Wie verändert ein traumatisches Ereignis das Gehirn?

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2023 in der Kategorie Neurowissenschaften veranschaulichte Jens-Bastian Eppler, was er für seine Promotion erforscht hat.
Psychologische Traumata führen dazu, dass harmlose Geräusche Stressreaktionen auslösen. Untersuchungen in den Gehirnen von Mäusen zeigen, dass die durch harmlose Geräusche hervorgerufenen neuronalen Aktivitäten im Gehirn zunehmend denjenigen ähneln, die durch traumatisierende Geräusche verursacht werden.
Traumatische Ereignisse können tiefgreifende Veränderungen im Gehirn bewirken, die sich auf Wahrnehmung und Verhalten auswirken. Ein typisches Beispiel ist ein Soldat, der während des Kriegseinsatzes traumatisierende Erfahrungen macht. Er wird traumatisiert, zum Beispiel durch Schussgeräusche oder Explosionen und den damit verbundenen Schrecken. Wieder zuhause können dann ganz alltägliche Geräusche wie das Zuschlagen einer Tür zu einer überwältigenden Stressreaktion mit Herzrasen, Zittern oder Übelkeit führen. Der Fachmann spricht von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Doch was genau verändert sich in unserem Gehirn durch ein traumatisches Erlebnis?
Um diese Frage zu beantworten, haben sich Wissenschaftler*innen der Gutenberg Universität Mainz und der Goethe Universität Frankfurt zusammengetan und eine Reihe von Experimenten durchgeführt. Wir näherten uns dem Problem über folgende drei Fragen an, die aufeinander aufbauen: Wie werden Geräusche generell im Gehirn abgebildet? Was passiert im Gehirn, während es nichts tut? Und schließlich, wie verändert ein traumatisches Erlebnis die Aktivität des Gehirns? Durch das Beantworten dieser Fragen wollen wir ein besseres Verständnis dafür erlangen, wie unser Gehirn funktioniert – in Momenten der Ruhe, der alltäglichen Geräuschverarbeitung und unter dem Einfluss traumatischer Ereignisse.

Zur Klärung der Frage, wie sich ein Trauma auf das Gehirn auswirkt, führten wir ein Experiment mit Mäusen durch, das als Angstkonditionierung bekannt ist. Ähnlich wie beim berühmten Experiment von Pavlov wird dabei ein Stimulus mit einer Bedeutung verknüpft, die er ursprünglich gar nicht hat. Pavlov konditionierte damals einen Hund, indem er immer ein Glöckchen läutete, bevor der Hund Futter bekam. Das führte nach ein paar Tagen dazu, dass das Läuten allein schon den Speichelfluss des Hundes anregte, auch wenn der Hund kein Futter bekam. Bei der Angstkonditionierung verknüpften wir in unserem Experiment ein bestimmtes Geräusch mit einem leichten elektrischen Schock. Dies führte dazu, dass die Mäuse erstarren, wenn sie dieses Geräusch erneut hörten, ein Verhalten, das als Angstreaktion interpretiert wird. Zusätzlich maßen wir vorher und nachher die Aktivität im Gehirn der Mäuse mit einem LASER, während wir den Mäusen eine Reihe von Geräuschen vorspielten.
Zunächst maßen wir – vor der Konditionierung – die Gehirnaktivität, die von diesen Geräuschen im auditorischen Kortex der Mäuse hervorgerufen werden. Der auditorische Kortex ist der Teil des Gehirn, der sich mit der Verarbeitung von Tönen und Geräuschen befasst. Wir konnten zeigen, dass jedes Geräusch eine Aktivität in einer bestimmten Gruppe von Neuronen im Gehirn hervorruft. Diese Aktivitätsmuster sind sehr zuverlässig, das heißt, dass Wiederholungen des Geräuschs immer dieselbe Aktivität hervorrufen. Außerdem erzeugen ähnliche Geräusche auch ähnliche Aktivitätsmuster im Gehirn.

Bis vor wenigen Jahren dachte man, dass diese neuronalen Aktivitätsmuster im Gehirn sehr stabil seien, da ja auch unsere Wahrnehmung der Welt sehr stabil ist. Wir können zum Beispiel ein Lied nach vielen Jahren oder gar Jahrzehnten immer wieder erkennen. Die stabilen Aktivitäten würden sich folglich bloß ändern, wenn man etwas Neues lernt. Diese Ansicht hat sich aber in den letzten Jahren verschoben durch immer mehr Beweise dafür, dass die Aktivitäten im Gehirn viel instabiler sind als angenommen. So konnten auch wir feststellen, dass neuronale Antworten auf Geräusche im Gehirn von Tag zu Tag variieren, ein Phänomen, welches als „Drift“ bezeichnet wird. Dies bedeutet, dass die Gruppe von Neuronen, die auf ein bestimmtes Geräusch reagiert, sich im Laufe der Zeit verändert. Nur die Hälfte der verwendeten Geräusche, die in unserem Experiment an einem Tag eine Antwort hervorgerufen hatten, aktivierte auch zwei Tage später noch dieselbe Gruppe von Neuronen. Die andere Hälfte aktivierte dann eine Antwort in anderen Neuronen.
Unsere Beobachtungen im auditorischen Kortex reihen sich ein in eine ganze Reihe ähnlicher Beobachtungen der letzten Jahre in nahezu allen Bereichen des Gehirns, in denen Messungen durchgeführt worden sind. Darüber, wozu diese kontinuierliche Veränderung gut ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Eine plausible Antwort könnte sein, dass unser Gehirn sich im Laufe der Evolution nicht primär dazu entwickelt hat, Dinge abzuspeichern. Und in der Tat sind wir Menschen ja auch nicht gerade gut darin uns Dinge zu merken. Jeder noch so kleine Computer kann das heutzutage um Längen besser als der beste menschliche Gedächtniskünstler. Vielmehr könnte der entscheidende Vorteil eines großen Gehirns darin bestehen, dass wir uns hervorragend an immer neue Begebenheiten anpassen können, was uns im Laufe der Evolution sicher sehr zu gute kam.

Doch wie wirkt sich nun Angstkonditionierung auf die Gehirnaktivität aus? Interessanterweise fanden wir nach der Konditionierung keinen Unterschied in der Gehirnaktivität, die von dem Geräusch hervorgerufen wurde, welches mit einem elektrischen Schock verknüpft wurde. Diese Aktivität war nicht stärker oder schwächer und sie veränderte sich auch noch mit derselben Rate durch die „Drifts“. Wir konnten allerdings feststellen, dass die neuronalen Antwortmuster von Geräuschen, die bereits vor der Konditionierung ähnlich waren, durch die Konditionierung noch ähnlicher wurden. Besonders stark war dieser Effekt für Geräusche, die dem konditionierten Geräusch ähnelten. Dies spiegelte sich auch im Verhalten der Tiere wider. Die Mäuse reagierten nicht nur auf das Geräusch mit Erstarren, das mit dem Schock verbunden worden war, sondern auch auf ähnliche Geräusche. Diese Generalisierung erinnert stark daran, was bei Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung geschehen kann, wie im Beispiel des Soldaten. Auch bei Menschen führt nach einer Traumatisierung nicht nur das traumatisierende Geräusch zu einer Angstreaktion, sondern ebenso andere diesem Geräusch ähnliche Geräusche. Wir konnten zeigen, dass dies auf die entsprechenden Gehirnaktivitäten zurückzuführen ist, die sich ähnlicher werden.
Natürlich erscheint die Tendenz des Gehirns, nach einem Trauma ähnliche Reize überempfindlich zu bewerten, im Kontext posttraumatischer Belastungsstörungen als unerwünscht. Aus evolutionärer Perspektive kann sie aber auch durchaus ein entscheidender Überlebensvorteil sein. Die Angst vor einem Bären etwa, wenn man zuvor noch nie einen Bären gesehen hat, sondern lediglich Löwen, diente dem Schutz des Individuums. Die instinktive Reaktion, bei der Sichtung eines Bären die Flucht zu ergreifen, ohne erst prüfen zu müssen, ob eine tatsächliche Bedrohung vorliegt, war durchaus von Vorteil für das Überleben. In der heutigen, weitgehend sicheren Gesellschaft beeinträchtigt eine posttraumatische Belastungsstörung allerdings das Leben betroffener Personen erheblich und erschwert die Bewältigung alltäglicher Situationen.
Mit unserer Forschung beleuchten wir, wie das Gehirn nach einem Trauma überempfindlich auf Geräusche reagiert, die dem Geräusch ähneln, welches ursächlich ist für die posttraumatische Belastungsstörung. Diese Erkenntnisse aus unserem Experiment mit Mäusen können dabei helfen, ein besseres Verständnis für die Mechanismen hinter Traumata und posttraumatischen Belastungsstörungen zu entwickeln. Langfristig hoffen wir, dass dieses Wissen zur Entwicklung von effektiveren Therapien und Medikamenten beitragen kann, um Menschen zu helfen, die unter den Folgen von Traumata leiden.
Jens-Bastian Eppler studierte Physik an der Goethe Universität Frankfurt. Dort spezialisierte er sich auf theoretische Neurowissenschaften und promovierte über die Analyse und Modellierung von Drift in neuronalen Netzen. Seit seiner Verteidigung 2022 arbeitet Eppler als Postdoc. Sein Forschungsschwerpunkt ist ein möglicher Zusammenhang zwischen Drift und kognitiven Prozessen wie Vergessen oder Kreativität.