Andengletscher geschrumpft wie nie zuvor im Holozän

Google Karte der Region

Gletscher sind wichtige Indikatoren des Klimawandels. Eine aktuelle Studie in der Top-Fachzeitschrift Science zeigt, dass die Gletscher in den tropischen Anden inzwischen so stark zurückgegangen sind wie nie zuvor im gesamten Holozän – also in der ganzen Zivilisationsgeschichte des Homo Sapiens seit Erfindung der Landwirtschaft. Die Ergebnisse dürften auch außerhalb der Fachwelt relevant sein: Sie stützen nochmals mit Nachdruck die Klage eines peruanischen Bauern gegen den Energiekonzern RWE, die kommende Woche wieder vor Gericht verhandelt wird.

Paläoklimatotologen können durch Messungen feststellen, über welchen Zeitraum der Felsuntergrund unter einem Gletscher von Eis bedeckt war. Denn wenn der Fels offen daliegt, entstehen an seiner Oberfläche durch das Bombardement mit kosmischer Strahlung die Isotope Kohlenstoff-14 und Beryllium-10. Ist der Fels dagegen durch eine Eisdecke von der kosmischen Strahlung abgeschirmt, verschwinden diese instabilen Isotope allmählich durch radioaktiven Zerfall (mit Halbwertszeiten von 5.700 bzw. 1,4 Millionen Jahre). Die Methode ist als cosmogenic radionuclide dating seit Jahrzehnten etabliert, ich selbst habe sie zum ersten Mal vor 23 Jahren bei einer Exkursion mit Gletscherexperten in die neuseeländischen Südalpen kennengelernt.

Die neue Studie hat mit dieser Methode eine Reihe von Gletschern in den tropischen Anden untersucht, siehe Abb. 1.Karte der GletscherAbb. 1 Karte und Fotos der untersuchten Gletscher. (C) zeigt den Queshque Gletscher, die farbigen Linien zeigen den massiven Rückgang seit 1962. Quelle: Gorin et al. 2024.

In den Gesteinsproben am Rande der Gletscher fanden die Forscher eine Isotopenkonzentration von nahe Null. Sie folgern daraus, dass dieses Gestein während des gesamten Holozäns von Eis bedeckt und damit von der kosmischen Strahlung abgeschirmt gewesen sein muss. Diese Gletscher sind damit höchstwahrscheinlich bereits heute alle kleiner als jemals seit mindestens 11.700 Jahren.

Dies ist insofern nicht überraschend, als eine Reihe früherer Studien bereits belegt hat, dass es in den tropischen Anden im Holozän nie wärmer gewesen ist als heute. So zeigt zum Beispiel die rekonstruierte Geschichte des Gletscherrandes der Quelccaya Eiskappe, dass sie seit mindestens 7.000 Jahren nie kleiner gewesen ist als heute. Auch Temperaturrekonstruktionen aus Proxydaten stützen dies.

Weltweite Erwärmung bedeutet weltweiten Gletscherrückgang

Die Anden sind damit kein Sonderfall: auch die globale Mitteltemperatur ist nach Stand der Forschung sehr wahrscheinlich heute bereits höher als jemals im gesamten Holozän, und weil vor dem Holozän über 100.000 Jahre Eiszeit herrschten, dürfte sie wärmer als seit rund 120.000 Jahren sein. Das liegt an der rapiden modernen Erderwärmung seit dem 19. Jahrhundert um bislang 1,3 – 1,4 °C, die praktisch komplett vom Menschen verursacht wurde, vor allem durch fossile Energienutzung. Der Weltklimarat IPCC grenzt den Beitrag natürlicher Faktoren zu dieser Erwärmung als kleiner als plus oder minus 0,1 °C ein. Wahrscheinlich ist er sogar leicht abkühlend, wegen der Abnahme der Sonnenaktivität seit Mitte des 20. Jahrhunderts („Kalte Sonne“ lautet daher ja der Titel eines Buches des ehemaligen RWE-Managers Fritz Vahrenholt).

Die Gletscher verlieren deshalb weltweit immer mehr an Masse (Abb. 2). Auch Deutschland hat deshalb nur noch vier Gletscher, weil der Südliche Schneeferner im September 2022 das zeitliche gesegnet hat. Bald wird es in Deutschland keine Gletscher mehr geben.

Kumulativer regionaler Massenverlust der GletscherAbb. 2 Massenverlust der Gletscher in verschiedenen Weltregionen. Quelle: World Glacier Monitoring Service.

Bedeutung für den RWE-Prozess

Beim RWE-Prozess geht es nicht zuletzt darum, ob die Erderwärmung durch CO2-Emissionen Ursache der starken Gletscherschmelze, des massiven Rückzugs des Gletschers um ca. 1,5 km innerhalb der letzten 140 Jahre sowie des Tauens des Permafrosts über der Stadt Huaraz in Peru ist. Eine Attributionsstudie in der renommierten Fachzeitschrift Nature Geoscience hat dies 2021 bereits schlüssig gezeigt; RWE versucht dies allerdings offenbar weiter infrage zu stellen.

Hier sind die neuen Daten von Gorin et al. höchst relevant: der untersuchte Queshque Gletscher, der inzwischen kleiner ist als jemals seit mindestens 11,700 Jahren, liegt nur 40 km von Huaraz am selben Gebirgszug wie der Lake Palcacocha (Abb. 3).

Google Karte der RegionAbb. 3 Satellitenbild mit Huaraz (Stern), Queshque Gletscher und Lake Palcacocha. Quelle: Google Maps.

Hier kann man mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass sich die lokalen Klimaveränderungen bestenfalls minimal unterscheiden. Auch wenn das mittlere Klima vor allem aufgrund der lokalen Topografie durchaus auch über kleine Distanzen unterschiedlich sein kann, hat die Klimaerwärmung einen typischen Korrelationsradius von mehr als 1000 km. Sie unterscheidet sich mit Sicherheit nicht nennenswert zwischen Queshque Gletscher und Lake Palcacocha.

Diese Gegend erlebt also bereits die größte Klimaerwärmung in der Zivilisationsgeschichte des Homo Sapiens. Diese wird mit Sicherheit auch noch solange weitergehen, bis die Weltwirtschaft klimaneutral geworden ist, d.h. im Wesentlichen netto Null CO2-Emissionen erreicht hat.

Im Prozess in den nächsten Tagen geht es nun um die Frage, ob und wie stark die Stadt Huaraz bzw. der Kläger von einer Gletscherflut betroffen wäre. Auch zu den vergangenen Gletschersee-Ausbrüchen (Glacial Lake Outburst Floods, GLOFs) in der Region gibt es eine systematische Studie, die auf Basis von Satellitenbildern 160 GLOFS analysiert hat. Dabei zeigt sich, dass die Anden bei Huaraz ein Hotspot dieses Risikos sind (Abb. 4).

Abb. 4 Untersuchungsgebiet der Studie zu Gletschersee-Ausbrüchen. Huaraz liegt auf 9,5° südlicher Breite in der rot gezeichneten Hochrisikozone. Quelle: Emmer et al. 2022.

Außerdem zeigt diese Studie, dass die Häufigkeit solcher Fluten seit 1980 stark zugenommen hat (Abb. 5). Vor 1980 ist es nur ein einziges mal zu mehr als zwei GLOFs in einem Jahr gekommen: 1970 aufgrund eines schweren Erdbebens. Doch inzwischen gibt es immer wieder Jahre mit 3, 4 oder gar 5 Gletschersee-Ausbrüchen.

Abb. 4 Häufigkeit von Gletschersee-Ausbrüchen im Untersuchungsgebiet (Abb. 4) seit dem Jahr 1725. Die Studie schreibt “there has been an apparent overall increase in GLOF incidence from 1725 to the present day”. Quelle: Emmer et al. 2022.

Eines ist daher offensichtlich: Nach der vorliegenden Studienlage wäre es absurd anzunehmen, man könnte mitten in einer derart rapiden Klimaerwärmung das Risiko eines Ausbruchs des Lake Palcacocha auf Basis von Daten aus der Vergangenheit berechnen, ohne explizite Berücksichtigung der fossilen Erderwärmung. Wer so tut, als sei in Huaraz kein Klimawandel am Werk, also kein menschlicher Fingerabdruck und also auch kein Einfluss der anteiligen CO2-Emissionen von RWE, der hat vielleicht Gründe sich das zu wünschen – die sachlichen Belege aber zeigen klar das Gegenteil.

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

2 Kommentare

  1. Ich meine, das größte Problem im Zusammenhang mit den Klimaschwankungen ist die Trockenheit. 1473, 1540, Soll es besonders extrem gewesen sein.

    Heutzutage wären die Auswirkungen wegen der stark gewachsenen Bevölkerung noch viel schlimmer.

    Da wäre es doch naheliegend, Konzepte der Wasserbewirtschaftung zu entwickeln. Derzeit scheint alles darauf angelegt, Regenwasser schnellstens in Richtung der Meere abzuführen.

    Es wäre doch naheliegend, z.B. dafür zu sorgen, dass einerseits die natürlichen Grundwasserspeicher aufgefüllt werden und auch künstliche Depots angelegt werden sollten. Die Probleme würden zumindest gemildert.

    Womöglich sollten Flüsse gestaut werden und könnten allenfalls sogar als Speicherkraftwerke genutzt werden, wenn das Wasser bei Stromüberschuss zurück gepumpt würde? Sogar CO2 freie Energiegewinnung wäre möglich.

    Könnten künstliche Seen auf das Wetter/Klima positiv Einfluss nehmen?

  2. An dem ansonsten ausgezeichneten Beitrag von Herrn Rahmstorf stört mich folgender Satz.

    “Sie stützen nochmals mit Nachdruck die Klage eines peruanischen Bauern
    gegen den Energiekonzern RWE, die kommende Woche wieder vor Gericht verhandelt wird.”

    Also, ein peruanischer Kleibauer verklagt in Deutschland einen deutschen Konzern. Er wird gestützt von NGO’s wie Germanwatch. Es ist nicht abwegig zu denken, dass der Prozess eher Germanwatch nützt als dem Kleinbauern. Das ganze hat für mich ein Gschmäckle. Warum verklagt ein peruanischer Kleinbauer ausgerechnet einen deutscchen Konzern, der laut Anklage mit weniger als einem halben Prozent für den weltweiten CO2-Ausstoß veranwortlisch ist? Wie soll das nun weiter gehen? Wird der Bauer als nächstes hunderte von CO2-ausstoßenden Konzernen verklagen? Muss ich als Privatperson auch eine Klage fürchten, da auch ich CO2-Verursacher bin? Meiner Meinung nach sind die Staaten verantwortlich, die zum Beispiel Kohle- und Gaskraftwerke genehmigt haben und immer noch genehmigen. Der peruanische Bauer sollte sich an die Regierung seines Landes wenden, dass diese gegen Deutschland und andere Länder klagt. Die Karten dürften angesichts der Gaskraftwerke Peru’s schlecht stehen.

Schreibe einen Kommentar