Showtime für Dragon und Falcon

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Am US-Weltraumzentrum in Cape Canaveral, und bei den Raumfahrtfans weltweit, steigt langsam die Spannung. Am 19. Mai – oder nur wenig später – ist es so weit. Dann wird die privat konstruierte und gebaute “Dragon”-Raumkapsel des US-Unternehmens “SpaceX” auf einer ebenfalls unternehmenseigenen Falcon 9-Trägerrakete zur Internationalen Raumstation aufbrechen. Deren Crew ist bereits darauf vorbereitet, die erste private Orbitalkapsel der Welt in Empfang zu nehmen.

Der Dragon wird für die Verbindung mit der Trägerrakete vorbereitet

Bereits am 16. April fand bei der NASA der “Flight Readiness Review” (FRR) für Startgerät und Kapsel statt. Mit dem Ergebnis, dass erstmals in der Geschichte der Raumfahrt ein privates Raumfahrzeug die Freigabe erhielt, die Internationale Raumstation zu besuchen. Einige offene Punkte gab es allerdings doch noch. Sie verhinderten, dass der Start bereits am 30. April stattfinden kann. An diesem Tag gibt es nun ein so genanntes “static firing”. Dabei wird ein Übungs-countdown bis hin zu Zündung der neun Haupttriebwerke durchgeführt, ganz wie beim “richtigen” Start. 

Die Triebwerke liefen dabei sogar für zwei Sekunden, die Rakete blieb aber, von starken Klammern gehalten, auf der Startrampe stehen. Die kurze Zeitspanne genügte, um die Einsatzbereitschaft der Raketenmotoren zu überprüfen. Der Test verlief nahezu perfekt. Zumindest von Seiten der Trägerrakete steht der Mission somit nichts mehr im Wege.

Doch dämpfen wir gleich am Anfang die Erwartungen. Denn auch die einwöchige Verzögerung kann nicht davon ablenken: ein vollständiger Erfolg dieser Mission käme fast einem Wunder gleich. Selbst Elon Musk, Gründer und Inhaber von SpaceX, und damit dem Optimismus verpflichtet, gibt dem Unterfangen nur eine Chance von 50 Prozent. Aber wer weiß, vielleicht bleibt ihm das Glück treu. Zu verblüffend waren bereits positiven Resultate der erfolgreichen ersten  beiden Testflüge der Falcon 9.

Integration des Dragon mit der Falcon 9-Trägerrakete

Ein Raumfahrzeug erfolgreich in eine Erdumlaufbahn (und wieder zurück) ist kein leichtes Unterfangen. Länder, die ihre ganze nationale Infrastruktur dafür einsetzen, wie beispielsweise die beiden Koreas scheitern seit Jahren daran. Da ist es schon bemerkenswert, dass dies einem kalifornischen Mittelständler gelingt. Und der baut noch nicht einmal auf früheren Erfahrungen auf.

Wie gesagt, die Chancen, die ISS tatsächlich zu erreichen, sind nicht hoch. Alles ist noch neu. Die Falcon 9, hat zwar ihre ersten beiden Einsätze ganz anständig hinter sich gebracht. Aber die aufmerksamen Beobachter wissen: Da war auch ganz schön Dusel dabei. Bei beiden Missionen traten erhebliche Anomalien auf, die aufgrund des robusten Designs kompensiert werden konnten. Sie hätten aber auch, mit nur etwas Pech, in beiden Fällen zum Verlust der Mission führen können.

Integration des Dragon mit der Falcon 9 Trägerrakete

Auch die Dragon-Kapsel stößt mit diesem Flug weit in unbekanntes Terrain vor. Sie hat zwar schon einmal nachgewiesen, dass sie zwei Erdumläufe und drei Stunden im Weltraum sicher absolvieren kann, aber die Komplexität und die Länge einer ISS-Versorgungsmission sind damit nicht zu vergleichen. Ging es beim ersten Flug im Dezember 2010 nur darum, den Orbit überhaupt zu erreichen und sicher wieder zur Erde zurückzukehren, sind bei der bevorstehenden 21-Tage Mission die Anforderungen an Kommunikation, Positionsgenauigkeit, Rendezvoustechnik und vor allem die Forderungen eines jederzeitigen Flugabbruches in einer ganz anderen Liga angesiedelt.

Man darf bei der Bewertung dieser Mission auch nicht übersehen,  dass man hier die Ziele von ehemals zwei vorgesehenen Testmissionen nun in einem einzelnen Flug zusammengefasst hat. Wenn alles gut geht spart das Zeit und Geld. Wenn nicht, dann muss die ursprünglich geplante zweite Testmission doch noch nachgeholt werden.

Bei der bevorstehenden Mission ist der Träger auch erstmals mit einem “instantaneous launch window” konfrontiert. Das heißt, der Startzeitpunkt muss auf die Sekunde getroffen werden, ansonsten ist die Gelegenheit für den aktuellen Tag verpasst. Bei den ersten beiden Flügen kam es jeweils – das ist bei komplett neuen Systemen nicht ungewöhnlich – zu stundenlangen Startverzögerungen. Das kann man sich diesmal nicht leisten.

SpaceX und ihr Boss und Gründer Elon Musk sind hier illusionslos und haben deswegen das Missionslogo schon mal den anspruchsvollen Umständen angepasst: Es beinhaltet ein vierblättriges Kleeblatt.

Missionslogo. Das Kleeblatt ist zwischen den Wörtern “Falcon 9” und “Dragon”

Unterstellen wir jetzt aber einmal, dass der Start glatt verläuft, und die Falcon 9 den Dragon wie geplant im Orbit absetzt, dann wird das weitere Programm wie folgt aussehen:

An den ersten beiden Flugtagen werden Tests mit dem “Absoluten GPS” durchgeführt, das Verhalten des Raumfahrzeugs in den Phasen freier Drift wird untersucht und es werden verschiedene Flugabbruchs-Szenarien erprobt. Am dritten Tag wird der Dragon die ISS in einem Abstand von 2,5 Kilometern passieren um die Ultrakurzwellen-Verbindung mit der Raumstation zu testen. Dabei wird auch kontrolliert, wie gut die Crew des Außenpostens über das “Crew Command Panel” in die Funktionen des Dragon eingreifen kann. Bei dieser Passage wird auch das relative GPS mit einem Check zwischen ISS und Dragon erprobt.

Am Ende des dritten Missionstages entscheiden die Missions-Manager, ob alle Zwischenziele hinreichend gut erfüllt wurden, und ob auf dieser Basis mit der endgültigen Annäherung an die ISS begonnen werden kann. Gibt es das “go-ahead”, dann wird sich der Dragon der Station bis auf 30 Meter nähern. Sollte auch dieses Manöver erfolgreich verlaufen, dann wird er sich so weit an die Station herantasten, dass er mit dem “Space Station Remote Manipulator System” der ISS erfasst werden kann. Dieses Manöver nennt man “berthing”, und könnte in diesem Fall am besten mit “Bergung” übersetzt werden. Das “Berthing” ist, zumindest in seiner Schlussphase, kein aktives Rendezvous. Vielmehr zieht der Greifarm der ISS das Raumfahrzeug an den Dockingknoten (Node) 2 und koppelt es dort an. Gesteuert wird das Manöver von den Astronauten Don Pettit und Andre Kuipers, und zwar von der Cupola der Station aus, also der Aussichtsplattform mit den großen Fenstern.

Auch wenn alles nach Plan verläuft, dürfte dieses Manöver nicht einfach sein. “Berthings” wurden im Betrieb der Station zwar schon zweimal mit dem japanischen HTV-Transportraumschiff durchgeführt, die Dynamik des Dragon ist jedoch ganz anders.

Das HTV ist über 16 Tonnen schwer und verfügt über eine erhebliche Anzahl kleiner Triebwerke, um die Raumlage sehr fein auszusteuern. Die Astronauten berichten, dass das HTV wie ein Felsen vor der Raumstation liegt und problemlos mit dem Manipulator-Arm zu greifen ist. Das dürfte beim vergleichsweise leichten Dragon (er wiegt weniger als sechs Tonnen) anders sein. Zusätzlich zum geringen Gewicht kommt, dass der Dragon nur über vergleichsweise wenige, aber dafür recht leistungsstarke Lageregelungstriebwerke verfügt. Da ist es schwierig mit dem Feintuning der Raumlage. Er dürfte daher bei weitem nicht so ruhig vor der Station liegen, wahrscheinlich eine Rest-Rollbewegung aufweisen und dementsprechend schwer mit dem Robotarm zu fassen sein.

Nach dem Herstellen einer festen Verbindung, den Lecktests und der Überprüfung der  elektrischen Anschlüsse wird die Luke des Dragon geöffnet. Danach verbleibt er für etwa zweieinhalb Wochen an der ISS. Bei diesem ersten Flug mit seiner nicht sonderlich hohen Erfolgswahrscheinlichkeit wird der Dragon nur 520 Kilogramm an Fracht an Bord haben. Alles “Non-essential cargo”, wie es die NASA nennt. Nichts Lebenswichtiges: Wasser, Kleidung,  Nahrungsmittel, Batterien, Kabel und dergleichen. Immerhin: Die wertvollsten Gegenstände sind eine Reihe von Laptops.

Der Dragon soll auch Material zur Erde zurück bringen, alles in allem etwa 660 Kilogramm. Bei späteren Missionen, wenn der Routinebetrieb läuft, können es bis zu drei Tonnen sein. Nicht viel angesichts der bis zu 15 Tonnen, die der Shuttle einst zur Erde zurückbringen konnte. Sehr viel aber im Vergleich zu den wenigen Kilogramm, die mit der Sojus möglich sind.

Der Dragon wird für eine Reihe von Jahren das einzige Vehikel sein, das Geräte, Experimente, Materialproben und andere Dinge von der ISS wieder zur Erde transportieren kann. Bei diesem Flug sollen es neben einigen defekten Geräten vor allem Teile von Raumanzügen sein. Raumanzüge sind extrem teure Ausrüstungsteile. Sie kosten mehr als 20 Millionen Dollar das Stück und bei ihnen lohnt es sich, sie zurückzubringen, zu warten und erneut zur ISS zu transportieren.

Am Schluss der Mission wird der Dragon wieder mit dem Manipulator-Arm vom Docking-Knoten abgekoppelt. Danach entfernt er sich selbständig und führt eine Landung im Pazifik durch, etwa 450 Kilometer vor der Kalifornischen Küste. Verläuft alles nach Plan, sollte das am 31. Mai der Fall sein.

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

3 Kommentare

  1. Apollo-Routine immer noch Challenge?

    Als Raumfahrtlaie überrascht mich die behauptete Unwahrscheinlichkeit, dass die geplante Dragon-Mission klappt. Dies 40 Jahre nach ähnlichen Nasa-Missionen. Naiv stelle ich mir vor, dass heute aufgrund von detaillierten Aufzeichnungen früherer Missionen, aufgrund besserer Materialien und mithilfe von Flugsimulationen im Computer das Verhalten des Gesamtsystems heute viel besser unter Kontrolle gebracht werden kann.

  2. Know-How ist ein verderbliches Gut

    Raumfahrt ist auch heute noch die Kunst des “Gerade noch Möglichen”. Und Know-How ist ein verderbliches Gut. Es dauert lange, bis gut eingespielte Teams von Experten so etwas beherrschen. Wenn es aber, wie in unserem seit Jahrzehnten üblichen politischen Umfeld, so ist, dass stets das einmal erreichte wieder verworfen wird, Programme eingestellt werden, nicht auf dem erzielten aufgebaut und weiter gemacht wird und mit immensem Aufwand hoch trainiertes Personal entlassen wird, dann ist es so, wie es heute ist.

    Jede Gruppierung, sei sie staatlich und privat, die neu anfängt, muss in diesem Spiel auf einem viel tieferen Level wieder einsteigen, auf dem man zuletzt aufgehört hat. Know-How kann man nicht konservieren, es ist eine Form von Training. So ist es auch bei SpaceX. Das Unternehmen kann auf die alte NASA-Expertise zurückgreifen, aber es ist doch bloß schriftliches oder elektronisches Material. Es selber und in Wirklichkeit zu machen ist ein ganz anderes Spiel. SpaceX beschäftigt zwar einige Raumfahrt-Veteranen, aber die haben seit vielen Jahren schon keine neuen Raketen mehr entwickelt oder Triebwerke gebaut. Und es sind sehr viele ganz junge Leute dabei, die noch nie so etwas gemacht haben. Das Unternehmen muss sich seine Routine, seine Expertise, sein Know-How gerade mühsam erarbeiten. Hoffen wir, dass das hier nicht wieder alles in wenigen Jahren über den Jordan geht.

  3. Erlaubnis zum Andocken

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass SpaceX die Erlaubnis zum Andocken an der ISS erhält, wenn es auch nur irgendeinen Hauch eines Problems gibt.

    Sollte es so sein, dass die Schwierigkeiten mit der Feinregelung der Lage oder der Feinsteuerung der Bahn beim v-bar-approach gibt, dann werden sie, wenn ich mich nicht ganz schwer täusche, einfach nicht ‘randürfen.

    Aber ein kompletter Fehlschlag wäre die Mission auch dann nicht, denn diverse Details der Annäherungsphase und des technischen Zusammenspiels von Komponenten auf der ISS und dem Dragon-Raumschiff könnten dennoch im Praxisbetrieb demonstriert werden.

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