Venedig, Meeresströme und Medien…
BLOG: KlimaLounge
Heute ist in der Zeitschrift mare mein Artikel über Venedig und den Anstieg des Meeresspiegels erschienen. Die Stadt Venedig ist in vieler Hinsicht einzigartig, aber ihr Kampf gegen die immer häufigeren Überschwemmungen dürfte auch vielen anderen Städten in diesem Jahrhundert bevorstehen.
Mein Artikel ist online frei zugänglich – wer allerdings die Fotos sehen möchte (von 6×6 Mittelformatnegativen – hier zeige ich nur den "Ausschuss"), der sollte auf jeden Fall einen Blick in das gedruckte Heft werfen. Dafür ist die Online-Fassung des Textes korrekt, während sich in der Printfassung beim Redigieren durch die Redaktion leider einige Fehler eingeschlichen haben.
Am gravierendsten für mich war dabei, dass ich über die Ergebnisse einer Expertenkommission der holländischen Regierung berichtet hatte, die auf "bis zu 3,50 Anstieg bis zum Jahr 2200" gekommen war. Es handelte sich also um die Obergrenze einer breiten Unsicherheitsspanne, denn niemand kann heute genau den künftigen Anstieg vorhersagen (siehe die Übersichtsgrafik hier). Doch in der gedruckten Fassung hieß es auf einmal apodiktisch, dass "der Meeresspiegel im Jahr 2200 dreieinhalb Meter höher sein wird als heute".
Wer als Klimaforscher solche unsauberen und übertriebenen Statements macht, verspielt sofort seinen guten Ruf, daher achten wir immer peinlich darauf, dergleichen zu vermeiden. Doch leider passiert es manchmal, dass ein Journalist die Aussagen dann etwas "knackiger" macht und verschärft. Immer wieder hatte ich im Laufe der Jahre damit zu kämpfen (ein Beispiel siehe hier). Ich erinnere mich noch an mein erstes (und letztes) kleines Spiegel-Interview (1999), wo es um die Risiken eines Versiegens des Nordatlantikstroms ging. Auf die Spiegel-Frage "Droht Europa nun eine neue Eiszeit?" hatte ich mit "Sicher nicht." geantwortet, gefolgt weiteren Erläuterungen. So stand es auch in der von mir autorisierten Fassung – im gedruckten Heft waren die Worte "Sicher nicht" dann weg.
Auf Überschriften oder Zwischenüberschriften der eigenen Artikel hat man meist auch keinerlei Einfluss – auch den mare-Titel meines Artikels habe ich erst als fait accompli gesehen (ich wollte den Beitrag einfach "Acqua Alta" nennen, so wie die Einheimischen die Hochwasser in Venedig bezeichnen). Noch ein Beispiel: in der aktuellen Ausgabe der ZEIT erläutern vier Forscher die wichtigsten neuen Ergebnisse des abgelaufenen Jahres – da taucht über meinem Beitrag die Überschrift "Der IPCC untertreibt" auf. Mancher könnte daher meinen, ich unterstelle dem IPCC eine Untertreibungsabsicht. Dabei hat der IPCC den damaligen Kenntnisstand völlig korrekt wiedergegeben. Durch die im Beitrag erwähnte neue Studie hat sich aber inzwischen herausgestellt, dass unsere bisherigen Klimamodelle die Abnahme der Eisdicke in der Arktis stark unterschätzen.
Nicht zuletzt die Frustration darüber, in den klassischen Medien keine Kontrolle über das Endprodukt zu haben, hat mich dazu gebracht, lieber zu bloggen als Zeitungen meine Artikel anzubieten. Und doch … einige meiner eigenen Bilder in mare abgedruckt zu sehen, das hat meinem Fotografenherzen einen lange gehegten Traum erfüllt!
Links:
Meeresspiegel-Webseiten des PIK
KlimaLounge: Konferenztod in Venedig
Update 30.11.: Zur Leserfrage unten hier die Meeresspiegeldaten für Venedig und Triest aus Carbognin et al. (2010).
Ein blick auf die pegeldaten in und um venedig zeigt:
Selbst in venedig stadt ca. 2mm/a:
http://www.psmsl.org/…obtaining/stations/168.php
in der adria drumherum ca 1-2mm/a:
hier triest http://www.psmsl.org/…obtaining/stations/154.php
Von beschleunigung nichts zu sehen
Auch die aussage
“Zwischen 1930 und 1970 ist deshalb in Venedig der relative Meeresspiegel, das heißt relativ zum Land, um zehn Zentimeter mehr gestiegen als im benachbarten Triest”
scheint zweifelhaft.
btw: die WBGU sea level prognose ist ein witz, oder ?
“Die Stadt Venedig ist in vieler Hinsicht einzigartig, aber ihr Kampf gegen die immer häufigeren Überschwemmungen dürfte auch vielen anderen Städten in diesem Jahrhundert bevorstehen.”
Bangkok?
[Antwort: Richtig. Der IPCC-Bericht hat eine Karte der gefährdetsten Flussdeltas. Stefan Rahmstorf]
@MichaelE
Warum soll die Abschätzung der WBGU, dass der Meeresspiegel bis 2300 um mehrere Meter ansteigen wird, ein Witz sein? Nur weil Sie sich das nicht vorstellen können?
Die Daten stammen aus 2006, seitdem hat sich die Einschätzung beschleunigender Faktoren (weiterhin unkontrollierte Freisetzung klimarelevanter Gase, erhöhtes Abschmelzen von Landeis in den polaren Regionen) verstärkt. Nach meiner Meinung liegt der Zeitpunkt, zu dem beispielsweise die wesentlichen Hafenstädte der Welt permanent überflutet sind, deutlich früher. Und damit ist die Versorgung des Hinterlandes mit Rohstoffen, Nahrungs- und Konsummitteln praktisch beendet.
AGW Anteil verschwindend?
in der Adria sieht man also über das ganze letzte Jahrhundert einen “natürlichen” Meerespiegelanstieg und so seit 1970, wo ja der AGW Anteil am Klima immer größer geworden ist, stagniert der Anstieg beinahme.
Kann man das irgendwie auch noch erklären, anstatt nur die ganzen Text lang über irgedwelche Medien zu schimpfen?
Zitat onlina Ausgabe:
Der Anstieg dürfte sich aber mit zunehmender Erwärmung weiter beschleunigen, da das Landeis immer schneller schmilzt. Aufgrund der stetig zunehmenden Abschmelzraten der Eisschilde in Grönland und der Antarktis prognostizieren Nasa-Wissenschaftler einen Anstieg um 32 Zentimeter allein zwischen 2010 und 2050.
Ach was? Gibt es wirklich eine Festland Eisschmelze über Antarktika? Sagt nicht auch das IPCC, die Antarktis würde mittelfristig eher Eis kommulieren und den Meeresspiegelanstieg verzögern bzw. veringern? Also was ist in disen Artikel denn “korrekt”, wie sie es nennen?
Das jedenfalls nicht!
Titelei
Auch Redakteure haben nur eingeschränkt Einfluss auf alle Titel, einschließlich Zwischentitel und Bildunterschriften. Da habe auch ich als Redakteur schon schlucken müssen. Dumm ist, dass der/die Interviewte das Ergebnis dann für meinen Einfall hält.
Dass der tatsächliche Inhalt manipuliert wird, ist dann aber ein anderes Kaliber. Gut, es kommt natürlich vor, dass wir mittelhochdeutsche Schachtelsätze in gutes, verständliches Deutsch umformulieren müssen, aber die Aussage muss natürlich dieselbe bleiben. Es wundert mich auch nicht, dass die Bild am Mon…, pardon: Der Spiegel, sich nicht daran hält. Bei der Zeit überrascht mich das.
integrity
Today “See no evil, hear no evil, speak no evil”
is commonly used to describe someone who doesn’t
want to be involved in a situation, or someone
willfully turning a blind eye to the immorality
of an act in which they are involved.
The Italian version, “Non vedo, non sento, non parlo”
(I see nothing, I hear nothing, I say nothing), expresses
the Omertà, a code of silence enforced by criminal
organizations like the Mafia, ‘Ndrangheta, and Camorra.
@Gunnar Innerhofer
Mann, mann, mann.. große Reden schwingen und keine Ahnung haben… Wie wärs wenn du erst mal den IPCC Report *liest* bevor du irgendwas darüber erzählt? Dort steht nämlich sehr wohl, dass die Massenbilanz der Antarktis in den letzten Jahren negativ war…
http://www.ipcc.ch/…/ar4/wg1/en/ch4s4-6-2-2.html
@gunnar innerhofer
http://klimafakten.de/…pol-nimmt-die-eismasse-zu
Klimafakten.de
Ich finde es immer sehr faszinierend wie genau heutzutage gemessen werden kann. Von 26.000.000 GT Eismasse der Antarktis schmelzen genau 46 pro Jahr ab.
Leider steht bei Klimafakten nicht was passieren würde wenn es an den Küsten keine Abkalbungen vom Schelfeis gäbe. Dann müsste die Eismasse wegen der Schneefälle und ganzjähriger Minustemperaturen ja ständig anwachsen und der Meeresspiegel sinken. Das wäre auf Dauer sicher auch nicht gut.
Oder habe ich da etwas übersehen?
Polit-gequatsche am Klimagipfel
Aufgrund der orbitalen Situation der Erde wäre es ohne künstliche CO2-Freisetzung durch den Menschen seit 1850 niemals zum bislang beobachteten globalen Temperaturanstieg gekommen.
Ende 2016 wird der CO2-Gehalt wohl die 400ppm- Marke erreichen.
@ Beobachter
die Massenbilanzmessungen der Antarktis kommen zum einen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen mit enormen Fehlerbalken und sind zum anderen erst seit wenigen Jahren vergleichbar. Es kann daraus überhaupt kein Trend ausgemacht werden, genau so wenig, wie aus den letzten 10a T Stagnation.
Übrigens: will man die Dynamik der Antarktis verstehen, muss man weit zurückblicken. Über das Holozän gab es bis vor kurzem eine Abkühlung und in Folge eine Massenzunahme über Jahrtausende. Was wir heute sehen, ist die Folge dieser Akkumulation an Schnee und Eis. Es kalbt nun mehr und dieses Kalben ermöglicht den Inlandeisströmen schneller ins Meer zu wandern. Daraus resultiert der zurzeit messbare Massenverlust, wenn es diesen wirklich gibt und nicht durch ein paar 1/10°C T Erhöhung in Bereichen, wo über ein paar Wochen im Jahr Schmelzen überhaupt möglich ist.
Und @ Lars:
ein Trend über 5 Jahre, wie sie in zeigen wollen, ist ein Witz, hoffe ich. Ich kann ihnen auch einen “Trend” über 5a zeigen und sie sollen dann glauben, die globale T sinkt, alles klar?
siehe auch:
http://www.zamg.ac.at/…hilde/Antarktis/index.php
@ Jochen Binikowski
Sie haben da tatsächlich was übersehen: “der Eisverlust *beschleunigt* sich auch mit einer Rate von 26 Gigatonnen/Jahr² (jedes Jahr erhöht sich also die abschmelzende Eismasse um 26 Milliarden Tonnen/Jahr)”. Der Jahresverlust liegt derzeit bei über 500 Gt.
Klimasensitivität
Erdgeschichtliche Veränderungen deuten darauf hin, dass die Klimasensitivität deutlich höher als bisher angenommen sein könnte:
http://www.youtube.com/watch?v=KTTlAAiwgwM
@ Karl
Vielen Dank für den Link.
Ist hochinteressant, den Dreien zuzuhören… Das ist jetzt meine freie Interpretation:
Das Klimasystem ist aufgrund des derzeit hohen CO2-Gehalts weit von einem stabilen Ausgleichszustand entfernt.
Der Ausgleichszustand wäre ein Meeresspiegelniveau von +25m in bezug auf heute. Aufgrund dieser großen und größer werdenden Differenz kann es zu sprunghaften Anstiegen innerhalb weniger Jahrhunderte kommen.
Neues Paper zu Venedig
http://umwelt.scienceticker.info/…rsinkt-weiter/
“Obwohl das Abpumpen von Grundwasser in der Lagunenregion längst gestoppt ist, senkt sich der dortige Untergrund noch immer um etwa 2 Millimeter pro Jahr.
…
Da der Meeresspiegel in der Lagune etwa um den gleichen Betrag steige, dürften die dortigen Pegelstände in den nächsten 20 Jahren um etwa 8 Zentimeter steigen…”
oT: Von Fotograf zu Fotograf …
… in der Tat sehr schoene Fotos ! Da ist es naheliegend, dass es mich brennend interessiert, welche 6×6 MF Kamera Sie benutzen, welchen Film und so … (Meine Vermutung ist Mamiya + Velvia ?)
Na ja und vielleicht noch so ein paar Worte zum Thema ‘Wissenschaftler und Fotografie’ oder ‘Foto-Dokumentation vs. Foto-Hobby’ etc. pp. oder ueberhaupt Ihre Gedanken zu diesem Thema …
Ich unterrichte an der hiesigen Uni im FB Kunst auch ein wenig zur Fotografie auch ‘NICHT-Kuenstler’ wie z.B. Bauingenieure, Architekten aber auch Germanisten(!) und andere, und habe immer so mit den Vorbehalten der Studenten zu kaempfen wie “Die Kamera tut fuer mich und ausserdem brauch ich das eh nicht.”
Das halte ich natuerlich fuer total falsch (zumal ich selber neben meiner Fotografenausbildung auch ein Studium der Elektrotechnik bis zum Ende durchgestanden habe und waehrend meiner Taetigkeit als Ingenieur die Fotografie ueberhaupt nicht wegzudenken war).
Und tatsaechlich, sogar Mark Benecke beklagt, dass er von seinen Studenten geradezu ‘unglaublich beschissene’ Fotos untergejubelt bekommt. Wenn selbst angehende Forensiker schon nicht mehr fotografieren koennen …
Vielleicht haben Sie ja ein paar Tips fuer diese Point&Shoot Generation der Studenten ?
Und last but not least. Vielen Dank fuer Ihre Arbeit, Ihren hervorragenden Blog, die ausgezeichneten Beitraege und fuer Ihre Courage sich nicht von den klimawandelleugnenden Vollhonks in die innere Emigration treiben zu lassen. Denn auch wenn die Fotos toll sind, sehe ich Sie 1,000x lieber als Klimawissenschaftler, denn als Fotofgrafen da draussen … 😉
[Antwort: Lieber Herr Kammerer, danke für die freundlichen Worte. Antwort: Mamiya 6 mit Kodak Portra 160. Ich kann eigentlich nicht viel mehr dazu sagen, als dass Fotografieren mir seit Kindertagen große Freude macht. Das schöne ist ja nicht nur das Foto, sondern dass man insgesamt aufmerksamer und intensiver sehen lernt, sich oft über einen bestimmten Lichteinfall oder eine Farbkombinatin freut, auch ohne Kamera dabei. Auf meiner Facebook-Seite poste ich immer ein Foto des Monats, ab und zu etwas bei Flickr, vor allem aber mache ich es nur für mich und meine Familie. Herzliche Grüße, Stefan Rahmstorf]
Ich hoffe wirklich, sie werden herausfinden, eine Lösung gegen Überschwemmungen.