National Geographic zum Meeresspiegel

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National Geographic bringt im aktuellen September-Heft eine Titelgeschichte zum Meeresspiegelanstieg. Unbedingt lesenswert für alle, die sich für die Küste interessieren.

Das Titelbild (der deutschen ebenso wie der US-Ausgabe) mutet zwar etwas reißerisch an und erinnert an den Hollywood-Film The Day After Tomorrow: der Freiheitsstatue steht das Wasser bis zur Hüfte. Das entspricht der Meereshöhe nach Abschmelzen aller Kontinentaleismassen, was einen Anstieg um 65 Meter bedeuten würde. Ein solches Szenario ist zumindest für die nächsten tausend Jahre zum Glück nicht zu erwarten!

Dass ein solcher Anstieg nicht in diesem Jahrtausend absehbar ist, wird aus dem Artikel auch völlig klar. Er berichtet seriös und sehr informativ über den vergangenen und zu erwartenden Meeresspiegelanstieg.

Die folgende Infografik bringt die Entwicklung über die letzten beiden Jahrtausende mit modernen Messungen und aktuellen Zukunftsprojektionen zusammen.


Meeresspiegelentwicklung ab Christi Geburt bis in die Zukunft. Mit freundlicher Genehmigung von NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND. Zum Vergrößern auf das Bild klicken.

Die blaue Kurve zeigt die Sedimentdaten aus Kemp et al. (PNAS 2011) – wir haben hier und hier ausführlich über diese Forschung berichtet. Die rote Kurve beruht auf Messungen der Küstenpegel in aller Welt. Die Zukunftsszenarien wurden von der US-Ozeanbehörde NOAA für das US National Climate Assessment erarbeitet, das im kommenden Jahr erscheinen soll. Der wahrscheinliche Anstieg in diesem Jahrhundert liegt demnach zwischen 0,5 und 1,2 Metern, was sich zufällig fast genau mit den Projektionen aus meinem Science-Paper von 2007 deckt. Dort kam 0,5 bis 1,4 Meter heraus, was damals noch sehr kontrovers war, weil der damalige IPCC-Bericht nur von 0,18 bis 0,59 Meter sprach.

National Geographic zeigt auch eine Weltkarte der künftigen regionalen Meeresspiegelentwicklung, die u.a. auf der Studie von Perrette et al. (2013) beruht, die meine PIK-Kollegen gemeinsam mit Forschern aus Holland (TU Delft) und USA (CalTech) erstellt haben.

Der Schwerpunkt in National Geographic liegt vor allem auf den Folgen des steigenden Meeresspiegels und wie wir damit umgehen können. Damit ist der Artikel eine gute Ergänzung zu einer früheren ausführlichen Titelgeschichte der New York Times, die vor allem die Ursachen behandelt, z.B. die Eisschmelze auf Grönland. Wer beide Artikel gelesen hat, hat einen guten Eindruck vom Stand des Wissens in der Fachwelt.

Wer lieber eine Filmdokumentation ansieht als zu lesen: dazu gibt es einen National Geographic Dokumentarfilm aus dem Jahr 2010, den ich auch gerade zum ersten Mal gesehen habe (obwohl sogar ein Interviewausschnitt mit mir gezeigt wird). Der Einstieg ist reißerisch, der Freiheitsstatue steht das Wasser sogar bis unter die Achseln… Der Film ist in drei Zeithorizonte unterteilt: der Anstieg bis 2100, 2200 und 2300 wird betrachtet, für die aber leider von 1,80 m, 7 m und 15 m Anstieg ausgegangen wird. Das erste gilt derzeit wirklich als extremer „worst case“ (siehe Grafik oben) und ist damit extrem unwahrscheinlich, die letzteren beiden Zahlen sind (bei allem Respekt vor den großen Unsicherheiten) innert weniger Jahrhunderte meines Erachtens sogar praktisch ausgeschlossen. Mit solchen übertriebenen Zahlen zu hantieren hat vermutlich den Effekt, dass die Menschen sich nicht klar machen, welche großen Probleme schon ein halber oder ein Meter Meeresspiegelanstieg an vielen Küsten mit sich bringt. Interessant ist dieser Film vor allem, wenn man sich für die Küstenschutzmaßnahmen in New Orleans, schwimmende Häuser in Holland oder einen möglichen Damm über die Straße von Gibraltar interessiert: um solche ingenieurtechnischen Anpassungsmaßnahmen geht es hier hauptsächlich.

Dass man den Meeresspiegelanstieg durch reduzierten Ausstoß von CO2 in beherrschbaren Grenzen halten könnte, wird in dieser Doku leider erst ganz am Schluss mit einem Nebensatz erwähnt.

Weblinks:

NATIONAL GEOGRAPHIC: mehr zum Meeresspiegel

Mein Realclimate-Zweiteiler zum aktuellen Stand der Meeresspiegel-Forschung

Meeresspiegel-Seiten des PIK

 

 

 

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

27 Kommentare

  1. SLR in Deutschland

    Interessant finde ich in dieser Diskussion den Hinweis des PIK’s vor 2 Jahren, das europäische Deiche technisch nur etwa 1 Meter erhöht werden könnten.

    Hier wäre auch eine Anregung zu diskutieren wer das bezahlen soll, wie zB die Verursacher dazu verpflichten (Öl Firmen ua.).

    Der verlinkte Film zeigt eindrucksvoll wie selbst die ehrgeizigsten Projekte der Amis hier an Ihre Grenzen stossen, wenn man davon ausgehen kann das der Mammutdamm vor der Küste New Orleans, nicht dem prognostizierten Meeresspiegel gerecht wird.

  2. Delta-Temp. closelyAssoc Delta-SeaLevel

    Einige der verlinkten Seiten (z.B. real-climate-Artikel) lassen einen engen Zusammenhang zwischen Temperatur und Meeresspiegel vermuten, wobei der Meeresspiegel scheinbar nur wenige Jahre der Temperaturänderung hinterherhinkt.
    Solch eine fast unmittelbare Reaktion des Meeresspiegels könnte man vielleicht mit der transienten Klimasensitivität vergleichen, während der Gleichgewichtsklimasensitivität der finale Meeresspiegel nach hunderten von Jahren bei nicht mehr steigender Temperatur entsprechen würde.

    Falls dieser Zusammenhang Temperaturänderung/Meeresspiegelanstieg genügend eng ist, bietet sich die Chance, den Meeresspiegelanstieg in Zukunft noch genauer vorherzusagen.
    Damit könnte man dann auch die künftigen Kosten für den Küstenschutz immer besser kalkulieren. Es könnte sich schliesslich herausstellen, dass die vom Meeresspiegelanstieg besonders betroffenen Städte und Länder in den nächsten 100 Jahren finanziell besser wegkommen, wenn sie die internationalen Bemühungen zur Emissionsreduktion aus einem jetzt zu schaffenden gemeinsamen Fond finanzieren als wenn sie das Geld später in den eigenen Küstenschutz investieren. Der Zeithorizont von 100 Jahren ist für Küstenstädte allerdings recht lang. Der grösste Teil des Meeresspiegelanstiegs der nächsten 50 Jahre wird wohl bereits jetzt feststehen.

  3. Eines verstehe ich bei der Grafik nicht so richtig: Wenn der Anstieg in den letzten 2.000 Jahren nur wenige Zentimeter beträgt, wie kommen dann die versunkenen Orte in der Nordsee (Rungholt), im Mittelmeer, Indien und China mehrere Meter unter die Meeresoberfläche?

    Mir ist durchaus klar dass der Meeresspiegel seit Ende der Eiszeit vor über 10.000 Jahren um zig Meter gestiegen ist. Aber warum hat dieser Anstieg vor 2.000 Jahren praktisch aufgehört und fängt erst jetzt wieder an?

    [Antwort: Der globale Anstieg durch die Eisschmelze am Ende der letzten Eiszeit war vor rund 5,000 Jahren abgeschlossen. Das hängt mit der Temperaturentwicklung zusammen, die wir hier kürzlich ausführlich besprochen haben. Die lokale Meeresspiegelentwicklung wird aber außerdem stark durch Landhebung bzw. Senkung beeinflusst. An unseren deutschen Küsten gibt es z.B. eine andauernde Landsenkung um ca. 1 mm/Jahr infolge der weggefallenen Eislast der Eiszeit (die in Skandinavien, direkt unter dem Eisschild, zu starker Landhebung führt, aber in einem Ring um den früheren Eisschild herum zu Absenkung). Mehr zu Rungholt etc. in unserem Buch, S. 128-138. Im Mittelmeer sind es tektonische Prozesse, die zu Landsenkung geführt haben. Stefan Rahmstorf]

  4. Faktencheck

    Das Titelbild (der deutschen ebenso wie der US-Ausgabe) mutet zwar etwas reißerisch an und erinnert an den Hollywood-Film The Day After Tomorrow: der Freiheitsstatue steht das Wasser bis zur Hüfte. Das entspricht der Meereshöhe nach Abschmelzen aller Kontinentaleismassen, was einen Anstieg um 65 Meter bedeuten würde.

    Wer lieber eine Filmdokumentation ansieht als zu lesen: dazu gibt es einen National Geographic Dokumentarfilm aus dem Jahr 2010, den ich auch gerade zum ersten Mal gesehen habe (obwohl sogar ein Interviewausschnitt mit mir gezeigt wird). Der Einstieg ist reißerisch, der Freiheitsstatue steht das Wasser sogar bis unter die Achseln

    Wer erkennt den Fehler? Wie kann der Freiheitsstatue das Wasser bis unter die Achseln stehen, wenn beim Abschmelzen aller Eismassen dieser Erde, laut National Geographic, dass Wasser ihr nur bis zur Hüfte reicht?

    Hinzu kommt, dass Abschmelzen aller Eismassen dieser Erde würde Jahrtausende dauern, und nur wenn die Globaltemperatur ansteigt, wie es von den Modellen erwartet wird. Gerade in der Ostantarktis, wo sich die größten Eismassen dieser Erde befinden, ist es aber sehr kalt. Mit Temperaturen von bis zu unter -50°C. Selbst im antarktischen Hochsommer werden dort kaum Temperaturen über den Gefrierpunkt erreicht. Über die letzten Jahrzehnte hinweg ist in der Ostantarktis auch keine signifikante Erwärmung zu verzeichnen, eher sogar eine Abkühlung. Und auch das Meereis um die Antarktis herum hat in den letzten Jahrzehnten eher zugenommen, als abgenommen.

    Gerade als Klimawissenschaftler sollte man sich von derartigen Prognosen/ Visionen (Freiheitsstatue mit Wasser zur Hüfte, oder bis unter die Achseln) also distanzieren. Zumal auf der Erde nicht genügend Eismassen existieren, deren Abschmelzen ein Steigen des Meeresspiegels bis unter die Achseln ermöglichen würden.

    [Antwort: Genau das war mein Punkt. Stefan Rahmstorf]

  5. Fakten zum Meeresspiegelansteig

    Wer sich über den Meeresspiegelanstieg und die Folgen für Deutschland informieren möchte, dem kann ich diesen Artikel ans Herz legen:

    Klimawandel – 100 Meter Meeresspiegelanstieg innerhalb weniger Generationen?

    [Antwort: Das hängt halt (wie immer) davon ab, ob Sie Informationen aus der Wissenschaft bevorzugen oder solche von einem Laien, der überzeugter “Klimaskeptiker” ist und hier (wie anderswo) klare Falschbehauptungen in den Raum stellt wie jene, dass der Meeresspiegel im 20. Jh. nicht wesentlich rascher gestiegen sei als in früheren Jahrhunderten. Stefan Rahmstorf]

  6. Tausend Jahre

    “Ein solches Szenario ist zumindest für die nächsten tausend Jahre zum Glück nicht zu erwarten!”

    Hmmm, klingt trotzdem bedrohlich. in vllt. 2000 Jahren 65 Meter? Sicherlich SOLL es bedrohlich klingen. Falsch ist es ja auf keinen Fall.

    Ansonsten schreibt man etwa zum niedrigsten angebenen Szenario: “…basiert auf der Fortschreibung der historisch beobachteten Änderungen…”

    Warum nimmt man dieses geringe Level überhaupt auf? Es ist doch sicher, dass er immer schneller steigt?

    [Antwort: Wenn man die äußere Spanne mal als 90% Konfidenzinterval interpretiert (ich glaube nicht, dass das genau spezifiziert wird) dann hieße es: die Wahrscheinlichkeit einen Anstieg von weniger als 20 cm zu bekommen, beträgt nur 5% – ebenso wie die Wahrscheinlichkeit, einen Anstieg um mehr als 2 m zu bekommen. Es ist also fast sicher, dass der Anstieg sich beschleunigt (im 20. Jh. waren es 17 cm) – was auch logisch ist, da die Kontinentaleismassen umso schneller schmelzen, je wärmer es wird. Stefan Rahmstorf]

  7. Mehr Regen, weniger Anstieg?

    Da wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen kann und somit mehr Regen zu erwarten ist (so weit ich weiß, ist das jetzt schon der Fall), und dieses Wasser hauptsächlich aus den Ozeanen kommt, könnte man doch vermuten, dass dies dem Anstieg entgegen wirkt. Oder?

    [Antwort: Im Prinzip richtig, in der Größe vernachlässigbar (der gesamte Wasserdampfgehalt der Atmosphäre entspricht nur rund 3 cm Meeresspiegel). Stefan Rahmstorf]

  8. Die Grafik zeigt, wenn überhaupt, nur minimale Änderungen des Meeresspiegels bei der mittelalterlichen Warmzeit und der kleinen Zwischeneiszeit. Das waren ähnliche Temperaturänderungen wie die seit 1880. Wie ist das zu erklären?

    [Antwort: Damit, dass Ihre Prämisse nicht zutrifft. Der Meeresspiegelverlauf ist übrigens eine unabhängige Bestätigung dessen, was auch die Temperaturproxies ja zeigen: dass die Erwärmung im 20. Jh. in den letzten Jahrtausenden einzigartig ist. Stefan Rahmstorf]

  9. Meeresspiegel südliche Nordseeküste

    Aus K.-E. BEHRE, Probleme der Küstenforschung, Bd.28, Isensee-Verlag, Oldenburg, 2003

    http://www.klimaskeptiker.info/…eresspiegel2.png

    Mal eine andere Darstellung für den Meeresspiegelanstieg, über die letzten Jahrtausende, als die eines “Hockeyschlägers”. Innerhalb der letzten 3000 Jahre hat es an der Nordseeküste Phasen gegeben mit Anstiegen von 50 bis 60 cm pro Jahrhundert. Zum Vergleich: Heute liegen wir in etwa bei 30 cm pro Jahrhundert an der Nordseeküste.

    [Antwort: Diese Grafik glauben Sie wohl ohne weiteres, anders als die Resultate der moderneren Forschung? Subjektiv handgezeichnete Kurve, nicht in der internationalen Fachliteratur erschienen, unplausible Schwankungen, für die ein physikalischer Mechanismus fehlt? Ich kannte diese Grafik, halte sie aber nicht für plausibel. Stefan Rahmstorf]

  10. Lieber Herr Rahmstorf, Ihre Antworten werfen jetzt aber einige Fragen auf. Z.B. warum Rungholt und andere Nordseeinseln im Mittelalter trotz Landhebung und quasi gleichbleibendem Meeresspiegel im Meer versunken sind. Und wie das Wikingerzeugs unter die jetzt schmelzenden Grönlandgletscher gekommen ist. Wie kann das gehen wenn es damals dort kälter war als heute?

    [Antwort: Woher wissen Sie denn, dass es auf Grönland damals kälter war? Und zu Rungholt: von Landabsenkung, nicht Hebung habe ich gesprochen. Stefan Rahmstorf]

  11. “Woher wissen Sie denn, dass es auf Grönland damals kälter war?”

    Im Hockeystick sieht es jedenfalls so aus. Klar ist aber auch dass die meisten Alpengletscher damals auch kleiner waren denn wie sollten sonst die Holzteile usw. daruntergekommen sein?

    Aber noch mal eine andere Frage: Welche Klimabedingungen der Vergangenheit würden Sie als eine Art Idealzustand bezeichnen auf den wir langfristig wieder kommen sollten? Also z.B. 1880 oder 1750?

    [Antwort: Das hatte ich fast vermutet, dass es hier wieder einmal um lokal vs global geht: der PAGES hockey stick ist eine globale Rekonstruktion die erstmal nichts über lokale Temperaturen in Grönland aussagt.

    Aus meiner Sicht gibt es an sich keinen “Idealzustand” des Klimas, aber eine zu starke Veränderung (egal in welche Richtung) wird massive Probleme für die Menschen bringen. Beispiel Meeresspiegel: einige Meter höher ist per se kein schlechteres Klima, außer dass wir unsere Städte dort hingebaut haben, wo die Küstenlinie in den letzten Jahrhunderten gewesen ist. Näheres über die damit verbundenen Probleme lesen Sie in National Geographic! Stefan Rahmstorf]

  12. Schwankungen des Meeresspiegels

    [Antwort: Diese Grafik glauben Sie wohl ohne weiteres, anders als die Resultate der moderneren Forschung? Subjektiv handgezeichnete Kurve, nicht in der internationalen Fachliteratur erschienen, unplausible Schwankungen, für die ein physikalischer Mechanismus fehlt? Ich kannte diese Grafik, halte sie aber nicht für plausibel. Stefan Rahmstorf]

    Herr Rahmstorf, die historischen Schwankungen des Meeresspiegels an der deutschen Nordseeküste sind gut dokumentiert und belegt. Ich fasse einfach mal die Fachliteratur für die deutsche Nordseeküste zusammen:

    Zum Ablauf der nacheiszeitlichen Entwicklung im deutschen Nordseesektor gibt es mehrere Publikationen (BEHRE & MENKE 1969, MENKE 1976, LUDWIG et al. 1979, BEHRE et al. 1984, STREIF 1990, CASPERS et al. 1995, BEHRE 2003). Sie belegen für die Zeitspanne von 8600 bis 7100 J.v.h. einen raschen Meeresspiegelanstieg mit einer durchschnittlichen Anstiegsrate von 2,1 m pro 100 Jahre (Radiokarbon-Datierte-Jahre). Beim weiteren Steigen der Nordsee um ca. 25 m (zwischen ca. 7500 J.v.h. bis heute) entwickelte sich die heutige Küstenlandschaft mit den Barriereinseln (vorgelagerten Inseln), Watten und Marschen.

    Der Schichtenaufbau des Küstenraumes zeigt einen charakteristischen Wechsel transgressiver und regressiver Phasen (von Ablagerung und Abtragung). Eine z.T. intensive Verzahnung von Torfen mit klastischen Sedimenten (Sanden) ist das Indiz dafür, dass sich die Grenzen des marin beeinflussten bzw. des limnisch-semiterrestrischen Milieus (die Küstenlinie) im Verlauf der letzten 7500 Jahre wiederholt um einige Kilometer land- bzw. seewärts verschoben haben. Überflutungen erreichten dabei ihre Höhepunkte um 6800 J.v. h., 5500 J.v. h., 4200 bis 3400 J.v.h., um 1800 J.v. h. sowie im Mittelalter. Zu weitflächigem und überregional annähernd gleichzeitigem Moorwachstum (durch Rückzug des Meeres) ist es zwischen 4800 und 4200 J.v.h. bzw. 3300 und 2300 J.v.h. gekommen; weitere kleinflächige Vermoorungen sind um 2000 bis 1800 J.v.h. bzw. 1600 J.v.h. einzustufen. (CASPERS et al. 1995).

    Diverse Untersuchungen (BEHRE & STREIF 1980, STREIF 1982, BEHRE 1986, STREIF 1990, CASPERS et al. 1995) haben sich mit den Zusammenhängen zwischen Meeresspiegelschwankungen und Phasen transgressiver bzw. regressiver Küstenentwicklung befasst. Im Hinblick auf Höhenänderungen des Meeresspiegels vermitteln die geologischen Befunde aus den Watten und Marschen das Bild eines nacheiszeitlich, generell ansteigenden Meeresspiegels, wobei sich die Anstiegsrate ab ca. 6500 J.v. h. allmählich verringert. Dabei ist ein zyklischer Wechsel von Phasen mit verlangsamtem bzw. beschleunigtem Ansteigen des Meeresspiegels zu erkennen.

    Das Subatlantische Pessimum (ca. 3150-2500 J.v.h.) brachte z.B. kalte Temperaturen mit sich (nach LAMB, 1977 lagen die Temperaturen ca. -2°C unter den heutigen). Zudem gibt es Anzeichen für mehr Niederschläge in dieser Zeit (siehe LAMB, 1977 und FAIRBRIDGE, 1987). Demzufolge beschreibt LOZAN, 1998 ein Anwachsen der Gletscher und FREUND & STREIF, 2000 einen Meeresspiegelabfall der Nordsee.

    Um 460 J.v. h. (cal. 1410–1465 n. Chr.) kommt es (den Sedimenthorizonten nach) auf Borkum, Memmert und Juist zu einem Absinken des Meeresspiegels, was vermutlich auf die beginnende Klimaverschlechterung der Kleinen Eiszeit zurückzuführen ist. Auf Juist gibt es einige Hinweise dafür, dass der Meeresspiegel in dieser Phase um 60-120 cm abgesunken sein könnte.

    FREUND & STREIF (1999 bzw. 2000) Kommen zu den Schluss: „Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Klimaveränderungen und Meeresspiegelanstieg lässt sich festhalten, dass es in den vergangenen 2000 Jahren natürliche, vom anthropogenen Treibhauseffekt völlig unbeeinflusste Änderungen des mittleren Tidehochwassers gegeben hat, deren Ausmaß den heute prognostizierten Zahlen entspricht. Die Ostfriesischen Inseln als solche waren dabei aber nie in ihrem Bestand gefährdet, obgleich es natürlich zu tief greifenden Veränderungen der Inselgestalt oder wie bei der Insel Buise auch zum Untergang einer Insel kam. Um verlässliche Prognosen in die Zukunft zu stellen, ist es daher wichtig, die Klimaänderungen der jüngsten geologischen Vergangenheit genau zu kennen und deren Auswirkungen auf das mittlere Tidehochwasser zu erfassen.“

    Literaturverzeichnis in der oben genannter Reihenfolge

    BEHRE, K.-E., & B. MENKE (1969): Pollenanalytische Untersuchungen
    an einem Bohrkern der südlichen Doggerbank.
    Dt. Akad. Wiss. Berlin, Beiträge zur Meereskunde, 24/25:
    122 – 129. Berlin.

    MENKE, B. (1976): Befunde und Überlegungen zum nacheiszeitlichen
    Meeresspiegelanstieg (Dithmarschen und Eiderstedt,
    Schleswig-Holstein). Probl. Küstenforsch. südl. Nordseegebiet,
    11: 145 – 161. Hildesheim.

    LUDWIG, G., MÜLLER, H., & H. STREIF (1979): Neuere Daten zum
    holozänen Meeresspiegelanstieg im Bereich der Deutschen
    Bucht. Geol. Jb., D 32: 3 – 22. Hannover.

    BEHRE, K.-E., DÖRJES, J., & G. IRION (1984): Ein datierter Sedimentkern
    aus der Nordsee. Probl. Küstenforsch. südl.
    Nordseegebiet, 15: 135 – 148. Hildesheim.

    STREIF, H. (1990): Quaternary sea-level changes in the North
    Sea, an analysis of amplitudes and velocities. In: BROSCHE, P.,
    & J. SÜNDERMANN [Eds.]: Earth’s Rotation from Eons to Days.
    Berlin [u. a.], 201 – 214.

    STREIF, H. (1990): Das Ostfriesische Küstengebiet – Nordsee,
    Inseln, Watten und Marschen. Sammlung Geologischer Führer,
    57. Berlin und Stuttgart.

    CASPERS, G., JORDAN, H., MERKT, J., MEYER, K.-D., MÜLLER, H.,
    & H. STREIF (1995): III Niedersachsen. In: BENDA, L. [Hrsg.]:
    Das Quartär Deutschlands. Berlin und Stuttgart, 23 – 58.

    EISMA, D., MOOK, W. G., & C. LABAN (1981): An early Holocene
    tidal flat in the Southern Bight. Spec. Publ. int. Ass. Sediment.,
    5: 229 – 237. Oxford.

    BEHRE, K.-E., Probleme der Küstenforschung, Bd.28, Isensee-Verlag, Oldenburg, 2003

    BEHRE, K.-E., & H. STREIF (1980): Kriterien zu Meeresspiegel und
    darauf bezogenen Grundwasserabsenkungen. Eiszeitalter
    und Gegenwart, 30: 153 – 160. Hannover.

    STREIF, H. (1982): The occurrence and significance of peat in the
    Holocene deposits of the German North Sea coast. ILRI Publication
    30, Proceed. of the Symposium on Peat Lands
    below Sea Level: 31 – 41. Wageningen.

    BEHRE, K.-E. (1986): Meeresspiegeländerungen und Besiedlung
    während der Zeit um Christi Geburt in den Nordseemarschen.
    Offa, 43: 45 – 53. Neumünster.

    LAMB, H.H. (1977): Climate: Present, past and future. Methuen & Co Ltd., London, pp 423-461.

    FAIRBRIDGE, R.W. (1987): Climate variation, historic record. In: Oliver, J.E. an Fairbridge, R.W. (eds.): The Encyclopedia of Climatology. Van Nordsrand Reinhold Company, New York, pp. 305-319.

    LOZAN, J.L. (1998): Einfluß des Klimas auf die Kulturgeschichte der Menschheit. In:Lozan, J.L., Graßl, H. and Hupfer, P. (eds.): Warnsignal Klima. Wissenschaftliche Fakten. Wissenschaftliche Auswertungen, GEO, Hamburg, pp. 82-89.

    FREUND, H. & STREIF, H. (1999 bzw. 2000):
    Natürliche Pegelmarken für Meeresspiegelschwankungen der letzten 2000 Jahre
    am Beispiel der Insel Juist.
    – Petermanns Geographische Mitteilungen, 143, 34-45.

    FREUND, H. & STREIF H. (2000): Natural sea-level indicators recording the fluctuations of the mean high tide level of the Southern North Sea. – Wadden Sea Newsletter, 2, 16-18.

    Das ist übrigens Grundlagenwissen für Studenten der Ozeanographie.

    [Antwort: Lieber Herr Schindler, mit dem langfristigen Verlauf habe ich keine Probleme, also dem steilen Anstieg zu Beginn des Holozäns und der dann folgenden Verlangsamung mit dem Ende der Eisschmelze und dem allmählichen nachlassen der Landabsenkung. Das ist in der Forschung allgemein akzeptiert. Auch die von Ihnen zuvor verlinkte Grafik zeigt ja in den letzten 3000 Jahren einen Anstieg um 3 Meter, was gerade den von mir genannten 1 mm/Jahr nacheiszeitlicher Landabsenkung entspricht. Wie gut die überlagerten kurzfristigen Schwankungen in ihrer Amplitude und Zeitdauer belegbar sind und wie representativ sie für die großräumige Entwicklung sind ist eine andere Frage, zumal fast keine Ihrer Quellen auf begutachtete wissenschaftliche Fachliteratur verweist, was erstmal der normale erste Schritt zu einer wissenschaftlichen Diskussion und möglichen Akzeptanz ist. Gerade das Wattenmeer ist eine sehr dynamische Umgebung, wo sich die lokale Küstenlinie und Amplitude der Tide durch Sandtransport verändert. Für unsere Feldarbeit in North Carolina war es daher wichtig Orte auszuwählen, die möglichst wenig von lokalen Effekten beeinflusst sind, und außerdem die Daten aus mehreren Orten im Abstand von hunderten Kilometern zu reproduzieren. Diese Fragen haben bei der Begutachtung der Studie durch PNAS eine wichtige Rolle gespielt. Stefan Rahmstorf]

  13. MSPL-Anstieg: exponentiell ?

    Hier der Ansatz von Hansen:

    http://www.columbia.edu/…nlandIceSheetUpdate.pdf
    Die ersten Jahrzehnte (ab jetzt) ist das exponentielle MSPL-Anstiegsverhalten durch Messergebnisse kaum zu erkennen, während in weiterer Folge der Eisverlust so stark wird, daß “Heinrich-Ereignisse” ausgelöst werden, die die Globale Erwärmung kurzfristig bremsen; siehe Seite 6 des papers.

    Nach diesem Modell stiege der MSPL von 2065 auf 2080 von 0,6m auf 1,4m (rel. zu 2010)

  14. DrMayer

    Es sind solche Titelblätter, die mir immer wieder in Diskussionen um Klima-Alarmismus vorgehalten werden: Hoffnungslos übertriebene Fluten oder Trockenwüsten. Warum muss so etwas sein? Diese Art von Titelblättern erreichen genau das Gegenteil von “den Menschen etwas klar machen”. Es gibt doch so viele bessere Möglichkeiten, die schockierenden Änderungen des Klimas mit Bildern zu untermalen.

  15. Seriosität der Quellen

    … , zumal fast keine Ihrer Quellen auf begutachtete wissenschaftliche Fachliteratur verweist, was erstmal der normale erste Schritt zu einer wissenschaftlichen Diskussion und möglichen Akzeptanz ist.

    Herr Rahmstorf, diesbezüglich kann ich Ihre Meinung nicht teilen und nachvollziehen. Prof. Karl-Ernst Behre ist Experte der historischen Küstenforschung und wurde mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet.

    http://www.nihk.de/index.php?id=235

    Selbiges gilt für die anderen von mir genannten Quellen. Deren Forschung in Abrede zu stellen, bzw. anzuzweifeln, halte ich für nicht angebracht.

    Es gibt nun mal diverse Quellen, die keinen “Hockeyschläger”-Verlauf des Meeresspiegels der letzten zwei Jahrtausende anzeigen. Daher halte ich den “Hockeyschläger”-Verlauf eher für zweifelhaft.

  16. Wissenschaft?

    es ist traurig, wenn sich NATIONAL GEOGRAPHIK zu solchen reisserischen Aufmachungen hinreissen lässt. Ich hatte erwartet, dass sie, Herr Rahmstorf, deutlich heftiger kritisieren würden.

    Kollege R. Böhm (RIP) sagt zum Meerespiegel sinngemäß:
    selbst, od. gerade wenn wir die nächsten Dekaden ungebremst weiter fossile Stoffe verbrennen, werden wir spätestens im nächsten Jahrhundert deutlich weniger CO2 emittieren können, da die Resourcen knapp werden. Nach wenigen Jahrhunderten ist dann auch mit einem deutlichen Abfall der ppm`s in der Luft zu rechnen und auch das Klima wird sich, langsam aber doch, über ein paar Jahrhunderte wieder auf in etwa das heutige Niveau anpassen.

    Egal welche Szenarien sie hernehmen, ein massives Abschmelzen des grönländischen Eispanzers ist über 200-300 Jahre nicht zu erwarten und die Antarktis könnte über diesen Zeitraum sogar negativ zum Meerespiegelanstieg beitragen.
    Ich denke, alle Illustrationen mit mehreren Metern Meerespiegelanstieg sind höchst unseriös.

  17. weitere Daten

    Neben der Beweisführung durch Proxis in der peer-reviewten Literatur, wird der Hockeystick-Verlauf des Meeresspiegeanstiegs auch durch die gemessenen Bahndaten des Erde-Mond-Systems nachgewiesen ( Jerry Mitrovica, Harvard). Ein Meeresspiegelanstieg über die letzten Jahrhunderte, in vergleichbarer Größe zu heute, hätte entsprechende tidenbedingte Rückkoppelungen in der Erhaltung des Systemdrehimpulses, i.e. der Veränderung der Mond-Erde Distanz zur Folge gehabt. Die beobachteten Mond- respektive Sonnenfinsternisse hätten demnach nicht an den historisch überlieferten Daten stattfinden können.

    [Antwort: Danke für den Hinweis – dieses Resultat kenne ich noch nicht, ich frage mal bei Jerry nach, oder haben Sie die Quelle zur Hand? Stefan Rahmstorf]

  18. Ich frage mich schon lange was die IPCC-nahen Klimaforscher mit diesen Alarmismus und dessen wissenschaftlicher Begründung eigentlich erreichen wollen. Das Ziel sollte ja eigentlich sein, die Menschen für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur zu sensibilisieren.

    Dazu wäre es zwingend erforderlich, die Problematik allgemeinverständlich und vor allem plausibel darzustellen. Klima ist eine extrem komplexe Materie mit unzähligen unbekannten oder noch nicht hinreichend verstandenen Wechselwirkungen.

    In anderen Sparten der Wissenschaft ist die Komplexität ähnlich, aber dort wird ganz anders damit umgegangen. Mal ein Beispiel: Niemand weiß wirklich wodurch die Dinos ausgestorben sind. Es kommen mehrere Ursachen in Frage und deshalb gibt es unterschiedliche Theorien. Es würde kein Wissenschaftler auf die Idee kommen sein Szenario als die alleinige Wahrheit zu verkaufen und alle anderen Forscher für blöd zu erklären nur weil 99% seiner Mitarbeiter an diese Hypothese glauben. Nein, die Dinge werden als das benannt was sie sind, nämlich Theorien mit unterschiedlich hohen Wahrscheinlichkeiten. Und das ist auch gut so und wird von den Menschen verstanden. Niemand würde einen Dino-Forscher Vorwürfe machen weil er die Ursache des Aussterbens noch nicht zweifelsfrei herausgefunden hat.

    Ich habe keinerlei Zweifel an der fachlichen Kompetenz von Herrn Rahmstorf und seinen IPCC Kollegen. Es kann ja durchaus sein dass sie mit ihrer “Das CO2 ist die Hauptursache” Meinung am Ende Recht haben werden. Nur sollte man nicht so tun als ob diese Wissenschaft quasi abgeschlossen ist. Gefragt ist vielmehr ergebnisoffene Forschung.

    [Antwort: Lieber Herr Binikowski, der IPCC betreibt keinen “Alarmismus”, sondern hat in der Vergangenheit viele Entwicklungen unterschätzt. Und dass CO2 die Hauptursache der aktuellen globalen Erwärmung ist, ist auch keine “Meinung”, sondern das Ergebnis von Jahrzehnten ergebnisoffener Forschung. Es gefällt nur manchen Menschen nicht – trotzdem ist es Pflicht der Wissenschaft, darauf hinzuweisen, genau wie auf den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs.

    Im IPCC-Bericht finden Sie die Evidenz in all ihrer Komplexität diskutiert, ebenso wie natürlich sämtliche Daten zu allen Faktoren, die die Energiebilanz unseres Planeten beeinflussen, Sonnenaktivität, Vulkanismus, Erdbahnzyklen, andere Gase und Aerosole. Selbstverständlich weden alle Unsicherheiten diskutiert und die Resultate als Wahrscheinlichkeiten angegeben. Durch die akkumulierten Daten ist der IPCC im Laufe der Jahre immer sicherer geworden, dass der Mensch die Hauptursache der modernen Erwärmung ist. Im kommenden Bericht wird dies als “extrem wahrscheinlich” eingeschätzt, im vorigen aus dem Jahr 2007 galt dies nur als “sehr wahrscheinlich”, in den früheren Berichten wurde die Sicherheit noch geringer eingeschätzt. Die Evidenz ist aber (leider) inzwischen überwältigend. Die Augen davor zu verschließen wird das Problem leider nicht lösen. Stefan Rahmstorf]

  19. Der Mehresspielgelanstieg..

    ..ist sicher nicht das Hauptproblem.
    “Nach wenigen Jahrhunderten ist dann auch mit einem deutlichen Abfall der ppm`s in der Luft zu rechnen und auch das Klima wird sich, langsam aber doch, über ein paar Jahrhunderte wieder auf in etwa das heutige Niveau anpassen.”
    Das ist richtig. Die Frage ist, in welcher Form die irdischen Flora und Fauna den dadurch verursachten raschen Klimawandel überstehen wird und ob höhere Säugetiere einschließlich der Spezies Mensch dazugehören. Das sachlich überzogene “Bild” einer Freiheitsstatue im Wasser könnte in diesem Sinne vergleichsweise harmlos sein.

    [Antwort: Auch nach Erreichen von Null-Emissionen wird die globale Temperatur noch gut 1000 Jahre erhöht bleiben und kaum sinken, weil sich das CO2 so lange in der Atmosphäre hält – siehe z.B. Solomon et al. PNAS. Nur durch aktives Entfernen von CO2 könnte man das Klima innert Jahrhunderten wieder zurück auf das jetzige Temperaturniveau herunterkühlen. Stefan Rahmstorf]

  20. @Jochen Binikowski

    Es ist bedauerlich, dass Sie hier das eindimensionale Skeptiker-Schlagwort „Alarmismus“ verwenden und dabei offenbar nicht wissen, dass der sich gegenwärtig abzeichnende globale Klimawandel nur der bislang letzte in einer Reihe ähnlicher Prozesse ist. Wobei der Verlauf und die Auswirkungen dieser Prozesse nicht unbedingt optimistisch stimmen. Es ist inzwischen eine paläoklimatologische Binsenweisheit, dass nahezu jede gravierende Klimaänderung in der Erdgeschichte Massenaussterben oder zumindest tiefe Einschnitte in der Biodiversität zur Folge hatte. Allein aus dem Känozoikum sind mit dem Paläozän-Eozän-Temperaturmaximum, dem Eozän-Thermalmaximum 2, dem Azolla-Ereignis oder dem Grande Coupure mehrere Klimakrisen bekannt, die erhebliche ökologische Folgen nach sich zogen. Und an allen diesen Krisen waren die relevanten Treibhausgase Kohlenstoffdioxid und Methan direkt oder indirekt beteiligt.

    Der Unterschied zum gegenwärtigen Erwärmungsnuster liegt darin, dass einige dieser Prozesse nach geologischen Maßstäben rasend schnell abliefen, unter menschlichem Blickwinkel betrachtet jedoch ausgesprochen schleppend. So benötigte das PETM bis zur vollen Ausprägung rund 20.000 Jahre, während die anthropogene Erwärmung bereits nach einem Jahrhundert signifikante Zeichen setzt (wobei wir erst ganz am Anfang dieser Entwicklung stehen).

    Letztlich ist es auch kein Argument, dass in der Klimatologie nicht alle Einflussfaktoren und deren Wechselbeziehungen zu 100 Prozent bekannt sind. Ein Beispiel dafür sind die Dansgaard-Oeschger-Ereignisse, die während des letzten Eiszeitalters dutzendfach auftraten, mit einer lokalen Erwärmung von etwa 8 Grad C innerhalb von nur zehn Jahren. Andererseits zeigen Prozesse wie dieser jedoch klar auf, dass es unter Umständen nur geringfügiger Parameter-Änderungen bedarf, um gravierende Klimawechsel zu bewirken.

    Unter diesem Aspekt ist der Ausspruch des Ozeanographen Roger Revelle aus dem Jahre 1980 geradezu hellsichtig: “Die Menschheit hat ein großangelegtes geophysikalisches Experiment begonnen, das es in dieser Form weder in der Vergangenheit gab, noch in Zukunft wiederholt werden könnte.”

  21. Nachtrag zu : weitere Daten

    In meinem Beitrag bezog ich mich auf den äusserst interessanten Vortrag “The Fingerprints of Global Sealevel Rise” von Jerry Mitrovica. Der Link zu youtube: http://www.youtube.com/watch?v=RhdY-ZezK7w. Der von mir angesprochene Teil zum Erde-Mond System beginnt ab 9:44 min.

  22. ” Die Augen davor zu verschließen wird das Problem leider nicht lösen.”

    Genau diese Argumentation meine ich wenn ich von kontraproduktiv rede. Sie unterstellen, dass alle die nicht bedingungslos der IPCC Lehre vetrauen, verantwortungslose Zeitgenossen sind denen die Zukunft ihrer Kinder und Enkel schnuppe ist und die zudem von der Kohleindustrie gekauft sind.

    Ich bin mir ziemlich sicher das genau das Gegenteil der Fall ist. Der springende Punkt wird in der ganzen hitzigen Diskussion nämlich völlig aus dem Auge verloren: Es ist ohne praktische Relevanz ob die gestiegenen Tempraturen und CO2-Anteile antrophogene, natürliche oder eine Kombination von beiden Ursachen geschuldet sind!

    Es ist nämlich nicht nur ein physikalisches Problem. Seit 1880 hat sich die Weltbevölkerung, und damit der Nahrungs- und Energiebedarf, vervielfacht. Das ist bislang leider viel zu sehr auf Kosten der Umwelt geschehen. Wir können die Zeit nun mal nicht zurückdrehen sondern müssen aus den gemachten Fehlern lernen.

    Nach dem jetzigen Stand der Technik ist es unmöglich den Lebensstandard von 7 Mrd. Menschen völlig Umwelt- und klimaneutral zu gewährleisten. Es kann derzeit also nur um Schadensbegrenzung gehen. Das ist aber nur möglich wenn die vorhandenen Mittel optimal eingesetzt werden. Gefragt sind pragmatische Lösungen, Denkverbote bringen nichts.

    Das Hauptproblem steigender Temperaturen ist mit Sicherheit der Meeresspiegel. Deshalb sollten wir uns lieber mit der Frage beschäftigen wie man Wasser von den Ozeanen aufs Land bringen kann. Da gibt es zahlreiche Möglichkeiten die sich vermutlich noch optimieren lassen und wahrscheinlich auch noch positive Nebeneffekte haben.

    Wenn man hingegen nur Katastrophenszenarien an die Wand malt und die Schuld immer nur bei anderen sucht wird sich garantiert keine junge Generation entwickeln die kreativ und tatkräftig die Probleme angeht.

  23. IPCC hat unterschätzt ???

    “Lieber Herr Binikowski, der IPCC betreibt keinen “Alarmismus”, sondern hat in der Vergangenheit viele Entwicklungen unterschätzt. “

    Hr Rahmstorf,
    wieso behaupten sie sowas wenn 2 clicks genügen es zu wiederlagen?
    oder ist die graphik von big-oil oder bösen skeptikern gefälscht ?
    soll ich mehr IPCC unsinn zitieren?

    http://www.google.de/…;ved=1t:429,r:70,s:0,i:295

    [Antwort: Auch hier würde ich wieder empfehlen, Grafiken aus der begutachteten Fachliteratur zu nehmen statt von Klimaskeptikerwebsites oder eine fehlerbehaftete und längst korrigierte Grafik aus einer früheren Entwurfsfassung des IPCC-Berichts. Stefan Rahmstorf]

  24. Wegbrechende Kohlenstoffsenken

    Das Erdsystem scheint immer weniger anthropogen erzeugtes CO2 absorbieren zu können. Das müßte sich in einer beschleunigten Zunahme der CO2-Konzentration in der Luft äußern.
    Mittlerweile haben wir eine Zunahme von 3ppm/year
    http://co2now.org/
    Ist es also denkbar, daß sich die Zunahme der CO2-Konzentration in der Luft bei der jetzigen CO2-Ausstoßrate aufgrund der wegbrechenden Kohlenstoffsenken auf 5 oder 6ppm/year erhöht? Das wäre ja ganz übel!

  25. Komplexes Klimasystem

    Zitat von Herrn Schindler aus einem der obigen Kommentare:

    “Gerade in der Ostantarktis, wo sich die größten Eismassen dieser Erde befinden, ist es aber sehr kalt. (…) Selbst im antarktischen Hochsommer werden dort kaum Temperaturen über den Gefrierpunkt erreicht.”

    Die Wirklichkeit präsentiert sich hingegen wieder einmal etwas vielschichtiger. Gerade in der Klimatologie sind lineare bzw. monokausale Erklärungsmodelle mit Vorsicht zu genießen, da es meistens anders kommt, als man denkt:

    http://www.scinexx.de/…ell-16589-2013-08-29.html

    Dies gilt auch für die meines Erachtens zu einfache Formel “Weniger CO2 = keine globale Erwärmung”. Das ist auf lange Sicht durchaus richtig, aber auf dem Weg dorthin könnte ein ganzes Bündel an Rückkopplungsmechanismen zur Geltung kommen, die diesen Prozess möglicherweise erheblich verzögern (Methan-Freisetzung aus Permafrostböden, Eis-Albedo-Rückkopplung, vermehrte CO2-Ausgasung der Ozeane usw.).

  26. @Reinhard Koehrer – Ostantarktis

    Zum Eisschild der Ostantarktis schreibt das IPCC 2007

    For East Antarctica, growth of 20 ± 21 Gt yr–1 was indicated …

    Der Link zum IPCC/ Fig. 4.19.

    http://www.ipcc.ch/…/ar4/wg1/en/ch4s4-6-2-2.html

    Zu den Temperaturen in der Antarktis

    http://www.uni-koeln.de/…os/synNNWWantarctis.gif

    [Antwort: Das ist jetzt schon ein sehr selektiv zitierter Halbsatz – ich empfehle jedem Leser, dem Link zu folgen und die gesamte Passage zu lesen. Der IPCC-Bericht beginnt an dieser Stelle eine Übersicht über verschiedene Studien mit der ältesten aus dem Jahr 2002, in der ein solches Wachstum gefunden wurde. Das Fazit des IPCC im Lichte aller Studien sieht dann ganz anders aus. Ich bitte um seriöses Zitieren! Ich gehe davon aus, dass unsere Leser an der Wahrheitsfindung interessiert sind und nicht an Tatsachenverdrehung durch aus dem Kontext gerissene Halbsätze.

    Noch eine ergänzende Info zum Thema: ich komme gerade aus einem Vortrag hier beim internationalen Paläoozeanographie-Kongress, in dem Belege dafür gezeigt wurden, dass der Ostantarktische Eisschild im Pliozän deutlich zurückgegangen ist, obwohl es da auch nur 2-3 Grad wärmer war als heute. Das ist nur ein Beispiel von vielen Studien, die zeigen, dass die Eismassen wesentlich dynamischer reagieren als früher gedacht. Es geht hier um Fließbewegungen, nicht um das Schmelzen an der Oberfläche, das angesichts der kalten Temperaturen in der Antarktis kaum eine Rolle spielt.

    Stefan Rahmstorf]

  27. @Prof. Rahmstorf – Ostantarktis

    Das ist jetzt schon ein sehr selektiv zitierter Halbsatz …

    Ich zitiere weiter in Auszügen für die Ostantarktis (IPCC 2007)

    … For East Antarctica, growth of 20 ± 21 Gt yr–1 was indicated, … , East Antarctic gain of 17 ± 11 Gt yr–1 … The same pattern of East Antarctic thickening … (Figure 4.19)…

    Der Link

    http://www.ipcc.ch/…/ar4/wg1/en/ch4s4-6-2-2.html

    Ich denke Fig. 4.19. spricht auch für sich

    http://www.ipcc.ch/…/ar4/wg1/en/figure-4-19.html