Hurrikan Dorian: Kategorie 6?

Eine offizielle Kategorie 6 für Hurrikane gibt es nicht. Gäbe es sie, hätte Dorian am Sonntag die Stärke 6 erreicht.

Die Stärke von Erdbeben messen wir auf der „nach oben offenen Richterskala“, wie es immer so schön heißt. Und Hitzewellen auf der nach oben offenen Celsiusskala. Warum also hört die Saffir-Simpson-Hurrikanskala bei Stärke 5 auf?

Die Gründe dafür sind historischer Natur: die Stärkenskala diente der Warnung der Bevölkerung vor den zu erwartenden Sturmschäden. Salopp gesagt: ab Stärke 5 ist ohnehin alles kaputt, daher schien eine noch höhere Warnstufe überflüssig. So argumentiert auch dieser Tage das Wall Street Journal gegen die Einführung einer Kategorie 6.

Andererseits: aus der Perspektive der Wissenschaft, zum Beispiel zur Erstellung von Statistiken über die Häufigkeit verschiedener Sturmstärken, gibt es keinen vernünftigen Grund, bei Kategorie 5 aufzuhören – zumal in einer Zeit steigender Tropensturmstärken im Zuge der globalen Erwärmung. Zudem würde bei einem Sturm der Kategorie 6 die Sturmflut noch deutlich höher ausfallen als bei Kategorie 5, sodass es auch zu Warnzwecken für Sturmfluten keine sinnvolle Obergrenze gibt. Daher gibt es seit Jahren immer wieder Diskussionen unter Hurrikanexperten, ob die traditionelle Saffir-Simpson-Skala nach oben erweitert werden sollte. Einer der bekanntesten Wetterblogs der USA hat sich sogar Category 6 genannt.

Bei welcher Stärke würde die Kategorie 6 anfangen? Die Saffir-Simpson-Skala beruht auf der maximalen, über eine Minute gemittelten Windgeschwindigkeit. Wer einmal Wind gemessen hat (ich habe als Doktorand zu Windmessungen auf See publiziert) der weiß, dass Windböen auf allen Zeitskalen schwanken können, sodass die Angabe einer Zeitspanne notwendig ist. Die Abhängigkeit der Kategorie von der Windgeschwindigkeit ist nicht ganz linear, siehe die folgende Grafik. Klar ist dennoch: eine neue Kategorie 6 würde bei 295 oder 300 km/h Windgeschwindigkeit anfangen (siehe Fußnote).

Die Saffir-Simpson-Hurrikanstärke in Abhängigkeit von der (über eine Minute gemittelten) Windgeschwindigkeit. Der Beginn der hypothetischen Kategorien 6 und 7 ist hier bei Winden von 300 bzw. 345 km/h angesetzt.

Die freigesetze Energie und damit potenzielle Zerstörungskraft steigt übrigens mit der Windgeschwindigkeit hoch drei – ein Sturm von 300 km/h hat damit 60 Prozent mehr Zerstörungskraft als einer von 255 km/h.

Das National Hurricane Center der USA hat die Windgeschwindigkeit von Dorian beim Auftreffen auf Great Abako Island mit 300 km/h als gleich stark mit dem verheerenden Labor Day Hurrikan von 1935 eingestuft – dem stärksten jemals auf Land getroffenen Hurrikan im Atlantik. Damit wäre Dorian beim „landfall“ ein Tropensturm der Stärke 6 gewesen – wenn es diese denn gäbe. Die Berichte über die Verwüstungen sind entsprechend schrecklich.

Der bislang stärkste Hurrikan der Welt, Patricia, hätte mit Winden von 345 km/h sogar Kategorie 7 erreicht. Zum Glück traf er erst abgeschwächt als Sturm der Kategorie 4 auf Land!

Die stärksten Tropenstürme der Satellitenära (homogenisierte Satellitendaten von Velden et al. 2017, aktualisiert) in den acht Tropensturmregionen. Hintergrund: Karte aller Tropensturmzugbahnen von Robert Rohde.

Fußnote

Das National Hurricane Center gibt die Windgeschwindigkeiten immer gerundet auf volle 5 Knoten, Meilen pro Stunde oder Kilometer pro Stunde an. Seit einer Revision der Skala 2012 (pdf) sind die Grenzen der Hurrikanstufen so festgelegt, dass es durch Umrechnung zwischen den Einheiten nicht zu Einordung in eine andere Hurrikanstufe kommen kann.

Weblink

Mein Beitrag bei Spiegel Online zu Dorian: Warum der Klimawandel Tropenstürme gefährlicher macht

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

9 Kommentare

  1. Vielleicht wichtiger als Hurrikane noch nie dagewesener Stärke sind Hurrikane an noch nie dagewesener Stelle, denn wo kein Hurrikan erwartet wird, kann er immense Schäden anrichten.

    Hurrikan Sandy beispielsweise flutete Teile der New Yorker Untergrundbahn und Meerwassereintrag in den Untergrund wirkt sich wohl korrosiv auf die Fundamente vieler Hochhäuser aus. Sollten sich solche Ereignisse in New York wiederholen, könnte das den Beginn des Endes von beispielsweise Lower Manhattan bedeuten.

  2. Es muss nicht unbedingt Labor Day (295 km/h in 1935) sein. Bei einem Besuch in den Everglades in 1980 fiel mir auf, dass auch Donna (230 km/h in 1960) und Betsy (205 km/h in 1965) besonders erwähnt wurden. Die Schäden in den Mangrove-Wäldern waren enorm. Wie nach einem Feuer erholt sich die Vegetation davon wieder im Gegensatz zu den Gebieten, die dem Bevölkerungszuwachs zum Opfer fallen.

    In den USA sind die Schäden meist sehr groß, werden aber bald wieder repariert. Anders sieht es in der Karibik aus. Auf Kuba leben die Betroffenen Jahre lang in Ruinen und erhalten nur sehr zögernd Hilfe beim Wiederaufbau.

  3. Wieso steigt die Zerstörungskraft mit der Windgeschwindigkeit hoch drei an?
    Die kinetische Energie steigt doch mit der Geschwindigkeit hoch zwei:
    1/2 x m x v (hoch) 2

  4. Würde eine Warnung vor Kategorie 6 nicht bewirken, dass mehr sich entscheiden, sich in Sicherheit zu bringen? Schon allein deshalb sollte man die Kategorie einführen.

  5. Herr Rahmstorf, Sie schreiben von steigenden Tropensturmstärken im Zuge der globalen Erwärmung und verlinken auf einen Artikel im „Spiegel-online“, wo Sie dies näher erläutern.

    Ihre Fachkollegen Michael Mann und Andrew E. Dessler schrieben entsprechendes hier:
    https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/sep/04/climate-crisis-hurricane-dorian-floods-bahamas

    Judith Curry hat hierzu auf ihrem Blog einen Beitrag gepostet der bereits „kräftig“ kommentiert wird:
    https://judithcurry.com/2019/09/07/alarmism-enforcement-on-hurricanes-and-global-warming/
    Sie bezieht in ihren Beitrag die neue zweiteilige Publikation der WMO ein, die von 11 Wissenschaftlern verfasst wurde:
    Tropical Cyclones and Climate Change Assessment: Part I.
    Detection and Attribution Tropical Cyclones and Climate Change Assessment: Part II. Projected Response to Anthropogenic Warming
    sowie ihre eigene Studie ein und beschreibt auch den Fehlalarm vom Präsident Trump bezüglich einer Gefährdung von Alabama durch den Wirbelsturm Dorian.

    Die WMO-Publikation kommt, so wie auch schon J. C. zuvor in ihrer Studie, zum Schluss, dass nach wie vor ein eindeutiges „Signal“ einer Beeinflussung der Wirbelsturmaktivität durch das AGW fehle.
    Zum gleichen Schluss war auch schon vor einigen Jahren der AR5 des IPCC gekommen.

    Da die WMO sicher nicht der „Klimawandelleugner-Szene“ zuzurechnen ist, gehe ich davon aus, dass dies der aktuelle Stand der Klimawissenschaft ist, was hier publiziert wurde.

    • Diesen WMO-Bericht zitiere ich ja wörtlich bei Spiegel Online, und ich bin im engen Kontakt mit einem der Autoren des Berichts und habe meine Aussagen vorher mit ihm diskutiert und abgestimmt. Hier nochmal die Kernaussage des WMO-Berichts im englischen Original:

      Ten of 11 authors concluded that the balance of evidence suggests that there is a detectable increase in the global average intensity of the strongest (hurricane-strength) TCs since the early 1980s, while one author believes that at least half of the observed increase is due to improving observations during the period. Eight of 11 authors concluded that the balance of evidence suggests anthropogenic forcing has contributed to the increase in global average TC intensity.

      Einen endgültigen Nachweis zu finden ist bei den Trends Extremereignissen generell angesichts der begrenzten Datenqualität und der Seltenheit gerade der extremsten Ereignisse schwierig, aber die Summe der Belege deutet eben stark auf eine Zunahme hin. Ich hoffe Sie orientieren sich am Originaltext der WMO-Autoren und nicht daran, was Judith Curry daraus macht!

  6. @Rahmstorf
    Ja, Sie haben in Spiegel-online auch den WMO-Bericht genannt, nur haben Sie nicht das zitiert oder wiedergegeben, was ich als zusammenfassende Aussage zum Gesamtergebnis aus den abstracts und den summaries beider Teile der Studie entnommen habe, Sie greifen mitten aus dem Text eine einzelne Aussage heraus.

    Das wörtliche Zitat aus dem abstract und die Schlusssätze von summary and conclusions:
    „Confidence in future TC projections relies on confidence in both of these tasks, and will depend on three main factors: i) level of scientific understanding of the physical mechanisms underlying the projected changes; ii) robustness of TC projections across models/studies and our confidence in the capability of models for making such TC projections and the related environmental projections, as discussed below; and iii) existence or not of supporting evidence for the future projected TC changes based on detection of anthropogenic signals in observations.”
    “We provide recommendations on TC metrics for future studies in Supplemental Material. Reducing uncertainties in climate model projections of TC-related environmental variables will be important for reducing downstream impacts of these uncertainties on TC projections. Improved theories (e.g., for TC genesis), improved process understanding of TC responses to climate change, higher resolution coupled model experiments, long-term observational programs, homogeneous climate-quality datasets, and combined model-observational analyses (e.g., detection and attribution) all should eventually help confirm or refute modeled projections and are important for future progress in the field.”

    Zu Ihrem Zitat. Diesen Satz (Ten of 11 authors concluded…) finde ich in Teil 1 im Abschnitt „d) Case Study: Trends in global TC intensity“.
    In den abstracts findet man eine zwar teilweise inhaltsgleiche Formulierung, jedoch ist diese entsprechend den IPCC-reports bezüglich ihrer angenommenen Eintreff-Wahrscheinlichkeit gewichtet, was ihre eine andere Aussagekraft verleiht:
    „iii) For TC intensity, ten of 11 authors had at least medium-to-high confidence that the global average will increase. The median projected increase in lifetime maximum surface wind speeds is about 5% (range 1–10%) in available higher resolution studies.“
    10 von 11 Autoren dieser Studie nehmen also mit einem mittleren-bis-höherem Vertrauen (in ihre eigene Aussage) an, dass die Stärke der Tropischen Zyklone zunehmen wird. Es ist damit eine Prognose mit noch ziemlich großer Unsicherheit, wie das ja auch aus dem summary hervorgeht.

    Wichtig ist auch festzustellen worauf sich dieser Schluss und die andern Kernaussagen im WMO-Papier beziehen. Sind es Beobachtungen und daraus abgeleitete Trends? Der erste Satz stellt dies klar:
    „Model projections of tropical cyclone (TC) activity response to anthropogenic warming in climate models are assessed. Observations, theory, and models, with increasing robustness, indicate rising global TC risk for some metrics — that are projected to impact multiple regions. A 2 °C anthropogenic global warming is projected to impact TC activity as follows.”
    Es sind also Modellberechnungen von Klimaforschern unter Annahme einer globalen Erwärmung von 2 °C und keine meteorologischen Trends. Berechnungen des Klimas sind auch immer wenn-dann-Berechnungen mit bestimmten Parametern, insbesondere dem TCS und/oder dem ECS, Werten die nach wie vor eine sehr große Schwankungsbreite haben. Die Autoren stellen sich im abstract (s.o.) auch die Frage, inwieweit sie den Modellen in ihrer Möglichkeit das Verhalten der TC vorherzusagen überhaupt vertrauen können und lassen die Antwort offen.

    Da es hier um ein WMO-Papier geht noch ein Link zur gerade getätigten Aussage des WMO-Generalsekretärs zum Klimaschutz und den Aktivisten, von der in den deutschen Medien nichts zu lesen war, obwohl diese extra darauf hingewiesen wurden, wie auch hier nachzulesen:
    https://www.theepochtimes.com/in-unprecedented-move-head-of-key-meteorological-organization-slams-climate-extremists_3076409.html
    Hinweis: die WMO ist eine der beiden Gründerorganisation des IPCC: https://www.ipcc.ch/about/

    • Da verwechseln Sie wohl Teil 1, der sich mit Beobachtungen befasst (“We assess whether detectable changes in tropical cyclone activity have been identified in
      observations”) und den Teil 2, der sich mit Modellsimulationen befasst. Ich habe aus Teil 1 zitiert – da wurden eine Reihe von möglichen Veränderungen der Tropenstürme untersucht, und ich habe die Aussage zur Zunahme der Sturmstärken zitiert. Denn um die Frage ging es mir: ob die Stürme stärker werden.

  7. @Martin Steiger (05.09.2019, 21:10 Uhr)
    Ich bin zwar kein Experte beim Thema “Zerstörungskraft von Orkanen”, aber als Physiker erkläre ich mir das folgendermaßen:
    Bei der Zerstörungskraft geht es um die freigesetzte Energie pro Zeiteinheit, also um die freigesetzte Leistung. Leistung ist in diesem speziellen Fall das Produkt aus Windkraft und Windgeschwindigkeit. Die Windkraft ist in dem betrachteten Geschwindigkeitsbereich direkt proportional zum Quadrat der Windgeschwindigkeit. Daher ist die freigesetzte Leistung pro Zeiteinheit direkt proportional zur Windgeschwindigkeit hoch drei.