Heimat und Identität: Das Bild, das alles veränderte

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Weihnachten 1968. Die NASA hatte zu einem ungeheuer kühnen Schlag ausgeholt. Man lieferte sich gerade mit dem Wettrennen ins Weltall ein gewaltiges Duell mit der Supermacht UdSSR. Auch wenn das nicht alle verstanden hatten: Dies sollte der Welt Anlass zur Hoffnung geben. Erstmals hatten die Menschen etwas gefunden, was sie noch mehr faszinierte als Kriegführung. 

Wie wir jetzt wissen, war das Rennen um die bemannte Mondlandung 1968 bereits entschieden. Die Amerikaner lagen uneinholbar vorn; die Sowjets fielen immer weiter zurück. Für die sowjetische Niederlage werden viele Gründe genannt. Der Tod Koroljows. Die Führungsschwäche Mishins. Die Kontroverse zwischen Glushko und Koroljow um das beste Konzept für die sowjetische Mondrakete. Managementfehler, politische Einmischung. Alles richtig, aber im Grunde lag es daran, dass die Sowjetunion nicht mehr mithalten konnte, als die USA ihre überlegene technologische und wirtschaftliche Macht hinter das Unternehmen Mondflug stellten. 

Aber das war damals überhaupt nicht klar. Die Amerikaner fürchteten durchaus, wieder einmal von den Sowjets übertrumpft zu werden, wie bereits mit dem ersten Satellitenstart, dem ersten Lebewesen im Orbit, dem ersten Menschen in der Erdumlaufbahn, dem ersten Raumschiff mit mehreren Astronauten und dem ersten Weltraumspaziergang. Jetzt – so vermutete man – könnten die Sowjets den ersten Mondvorbeiflug mit einem bemannten Raumschiff veranstalten. Um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, mussten die Amerikaner die Initiative ergreifen. 

So entschloss sich die NASA 1968, schon die zweite bemannte Apollo-Mission Apollo 8 zum Mond zu schicken und sie auch gleich den Trabanten umkreisen zu lassen. Apollo 7, der erste bemannte Flug des brandneuen Apollo-Raumschiffs, war im Oktober 1968 gestartet worden, aber nur ins niedrige Erdorbit und mit einer kleineren Rakete, der Saturn 1b. Nun aber sollte mit dem zweiten bemannten Apollo-Flug gleich der Mond umrundet werden – nicht nur in einem Vorbeiflug, sondern mit dem Einschuss in die niedrige Bahn um den Mond, und nach 10 Umläufen, einem weiteren Manöver zum Einschuss in den Rückkehrtransfer.

Hätte dieses zweite Manöver nicht geklappt – durchaus nicht ausgeschlossen bei einem ganz neuen Raumfahrzeug – wäre die Mannschaft in der Bahn um den Mond gestrandet. Aber die 60er waren keine Zeit für Bedenkenträger und Warmduscher. Man spielte voll auf Risiko, entschied sich schnell und zog das auch konsequent durch. Das war im ganzen Apollo-Program so, warum hätte es bei Apollo 8 anders sein sollen?

Apollo 8 war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Bis dato waren Menschen allenfalls einige Hundert Kilometer weit von der Erde geflogen. Der Rekord stand seit Gemini 11 (1966) bei 1370 km. Apollo 8 hob die Latte auf rund 400,000 km. Jawohl, Vier-Hundert-Tausend! Erstmals begaben sich Menschen in einen Ort, wo das Schwerefeld eines anderen Himmelskörpers das der Erde überwog. Erstmals verschwanden Menschen während der Mission hinter einem anderen Himmelskörper und waren somit, egal, was ihnen zustoßen mochte, unsichtbar und unerreichbar. Nie war eine Reise weltweit aufmerksamer verfolgt worden. Erst Apollo 11, ein halbes Jahr später, zog ein noch größeres Interesse auf sich.  

Der wirklich bemerkenswerteste Beitrag der Mission Apollo 8 war jedoch auf den ersten Blick eher unscheinbar: Es handelte sich einfach um einige Fotografien. Unter den vielfachen wissenschaftlichen und technischen Daten, Bildern der Mondoberfläche und PR-Events (darunter eine Bibellesung am Weihnachtstag) stachen diese Fotografien besonders hervor. Auf ihnen war die Erde zu sehen, wie sie klein, zerbrechlich und unbeschreiblich schön über der unwirtlichen, fremdartigen Mondoberfläche aufging (Es war wohlgemerkt nur ein scheinbarer Erdaufgang, bewirkt durch die Bewegung des Raumschiffs auf seiner Bahn um den Mond).

Der Wirkung dieses Bildes kann man sich einfach nicht entziehen. So etwas hatte buchstäblich die Welt noch nicht gesehen. Wahrscheinlich ist dieses Bild, nicht das von Buzz Aldrin im Raumanzug im Meer der Ruhe oder der berühmte Stiefelabdruck im Mondstaub, das einflussreichste, das definierende Bild des 20sten Jahrhunderts. 

Vor dem Raumfahrtzeitalter war gewissermaßen die Erdoberfläche oder allenfalls einige Kilometer darüber und einige Hundert Meter darunter unser Universum. Weiter reichte unser Wirkungskreis nicht. Wie sehr wir von Kräften aus dem Weltall beeinflusst und bedroht werden, war entweder komplett unbekannt oder nicht Bestandteil des allgemeinen Bewusstseins. Und nun sahen wir Menschen plötzlich unser vermeintliches Universum als nichts mehr als eine kleine blau-weiße Eierschale über der Oberfläche einer fremden Welt. Ein Eindruck, der uns vollkommen unvorbereitet überfiel und nach dem nichts mehr so war wie davor.

Ein Bild unserer Heimat, das unser Selbstverständnis, unsere Identität vollkommen neu definierte.

Der Beginn einer neuen Ära.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

7 Kommentare

  1. Neue Perspektiven

    Ich würde sogar noch weiter gehen: Dieses Bild und vor allem die Tatsache, dass es nicht von einer Sonde, sondern von Menschen gemacht wurde (von Menschen, die anschließend von ihren Gefühlen und Eindrücken erzählen könnten), ist eines der wichtigsten Argumente für die bemannte Raumfahrt (und vielleicht sogar das einzig wirklich stichhaltige). Nur wer den Planet verlässt, sieht seine Heimat in einer völlig neuen Perspektive.

  2. Erlebnis-Astronautik für Multimillionäre

    Solche Bilder sind die Grundlage für die Pläne Virgin Galactics bald schon Aufenthalte im niederen Orbit und später Flüge zum Mond anzubieten. Die Faszination und Exklusivität, die solche Bilder vermitteln, hat Virgin Galactic schon hunderte von Anwärtern für einen 200’000 Dollar teuren Suborbitalflug beschert. Flüge zum Orbit für Private (siehe
    http://www.wired.com/…to-offer-rides-into-orbit/) und gar zum Mond (von Virgin Galactic schon angedacht) werden für Touristen mehrere Millionen Dollar kosten und also nur Mulitmillionären zugänglich sein, von denen es weltweit insgesamt nur ein paar tausend gibt.
    Doch Trips zum Mond für Touristen könnten trotz den exorbitanten Kosten und dem kleinen Kreis an Kandidaten ein Vielfaches mehr an Passagieren zum Mond bringen als die Nasa es im Rahmen des Apollo-Programs getan hat.

  3. @Martin Holzherr: Warum nicht?

    Ich habe nichts dagegen, wenn Multimillionäre die ersten Privatleute sind, die einen solchen Blick auf den Mond und die Erde erhaschen. Die Erfahrung kann sicher niemandem schaden, und wenn ein Teil ihres Geldes in die zivile Hochtechnologie fließt, umso besser.

    Wir sollten daran denken, dass es auch die reichen Passagiere waren, die die Luftfahrt in ihrer Anfangsphase auf den Weg gebracht haben.

  4. CDU-Propaganda

    Besten Dank für diesen schönen Beitrag, sehr geehrter Herr Kahn, auf den ich erst jetzt gestoßen bin. Sie haben wunderbar ausgedrückt, wie wichtig und auch erhaben, ja erhebend, eine kosmische Sicht der Dinge ist. Ganz im Gegensatz zu den kleinkarierten Nationalismen oder Heimattümeleien, die letztlich unseren Planeten zuschanden richten.

    Um so mehr habe ich mich dann aber gewundert, dass Sie ihre Zeit und Intelligenz einsetzen, um diese CDU-Propaganda zu unterstützen.

    Es wird ja nicht recht deutlich gemacht, aber dieses gesamte Heimattümelei-Bloggewitter ist ja eine Propaganda-Aktion des Staatsministeriums von Baden-Württemberg, bei Ihrem Mitblogger Michael Blume angesiedelt und wohl auch von ihm initiiert. Der ja auch sonst kräftig Propaganda hier macht, z.B. für das Stuttgarter Raubbau-21-Projekts seines Chefs.

    Ich finde es höchst bedenklich, dass die Scilogs hier Politikpropaganda Vorschub leisten, indirekte Wahlkampfhilfe betreiben (womöglich für Geld??) und diese lokalpatriotischen CDU-Verflechtungen nicht mal explizit machen! Noch bedenklicher finde ich es aber, dass sich viele Blogger dafür auch noch instrumentalisieren lassen. Wissenschaft sollte offen und kritisch und neutral bleiben, nicht parteipolitisch korrumpiert.

    Nichts für ungut, Ihre Beiträge gefallen mir trotzdem sehr.

  5. @Schwarzkopf

    Zunächst einmal etwas Grundsätzliches:

    Ich bitte, auch im Interesse meiner anderen Leser, darum, die aktuelle politische Diskussion nicht in meinem Blog fortzuführen, wenn objektiv keinerlei Bezug zum Artikel erkennbar ist.

    Ich werde es nicht hinnehmen, dass lautstarke Interessengruppen auf ihrer Suche nach Öffentlichkeit meinen Blog für ihre Zwecke einspannen.

    Was Ihre Vorwürfe der Heimattümelei und des Lokalpatriotismus angeht, so kann ich – selbst unter der Annahme, dass es sich dabei um etwas Verwerfliches handeln sollte – in meinen Artikel nichts dergleichen wahrnehmen. Ebensowenig habe ich wahrgenommen, dass ich Propaganda für irgendeine Partei betrieben hätte. Ihren Worten entnehme ich, dass Sie meine Einschätzung meiner Artikel sogar teilen.

    Wenn sie bei Artikeln anderer Bloggern solches auszumachen meinen, bitte ich Sie, ihre Kritik gegebenfalls dort kundzutun, wo sie angebracht ist. Wenn Sie aber an keiner Stelle Propaganda und Tümelei nachweisen koennen, sind Ihre Vorwürfe diffamatorisch und unberechtigt – sie würden damit den Tatbestand der Propaganda erfüllen. Auch dies werde ich nicht hinnehmen.

    Was die persönliche Kritik an Einzelpersonen angeht, so bitte ich ebenfalls darum, nicht meinen Blog dafür zu missbrauchen, solange sich Ihre Kritik nicht dediziert an mich richtet. Dies gilt vollkommen unabhängig vom Wahrheitsgehalt der vorgebrachten Vorwürfe.

    Abschließend kann ich Ihnen versichern, dass zumindest ich es mit meinem Anspruch an die Freiheit des Bloggers für nicht vereinbar halte, für meine Meinungsäußerungen bezahlt zu werden. Ich lehne daher prinzipiell jeglichen materiellen Entgelt ab und werde dies auch in Zukunft so halten.

  6. Recht hast Du!

    Wahrscheinlich ist dieses Bild, (…) das einflussreichste, das definierende Bild des 20sten Jahrhunderts.

    Das denke ich auch – und unter diesem Bild zitiere ich gern Peter Sloterdijk mit seiner Umkehr der Perspektive: Bis dato haben die Menschen von der Erde ins All geschaut, seit diesem Bild fangen sie an, die Erde aus dem Weltraum zu betrachten.

  7. @ Susanne Hoffmann

    Das denke ich auch – und unter diesem Bild zitiere ich gern Peter Sloterdijk mit seiner Umkehr der Perspektive: Bis dato haben die Menschen von der Erde ins All geschaut, seit diesem Bild fangen sie an, die Erde aus dem Weltraum zu betrachten.

    Mich dünkt, sie schieben da Peter Sloterdijk ein Zitat von Susanne M. Hoffmann unter? “Bis dato” ist in diesem Zusammenhang falsch oder zumindest grob irreführend. Das wird gerne falsch gebracht und heißt nicht “bis zum Zeitpunkt X”, sondern “bis heute”.

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