Wie können Windräder mehr als zwei Atomkraftwerke in Deutschland ersetzen?

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2022 in der Kategorie Physik veranschaulichte Björn Neubauer, was er in seiner Promotion erforscht hat.


Der Bau von Windrädern auf windreichen Flächen wird in Deutschland sehr häufig mit der Begründung abgelehnt, dass die vom Boden gesendeten Signale eines Navigationssystems für Flugzeuge geschützt werden müssen. Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen: Diese Schutzzonen lassen sich gefahrlos deutlich verkleinern.

Um unseren weiterhin steigenden Energiebedarf zu decken und gleichzeitig die CO2-Emissionen zu reduzieren, muss die Nutzung der nicht-fossilen, regenerativen Energiequellen massiv ausgeweitet werden. Hier kann die Windenergie einen großen Beitrag leisten, wenn noch sehr viele neue Windräder aufgestellt werden. Jedoch ist eine windreiche, sehr große Fläche in Deutschland durch diese Schutzzonen blockiert. Diese Schutzzonen um Navigationssendeanlagen für Flugzeuge sollen verhindern, dass Signale durch (Bauen/Bauvorhaben) verfälscht werden. Deshalb empfiehlt die Internationale Zivile Luftfahrorganisation individuelle Untersuchungen, wenn ein Windrad in einer solchen Schutzzone geplant ist. Auch zukünftig werden diese vom Boden aus gesendeten Signale für den Fall gebraucht, falls die Satellitennavigation einmal ausfällt.

Bisher gab es für die Größe dieser Schutzzonen keine physikalische Begründung und keine Methode, um einen möglichen Einfluss von noch nicht gebauten Windrädern durch Messungen zu untersuchen. Auch gibt es bisher keine Regelung, wie solche Untersuchungen durchzuführen sind, was zu viel Streit vor Gerichten führte. Deshalb wurden im Jahr 2019 geplante und bereits mit ca. 4.6 Milliarden Euro finanzierte Windräder nicht genehmigt. Zusammen könnten diese eine Leistung von 3109 Megawatt bereitstellen. Das ist ungefähr das 2,2-fache vom Atomkraftwerk Emsland.

Das betroffene Navigationssystem heißt Doppler VOR und besteht aus Sendestationen am Boden und einem Empfänger Flugzeug. So eine Sendestation funktioniert vergleichbar mit einem Leuchtturm. Ein Leuchtturm stellt zwei Signale bereit: Einen Lichtkegel, der sich fortwährend um die Leuchtturmachse dreht und eine Rundumlampe, die kurz aufleuchtet, wenn der Lichtkegel nach Norden zeigt. Ein Beobachter stoppt die Zeit vom Aufleuchten der Rundumlampe bis der rotierende Lichtkegel zu ihm zeigt. Weil er weiß, wie schnell der Lichtkegel rotiert, kennt er den Winkel zwischen Norden und seiner Position bezüglich des Leuchtturmes. Die Rundumleuchte stellt die Referenz, das heißt den Bezugspunkt zur Verfügung, auf den sich die Umlaufzeit des Lichtkegels, das heißt die Winkelinformation bezieht. Anstelle von sichtbarem Licht sendet ein Doppler-VOR mit Hilfe von zwei Antennen Radiowellen. Eine Antenne schickt das Referenzsignal, die andere die Winkelinformation.

Um die Verbesserung zwischen dem Doppler-VOR und seinem Vorgängersystem zu zeigen, hat der Ingenieur Anderson 1959 eine Formel hergeleitet, die beschreibt, wie groß der Winkelfehler durch ein Störobjekt ist. Dies inklusive elementarer Empfängereigenschaften. Andersons Formel berücksichtigt jedoch nur eine der beiden Signalkomponenten, basiert auf mehreren Vereinfachungen und ist auf gänzlich unbewegliche Störobjekte beschränkt.

Die maßstabsgetreu skalierten Rotorblätter – hier von einer „Senvion MM92“ Windenergieanlage – besitzen eine Kupferoberfläche. Diese reflektiert elektromagnetische Wellen besonders gut und erlaubt dadurch die Vermessung von Worst-Case-Szenario. Für die Messungen rotierten die Blätter mit verschiedenen Geschwindigkeiten.

Unsere Arbeit haben wir damit begonnen, die alte Formel für rein statische Störobjekte deutlich genauer zu machen. Das funktionierte, weil wir die Anzahl der Vereinfachungen bis auf eine reduzieren konnten. Entscheidend war der nächste Schritt: Es gelang uns eine Formel herzuleiten, die Störobjekte mit beweglichen Teilen sprich sich drehende Windräder berücksichtigt. Darüber hinaus konnten wir einen entsprechenden Ausdruck für das Referenzsignal herleiten, welches bis dahin keine Beachtung fand!
Die Auswertung dieser neuen Formeln zeigt: Statische Reflexionsobjekte stören das Referenzsignal gar nicht und bewegliche Streuobjekte können das Referenzsignal bedeutend stärker stören als das eigentliche Winkelsignal.

Diese von den Formeln gemachten Vorhersagen konnten wir mit Messungen von noch nicht gebauten Windrädern bestätigen. Warum ist diese Möglichkeit wichtig und wie geht das? Da so ein Windrad mehrere Millionen Euro kostet, will kein Energieversorger diese Investition tätigen, nur um eine Messung zu ermöglichen, deren Ergebnis dazu führen kann, dass das Windrad wieder abgebaut werden muss. Dieses Problem konnten wir lösen. Dazu bauten wir Windräder im Maßstab 1:144 nach. So ein Windrad ist dann ungefähr nur 1,5 m hoch, kostet sehr wenig und erlaubt die volle Kontrolle über eine Vielzahl von Stellschrauben: die Rotationsgeschwindigkeit, die Orientierung der Ebene, in der ihre Blätter rotieren, den Winkel der Rotorblätter relativ zur Gondel. Damit dieser Ansatz funktioniert, verkleinerten wir auch die Wellenlänge der gesendeten Signale mit dem Faktor 144. Durch die Skalierung von Windrad und Wellenlänge ist ein Windrad im Maßstab 1:1 mit einer Höhe von 50 Wellenlängen auch nach dem Skalieren noch 50 Wellenlängen hoch. Dadurch hat aus Sicht der Wellen die Größe und Form des Windrades sich nicht geändert. Zusätzlich haben wir noch die kleinen Windräder metallisch beschichtet, wodurch sie die Radiowellen stärker reflektieren als ihre großen Zwillinge. Wenn diese stärker reflektierenden, Windräder keinen relevanten Einfluss hervorrufen, tun dies ihre großen Verwandten erst recht nicht.

Ein entscheidender Vorteil bei diesem Ansatz ist, dass damit die Ursache von einer Störung eindeutig bestimmt werden kann. Im Gegensatz zu ihren großen Verwandten lassen sich die skalierten Windräder sehr einfach irgendwo wiederholt hinstellen, orientieren, drehen und wieder wegnehmen; ganz oft und ohne weitere Kosten zu verursachen. Wenn ein Navigationsfehler immer genau dann auftritt, wenn das Windrad in der Umgebung an einer bestimmten Stelle steht, seine Blätter mit einer bestimmten Geschwindigkeit drehen und sonst nicht, dann lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass das Windrad die Ursache ist.

Bei dem Aufbau des skalierten Messszenarios helfen die Teammitglieder Anne Vaske, Dr.-Ing. Georg Zimmer und Alexander Weiß mit.

Wenn ein Signal von einem Sender durch die Luft zu einem Empfänger geschickt wird, kann die dazwischen liegende Umgebung einen Einfluss auf das Signal haben. Diese dazwischen liegende Umgebung wird als Verbindungskanal zwischen Sender und Empfänger betrachtet. So ein Kanal kann Eigenschaften haben, die sich auf die zu übertragenden Nachrichten auswirken.

Um diese Kanaleigenschaften zu messen, schickten wir ein bekanntes neutrales Signal durch den Nachrichtenkanal und zeichneten es an dessen Ende wieder auf. Ein Kinderspielzeug hilft das Vorgehen zu veranschaulichen. Es gibt Boxen mit verschieden geformten Öffnungen; Kreis, Trapez, Dreieck. Durch diese Öffnungen konnten wir als Kinder Klötze mit passendem Querschnitt stecken. Ein Kanal mit unbekannten Eigenschaften ist wie so eine Öffnung, die wir nicht sehen können und dessen Querschnitt wir nicht kennen. Wenn wir Knete durch diese Öffnung drücken und uns die Knete danach angucken, kennen wir die Form der Öffnung. Selbst wenn sich diese im Verlauf der Zeit ändert, können wir das an der Knetwurst erkennen. Diese Öffnung entspricht unserem Nachrichtenkanal und die Knete unserem Testsignal, welches für uns die Eigenschaften des Kanals misst. Dabei kann ein Kanal auch aus mehreren physikalischen Wegen bestehen; einer direkten Sichtverbindung und einem Umweg über ein Störobjekt.
Durch die Auswertung des Testsignales konnten wir eine Änderung von Frequenzen durch Windräder bedingt durch den Doppler Effekt messen, zeigen, unter welchen Konstellationen es dazu kommt, und dass dieser Einfluss keine Relevanz für das Navigationssignal hat, weil die Stärke dieser Doppleranteile zu schwach ist. Auch bestätigten die Messungen die Vorhersage der Formeln: das Referenzsignal ist das empfindlichere.

Im Weiteren prägten wir – vergleichbar mit einem Stempel – den gemessenen Kanaleigenschaften echte Navigationssignalen auf und ließen sie von einem echten Empfänger auswerten. So konnten wir zeigen, dass es erst zu relevanten Beeinträchtigungen des Doppler-VOR kommt, wenn gänzlich unrealistische Bedingungen herrschen: Überdimensional breite, große, ebene, rechteckige Rotorblätter. Drehgeschwindigkeiten der Rotorblätter, die den Betriebsbereich um ein Vielfaches überschreiten und nicht angenommen werden, weil die Anlage zuvor aus anderen Gründen stillgeschaltet wird. Und wenn die Abstände zwischen Sendeanlage und Windrad 2,5 km deutlich unterschreiten.


Björn Neubauer wurde 1981 in Bad Gandersheim geboren. Nach einem Au Pair Jahr in den USA studierte er Elektrotechnik an der TU Braunschweig und arbeitete anderthalb Jahre als Ingenieur in Schweden. Für seine Promotion „Impact of Dynamic Scatterers upon Frequency- and Amplitude-Modulation – A Theoretical and Practical Treatise in the Context of the Doppler-VOR and Wind Turbines“ kehrte er an die TU Braunschweig zurück.

4 Kommentare

  1. Zusammen könnten diese eine Leistung von 3109 Megawatt bereitstellen. Das ist ungefähr das 2,2-fache vom Atomkraftwerk Emsland.

    Bitte Vorsicht bei den Begriffen und Vergleichen mit anderen Erzeugungsarten! Mit “Leistung” ist hier ist offensichtlich die Nennleistung gemeint, real bleiben davon heute 15-20 % übrig. Ein Atomkraft ist auch weit von 100 % seiner Nennleistung entfernt, aber die Angabe “das 2,2-Fache” ist mit ziemlicher Sicherheit falsch.

  2. Wenn kein Wind weht, liefern auch eine Million Windräder keinen Strom. AKWs sind dagegen nicht so wetterabhängig munkelt man.

  3. Was hat denn der Titel mit dem Inhalt des Blogs zu tun? Im Text wird nirgendwo erläutert, ob oder wie Windkraftanlagen (dies ist der Fachbegriff) Atomkraftwerke ersetzen können.

    Passend wäre z.B. gewesen: “Windkraftanlagen und Schutzzonen für Flugzeug-Navigation”.

  4. Beim Lesen der Überschrift „Wie können Windräder mehr als zwei Atomkraftwerke in Deutschland ersetzen?“ kann man sofort antworten: gar nicht! Atomkraftwerke liefern Strom rund um die Uhr, sieben Tage die Woche und, über ein ganzes Jahr gerechnet, über ca. 330 Tage, unabhängig von Wind und Wetter. Wie jede technische Anlage ist ein ununterbrochener Dauerbetrieb über Jahre natürlich nicht möglich und auch die zuverlässigsten Kernkraftwerke müssen einmal im Jahr für ein paar Wochen vom Netz genommen, gewartet und mit neuen Brennelementen beladen werden. Fritz Vahrenholt gibt in seinem Buch „Die große Energiekrise“ (LMV 2023) folgende Werte für die gesicherte Leistung der verschiedenen Kraftwerkstypen an (Auswahl A. Q.): Kernkraftwerke 93 %, Erdgaskraftwerke 86 %; Windenergieanlagen off-shore 2 %, Windenergieanlagen on-shore 1 %. Das Problem ist die unsichere Leistungsabgabe der Windkraftwerke: wenn kein Wind weht, gibt es eben keinem Strom. Das gleiche Problem haben natürlich auch Solarkraftwerke (Photovoltaik-Anlagen); hier ist die gesicherte Leistung exakt Null. Daher wäre fast nichts gewonnen, wenn die Schutzzonen um Navigationssendeanlagen für Flugzeuge mit Windrädern so weit zugebaut werden würden, wie technisch nach den sicher unanfechtbaren Ergebnissen von Björn Neubauer eben möglich ist.
    Das Problem ist eben der Unterschied zwischen installierter Leistung (Nennleistung), das wären die im Artikel genannten 3109 Megawatt, also dem 2,2-fachen der installierten Leistung vom Atomkraftwerk Emsland, und der gesicherten Leistung. Diese läge bei den on-shore-Anlagen gerade mal bei 31 Megawatt. Und das ist zugleich das größte Problem der ganzen Energiewende in Deutschland: für jedes Megawatt installierte Leistung an Wind- und auch Solarkraftwerken muss ein Megawatt gesicherte Leistung konventioneller Kraftwerke bereitgehalten werden. Und weil die Atomkraft in Deutschland durch die Politik ins Aus befördert worden ist, bleiben entsprechend nur noch Braun- und Steinkohlekraftwerke sowie Gaskraftwerke übrig.
    Zur Information: in Deutschland beträgt die benötigte elektrische Leistung in tiefer Nacht selbst an Feiertagen ca. 40.000 Megawatt (MW), sehr selten etwas weniger, während die Lastspitzen um die Mittagszeit an Werktagen bis zu 75.000 MW betragen, an Wochenenden und Feiertagen sind es jeweils ca. 10 – 15 GW weniger. Die höchste je in Deutschland benötigte elektrische Leistung lag laut „Spiegel“ bei 83.000 MW.
    Wie unzuverlässig die Windkraft sein kann, zeigt immer wieder aufs Neue ein Blick auf die Seiten von http://www.agora-energiewende.de. Am 11. Mai 2023 wurden um 2 Uhr morgens (!) 47.870 MW benötigt. Windkraftwerke on-shore lieferten 1840 MW, Windkraftwerke offshore 1160 MW, die Wasserkraft steuerte 2562 MW, die Biomasse 5180 MW bei. Die konventionellen Kraftwerke lieferten 25.810 MW. Das reichte aber immer noch nicht: 11.320 MW mussten aus insgesamt neun europäischen Ländern importiert werden, darunter Kohlestrom aus Polen und Atomstrom aus Frankreich und Tschechien. 11.320 MW entsprich der Leistung von acht Atomkraftwerken wie dem im Emsland oder elf großen Kohlekraftwerken wie Datteln IV!
    Im Jahr 2021 gab es in Deutschland 31.109 Windräder an Land mit einer installierten Leistung von 56.130 MW und 1501 Windräder auf See mit einer installierten Leistung von 7800 MWW. Bis heute dürften noch einige hundert dazugekommen sein. Zusammen macht das 63,93 GW installierte Windkraft-Leistung für Deutschland. Im o.a. angeführten Beispiel lag die tatsächlich erbrachte Leistung der Windräder bei 3000 MW, also 4,7 % der installierten Leistung.
    Diese Zahlen sollten immer beachtet werden, wenn in Modellrechnungen das angeblich große Potential der Windkraft gepriesen wird. Und trotzdem geht der Ausbau der Windkraft in Deutschland ungebrochen weiter, obwohl schon weite Teile unseres einstmals schönen Landes, von der Nordsee über die Nordseeküste über zahlreiche Mittelgebirge bis ins Alpenvorland mit abertausenden dieser bis zu 200 m hohen monströsen Bauten verschandelt worden sind. Literaturempfehlung dazu: Georg Etscheit (Hrsg,): Geopferte Landschaften. Wie die Energiewende unsere Umwelt zerstört. Heyne 2016.

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