Die Fahrt zum Schelfeis – Aufbruch mit Tücken

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Gastbeitrag von Tore Hattermann

Fünf Tage hat es gedauert, um bis zur Antarktisstation „Troll“ in Dronning Maud (siehe letzten Beitrag) zu kommen. Weitere fünf Tage sind vergangen, bis die gesamte Ausrüstung auf Schlitten verladen, die Verpflegung gepackt, Sicherheitsroutinen geprobt und die Vorhut zum Sichern der Route auf den Weg gebracht ist. Alles verlief planmäßig und ohne große Schwierigkeiten. Selbst das Wetter hat mitgespielt. An einem der zwölf-Stunden Tage fand ich sogar ein wenig Zeit, bei strahlender Sonne die Skiloipe in der Nähe der Station auszuprobieren.

Nachdem auch die letzten Spanngurte angezogen und alle Fahrzeuge aufgetankt sind, werden wir mit einem letzten guten Mittagessen auf Troll, sowie einem Schwung Weihnachts- und Neujahrsgrüße verabschiedet. Danach setzt sich unser Konvoi in Bewegung. Mit fünfzehn Stundenkilometern schleifen die schwer beladenen Schlitten über den Schnee. Auf diese Weise werden wir in den nächsten Tagen die rund 500 km bis zum ersten Bohrloch zurücklegen, wo wir unsere Messinstrumente in den Ozean hinab lassen wollen (siehe KlimaLounge-Beitrag).

Bis zum neuen Jahr sollte es mit dem Wiedersehen mit den Mechanikern der Troll Station allerdings nicht dauern. Bereits beim ersten Tankstopp nach 50 km finden wir eine Ölspur im Schnee. Hydraulikflüssigkeit tropft aus einem undichten Bremszylinder. Natürlich findet sich genau dieses Ersatzteil nicht in der umfangreichen Werkstatt, die wir hinter uns her ziehen. Glücklicherweise sind wir noch nicht allzu weit von „zu Hause“ entfernt, so dass man uns nach einem Telefonat mit dem Satellitentelefon innerhalb von einer Stunde mit dem Schneemobil zur Hilfe eilt.

Da wir uns inzwischen auf den 1700 m hohen Ausläufern des Wegener-Inlandeises befinden, fahren wir weiter bis in die sonnige Nacht hinein, bevor wir an einem etwas geschützteren Ort bei minus 25 Grad Celsius unser Lager aufschlagen. Optimistisch brechen wir am nächsten Morgen auf, aber bereits nach anderthalb Stunden müssen wir erneut starken Ölverlust an der gleichen Zugmaschine feststellen. Das brandneue Getriebe hat den Geist aufgegeben. Um die zwanzig Tonnen Last auf unseren Schlitten über den unebenen Untergrund zu ziehen kommt eine Spezialanfertigung mit besonders hoher Übersetzung zum Einsatz. Dementsprechend große Kräfte wirken auf den Antriebsstrang. Wieder sind Schneemobile von Troll unterwegs aber diesmal nimmt die Reparatur mehr als einen halben Tag in Anspruch. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Situation mit Gelassenheit zu nehmen. Schnell findet sich eine kleine Yoga-Gruppe in der wärmenden Mittagssonne zusammen – wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt die südlichste der Welt.
 
Die beiden vorausgereisten Fahrzeuge sind indes pannenfrei bis zur Übergangszone gelangt, an der das Eis vom Festland ins Meer fließt. In diesem Gebiet verändert sich die Fließynamik drastisch, weil das Eis an der Unterseite keinen Widerstand mehr erfährt sobald es zu schwimmen beginnt. Aufgrund der resultierenden Spannungen treten hier vermehrt Gletscherspalten auf. Bis zu zehn Meter breite Risse ziehen sich kilometerlang durchs Eis, an deren senkrechten Wänden sich tiefe Abgründe auftun. Oft sind diese Spalten mit Schnee gefüllt oder bedeckt und an der Oberfläche mit dem bloßem Auge nicht zu erkennen. Bevor wir diese Gegend befahren können, müssen wir sicherstellen, dass die „Schneebrücken“ fest genug sind, um die Last unserer Fahrzeuge zu tragen.

Zur Erkundung der Gletscherspalten kommt besonderes Radargerät zum Einsatz. Der sogenannte „Sniffer“ wird an einem Ausleger vor dem Fahrzeug über den Schnee geschoben und sendet ein elektromagnetisches Signal in den Untergrund, um anschließend dessen Reflektion zu messen. Insbesondere dort, wo sich die elektrische Leitfähigkeit des Materials senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Feldes stark ändert, wird die Strahlung auf charakteristische Weise reflektiert. Dies ist unter Anderem beim Übergang zwischen Eis und Schnee der Fall. Ähnlich wie bei seismischen Messungen lässt sich aus der Laufzeit des Signals die Tiefe der reflektierenden Schicht bestimmen. Mit Hilfe dieser Methode erhält man also während der Fahrt ein Profil des Untergrundes vor dem Fahrzeug.

Allerdings können wir uns im Zweifelsfall nicht ausschließlich auf die Technik verlassen. Gibt es Anzeichen für eine unsichere Schneebrücke entlang der Strecke, wird zuerst mit einem Stab die Schneedicke sondiert und gegebenenfalls ein Loch gegraben, durch das sich jemand in den Riss im Eis abseilt, um die Situation von unten zu begutachten. Ist die Schneeschicht zu dünn – ein paar Meter müssen es schon sein – gilt es zurück zu setzen und es an einer anderen Stelle erneut zu versuchen. Diese Art der Erkundung ist mitunter sehr zeitaufwändig und das Rangieren mit voll beladenen Schlitten sehr mühselig.

Während wir Wissenschaftler also in der Sonne Yoga-Übungen machen und die Reparatur unserer Fahrzeuge abzuwarten, klettern die Sicherheitsingenieure in Gletscherspalten herum, um anschließend mit Bambusstangen eine sichere Route durch die Übergangszone abzustecken. Ob Roald Amundsen während seiner Reise zum Südpol wohl auch so einen Service erleben durfte?

Am Tag nach dem Motorschaden ist das Team wieder beisammen. Bereits zehn Kilometer vor dem vereinbarten Treffpunkt kommen uns die drei Vorausgefahrenen auf Skiern entgegen. Auch sie hatten aufgrund des Zwischenfalls ein wenig Wartezeit zu überbrücken. Kurz darauf machen wir uns auf den Weg durch die Übergangszone. In Reih und Glied dem Sniffer folgend schlängeln wir uns entlang der Bambusstangen. Knapp zwanzig Kilometer dauert die Fahrt, danach haben wir es geschafft. Das Eis auf dem wir unsere Spuren in den Schnee ziehen liegt nun nicht mehr auf dem Land, sondern schwimmt auf dem Ozean. An der Oberfläche ist kein Unterschied zu erkennen, ich beschließe diesen Umstand erst zu glauben, wenn wir das erste Loch durch das Eis gebohrt haben.

Tores Dezember beitrag
Mit 15 Stundenkilometern sollen drei dieser 240 PS starken Zugmaschinen unsere Ausrüstung über das Eis transportieren. Bis zu 20 Tonnen wiegen die Schlittengespanne die hinter ihnen herschleifen. Neben den Wissenschaftlichen Geräten, dem Treibstoff und der Verpflegung ist auch eine mobile Werkstatt und eine Kücheneinheit dabei. Während der Transportetappe schlafen wir in den Fahrzeugen, später werden wir ein Zeltlager einrichten (Foto: Per Gunnar Gabrielsen).

Tores Dezember beitrag
Die größte Gefahr auf unserer Reise ist nicht die Kälte selbst, sondern mögliche Unfälle, die in dem antarktischen Klima leicht fatale Folgen haben können. Verschiedene Sicherheitskurse vor uns während unseres Aufenthaltes auf Troll sollen uns auf mögliche Gefahren vorbereiten. Hier bei der Übung zur Bergung einer Person, die durch eine zu dünne Schneebrücke in eine Gletscherspalte gestürzt ist (Foto: Kristen Fossan).

Tores Dezember beitrag
Eine Satellitenaufnahme des Fimbul-Schelfeises. Die blaue Linie umrandet das Gebiet des schwimmenden Eises, die rot schraffierten Flächen kennzeichnen Gebiete in denen es viele, nur leicht vom Schnee bedeckte Gletscherspalten gibt, die gelb schraffierten Flächen kennzeichnen Gebiete, in denen solche Spalten zu vermuten sind. Die erste Bohrung wollen wir an dem Punkt M1 vornehmen. Das Gradnetz zeigt 30 Minuten in der Länge und 15 Minuten in der Breite (Bild: Harvey Goodwin).

Tores Dezember beitrag
Der „Sniffer“ soll dabei helfen, Gletscherspalten aufzuspüren und die Tragfähigkeit der Schneedecke zu bestimmen. In dem schwarzen Kasten am Ende des Auslegers befindet sich eine Radaranlage, deren Feld mit einer Frequenz von 400 MHz etwa 12 Meter in den Untergrund eindringt.

 

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Anders Levermann ist Professor für Dynamik des Klimasystems im physikalischen Institut der Universität Potsdam. Er leitet den Forschungsbereich Globale Anpassungsstrategien am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er ist unter anderem einer der leitenden Autoren im Meeresspiegelkapitel des letzten IPCC-Klimareports und beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Ozean und Cryosphäre in Vergangenheit und Zukunft.

2 Kommentare

  1. sehr schöner Beitrag

    wirklich, ich würde es mir wünschen, dass alle Beiträge des PIK so seriös wären, nicht immer die gallopierenden Klimaereignisse, welche nichts Gutes, immer nur Schlimmes zeigen wollen.
    Übrigens, ganz am Anfang sollte es nicht 12h Tag heißen, sondern wohl 24h Tag. Viel Glück im “ewigen Eis”

    [Antwort: Das PIK berichtet wissenschaftliche Ergebnisse zum Klimawandel auf der Grundlage internationaler Forschungsergebnisse. So wurde zum Beispiel die kürzlich veröffentlichte Copenhagen- Diagnosis (http://www.copenhagendiagnosis.org) von einem australischen Forscherteam initiiert und von 26 Forschern aus 8 Ländern erarbeitet und veröffentlicht. Die Ergebnisse basieren auf in der Fachliteratur publizierten Ergebnissen. Als öffentlich finanzierte Forschungseinrichtung gehört die Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse zum Klimawandel zu den Aufgabe des PIK. Was Sie da beschreiben ist mehr ein psychologisches Problem als ein wissenschaftliches. Anders Levermann]

  2. @ Gunnar Innerhofer

    Was ist denn seriös? So schön und spannend diese Geschichte einer Forschungsexpedition auch sein mag, sie spiegelt nicht die düstere Realität wider, der die Menschheit sich gegenüber sieht. Es ist niemandem damit gedient, dass einige die rosarote Brille aufsetzen und andere schlicht in allem, was sie nicht hören oder sehen wollen, einen grossen Betrug sehen.
    Dieser blog versieht die Allgemeinheit mit Fakten, die auf diese Art und Weise sonst nicht in den Medien auftauchen, ungefilter, direkt aus erster Hand. Es ist natürlich schön, dass auch einmal solche Reiseerlebnisse veröffentlicht werden, aber viel wichtiger und auch seriöser, ist, dass Forschungsergebnisse präsentiert werden, und dass der Allgemeinheit hier nicht nur gezeigt wird dass etwas nicht in Ordnung ist, sondern auch nachvollziehbar, warum etwas nicht in Ordnung ist.
    Diesen Blog auf reiseerlebnisse zu reduzieren halte ich für verfehlt, ich würde mir im gegenteil noch mehr aktuelle Forschung wünschen, mit links zu Nature, Science, geophysical research Letters usw., damit der (hauptsächlich) deutschsprachige Leser die Möglichkeit hat, sich die primäre Litteratur zu besorgen.

    [Antwort: Danke für diese Aufmunterung. Für Fachpublikationen lohnt es auf die Websites der jeweiligen Forscher zu gehen. Ich vermute, dass Sie das bereits wissen. Es sei hier nochmal für alle wiederholt. Anders Levermann]