Waldsterben unter Wasser

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2023 in der Kategorie Chemie veranschaulichte Nora Diehl, was sie für ihre Promotion erforscht hat.


Der Sauerstoff für jeden zweiten Atemzug kommt aus dem Meer. Die dort vorkommenden Algen gehören zu den wichtigsten Sauerstofflieferanten unserer Erde. Aber was sind eigentlich Algen? Sie sind ein- oder vielzellige Organismen, die Photosynthese betreiben – also mit Hilfe von Licht Kohlenstoffdioxid binden und Sauerstoff abgeben. Neben winzig kleinen Mikroalgen gibt es auch Makroalgen, auch Großalgen genannt. Es gibt mehr als zehntausend verschiedene Makroalgenarten, die nach ihrer Farbe in Grün-, Rot- und Braunalgen aufgeteilt werden. Manche der Braunalgen werden sehr groß und sind bekannt als „Kelp“. Sie können so lang werden wie ein halbes Fußballfeld und formen eine oft vergessene und vor allem unterschätzte Welt: Kelpwälder.

Kelpwälder kommen an Fels- und Hartbodenküsten vor und bedecken etwa ein Viertel der weltweiten Küstenlinie – auch bei uns rund um die Nordseeinsel Helgoland. Ihre geographische Verteilung wird vor allem durch die Wassertemperatur bestimmt. Somit sind die Wälder unter Wasser durch den Klimawandel und insbesondere durch den damit einhergehenden Temperaturanstieg stark beeinflusst. Vergleichbar mit Wäldern an Land, dienen Kelpwälder als Lebensgrundlage zahlreicher Organismen. Sie sind Nahrungsquelle, Kinderstube und Versteck von Meeressäugern, Fischen, Schnecken oder Seeigeln. Auch für uns Menschen sind sie enorm wichtig. Kelpwälder „reinigen“ die Meere, indem sie Schwermetalle und Nährstoffe, welche wir in die Meere einleiten, einlagern und verstoffwechseln. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der globalen Kohlenstoffbindung und fungieren als natürlicher Küstenschutz. Zudem haben sie auch einen großen ökonomischen Wert für Aquakulturen, für die Nutzung ihrer biochemischen Inhaltsstoffe sowie für Tauchtourismus und Fischerei. Durch den Klimawandel degenerieren diese komplexen und hochproduktiven Ökosysteme zu sogenannten „Turfwiesen“. Turfwiesen bestehen aus kleinen, feinen Braunalgen und sind äußerst karg und artenarm. Der Verlust der Kelpwälder wird also weitreichende Konsequenzen für die Natur und uns haben.

©Sarina Niedzwiedz

Eine der häufigsten Kelparten auf der Nordhalbkugel ist der Zuckertang. Er kann bis zu sieben Meter lang werden und ist von der Arktis bis zu den Breitengraden um Nord-Portugal zu finden. Das Besondere am Zuckertang ist, dass er ziemlich robust ist und große Schwankungen in den Umweltbedingungen toleriert. Trotzdem wird sein Bestand in wärmeren Gebieten immer geringer. Hochrechnungen sagen voraus, dass die Art in südlicheren Breiten aufgrund des Temperaturanstiegs komplett verschwinden wird, sich gleichzeitig aber mit der Erwärmung der Arktis weiter in den Norden ausbreitet. Doch ist das wirklich so einfach vorherzusagen?

„Nie war es wichtiger zu verstehen, wie die Natur funktioniert – und wie man ihr helfen kann“, sagt der große britische Naturfilmer Sir David Attenborough.

Inwieweit kann der Zuckertang sich an verschiedene Umweltverhältnisse anpassen? Und welche Bedeutung haben dabei große räumliche und ökologische Unterschiede? Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich mich diesen Fragen gewidmet.

©Merle Schlawinsky

Alle Organismen auf unserer Erde können sich über physiologische Mechanismen an ihre Umwelt anpassen. Eine davon ist die Akklimatisierung. Dabei handelt es sich um kurzfristige, nicht genetisch fixierte Anpassungen. Sie beschreibt z. B. das Tolerieren eines großen Temperaturbereichs. Zusätzlich gibt es auch genetisch fixierte Mechanismen, die als Adaptation bezeichnet werden. Adaptation bedeutet im Temperaturzusammenhang, dass die gleiche Art in verschiedenen Verbreitungsgebieten unterschiedliche Temperaturbereiche toleriert. Eine Art bildet also „Ökotypen“ aus. Ob der Zuckertang ausgeprägte Akklimatisierung aufweist oder ob er Ökotypen bildet, ist noch ungeklärt. Allerdings ist dieses Wissen nötig, um die Reaktion des Zuckertangs auf den Klimawandel vorhersagen zu können. Und als sei das allein noch nicht kompliziert genug, können verschiedene Umweltfaktoren zudem vielfältige Interaktionen in den Organismen hervorrufen. Was passiert also wirklich in Zukunft mit dem Zuckertang?

Um zu verstehen, wie sich die jeweiligen lokalen Bedingungen auf die Stresstoleranz der Bestände auswirken muss der Zuckertang in seinem gesamten Verbreitungsgebiet in Europa untersucht werden. Der Zuckertang weist unterschiedliche äußerliche (morphologische) Ausprägungen auf. Dabei ist schon lange belegt, dass z. B. die Morphologie vielfältig von lokalen Umweltfaktoren beeinflusst wird. Das deutet zunächst prinzipiell einmal auf die Ausprägung von Ökotypen hin. Um der Frage zur Zukunft des Zuckertangs näher zu kommen, musste ich also die Zusammenhänge morphologischer, biochemischer und genetischer Vielfalt des Zuckertangs über sein gesamtes europäisches Verbreitungsgebiet untersuchen. Dafür sammelte ich Individuen an verschiedenen Standorten entlang der europäischen Küste. Aus der Studie resultierte, dass der Einfluss der örtlichen Umweltbedingungen äußerst vielfältig und komplex ist. Obwohl ich keinen direkten Zusammenhang zu den vorherrschenden Wassertemperaturen feststellte, konnte ich über genetische Untersuchungen unabhängig davon geringe verwandtschaftliche Unterschiede über den Nord-Süd-Gradienten finden. Die Tatsache, dass kein direkter Einfluss der lokalen Temperaturen nachgewiesen wurde, spricht für eine starke Akklimatisierungsfähigkeit des Zuckertangs. Die genetische Vielfalt deutet allerdings auf die Ausprägung von Ökotypen hin. Auf welche Weise schützt der Zuckertang sich nun also vor Umweltschwankungen?

Dieser Frage konnte ich mit Hilfe von Stressexperimenten unter Laborbedingungen näherkommen. Ich untersuchte die Toleranz des Zuckertangs gegenüber Hitzewellen und konnte ich nachweisen, dass ausschließlich Individuen aus wärmeren Gebieten durch kurzzeitige starke Temperaturerhöhungen geschädigt wurden, wohingegen Individuen aus kühleren Gegenden keine Beeinträchtigungen aufwiesen. Diese Ergebnisse bestätigen die Prognosen, wonach der Zuckertang nur in den wärmen Gebieten aussterben wird. Allerdings beobachtete ich auch, dass die Exemplare aus der südlichen Randpopulation einen höheren Anstieg der Wassertemperatur tolerierten als bisher für den Zuckertang angenommen wurde. Diese ausgeprägten ortspezifischen Unterschiede deuten auf Ökotypen hin. In einem weiteren Experiment fand ich jedoch heraus, dass die Stresstoleranz des Zuckertangs gegenüber ansteigenden Temperaturen sich auch zwischen den Jahreszeiten und von Jahr zu Jahr unterschied. Die Sterblichkeit erhöhte sich in wärmeren Jahren und nach vorhergehenden Hitzewellen. Damit konnte belegt werden, dass die Stresstoleranz von Zuckertang vor allem von saisonalen Bedingungen abhängt. Wir merken, dass die Zukunft des Zuckertangs tatsächlich nicht so einfach vorauszusagen ist wie gedacht.

©Nora Diehl

In polaren Gebieten sind Hitzewellen nicht nur mit einem Temperaturanstieg, sondern auch mit erhöhtem Schmelzwasser- und Nährstoffeintrag verbunden. Um mögliche Wechselwirkungen zwischen diesen Umweltveränderungen zu ermitteln, wurden Exemplare des arktischen Zuckertangs im Labor verringerten Salzgehalten und höherer Nährstoffverfügbarkeit in Kombination mit erhöhten Wassertemperaturen ausgesetzt. Obwohl verschiedentlich berichtet wurde, dass geringerer Salzgehalt die Widerstandsfähigkeit negativ beeinflusst, konnte ich dies beim arktischen Zuckertang nicht bestätigen. Erhöhte Nährstoffkonzentrationen könnten dagegen das Wachstum und die Vitalität der Bestände geringfügig verbessern. Arktischer Zuckertang weist also spezifische Anpassungsfähigkeiten bezüglich der Folgen von Ozeanerwärmung auf.

Was haben wir am Ende über den Zuckertang gelernt? Obwohl die Populationen verschiedener Lebensräume ein und derselben Art angehören, weisen sie je nach Herkunft deutliche Unterschiede auf. Ob man jedoch wirklich von einer Ökotypenausprägung sprechen kann oder sich der Zuckertang aktuell in einer evolutionären Übergangsphase zwischen Akklimatisierung und Adaptation befinden, konnte ich im Rahmen meiner Doktorarbeit nicht endgültig klären. Trotzdem tragen die Erkenntnisse jetzt schon einen wichtigen Teil dazu bei, zuverlässigere Vorhersagen der künftigen Verbreitungsmuster von Kelpwäldern vor dem Hintergrund des Klimawandels, sowie erforderlichen Erhaltungs- und Schutzstrategien zu ermöglichen.


Nach dem Meeresbiologie-Studium in Rostock, schloss Nora Diehl 2021 ihre Promotion an der Universität Bremen ab. In ihrer Forschung spezialisierte sie sich auf Anpassungsmechanismen von Großalgen an ihre Umwelt. Aktuell arbeitet sie innerhalb des großen EU-Projekts FACE-IT und erforscht dort den Einfluss des Klimawandels auf arktische Braunalgen, sogenannten Kelps.

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +