Von Pulsen in Zellen und widerspenstigen Pantoffeltierchen

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2023 in der Kategorie Physik veranschaulichte Anne Bialek, was sie für ihre Promotion erforscht hat.


Die Physik des Lebens: als Physikerin unterwegs im Grenzbereich zwischen Physik und Biologie, um mit Hilfe der Gesetze der Physik den Rätseln der Biologie auf die Schliche zu kommen. Wie funktioniert die Informationsweiterleitung in Zellen und wie kann man diese beeinflussen?

Mikroskopieaufnahme eines Pantoffeltierchens. © Anne Bialek

Was die Natur uns ermöglicht, ist schon erstaunlich. Wir können uns bewegen, denken, reden und noch vieles mehr, aber nur weil auch unsere Zellen miteinander kommunizieren können. Es ist schon lange bekannt, dass Pulse durch die Membranen unserer Zellen laufen und so einen Austausch von Informationen ermöglichen. Bis heute ist jedoch nicht sicher geklärt, was genau in einer Zelle während eines solchen Pulses passiert.

Klassisch werden diese Pulse als rein elektrisches Phänomen beschrieben. Durch das Öffnen und Schließen sogenannter Ionenkanäle kommt es zu einer Änderung des Membranpotentials, das sich entlang der Zellmembran ausbreitet. Beobachtet man einen solchen Puls fällt allerdings auf, dass es sich dabei keineswegs nur um einen elektrischen Puls handelt. Parallel zu der Änderung im Membranpotential kommt es unter anderem auch zu einer Temperaturänderung an der Membran und die Dicke der Membran ändert sich ebenfalls. Ein rein elektrisches Modell kann diese Phänomene jedoch nicht erklären.

Auf dem Weg hin zu einem allgemeineren Modell wird versucht, mit Hilfe der Gesetze der Physik, insbesondere der Thermodynamik und der Impulserhaltung, eine mögliche Erklärung für das Phänomen dieser Pulse zu finden. Die daraus entsprungene neue Theorie behauptet, dass während des propagierenden Pulses die Membran lokal „gefriert“, also einen Phasenübergang durchläuft.

Phasenübergänge kennen die meisten wahrscheinlich am ehesten von dem Übergang Wasser zu Eis. Wasser kann unter anderem in einer flüssigen Phase vorliegen, dem Wasser, oder in einer festen Phase, dem Eis. Zwischen beiden Phasen gibt es einen charakteristischen Punkt, den sogenannten Schmelzpunkt oder Gefrierpunkt. An diesem Punkt sind beide Phasen gleich wahrscheinlich. Phasenübergänge gibt es aber auch in anderen Systemen, wie zum Beispiel den Lipiden. Lipide sind die Moleküle, die zusammen mit den Proteinen den Hauptbestandteil von Zellmembranen bilden. In Experimenten mit reinen Lipidsystemen konnte bereits gezeigt werden, dass diese, ähnlich dem Wasser, in einer flüssigen und einer festen Phase vorliegen können. Biophysikalisch gesehen, können solche Phasenübergänge wie Schalter wirken: In dem sie abrupt die Eigenschaften des Systems, z.B. dessen Härte, verändern wird „der Schalter umgelegt“ und dadurch ein Puls ausgelöst. Doch gibt es solche Übergänge auch in den Membranen lebender, erregbarer Zellen?

Das Ziel meiner Dissertation war es, einen Phasenübergang, also das Schmelzen und Gefrieren, in einem lebenden Organismus nachzuweisen, und zwar unter möglichst natürlichen Bedingungen. Meine Wahl fiel auf die Pantoffeltierchen, kleine Einzeller, die Pulse über ihre Membran leiten, damit auch das andere Ende der Zelle weiß, was gerade passiert.

Durch das Schlagen ihrer Schwimmhärchen, der Cilien, schwimmen die Pantoffeltierchen die meiste Zeit herum. Genau dieses Schwimmen stellte mich bereits vor die erste Herausforderung meiner Forschungsidee: Es ist gar nicht so einfach einen Organismus zu beobachten, der immer wegschwimmt!
Die Fachliteratur schlägt vor den Pantoffeltierchen die Cilien abzurasieren oder sie am Boden festzukleben. Die Konsequenzen solcher drastischen und meist chemischen Eingriffe auf den Gesundheitszustand der Pantoffeltierchen sind jedoch nicht abzusehen. Zusammen mit Lukas Schnitzler von der Universität Augsburg habe ich daher versucht, einen Weg zu finden, die Pantoffeltierchen ohne Chemie, sondern durch Physik behutsam einzufangen.

Die Idee entstand, die Pantoffeltierchen in kleine Kanäle zu spülen und sie dort in kleinen flüssigkeitsgefüllten Räumen einzufangen. Diese Räume sind in etwa genauso groß wie die Pantoffeltierchen selbst. Dadurch können sich die Pantoffeltierchen zwar frei bewegen, aber eben nicht mehr wegschwimmen. Zusätzlich gibt es größere Becken, in denen die Tierchen frei schwimmen können, was Auskunft über ihren Gesundheitszustand liefert. Das erste Problem war somit schonmal gelöst!

Um bei den Pantoffeltierchen eine Aussage über die Phase ihrer Zellmembran treffen zu können, braucht man einen weiteren Trick: die sogenannte Fluoreszenz-Mikroskopie.
Fluoreszenzfarbstoffe sind kleine Moleküle. Wenn sie mit Licht einer bestimmten Wellenlänge, das heißt einer bestimmten Farbe, angeleuchtet werden, leuchten sie in einer anderen Farbe zurück. Die Wellenlänge des ausgesendeten Lichtes hängt dabei von der Umgebung ab, in der sich das Farbstoff-Molekül befindet. Bringt man einen solchen Farbstoff in die Lipidmembran einer Zelle, kann anhand der Änderung der Farbe, in der der Farbstoff leuchtet, eine Aussage über den Zustand der Lipide getroffen werden. Wenn die Membran in der festen Phase vorliegt, leuchtet sie in einer anderen Farbe als in der flüssigen Phase.

Auf diese Weise ist es mir tatsächlich gelungen, das „Schmelzen“ von Pantoffeltierchen zu beobachten, ohne sie mit Hilfe von Chemikalien ruhig zu stellen!

Aber damit nicht genug: Wenn ein solcher Phasenübergang wichtig ist für die Pulse im Pantoffeltierchen, sollte man diesen auch finden können, wenn die Pantoffeltierchen beispielsweise bei einer anderen Temperatur aufwachsen. Um ein Überleben der Pantoffeltierchen zu gewährleisten, sollte sich der gefundene Phasenübergang an veränderte Lebensbedingungen anpassen können, damit auch dort Pulse ausgelöst werden können. Der „Schalter“ muss in erreichbarer Nähe bleiben.
Und tatsächlich: Ändert man die Wachstumstemperatur der Pantoffeltierchen, so ändert sich auch die gemessene Schmelztemperatur, und zwar so, dass der Abstand zwischen Wachstumstemperatur und Schmelztemperatur, also der Abstand vom System zu seinem „Schalter“, ungefähr gleichbleibt. Die Nähe zum Phasenübergang scheint also tatsächlich von Bedeutung zu sein für die Pantoffeltierchen.

Aber ist das jetzt mehr als nur eine Spielwiese für PhysikerInnen? Diese Erkenntnis hilft uns in erster Linie zu verstehen, wie Organismen eigentlich funktionieren. Max Planck hat mal gesagt, dass Erkenntnis der beste Weg zur Anwendung ist. Die Tatsache, dass Phasenübergänge in lebenden, völlig intakten Organismen existieren, eröffnet den Zugang für die Erforschung anderer Dinge. Ein Beispiel sind die Anästhetika, also Stoffe, die dafür sorgen, dass Zellen vorübergehend nicht mehr erregbar sind.

Die Gruppe der Anästhetika reicht von kleinsten Molekülen wie dem Xenon bis hin zu größeren Molekülen wie verschiedenen Alkoholen. Wie genau diese Stoffe wirken, konnte jedoch noch nicht abschließend geklärt werden, vor allem, weil sie eben so unterschiedlich sind. Es ist allerdings schon lange bekannt, dass die anästhetische Wirkung eines Stoffes mit Hilfe seiner Löslichkeit in fettiger Umgebung vorhergesagt werden kann. Das ist gleichzusetzen mit der Löslichkeit in Lipid-Membranen. Es wäre daher denkbar, dass Anästhetika wirken, indem sie sich in Membranen einlagern und dadurch deren Schmelzpunkt verändern. Vorstellen kann man sich das Ganze am besten wieder im Schalter-Bild. Das System hat eine bestimmte „Armlänge“, um an seinen Schalter zu kommen, also um einen Puls auszulösen. Wenn es das Anästhetikum jetzt schaffen würde, den Phasenübergang weiter vom Zustand des Systems wegzuschieben, würde die ursprüngliche Armlänge nicht mehr ausreichen, um an den Schalter zu kommen. Das System wäre dann nicht mehr erregbar, also anästhesiert.

© Anne Bialek

In ersten Beispiel-Experimenten konnte ich diesen Effekt tatsächlich nachweisen: Die Zugabe des Alkohols Hexanol sorgt dafür, dass sich die Schmelztemperatur der Pantoffeltierchen weiter von deren Wachstumstemperatur entfernt. Greift man den Vergleich mit dem Schalter-Bild wieder auf, dann wird die Entfernung zum „Schalter“ tatsächlich größer.

Diese Forschungsergebnisse haben damit für die Physik der lebenden Systeme eine Tür einen großen Spalt weit geöffnet: Phasenübergänge könnten physikalisch gesehen „Schaltern“ entsprechen. Die Impulse, die das „Umklappen“ von flüssiger zu fester Phase erzeugt, können sich nach den Regeln der Impulserhaltung ausbreiten. Zwei wichtige Größen der Physik, die zum Verstehen der Biologie beitragen würden und damit – wie bereits Max Planck sagte – auch zu Anwendungen führen könnten, nicht zuletzt vielleicht auch in der Medizin.


Anne Bialek, geb. Paeger, studierte Medizinphysik an der TU Dortmund und spezialisierte sich dabei schon während des Bachelors auf medizinische und biologische Physik. In ihrer Promotion beschäftigte sie sich mit dem Nachweis von Phasenübergängen in Membranen mittels Fluoreszenz-Spektroskopie.
Seit 2023 ist sie als Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe von Matthias F. Schneider an der TU Dortmund angestellt und setzt ihre wissenschaftliche Arbeit weiter fort.

2 Kommentare

  1. Wenn ich über solche Experimente lese, stelle ich mir vor, ich wäre das Pantoffeltierchen – oder eher ein Mensch, dem neugierige Aliens behutsam Arme und Beine abrasieren, ohne dass ich je erfahre, was das soll…

    Impuls-Weitergabe interessiert mich generell. Auf der elementarsten physikalischen Ebene scheinen Energieflüsse auf der Teleportation von Information zu beruhen, zumindest, wenn Sie Ihre Brille vergessen haben. Sie gehen abends eine menschenleere Straße entlang, plötzlich biegt um die Ecke ein Mensch, der nur mit Clownmaske und Schwimmflossen bekleidet ist und Augen in den Kniescheiben hat. Sie erstarren – er auch, weil er so was Komisches wie Sie noch nicht gesehen hat.

    Wenn ein Beobachter einfach nur die Energie zwischen Ihnen vermisst, wird die Informationsübertragung nicht bemerken: Die Information wurde mit Lichtgeschwindigkeit hin- und her teleportiert. Zwischen Ihnen ist das gleiche Weiße Rauschen wie zuvor, Strahlung, die fröhlich kreuz und quer durchs Universum schießt und dabei versehentlich alle mögliche Information huckepack mitnimmt. Es sind die Filter in den beiden Teilchen, die entscheiden, welche Information Reaktionen auslöst, die Gencodes (also Programmierung, Algorithmen) in den Teilchen, die entscheiden, wie die Reaktion ausfällt, und auch die Energie, die für diese Reaktion nötig ist, wird in den Teilchen selbst generiert.

    Der Beobachter wird die Ursache nicht in den Teilchen suchen, sondern die Kräfte, die auf sie wirken, in Gravitation, Elektromagnetismus, Emotionen, was auch immer, unterteilen. Es dürfte alles das Gleiche sein, nur die Teilchen und Schwärme von Teilchen interagieren unterschiedlich, und das Gleiche sieht ja für jeden Beobachter völlig anders aus, zum Beispiel, weil seine eigene Größe ihn das Teilchen vor seiner Nase für eine Galaxie oder ein Atom halten lässt. Es gibt ja auch keine Schwarzen Löcher aus reinem Licht, abgesehen davon, dass sich ein Schwarzes Loch irgendwie wie ein Photon verhält, das durch die Zeit rast und ganze Galaxien in Raumzeitblasen mit sich schleift.

    Viele Teilchen ergeben Dominos, Kettenreaktionen, Kaskaden, Schmetterlingseffekte, und so entstehen Wellen, Impulse, die durch die Menschheit fließen wie durch Wasser. Wenn Sie uns auf dieser Ebene betrachten, sieht die Weltgeschichte plötzlich ganz anders aus – die Taliban treten zwei Türme um und erobern dadurch die USA, weil ein außenstehender Beobachter die feinen Unterschiede zwischen Islamisten und Trumpisten gar nicht wahrnehmen wird, und sie in der Praxis auch keine Bedeutung für deren Verhalten haben. Das Pantoffeltierchen USA nimmt den Reiz auf und potenziert ihn, weil es dafür bereit war. Er prallt nicht ab, er verhallt nicht nach und nach, sondern wird von jedem Teilchen aufgegriffen, wiederholt und verstärkt, auf das er trifft, und die interne Polarisierung der USA teilt ihn in zwei Misstöne.

    Wenn Sie an Phasenübergänge denken, denken Sie an den Elektrozaun zwischen den Welten. Falls Sie jemals gestorben sind, wissen Sie, wie unangenehm der ist: Leben ist OK, tot sein ist OK, das Dazwischen ist die Hölle. Was Sie zum Erstarren bringt, ist das ewige Kippen hin und her – Sie wechseln die Zustände, doch anscheinend tut das jedes Ihrer Teilchen nach eigener Fasson, der Durchschnittswert ist Scheiterhaufen – Sie werden gegrillt. Irgendwann werden Sie zerrissen, irgendein Maxwellscher Dämon entscheidet, was lebensfähige, stabile Verbindungen formt, und was sich weiter auflösen und in der Botanik verteilen muss. Sie als Ganzes gehören nicht zu den lebensfähigen Verbindungen, also lösen Sie sich schon zu Lebzeiten auf, Ihre Komponenten versuchen es jede nach eigener Fasson, jede davon kann Leben finden, indem sie sich in stabilere Verbindungen einfügt, oder weiter zerfallen, sich in Einzelkämpfer auflösen, die dann wiederum nach eigener Fasson ums Überleben ringen. Die Verwesung beginnt schon zu Lebzeiten, und führt zu einem so unerträglichen Zustand, dass sie fortgeführt wird, bis alle Entscheidungen für Leben oder Tod getroffen wurden: Bis die Schwelle überschritten ist, oder Sie von ihr abgeprallt sind.

    Dieses Muster – Schwellenübergang, Quantensprung, Flucht-Angststarre-Angriff – finden Sie überall im Leben. Es ist die Angst, die all die Paralleluniversen voneinander trennt, aus denen das Universum besteht. Sie verleiht ihnen Form, Struktur, indem sie Grenzen schafft, indem sie dafür sorgt, dass Teilchen innerhalb ihrer Goldlöckchenzonen bleiben, Umlaufbahnen und Kanäle, in denen sie leben – stabil bleiben – können.

    Wenn Sie eine Schwelle überwinden wollen, müssen Sie immer Kraft aus der Umgebung sammeln. Das kann bedeuten, dass Sie sich Masse anfüttern, um groß und stark zu werden, oder dass Sie sich umsehen, um von Freunden und Familie Bestätigung und Ermutigung herbei zu teleportieren. Allein dadurch, dass Sie diese einfordern, sind Sie zum Magneten geworden, der dazu führt, dass sie sich auf Sie ausrichten. Und wenn Sie den Mut haben, klettern Sie aufs Zehnmeterbrett, und überwinden die Widerstände im Inneren, bevor Sie springen können – Sie durchschreiten den Elektrozaun zwischen den Welten.

    Und weil sich Ihre Teilchen dann doch auf einen Konsens einigen konnten, klatscht unten nicht bloß ein Impuls ins Wasser, ein Wölkchen schreienden Matsches, sondern Sie als kohärente Masse, die sich nicht wellenartig verteilt und fremde Information überträgt, sondern Sie als kohärentes Teilchen, das selbst Informationsquelle ist und Wellen auslöst.

    Anders gesagt, wo der Elefant nicht durchkommt, kommen die Mäuse durch, wo die Mäuse nicht durchkommen, kommt der Elefant durch, und bei jeder Schwelle entscheidet das Zusammenspiel aufs Neue, in welcher Form Sie sie durchqueren. Oder ob Sie sie gar nicht durchqueren, sondern als Flipperkugel zwischen solchen Schwellen in Ihrer gewohnten Welt, Umlaufbahn, auf Kurs bleiben.

    Natürlich sagen mir solche grundlegenden Allgemeinplätze nichts darüber, wie es konkret in der Haut eines Pantoffeltierchens aussieht. Nur, wie sich Impulse allgemein verbreiten und dass Quantenphysiker eine Brille brauchen, und dass Sie in einem fraktalen System leben, in dem Sie das, was Sie unterm Mikroskop sehen, in irgendeiner Variante auch im Alltagsleben um sich herum studieren können. Am besten ist es wohl, wenn sich beide Perspektiven voneinander inspirieren lassen – so können Sie die Menschheit besser verstehen, wenn Sie Pantoffeltierchen studieren, und umgekehrt. Mit aller gebotenen Vorsicht.

    Was mir auffällt ist, dass man anscheinend Physik ohne Biologie und Evolution genauso wenig verstehen kann wie umgekehrt, weil der Unterschied zwischen belebter und unbelebter Materie auch eher von Beobachter abzuhängen scheint als vom Beobachteten. Könnt’ noch lustig werden.

  2. @Paul S.: “Es sind die Filter in den beiden Teilchen, …”

    Da sind gewiss keine Filter, sowas hat nur Mensch, seit Mensch erstem und bisher einzigen GEISTIGEN Evolutionssprung (“Vertreibung aus dem Paradies”).
    👋😇

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