Sache ist mir dabei aber noch etwas unklar und zwar der sog. Friedhofsorbit. Auf Wikipedia steht dazu: “Der Friedhofsorbit liegt in der Regel über dem regulären Orbit des Satelliten, im Falle geostationärer Satelliten um etwa 300 km (Supersynchroner Orbit).” Soweit ist das klar, aber was passiert langfristig mit den Dingern, die man da hochschießt, kommen die irgendwann wieder runter oder kreisen die auf ewig dort?

    Zum Schluss schrieben Sie: “Nächstes Problem: Auch die Oberstufen von Starts ins geostationäre Orbit stellen Weltraumschrott dar.”

    Sind wiederwendbare Oberstufen technisch zu schwierig oder lohnen sie sich finanziell nicht?

  36. @Mona: Friedhofsorbit

    Man muss grundsätzlich einmal festhalten, dass “Friedhofsorbits” auch nur eine weitere Form der Problemverlagerung in die Zukunft sind.

    Sorry, aber das wird jetzt wieder eine Vorlesung. Ich versuche, mich kurz zu fassen.

    Es gibt drei Hauptstörquellen für die Bahnen von Satelliten so weit draußen:

    1.) Die Inhomogenität des Erdschwerefelds (mehr dazu hier). Dieser Effekt ist aber bei genau synchronen Satelliten sehr ausgeprägt, im Friedhofsorbit, wo die Umlaufperiode mindestens 24 Stunden und 15 Minuten beträgt, ist das deutlich weniger von Belang.

    2.) Drittkörperstörungen durch Sonne und Mond, diese bauen eine Inklination auf. Ferner können sie bei genau synchronen Satelliten zu Resonanzeffekten mit dem Erdschwerefeld führen, im Friedhofsorbit aber nicht.

    3.) Nichtgravitationelle Störungen wie Solardruck, Wärmeabstrahlung etc. Diese können eine Exzentritizät aufbauen.

    Bahnen im Friedhofsorbit bauen also eine Bahnneigung auf, was erst einmal bedeutet, dass sich alles auf mehr Raum verteilt, also die Kollisionswahrscheinlichkeit zwischen den einzelnen Satelliten abnimmt. Aber es erhöht sich auch die relative Geschwindigkeit: Wenn es dort krachen sollte, dann richtig.

    Bahnen im Friedhofsorbit werden zudem mit der Zeit exzentrisch, wobei hier zyklische und lineare Effekte überlagert sind und alles auch von der Größe und Ausrichtung der Solargeneratoren abhängt.

    Wichtig ist, dass zumindest einige Hundert Jahre das Perigäum der Bahnen nicht den geostationären Ring kreuzt. Daher die Mindesthöhe von etwa 250 km über dem geostationären Ring. Was ganz langfristig geschieht ist schwer vorherzusagen oder als generelle Regel zu formulieren.

    Fest steht aber, dass die Dinger lange da bleiben, und spätestens dann, wenn man einen Weltraumfahrstuhl bauen will, hat man das Problem wieder am Bein, denn ein Weltraumfahrstuhl reicht bis weit über das geostationäre Orbit hinaus, vielleicht bis 100,000 km, wo das Gegengewicht sitzt. Also voll durch’s Friedhoforbit.

    Aber schon weiter unten gibt’s Probleme, denn es gibt ein weiteres Friedhofsorbit für LEO-Satelliten und vorwiegend Oberstufen bei über 2000 km Höhe. Dort ist die Lebendauer schon so lang, dass nicht damit zu rechnen ist, dass die “wertvollen” niedrigen Orbits beeinträchtigt werden. Wer aber einen Weltraumfahrstuhl bauen will, muss da erst einmal aufräumen.

    Und so weiter. Also auch die “Lösung” ist im Prinzip keine – sie ist nur etwas weniger schlimm als die Nicht-Lösung.

    Wiederverwendbare Oberstufen sind weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll, denn was man hineinstecken müsste, an Geld, Energie und Material, um sie wiederverwendbar zu machen, steht in keinem Verhältnis zum denkbaren Nutzen. Eine Oberstufe sind etwa 1-4 Tonnen Schrott, zumeist Aluminium, aber auch Stahllegierungen für die hochfesten oder hochwarmfesten Komponenten. Die beste Entsorgung ist über einen kontrollierten Wiedereintritt gleich nach der Trennung von ihrer Nutzlast. Dazu muss man etwas Treibstoff vorhalten, und das reduziert etwas die Nutzlastmasse –> Was soll’s, geht nicht anders.

    Wenn man etwas wiederverwendbar oder zumindestens rezyklierbar machen will, dann die Unterstufen. Die bestehen aus sehr viel mehr Material und treten mit geringerer Geschwindigkeit in die Atmosphäre ein, sind also leichter zu finden und zu bergen, oder sogar intakt herunterzubringen, wenn man das will.

  37. @Michael Khan

    Vielen Dank für die “Vorlesung”. Sie wissen ja wirklich außerordentlich gut Bescheid. Auch kommen da für mich überraschende Sachen zu Tage, wie: “Also auch die “Lösung” ist im Prinzip keine – sie ist nur etwas weniger schlimm als die Nicht-Lösung.” In Bezug auf einen Weltraumfahrstuhl sieht die Zukunft da wohl eher düster aus, ich kann mir nämlich nicht vorstellen wie ein “aufräumen” des “Friedhofsorbits” aussehen könnte.

    Na dann, gute Nacht!

  38. @Mona

    ich kann mir nämlich nicht vorstellen wie ein “aufräumen” des “Friedhofsorbits” aussehen könnte.

    Beispielsweise so, dass man eine Flotille von “Raumschleppern” mit Ionenantrieb startet, die nichts anderes tun als sich an ausgediente Satelliten zu hängen und erst einmal deren Lage zu stabilisiern und sie dann mittels des Schwachschubantriebs langsam aber sicher dorthin zu schieben, wo man sie haben will.

    Entweder ganz raus aus dem Erdorbit, oder besser noch, in einen definierten Punkt in einem definierten Orbit, wo auf irgendeine noch zu definierende Art alle dieser Objekte zusammengebracht und fixiert werden, damit man sich ihrer als Materialquelle für den Aufbau größerer orbitaler Komplexe bedienen kann.

    Ob etwas wertloser oder gar lästiger Müll ist oder eher wertvoller Rohstoff, das ist eine Frage der Sichtweise und der technischen Kapazitäten.

  39. Weltraumlift

    Ein Weltraumlift würde eine Kreisfläche von wesentlich mehr als 40.000 Kilometer Radius überstreichen.

    Nahezu alle Objekte, die innerhalb dieses Radius die Erde umrunden, fliegen zwangsläufig zwei mal pro Umrundung durch diese Kreisfläche.

    Laut der ESA befinden sich über 600.000 Objekte mit einem Durchmesser größer als 1 cm in Umlaufbahnen um die Erde.

    Das bedeutet, dass es 1.200.000 Durchgangspunkte durch die Äquatorebene der Erde gibt, wobei die meisten dieser Durchgangspunkte mehrmals täglich durchflogen werden.

    Der schnellere, tiefere Weltraummüll schafft sogar zwei Durchgänge innerhalb von eineinhalb Stunden.

    Für eine grobe Abschätzung sagen wir einfach:

    40.000.000 Quadratmeter hat der 1 Meter dicke Weltraumlift,
    5.026.548.245.743.670 Quadratmeter hat die Kreisfläche,
    125.663.706 ist das Verhältnis dieser beiden Flächen,
    1.200.000 Durchgangspunkte gibt es,
    104,7 Umrundungszeiten des Weltraummülls vergehen zwischen den Treffern,
    6,5 Tage wenn man die kürzeste Umrundungszeit von 1,5 Stunden annimmt,
    104,7 Tage wenn man eine Umrundungszeit von 24 Stunden annimmt,
    irgendwo dazwischen liegt die Zeit zwischen den Treffern.

  40. @The Karl Bednarik

    Sie haben vollkommen Recht, es sind mehrere wirklich massive Aufgaben zu leisten, bevor der Weltraumfahrstuhl gebaut werden kann.

    1.) Werkstoffentwicklung bis zur großtechnischen Einsatzreife.
    2.) Oben kräftig aufräumen, indem man die intakten Objekte einsammelt und sich für den Rest etwas Anderes überlegt, beispielsweise die von daniel Fischer genannten Laser. Irgendwelche Konzepte, nach denen die “Seile” impakttolerant ausgelegt sind und ständig erneuert werden, oder nach denen der Lift zu Schwindgungen angeregt wird, um Schrott auszuweichen, halte ich für wenig überzeugend. Es ist nicht so, dass das Thema Weltraumschrott denen ganz frem ist, die von Weltraumfahrstühlen reden, aber ich habe schon den Eindruck, man drückt sich ein bisschen vor der letztendlichen Konsequenz, die aus der tatsache der Existenz von Space Debris erwächst, nämlich die Mutter aller Aufräumarbeiten.
    3.) Den Fahrstuhl bauen, und zwar vom geostationären Orbit aus gleichzeitig nach unten und nach oben.

    Jeder dieser Aufgaben für sich ist hochgradig nicht-trivial, aber alles zusammengenommen wird ganz ohne jeden Zweifel die (bis dahin) größte Ingenieursleistung aller Zeiten werden, aber diese Leistung wird auch eine Revolution in der Industrie auslösen.

  41. @Michael Khan

    “Beispielsweise so, dass man eine Flotille von “Raumschleppern” mit Ionenantrieb startet, die nichts anderes tun als sich an ausgediente Satelliten zu hängen und erst einmal deren Lage zu stabilisiern und sie dann mittels des Schwachschubantriebs langsam aber sicher dorthin zu schieben, wo man sie haben will.”

    Naja gut, vielleicht gibt es in der Zukunft andere Möglichkeiten. Aber wäre denn der Ionenantrieb eine Alternative? Ich habe mich diesbezüglich mal bei einem Spezialisten schlau gemacht, der davon aber eher nichts zu halten scheint. Gibt es da inzwischen eine Weiterentwicklung?
    https://scilogs.spektrum.de/…n/2008-02-18/ionenantrieb

  42. @Mona

    Haha, es war ja zu erwarten, dass ich auf die Aussagen in dem Artikel angesprochen werden würde. 🙂

    Aber ich stehe dazu, denn dort schrieb ich ja auch, dass es bestimmte Aufgaben gibt, für die sich ein Ionenantrieb durchaus eignen könnte. Der Fall des Raumschleppers, der in seiner Lebensdauer sagen wir, drei oder vier Mal erhebliche Bahnänderungen absolvieren muss(es sei denn, er kann zwischendurch aufgetankt werden, dann kann er noch öfter Satelliten einfangen), beispielsweise die Bahnneigung zwischen 0 und ca. 17 Grad verändern und dann wieder mit seinem eingefangenen Schrottsatelliten zurück in die Äquatorebene, bietet sich für Ionenantrieb durchaus an.

    Zumal es gar nicht so darauf ankommt, wie lange die Transfers dauern – Selbst wenn es ein Jahr oder länger dauert, um einen ausgedienten Satelliten einzufangen und wieder zurückzubringen … was soll’s, Hauptsache, der Schrott wird weniger.

    Allerdings, wenn man es eilig hat, dann sollte man auf den Ionenantrieb verzichten und lieber eine Nachbetankungsmöglichkeit mit chemischem Treibstoff für den Schlepper vorsehen. Das ist vielleicht im Endeffekt die bessere Lösung.

    Eine Systemstudie würde darauf eine klare Antwort liefern.

    Ich will ja nur sagen: es ist machbar. Wenn es sogar mehrere technische Lösungsmöglichkeiten gibt, umso besser.

  43. Ionische Flüssigkeiten

    CleanSpaceOne bekommt ein Triebwerk auf der Basis einer ionischen Flüssigkeit.

    Internetseite mit Bildern:

    http://www.wissenschaft-aktuell.de/…5588389.html

    Video von 2:51 Minuten Länge:

    http://www.youtube.com/watch?v=YJlSI_l5g4M

    Wie das EMIM wirklich aussieht, EMIM-BF4,
    1-ethyl-3-methylimidazolium tetrafluoroborate:

    http://www.york.ac.uk/…taff/johnslattery/js1.jpg

    http://www.chemicalbook.com/…ty_EN_CB0262873.htm

    http://www.york.ac.uk/…demic/o-s/drjohnslattery/

    Andere ionische Flüssigkeiten:

    http://de.wikipedia.org/…nische_Fl%C3%BCssigkeit

  44. @Michael Khan

    “Haha, es war ja zu erwarten, dass ich auf die Aussagen in dem Artikel angesprochen werden würde. Aber ich stehe dazu…”.

    Ach, und ich dachte Sie wollten nur testen, ob man ihn auch lesen wird. 🙂

  45. Was der DLR-Müllforscher sagte

    Mit letzter Tinte, nee heißer Nadel gestrickt die Quintessenz des DLR-Vortrags über Weltraum-Müll gerade im Deutschen Museum Bonn. Interessant – nicht zum ersten Mal – die unterschiedlichen Richtungen, in die verschiedene Sektionen dieser Einrichtung drängen: Die einen wollen mit Lasern auf Miniteilchen schießen, die anderen einzelne (auch höchst unkooperative) größere Satelliten einsammeln. Und international vorgeschrieben ist tatsächlich überhaupt nichts. Was mich nun wieder wundert, da das grundlegende Problem doch erkannt ist: In Sachen FCKWs hat man ja auch gehandelt, mit dem Montreal-Protokoll nur wenige Jahre nach den ersten Papers über die Gefahr. Und beim Raumschrott wären wesentlich weniger handelnde Personen zu kontrollieren als bei der Regulierung einer ganzen chemischen Stoffklasse …

  46. Abstürzende Trümmer @Daniel Fischer

    Danke für die interessanten Infos. Es ist schade, dass man sich da auf kein Konzept einigen kann. Wie es aussieht gibt es noch nicht einmal vernünftige Technologien, wie sich der Weltraummüll langfristig reduzieren ließe. Wenigsten “soll sichergestellt werden, dass die Wahrscheinlichkeit irgendeine Person durch mögliche abstürzende Trümmer ernsthaft zu verletzten unter einem Grenzwert von 1:10.000 liegt.” Na toll!

    Von hier (letzter Absatz): http://www.dlr.de/…px/tabid-2265/3376_read-5091/

    Momentan befinden sich 994 Satelliten aus verschiedenen Ländern der Erde im All. (Stand: 31. Dezember 2011). Satelliten haben zudem nur eine begrenzte Lebensdauer und darum werden ständig neue hochgeschossen. Die Gefahr, dass da irgendwann verstärkt Teile auf die Erde fallen wird also zunehmend größer.

  47. @Mona

    Es stimmt, dass es kein wirkliches Konzept gibt. Aber man muss eben auch immer wieder betonen, dass Müllvermeidung, die Entsorgung noch intakter Stufen und alter Satelliten und die Beseitigung bereits entstandener Trümmer jeweisl ganz andere Technikern erfordern. Wesentlich ist, dass man verhindert, dass es zu noch mehr Trümmern kommt. Es ist gut, dass explizit dem DLR-Experten auf die Werkstoffauswahl und die Passivierung hingewiesen wurde.

    Steter Tropfen höhlt den Stein.

    Das Risikoniveau von 1:10000, durch wiedereintretende Trümmer pro Ereignis schweren Schaden zu nehmen, sollte man schon richtig interpretieren. Es heißt, soweit mir bekannt, nicht, dass jeder einzelne von uns bei jedem Wiedereintritt dieses Risiko trägt, sondern es heißt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch pro wiedereintretendem Satellit zu Schaden kommt, nicht mehr als 1:10000 sein darf.

    Wäre ersteres der Fall, dann würde es jedes Mal ein Massaker geben, wenn ein sonnensynchroner Satellit wiedereintritt, denn die überfliegen die gesamte bewohnte Erdoberfläche. Ein Zehntausendstel von 7 Milliarden, das macht 700,000 Menschen. Offensichtlich absurd.

    Was die Zahl also bedeutet, ist, dass bei 10,000 wiedereintretenden Stufen und Satelliten höchstens ein Mal ein Mensch getroffen und verletzt werden darf.

    Soweit ich weiß, ist bis jetzt die Anzahl der bekannten Fälle, in denen Menschen von wiedereintretenden Objekten, die im Erdorbit ware, Null. Ich weiß nicht, ob die Geschichte mit der Kuh in Australien, die angeblich von einem Teil des Skylab erwischt worden sein soll, inzwischen bestätigt oder widerlegt worden ist.

    Man muss bedenken, dass bei Teilen aus dem niedrigen Erdorbit das meiste sich schon in großer Höhe zerlegt und verglüht. Ab einer Tonne Masse muss man damit rechnen, dass nennenswerte Teile die Erdoberfläche erreichen. Viele Satelliten und Stufen kleinerer Raketen sind kleiner.

  48. Wolfram oder Paraffinöl?

    Wolfram:
    Dichte: 19,3 g/cm^3,
    Schmelzpunkt: 3422 °C,

    Paraffinum subliquidum:
    Dichte: 0,878 g/cm^3,
    Schmelzpunkt: -27 °C,
    Siedepunkt: etwa 300 °C,
    Verdampfungswärme: etwa 250 kJ/kg.

    Im Knudsen-Gas der extrem dünnen Atmosphäre hängt die atmosphärische Bremsung vor allem von der Masse pro Querschnittsfläche ab.

    Weil Wolfram eine etwa 20 mal größere Dichte als das Paraffinöl hat, werden die 50 Mikrometer großen Wolframpartikel von der extrem dünnen Atmosphäre ähnlich stark abgebremst, wie 1000 Mikrometer oder 1 Millimeter große Paraffinöltröpfchen.

    Diese Paraffinöltröpfchen haben also im Vergleich zu den 50 Mikrometer großen Wolframpartikeln ein 8000 faches Volumen, eine 400 fache Masse, eine 400 fache Querschnittsfläche, einen 20 fachen Durchmesser, und eine etwa gleich große Masse pro Querschnittsfläche.

    Die Lebensdauer der Paraffinöltröpfchen wird ausserdem von ihrer Verdunstungsgeschwindigkeit begrenzt, was bei den Wolframpartikeln mit Sicherheit nicht der Fall ist.

    Durch die Verdunstung der relativ zum Weltraummüll gegenläufig umlaufenden Paraffinöltröpfchen entsteht entlang ihrer Flugbahnen für einige Zeit ein Torus aus gasförmigem Paraffin, das auf den Weltraummüll ebenfalls ein wenig bremsend wirkt.

    Ist das nicht eine schöne Theorie?

  49. Envisats abruptes Ende – ein Glücksfall?

    Eine interessante Sichtweise auf das unorganisierte Ende des Envisat gab es vorgestern bei einer Besichtigung des Bonner Weltraum-Radars von dessen Chef zu hören: Der konstatierte, dass sich der Satellit bereits nach 5 Jahren “amortisiert” habe (wie immer man das bei einer nichtkommerziellen Mission berechnen soll) – und dass er jetzt, nicht-passiviert auf einer besonders kritischen Bahn, ein geradezu willkommener Weckruf für die europäische Weltraumpolitik sei, energische Maßnahmen zur gezielten Bekämpfung des Weltraummülls ein zu leiten.

    Wie schon der von mir letzte Woche zitierte DLR-Weltraummüll-Experte ist auch er überzeugt, dass die wichigste Maßnahme (neben Müllvermeidung, versteht sich) das gezielte Herausfischen bestimmter inaktiver Satelliten sei, die durch eigene Explosionsgefahr (da noch betankt) oder als Ziel für andere Müllteilchen eine besondere Gefahr darstellen, dass eine ganze Trümmerwolke entsteht. Und er habe gehört, dass ESA und DLR bereits daran arbeiteten, den geplanten DEOS-Satelliten zu einem Spezialvehikel zu entwickeln, mit dem konkret der Envisat abgefischt werden solle. Bestätigungen solcher Planungen konnte ich gestern allerdings weder von DLR noch ESA erhalten. Von der Ministerrats-Tagung Ende des Jahres erwartet der TIRA-Mann jedenfalls energische Weichenstellungen.

  50. @Daniel Fischer

    Soweit mir bekannt, war es schon seit Langem erklärtes Ziel, Envisats Lebensdauer gezielt zu reduzieren, auf welche Art noch immer. Deswegen hat man ihn auf eine etwas niedrigere Bahn gebacht und wollte ihn dort noch solange betreiben, wie es ging, aber zumindest Ausweichmanöver gegen vorausberechnete nahe Begegnungen mit anderem Schrott fliegen können, solange, bis eine Rendezvousmission bereit ist.

    Jetzt geht das alles nicht mehr, und wir können nur hoffen, dass dieses dicke Ziel nicht von etwas anderem erwisch wird, bevor man es schafft, etwas zu unternehmen. Als Glücksfall kann man das wohl eher nicht bezeichnen.

  51. Wirtschaftlichkeit von Envisat

    @Daniel Fischer

    “Der konstatierte, dass sich der Satellit bereits nach 5 Jahren “amortisiert” habe (wie immer man das bei einer nichtkommerziellen Mission berechnen soll)…”

    Sowas lässt sich sicher berechnen. Von den Daten, die der Satellit gesammelt hatte, wurde bestimmt auch einiges weiterverkauft. Man hat bisher schätzungsweise 2.500 wissenschaftliche Veröffentlichungen erstellt und 4000 Forschungsprojekte in 70 Ländern haben nach Angaben der Esa die Daten des Satelliten genutzt.

    Ich nehme aber an, dass man heutzutage keinen so großen Satelliten mehr hochschießen würde. Envisat hatte ja zehn verschiedene Instrumente an Bord, die sich wahrscheinlich auch auf mehrere kleinere Satelliten verteilen ließen, die damit flexibler und billiger wären. Außerdem wäre im Falle eines Ausfalles nicht gleich alles verloren.

    Als Glückfall kann man das “dicke Ziel”, das die Überreste von Envisat abgeben, sicher nicht bezeichnen. Oft braucht es jedoch einen Anschub damit Pläne entwickelt werden, wie man mit bestimmten Problemen umgeht, und das ist sicher nicht schlecht.

  52. Weltraumschrott

    Zu diesem Thema wollte ich noch kurz anmnerken, das ich kürzlich auf den Seiten der NASA diese interessate Publikationsseite entdeckt habe: Orbital Debris Quarterly News.

    Hab mir einige dieser Magazine herunter geladen und “durchgeblättert”. Da war unter anderem ein ausführlicher Bericht aus 2008 über ein Teil (Staubkorn, o.ä) , das einen kleinen Träger an der ISS durchschlagen hat. Das war sehr aufschlussreich um sich darüber klar zu werden, mit was für Energien und Kräften da oben selbst bei kleinen Teilen gerechnet werden muss.

    Und bei einem anderen Artikel aus 2010 geht es um die Erforschung neuer Materialien für die Aussenhüllen von Raumflugkörpern, in diesem Fall um metallischen Schaum, der genau vor diesen Mikromteoriten schützen soll. Ein sehr interessanter Ansatz, aber ich muss mir das noch genauer durchlesen.

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